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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 107<br />

Die endogene Politisierung des Rechtssystems wie<strong>der</strong>um wird, wie schon oben angedeutet,<br />

als Ergebnis <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>nis zur extensiveren wie <strong>in</strong>tensiveren Rechtsauslegung aufgrund politi-<br />

scher Regelungsdefizite gedeutet. Denn wegen des beschleunigten sozialen Wandels, kann<br />

die <strong>Politik</strong> – trotz <strong>der</strong> feststellbaren Verrechtlichungstendenzen (siehe S. 114–120) – nicht<br />

schnell genug auf gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen mit neuen (o<strong>der</strong> <strong>der</strong> neuen Lage angepaßten)<br />

Gesetzen reagieren (vgl. hierzu auch Friedmann: Recht und sozialer Wandel; Kap. 2). Deshalb<br />

ist es +nach neuerer Rechtsprechung […] die Aufgabe <strong>der</strong> Gerichte, gesetzliche Bestimmungen<br />

den <strong>in</strong> tatsächlicher o<strong>der</strong> rechtlicher H<strong>in</strong>sicht verän<strong>der</strong>ten Verhältnissen anzupassen* (Auszug<br />

aus e<strong>in</strong>em Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9.10.1956, zitiert nach Litten: Politisierung<br />

100<br />

<strong>der</strong> Justiz; S. 29). Die Gesellschaft ist also offenbar auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Justiz<br />

stärker differenziert als die Gesetzesregelungen, und so muß sich diese (um den gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen +gerecht* zu werden) ihr eigenes Recht schaffen – d.h. (gemäß e<strong>in</strong>em streng<br />

gewaltenteiligen Verständnis): e<strong>in</strong>e Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> wahrnehmen. 101<br />

Die solchermaßen gefor<strong>der</strong>ten Richter können diesen Umstand nun beklagen und sich auf<br />

ihr Rollenbild versteifen, das ihnen traditionell e<strong>in</strong>e strikte Trennung von <strong>der</strong> politischen Sphäre<br />

102<br />

gebietet. Die an<strong>der</strong>e Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, die gewonnenen Autonomiefreiräume zu<br />

begrüßen und sie entsprechend zu nutzen. Hierzu Rudolf Wassermann, (damals) Oberlandesge-<br />

richtspräsident <strong>in</strong> Braunschweig, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre vielbeachteten Buch:<br />

+Me<strong>in</strong>e Position <strong>in</strong> dem Streit um den politischen Richter ist seit Jahren unverän<strong>der</strong>t. In <strong>der</strong> Publizistik,<br />

aber auch sonst wird sie oft dah<strong>in</strong> <strong>in</strong>terpretiert, daß ich den politischen Richter for<strong>der</strong>e. Ich pflege<br />

darauf zu verweisen, daß das nicht richtig, weil überflüssig ist. Den politischen Richter braucht niemand<br />

zu for<strong>der</strong>n. Denn die politische Funktion des Richters versteht sich von selbst. Jede Justiz ist politisch,<br />

ob man das nun zugibt o<strong>der</strong> nicht […] Was ich for<strong>der</strong>e ist erstens: daß sich <strong>der</strong> Richter des politischen<br />

Charakters se<strong>in</strong>er Tätigkeit bewußt wird, zweitens: daß er sich zu <strong>der</strong> damit verbundenen Verantwortung<br />

gegenüber <strong>der</strong> Gesellschaft bekennt, und drittens: daß er bei se<strong>in</strong>en politischen Entscheidungen nicht<br />

privaten Vorlieben o<strong>der</strong> schichtspezifischen Präferenzen folgt, son<strong>der</strong>n sich an <strong>der</strong> Verfassung orientiert.*<br />

(Der politische Richter; S. 17)<br />

In diesen Ausführungen Wassermanns kl<strong>in</strong>gt die generelle Zwiespältigkeit des richterlichen<br />

Auslegungs- und Interpretationsfreiraums an. Dieser kann sozial-politisch +<strong>in</strong>novativ* genutzt<br />

werden (etwa wenn neue, +posttraditionale* Formen des Zusammenlebens durch richterliche<br />

Rechtsprechung mit <strong>der</strong> bürgerlichen Institution <strong>der</strong> Ehe gleichgestellt werden, wofür es erst

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