Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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120 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Rechts und die mangelnde Bürgernähe der Verwaltung beklagt. Diese Klage trifft sich wiederum mit dem (neo)liberalen Ruf nach Entstaatlichung und Deregulierung. Gefordert wird hier gewisser- maßen die Rücknahme der +Anrechtsrevolution*, die das Bürgertum selbst im 18. Jahrhundert ausgelöst hat (vgl. hierzu auch Dahrendorf: Der moderne soziale Konflikt; S. 30f.). 119 Damit wird jedoch zugleich die politische Basis der bürgerlichen Gesellschaft unterminiert, die um des sozialen Friedens (und des damit verbundenen ökonomischen Nutzens) willen, (erfolgreich) auch die Arbeiterschaft in den von ihr als politisches +Gehäuse* kreierten National- staat zu integrieren versucht hatte. Entfallen die (institutionalisierten) (An-)Rechte, so verlieren die politischen Institutionen insgesamt ihren sozialen Sinn (zumindest aber ihre +materielle* Sinn-Komponente). Auf diese Weise ist das Dilemma des Nationalstaats (Abschnitt 3.1), das sich durch die (in Abschnitt 2.1) beschriebenen Globalisierungsprozesse immer weiter zuspitzt, mit dem institutionell-rechtlichen Dilemma verknüpft (das in Abschnitt 3.2 in seinen ver- schiedenen Dimensionen herausgearbeitet wird). Zunächst soll jedoch, als weiterer Analyseschritt dieser Ökologie der Politik, untersucht werden, in welchem (Wechsel-)Verhältnis Politik, Technik und Wissenschaftssystem stehen. 2.3 REFLEXIVE TECHNOLOGIEN UND DIE DEFLEXIVE VERWISSENSCHAFTLICHUNG DER POLITIK (WISSENSCHAFTSSYSTEM UND TECHNIKSYSTEME) Der (begriffliche) Schnittpunkt zwischen Politik und Wissenschaft ist sozusagen die Politik- wissenschaft. Als eigenständige Disziplin hat diese allerdings eine relativ kurze Geschichte. Zwar besitzt politische Philosophie eine lange Tradition (die hier in Kapitel 1 bis in die Antike zurückverfolgt wurde). Als Lehre von den politischen Systemen und den internationalen Be- ziehungen gibt es Politikwissenschaft jedoch erst seit dem 20. Jahrhundert (vgl. z.B. Maier: Epochen der wissenschaftlichen Politik). Ihr explizites Ziel und die ihr zugedachte Primärfunktion war und ist es, der Politik beratend zur Seite zu stehen. Man meinte, mit einer wissenschaftlichen Fundierung der Politik zukünftig Entwicklungen verhindern zu können, die zu Erscheinungen des +Totalitarismus* und zwei Weltkriegen geführt hatten. Deshalb versteht sich Politikwissenschaft auch überwiegend als Friedens- bzw. als +Krisenbewältigungswissenschaft* (vgl. Meyers: 120 Internationale Beziehungen; S. 221ff.) und als Demokratiewissenschaft (vgl. z.B. Zeuner: Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft). 121
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 121 Doch dies soll keine Abhandlung über (die Sozialtechnologie) der Politikwissenschaft werden. Vielmehr ist die Existenz einer +autonomen* Politikwissenschaft nur das Zeichen für eine allge- meine Entwicklung, die in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war: nämlich die Heraus- bildung eines dialektischen Funktionszusammenhangs von Politik und Wissenschaft, der sich – ganz parallel zu dem, was bereits über das Verhältnis von Rechtssystem und Politik ausgesagt wurde – in einer Politisierung der Wissenschaft und einer gleichzeitigen Verwissenschaftlichung der Politik äußert. Das heißt: Politik wird mit wissenschaftlichen Mitteln legitimiert und unter- füttert, womit Wissenschaft politischen Gehalt gewinnt. Zudem ist das Wissenschaftssystem (im Verbund mit der Industrie) der primäre Ort für (technologische) Innovation. Wissenschaft hat damit praktische Auswirkungen und diese wiederum haben soziale und politische Impli- kationen. Es geht also hier um (das Verhältnis) Politik–Wissenschaft bzw. Technik–Politik: das Politische der Wissenschaft und der Technik im allgemeinen. Das Wissenschaftssystem – das durch Gutachtergremien, Beratungsinstitute, staatliche Wissen- schaftsförderung etc. mit dem politischen System verknüpft ist und deshalb ebenfalls zum Mesosystem der Politik zu zählen ist – sowie die von ihm (mit) ausgelösten technologischen Transformationen stellen demnach wichtige +Umweltfaktoren* für die Politik dar. Oder um mit Luhmann zu sprechen: Wissenschaft wirkt +dämonisch* und bringt, durch neues Wissen, andere (Sub-)Systeme aus der Balance (vgl. Die Wissenschaft der Gesellschaft; S. 686). 122 Man kann Wissenschaft wie Technologie und Technik, also deren +Verdinglichungen*, aber auch als schlichten Ausdruck von (sozialen) Machtverhältnissen begreifen. Diese Interpretations- linie geht auf Marx zurück: In Kapitel 13 des +Kapitals* bemerkt dieser, daß mit der Einführung komplexer Maschinensysteme erstmals eine technologische Anwendung der Wissenschaft im Produktionssektor erfolgte (vgl. S. 284). Selbst dort aber, wo Maschinen +objektiv* (d.h. physisch) die Arbeit erleichtern, erscheint dem Arbeiter die Maschinenarbeit als Tortur, denn sie bewirkt nicht nur eine (subjektive) +Sinnentleerung* des Arbeitsprozesses, sondern erzwingt darüber hinaus eine +Unterordnung […] unter den gleichförmigen Gang des Arbeitsmittels* (ebd.; S. 263). Dieses +erschlägt* gleichsam den Arbeiter und versperrt seinen Blick für die +eigentlichen* Zusammenhänge: Er muß erst lernen, +die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung [zu] unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Ausbeutungsform [zu] übertragen* (ebd.; S. 264). In der Technik drückt sich also im marxistischen Verständnis ein (strukturelles) Gewaltverhältnis aus,
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Rechts und die mangelnde Bürgernähe <strong>der</strong> Verwaltung beklagt. Diese Klage trifft sich wie<strong>der</strong>um<br />
mit dem (neo)liberalen Ruf nach Entstaatlichung und Deregulierung. Gefor<strong>der</strong>t wird hier gewisser-<br />
maßen die Rücknahme <strong>der</strong> +Anrechtsrevolution*, die das Bürgertum selbst im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
ausgelöst hat (vgl. hierzu auch Dahrendorf: Der mo<strong>der</strong>ne soziale Konflikt; S. 30f.). 119<br />
Damit wird jedoch zugleich die politische Basis <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft unterm<strong>in</strong>iert,<br />
die um des sozialen Friedens (und des damit verbundenen ökonomischen Nutzens) willen,<br />
(erfolgreich) auch die Arbeiterschaft <strong>in</strong> den von ihr als politisches +Gehäuse* kreierten National-<br />
staat zu <strong>in</strong>tegrieren versucht hatte. Entfallen die (<strong>in</strong>stitutionalisierten) (An-)Rechte, so verlieren<br />
die politischen Institutionen <strong>in</strong>sgesamt ihren sozialen S<strong>in</strong>n (zum<strong>in</strong>dest aber ihre +materielle*<br />
S<strong>in</strong>n-Komponente). Auf diese Weise ist das Dilemma des Nationalstaats (Abschnitt 3.1), das<br />
sich durch die (<strong>in</strong> Abschnitt 2.1) beschriebenen Globalisierungsprozesse immer weiter zuspitzt,<br />
mit dem <strong>in</strong>stitutionell-rechtlichen Dilemma verknüpft (das <strong>in</strong> Abschnitt 3.2 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en ver-<br />
schiedenen Dimensionen herausgearbeitet wird). Zunächst soll jedoch, als weiterer Analyseschritt<br />
dieser Ökologie <strong>der</strong> <strong>Politik</strong>, untersucht werden, <strong>in</strong> welchem (Wechsel-)Verhältnis <strong>Politik</strong>, Technik<br />
und Wissenschaftssystem stehen.<br />
2.3 REFLEXIVE TECHNOLOGIEN UND DIE DEFLEXIVE VERWISSENSCHAFTLICHUNG DER<br />
POLITIK (WISSENSCHAFTSSYSTEM UND TECHNIKSYSTEME)<br />
Der (begriffliche) Schnittpunkt zwischen <strong>Politik</strong> und Wissenschaft ist sozusagen die <strong>Politik</strong>-<br />
wissenschaft. Als eigenständige Diszipl<strong>in</strong> hat diese allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e relativ kurze Geschichte.<br />
Zwar besitzt politische Philosophie e<strong>in</strong>e lange Tradition (die hier <strong>in</strong> Kapitel 1 bis <strong>in</strong> die Antike<br />
zurückverfolgt wurde). Als Lehre von den politischen Systemen und den <strong>in</strong>ternationalen Be-<br />
ziehungen gibt es <strong>Politik</strong>wissenschaft jedoch erst seit dem 20. Jahrhun<strong>der</strong>t (vgl. z.B. Maier:<br />
Epochen <strong>der</strong> wissenschaftlichen <strong>Politik</strong>). Ihr explizites Ziel und die ihr zugedachte Primärfunktion<br />
war und ist es, <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> beratend zur Seite zu stehen. Man me<strong>in</strong>te, mit e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen<br />
Fundierung <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> zukünftig Entwicklungen verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu können, die zu Ersche<strong>in</strong>ungen<br />
des +Totalitarismus* und zwei Weltkriegen geführt hatten. Deshalb versteht sich <strong>Politik</strong>wissenschaft<br />
auch überwiegend als Friedens- bzw. als +Krisenbewältigungswissenschaft* (vgl. Meyers:<br />
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Internationale Beziehungen; S. 221ff.) und als Demokratiewissenschaft (vgl. z.B. Zeuner:<br />
<strong>Politik</strong>wissenschaft als Demokratiewissenschaft). 121