Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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144 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE zu Mensch, wird durch diese Sachgesetzlichkeiten bestimmt: +An die Stelle eines politischen Volkswillens tritt die Sachgesetzlichkeit* (ebd.; S. 453), denn +die moderne Technik bedarf keiner Legitimität; mit ihr ›herrscht‹ man, weil sie funktioniert* (ebd.; S. 456). 174 Diese Kapitulation vor einer technokratischen Herrschaft, in der die +objektive* Erkenntnis der Sachgesetzlichkeiten politische Auseinandersetzungen ersetzt und Funktionieren Priorität 175 vor dem politischen Diskurs hat, ist nicht ohne Kritik geblieben. Insbesondere von den Vertretern der Frankfurter Schule wurden technokratische Modelle heftig zurückgewiesen, was aufgrund der bereits zu Beginn dieses Abschnitts dargestellten Auffassungen nicht verwundern muß. Jürgen Habermas z.B. spricht vom +Schein der Verselbständigung* von Technik und Wissenschaft. Tatsächlich stehen nämlich auch hinter der Objektivität der Sachzwänge gesell- schaftliche Interessen (vgl. z.B. Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung; S. 123). Zum deshalb also offensichtlich ideologischen Charakter des technokratischen Arguments kommt ein praktisches Problem hinzu: Gesellschaft läßt sich nicht vollständig rationalisieren. Wert- und Sinnfragen können mittels rein +technischer* Diskurse nicht befriedigend beantwortet werden (vgl. ebd.). Wenn trotzdem versucht wird, das sozial-politische Leben alleine durch technokratisch-wissenschaftliches Management zu regeln, so erzeugt dies zwangsläufig (legiti- matorische) Schwierigkeiten, die sogar zu einer Legitimationskrise führen können (vgl. auch Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus; S. 96ff.). Auch Hans-Martin Schönherr-Mann, der von einer das soziale Band schwächenden +Hegemonie der technischen Hermeneutik* in unserer technisierten Gesellschaft ausgeht (vgl. Leviathans Labyrinth; S. 305ff.), konstatiert aus ähnlichen Überlegungen einen +schwankenden Leviathan* (vgl. ebd.; S. 171f.). Den vom Ansatz her +soziologischsten* Ausdruck dieses Zusammenhangs hat aber Peter Weingart mit einer institutionentheoretischen Betrachtung gefunden. Die zentrale These seines Aufsatzes +Verwissenschaftlichung der Gesellschaft – Politisierung der Wissenschaft* (1983) lautet, daß Verwissenschaftlichung durch die von ihr bewirkte Unterminierung traditionaler Gewißheiten und durch ihre (anwendungsbedingte) soziale Dynamik de-institutionalisierend wirkt. An der damit an Wissenschaft gestellten politischen Aufgabe der Re-Strukturierung (ihrer erzwungen Politisierung) scheitert sie jedoch, solange sie auf Objektivität beharrt. Die Substitution des wissenschaftlichen Objektivitätsgebots erscheint jedoch schwierig, da Wissenschaft gerade aus ihrer angenommenen Objektivität, der standpunktunabhängigen +Wahrheit* ihrer Erkenntnisse soziale Legitimität schöpft. Wer Wissenschaftlichkeit für sich

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 145 beanspruchen will, muß deshalb aus der Sicht der wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit dem Objektivitätskriterium gerecht werden. Objektivität ist die sozial wie innerhalb der Wissenschaften verinnerlichte Rechtfertigungsgrundlage wissenschaftlicher Aussagen. Selbst in den vermeintlich +weicheren* Sozialwissenschaften ist das Objektivitätsparadigma (zumindest als Zielvorstellung) weithin akzeptiert. Ein berühmtes und vielfach gerühmtes Dokument für die Forderung nach einer objektiven, +wertneutralen* (Sozial-)Wissenschaft ist Max Webers 176 im Jahr 1917 in München gehaltene Vorlesung über +Wissenschaft als Beruf*. Hier arbeitet Weber klar heraus, wie die großen Hoffnungen auf eine umfassende Weltdeutung, die in ihren Anfängen noch in Wissenschaft gesetzt wurden, zwar enttäuscht wurden, enttäuscht werden mußten, da der +Sinn des Lebens* sich nun einmal mit wissenschaftlichen Methoden nicht ergründen läßt. Das Berufsethos des Wissenschaftlers erfordert es aber für Weber gerade deshalb, daß er sich aller Wertfragen enthält und sein Engagement in den +reinen* Dienst an der Sache stellt, um den (Erkenntnis-)Fortschritt voranzutreiben (vgl. S. 15f.). Solche im Kern +positivistischen* Auffassungen sind zwar spätestens (allerdings eher in Aus- einandersetzung mit dem Kritischen Rationalismus Poppers) im sog. +Positivismusstreit* hinterfragt 177 worden. Und auch die dargestellten neueren wissenschaftssoziologischen Ansätze stimmen ja zumindest insoweit überein, daß sie sich von der Vorstellung wissenschaftlicher Objektivität verabschiedet haben – und zwar nicht nur, was die Sozialwissenschaften betrifft, sondern gerade auch in bezug auf naturwissenschaftliche Aussagen. Denn wie schon Karin Knorr-Cetina herausgearbeitet hat: Bei der +Fabrikation von Erkenntnis* (1984) gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, beider Erklärungen beruhen auf Inter- pretation und Verstehen, nicht auf +objektiver* Messung (vgl. dort Kap. 7). Wie angemerkt, haben diese wissenschaftstheoretischen bzw. -soziologischen Einsichten jedoch nicht bewirkt, daß es auch in der Forschungspraxis zu einem Abrücken von (meist quantitativen) methodischen Konzepten gekommen wäre, die zur +Sicherstellung* von Objektivität entwickelt wurden – weil Wissenschaft sich schließlich aufgrund der sozialen Fiktion ihrer Objektivität durch dar- gestellte und (be)greifbar gemachte Objektivität öffentlich legitimieren muß, um sich als Subsystem zu behaupten. Selbst wenn aber wissenschaftliche Objektivität nur Fiktion ist, so ist sie (wie gemäß dem Thomas-Theorem formuliert werden kann) auch als Fiktion real wirksam, und Wissenschaft als gesellschaftliches Teilsystem erhält die Macht, sozial verbindlich +Wahrheit* zu definieren.

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 145<br />

beanspruchen will, muß deshalb aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen<br />

Öffentlichkeit dem Objektivitätskriterium gerecht werden. Objektivität ist die sozial wie <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Wissenschaften ver<strong>in</strong>nerlichte Rechtfertigungsgrundlage wissenschaftlicher Aussagen. Selbst<br />

<strong>in</strong> den verme<strong>in</strong>tlich +weicheren* Sozialwissenschaften ist das Objektivitätsparadigma (zum<strong>in</strong>dest<br />

als Zielvorstellung) weith<strong>in</strong> akzeptiert. E<strong>in</strong> berühmtes und vielfach gerühmtes Dokument für<br />

die For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>er objektiven, +wertneutralen* (Sozial-)Wissenschaft ist Max Webers<br />

176<br />

im Jahr 1917 <strong>in</strong> München gehaltene Vorlesung über +Wissenschaft als Beruf*. Hier arbeitet<br />

Weber klar heraus, wie die großen Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e umfassende Weltdeutung, die <strong>in</strong><br />

ihren Anfängen noch <strong>in</strong> Wissenschaft gesetzt wurden, zwar enttäuscht wurden, enttäuscht<br />

werden mußten, da <strong>der</strong> +S<strong>in</strong>n des Lebens* sich nun e<strong>in</strong>mal mit wissenschaftlichen Methoden<br />

nicht ergründen läßt. Das Berufsethos des Wissenschaftlers erfor<strong>der</strong>t es aber für Weber gerade<br />

deshalb, daß er sich aller Wertfragen enthält und se<strong>in</strong> Engagement <strong>in</strong> den +re<strong>in</strong>en* Dienst<br />

an <strong>der</strong> Sache stellt, um den (Erkenntnis-)Fortschritt voranzutreiben (vgl. S. 15f.).<br />

Solche im Kern +positivistischen* Auffassungen s<strong>in</strong>d zwar spätestens (allerd<strong>in</strong>gs eher <strong>in</strong> Aus-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Kritischen Rationalismus Poppers) im sog. +Positivismusstreit* h<strong>in</strong>terfragt<br />

177<br />

worden. Und auch die dargestellten neueren wissenschaftssoziologischen Ansätze stimmen<br />

ja zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>soweit übere<strong>in</strong>, daß sie sich von <strong>der</strong> Vorstellung wissenschaftlicher Objektivität<br />

verabschiedet haben – und zwar nicht nur, was die Sozialwissenschaften betrifft, son<strong>der</strong>n<br />

gerade auch <strong>in</strong> bezug auf naturwissenschaftliche Aussagen. Denn wie schon Kar<strong>in</strong> Knorr-Cet<strong>in</strong>a<br />

herausgearbeitet hat: Bei <strong>der</strong> +Fabrikation von Erkenntnis* (1984) gibt es ke<strong>in</strong>en grundsätzlichen<br />

Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, bei<strong>der</strong> Erklärungen beruhen auf Inter-<br />

pretation und Verstehen, nicht auf +objektiver* Messung (vgl. dort Kap. 7). Wie angemerkt,<br />

haben diese wissenschaftstheoretischen bzw. -soziologischen E<strong>in</strong>sichten jedoch nicht bewirkt,<br />

daß es auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungspraxis zu e<strong>in</strong>em Abrücken von (meist quantitativen) methodischen<br />

Konzepten gekommen wäre, die zur +Sicherstellung* von Objektivität entwickelt wurden –<br />

weil Wissenschaft sich schließlich aufgrund <strong>der</strong> sozialen Fiktion ihrer Objektivität durch dar-<br />

gestellte und (be)greifbar gemachte Objektivität öffentlich legitimieren muß, um sich als Subsystem<br />

zu behaupten.<br />

Selbst wenn aber wissenschaftliche Objektivität nur Fiktion ist, so ist sie (wie gemäß dem<br />

Thomas-Theorem formuliert werden kann) auch als Fiktion real wirksam, und Wissenschaft<br />

als gesellschaftliches Teilsystem erhält die Macht, sozial verb<strong>in</strong>dlich +Wahrheit* zu def<strong>in</strong>ieren.

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