Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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48 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE das dann als legitimatorische Grundlage der Aufrechterhaltung bzw. Etablierung politischer Herrschaft (durch alte und neue Eliten) dienen konnte. Dabei spielten ökonomische Interessen natürlich eine wichtige Rolle, die immer mehr im nationalen Kontext verfolgt wurden: +So oder so bedeutete ›Nation‹ eine Wirtschaft innerhalb nationaler Grenzen und deren systematische Förderung durch den Staat, und das hieß im 19. Jahrhundert nichts anderes als Protektionismus.* (Nationen und Nationalismus; S. 41) Obwohl hier deutliche Kritik durchklingt, sieht Hobsbawm den Nationalismus des 19. Jahr- hunderts insgesamt eher positiv, da dieser letztendlich für Demokratisierung und Befreiung stand. Ein zukunftsweisendes Modell will er allerdings im Nationalismus nicht mehr erkennen – trotz der gegenwärtig feststellbaren Tendenz einer Wiederbelebung des nationalistischen Prinzips. Denn als bloßer Ethnonationalismus, dem einseitigen Rekurs auf ethnische Zugehörigkei- ten und traditionelle Religion, hat der Nationalismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts seine emanzipatorische Komponente, die er auch als antikolonialer Entwicklungsnationalismus im Rahmen des Dekolonisierungsprozesses noch besessen hatte, vollständig eingebüßt. 134 Egal aber ob der aktuelle Ethnonationalismus und die Tendenz zur Forderung eines +eigenen* Nationalstaats auch von kleinsten (ethnischen) Splittergruppen einem nun als historisch fort- oder rückschrittlich erscheint – der Nationalstaat ist derzeit (noch) die bestimmende politische Größe des Weltsystems, was sich in Welt-Organisationen wie den +Vereinten Nationen* nur 135 allzu deutlich zeigt. +Die Erfindung der Nation* (Anderson), die mit großer +Kreativität* im 19. Jahrhundert vorangetrieben wurde, hat also unleugbar historische und soziale Tatsachen geschaffen: Wir leben in einer Welt der Nationen und die Welt der Nationen lebt in uns. 136 Die nur +vorgestellten (nationalen) Gemeinschaften* sind zur Realität geworden und erschufen ein +stahlhartes Gehäuse der Zugehörigkeit* (Nassehi). Schon für Max Weber war Politik deshalb nur mehr im (national)staatlichen Rahmen denkbar, und er definiert diese als +die Leitung eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates* (Politik als Beruf; S. 5). Da er den Staat aber als +Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen* betrachtet (ebd.; S. 7f.), gehört für ihn zur Politik damit auch das +Streben nach Machtanteil oder Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb 137 eines Staates zwischen Menschengruppen, die er umschließt* (ebd.; S. 7). Weber lieferte damit eine +realistische*, den historischen Verhältnissen entsprechende und vielfach aufgegriffene
KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 49 Definition. Gleichzeitig betonte er jedoch die Notwendigkeit eines verantwortungsethischen Handelns der Politiker. 138 Eine ähnliche Verbindung zwischen Verantwortungsethik und einem auf Pluralismus und der Konkurrenz der politischen Eliten aufgebauten Politikverständnis findet sich bei Ralph Dahrendorf. In den 60er Jahren hat er in Auseinandersetzung mit den damals im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien defizitären politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik vier Grundbe- dingungen liberaler Demokratie aufgelistet, die man als treffende Ausflüsse des aktuellen Selbst- verständnisses der bürgerlichen Gesellschaft bzw. des bürgerlichen Verfassungsstaates betrachten kann: • Erstens betont Dahrendorf (unter Berufung auf Marshall) die Notwendigkeit der Gewähr- leistung von staatsbürgerlicher Gleichheit auf der Grundlage bürgerlicher, politischer und sozialer Grundrechte, da nur so die Möglichkeit der individuellen Teilhabe (Partizipation) am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben gewährleistet ist (vgl. Gesellschaft und Demokratie in Deutschland; S. 40 u. 79–82). • Zum Zweiten soll eine verinnerlichte Konfliktkultur und ein geeignetes institutionelles System für eine rationale Konfliktaustragung sorgen, da so gesellschaftlicher Wandel ermöglicht wird, der in Fortschritt mündet (vgl. ebd.; S. 41, 171–175 u. 207). • Drittens muß die Vielfalt der gesellschaftlichen Interessen in einer Konkurrenz der Eliten gespiegelt werden (vgl. ebd.; S. 41). • Und schließlich sollen die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft nicht ausschließlich an ihren privaten Interessen, sondern auch am Gemeinwohl, an sog. +öffentlichen Tugenden*, orientiert sein (vgl. ebd.; S. 41 u. S. 327ff.). Wolfgang Zapf hat auf diesen Vorstellungen Dahrendorfs aufgebaut und nennt Konkurrenzde- mokratie, Marktwirtschaft, Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat als die wesentlichen Grund- institutionen moderner Gesellschaften (vgl. Entwicklung und Sozialstruktur moderner Gesell- schaften; S. 185f. und siehe auch S. XXXIX). Er verbindet damit das Modell der (sozialen) Marktwirtschaft mit dem +Wettbewerbsmodell* der Demokratie Joseph Schumpeters. Schumpeter, auf den bereits im vorangegangenen Abschnitt kurz Bezug genommen wurde, verkörpert wie kaum ein Zweiter den politischen +Geist* eines rein repräsentativen Demokratie- verständnisses, wie es derzeit – nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatenwelt
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Def<strong>in</strong>ition. Gleichzeitig betonte er jedoch die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es verantwortungsethischen<br />
Handelns <strong>der</strong> <strong>Politik</strong>er. 138<br />
E<strong>in</strong>e ähnliche Verb<strong>in</strong>dung zwischen Verantwortungsethik und e<strong>in</strong>em auf Pluralismus und <strong>der</strong><br />
Konkurrenz <strong>der</strong> politischen Eliten aufgebauten <strong>Politik</strong>verständnis f<strong>in</strong>det sich bei Ralph Dahrendorf.<br />
In den 60er Jahren hat er <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den damals im Vergleich zu an<strong>der</strong>en<br />
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d<strong>in</strong>gungen liberaler Demokratie aufgelistet, die man als treffende Ausflüsse des aktuellen Selbst-<br />
verständnisses <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft bzw. des bürgerlichen Verfassungsstaates betrachten<br />
kann:<br />
• Erstens betont Dahrendorf (unter Berufung auf Marshall) die Notwendigkeit <strong>der</strong> Gewähr-<br />
leistung von staatsbürgerlicher Gleichheit auf <strong>der</strong> Grundlage bürgerlicher, politischer und<br />
sozialer Grundrechte, da nur so die Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Teilhabe (Partizipation)<br />
am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben gewährleistet ist (vgl. Gesellschaft<br />
und Demokratie <strong>in</strong> Deutschland; S. 40 u. 79–82).<br />
• Zum Zweiten soll e<strong>in</strong>e ver<strong>in</strong>nerlichte Konfliktkultur und e<strong>in</strong> geeignetes <strong>in</strong>stitutionelles System<br />
für e<strong>in</strong>e rationale Konfliktaustragung sorgen, da so gesellschaftlicher Wandel ermöglicht<br />
wird, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Fortschritt mündet (vgl. ebd.; S. 41, 171–175 u. 207).<br />
• Drittens muß die Vielfalt <strong>der</strong> gesellschaftlichen Interessen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Konkurrenz <strong>der</strong> Eliten<br />
gespiegelt werden (vgl. ebd.; S. 41).<br />
• Und schließlich sollen die e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft nicht ausschließlich an<br />
ihren privaten Interessen, son<strong>der</strong>n auch am Geme<strong>in</strong>wohl, an sog. +öffentlichen Tugenden*,<br />
orientiert se<strong>in</strong> (vgl. ebd.; S. 41 u. S. 327ff.).<br />
Wolfgang Zapf hat auf diesen Vorstellungen Dahrendorfs aufgebaut und nennt Konkurrenzde-<br />
mokratie, Marktwirtschaft, Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat als die wesentlichen Grund-<br />
<strong>in</strong>stitutionen mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften (vgl. Entwicklung und Sozialstruktur mo<strong>der</strong>ner Gesell-<br />
schaften; S. 185f. und siehe auch S. XXXIX). Er verb<strong>in</strong>det damit das Modell <strong>der</strong> (sozialen)<br />
Marktwirtschaft mit dem +Wettbewerbsmodell* <strong>der</strong> Demokratie Joseph Schumpeters.<br />
Schumpeter, auf den bereits im vorangegangenen Abschnitt kurz Bezug genommen wurde,<br />
verkörpert wie kaum e<strong>in</strong> Zweiter den politischen +Geist* e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong> repräsentativen Demokratie-<br />
verständnisses, wie es <strong>der</strong>zeit – nach dem Zusammenbruch <strong>der</strong> sozialistischen Staatenwelt