Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

edition.fatal.de
von edition.fatal.de Mehr von diesem Publisher
09.12.2012 Aufrufe

170 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Peter Spangenberg hat sich mit den +Komplexitätsebenen moderner Öffentlichkeit* (1996) befaßt und dabei herausgestellt, daß moderne Öffentlichkeit immer Medien-Öffentlichkeit ist, d.h. mit dem ausgelösten sozialen Differenzierungsprozeß in der Folge gesellschaftlicher Modernisierung erfolgte zwangsläufig eine radikale Umstellung der Öffentlichkeit von Handlung auf (mediatisierte) Kommunikation (vgl. S. 270). Als direkte Auswirkung dieses Strukturwandels läßt sich meiner Meinung nach von einer Anonymisierung der Öffentlichkeit sprechen: Öffent- lichkeit verliert mit ihrer Mediatisierung an Konkretheit, wird delokalisiert und entpersonalisiert. 219 Dem steht keinesfalls die Tatsache der Tendenz zu einer Personalisierung der Politik entgegen (siehe auch unten), sowie daß die Gesichter, die uns auf den Titelseiten der Illustrierten oder im Fernsehen präsentiert werden, mit der Zeit für uns eine merkwürdige Vertrautheit erlangen und viele sogar eine +persönliche* Beziehung +ihrem* Star aufbauen, indem sie ihn zum Gegenstand von Idealisierungen und Wunschträumen machen. Denn diese Beziehung ist einseitig und funktioniert nur aus der Entfernung. Der Star (als öffentlicher Akteur) ist bekannt und bleibt (als Mensch) doch ein unbekanntes, unerreichbares Wesen – nur das macht ihn zu einem echten Star. Es erfolgt also keine Interaktion. Sein unverwechselbares und trotzdem austauschbares Gesicht dringt (vermittelt über die +Kanäle* der Medien) in unsere privaten Räume ein und füllt dort eine kommunikative Leerstelle – was gleichzeitig (siehe auch unten) auf den invasiven Charakter der Massenmedien verweist (d.h. die technisch forcierte Wieder- vermischung von öffentlichem und privatem Raum). Die hierarchische Differenzierung in Akteure und Publikum bewirkt aber nicht nur eine einseitige, sondern eine beidseitige Anonymisierung: Nicht alleine die öffentlichen Akteure sind bekannte Unbekannte für ihr Publikum, auch das Publikum bleibt weitgehend eine unbekannte Größe für den Redakteur des Nachrichtenmagazins oder den Talk-Master. Deshalb muß dem Publikum und seinen Wünschen im Interesse der Wertschöpfungsfunktion des privaten Mediensystems durch Marktforschung nachgespürt werden. Was die politische Öffentlichkeit, das politische Publikum betrifft, so wird dieses entsprechend zum Gegenstand von Meinungsforschung, die für das politische System Prognosen über Wahlausgänge erlauben soll. Ein erster Schritt zur beschriebenen Anonymisierung der Öffentlichkeit erfolgte bereits mit der Etablierung der Printmedien. Mit Hörfunk und Kino kam dann eine audio-visuelle Trans- formation der öffentlichen Kommunikation, die diesen Trend verstärkte und auch eine Verän- derung der Raum- und Zeitwahrnehmung bewirkte. In seinem Band +Medien-Zeit, Medien-Raum*

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 171 (1995) stellt Götz Großklaus diesen Wandel (an Elias anschließend) anhand zahlreicher Beispiele dar. Seine Kernaussage lautet, daß durch eine gleichzeitige Dehnung und Verdichtung der Raum-Zeit-Struktur durch die Medien die Dominanz der Raumwahrnehmung durch eine Dominanz der Zeitwahrnehmung abgelöst wurde (vgl. S. 103ff.), wodurch es zu einer Erweiterung des Gegenwarts- bzw. Jetzt-Feldes gekommen ist (vgl. ebd.; S. 21). Die Fotographie stand 220 für Großklaus am Anfang dieser Entwicklung, und das Fernsehen war in dieser Hinsicht keine wirklich radikale Neuerung, wie auch Spangenberg betont. Doch +trotzdem fällt die Sogwirkung auf, mit der das Fernsehen viele attraktive Angebote aus anderen Medien […] an sich ziehen konnte* (Komplexitätsebenen moderner Öffentlichkeit; S. 270). +Es ist zum Generalisten geworden, der Spezialisierungen provoziert […] Im Kontakt mit dem Fernsehen entwickelte sich der Hörfunk zu einem Aktualitäts- und Begleitmedium, das man nach Musik- farben und aufgrund der Verkehrsnachrichten auswählt, zum Wecken benutzt und beim Bügeln einschaltet. Das Kino […] mutierte – in seiner kommerziell erfolgreichen Form – zum intensitäts- orientierten Attraktivitätsmedium […]* (Ebd.; S. 276f.) Mit dieser Sicht des Fernsehens als Ausdifferenzierungskatalysator für das Mediensystem unterschätzt Spangenberg wahrscheinlich jedoch sogar seine Bedeutung für die (vielleicht schon +überwundene*) industrielle Massengesellschaft. Wenn man sich dagegen Florian Rötzer anschließt, so stellt(e) das Fernsehen das einzige historische Massenmedium überhaupt dar, denn +ein Massenmedium zeichnet sich dadurch aus, daß es [gleichzeitig] identische Informa- tionen an möglichst viele Empfänger übermittelt* (Interaktion – das Ende herkömmlicher Massen- medien; S. 132). +Texte in Form von Büchern, Flugblättern oder Zeitschriften haben vor den elektronischen Medien, die globale Gleichzeitigkeit ermöglichen, als Massenmedien [nur] im Sinn einer Massenproduktion gewirkt* (ebd.). Diese fersehvermittelte Gleichzeitigkeit wird durch die neuen interaktiven Medien (siehe unten) wieder zerstört. Nur das Fernsehen schuf also tatsächlich so etwas wie ein +globales Dorf*, das Marshall McLuhan in den 60er Jahren als Ergebnis der global ausgeweiteten Kommunikation entstanden gesehen hatte (vgl. Die magischen Kanäle; S. 103). Dies erreichte es, indem es ein Gefühl von allumfassender Transparenz durch die Simultanität der Nachrichtenübermittlung und einen (fast) weltweiten allgemeinen Zugang ermöglichte. Das Fernsehen produzierte also durch Gleichzeitigkeit ein globales öffentliches Bewußtsein. Doch dies vermochte es nur, indem es invasiv in die Privatsphäre eindrang. +Anstatt daß Informa-

170 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

Peter Spangenberg hat sich mit den +Komplexitätsebenen mo<strong>der</strong>ner Öffentlichkeit* (1996)<br />

befaßt und dabei herausgestellt, daß mo<strong>der</strong>ne Öffentlichkeit immer Medien-Öffentlichkeit<br />

ist, d.h. mit dem ausgelösten sozialen Differenzierungsprozeß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge gesellschaftlicher<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung erfolgte zwangsläufig e<strong>in</strong>e radikale Umstellung <strong>der</strong> Öffentlichkeit von Handlung<br />

auf (mediatisierte) Kommunikation (vgl. S. 270). Als direkte Auswirkung dieses Strukturwandels<br />

läßt sich me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach von e<strong>in</strong>er Anonymisierung <strong>der</strong> Öffentlichkeit sprechen: Öffent-<br />

lichkeit verliert mit ihrer Mediatisierung an Konkretheit, wird delokalisiert und entpersonalisiert. 219<br />

Dem steht ke<strong>in</strong>esfalls die Tatsache <strong>der</strong> Tendenz zu e<strong>in</strong>er Personalisierung <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> entgegen<br />

(siehe auch unten), sowie daß die Gesichter, die uns auf den Titelseiten <strong>der</strong> Illustrierten o<strong>der</strong><br />

im Fernsehen präsentiert werden, mit <strong>der</strong> Zeit für uns e<strong>in</strong>e merkwürdige Vertrautheit erlangen<br />

und viele sogar e<strong>in</strong>e +persönliche* Beziehung +ihrem* Star aufbauen, <strong>in</strong>dem sie ihn zum<br />

Gegenstand von Idealisierungen und Wunschträumen machen. Denn diese Beziehung ist<br />

e<strong>in</strong>seitig und funktioniert nur aus <strong>der</strong> Entfernung. Der Star (als öffentlicher Akteur) ist bekannt<br />

und bleibt (als Mensch) doch e<strong>in</strong> unbekanntes, unerreichbares Wesen – nur das macht ihn<br />

zu e<strong>in</strong>em echten Star. Es erfolgt also ke<strong>in</strong>e Interaktion. Se<strong>in</strong> unverwechselbares und trotzdem<br />

austauschbares Gesicht dr<strong>in</strong>gt (vermittelt über die +Kanäle* <strong>der</strong> Medien) <strong>in</strong> unsere privaten<br />

Räume e<strong>in</strong> und füllt dort e<strong>in</strong>e kommunikative Leerstelle – was gleichzeitig (siehe auch unten)<br />

auf den <strong>in</strong>vasiven Charakter <strong>der</strong> Massenmedien verweist (d.h. die technisch forcierte Wie<strong>der</strong>-<br />

vermischung von öffentlichem und privatem Raum).<br />

Die hierarchische Differenzierung <strong>in</strong> Akteure und Publikum bewirkt aber nicht nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige,<br />

son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e beidseitige Anonymisierung: Nicht alle<strong>in</strong>e die öffentlichen Akteure s<strong>in</strong>d bekannte<br />

Unbekannte für ihr Publikum, auch das Publikum bleibt weitgehend e<strong>in</strong>e unbekannte Größe<br />

für den Redakteur des Nachrichtenmagaz<strong>in</strong>s o<strong>der</strong> den Talk-Master. Deshalb muß dem Publikum<br />

und se<strong>in</strong>en Wünschen im Interesse <strong>der</strong> Wertschöpfungsfunktion des privaten Mediensystems<br />

durch Marktforschung nachgespürt werden. Was die politische Öffentlichkeit, das politische<br />

Publikum betrifft, so wird dieses entsprechend zum Gegenstand von Me<strong>in</strong>ungsforschung,<br />

die für das politische System Prognosen über Wahlausgänge erlauben soll.<br />

E<strong>in</strong> erster Schritt zur beschriebenen Anonymisierung <strong>der</strong> Öffentlichkeit erfolgte bereits mit<br />

<strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>tmedien. Mit Hörfunk und K<strong>in</strong>o kam dann e<strong>in</strong>e audio-visuelle Trans-<br />

formation <strong>der</strong> öffentlichen Kommunikation, die diesen Trend verstärkte und auch e<strong>in</strong>e Verän-<br />

<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Raum- und Zeitwahrnehmung bewirkte. In se<strong>in</strong>em Band +Medien-Zeit, Medien-Raum*

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!