Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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70 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 3 näher thematisiert und schließlich in Kapitel 4 (am Fallbeispiel +BSE*) exemplarisch veran- schaulicht werden sollen. Zunächst wird es (bezogen auf Politik) lediglich um eine Darstellung der relevanten Veränderungsprozesse in den zentralen (Teil-)Systemen gehen. 7 2.1 ÖKONOMISCHER WANDEL UND SEINE (FEHLENDE) UMSETZUNG UND ENTSPRE- CHUNG IM BEREICH DER POLITIK (WIRTSCHAFTSSYSTEM) Das vielleicht wichtigste Teilsystem des politischen Mesosystems – also des übergreifenden Netzwerks, in das die Politik institutionell eingewebt ist – stellt die Ökonomie dar, die nach marxistischer Auffassung die Basis der Gesellschaft bildet. Folgt man dagegen der gängigen funktionalistischen Ideologie, so sind die Systeme Wirtschaft und Politik voneinander getrennt 8 und operieren nach einer je eigenen Logik. Doch über die Instrumente der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik nimmt das Subsystem Politik zwangsläufig und bewußt Einfluß auf das ökonomische Geschehen. Selbst sozialpolitische Entscheidungen (z.B. die Herabsetzung der Rentenaltersgrenzen), Umweltpolitik (z.B. die Festlegung strengerer Schadstoffhöchstgrenzen) oder Außenpolitik (z.B. ein Embargo gegen einen bestimmten Staat) können für das Wirtschafts- system in hohem Maß relevant sein. Umgekehrt hat auch die Ökonomie erheblichen, wenn nicht bestimmenden Einfluß auf den politischen Prozeß. Damit ist nicht nur die direkte Einflußnahme von Wirtschaftsunternehmen z.B. durch zweckgebundene +Parteispenden* gemeint. Das Wohl und Wehe der Wirtschaft gilt (noch immer) als primärer Maßstab für die Beurteilung des Erfolgs von Politik, und diese antizipiert deshalb bei ihren Entscheidungen die Reaktion der ökonomischen +pressure groups* – sowohl der Wirtschaftsverbände wie der Gewerkschaften. Politik nimmt damit eine +öko- nomische Haltung* ein. Je nach Blickwinkel und gleichermaßen berechtigt läßt sich also beides behaupten: daß Politik Wirtschaft steuert und daß Wirtschaft Politik steuert. Politik und Wirtschaft sind jedoch nicht alleine durch die beschriebenen Mechanismen aneinan- der (rück)gekoppelt. Beide Sphären weisen einen Überlappungsbereich auf. So gibt es personelle Überschneidungen (Aufsichtsratsposten für Politiker, politisches Engagement von Unternehmern etc.) und Überschneidungen institutioneller Art (Bundesbank, Handelskammern usw.). Zudem besitzt Ökonomie per se einen politischen Gehalt, da diese unmittelbar die Lebensbedingungen der Menschen und die Rahmenbedingungen des Sozialen beeinflußt. Wirtschaft betreibt damit

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 71 – ob sie es will oder nicht – Politik. Allerdings wird es hier nicht so sehr um den politischen Aspekt des Ökonomischen gehen, als vielmehr um das paradoxe (Miß-)Verhältnis zwischen ökonomischem Wandel und den Verharrungstendenzen des politischen Systems. Der aktuelle ökonomische Wandel, der als Arbeitsplatzverlust oder wachsender Profit, Angebots- differenzierung oder ökonomische Marginalisierung immer deutlicher auch für jeden einzelnen spürbar wird, ist vielschichtig und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in all seinen Dimensionen behandelt werden. Ich möchte ihn hier deshalb vor allem unter einem Überbegriff diskutieren, der einige zentrale Tendenzen dieses Wandels zusammenfaßt und der in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion wie in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine immer zentralere Rolle spielt: Globalisierung. 9 Der Globalisierungsbegriff selbst ist relativ neu und hat erst in den letzten Jahren eine Inflation 10 erfahren. Die Sache, die er bezeichnet, und die theoretischen Grundannahmen, die er impliziert, sind dagegen – zumindest in ihren Umrissen – altbekannt. So können wir bereits bei Marx und Engels lesen: +Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der ent- ferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich […]* (Manifest der kommunistischen Partei; S. 34f.) Hier sind nahezu alle Aspekte angesprochen, die auch in aktuellen Globalisierungstheorien herausgestellt werden: Marx und Engels haben das +Ende der nationalen Ökonomie* (Reich) genauso wie die Delokalisierung der Konsumstile und zunehmende Interdependenz des Weltsystems in ihren Ausführungen angerissen. Ihre zugespitzte Beschreibung reflektierte allerdings weniger die tatsächlichen damaligen Verhältnisse, sondern bedeutete die Extrapolation

70 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

3 näher thematisiert und schließlich <strong>in</strong> Kapitel 4 (am Fallbeispiel +BSE*) exemplarisch veran-<br />

schaulicht werden sollen. Zunächst wird es (bezogen auf <strong>Politik</strong>) lediglich um e<strong>in</strong>e Darstellung<br />

<strong>der</strong> relevanten Verän<strong>der</strong>ungsprozesse <strong>in</strong> den zentralen (Teil-)Systemen gehen. 7<br />

2.1 ÖKONOMISCHER WANDEL UND SEINE (FEHLENDE) UMSETZUNG UND ENTSPRE-<br />

CHUNG IM BEREICH DER POLITIK (WIRTSCHAFTSSYSTEM)<br />

Das vielleicht wichtigste Teilsystem des politischen Mesosystems – also des übergreifenden<br />

Netzwerks, <strong>in</strong> das die <strong>Politik</strong> <strong>in</strong>stitutionell e<strong>in</strong>gewebt ist – stellt die Ökonomie dar, die nach<br />

marxistischer Auffassung die Basis <strong>der</strong> Gesellschaft bildet. Folgt man dagegen <strong>der</strong> gängigen<br />

funktionalistischen Ideologie, so s<strong>in</strong>d die Systeme Wirtschaft und <strong>Politik</strong> vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> getrennt<br />

8<br />

und operieren nach e<strong>in</strong>er je eigenen Logik. Doch über die Instrumente <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anz-, Steuer-<br />

und Wirtschaftspolitik nimmt das Subsystem <strong>Politik</strong> zwangsläufig und bewußt E<strong>in</strong>fluß auf das<br />

ökonomische Geschehen. Selbst sozialpolitische Entscheidungen (z.B. die Herabsetzung <strong>der</strong><br />

Rentenaltersgrenzen), Umweltpolitik (z.B. die Festlegung strengerer Schadstoffhöchstgrenzen)<br />

o<strong>der</strong> Außenpolitik (z.B. e<strong>in</strong> Embargo gegen e<strong>in</strong>en bestimmten Staat) können für das Wirtschafts-<br />

system <strong>in</strong> hohem Maß relevant se<strong>in</strong>.<br />

Umgekehrt hat auch die Ökonomie erheblichen, wenn nicht bestimmenden E<strong>in</strong>fluß auf den<br />

politischen Prozeß. Damit ist nicht nur die direkte E<strong>in</strong>flußnahme von Wirtschaftsunternehmen<br />

z.B. durch zweckgebundene +Parteispenden* geme<strong>in</strong>t. Das Wohl und Wehe <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

gilt (noch immer) als primärer Maßstab für die Beurteilung des Erfolgs von <strong>Politik</strong>, und diese<br />

antizipiert deshalb bei ihren Entscheidungen die Reaktion <strong>der</strong> ökonomischen +pressure groups*<br />

– sowohl <strong>der</strong> Wirtschaftsverbände wie <strong>der</strong> Gewerkschaften. <strong>Politik</strong> nimmt damit e<strong>in</strong>e +öko-<br />

nomische Haltung* e<strong>in</strong>. Je nach Blickw<strong>in</strong>kel und gleichermaßen berechtigt läßt sich also beides<br />

behaupten: daß <strong>Politik</strong> Wirtschaft steuert und daß Wirtschaft <strong>Politik</strong> steuert.<br />

<strong>Politik</strong> und Wirtschaft s<strong>in</strong>d jedoch nicht alle<strong>in</strong>e durch die beschriebenen Mechanismen ane<strong>in</strong>an-<br />

<strong>der</strong> (rück)gekoppelt. Beide Sphären weisen e<strong>in</strong>en Überlappungsbereich auf. So gibt es personelle<br />

Überschneidungen (Aufsichtsratsposten für <strong>Politik</strong>er, politisches Engagement von Unternehmern<br />

etc.) und Überschneidungen <strong>in</strong>stitutioneller Art (Bundesbank, Handelskammern usw.). Zudem<br />

besitzt Ökonomie per se e<strong>in</strong>en politischen Gehalt, da diese unmittelbar die Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> Menschen und die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen des Sozialen bee<strong>in</strong>flußt. Wirtschaft betreibt damit

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