Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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138 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Mit Luhmann könnte man darum argumentieren, daß ein rekursives System entstand, das durch operationelle Geschlossenheit gekennzeichnet ist (vgl. Die Wissenschaft der Gesellschaft; 159 Kap. 5). Trotzdem ist auch nach ihm eine Zirkularität von Wissenschaft und Gesellschaft gegeben, denn Wissenschaft ist ein Vorgang, der innerhalb der Gesellschaft stattfindet, d.h. sie kommuniziert mit Gesellschaft und umgekehrt (vgl. ebd.; S. 616–622). So kommt es auch, daß Wissenschaft sich immer mehr mit den (sozialen und ökologischen) Folgen von Wissenschaft bzw. ihrer Anwendung auseinandersetzen muß – weshalb Ulrich Beck von +reflexiver Ver- wissenschaftlichung* spricht (vgl. Risikogesellschaft; S. 259ff.). Technik selbst ist wiederum dadurch reflexiv, daß sie auf anderer Technik aufbaut (z.B. Verkehrsleitsysteme auf Verkehrs- systemen, Software auf Hardware etc.). Dabei wird häufig versucht, durch Technik technik- erzeugte Probleme in den Griff zu bekommen (Filteranlagen, Antivirensoftware usw.) – ich möchte hier deshalb von deflexiven (d.h. ablenkenden) Technologien sprechen. 160 Die Reflexivität von Wissenschaft und Technik hat also verschiedene Gesichter. Als interne Reflexivität schließt sie Wissenschaft und Technik nach innen ab und produziert damit indirekt jene externe Reflexivität, die sie durch äußere Impulse zwingt, sich in einem neuen Reflexions- Zirkel mit den Folgen der wissenschaftlich-technischen Selbst-Reflexivität auseinanderzusetzen. Externe Reflexivität meint aber nicht nur die Rückvermittlung, sondern darüber hinaus auch die externe diskursive Wiederspiegelung (Reflexion) technisch-wissenschaftlicher Problematiken, bedeutet demnach die gleichzeitige Demystifizierung und Entmonopolisierung wissenschaftlicher Erkenntnis. Dies zeigt sich insbesondere in den immer nachdrücklicheren Forderungen nach einer demokratisierten, öffentlich +verhandelten* Wissenschaft (vgl. z.B. Irwin: Citizen Science und siehe auch S. 147ff.). Im Zuge dieser externen Spiegelung wird Wissenschaft jedoch z.T. wiederum mit Wissenschaft (z.B. durch Gegenexpertisen oder den Rekurs auf wissen- schaftliche Terminologien und Theorien) in Frage gestellt (vgl. hierzu auch Risikogesellschaft; S. 261ff. u. S. 266ff.). Wir haben es mit einer gleichzeitigen Externalisierung und Internalisierung von Wissenschaft zu tun. Die Akzeptanz wissenschaftlichen Denkens drückt sich auch und gerade in seiner Abwehr aus. Die abwehrende externe Spiegelung von Wissenschaft ist nun aber keineswegs gleichmäßig über die verschiedenen Wissenschaftsfelder verteilt (genausowenig wie ein +Gleichgewicht* 161 innerhalb des Wissenschaftssystems besteht). Man könnte deshalb von einer Reflexions- Hierarchie bzw. partieller Reflexivität sprechen. Die öffentliche Thematisierung konzentriert
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 139 sich auf bestimmte, in der öffentlichen Wahrnehmung besonders problematische Wissenschafts- bereiche und Technologien. Beispiele dafür sind die Atomenergie und die Gentechnik, die sehr sensibel und genau öffentlich beobachtet werden. In Zukunft werden wahrscheinlich auch die Informationstechnologien zu diesem Kernbereich kritischer Reflexion gehören, da sie immer mehr ökonomisch wie sozial relevant werden und sich hier eine zunehmende Zahl von Konfliktfeldern abzeichnet (Zugang zu Information, Überwachung der Informationsflüsse, Zensur der Netze etc.). Das Unbehagen an diesen und anderen Technologien spiegelt sich auf politisch-praktischer Ebene vorwiegend in subpolitischen Protestbewegungen (da die institutionelle Politik zumeist versucht, zwischen der Position der Industrie, die ein ökonomisches Interesse an diesen Technologien hat, und der Öffentlichkeit zu vermitteln). Das Paradebeispiel für eine solche subpolitische Protestbewegung ist die Ökologie- und Umweltbewegung (vgl. auch Beck: Risiko- gesellschaft; S. 264f. sowie Gegengifte; Kap. II), die besonders in der Bundesrepublik große Mobilisierungsfähigkeit aufweist und mit den +Grünen* sogar einen sehr erfolgreichen partei- politischen Arm etablieren konnte, was allerdings einen programmatisch-strategischen +Para- digmawechsel*, eine partielle Inklusion in das etablierte Politiksystem erforderte (vgl. Wessollek: 162 Die Ökologiebewegung; S. 79ff.). Auch der parlamentarische Arm der Ökologiebewegung gerät aber mit dem Identifikationsangebot +Natur*, das er offeriert, in Konflikt zu anderen (insbesondere auch außerpolitischen) +Parteien*, die auf der hierarchisierenden Differenz Mensch–Natur beharren bzw. andere Naturbilder zugrunde legen, welche mit ihren (ökono- mischen) Interessen kompatibel sind. Denn das Naturbild, das für große Teile der Ökologie- bewegung kennzeichnend ist, ist die Vorstellung einer Natur, die äußerst empfindlich auf Gleichgewichtsstörungen reagiert. Wirtschaftsunternehmen, als prädestinierte Hauptangriffsziele des Protests, sind dagegen zumeist +blind* für die durch ihre Produktionsmethoden und Produkte ausgelösten möglichen Gleichgewichtsstörungen, da in ihrem Bild Natur äußerst tolerant gegen- 163 über Eingriffen ist bzw. zu sein hat. Der Konflikt entsteht also, um mit Schwartz und Thompson zu sprechen, die diesen Zusammenhang am Beispiel des Streits um die Einführung eines neuartigen Sanitärprodukts herausgearbeitet haben, durch +contradictory certainties*: wider- sprüchliche Sicherheiten (vgl. Divided We Stand; S. 2–13). 164 Naturbilder und -begriffe sind deshalb wichtige Analysekategorien gerade im Rahmen der Beschäftigung mit Wissenschaft und Technik und der sozialen Reflexionen, die diese bewirken. 165
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 139<br />
sich auf bestimmte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung beson<strong>der</strong>s problematische Wissenschafts-<br />
bereiche und Technologien. Beispiele dafür s<strong>in</strong>d die Atomenergie und die Gentechnik, die<br />
sehr sensibel und genau öffentlich beobachtet werden. In Zukunft werden wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
auch die Informationstechnologien zu diesem Kernbereich kritischer Reflexion gehören, da<br />
sie immer mehr ökonomisch wie sozial relevant werden und sich hier e<strong>in</strong>e zunehmende<br />
Zahl von Konfliktfel<strong>der</strong>n abzeichnet (Zugang zu Information, Überwachung <strong>der</strong> Informationsflüsse,<br />
Zensur <strong>der</strong> Netze etc.).<br />
Das Unbehagen an diesen und an<strong>der</strong>en Technologien spiegelt sich auf politisch-praktischer<br />
Ebene vorwiegend <strong>in</strong> subpolitischen Protestbewegungen (da die <strong>in</strong>stitutionelle <strong>Politik</strong> zumeist<br />
versucht, zwischen <strong>der</strong> Position <strong>der</strong> Industrie, die e<strong>in</strong> ökonomisches Interesse an diesen<br />
Technologien hat, und <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu vermitteln). Das Paradebeispiel für e<strong>in</strong>e solche<br />
subpolitische Protestbewegung ist die Ökologie- und Umweltbewegung (vgl. auch Beck: Risiko-<br />
gesellschaft; S. 264f. sowie Gegengifte; Kap. II), die beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik große<br />
Mobilisierungsfähigkeit aufweist und mit den +Grünen* sogar e<strong>in</strong>en sehr erfolgreichen partei-<br />
politischen Arm etablieren konnte, was allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en programmatisch-strategischen +Para-<br />
digmawechsel*, e<strong>in</strong>e partielle Inklusion <strong>in</strong> das etablierte <strong>Politik</strong>system erfor<strong>der</strong>te (vgl. Wessollek:<br />
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Die Ökologiebewegung; S. 79ff.). Auch <strong>der</strong> parlamentarische Arm <strong>der</strong> Ökologiebewegung<br />
gerät aber mit dem Identifikationsangebot +Natur*, das er offeriert, <strong>in</strong> Konflikt zu an<strong>der</strong>en<br />
(<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch außerpolitischen) +Parteien*, die auf <strong>der</strong> hierarchisierenden Differenz<br />
Mensch–Natur beharren bzw. an<strong>der</strong>e Naturbil<strong>der</strong> zugrunde legen, welche mit ihren (ökono-<br />
mischen) Interessen kompatibel s<strong>in</strong>d. Denn das Naturbild, das für große Teile <strong>der</strong> Ökologie-<br />
bewegung kennzeichnend ist, ist die Vorstellung e<strong>in</strong>er Natur, die äußerst empf<strong>in</strong>dlich auf<br />
Gleichgewichtsstörungen reagiert. Wirtschaftsunternehmen, als prädest<strong>in</strong>ierte Hauptangriffsziele<br />
des Protests, s<strong>in</strong>d dagegen zumeist +bl<strong>in</strong>d* für die durch ihre Produktionsmethoden und Produkte<br />
ausgelösten möglichen Gleichgewichtsstörungen, da <strong>in</strong> ihrem Bild Natur äußerst tolerant gegen-<br />
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zu sprechen, die diesen Zusammenhang am Beispiel des Streits um die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es<br />
neuartigen Sanitärprodukts herausgearbeitet haben, durch +contradictory certa<strong>in</strong>ties*: wi<strong>der</strong>-<br />
sprüchliche Sicherheiten (vgl. Divided We Stand; S. 2–13). 164<br />
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