Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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142 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Die daraus resultierende Vorstellung nicht-menschlicher, dinglich-technischer Akteure bzw. Aktanten, führt jedoch ungewollt in die Nähe einer Richtung, die von den Vertretern der Akteur-Netzwerk-Theorie explizit abgelehnt wird: nämlich zu jenem +naturalistischen Reduk- tionismus*, der die Objektivität, die Natur- und Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft und Technik unterstellt. Dieser Vorwurf bedarf der näheren Erläuterung: Wenn man die Existenz nicht-menschlicher Akteure unterstellt und also davon ausgeht, daß Technik zu einem eigenständigen Akteur in techno-ökonomischen Netzwerken werden kann, so bedeutet dies, daß Technik über ein bestimmtes Maß von Autonomie, eine Eigendynamik, ja, über eine Art +eigenen Willen* verfügen 169 muß. Denn ein Handeln, das sich als Akt vom bloßen Fakt unterscheidet, beinhaltet immer 170 Intentionalität und Zielgerichtetheit. Auch Callon scheint im Prinzip ähnliche Vorstellungen zu teilen, indem er +Autorenschaft* zum Definitionskriterium des Akteurs macht – ohne allerdings plausibel zu darzulegen, wie dieses Kriterium von nicht-menschlichen Akteuren erfüllt werden könnte, die auch er unterstellt (siehe hierzu nochmals S. 131 sowie Anmerkung 148). Selbst wenn man aber jene Schwierigkeit einmal außer acht läßt, so zeigt sich ein weiteres Problem: Indem Technik zum Mit-Akteur und eigenständigen Faktor gemacht wird, und in 171 dem Ausmaß, in welchem man ihr (als Quasi-Objekt und -Subjekt) Autonomie zuspricht, erhält sie den Status einer +Quasi-Natur*. Denn Natur umfaßt schließlich nach +traditioneller* Definition genau das, was unabhängig (autonom) von menschlicher Existenz, d.h. ohne unser Zutun besteht. Es erfolgt also eine indirekte und ungewollte Naturalisierung von Technik, während die +eigentliche* Natur sich im erweiterten Begriff des Sozialen und Technischen auflöst, aus dem Begriffs- und Bezugshorizont (tendenziell) verschwindet. Diese implizite Naturalisierung von Technik, die im Widerspruch zu den gleichzeitig im Gebäude der Akteur-Netzwerk-Theorie vorzufindenden konstruktivistischen Vorstellungen steht, zeigt +fatale* Berührungspunkte zu Auffassungen, wie sie in der Technokratietheorie (ihrer opti- mistischen wie ihrer pessimistischen Variante) vorherrschen. Denn Technokratietheorien beruhen schließlich genau auf der Vorstellung einer Autonomie und Eigengesetzlichkeit, einer +Natur- haftigkeit* von Technik, und schließen daraus, daß es zu einer Übernahme der Politik durch Techniker (und Sozialtechniker) gekommen ist bzw. kommen sollte und muß, da jene alleine aufgrund ihres Wissens Einsicht in die Sachgesetzlichkeiten der modernen (industriellen) Gesell- schaft hätten.
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 143 In den USA gab es schon in den 20er Jahren, aufbauend auf Veblens Schrift +The Engineer 172 and the Price System* (1921), eine technokratische Bewegung (vgl. z.B. Klein: The Technocrats). In Deutschland kamen technokratische Ideen dagegen erst viel später auf. Hier nahm man auch weniger auf Veblen als auf Ellul bezug. Dieser malt in seinem Buch +La Technique ou l’enjeu du siècle* (1954) – das zehn Jahre später auch in englischer Sprache unter dem Titel +The Technological Society* erschien – ein eher düsteres Bild über die Technisierung von Gesellschaft und Staat. Die autonom gewordene Technik hat sich den Menschen unterworfen (vgl. Kap. 2). Sie ist nicht mehr Mittel für menschliche Zwecke, sondern dominiert alles Nicht- Technische: +It destroys, eliminates, or subordinates the natural world* (ebd.; S. 79). Durch die alles durchdringende Technisierung wird der Staat totalitär, der sich der Technik zur Beherr- schung der Gesellschaft bemächtigt und das Leben der Bürger vollständig absorbiert (vgl. ebd.; S. 284ff.). Am Ende dieses Prozesses stehen auch bei Ellul so etwas wie Cyborgs: +Mensch- 173 Maschinen* (vgl. ebd.; S. 395). Deren Dasein ist von Technik normiert, sozial fragmentisiert und ohne ein geistiges Moment (vgl. ebd.; Kap. 5). Elemente dieser negativen Sicht finden sich auch bei Gehlen, der in seinem Buch +Die Seele im technischen Zeitalter* (1957) eine anthropologisch begründete Sozialpsychologie der indu- striellen Gesellschaft versucht (siehe auch zurück zu S. XXXVIIf.): Das +Mängelwesen* Mensch schafft sich durch Technik Ersatz für seine unzureichenden körperlichen Organe – soweit ist Technik eine Notwendigkeit für den Menschen (vgl. S. 7ff.). Aus dieser mittelhaften Technik hat sich aber eine technische +Superstruktur* entwickelt (vgl. ebd.; S. 11ff.). Diese zwingt uns zur Anpassung an ihre Vorgaben. Die Folgen sind u.a. Entsinnlichung und Erfahrungsverlust (vgl. ebd. Kap. II u. III). Trotzdem aber gilt für Gehlen, daß das fragmentisierte Subjekt durch Technik auch neue Ausdrucksformen gewinnt (vgl. ebd.; Kap. IV und IX). Bei Schelsky, der an Gehlen und Ellul anschließt, erfolgt eine Umdeutung die politische Sphäre betreffend, und was insbesondere bei Ellul Anlaß zu Kritik ist, weicht bei Schelsky einer Kapitulation vor den angeblichen Sachzwängen, die sich aus der technischen Superstruktur ergeben. Zwar kann man aus der Diktion Schelskys eine deutliche Distanz zur +technisch-wissen- schaftlichen Zivilisation* heraushören, die unsere Gesellschaft kennzeichnet, doch diese hat unabänderlich ein neues Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt geschaffen: Die Sach- gesetzlichkeit der industriell-technischen Produktionsweise ersetzt den Naturzwang (vgl. Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation; S. 449). Auch die Politik, das Verhältnis Mensch
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Die daraus resultierende Vorstellung nicht-menschlicher, d<strong>in</strong>glich-technischer Akteure bzw.<br />
Aktanten, führt jedoch ungewollt <strong>in</strong> die Nähe e<strong>in</strong>er Richtung, die von den Vertretern <strong>der</strong><br />
Akteur-Netzwerk-Theorie explizit abgelehnt wird: nämlich zu jenem +naturalistischen Reduk-<br />
tionismus*, <strong>der</strong> die Objektivität, die Natur- und Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft und<br />
Technik unterstellt.<br />
Dieser Vorwurf bedarf <strong>der</strong> näheren Erläuterung: Wenn man die Existenz nicht-menschlicher<br />
Akteure unterstellt und also davon ausgeht, daß Technik zu e<strong>in</strong>em eigenständigen Akteur<br />
<strong>in</strong> techno-ökonomischen Netzwerken werden kann, so bedeutet dies, daß Technik über e<strong>in</strong><br />
bestimmtes Maß von Autonomie, e<strong>in</strong>e Eigendynamik, ja, über e<strong>in</strong>e Art +eigenen Willen* verfügen<br />
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muß. Denn e<strong>in</strong> Handeln, das sich als Akt vom bloßen Fakt unterscheidet, be<strong>in</strong>haltet immer<br />
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Intentionalität und Zielgerichtetheit. Auch Callon sche<strong>in</strong>t im Pr<strong>in</strong>zip ähnliche Vorstellungen<br />
zu teilen, <strong>in</strong>dem er +Autorenschaft* zum Def<strong>in</strong>itionskriterium des Akteurs macht – ohne allerd<strong>in</strong>gs<br />
plausibel zu darzulegen, wie dieses Kriterium von nicht-menschlichen Akteuren erfüllt werden<br />
könnte, die auch er unterstellt (siehe hierzu nochmals S. 131 sowie Anmerkung 148).<br />
Selbst wenn man aber jene Schwierigkeit e<strong>in</strong>mal außer acht läßt, so zeigt sich e<strong>in</strong> weiteres<br />
Problem: Indem Technik zum Mit-Akteur und eigenständigen Faktor gemacht wird, und <strong>in</strong><br />
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dem Ausmaß, <strong>in</strong> welchem man ihr (als Quasi-Objekt und -Subjekt) Autonomie zuspricht,<br />
erhält sie den Status e<strong>in</strong>er +Quasi-Natur*. Denn Natur umfaßt schließlich nach +traditioneller*<br />
Def<strong>in</strong>ition genau das, was unabhängig (autonom) von menschlicher Existenz, d.h. ohne unser<br />
Zutun besteht. Es erfolgt also e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte und ungewollte Naturalisierung von Technik,<br />
während die +eigentliche* Natur sich im erweiterten Begriff des Sozialen und Technischen<br />
auflöst, aus dem Begriffs- und Bezugshorizont (tendenziell) verschw<strong>in</strong>det.<br />
Diese implizite Naturalisierung von Technik, die im Wi<strong>der</strong>spruch zu den gleichzeitig im Gebäude<br />
<strong>der</strong> Akteur-Netzwerk-Theorie vorzuf<strong>in</strong>denden konstruktivistischen Vorstellungen steht, zeigt<br />
+<strong>fatal</strong>e* Berührungspunkte zu Auffassungen, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Technokratietheorie (ihrer opti-<br />
mistischen wie ihrer pessimistischen Variante) vorherrschen. Denn Technokratietheorien beruhen<br />
schließlich genau auf <strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>er Autonomie und Eigengesetzlichkeit, e<strong>in</strong>er +Natur-<br />
haftigkeit* von Technik, und schließen daraus, daß es zu e<strong>in</strong>er Übernahme <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> durch<br />
Techniker (und Sozialtechniker) gekommen ist bzw. kommen sollte und muß, da jene alle<strong>in</strong>e<br />
aufgrund ihres Wissens E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Sachgesetzlichkeiten <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen (<strong>in</strong>dustriellen) Gesell-<br />
schaft hätten.