Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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112 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE die Bundesregierung, nicht eindeutig genug auf ihrer exekutiven Gestaltungskompetenz bestanden und damit eine Verfassungsklage der Opposition praktisch provoziert zu haben (vgl. ebd.; 96f.). Dies gelte insbesondere für die an der Regierung beteiligte FDP, die in einem ähnlich gelagerten, zuvor dem Verfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegten Fall (es ging um den Einsatz deutscher Truppen im Rahmen des AWACS-Einsatzes der NATO zur Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien) sogar auf der Seite der Opposition als Klägerin aufgetreten war (vgl. ebd.). Zum Verhalten der SPD meint Blumenwitz: +In Anbetracht der honorigen [!] Angebote der Regierungsparteien zur Zusammenarbeit war die SPD-Bundestagsfraktion von allen guten Geistern verlassen, den Verfassungsstreit vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen* (ebd.; S. 98). Vielmehr hätte sie ihre +Alles-oder-Nichts*-Taktik aufgeben und sich kompromißbereit zeigen sollen, um den politischen Prozeß mitgestalten zu können (vgl. ebd.). Dem Verfassungsgericht bestätigt Blumenwitz, +insgesamt doch noch auf der Linie der gebotenen richterlichen Zurückhaltung* gelegen zu haben (ebd.; S. 96), kritisiert allerdings einen gewissen +juridical activism* und meint, das Gericht habe zu stark in die Sphäre der Politik, insbesondere den exekutiven Gestaltungsfreiraum hineindirigiert (vgl. ebd.; S. 98f.). Dies ist eine sehr aufschlußreiche Interpretation, denn sie demonstriert, wie wenig im allgemeinen die neben ihrem offensichtlichen Zweck (hier: die angestrebte Revidierung eines Regierungsbeschlusses) bestehende legitimierende und deflektorische Funktion des verfassungs- rechtlichen Verfahrens reflektiert wird, und wie verschiedene Elemente gewaltenteiliger Ideologie kontradiktorisch vermengt werden. Der Regierung konnte nämlich eine verfassungsrechtliche Klärung der Frage auf dem Gerichtsweg (entgegen der Auffassung von Blumenwitz) nur gelegen kommen. Das Risiko, eine solche durch die Schaffung von Fakten zu +provozieren*, war kal- kulierbar und gering. Dem Verfassungsgericht wäre es kaum möglich gewesen, anders zu entscheiden, denn es hätte damit ein wichtiges Element des politischen Systems (die außen- politische Handlungskompetenz der Regierung) und damit letzendlich auch sich selbst in Frage gestellt (da es ja entsprechend dem grundgesetzlichen Auftrag dieses System zu schützen hat und selbst sein Bestandteil ist). Die Begründung zur Ablehnung eines FDP- und SPD-Eilantrags in der oben angesprochenen AWACS-Sache zeigt diese (pragmatische) Orientierung des Gerichts an der Staatsraison sehr offen: Dem Antrag stattzugeben, so die Begründung, wäre +als eine empfindliche Störung der von der Völkergemeinschaft autorisierten und von der NATO unter- stützten Maßnahme empfunden* worden und hätte einen Vertrauensverlust bei den Bünd-
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 113 nispartnern bewirkt (zitiert nach ebd.; S. 91f.). Durch diese Entscheidung des Bundesverfassungs- gerichts und die Entscheidung zum Somalia-Einsatz bekamen politisch zumindest fragwürdige Regierungsbeschlüsse verfassungsrechtlichen Segen. Doch was bewegte die Opposition zu klagen? Konnte sie wirklich hoffen, +Recht* zu bekommen? Ich möchte dies bezweifeln. Aber es ging wohl auch nicht so sehr darum, einen tatsächlichen Erfolg zu erstreiten, sondern vielmehr, sich der eigenen oppositionellen Rolle zu versichern und dies auch der Öffentlichkeit zu demonstrieren, die in dieser Frage durchaus gespalten war. Anstatt aber eine politische Auseinandersetzung zu führen (was auch passiven oder aktiven Widerstand gegen den Einsatz hätte bedeuten können), schlug man einen konstitutionellen Weg ein. Man entledigte sich also einer unbequemen politischen Rolle, indem man das Problem zu einem rechtlichen Problem definierte (was es primär nicht ist) und es an das Bundes- verfassungsgericht zur Entscheidung übermittelte. Das Bundesverfassungsgericht seinerseits wurde der ihm zugedachten Rolle voll und ganz gerecht. Es versuchte die Erwartungshaltungen sowohl der Regierung wie der Opposition zu befriedigen und dabei im Rahmen der Verfassung zu verbleiben, womit es wirksam das Regierungshandeln legitimiert und die (parlamentarische) Opposition deflektorisch integriert hatte. Dies erreichte es, indem es die Notwendigkeit einer parlamentarischen Zustimmung bei Fragen des Truppeneinsatzes im Ausland hervorhob (und in seinem Urteil die Schaffung eines Entsendegesetzes anregte), dieses parlamentarische Recht in seiner Entscheidung zum Eilantrag aber so faßte, daß ein Kippen des Regierungsbeschlusses aufgrund der Mehrheits- 110 verhältnisse nicht wahrscheinlich erschien. Dabei konnte sich das Bundesverfassungsgericht auf die klassische Ideologie der Gewaltenteilung stützen, die ja eine strikte Trennung und Gegenüberstellung von Legislative (Parlament) und Exekutive (Regierung) unterstellt, welche im parlamentarischen System aber praktisch durch die Gegenüberstellung von Regierung(spar- teien) und Opposition(sparteien) aufgehoben ist. Daß sich die FDP, wie oben bemerkt, paradoxerweise im Fall des AWACS-Einsatzes diesem Verständnis von Gewaltenteilung gemäß verhielt und gegen die Regierung, an der sie selbst maßgeblich beteiligt war, Klage einreichte, wird von Blumenwitz bezeichnenderweise stark kritisiert. Dabei beharrt er in einem anderen Punkt geradezu dogmatisch auf einer strengen Gewaltenteilung – nämlich wenn er die Exekutive vor Übergriffen der Legislative wie der Judikative schützen will. Hieran zeigt sich, daß sich verschiedene Elemente der gewaltenteiligen
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nispartnern bewirkt (zitiert nach ebd.; S. 91f.). Durch diese Entscheidung des Bundesverfassungs-<br />
gerichts und die Entscheidung zum Somalia-E<strong>in</strong>satz bekamen politisch zum<strong>in</strong>dest fragwürdige<br />
Regierungsbeschlüsse verfassungsrechtlichen Segen.<br />
Doch was bewegte die Opposition zu klagen? Konnte sie wirklich hoffen, +Recht* zu bekommen?<br />
Ich möchte dies bezweifeln. Aber es g<strong>in</strong>g wohl auch nicht so sehr darum, e<strong>in</strong>en tatsächlichen<br />
Erfolg zu erstreiten, son<strong>der</strong>n vielmehr, sich <strong>der</strong> eigenen oppositionellen Rolle zu versichern<br />
und dies auch <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu demonstrieren, die <strong>in</strong> dieser Frage durchaus gespalten<br />
war. Anstatt aber e<strong>in</strong>e politische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung zu führen (was auch passiven o<strong>der</strong> aktiven<br />
Wi<strong>der</strong>stand gegen den E<strong>in</strong>satz hätte bedeuten können), schlug man e<strong>in</strong>en konstitutionellen<br />
Weg e<strong>in</strong>. Man entledigte sich also e<strong>in</strong>er unbequemen politischen Rolle, <strong>in</strong>dem man das Problem<br />
zu e<strong>in</strong>em rechtlichen Problem def<strong>in</strong>ierte (was es primär nicht ist) und es an das Bundes-<br />
verfassungsgericht zur Entscheidung übermittelte.<br />
Das Bundesverfassungsgericht se<strong>in</strong>erseits wurde <strong>der</strong> ihm zugedachten Rolle voll und ganz<br />
gerecht. Es versuchte die Erwartungshaltungen sowohl <strong>der</strong> Regierung wie <strong>der</strong> Opposition<br />
zu befriedigen und dabei im Rahmen <strong>der</strong> Verfassung zu verbleiben, womit es wirksam das<br />
Regierungshandeln legitimiert und die (parlamentarische) Opposition deflektorisch <strong>in</strong>tegriert<br />
hatte. Dies erreichte es, <strong>in</strong>dem es die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er parlamentarischen Zustimmung<br />
bei Fragen des Truppene<strong>in</strong>satzes im Ausland hervorhob (und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil die Schaffung<br />
e<strong>in</strong>es Entsendegesetzes anregte), dieses parlamentarische Recht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entscheidung zum<br />
Eilantrag aber so faßte, daß e<strong>in</strong> Kippen des Regierungsbeschlusses aufgrund <strong>der</strong> Mehrheits-<br />
110<br />
verhältnisse nicht wahrsche<strong>in</strong>lich erschien. Dabei konnte sich das Bundesverfassungsgericht<br />
auf die klassische Ideologie <strong>der</strong> Gewaltenteilung stützen, die ja e<strong>in</strong>e strikte Trennung und<br />
Gegenüberstellung von Legislative (Parlament) und Exekutive (Regierung) unterstellt, welche<br />
im parlamentarischen System aber praktisch durch die Gegenüberstellung von Regierung(spar-<br />
teien) und Opposition(sparteien) aufgehoben ist.<br />
Daß sich die FDP, wie oben bemerkt, paradoxerweise im Fall des AWACS-E<strong>in</strong>satzes diesem<br />
Verständnis von Gewaltenteilung gemäß verhielt und gegen die Regierung, an <strong>der</strong> sie selbst<br />
maßgeblich beteiligt war, Klage e<strong>in</strong>reichte, wird von Blumenwitz bezeichnen<strong>der</strong>weise stark<br />
kritisiert. Dabei beharrt er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Punkt geradezu dogmatisch auf e<strong>in</strong>er strengen<br />
Gewaltenteilung – nämlich wenn er die Exekutive vor Übergriffen <strong>der</strong> Legislative wie <strong>der</strong><br />
Judikative schützen will. Hieran zeigt sich, daß sich verschiedene Elemente <strong>der</strong> gewaltenteiligen