Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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124 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE wie die ökonomische Zweckrationalität im historischen Prozeß langsam die gesamte Gesellschaft durchdringt und wie Wissenschaft (ab der Mitte des 19 Jahrhunderts) immer mehr zu einer 131 bloßen Produktivkraft +verkommt*. Seine Sicht und Interpretation von Technik ist jedoch nicht einseitig negativ und pessimistisch, wie bei Horkheimer, Adorno und auch Marcuse. Er ist sich darüber im klaren, daß wir auf Technik als Hilfsmittel angewiesen sind und diese sich deshalb auch nicht einfach +abschaffen* läßt: +Es gilt vielmehr, eine politisch wirksame Diskussion in Gang zu bringen, die das gesellschaftliche Potential an technischem Wissen und Können zu unserem praktischen Wissen und Wollen rational verbindlich in Beziehung setzt.* (Technischer Fortschritt und soziale Lebenswelt; S. 118) Diese Sicht geht (unter gewandelten, +diskurstheoretischen* Vorzeichen) ein Stück zurück zur grundsätzlich Technik und Wissenschaft bejahenden, trotzdem aber ambivalenten Position von Marx und Engels (siehe hierzu auch nochmals Anmerkung 125). Habermas weist darauf hin, daß jede wissenschaftliche Erkenntnis von bestimmten Interessen geleitet ist, also niemals objektiven Charakter hat (vgl. Erkenntnis und Interesse). Und er stellt klar: +Gesellschaftliche Interessen bestimmen Tempo, Richtung und Funktion des technischen Fortschritts* (Praktische Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts; S. 345). Genau das verweist allerdings auf die Gestaltbarkeit des Fortschritts. Technik stellt kein (sekundäres) +Naturverhältnis* dar, sie unterliegt keiner Eigengesetzlichkeit, die uns zwingt, uns ihren +Sachzwängen* unterzuordnen, wie es die +konservative* Lesart nahe legt (vgl. ebd.; S. 340–344 und siehe hier S. 142ff.). Technik ist aber auch nicht einfach der (unproblematische) +verlängerte Arm* des Menschen, wie die +liberale* Interpretation lautet (vgl. ebd.; S. 337ff.). Technik und Wissenschaft bedürfen nach Habermas der ständigen kritischen Reflexion und der öffentlichen Diskussion ihrer prak- tischen Implikationen vor dem Hintergrund der lebensweltlichen Erfahrung (vgl. Verwissen- schaftlichte Politik und öffentliche Meinung; S. 144f.). Marx, Horkheimer, Adorno, Marcuse und Habermas – diese Theorie-Linie einer kritischen Wissenschafts- und Techniksoziologie bzw. -philosophie wurde hier bisher (in groben Strichen) nachgezeichnet. Doch der vor allem die +Dialektik der Aufklärung* durchdringende extreme Kulturpessimismus und die verwendete Terminologie wollen irgendwie nicht mehr so recht +zeitgemäß* erscheinen. Nur vereinzelt wird deshalb in der neueren Literatur auf Marx und 132 die Kritische Theorie zurückgegriffen. Eines dieser eher seltenen Beispiele stellt Stanley
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 125 Aronwitz’ Buch +Science as Power* (1988) dar. Er weist hier insbesondere auf die problematische Trennung zwischen +reiner* Wissenschaft und ihrer Anwendung hin. Für ihn sind Wissenschaft und Technik Praktiken, die die soziale Welt spiegeln (vgl. S. 7). Und wenn Tochter +Nona* – kaum ist sie vom Stuhl gefallen oder gegen eine Wand gelaufen – aus ihrer kindlichen Perspek- tive heraus verkündet: +Der Stuhl war’s* bzw. +Die Wand war’s*, so offenbart sie laut Aronwitz damit eine ähnliche Haltung wie all jene, die Börsencrashs vereinfachend mit der Selbstläufigkeit von Computerprogrammen erklären – und übersehen, daß diese nach ganz bestimmten Vorgaben programmiert wurden (vgl. ebd.; S. 4f.). Derart aufbereitet und lebensnah illustriert klingt die These von der Technik als Ausdruck der sozialen (Macht-)Verhältnisse für heutige Ohren schon eher akzeptabel. Zudem wird im Text nicht nur auf Marx und die Kritische Theorie Rekurs genommen, sondern Aronwitz 133 stellt auch Bezüge zum (Post-)Strukturalismus (insbesondere Bachelard) her, was sich darin äußert, daß er Wissenschaft als einen (hegemonialen) Diskurs begreift, der Objekte wie Er- kenntnisregeln formt und so zur +gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit* (Berger/- Luckmann) beiträgt – nur eben leider auf Kosten +lebensweltlicher* Erkenntnisstrukturen (vgl. ebd.; S. 344f.). Deshalb plädiert er für eine alternative Wissenschaft, die keinen Anspruch auf Herrschaft, d.h. Wahrheit, erhebt (vgl. ebd.; S. 352). Aronwitz hat damit gewissermaßen eine Brücke zwischen Postmoderne bzw. Poststrukturalismus und Kritischer Theorie geschlagen – eine Brücke, die übrigens keineswegs zwei weit voneinander entfernte Ufer trennt. Denn nicht zuletzt Foucault hat durchaus Parallelen zum Denken der Frankfurter Schule eingeräumt. In einem Interview mit Gérard Raulet bemerkt er: +Wenn ich die Frankfurter Schule rechtzeitig gekannt hätte, wäre mir viel Arbeit erspart geblieben* (Um welchen Preis sagt Vernunft die Wahrheit?; S. 24). Foucault wäre jedoch nicht Foucault, wenn er sich nicht sogleich wieder von der Kritischen Theorie absetzte. Horkheimer und Adorno beschrieben, wie dargestellt, die Geschichte der Vernunft und der Wissenschaft als eine Art +Spaltungsprozeß*, bei dem die instrumentell-technische Vernunft sich gegenüber einer ehemals umfassenden Vernunft verselbständigte. Für Foucault ist diese Interpretation jedoch verkürzt und geht zudem von einer klaren historischen Entwicklungslinie aus (vgl. ebd.; S. 25f.). Wie bereits in der Einleitung ausgeführt (siehe S. XLVIIf.), geht es ihm aber gerade darum, das Diskontinuierliche in der Geschichte, die ständig sich vollziehenden Wandlungen und Brüche darzustellen.
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Aronwitz’ Buch +Science as Power* (1988) dar. Er weist hier <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die problematische<br />
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– kaum ist sie vom Stuhl gefallen o<strong>der</strong> gegen e<strong>in</strong>e Wand gelaufen – aus ihrer k<strong>in</strong>dlichen Perspek-<br />
tive heraus verkündet: +Der Stuhl war’s* bzw. +Die Wand war’s*, so offenbart sie laut Aronwitz<br />
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von Computerprogrammen erklären – und übersehen, daß diese nach ganz bestimmten Vorgaben<br />
programmiert wurden (vgl. ebd.; S. 4f.).<br />
Derart aufbereitet und lebensnah illustriert kl<strong>in</strong>gt die These von <strong>der</strong> Technik als Ausdruck<br />
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im Text nicht nur auf Marx und die Kritische Theorie Rekurs genommen, son<strong>der</strong>n Aronwitz<br />
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stellt auch Bezüge zum (<strong>Post</strong>-)Strukturalismus (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Bachelard) her, was sich dar<strong>in</strong><br />
äußert, daß er Wissenschaft als e<strong>in</strong>en (hegemonialen) Diskurs begreift, <strong>der</strong> Objekte wie Er-<br />
kenntnisregeln formt und so zur +gesellschaftlichen Konstruktion <strong>der</strong> Wirklichkeit* (Berger/-<br />
Luckmann) beiträgt – nur eben lei<strong>der</strong> auf Kosten +lebensweltlicher* Erkenntnisstrukturen (vgl.<br />
ebd.; S. 344f.). Deshalb plädiert er für e<strong>in</strong>e alternative Wissenschaft, die ke<strong>in</strong>en Anspruch<br />
auf Herrschaft, d.h. Wahrheit, erhebt (vgl. ebd.; S. 352).<br />
Aronwitz hat damit gewissermaßen e<strong>in</strong>e Brücke zwischen <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne bzw. <strong>Post</strong>strukturalismus<br />
und Kritischer Theorie geschlagen – e<strong>in</strong>e Brücke, die übrigens ke<strong>in</strong>eswegs zwei weit vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
entfernte Ufer trennt. Denn nicht zuletzt Foucault hat durchaus Parallelen zum Denken <strong>der</strong><br />
Frankfurter Schule e<strong>in</strong>geräumt. In e<strong>in</strong>em Interview mit Gérard Raulet bemerkt er: +Wenn<br />
ich die Frankfurter Schule rechtzeitig gekannt hätte, wäre mir viel Arbeit erspart geblieben*<br />
(Um welchen Preis sagt Vernunft die Wahrheit?; S. 24). Foucault wäre jedoch nicht Foucault,<br />
wenn er sich nicht sogleich wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kritischen Theorie absetzte. Horkheimer und<br />
Adorno beschrieben, wie dargestellt, die Geschichte <strong>der</strong> Vernunft und <strong>der</strong> Wissenschaft als<br />
e<strong>in</strong>e Art +Spaltungsprozeß*, bei dem die <strong>in</strong>strumentell-technische Vernunft sich gegenüber<br />
e<strong>in</strong>er ehemals umfassenden Vernunft verselbständigte. Für Foucault ist diese Interpretation<br />
jedoch verkürzt und geht zudem von e<strong>in</strong>er klaren historischen Entwicklungsl<strong>in</strong>ie aus (vgl.<br />
ebd.; S. 25f.). Wie bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung ausgeführt (siehe S. XLVIIf.), geht es ihm aber<br />
gerade darum, das Diskont<strong>in</strong>uierliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte, die ständig sich vollziehenden<br />
Wandlungen und Brüche darzustellen.