Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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98 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE und Entsprechung ökonomischer Globalisierung im Bereich der institutionellen Politik zu verdeut- lichen. Dabei zeigte sich, daß zwar ein Interpretationsspielraum besteht, allerdings viele An- zeichen tatsächlich dafür sprechen, daß die (inner)politische Entwicklung nicht mit dem ökonomischen Wandel – vor allem der transnationalen Expansion der Finanzmärkte – Schritt hält. Im folgenden Abschnitt sollen nun, als zweiter Analyseschritt dieser Ökologie der Politik, die dominanten Tendenzen im Rechtssystem sowie deren politische Implikationen und Bezüge dargestellt werden. Auch das Rechtssystem ist Teil des politischen Mesosystems und vor allem institutionell noch sehr viel enger mit dem politischen System verflochten als das Wirtschaftssystem (dessen Akteure weit autonomer handeln und das nicht, wie das Rechtssystem, der Politik – durch die Rechtsetzungskompetenz der Legislative – logisch untergeordnet ist). Es fällt aufgrund der engen Verflechtung sogar schwer, überhaupt eine Trennlinie zwischen Rechtssystem und Politik zu ziehen. Wie aber schon zu Beginn dieses Kapitels festgestellt wurde, dient mir die trennende Unterscheidung zwischen verschiedenen Subsystemen ohnehin einzig als analytisches und heuristisches +Kontrastmittel*, die zudem weniger +Realität* widerspiegelt, sondern an die Selbstbeschreibungen der Systemakteure angelehnt ist. Das Beharren auf Trennung gilt besonders ausgeprägt für das Rechtssystem sog. +Rechtsstaaten*. In diesen ist die staatliche Gewalt an das Gesetz gebunden, und sie sind nach dem Prinzip 78 der Gewaltenteilung organisiert. Der Rechtsstaat kann deshalb primär als ein formales +Ideal* angesehen werden, das sich als Modell für Staatlichkeit so weit durchgesetzt hat, daß sich selbst diktatorische Regime, d.h. Staaten in denen die Aufrechterhaltung der politischen Herrschaft als +gewaltsam* empfunden wird und das praktische Prinzip der +Willkürlichkeit* regiert, meist (verfassungsmäßig) den Anstrich der Rechtsstaatlichkeit geben – entweder um ihr Akzeptanz-Defizit +rechtlich* zu kompensieren oder, wenn man so will, um eindrucksvoll zu demonstrieren, daß sich +echte* Rechtsstaatlichkeit eben nicht nur auf ein formales Prinzip erstreckt, sondern eine politisch-praktische bzw. zumindest +praxologische* Entsprechung haben muß (siehe zum Begriff der +Praxologie* S. 104 sowie Abschnitt 5.3). Das Prinzip der Gewaltenteilung stellt im liberalen Denken sozusagen die +objektive* insti- tutionell-formelle Absicherung des (materiellen) Rechtsstaats dar. Die Vorstellung der Notwen- digkeit einer Auftrennung der staatlichen Gewalt zum Schutz des Bürgers vor Willkür, wurde erstmals durch John Locke explizit mit einem formal-theoretischen Gewaltenteilungsmodell
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 99 verknüpft. Locke unterscheidet jedoch nur zwischen Legislative und Exekutive (der gleichzeitig die Föderativ- und Prärogativgewalt, d.h. das Recht zur außenpolitischen Vertretung und ein exekutiver Entscheidungsspielraum, zukommt). Und dies, obwohl er gerade das Fehlen eines unparteiischen Richters für die Defizite des Naturzustands verantwortlich macht (siehe hierzu auch S. 26 und Anmerkung 73, Kap. 1). Die heute klassische Differenzierung zwischen Legislative (als gesetzgebender Gewalt), Exekutive (als vollziehender Gewalt) und Judikative (als richterlicher Gewalt) geht auf Montesquieu zurück, und zwar bezieht man sich hier auf einen relativ kurzen Abschnitt seiner Schrift +Vom Geist der Gesetze* (nämlich Buch XI, Kap. 6), in welchem er sich über die damalige englische Verfassung äußert und das dreigliedrige Gewaltenteilungsmodell, das ihn berühmt machen 79 sollte, in diese mehr oder weniger hineininterpretiert. Auch für Montesquieu ist der von ihm angegebene Grund für die Forderung nach Gewaltenteilung eine Verhinderung des Mißbrauchs der Staatsmacht: +Wenn in derselben Person oder der gleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden vereinigt ist, gibt es keine Freiheit; denn es steht zu befürchten, daß derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze macht, um sie tyrannisch zu vollziehen. Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt ist. Ist sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so wäre die Macht über Leben und Freiheit der Bürger willkürlich, weil der Richter der Gesetzgeber wäre. Wäre sie mit der vollziehenden Gewalt verknüpft, so würde der Richter die Macht eines Unterdrückers haben.* (Ebd.; S. 215) Doch liest man genau, so wird meiner Meinung nach schon aus diesen Ausführungen deutlich, daß Montesquieu implizit – ganz entsprechend den tatsächlichen heutigen Verhältnissen in der parlamentarischen Demokratie – keine wirkliche Dreiteilung zugrunde legt, sondern eigentlich Legislative und Exekutive von ihrer +Natur* her als zusammengehörig ansieht, von denen 80 die Judikative entsprechend umso schärfer getrennt erscheint. Dies zeigt sich besonders klar, wenn Montesquieu an einer Stelle des Textes bemerkt, daß die richterliche Gewalt +in gewisser Weise [nämlich politisch] gar nicht vorhanden* ist (ebd.; S. 220). Sie übt schließlich +nur* eine eingeschränkte Kontrollfunktion aus und sorgt (exekutiv-polizeilich abgestützt) für die Sanktionierung von Rechtsübertretungen. Die durch Wahlen legitimierte Legislative und Exekutive (speziell ihre Spitze) bildet dagegen gemäß der (an Locke und Montesquieu an-
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 99<br />
verknüpft. Locke unterscheidet jedoch nur zwischen Legislative und Exekutive (<strong>der</strong> gleichzeitig<br />
die Fö<strong>der</strong>ativ- und Prärogativgewalt, d.h. das Recht zur außenpolitischen Vertretung und<br />
e<strong>in</strong> exekutiver Entscheidungsspielraum, zukommt). Und dies, obwohl er gerade das Fehlen<br />
e<strong>in</strong>es unparteiischen Richters für die Defizite des Naturzustands verantwortlich macht (siehe<br />
hierzu auch S. 26 und Anmerkung 73, Kap. 1).<br />
Die heute klassische Differenzierung zwischen Legislative (als gesetzgeben<strong>der</strong> Gewalt), Exekutive<br />
(als vollziehen<strong>der</strong> Gewalt) und Judikative (als richterlicher Gewalt) geht auf Montesquieu zurück,<br />
und zwar bezieht man sich hier auf e<strong>in</strong>en relativ kurzen Abschnitt se<strong>in</strong>er Schrift +Vom Geist<br />
<strong>der</strong> Gesetze* (nämlich Buch XI, Kap. 6), <strong>in</strong> welchem er sich über die damalige englische<br />
Verfassung äußert und das dreigliedrige Gewaltenteilungsmodell, das ihn berühmt machen<br />
79<br />
sollte, <strong>in</strong> diese mehr o<strong>der</strong> weniger h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><strong>in</strong>terpretiert. Auch für Montesquieu ist <strong>der</strong> von<br />
ihm angegebene Grund für die For<strong>der</strong>ung nach Gewaltenteilung e<strong>in</strong>e Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des<br />
Mißbrauchs <strong>der</strong> Staatsmacht:<br />
+Wenn <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Person o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt<br />
mit <strong>der</strong> vollziehenden vere<strong>in</strong>igt ist, gibt es ke<strong>in</strong>e Freiheit; denn es steht zu befürchten, daß <strong>der</strong>selbe<br />
Monarch o<strong>der</strong> <strong>der</strong>selbe Senat tyrannische Gesetze macht, um sie tyrannisch zu vollziehen.<br />
Es gibt ferner ke<strong>in</strong>e Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von <strong>der</strong> gesetzgebenden und <strong>der</strong><br />
vollziehenden getrennt ist. Ist sie mit <strong>der</strong> gesetzgebenden Gewalt verbunden, so wäre die Macht über<br />
Leben und Freiheit <strong>der</strong> Bürger willkürlich, weil <strong>der</strong> Richter <strong>der</strong> Gesetzgeber wäre. Wäre sie mit <strong>der</strong><br />
vollziehenden Gewalt verknüpft, so würde <strong>der</strong> Richter die Macht e<strong>in</strong>es Unterdrückers haben.* (Ebd.;<br />
S. 215)<br />
Doch liest man genau, so wird me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach schon aus diesen Ausführungen deutlich,<br />
daß Montesquieu implizit – ganz entsprechend den tatsächlichen heutigen Verhältnissen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> parlamentarischen Demokratie – ke<strong>in</strong>e wirkliche Dreiteilung zugrunde legt, son<strong>der</strong>n eigentlich<br />
Legislative und Exekutive von ihrer +Natur* her als zusammengehörig ansieht, von denen<br />
80<br />
die Judikative entsprechend umso schärfer getrennt ersche<strong>in</strong>t. Dies zeigt sich beson<strong>der</strong>s<br />
klar, wenn Montesquieu an e<strong>in</strong>er Stelle des Textes bemerkt, daß die richterliche Gewalt +<strong>in</strong><br />
gewisser Weise [nämlich politisch] gar nicht vorhanden* ist (ebd.; S. 220). Sie übt schließlich<br />
+nur* e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte Kontrollfunktion aus und sorgt (exekutiv-polizeilich abgestützt) für<br />
die Sanktionierung von Rechtsübertretungen. Die durch Wahlen legitimierte Legislative und<br />
Exekutive (speziell ihre Spitze) bildet dagegen gemäß <strong>der</strong> (an Locke und Montesquieu an-