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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 155<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en normalerweise entzogen, und wir alle<strong>in</strong>e bestimmen, wem wir Zugang zu dieser<br />

unserer eigensten (räumlichen) Sphäre gewähren und wem nicht.<br />

Daß jedes Individuum e<strong>in</strong>en Raum für se<strong>in</strong>e Selbstentfaltung benötigt, darauf hat schon Erv<strong>in</strong>g<br />

Goffman h<strong>in</strong>gewiesen. Goffman spricht von +Territorien des Selbst*. Diese Territorien o<strong>der</strong><br />

+Reservate* (wie er sie auch nennt) werden, um den eigenen Besitzanspruch abzusichern,<br />

von den Individuen mittels bestimmter +Markierungen* (z.B. e<strong>in</strong>em Gartenzaun) gekennzeichnet.<br />

Das m<strong>in</strong>imale Territorium des Selbst ist aber offensichtlich <strong>der</strong> eigene Körper (vgl. Das Individuum<br />

im öffentlichen Austausch; S. 67). E<strong>in</strong>e (ungewollte) Körperberührung durch an<strong>der</strong>e (z.B.<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er überfüllten U-Bahn) wird deshalb zumeist als unangenehm empfunden, doch s<strong>in</strong>d<br />

die Toleranzschwellen hierfür je nach Kultur verschieden. Bei Briten beispielsweise gilt es<br />

schon fast als Affront, wenn man den an<strong>der</strong>en im Kontext e<strong>in</strong>es Gesprächs berührt, wogegen<br />

ebendies etwa <strong>in</strong> Italien praktisch zum Gesprächsritual gehört.<br />

Oft erstrecken sich die Territorien bzw. Reservate des Selbst allerd<strong>in</strong>gs noch viel weiter, und<br />

so bezeichnet Goffman mit se<strong>in</strong>em Begriff des +Gesprächsreservats* nicht etwa e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

(räumlichen) M<strong>in</strong>destabstand <strong>in</strong> Gesprächssituationen, son<strong>der</strong>n damit ist geme<strong>in</strong>t, daß jedes<br />

Individuum +e<strong>in</strong> gewisses Maß an Kontrolle darüber ausüben [will], wer es wann [worüber]<br />

zu e<strong>in</strong>em Gespräch auffor<strong>der</strong>n kann* (ebd.; S. 69). Dies verweist <strong>in</strong>direkt (<strong>in</strong> Analogie zur<br />

obigen Öffentlichkeitsdef<strong>in</strong>ition) auf e<strong>in</strong>e weitere wichtige Dimension des Privaten. Die +Territo-<br />

rien* des Selbst beziehen sich auch auf bestimmte Wissensvorräte. So wollen wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

nicht, daß <strong>der</strong> Nachbar von gegenüber uns beim Entkleiden o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Morgentoilette beobachten<br />

kann und wollen eben auch nicht, daß je<strong>der</strong> x-Beliebige über unsere F<strong>in</strong>anzsituation und<br />

unser Liebesleben Bescheid weiß. Das letztgenannte Beispiel zeigt allerd<strong>in</strong>gs, daß das Private<br />

ke<strong>in</strong> vollständig hermetischer, +asozialer* Bereich ist, son<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e Personen e<strong>in</strong>e (wichtige)<br />

Rolle dar<strong>in</strong> spielen. Neben den genannten Liebesbeziehungen existieren <strong>in</strong> Form von Freund-<br />

schaften und Bekanntschaften private Beziehungsgeflechte und Netzwerke, die aber, und<br />

das ist wichtig, (eher) durch Intimität (im Gegensatz zu Formalität) gekennzeichnet s<strong>in</strong>d. 191<br />

Das heißt, wir legen bei privaten Beziehungen z.B. weniger Wert auf +Etikette* (und Etikettie-<br />

rungen) und wollen uns überdies auch selbst ke<strong>in</strong> so hohes Maß an Kontrolle auferlegen,<br />

wie dies bei Kontakten außerhalb unseres Privatbereichs häufig erfor<strong>der</strong>lich ist. Das bedeutet<br />

natürlich nicht, daß nicht auch im privaten Bereich (massive) Erwartungshaltungen an Personen<br />

gerichtet werden. Es besteht allerd<strong>in</strong>gs hier <strong>der</strong> explizite (und lei<strong>der</strong> oft enttäuschte) Wunsch)

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