Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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82 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Weltwirtschaft* (1994) aufschlußreiches Zahlenmaterial zusammengestellt: Betrachtet man die Weltökonomie insgesamt, so zeigt sich, daß der Anteil des tertiären Sektors am Sozialprodukt von 1960 bis 1989 von 52,3% auf 64% angestiegen ist. Allerdings ergeben sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. Am weitesten ist der Tertiärisierungsprozeß in den Vereinigten Staaten fortgeschritten. Dort erreichte 1989 der Anteil des tertiären Sektors am BIP (Bruttoinlandsprodukt) 73,1% und hat mittlerweile voraussichtlich bereits die 80%-Marke überschritten. Die Bundesrepublik (53,6%) und Japan (59,3%) hatten dagegen im selben Jahr noch nicht einmal den Tertiärisierungsgrad der USA von 1960 erreicht (dieser betrug 59,7%), aber auch hier zeigte sich ein deutliches Wachstum der Bedeutung des tertiären Sektors. 40 Dies trifft selbst auf die meisten Entwicklungsländer zu. +Schwellenökonomien* wie Brasilien (66,5%) oder Mexiko (60,9%) zeigen sogar höhere Raten als viele Industriestaaten. (Vgl. dort Tab. 1, S. 36) 41 Doch nicht nur im nationalen Kontext werden tertiäre Aktivitäten zum (primär) bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Auch ein immer größerer Anteil der ausländischen Direktinvestitionen wird im Dienstleistungssektor getätigt, worauf ja bereits hingewiesen wurde (siehe S. 79). Zudem werden Dienstleistungen zunehmend global gehandelt. Ein Beispiel dafür ist die blühende Software-Industrie im indischen Bangalore, wo für ausländische Auftraggeber inzwischen nicht nur einfache Buchhaltungsaufgaben übernommen, sondern eigenständig Programme entwickelt 42 werden (vgl. z.B. Fischermann: Die Juppies von Bangalore). Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß der Anteil der Dienstleistungen am Export zwischen 1961 und 1991 von fast 20% auf ca. 16% zurückging (vgl. Globale Trends 93/94; Schaubild 3, S. 210), was jedoch nicht heißt, daß auch die absoluten Zahlen einen Abwärtstrend aufweisen. Tatsächlich wuchs der inter- nationale Handel mit Dienstleistungen in den 80er Jahren sogar stärker als der Warenhandel (vgl. Sauvant: The Tradability of Services; S. 114). 43 Alle beschriebenen Entwicklungen zusammengenommen, bedeutet ökonomische Globalisierung also nicht nur einen quantitativen Anstieg der transnationalen Wirtschaftsbeziehungen. Sie geht als Globalisierung der zweiten, dritten und vierten Stufe auch mit einem qualitativen Wandel einher: Vom Warenhandel zu Direktinvestitionen, vom Warenhandel zu Finanz- spekulationen und vom Warenhandel zum Handel mit Dienstleistungen. Ziel dieser Betrachtung ist es jedoch nicht alleine, die Dimension(en) ökonomischer Globali- sierung vor Augen zu führen, sondern zu klären, ob und inwieweit die politische Entwicklung

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 83 den ökonomischen Transformationsprozessen hinterherhinkt. Bevor dies aber durch eine Analyse der politischen (Welt-)Strukturveränderungen geschehen kann, sollte man sich bewußt machen, daß Globalisierung als Begriff auch ein erhebliches ideologisches Moment beinhaltet und, als ökonomischer Angleichungsprozeß verstanden, durchaus fraglich ist (vgl. z.B. Hirst/Thompson: 44 Globalization in Question). Allzu häufig verdeckt die Rede von der Globalisierung nur die anhaltende ungleiche regionale Entwicklung und dient überdies als willkommene (neoliberale) Rechtfertigung für den Abbau des Sozialstaats, da angesichts der globalisierten Märkte die nationale Wirtschaft angeblich nur durch drastische Einschnitte ins soziale Netz konkurrenzfähig zu erhalten sei (vgl. hierzu auch Borchert: Sozialstaat unter Druck). 45 Bisher wurde hier ökonomische Globalisierung also vereinfachend weitgehend ohne die Berück- sichtigung bestehender regionaler Disparitäten dargestellt. Diese zunächst durchaus sinnvolle, die Verlaufsdynamik herausstellende Beschränkung erzeugte jedoch, wie angemerkt, ein einseitiges und +falsches* Bild des stattfindenden Globalisierungsprozesses, da dieser nicht homogen und egalisierend, sondern heterogen und hierarchisierend verläuft. Das entstandene verzerrte Bild muß nun durch eine räumlich differenzierende Analyse korrigiert und ergänzt werden. Dazu ist ein Rückgriff auf die von Wallerstein getroffene Unterscheidung zwischen Zentrum, Semiperipherie und Peripherie sinnvoll: Die Zentrumsnationen sind laut Wallerstein kulturell hoch integriert (weshalb er hier auch anders als bei Peripherie und Semiperipherie den Begriff +Nationen* verwendet), haben sich eine effiziente Staatsmaschinerie geschaffen und können (deshalb) auch einen hohen öko- nomischen +Entwicklungsstand* aufweisen. Die peripheren Gebiete verfügen dagegen nur über eine schwache kulturelle Integration wie politische Organisation, was seine Ursache im (Neo-)Kolonialismus der Zentrumsnationen hat, von deren Wirtschaftssystem die Ökonomie der Peripherie stark abhängig ist. Die Semiperipherie nimmt bezüglich ihrer kulturellen, poli- tischen und ökonomischen Entwicklung eine Mittelposition ein, doch stellt sie nicht einfach eine Verlegenheitskategorie dar, sondern sie ist ein notwendiges strukturelles Element im System der kapitalistischen Weltökonomie, da sie auf der Weltebene eine ähnliche +Pufferrolle* spielt wie die Mittelschichten im kapitalistischen Staat. (Vgl. The Modern World-System; S. 349f.) 46 47 Diese Dreiteilung in Peripherie, Semiperipherie und Zentrum ist sicher vereinfachend, und externe Faktoren sind bei der Analyse von Ungleichheit, anders als Wallersteins theoretische

82 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

Weltwirtschaft* (1994) aufschlußreiches Zahlenmaterial zusammengestellt: Betrachtet man<br />

die Weltökonomie <strong>in</strong>sgesamt, so zeigt sich, daß <strong>der</strong> Anteil des tertiären Sektors am Sozialprodukt<br />

von 1960 bis 1989 von 52,3% auf 64% angestiegen ist. Allerd<strong>in</strong>gs ergeben sich erhebliche<br />

Unterschiede zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Staaten. Am weitesten ist <strong>der</strong> Tertiärisierungsprozeß<br />

<strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten fortgeschritten. Dort erreichte 1989 <strong>der</strong> Anteil des tertiären Sektors<br />

am BIP (Brutto<strong>in</strong>landsprodukt) 73,1% und hat mittlerweile voraussichtlich bereits die 80%-Marke<br />

überschritten. Die Bundesrepublik (53,6%) und Japan (59,3%) hatten dagegen im selben Jahr<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal den Tertiärisierungsgrad <strong>der</strong> USA von 1960 erreicht (dieser betrug 59,7%),<br />

aber auch hier zeigte sich e<strong>in</strong> deutliches Wachstum <strong>der</strong> Bedeutung des tertiären Sektors. 40<br />

Dies trifft selbst auf die meisten Entwicklungslän<strong>der</strong> zu. +Schwellenökonomien* wie Brasilien<br />

(66,5%) o<strong>der</strong> Mexiko (60,9%) zeigen sogar höhere Raten als viele Industriestaaten. (Vgl. dort<br />

Tab. 1, S. 36) 41<br />

Doch nicht nur im nationalen Kontext werden tertiäre Aktivitäten zum (primär) bedeutenden<br />

Wirtschaftsfaktor. Auch e<strong>in</strong> immer größerer Anteil <strong>der</strong> ausländischen Direkt<strong>in</strong>vestitionen wird<br />

im Dienstleistungssektor getätigt, worauf ja bereits h<strong>in</strong>gewiesen wurde (siehe S. 79). Zudem<br />

werden Dienstleistungen zunehmend global gehandelt. E<strong>in</strong> Beispiel dafür ist die blühende<br />

Software-Industrie im <strong>in</strong>dischen Bangalore, wo für ausländische Auftraggeber <strong>in</strong>zwischen nicht<br />

nur e<strong>in</strong>fache Buchhaltungsaufgaben übernommen, son<strong>der</strong>n eigenständig Programme entwickelt<br />

42<br />

werden (vgl. z.B. Fischermann: Die Juppies von Bangalore). Allerd<strong>in</strong>gs ist darauf h<strong>in</strong>zuweisen,<br />

daß <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Dienstleistungen am Export zwischen 1961 und 1991 von fast 20% auf<br />

ca. 16% zurückg<strong>in</strong>g (vgl. Globale Trends 93/94; Schaubild 3, S. 210), was jedoch nicht heißt,<br />

daß auch die absoluten Zahlen e<strong>in</strong>en Abwärtstrend aufweisen. Tatsächlich wuchs <strong>der</strong> <strong>in</strong>ter-<br />

nationale Handel mit Dienstleistungen <strong>in</strong> den 80er Jahren sogar stärker als <strong>der</strong> Warenhandel<br />

(vgl. Sauvant: The Tradability of Services; S. 114). 43<br />

Alle beschriebenen Entwicklungen zusammengenommen, bedeutet ökonomische Globalisierung<br />

also nicht nur e<strong>in</strong>en quantitativen Anstieg <strong>der</strong> transnationalen Wirtschaftsbeziehungen. Sie<br />

geht als Globalisierung <strong>der</strong> zweiten, dritten und vierten Stufe auch mit e<strong>in</strong>em qualitativen<br />

Wandel e<strong>in</strong>her: Vom Warenhandel zu Direkt<strong>in</strong>vestitionen, vom Warenhandel zu F<strong>in</strong>anz-<br />

spekulationen und vom Warenhandel zum Handel mit Dienstleistungen.<br />

Ziel dieser Betrachtung ist es jedoch nicht alle<strong>in</strong>e, die Dimension(en) ökonomischer Globali-<br />

sierung vor Augen zu führen, son<strong>der</strong>n zu klären, ob und <strong>in</strong>wieweit die politische Entwicklung

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