Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
130 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE sondern weil er höhere Geschwindigkeiten ermöglichte. (Vgl. The Social Construction of Facts and Artifacts) Ein anderes (speziell politisch) interessantes Beispiel sozialkonstruktivistischer Wissenschafts- und Techniksoziologie stellt Adri de la Bruhèzes Untersuchung über die Generierung einer allgemeingültigen Definition radioaktiven Abfalls (vermittelt durch die amerikanische Atomenergie- Kommission in der Zeit zwischen 1945 und 1960) dar. Bruhèze zeigt, wie sich nach und nach aus einer Reihe unterschiedlicher Interpretationen darüber, was radioaktiver Müll ist und wie man damit verfahren sollte, durch Aushandlungsprozesse zwischen den relevanten Akteuren, Kompromisse und kontingente Entscheidungen schließlich eine stabile Definition herausbildete (vgl. Closing the Ranks). Auch in diesem Fall gilt allerdings der schon oben gemachte Einwand, daß soziale Makrofaktoren durch die zu enge Konzentration auf die Mikro- ebene ausgeblendet bleiben. Noch dazu ist bei Bruhèze ein ausgeprägtes Desinteresse für Machtungleichgewichte zu beobachten – was aufgrund der offensichtlich +politischen Natur* gerade dieses +Definitionsproblems* besonders defizitär erscheint. 143 • Die Akteur-Netzwerk-Theorie löst im Vergleich zu sozialkonstruktivistischen Ansätzen, so wie sie sich gegenwärtig darstellen, eher den Anspruch ein, eine Verbindung von Mikro- und Makroebene zu leisten. Ähnlich wie bei letzteren ist auch hier ein Ziel die Dekonstruktion 144 der (künstlichen) Trennung von Natur und Gesellschaft, Technik und Wissenschaft, die nach Bruno Latour – neben Michel Callon und John Law ihr sicher wichtigster Vertreter – +konstitutiv* für die Moderne war (vgl. Wir sind nie modern gewesen; Kap. 2). In unserer (post)postmodernen Welt der Hybride, der Verschmelzung von Mensch und Maschine, Gesellschaft und Technik, wie sie (in eher düsterer Ausmalung) auch Jean Baudrillard (siehe 145 146 zurück zu S. LV) oder (geradezu euphorisch) Donna Haraway (vgl. A Cyborg Manifesto) konstatieren, wird diese Trennung nämlich zunehmend problematisch und verhindert eine adäquate Untersuchung des sozio-technischen Amalgams. Technik wird deshalb in der Akteur- Netzwerk-Theorie auch nicht als Ausfluß oder Manifestation makrostruktureller Machtverhältnisse verstanden und Wissenschaft als abhängige Variable von Politik und Wirtschaft betrachtet, sondern beide haben als solche politischen Charakter, sind +Politik mit anderen Mitteln* (vgl. z.B. Callon/Law/Rip: How to Study the Force of Science; S. 4). Sowohl ein soziologischer Reduktionismus wie der naturalistische Reduktionismus, der technische Lösungen als Ergebnis eines +objektiven* Erkenntnisprozesses begreift, wird also abgelehnt (vgl. ebd.; S. 7f.).
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 131 Um aber ein nicht-reduktionistisches Bild zu erhalten, ist es erforderlich, die Wissenschaftler und Techniker bei ihrer konkreten Forschung zu beobachten, ihre Labors aufzusuchen und ihre Texte zu analysieren. Nach der Devise +follow the actors* (ebd.; S. 4) begleitete so beispiels- weise John Law die Wissenschaftlerin Rose bei ihrer täglichen Laborarbeit, die sich schließlich in einem wissenschaftlichen Artikel niederschlug (vgl. Laboratories and Texts). Wie solche Texte funktionieren, mit welchen +literarischen* Methoden sie zu überzeugen versuchen, haben wiederum Bruno Latour und Françoise Bastide untersucht (vgl. Writing Science). Die Reihe der Beispiele für diesen praxisbezogenen Analyseansatz ließe sich lange fortsetzen. Es genügt hier jedoch, sich klar zu machen, daß es den Autoren um die Darstellung von +Science in Action* (Wissenschaft in Aktion) geht (Latour 1987). Man will die Geheimnisse des +Laboratory-Life* (Latour/Woolgar 1979) ergründen, wobei auch hier eine +konstruktivistische* (d.h. eine nicht naturalistisch-realistische) Perspektive zum Tragen kommt und eine Ausrichtung 147 an der Empirie dominiert. Denn es ist die Praxis im Labor und nicht der +Elfenbeinturm*, in dem Wissenschaft hergestellt wird bzw. sich herstellt. Der (Labor-)Konstruktivismus ist in der Akteur-Netzwerk-Theorie, wie oben angedeutet, jedoch mit einer Art +materialistischer* Metatheorie verknüpft. Michel Callon z.B. hat eine Theorie +techno-ökonomischer Netzwerke* entworfen, die er als komplexe Interaktionssysteme beschreibt, in denen verschiedenste Akteure und +Materialien* miteinander verwoben sind. Diese Materialien oder Vermittlungsmedien (intermediaries) gliedern sich in Texte (da Wissenschaft – als Grundlage von Technik – weitgehend als Textgewebe aufgefaßt werden kann), des weiteren natürlich die in die technischen Objekte selbst (die untereinander vernetzte Programme beinhalten), (Personen und ihre ebenso vielfach vernetzten) Fähigkeiten sowie Geld (als Medium des ökonomischen Austauschs). Die +eigentlichen* Akteure in einem Netzwerk fungieren zwar auch als derartige Mittler, doch müssen sie im Unterschied zu jenen zusätzlich selbst zur (Re-)Produktion des Netzes beitragen, können also +Autorenschaft* (authorship) für sich bean- spruchen. Deshalb definiert Callon: +An actor is an intermediary that puts other intermediaries 148 into circulation*. (Vgl. Techno-Economic Networks and Irreversibility; S. 132–141) Da zu einem Netzwerk aber in der Regel mehrere, durchaus heterogene Akteure bzw. Akteur- Netzwerke gehören – denn jeder Akteur umfaßt seinerseits jeweils ein eigenes Netzwerk – stellt sich die Frage, wie Übereinstimmung und Stabilität erreicht werden. Dafür, so Callons Antwort, ist zunächst ein Übersetzungs- bzw. Verständigungsprozeß notwendig (translation). 149
- Seite 166 und 167: 80 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Ge
- Seite 168 und 169: 82 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE We
- Seite 170 und 171: 84 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Im
- Seite 172 und 173: 86 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Ta
- Seite 174 und 175: 88 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Ta
- Seite 176 und 177: 90 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Om
- Seite 178 und 179: 92 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE ge
- Seite 180 und 181: 94 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE si
- Seite 182 und 183: 96 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE (s
- Seite 184 und 185: 98 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE un
- Seite 186 und 187: 100 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE s
- Seite 188 und 189: 102 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE g
- Seite 190 und 191: 104 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE s
- Seite 192 und 193: 106 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE D
- Seite 194 und 195: 108 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 1
- Seite 196 und 197: 110 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE n
- Seite 198 und 199: 112 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE d
- Seite 200 und 201: 114 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE I
- Seite 202 und 203: 116 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE z
- Seite 204 und 205: 118 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE u
- Seite 206 und 207: 120 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE R
- Seite 208 und 209: 122 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE d
- Seite 210 und 211: 124 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE w
- Seite 212 und 213: 126 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE N
- Seite 214 und 215: 128 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE d
- Seite 218 und 219: 132 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE W
- Seite 220 und 221: 134 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE e
- Seite 222 und 223: 136 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE E
- Seite 224 und 225: 138 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE M
- Seite 226 und 227: 140 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE S
- Seite 228 und 229: 142 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE D
- Seite 230 und 231: 144 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE z
- Seite 232 und 233: 146 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE D
- Seite 234 und 235: 148 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE K
- Seite 236 und 237: 150 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 1
- Seite 238 und 239: 152 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 1
- Seite 240 und 241: 154 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE B
- Seite 242 und 243: 156 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 1
- Seite 244 und 245: 158 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE A
- Seite 246 und 247: 160 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE o
- Seite 248 und 249: 162 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE W
- Seite 250 und 251: 164 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE k
- Seite 252 und 253: 166 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE i
- Seite 254 und 255: 168 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE z
- Seite 256 und 257: 170 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE P
- Seite 258 und 259: 172 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE t
- Seite 260 und 261: 174 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE S
- Seite 262 und 263: 176 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE e
- Seite 264 und 265: 178 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE e
130 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
son<strong>der</strong>n weil er höhere Geschw<strong>in</strong>digkeiten ermöglichte. (Vgl. The Social Construction of Facts<br />
and Artifacts)<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es (speziell politisch) <strong>in</strong>teressantes Beispiel sozialkonstruktivistischer Wissenschafts-<br />
und Techniksoziologie stellt Adri de la Bruhèzes Untersuchung über die Generierung e<strong>in</strong>er<br />
allgeme<strong>in</strong>gültigen Def<strong>in</strong>ition radioaktiven Abfalls (vermittelt durch die amerikanische Atomenergie-<br />
Kommission <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit zwischen 1945 und 1960) dar. Bruhèze zeigt, wie sich nach und<br />
nach aus e<strong>in</strong>er Reihe unterschiedlicher Interpretationen darüber, was radioaktiver Müll ist<br />
und wie man damit verfahren sollte, durch Aushandlungsprozesse zwischen den relevanten<br />
Akteuren, Kompromisse und kont<strong>in</strong>gente Entscheidungen schließlich e<strong>in</strong>e stabile Def<strong>in</strong>ition<br />
herausbildete (vgl. Clos<strong>in</strong>g the Ranks). Auch <strong>in</strong> diesem Fall gilt allerd<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> schon oben<br />
gemachte E<strong>in</strong>wand, daß soziale Makrofaktoren durch die zu enge Konzentration auf die Mikro-<br />
ebene ausgeblendet bleiben. Noch dazu ist bei Bruhèze e<strong>in</strong> ausgeprägtes Des<strong>in</strong>teresse für<br />
Machtungleichgewichte zu beobachten – was aufgrund <strong>der</strong> offensichtlich +politischen Natur*<br />
gerade dieses +Def<strong>in</strong>itionsproblems* beson<strong>der</strong>s defizitär ersche<strong>in</strong>t. 143<br />
• Die Akteur-Netzwerk-Theorie löst im Vergleich zu sozialkonstruktivistischen Ansätzen, so<br />
wie sie sich gegenwärtig darstellen, eher den Anspruch e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von Mikro- und<br />
Makroebene zu leisten. Ähnlich wie bei letzteren ist auch hier e<strong>in</strong> Ziel die Dekonstruktion<br />
144<br />
<strong>der</strong> (künstlichen) Trennung von Natur und Gesellschaft, Technik und Wissenschaft, die<br />
nach Bruno Latour – neben Michel Callon und John Law ihr sicher wichtigster Vertreter –<br />
+konstitutiv* für die Mo<strong>der</strong>ne war (vgl. Wir s<strong>in</strong>d nie mo<strong>der</strong>n gewesen; Kap. 2). In unserer<br />
(post)postmo<strong>der</strong>nen Welt <strong>der</strong> Hybride, <strong>der</strong> Verschmelzung von Mensch und Masch<strong>in</strong>e,<br />
Gesellschaft und Technik, wie sie (<strong>in</strong> eher düsterer Ausmalung) auch Jean Baudrillard (siehe<br />
145 146<br />
zurück zu S. LV) o<strong>der</strong> (geradezu euphorisch) Donna Haraway (vgl. A Cyborg Manifesto)<br />
konstatieren, wird diese Trennung nämlich zunehmend problematisch und verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e<br />
adäquate Untersuchung des sozio-technischen Amalgams. Technik wird deshalb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Akteur-<br />
Netzwerk-Theorie auch nicht als Ausfluß o<strong>der</strong> Manifestation makrostruktureller Machtverhältnisse<br />
verstanden und Wissenschaft als abhängige Variable von <strong>Politik</strong> und Wirtschaft betrachtet,<br />
son<strong>der</strong>n beide haben als solche politischen Charakter, s<strong>in</strong>d +<strong>Politik</strong> mit an<strong>der</strong>en Mitteln* (vgl.<br />
z.B. Callon/Law/Rip: How to Study the Force of Science; S. 4). Sowohl e<strong>in</strong> soziologischer<br />
Reduktionismus wie <strong>der</strong> naturalistische Reduktionismus, <strong>der</strong> technische Lösungen als Ergebnis<br />
e<strong>in</strong>es +objektiven* Erkenntnisprozesses begreift, wird also abgelehnt (vgl. ebd.; S. 7f.).