Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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74 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE aber wohl nur sehr schwer im Rahmen einer kapitalistischen Weltökonomie und einer von Nationalstaaten dominierten Politik zu verwirklichen sein dürfte. Der Begriff der Globalisierung sprengt deshalb, genau wie der Postmodernebegriff, den Rahmen der Aktualität. Zum Abschluß dieser kurzen Begriffsklärung steht es nun lediglich aus, +Globalisierung* vom Begriff der +Internationalisierung* abzugrenzen. Vordergründig etwas Ähnliches meinend und häufig sogar synonym gebraucht, bezieht sich +Internationalisierung* – im politikwissen- schaftlichen Sprachgebrauch – auf die Unterstellung eines Gebiets unter ein internationales Regime. Aber auch, wenn man sich nicht auf diese eingeschränkte Bedeutung fixieren lassen will und von +Internationalisierung der Wirtschaft* oder +Internationalisierung des Kapitals* etc. spricht, so sollte man sich bewußt sein, daß der Internationalisierungsbegriff den Staat als politische Einheit voraussetzt, während Globalisierung das nationalistische Prinzip tendenziell unterhöhlt (siehe Abschnitt 3.1). Zumindest begrifflich scheint die Sache somit (zunächst) weitgehend geklärt zu sein. Nur wie sehen die +Fakten* aus? – Entsprechend des hier vertretenen ökologischen Ansatzes möchte ich vor dem Feld der Politik die Ökonomie betrachten: Wenn es einen Motor für Globalisierung gibt, so ist dies nämlich ohne Zweifel das Kapital, sein unstillbarer Hunger nach (Mehr-)Wert. Deshalb ist Globalisierung auch im Bereich der Kapital- und Finanzmärkte am weitesten fort- geschritten. Doch beginnen wir ganz +unten*: In der ursprünglichen Form der Subsistenzwirtschaft gab es kaum Tausch und Handel. Als man aber damit begann, tauschte und handelte man primär materielle Güter (d.h. Rohstoffe und Fertigwaren). Diese +Ära des materiellen Tauschs* reicht bis in die Gegenwart hinein, denn die +Entstofflichung der Wirtschaft* (Menzel) ist noch nicht so weit fortgeschritten, daß sie den Warenhandel gänzlich absorbiert hätte. Mit etwas über 60% liegt sein Anteil am weltweiten Export zwar rund 10% niedriger als noch Anfang 19 70er Jahre (vgl. Globale Trends 93/94; Abb. 3, S. 210), doch das weitere Absinken dieser Rate stößt an die reale Grenze unserer materiellen Bedürfnisse als materielle Wesen. Allerdings hat sich einiges an der Struktur und dem Umfang des internationalen Handels geändert: Es kam zu einer immer größeren Erweiterung des Tausch-Rahmens (räumliche Extension), und der Anteil wie die Menge der über die Staatengrenzen hinweg gehandelten Güter hat stark zugenommen (Volumen-Expansion). 20 Die erste Extensions- und Expansionswelle wurde durch die seefahrerischen +Entdeckungen* der frühen Neuzeit eingeleitet, als man zudem begann, die Erde als +Globus* aufzufassen. 21

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 75 Motivation des damals sich entgrenzenden merkantilen Kapitalismus war in erster Linie die Einfuhr von Luxusartikeln wie Gewürzen, Seide, Porzellan etc. (vgl. z.B. Rosecrance: Der neue Handelsstaat; S. 83ff.), und er wurde begleitet von den imperialen Ambitionen der Seefahrernationen (imperialer Kolonialismus). Die zweite Extensions- und Expansionswelle erfolgte im Kontext des fortgeschrittenen Kolonialismus im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert (siehe auch Übersicht 1; S. 76). Die Inklusion der unterworfenen Gebiete in das Wirtschafts- geflecht der kolonialen +Mutterstaaten* trug (wie in der Vergangenheit) die Form einer Menschen- und Ressourcenausbeutung, war jedoch um die Komponente eines oktroyierten Imports von 22 (halb-)industriellen Fertigwaren erweitert. Insbesondere dieses Faktum ist vermutlich für das im Vergleich zum Weltsozialprodukt übermäßig starke Anwachsen des internationalen Handels zwischen dem Jahr 1820 und dem Beginn des ersten Weltkriegs verantwortlich (vgl. Maddison: Phases of Capitalist Development; Tab. 4.9, S. 91). 23 Das damals durch direkte Gewalt etablierte Muster eines +ungleichen Tauschs* (Emmanuel) 24 prägte auch die postkoloniale Ära nach dem 2. Weltkrieg, so daß man hier von einem (ökono- misch) transformierten Kolonialismus sprechen kann – denn die ehemaligen Kolonien waren im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung strukturell benachteiligt, was sich in einem ungün- 25 stigen Verhältnis der +terms of trade* manifestierte. Ich möchte auf diesen Aspekt im Augenblick jedoch nicht weiter eingehen. Er wird bei der Diskussion der Frage nach den ideologischen Momenten des Globalisierungsbegriffs noch eine wichtige Rolle spielen (siehe S. 82–89). Zunächst soll zur Verdeutlichung der Dimension der ökonomischen Globalisierung nur die weitere allgemeine Entwicklung kurz beleuchtet werden. Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs wuchs der internationale Handel, wie angemerkt, über- proportional im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und erreichte Zuwachsraten zwischen 3,8% und 5,5% p.a. (vgl. Gordon: The Global Economy; Tab. 4b, S. 43). Die beiden Weltkriege und die dazwischenliegende große Depression führten dann zur drastischen Verlangsamung und teilweisen Umkehrung dieses Prozesses (vgl. ebd.). Wie man sieht, ist die ökonomische Globalisierung also kein linearer und kontinuierlicher Prozeß, sondern unterliegt Schwankungen und Verwerfungen. Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte jedoch wieder ein regelrechter Export-Boom, und es kam (nach dem Scheitern autozentrischer Entwicklungsmodelle) zur immer engeren (allerdings keinesfalls gleichberechtigten) Einbeziehung auch der peripheren Ökonomien, weshalb ich für diese Zeit von einer neuerlichen, der dritten Extensions- und Expansionswelle

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 75<br />

Motivation des damals sich entgrenzenden merkantilen Kapitalismus war <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die<br />

E<strong>in</strong>fuhr von Luxusartikeln wie Gewürzen, Seide, Porzellan etc. (vgl. z.B. Rosecrance: Der<br />

neue Handelsstaat; S. 83ff.), und er wurde begleitet von den imperialen Ambitionen <strong>der</strong><br />

Seefahrernationen (imperialer Kolonialismus). Die zweite Extensions- und Expansionswelle<br />

erfolgte im Kontext des fortgeschrittenen Kolonialismus im 18. und vor allem im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

(siehe auch Übersicht 1; S. 76). Die Inklusion <strong>der</strong> unterworfenen Gebiete <strong>in</strong> das Wirtschafts-<br />

geflecht <strong>der</strong> kolonialen +Mutterstaaten* trug (wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit) die Form e<strong>in</strong>er Menschen-<br />

und Ressourcenausbeutung, war jedoch um die Komponente e<strong>in</strong>es oktroyierten Imports von<br />

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(halb-)<strong>in</strong>dustriellen Fertigwaren erweitert. Insbeson<strong>der</strong>e dieses Faktum ist vermutlich für<br />

das im Vergleich zum Weltsozialprodukt übermäßig starke Anwachsen des <strong>in</strong>ternationalen<br />

Handels zwischen dem Jahr 1820 und dem Beg<strong>in</strong>n des ersten Weltkriegs verantwortlich (vgl.<br />

Maddison: Phases of Capitalist Development; Tab. 4.9, S. 91). 23<br />

Das damals durch direkte Gewalt etablierte Muster e<strong>in</strong>es +ungleichen Tauschs* (Emmanuel) 24<br />

prägte auch die postkoloniale Ära nach dem 2. Weltkrieg, so daß man hier von e<strong>in</strong>em (ökono-<br />

misch) transformierten Kolonialismus sprechen kann – denn die ehemaligen Kolonien waren<br />

im Rahmen <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Arbeitsteilung strukturell benachteiligt, was sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungün-<br />

25<br />

stigen Verhältnis <strong>der</strong> +terms of trade* manifestierte. Ich möchte auf diesen Aspekt im Augenblick<br />

jedoch nicht weiter e<strong>in</strong>gehen. Er wird bei <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> Frage nach den ideologischen<br />

Momenten des Globalisierungsbegriffs noch e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen (siehe S. 82–89).<br />

Zunächst soll zur Verdeutlichung <strong>der</strong> Dimension <strong>der</strong> ökonomischen Globalisierung nur die<br />

weitere allgeme<strong>in</strong>e Entwicklung kurz beleuchtet werden.<br />

Bis zum Beg<strong>in</strong>n des 1. Weltkriegs wuchs <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationale Handel, wie angemerkt, über-<br />

proportional im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und erreichte Zuwachsraten zwischen 3,8%<br />

und 5,5% p.a. (vgl. Gordon: The Global Economy; Tab. 4b, S. 43). Die beiden Weltkriege<br />

und die dazwischenliegende große Depression führten dann zur drastischen Verlangsamung<br />

und teilweisen Umkehrung dieses Prozesses (vgl. ebd.). Wie man sieht, ist die ökonomische<br />

Globalisierung also ke<strong>in</strong> l<strong>in</strong>earer und kont<strong>in</strong>uierlicher Prozeß, son<strong>der</strong>n unterliegt Schwankungen<br />

und Verwerfungen. Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte jedoch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> regelrechter Export-Boom,<br />

und es kam (nach dem Scheitern autozentrischer Entwicklungsmodelle) zur immer engeren<br />

(allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>esfalls gleichberechtigten) E<strong>in</strong>beziehung auch <strong>der</strong> peripheren Ökonomien,<br />

weshalb ich für diese Zeit von e<strong>in</strong>er neuerlichen, <strong>der</strong> dritten Extensions- und Expansionswelle

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