Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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140 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Sie liefern mögliche Erklärungen für die Instrumentalisierung von Natur wie für den Protest gegen einen solchen +technischen* Umgang mit Natur. Und auch dem Protest häufig zugrunde- liegende Angstprojektionen lassen sich mit bestimmten Naturvorstellungen erklären. Ein Beispiel für derartige Angstprojektionen ist Rachel Carsons einflußreiches Buch +Silent Spring* (1962), wo gleich zu Beginn das Szenario einer sterbenden Natur und eines +verstummten Frühlings* entworfen wird, in dem keine Vogelstimmen mehr zu hören sind. Die Quelle der Angstbilder ist auch in diesem Fall die Identifizierung mit Natur. Die wahrgenommene Bedrohung der Natur durch Technik bedroht gleichzeitig das Selbst, das sich mit Natur in eins setzt – einer Natur, die in vielen Fällen in fragwürdiger Weise idealisiert wird, als rein und unverdorben gilt. Dies kommt vor allem in bestimmten Äußerungen des New Age-Denkens und der Esoterik klar hervor, welche ja Teile der Ökologiebewegung stark beeinflußt haben (vgl. auch Mitter- müller: Ideologie und Theorie der Ökologiebewegung; S. 151ff.). Die Natur wird hier als Quelle 166 von Heilung (z.B. in der Homöopathie), als Repräsentantin der Ganzheit (vgl. z.B. Capras +Wendezeit*) oder als kraftspendende +Mutter Erde* etc. betrachtet. 167 Aus dieser idyllischen, romantischen Natursicht heraus, gilt es Natur oder das, was von ihr übrig ist, zu konservieren und wieder in ihr +Recht* zu setzen. Natur (im traditionellen Sinn) bzw. die Erinnerung daran wird mit ihrem Verschwinden, ihrer technischen +Vergesellschaftung* zu einer Wunschprojektion. Das Bestreben, diesem Natur-Wunsch (wieder) Wirklichkeit zu geben, führt zur (Neu-)Erfindung, zur +Wiedergeburt der Natur* (Sheldrake), damit aber auch zu den paradoxen, weil hochgradig +künstlichen* Phänomen +disneysierter*, vergarteter und entkontextualisierter Enklaven, die Bilder von Natur in virtuellen Landschaften (siehe nochmals Übersicht 3) ausstellen und zu verwalten trachten (z.B. Zoos, Aquarien, botanische Gärten, Nationalparks, Naturschutzgebiete etc.). Beck spricht in ähnlicher Weise von +Kunstnatur* und +Realnaturmuseen* (vgl. Gegengifte; S. 64). Es handelt sich also wiederum, allerdings auf verschobener Ebene, um einen instrumentellen Umgang mit und ein instrumentelles Verständnis von +Natur*: Diese wird zum Spiegel des idealisierten Selbstbildes und muß als Regenerationsraum wie als +Schau(stell)platz* einer heilen Welt dienen. Selbst in dieser Instru- mentalisierung und Inszenierung ist aber als utopische Projektion ein Moment von Transzendenz enthalten, welches Natur – so wie sie sich in unserer idealisierten Vorstellung gerade nicht darstellt (nämlich so wie sie +ist*) – immerhin eine vage Möglichkeit eröffnet. Über den (Um-)Weg der Identifizierung wird nämlich eine Transformation der Differenz möglich: von
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 141 einer hierarchisierenden zu einer egalisierenden Differenz, die dem (imaginierten) Anderen der Natur eine Chance gibt, womit potentiell eine Vermittlung zwischen Mensch, Natur und Technik möglich wird (vgl. auch Bloch: Das Prinzip Hoffnung; Band 2, S. 817). 168 Dies wäre schon alleine deshalb +objektiv* wünschenswert, weil beispielsweise sauberes Wasser aller alltagspraktischer wie auch wissenschaftlicher +Erfahrung* nach eine unverzichtbare Lebens- grundlage darstellt, und der Plastikwald, von dem Beck spricht (vgl. Gegengifte; S. 77), als (un)mögliche Alternative nicht nur unserer kulturell geprägten Vorstellung davon widerspricht, wie der +deutsche Wald* gefälligst auszusehen hat (siehe auch nochmals Anmerkung 162). Darüber hinaus würden Plastikwurzeln als Wasserspeicher und -filter wohl kaum +funktionieren*. Wir hätten es demnach mit einem selbst nach technischen Maßstäben +unvollkommen* Surrogat zu tun – jedenfalls, wenn man den gegenwärtigen +Stand der Technik* zugrunde legt. Und auch Vogelgezwitscher klingt für viele Ohren doch angenehmer als das Geräusch von Motor- sägen, wenngleich es hier +natürlich* unterschiedliche Auffassungen gibt und es zudem denkbar wäre, daß einige Arten sich mit dem neuen Plastikwald anfreunden könnten. Selbst wo also Natur nur mehr Imagination ist und ihr begrifflicher Sinn durch die Praxis entleert ist, erwächst im Beharren auf Natur eine (neue) Möglichkeit (für Natur). Die Aufhebung der Trennung von Natur und Technik bzw. Gesellschaft in Begriffen wie dem des +techno-öko- nomischen Netzwerks*, würde (im Fall ihrer Durchsetzung) selbst das unmöglich machen, und die +Cyborgs*, die wir angeblich sind, könnten sich nicht einmal mehr als Hybridwesen erkennen. Begriffe sind ein mächtiges Mittel der Kritik, und jede +Absperrung des Universums der Rede* (Marcuse) ist ein Angriff gegen die Möglichkeit von Kritik. Das heißt offensichtlich nicht, daß man nicht kreativ und spielerisch nach neuen Begrifflichkeiten suchen sollte, die einer veränderten Wirklichkeit gerecht werden. Doch es heißt auch nicht, daß man alles in undifferenzierten Hybridkonzepten auflösen sollte. Dieses Problem der Begriffsdiffusion betrifft, wie gesagt, die sozialkonstruktivistische Wissen- schafts- und Techniksoziologie ebenso wie die Akteur-Netzwerk-Theorie. Letztere hat in meinen Augen jedoch noch ein zweites wesentliches Problem, das seine Wurzel allerdings in ersterem hat und besonders deutlich bei Latour zutage tritt: Wenn nämlich nicht mehr zwischen Gesellschaft und Technik, Mensch und Maschine unterschieden wird (siehe zurück zu S. 132), so muß in der Konsequenz des Arguments auch der Akteursbegriff, der für die Akteur- Netzwerk-Theorie schließlich zentral ist, auf die dingliche Welt der Technik ausgedehnt werden.
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e<strong>in</strong>er hierarchisierenden zu e<strong>in</strong>er egalisierenden Differenz, die dem (imag<strong>in</strong>ierten) An<strong>der</strong>en<br />
<strong>der</strong> Natur e<strong>in</strong>e Chance gibt, womit potentiell e<strong>in</strong>e Vermittlung zwischen Mensch, Natur und<br />
Technik möglich wird (vgl. auch Bloch: Das Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung; Band 2, S. 817). 168<br />
Dies wäre schon alle<strong>in</strong>e deshalb +objektiv* wünschenswert, weil beispielsweise sauberes Wasser<br />
aller alltagspraktischer wie auch wissenschaftlicher +Erfahrung* nach e<strong>in</strong>e unverzichtbare Lebens-<br />
grundlage darstellt, und <strong>der</strong> Plastikwald, von dem Beck spricht (vgl. Gegengifte; S. 77), als<br />
(un)mögliche Alternative nicht nur unserer kulturell geprägten Vorstellung davon wi<strong>der</strong>spricht,<br />
wie <strong>der</strong> +deutsche Wald* gefälligst auszusehen hat (siehe auch nochmals Anmerkung 162).<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus würden Plastikwurzeln als Wasserspeicher und -filter wohl kaum +funktionieren*.<br />
Wir hätten es demnach mit e<strong>in</strong>em selbst nach technischen Maßstäben +unvollkommen* Surrogat<br />
zu tun – jedenfalls, wenn man den gegenwärtigen +Stand <strong>der</strong> Technik* zugrunde legt. Und<br />
auch Vogelgezwitscher kl<strong>in</strong>gt für viele Ohren doch angenehmer als das Geräusch von Motor-<br />
sägen, wenngleich es hier +natürlich* unterschiedliche Auffassungen gibt und es zudem denkbar<br />
wäre, daß e<strong>in</strong>ige Arten sich mit dem neuen Plastikwald anfreunden könnten.<br />
Selbst wo also Natur nur mehr Imag<strong>in</strong>ation ist und ihr begrifflicher S<strong>in</strong>n durch die Praxis entleert<br />
ist, erwächst im Beharren auf Natur e<strong>in</strong>e (neue) Möglichkeit (für Natur). Die Aufhebung <strong>der</strong><br />
Trennung von Natur und Technik bzw. Gesellschaft <strong>in</strong> Begriffen wie dem des +techno-öko-<br />
nomischen Netzwerks*, würde (im Fall ihrer Durchsetzung) selbst das unmöglich machen,<br />
und die +Cyborgs*, die wir angeblich s<strong>in</strong>d, könnten sich nicht e<strong>in</strong>mal mehr als Hybridwesen<br />
erkennen. Begriffe s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> mächtiges Mittel <strong>der</strong> Kritik, und jede +Absperrung des Universums<br />
<strong>der</strong> Rede* (Marcuse) ist e<strong>in</strong> Angriff gegen die Möglichkeit von Kritik. Das heißt offensichtlich<br />
nicht, daß man nicht kreativ und spielerisch nach neuen Begrifflichkeiten suchen sollte, die<br />
e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Wirklichkeit gerecht werden. Doch es heißt auch nicht, daß man alles<br />
<strong>in</strong> undifferenzierten Hybridkonzepten auflösen sollte.<br />
Dieses Problem <strong>der</strong> Begriffsdiffusion betrifft, wie gesagt, die sozialkonstruktivistische Wissen-<br />
schafts- und Techniksoziologie ebenso wie die Akteur-Netzwerk-Theorie. Letztere hat <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en<br />
Augen jedoch noch e<strong>in</strong> zweites wesentliches Problem, das se<strong>in</strong>e Wurzel allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> ersterem<br />
hat und beson<strong>der</strong>s deutlich bei Latour zutage tritt: Wenn nämlich nicht mehr zwischen<br />
Gesellschaft und Technik, Mensch und Masch<strong>in</strong>e unterschieden wird (siehe zurück zu S.<br />
132), so muß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konsequenz des Arguments auch <strong>der</strong> Akteursbegriff, <strong>der</strong> für die Akteur-<br />
Netzwerk-Theorie schließlich zentral ist, auf die d<strong>in</strong>gliche Welt <strong>der</strong> Technik ausgedehnt werden.