Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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92 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE gesprochen werden (vgl. S. 6f.). Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben eine Reihe von Turbulenzen – die wachsende Diskrepanz zwischen den armen und den reichen Ländern, die Zunahme des Fundamentalismus (und wohl nicht zuletzt das Ende des Ost-West Gegensatzes) – die alten Ordnungsstrukturen erschüttert, so daß wir an einem Wendepunkt 62 angelangt sind, ohne allerdings zu wissen, wohin sich die Weltpolitik entwickeln wird. Vor allem aber haben sich zwei Welten der Politik ausdifferenziert, die koexistieren (und Über- lappungsbereiche aufweisen). Das neue multizentrische System der nicht-staatlichen politischen Akteure (Individuen, Gruppen, soziale Bewegungen, INGOs etc.) und das immer noch parallel bestehende staatenzentrische System (vgl. ebd.; Kap. 10). Rosenau spricht deshalb von einer Bifurkation der Politik, womit für ihn auch ein Niedergang der ehemaligen Hegemonie (insbeson- dere der Verlust der dominanten Position der Vereinigten Staaten) einhergeht (vgl. ebd; S. 288ff.). Aus (neo)realistischer Sicht – und diese ist in der Lehre von den internationalen Beziehungen 63 noch immer die vorherrschende – stellt dies eine mögliche Bedrohung für die Stabilität der internationalen politischen und der mit ihr verknüpften ökonomischen Ordnung dar. 64 Auf den Niedergang der USA als (ökonomische) Führungsmacht und die daraus folgenden Probleme für die kapitalistische Weltökonomie wies Mitte der 80er Jahre insbesondere Robert Keohane hin (vgl. After Hegemony; Kap. 9–11). Schon lange vorher (nämlich 1976) hatte allerdings Edward Morse (wenn auch aus anderer Perspektive) die Zweischneidigkeit der zunehmenden Interdependenz im Weltsystem herausgestellt: +It leads to breakdowns in both domestic and international mechanisms of control and does not guarantee the development of new instruments to maintain political order.* (Modernization and the Transformation of International Relations; S. 116) Interessanterweise wird in den letzten Jahren aber auch von einigen Neorealisten die Not- wendigkeit einer pluralistischen Führerschaft im Staaten- wie im Wirtschaftssystem formuliert und das alte Hegemonialparadigma in seiner Rigidität verworfen (vgl. z.B. Gilpin: The Political Economy of International Relations; S. 366ff.). Die primäre Orientierung am (autonomen) Nationalstaat, der seine Interessen in einem prinzipiell anarchischen Welt(staaten)system durch (militärische) Machtmittel wahrnimmt, blieb aber erhalten (vgl. ders.: War and Change in World Politics; S. 229f.).
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 93 Wie +realistisch* ist die Annahme des (Neo-)Realismus, daß die zentralen politischen Akteure auf der Weltebene immer noch die Staaten und ihre Regierungen darstellen und daß weniger Kooperation und Interdependenz, als vielmehr ein Wettbewerb der Nationen die Weltpolitik kennzeichnet? – Eine Frage, die empirisch nur schwer zu beantworten ist, da sich der Charakter der internationalen politischen Beziehungen anders bzw. noch weniger als die Ökonomie durch quantitative Daten beschreiben läßt. Solche können hier nur einige Anhaltspunkte liefern. Dabei fällt zunächst auf, daß die Zahl der internationalen Organisationen in diesem Jahrhundert sprunghaft angestiegen ist: von 176 im Jahr 1909 auf 4.624 im Jahr 1989 (vgl. McGrew: 65 Conceptualizing Global Politics; Abb. 1.4, S. 8). Die meisten dieser Organisationen sind in den Bereichen Gesundheit sowie Industrie und Handel aktiv (vgl. ebd.; Tab 1.1, S. 9) und haben ihren (geographischen) Schwerpunkt in Europa oder den USA (vgl. ebd.; Tab. 1.3, S. 11). Auch die Anzahl der internationalen Regierungsorganisationen (IGOs) hat zuge- nommen – allerdings nicht so dramatisch. Die ersten IGOs wurden schon im 19. Jahrhunderts gegründet: die +Internationale Telegraphen Union* im Jahr 1865 und der +Weltpostverein* im Jahr 1874. Vom Anfang des Jahrhunderts bis 1989 steigerte sich ihre Zahl von ca. 50 auf fast 300. (Vgl. ebd.; S. 12 sowie Rittberger: Internationale Organisationen; S. 14) 66 Nur wie bereits angemerkt: Nackte Zahlen sagen hier so gut wie nichts aus. Entscheidend ist die Frage, ob mit dem Anstieg der Menge der internationalen Organisationen auch die internationale politische Vernetzung zugenommen hat und vor allem, ob politische Strukturen 67 jenseits der Staatlichkeit entstanden sind. Die Bildung der großen Militärblöcke in der Nach- kriegszeit, die von den USA und der UdSSR dominiert wurden, kann hier als ein erstes Indiz angesehen werden. Denn wer sich unter den Schutzschirm einer der Supermächte stellte, mußte dies mit einer Einschränkung seiner militärischen Selbstbestimmung bezahlen – allerdings nicht im Rahmen einer gleichberechtigten Partizipation, sondern in Form einer abhängigen Unterordnung unter die Sicherheitsinteressen der jeweiligen Schutzmacht. Auch die bereits oben angesprochenen Regionalisierungsbestrebungen, insbesondere im Rahmen der EG bzw. der aus ihr hervorgegangenen +Europäischen Union* (EU), deuten auf die Entstehung transnationaler politischer Strukturen hin: Mit dem Europäischen Gerichtshof gibt es in der EU, der derzeit 15 Staaten angehören, eine Appellationsinstanz, die den nationalen Gerichten übergeordnet ist und die auch bei Streitfällen zwischen Mitgliedsstaaten angerufen werden kann (vgl. EG-Vertrag; Abschnitt 4). Im Vertrag von Maastricht vom Dezember 1991 haben
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gesprochen werden (vgl. S. 6f.). Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
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288ff.).<br />
Aus (neo)realistischer Sicht – und diese ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehre von den <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen<br />
63<br />
noch immer die vorherrschende – stellt dies e<strong>in</strong>e mögliche Bedrohung für die Stabilität<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen politischen und <strong>der</strong> mit ihr verknüpften ökonomischen Ordnung dar. 64<br />
Auf den Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> USA als (ökonomische) Führungsmacht und die daraus folgenden<br />
Probleme für die kapitalistische Weltökonomie wies Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Robert<br />
Keohane h<strong>in</strong> (vgl. After Hegemony; Kap. 9–11). Schon lange vorher (nämlich 1976) hatte<br />
allerd<strong>in</strong>gs Edward Morse (wenn auch aus an<strong>der</strong>er Perspektive) die Zweischneidigkeit <strong>der</strong><br />
zunehmenden Interdependenz im Weltsystem herausgestellt:<br />
+It leads to breakdowns <strong>in</strong> both domestic and <strong>in</strong>ternational mechanisms of control and does not guarantee<br />
the development of new <strong>in</strong>struments to ma<strong>in</strong>ta<strong>in</strong> political or<strong>der</strong>.* (Mo<strong>der</strong>nization and the Transformation<br />
of International Relations; S. 116)<br />
Interessanterweise wird <strong>in</strong> den letzten Jahren aber auch von e<strong>in</strong>igen Neorealisten die Not-<br />
wendigkeit e<strong>in</strong>er pluralistischen Führerschaft im Staaten- wie im Wirtschaftssystem formuliert<br />
und das alte Hegemonialparadigma <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rigidität verworfen (vgl. z.B. Gilp<strong>in</strong>: The Political<br />
Economy of International Relations; S. 366ff.). Die primäre Orientierung am (autonomen)<br />
Nationalstaat, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Interessen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em pr<strong>in</strong>zipiell anarchischen Welt(staaten)system durch<br />
(militärische) Machtmittel wahrnimmt, blieb aber erhalten (vgl. <strong>der</strong>s.: War and Change <strong>in</strong><br />
World Politics; S. 229f.).