Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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148 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Kompetenz hat, in wissenschaftlich-technischen Fragen zu entscheiden (vgl. ebd.; S. 501f.). Diesem häufig geäußerten Argument, dem auch Becks oben genannte Punkte entgegengebracht werden können, stellt sich Leslie Sklair in seinem Aufsatz +Science, Technology and Democracy* (1973). Er plädiert hier dennoch für ein +bringing people into science* (S. 178), da eventuelle Wissens- und Bildungslücken sich schließlich durch gezielte Information und vermehrte Bildungs- anstrengungen schließen ließen (vgl. ebd.; S. 180f.). In neuerer Zeit ist es, wie bereits erwähnt (siehe S. 138), vor allem Alan Irwin, der (auch unter Bezugnahme auf Beck) eine +Citizen Science* (1995) fordert, d.h. eine +Wissenschaft des Volkes*, die dessen (kritischen) Stimmen Gehör schenkt und mit einbezieht. Damit ist ein Bogen gespannt, der viele unterschiedliche, sich in zentralen Punkten wider- sprechende Positionen umfaßt. Doch eines teilen insbesondere die zuletzt dargestellten Ansätze meiner Meinung nach trotzdem: Sie gehen alle mehr oder weniger davon aus, daß sich Technik und Wissenschaft (zumindest graduell) verselbständigt und direkt oder indirekt der Sphäre 182 der Politik bemächtigt haben. Oder anders ausgedrückt: Technik und Wissenschaft sind (durch die Folgen dieser Autonomie) als solche politisch (geworden) und substituieren darüber hinaus zunehmend Politik bzw. politische Entscheidungen. Ersterer Sachverhalt ist ein zentraler Aspekt der Politisierung von Wissenschaft und Technik, die sich aber auch in deren instru- mentellen Gebrauch für politische Zwecke zeigt (siehe unten). Der zweite Punkt meint die (technokratische) Verwissenschaftlichung von Politik, die entweder begrüßt oder abgelehnt wird. Ich möchte betonen, daß ich, gerade was diesen zweiten Punkt betrifft, skeptisch bin. Von einer Übernahme der Politik durch (Sozial-)Techniker und Wissenschaftler kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein. Technik und Wissenschaft haben nur als soziale Subsysteme eine gewisse, eingeschränkte Teilautonomie gewonnen. In dieser Hinsicht stellen sie zwar wichtige Umweltfaktoren für Politik dar, die darauf zu reagieren hat, wenn beispielsweise neue Methoden in der Reproduktionsmedizin Elternschaft nicht mehr eindeutig zuordenbar machen oder gentechnische Innovationen den Agrarsektor umkrempeln. Andererseits es ist wichtig festzuhalten, daß Wissenschaft und Technikentwicklung eng eingebunden sind in einen sozio-ökonomischen und politischen Rahmen. Forschung z.B. ist keineswegs +frei*, sondern von staatlichen Vorgaben und Geldern und noch mehr von der Wirtschaft abhängig (die wiederum auch der Politik Rahmenbedingungen setzt).
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 149 Der Staat schafft nämlich nicht nur rechtliche Grenzen für Wissenschaft (z.B. im Gentech- nikgesetz), sondern da ein (wenn auch schrumpfender) Teil der Wissenschaft sich im universitären Bereich und in staatlichen Forschungsinstituten abspielt, kann von der Politik leicht Einfluß genommen werden. Diese leistet sich auch sog. +think tanks* – Ideenagenturen, die die eigenen Positionen argumentativ unterfüttern helfen sollen, wo also keinesfalls nur abgeschieden, offen und kreativ +räsoniert* wird (vgl. hierzu auch Gellner: Ideenagenturen für Politik und Öffent- lichkeit; S. 19ff.). Wirtschaftliche Interessen wiederum fließen in Forschung nicht nur dadurch ein, daß eine potentielle ökonomische Umsetzbarkeit von den Wissenschaftlern bereits bei der Planung ihrer Forschung antizipiert wird. Die Industrie ist immer mehr zum direkten Hauptauftraggeber und Finanzier von Wissenschaft geworden (siehe Tab. 9), die damit selbstverständlich ebenfalls über die Forschungsziele (mit)bestimmt. Tabelle 9: Das Ausgabenprofil für Forschung und Entwicklung in der Bundesrepublik Jahr Anteil der Wirtschaft am ge- Anteile der Wirtschaft Anteil der Hochschulen samten Finanzierungsaufwand bei der Durchführung bei der Durchführung 1962 49% 55% 20% 1973 49% 59% 21% 1987 62% 71% 13% Quelle: Simonis: Technikinnovation im ökonomischen Konkurrenzsystem; Tab. 1, S. 45 (Originalquelle: Bundesministerium für Forschung und Technik) Eine wichtige Aufgabe der +Produktivkraft Wissenschaft* ist es dabei auch, durch weitere Innovation deflexive Technologien zu entwickeln (als Paradebeispiel kann hier der +Katalysator* dienen), die das (Selbst-)Gefährdungspotential reflexiver Technologien auffangen (siehe auch nochmals S. 138). Doch zurück zum Verhältnis Wissenschaft–Politik: Sicher, eine gewisse +Entmündigung durch 183 Experten* (Illich) auch des Politikers ist gegeben. Praktisch zeigt sich meiner Ansicht nach jedoch weniger eine Herrschaft der Technokraten und Experten, als vielmehr eine Herrschaft mittels Expertise. Die Politik versucht unter Zuhilfenahme des +Legitimitäts-Pools* wissen- schaftlicher Objektivität, die entfaltete reflexive Dynamik deflexiv zu entschärfen. Wie das funktioniert, hat schon in den 70er Jahren Guy Benveniste ansatzweise in einem sehr aufschluß- reichen Buch dargelegt. Dieser betont zunächst in ganz konventioneller Manier, daß der beschleunigte soziale Wandel, den wir erleben, ein erhöhtes Bedürfnis für Expertenwissen
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Kompetenz hat, <strong>in</strong> wissenschaftlich-technischen Fragen zu entscheiden (vgl. ebd.; S. 501f.).<br />
Diesem häufig geäußerten Argument, dem auch Becks oben genannte Punkte entgegengebracht<br />
werden können, stellt sich Leslie Sklair <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz +Science, Technology and Democracy*<br />
(1973). Er plädiert hier dennoch für e<strong>in</strong> +br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g people <strong>in</strong>to science* (S. 178), da eventuelle<br />
Wissens- und Bildungslücken sich schließlich durch gezielte Information und vermehrte Bildungs-<br />
anstrengungen schließen ließen (vgl. ebd.; S. 180f.). In neuerer Zeit ist es, wie bereits erwähnt<br />
(siehe S. 138), vor allem Alan Irw<strong>in</strong>, <strong>der</strong> (auch unter Bezugnahme auf Beck) e<strong>in</strong>e +Citizen<br />
Science* (1995) for<strong>der</strong>t, d.h. e<strong>in</strong>e +Wissenschaft des Volkes*, die dessen (kritischen) Stimmen<br />
Gehör schenkt und mit e<strong>in</strong>bezieht.<br />
Damit ist e<strong>in</strong> Bogen gespannt, <strong>der</strong> viele unterschiedliche, sich <strong>in</strong> zentralen Punkten wi<strong>der</strong>-<br />
sprechende Positionen umfaßt. Doch e<strong>in</strong>es teilen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die zuletzt dargestellten Ansätze<br />
me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach trotzdem: Sie gehen alle mehr o<strong>der</strong> weniger davon aus, daß sich Technik<br />
und Wissenschaft (zum<strong>in</strong>dest graduell) verselbständigt und direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt <strong>der</strong> Sphäre<br />
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<strong>der</strong> <strong>Politik</strong> bemächtigt haben. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt: Technik und Wissenschaft s<strong>in</strong>d<br />
(durch die Folgen dieser Autonomie) als solche politisch (geworden) und substituieren darüber<br />
h<strong>in</strong>aus zunehmend <strong>Politik</strong> bzw. politische Entscheidungen. Ersterer Sachverhalt ist e<strong>in</strong> zentraler<br />
Aspekt <strong>der</strong> Politisierung von Wissenschaft und Technik, die sich aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong>en <strong>in</strong>stru-<br />
mentellen Gebrauch für politische Zwecke zeigt (siehe unten). Der zweite Punkt me<strong>in</strong>t die<br />
(technokratische) Verwissenschaftlichung von <strong>Politik</strong>, die entwe<strong>der</strong> begrüßt o<strong>der</strong> abgelehnt<br />
wird.<br />
Ich möchte betonen, daß ich, gerade was diesen zweiten Punkt betrifft, skeptisch b<strong>in</strong>. Von<br />
e<strong>in</strong>er Übernahme <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> durch (Sozial-)Techniker und Wissenschaftler kann me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />
nach nicht die Rede se<strong>in</strong>. Technik und Wissenschaft haben nur als soziale Subsysteme e<strong>in</strong>e<br />
gewisse, e<strong>in</strong>geschränkte Teilautonomie gewonnen. In dieser H<strong>in</strong>sicht stellen sie zwar wichtige<br />
Umweltfaktoren für <strong>Politik</strong> dar, die darauf zu reagieren hat, wenn beispielsweise neue Methoden<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Reproduktionsmediz<strong>in</strong> Elternschaft nicht mehr e<strong>in</strong>deutig zuordenbar machen o<strong>der</strong><br />
gentechnische Innovationen den Agrarsektor umkrempeln. An<strong>der</strong>erseits es ist wichtig festzuhalten,<br />
daß Wissenschaft und Technikentwicklung eng e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en sozio-ökonomischen<br />
und politischen Rahmen.<br />
Forschung z.B. ist ke<strong>in</strong>eswegs +frei*, son<strong>der</strong>n von staatlichen Vorgaben und Gel<strong>der</strong>n und noch<br />
mehr von <strong>der</strong> Wirtschaft abhängig (die wie<strong>der</strong>um auch <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen setzt).