Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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44 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE den USA sogar eine regelrechte Kommunisten-Verfolgung, und in Westdeutschland wurde die KPD 1956 wegen angeblicher Verfassungsfeindlichkeit verboten. Es war die vom Ost-West- Gegensatz geprägte Ära des Kalten Kriegs. Mit der Öffnungspolitik Gorbatschows ab 1986 wurde dieser Gegensatz immer weniger spürbar. Seit dem Fall der deutsch-deutschen +Mauer* 1989 kann man tatsächlich vom Ende dieses lange Zeit die internationale Politik strukturierenden Konflikts sprechen. Gleichzeitig scheint der Sozialismus als Alternative zum liberalen Kapitalismus obsolet geworden zu sein – eine Tatsache die Francis Fukuyama vorschnell vom +Ende der Geschichte* sprechen ließ (siehe auch Anmerkung 104, Prolog). LIBERALISMUS Versteht man das 19. Jahrhundert als Epoche des Bürgertums, seiner Emanzipation und politi- 118 schen +Machtergreifung*, so ist es auch das Jahrhundert des Liberalismus. Denn der Libe- ralismus ist die dominante Ideologie und Bewegung des aufstrebenden Bildungs- und Besitz- 119 bürgertums. Inhaltlich gefaßt läßt sich dieser frühe Liberalismus im Wesentlichen auf zwei 120 Kernforderungen reduzieren: individuelle Freiheit und Schutz des Eigentums. Entsprechend dieser zwei Kernforderungen kann man nun zwischen politischem Liberalismus und ökono- mischem Liberalismus unterscheiden, auch wenn beide Aspekte tatsächlich Hand in Hand gingen und man mit solchen Vereinfachungen historischer +Realität* natürlich nie gerecht wird. Der politische Liberalismus, der in weiten Teilen mit der Demokratiebewegung zusammenfällt, wurzelt in der Philosophie der Aufklärung, und als wichtigster Denker in diesem Zusammenhang kann, wie bereits angemerkt, John Locke gelten. Vor allem das Prinzip verfassungsmäßig ver- ankerter und staatlich garantierter Grundrechte, das den Bürger vor (politisch-staatlicher) Willkür schützen soll und geradezu ein konstitutives Element liberaler Forderungen darstellt, geht auf ihn zurück (siehe S. 26f.). Die heute in liberalen Demokratien gewährleisteten Grundrechte lassen sich in Anlehnung an Thomas Marshall in drei, auch historisch abgrenzbare Gruppen bzw. Kategorien einteilen: Zunächst wurden im 18. Jahrhundert die bürgerlichen (Abwehr-)Rechte gegenüber dem Staat erstritten. Im 19. Jahrhundert konnten dann demokratische bzw. politische (Mitwirkungs-)Rechte errungen werden. Soziale (Anspruchs-)Rechte wurden erst im Rahmen des Wohlfahrtsstaats des 20. Jahrhunderts weitgehend verwirklicht. (Vgl. Staatsbürgerrechte und soziale Klassen; S. 42f.) 121

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 45 Das demokratische Element des politischen Liberalismus ist, nachdem es seine Grundlegung in der Aufklärungsphilosophie erhalten hatte, also erst im 19. Jahrhundert bzw. dem späten 18. Jahrhundert tatsächlich zum Durchbruch gelangt – und dies auch nur in +fortschrittlichen* Staaten wie England oder Frankreich sowie natürlich in den Vereinigten Staaten. Alexis de Tocqueville (1805–59) ging allerdings nach seiner Analyse der amerikanischen Verhältnisse davon aus, daß das Prinzip der politischen Gleichheit sich unaufhaltsam und überall durchsetzen würde, stand dem Prozeß der Demokratisierung aus seiner aristokratischen Perspektive aber durchaus distanziert gegenüber und sprach von der Gefahr einer +Tyrannis der Mehrheit* (vgl. Über die Demokratie in Amerika; Teil II, Kap. 7). Deutschland hatte mit der gescheiterten +Revolution* von 1848 den Anschluß an diese von Tocqueville prognostizierte Entwicklung für lange Zeit verpaßt. Es ist deshalb auch kaum ver- wunderlich, daß der politisch-demokratische Liberalismus des 19. Jahrhunderts seine prägnanteste theoretische Ausformulierung nicht durch einen deutschen Denker, sondern den Briten John Stuart Mill (1806–73) fand. Eine zentral Position nimmt dabei die Forderung nach einer repräsen- 122 tativen Volksvertretung ein, die die legislativen Kompetenzen inne hat. Denn der gewalten- teilige bürgerliche Staat ist als +Rechtsstaat* durch eine allseitige Verrechtlichung der Verhältnisse gekennzeichnet, was auch kalkulierbare Rahmenbedingungen für die ökonomische Entfaltung sicherstellen sollte. Die Forderung nach sozialer Grundsicherung taucht im liberalen Kontext erst relativ spät auf und ist typisch für einen +neuen Liberalismus*, wie ihn z.B. Ralf Dahrendorf vertritt: +Liberale haben es nicht immer leicht gefunden, den Wohlfahrtsstaat zu akzeptieren. Während Staatsbür- gerrechte ein traditionelles und zentrales Thema liberaler Programmatik waren, haben viele ihr Interesse auf die juristischen und politischen Aspekte solcher Rechte beschränkt […] Formale Chancengleichheit muß geschaffen werden […], aber dann müssen die Staatsbürger selbst ihren Weg gehen […] Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Begrenztheit dieser Vorstellung fast allen bewußt geworden […] Die Möglichkeit der Teilnahme kann nur realisiert werden durch eine Sozialpolitik, die Menschen befähigt, das Versprechen der Staatsbürgerschaft einzulösen.* (Fragmente eines neuen Liberalismus; S. 138) Der so verstandene +neue Liberalismus* Dahrendorfs hat natürlich denkbar wenig mit dem aktuellen Neoliberalismus gemein, der die Vorstellungen des ökonomischen Liberalismus 123 weitgehend auf das Feld der Politik überträgt. Was aber sind die Grundprinzipien des ökonomischen Liberalismus und welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus für den (neo)-

44 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

den USA sogar e<strong>in</strong>e regelrechte Kommunisten-Verfolgung, und <strong>in</strong> Westdeutschland wurde<br />

die KPD 1956 wegen angeblicher Verfassungsfe<strong>in</strong>dlichkeit verboten. Es war die vom Ost-West-<br />

Gegensatz geprägte Ära des Kalten Kriegs. Mit <strong>der</strong> Öffnungspolitik Gorbatschows ab 1986<br />

wurde dieser Gegensatz immer weniger spürbar. Seit dem Fall <strong>der</strong> deutsch-deutschen +Mauer*<br />

1989 kann man tatsächlich vom Ende dieses lange Zeit die <strong>in</strong>ternationale <strong>Politik</strong> strukturierenden<br />

Konflikts sprechen. Gleichzeitig sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Sozialismus als Alternative zum liberalen Kapitalismus<br />

obsolet geworden zu se<strong>in</strong> – e<strong>in</strong>e Tatsache die Francis Fukuyama vorschnell vom +Ende <strong>der</strong><br />

Geschichte* sprechen ließ (siehe auch Anmerkung 104, Prolog).<br />

LIBERALISMUS<br />

Versteht man das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t als Epoche des Bürgertums, se<strong>in</strong>er Emanzipation und politi-<br />

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schen +Machtergreifung*, so ist es auch das Jahrhun<strong>der</strong>t des Liberalismus. Denn <strong>der</strong> Libe-<br />

ralismus ist die dom<strong>in</strong>ante Ideologie und Bewegung des aufstrebenden Bildungs- und Besitz-<br />

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bürgertums. Inhaltlich gefaßt läßt sich dieser frühe Liberalismus im Wesentlichen auf zwei<br />

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Kernfor<strong>der</strong>ungen reduzieren: <strong>in</strong>dividuelle Freiheit und Schutz des Eigentums. Entsprechend<br />

dieser zwei Kernfor<strong>der</strong>ungen kann man nun zwischen politischem Liberalismus und ökono-<br />

mischem Liberalismus unterscheiden, auch wenn beide Aspekte tatsächlich Hand <strong>in</strong> Hand<br />

g<strong>in</strong>gen und man mit solchen Vere<strong>in</strong>fachungen historischer +Realität* natürlich nie gerecht<br />

wird.<br />

Der politische Liberalismus, <strong>der</strong> <strong>in</strong> weiten Teilen mit <strong>der</strong> Demokratiebewegung zusammenfällt,<br />

wurzelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Aufklärung, und als wichtigster Denker <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

kann, wie bereits angemerkt, John Locke gelten. Vor allem das Pr<strong>in</strong>zip verfassungsmäßig ver-<br />

ankerter und staatlich garantierter Grundrechte, das den Bürger vor (politisch-staatlicher) Willkür<br />

schützen soll und geradezu e<strong>in</strong> konstitutives Element liberaler For<strong>der</strong>ungen darstellt, geht<br />

auf ihn zurück (siehe S. 26f.). Die heute <strong>in</strong> liberalen Demokratien gewährleisteten Grundrechte<br />

lassen sich <strong>in</strong> Anlehnung an Thomas Marshall <strong>in</strong> drei, auch historisch abgrenzbare Gruppen<br />

bzw. Kategorien e<strong>in</strong>teilen: Zunächst wurden im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t die bürgerlichen (Abwehr-)Rechte<br />

gegenüber dem Staat erstritten. Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t konnten dann demokratische bzw. politische<br />

(Mitwirkungs-)Rechte errungen werden. Soziale (Anspruchs-)Rechte wurden erst im Rahmen<br />

des Wohlfahrtsstaats des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts weitgehend verwirklicht. (Vgl. Staatsbürgerrechte<br />

und soziale Klassen; S. 42f.) 121

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