Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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96 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE (sowie mit Regelungs-Erwartungen von seiten der Bürger konfrontiert wird), werde ich in Abschnitt 3.1 noch ausführlicher eingehen. Verläßt man allerdings die Ebene der institutionellen Politik, so scheint sich bei vielen Menschen auf der Grundlage der stattfindenden Entgrenzungs- prozesse (und ihres impliziten Risikogehalts) so etwas wie ein globales politisches Bewußtsein zu entwickeln, das den Nationalstaat transzendiert. Evan Luard bemerkt dazu: +Citizens are no longer content within the narrow and distorting aspirations created by parochial national political systems […] On a planet so small they no longer have any choice but to be citizens of the world as a whole.* (The Globalization of Politics; S. 191) Es muß daher nicht verwundern, wenn international agierende NGOs wie +Greenpeace* oder +amnesty international* sich das hier entstehende Potential für ihre Zwecke zunutze machen (obwohl dieses Engagement gerade in vielen Entwicklungsländern als +westlicher Imperialismus* 74 neuer Prägung empfunden wird). Die +globale Risikogesellschaft* (Beck) erzeugt (über das reflexive Potential der latenten Nebenfolgen industrieller Produktion) eine subpolitische Globalisierung (vgl. auch ders.: Was ist Globalisierung?; S. 121ff.), die dem Nationalstaat auch die soziale Basis zunehmend entzieht – allerdings nicht überall gleichermaßen. Zwar kann man ganz allgemein eine Verharrungstendenz der institutionalisierten Politik ausmachen, die die Grundlage für ihre subpolitische Infragestellung bereitet: +Reality changes so quickly that the reflexes for action typical of governments tend to lag behind. This disjunction between reality and perception of it is […] endemic in policy; policy tends to be based upon past experiences rather than guided by some notion of what the future may hold.* (Morse: Modernization and the Transformation of International Relations; S. 179f.) Deshalb sind Wandlungsimpulse auch nicht primär aus dem Bereich der Politik, des politischen Systems zu erwarten, sondern gehen vielmehr von den +materiellen Verhältnissen* aus: +In short, revolution in the international system stems from dynamic changes related to industrialization and technological change. The roots of revolution and of transformation in the international system are thus in the industrialized societies […] These industrialized societies are the really revolutionary ones […]* (Ebd.; S. 191f.) Die Entstehung eines globalen (politischen) Bewußtseins ist gemäß dieser Argumentation also hauptsächlich in den +fortgeschrittenen* Regionen zu erwarten, die sich im Übergang zu +post-

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 97 industriellen* Gesellschaften befinden, da hier die sozio-ökonomischen Rahmenveränderungen am deutlichsten zu spüren sind, welche die materielle Basis für eine (subpolitische) Bewußtseins- veränderung schaffen. Das regionale subpolitische Globalisierungspotential ist so (zumindest partiell) abhängig von der Position der betreffenden Gesellschaft auf der internationalen Land- 75 karte. Doch wie gesagt: Selbst für das Zentrum und seine (internen) +Metropolen* gilt meines Erachtens immer noch die Dominanz eines nationalstaatlichen politischen Denkens und Han- delns, besonders innerhalb des politischen Institutionensystems (siehe auch S. 217f.), während die ökonomische Realität den Nationalstaat bereits überholt hat. Wohin die internationale und nationale Politik sich in Zukunft entwickeln wird – ob sie sich transformiert und es zu einer +echten* Globalisierung der Politik kommt oder ein +Rückfall* in die Ethnopolitik stattfindet – bleibt dabei ungewiß. Vorschläge wie Richard Falks Agenda für die 90er Jahre, die auf den Prinzipien Denuklearisierung, Demilitarisierung, Depolarisierung, Entwicklung (+Development*) und Demokratisierung beruht (vgl. Explorations at the Edge of Time; S. 133ff.), oder das Modell einer +kosmopolitischen Demokratie*, wie es David Held propagiert (vgl. Democracy and the Global Order; Kap. 12), haben nur dann eine Chance, 76 wenn Forderungen aus dem Bereich der +(neuen) sozialen Bewegungen* (Friedensbewegung, Frauenbewegung, ökologische Bewegung etc.) die Ebene der Subpolitik überschreiten und auch die institutionelle Politik +erobern*. Wir befinden uns, um mit Anthony McGrew zu sprechen, in einer +transitorischen Ära*, in der sowohl weitreichende Globalisierungsprozesse stattfinden, das Nationalstaatlichkeitsprinzip aber immer noch die Grundlage des politischen Systems bildet (vgl. Global Politics in a Transitional Era; S. 328f.) – und leider noch nicht 77 im +globalen Zeitalter* (Albrow) des +Global Citizen* (Meadows). Es kann deshalb nur Rosenau beigepflichtet werden, der von einer Bifurkation der Politik sprach (siehe S. 92). Die Gleich- zeitigkeit einer multizentrischen und einer staatenzentrischen Politik stabilisiert derzeit (noch) die Ungleichzeitigkeit von ökonomischem und politischem Wandel. 2.2 DIE POLITISIERUNG DER JUSTIZ UND DIE VERRECHTLICHUNG DER POLITIK (RECHTSSYSTEM) Im vorangegangenen Abschnitt wurde versucht, die allgemeine These einer Dialektik von sozio-ökonomischem Wandel und politischer Statik am Beispiel der fehlenden Umsetzung

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 97<br />

<strong>in</strong>dustriellen* Gesellschaften bef<strong>in</strong>den, da hier die sozio-ökonomischen Rahmenverän<strong>der</strong>ungen<br />

am deutlichsten zu spüren s<strong>in</strong>d, welche die materielle Basis für e<strong>in</strong>e (subpolitische) Bewußtse<strong>in</strong>s-<br />

verän<strong>der</strong>ung schaffen. Das regionale subpolitische Globalisierungspotential ist so (zum<strong>in</strong>dest<br />

partiell) abhängig von <strong>der</strong> Position <strong>der</strong> betreffenden Gesellschaft auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Land-<br />

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karte. Doch wie gesagt: Selbst für das Zentrum und se<strong>in</strong>e (<strong>in</strong>ternen) +Metropolen* gilt me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens immer noch die Dom<strong>in</strong>anz e<strong>in</strong>es nationalstaatlichen politischen Denkens und Han-<br />

delns, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>nerhalb des politischen Institutionensystems (siehe auch S. 217f.), während<br />

die ökonomische Realität den Nationalstaat bereits überholt hat.<br />

Woh<strong>in</strong> die <strong>in</strong>ternationale und nationale <strong>Politik</strong> sich <strong>in</strong> Zukunft entwickeln wird – ob sie sich<br />

transformiert und es zu e<strong>in</strong>er +echten* Globalisierung <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> kommt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> +Rückfall*<br />

<strong>in</strong> die Ethnopolitik stattf<strong>in</strong>det – bleibt dabei ungewiß. Vorschläge wie Richard Falks Agenda<br />

für die 90er Jahre, die auf den Pr<strong>in</strong>zipien Denuklearisierung, Demilitarisierung, Depolarisierung,<br />

Entwicklung (+Development*) und Demokratisierung beruht (vgl. Explorations at the Edge<br />

of Time; S. 133ff.), o<strong>der</strong> das Modell e<strong>in</strong>er +kosmopolitischen Demokratie*, wie es David Held<br />

propagiert (vgl. Democracy and the Global Or<strong>der</strong>; Kap. 12), haben nur dann e<strong>in</strong>e Chance,<br />

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wenn For<strong>der</strong>ungen aus dem Bereich <strong>der</strong> +(neuen) sozialen Bewegungen* (Friedensbewegung,<br />

Frauenbewegung, ökologische Bewegung etc.) die Ebene <strong>der</strong> Subpolitik überschreiten und<br />

auch die <strong>in</strong>stitutionelle <strong>Politik</strong> +erobern*. Wir bef<strong>in</strong>den uns, um mit Anthony McGrew zu<br />

sprechen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er +transitorischen Ära*, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowohl weitreichende Globalisierungsprozesse<br />

stattf<strong>in</strong>den, das Nationalstaatlichkeitspr<strong>in</strong>zip aber immer noch die Grundlage des politischen<br />

Systems bildet (vgl. Global Politics <strong>in</strong> a Transitional Era; S. 328f.) – und lei<strong>der</strong> noch nicht<br />

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im +globalen Zeitalter* (Albrow) des +Global Citizen* (Meadows). Es kann deshalb nur Rosenau<br />

beigepflichtet werden, <strong>der</strong> von e<strong>in</strong>er Bifurkation <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> sprach (siehe S. 92). Die Gleich-<br />

zeitigkeit e<strong>in</strong>er multizentrischen und e<strong>in</strong>er staatenzentrischen <strong>Politik</strong> stabilisiert <strong>der</strong>zeit (noch)<br />

die Ungleichzeitigkeit von ökonomischem und politischem Wandel.<br />

2.2 DIE POLITISIERUNG DER JUSTIZ UND DIE VERRECHTLICHUNG DER POLITIK<br />

(RECHTSSYSTEM)<br />

Im vorangegangenen Abschnitt wurde versucht, die allgeme<strong>in</strong>e These e<strong>in</strong>er Dialektik von<br />

sozio-ökonomischem Wandel und politischer Statik am Beispiel <strong>der</strong> fehlenden Umsetzung

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