Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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132 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE War die Übersetzung erfolgreich, so kommt es zur (gegenseitigen) Ausrichtung (alignment). Diese wird durch koordinierende Übersetzungsregime bzw. Konventionen erleichtert und gefördert. So kann schließlich eine +annähernde* Übereinstimmung (Konvergenz) hergestellt werden. Wenn zukünftige +Aktionen* in einem Netzwerk von vergangenen Übersetzungs- prozessen abhängen und ein Zurück unmöglich ist, so kann man sogar von Irreversibilität sprechen. (Vgl. ebd.; S. 142–151) Auch Bruno Latour hat sich mit der wichtigen Frage der Stabilisierung beschäftigt. Seine Antwort setzt jedoch gewissermaßen am entgegengesetzten Punkt an, denn er meint zeigen zu können, wie soziale Stabilität ganz allgemein primär durch technische Artefakte, also durch die +Dinge*, die als +Aktanten* (auch) für Latour Akteursqualitäten besitzen, erzeugt wird. Denn in den Dingen und weniger in sozialen Verhältnissen nimmt Macht Form an und wird Macht (auf)- bewahrt. So kommt er zu dem Schluß: +Domination is an effect not a cause.* (Technology Is Society Made Durable; S. 130) Er verdeutlicht diese Vorstellung u.a. am Beispiel +Hotelzimmerschlüssel*: Dem Wunsch der Hotelleitung nach Rückgabe des Schlüssels beim Verlassen des Hotels wird dadurch Nachdruck verliehen, daß ein Metallgewicht am ihm befestigt ist. Wäre dies anders, so würden die meisten Gäste den Schlüssel wahrscheinlich mitnehmen und ihn u.U. verlieren. Eine bloße Aufforderung zur Rückgabe genügt in der Regel nicht. Jeder Forderung, jedem Interesse, jedem +Programm* muß also +Gewicht* verliehen werden. Dies wird durch eine adäquate technologische Über- setzung des Programms erreicht. In diesem Fall ist es ein tatsächliches Gewicht. Die Entwicklung einer erfolgreichen Übersetzung hängt jedoch, auch gemäß Latour, von der Permanenz des Willens ab, das Programm durchzusetzen, sprich: den Schlüssel zurück zu bekommen (vgl. ebd.; S. 104–110). Erklärungen nach Art dieses Beispiels können für Latour allerdings nur nutzbar gemacht werden, wenn die Trennung zwischen materieller Infrastruktur und sozialer Superstruktur aufgegeben wird (vgl. ebd.; S. 129). Es gilt also, den +großen Leviathan* ausein- anderzuschrauben, um zu erkennen wie die (hybriden) Akteur-Netzwerke die soziale Wirklichkeit strukturieren (vgl. Callon/Latour: Unscrewing the Big Leviathans). In dem letztgenannten Aufsatz vertreten Callon und Latour übrigens die Ansicht, Makroakteure seien nichts anderes als gleichsam +aufgeblasene* Mikroakteure, die es geschafft haben, sich 150 andere +Willen* einzuverleiben (vgl. ebd.; S. 296). Dieses +enrolment* liegt jedoch in der +Natur* der Sache, und Macht an sich wird überwiegend positiv, um mit Barnes zu sprechen:
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 133 als soziale Kapazität, die (Verfügungs-)Freiheit (discretion) verleiht, aufgefaßt (vgl. The Nature of Power; S. 57ff.). Hierin zeigt sich auch eine Parallele zu Foucault, der, obwohl selbst Kritiker des aufklärerischen Machtapparates, ebenfalls an vielen Stellen seines Werks die produktive Seite der Macht herausstellte und sich weniger für ihre (makro)strukturelle Komponente als für ihre +Mikrophysik* interessierte (siehe hierzu nochmals Anmerkung 48, Einleitung). John Law ist in dieser Beziehung allerdings gespalten: Er will sich die Möglichkeit offenhalten, Macht mit Ungleichheit und Ausbeutung zu identifizieren, und begreift diese deshalb als relationale Größe, die durchaus in der Struktur des Netzwerks (re)präsent(iert) ist (vgl. Power, Discretion and Strategy; S. 185). In der ambivalenten Position Laws zeigt sich, daß einige Vorstellungen der Akteur-Netzwerk-Theorie wie der anderen hier dargestellten Ansätze durchaus als problematisch angesehen werden können. Zwar berücksichtigt man, daß Wissenschaft und Technik in einem sozialen Prozeß geformt werden, verabschiedet sich von der Vorstellung wissenschaftlicher +Objektivität* und schafft ein plastisches Bild des Konstruktionsprozesses wissenschaftlicher +Fakten*, indem man den Forschern in ihre Labors folgt. Die Akteur-Netzwerk- Theorie versucht zudem, eine Verbindung von Mikro- und Makroebene zu finden, bringt die dinglich-materielle Seite von Wissenschaft und Technik wieder ins Spiel und bemüht sich um die +Kreation* neuer, adäquaterer Begrifflichkeiten. Einige dieser Vorzüge verkehren sich jedoch in Nachteile, wenn man einen kritischen Horizont bewahren will. Ich möchte deshalb anschließend eine Reihe von Kritikpunkten zu den einzelnen Ansätzen vorbringen, um darauf aufbauend (sowie unter Einbeziehung des Konzepts der reflexiven Verwissenschaft- lichung Ulrich Becks) so etwas wie eine +eigene*, kritische Position zu erarbeiten. Zum Ansatz von Hughes ist anzumerken, daß dieser zwar darstellt, wie die großen technischen Systeme Gesellschaften formen und strukturieren (vgl. insb. Die Erfindung Amerikas). Wie andererseits soziale Makrofaktoren auf die Bildung von Technik-Systemen wirken, bleibt, wie schon oben angemerkt, leider unterbelichtet. Insbesondere auch die Rolle von Organi- sationen und deren Strukturen, die von Hughes nicht als Handlungssysteme, sondern wie 151 Technik als +Artefakte* verstanden werden, wird nicht näher untersucht. Zudem ist bei ihm eine etwas fragwürdige Tendenz zur Heroisierung von System-Bildnern wie Edison, Bell oder Ford auszumachen. Abgeschwächt gilt dieser Vorwurf übrigens auch für Latour, der zwar versucht zu zeigen, wie die (historischen) Umstände (und die materielle Welt des Labors) den Helden der Wissenschaft erst erschaffen (vgl. z.B. seinen +Bildband* über Pasteur). Doch
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 133<br />
als soziale Kapazität, die (Verfügungs-)Freiheit (discretion) verleiht, aufgefaßt (vgl. The Nature<br />
of Power; S. 57ff.). Hier<strong>in</strong> zeigt sich auch e<strong>in</strong>e Parallele zu Foucault, <strong>der</strong>, obwohl selbst Kritiker<br />
des aufklärerischen Machtapparates, ebenfalls an vielen Stellen se<strong>in</strong>es Werks die produktive<br />
Seite <strong>der</strong> Macht herausstellte und sich weniger für ihre (makro)strukturelle Komponente als<br />
für ihre +Mikrophysik* <strong>in</strong>teressierte (siehe hierzu nochmals Anmerkung 48, E<strong>in</strong>leitung).<br />
John Law ist <strong>in</strong> dieser Beziehung allerd<strong>in</strong>gs gespalten: Er will sich die Möglichkeit offenhalten,<br />
Macht mit Ungleichheit und Ausbeutung zu identifizieren, und begreift diese deshalb als<br />
relationale Größe, die durchaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Struktur des Netzwerks (re)präsent(iert) ist (vgl. Power,<br />
Discretion and Strategy; S. 185). In <strong>der</strong> ambivalenten Position Laws zeigt sich, daß e<strong>in</strong>ige<br />
Vorstellungen <strong>der</strong> Akteur-Netzwerk-Theorie wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en hier dargestellten Ansätze durchaus<br />
als problematisch angesehen werden können. Zwar berücksichtigt man, daß Wissenschaft<br />
und Technik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sozialen Prozeß geformt werden, verabschiedet sich von <strong>der</strong> Vorstellung<br />
wissenschaftlicher +Objektivität* und schafft e<strong>in</strong> plastisches Bild des Konstruktionsprozesses<br />
wissenschaftlicher +Fakten*, <strong>in</strong>dem man den Forschern <strong>in</strong> ihre Labors folgt. Die Akteur-Netzwerk-<br />
Theorie versucht zudem, e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von Mikro- und Makroebene zu f<strong>in</strong>den, br<strong>in</strong>gt<br />
die d<strong>in</strong>glich-materielle Seite von Wissenschaft und Technik wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Spiel und bemüht<br />
sich um die +Kreation* neuer, adäquaterer Begrifflichkeiten. E<strong>in</strong>ige dieser Vorzüge verkehren<br />
sich jedoch <strong>in</strong> Nachteile, wenn man e<strong>in</strong>en kritischen Horizont bewahren will. Ich möchte<br />
deshalb anschließend e<strong>in</strong>e Reihe von Kritikpunkten zu den e<strong>in</strong>zelnen Ansätzen vorbr<strong>in</strong>gen,<br />
um darauf aufbauend (sowie unter E<strong>in</strong>beziehung des Konzepts <strong>der</strong> reflexiven Verwissenschaft-<br />
lichung Ulrich Becks) so etwas wie e<strong>in</strong>e +eigene*, kritische Position zu erarbeiten.<br />
Zum Ansatz von Hughes ist anzumerken, daß dieser zwar darstellt, wie die großen technischen<br />
Systeme Gesellschaften formen und strukturieren (vgl. <strong>in</strong>sb. Die Erf<strong>in</strong>dung Amerikas). Wie<br />
an<strong>der</strong>erseits soziale Makrofaktoren auf die Bildung von Technik-Systemen wirken, bleibt,<br />
wie schon oben angemerkt, lei<strong>der</strong> unterbelichtet. Insbeson<strong>der</strong>e auch die Rolle von Organi-<br />
sationen und <strong>der</strong>en Strukturen, die von Hughes nicht als Handlungssysteme, son<strong>der</strong>n wie<br />
151<br />
Technik als +Artefakte* verstanden werden, wird nicht näher untersucht. Zudem ist bei<br />
ihm e<strong>in</strong>e etwas fragwürdige Tendenz zur Heroisierung von System-Bildnern wie Edison, Bell<br />
o<strong>der</strong> Ford auszumachen. Abgeschwächt gilt dieser Vorwurf übrigens auch für Latour, <strong>der</strong><br />
zwar versucht zu zeigen, wie die (historischen) Umstände (und die materielle Welt des Labors)<br />
den Helden <strong>der</strong> Wissenschaft erst erschaffen (vgl. z.B. se<strong>in</strong>en +Bildband* über Pasteur). Doch