Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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38 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE bringt Voegelin jedoch weniger neue, als vielmehr die klassischen antiken Politikkonzepte sowie christliche Werte ins Spiel. Denn es geht ihm um die +Wiederherstellung der Wahrheit der kosmischen Ordnung*, weshalb es +die Entdeckung Platons neu zu entdecken [gilt]: daß eine Gesellschaft als ein geordnetes Kosmion, als ein Repräsentant kosmischer Ordnung existieren muß, um sich den Luxus erlauben zu können, auch die Wahrheit der Seele zu repräsentieren* (S. 230). Nur: zu einer solchen Restauration schien die Welt wenig Bereitschaft zu zeigen. Einen +Hoffnungsstrahl* sah Voegelin aber doch: +Denn die amerikanischen und englischen Demokratien, die in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele am stärksten repräsentieren, sind gleichzeitig auch die existentiell stärksten Mächte. Aber es wird aller unserer Anstrengungen bedürfen, um diesen Funken zu einer Flamme zu entfachen […].* (Ebd.; S. 266) Kein Wunder, daß Voegelin seine Hoffnungen auf die extrem konservative Politik Eisenhowers und Churchils richtete, die einen anti-liberalen sowie vor allem anti-sozialistischen Kurs steuerten 95 und damit wesentlich zur Dynamik des +Kalten Kriegs* beitrugen. Speziell in den USA machte sich darüber hinaus in der Nachkriegszeit ein kulturkritischer +New Conservatism* breit, der mit seinen rückwärtsgewandten Vorstellungen zu einer starken Kraft in der amerikanischen Gesellschaft wurde (vgl. Chapman: Der Neukonservatismus). Seit den 80er Jahren läßt sich ganz allgemein von einer +Renaissance* des Konservatismus sprechen. 96 SOZIALISMUS Man kann die Ursprünge des Sozialismus bzw. Kommunismus bereits in der Antike ansetzen. 97 Insbesondere Platons politische Ideen bieten hierzu gewisse Ansatzpunkte. Der +eigentliche* Sozialismus ist jedoch – wie der Konservatismus – ein +Kind* des 19. Jahrhunderts. Allerdings gibt es eine (neuzeitliche) +frühsozialistische* Tradition, an die angeknüpft werden konnte und die bis ins 18. Jahrhundert und davor zurückreicht. 98 Das Land mit der reichsten frühsozialistischen Tradition ist Frankreich. Hier sind vor allem die Namen Fraçois Noël Babeuf (1760–97), Claude-Heri de Saint-Simon (1760–1825), Charles Fourier (1772–1837), Etienne Cabet (1788–1856), Louis Blanc (1811–82), Louis-Auguste Blanqui (1805–81) und Pierre Joseph Proudhon (1809–65) zu nennen. Babeuf war einer der wenigen politischen Führer der Französischen Revolution, die egalitär-sozialistische Vorstellungen vertraten

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 39 99 (gemeinsamer Besitz an Grund und Boden, Abschaffung des Erbrechts etc.). Weniger revo- lutionär eingestellt und vor allem eher theoretisch-wissenschaftlich orientiert war dagegen sein Zeitgenosse Saint-Simon, dessen wesentliche soziologische Gedanken bereits vorgestellt wurden (siehe S. XVIII). Die eher gemäßigte Orientierung gilt ebenso für Fourier, Blanc und Proudhon. Sie erarbeiteten auch detaillierte ökonomische Modelle, die – in Anlehnung an Owen (siehe unten) – den Gedanken der Produzenten- und Konsumgenossenschaft aufgriffen. 100 Cabet knüpfte dagegen an die Tradition des frühneuzeitlichen utopischen Denkens an (siehe dazu auch S. 33 sowie Anmerkung 87) und entwarf mit dem idealen Staat +Iakrien* eine Gesellschaft, die durch den industriell-technischen Fortschritt zu einer Verwirklichung des 101 Gleichheitsgedankens gelangt. Blanqui wiederum war, wie Babeuf, ein Mann der Tat, agitierte im Rahmen der neuerlichen Revolution von 1830 und forderte – wie später in Anlehnung an ihn Marx und Engels – eine +Diktatur des Proletariats*. Soweit zum französischen Frühsozialismus. In England gibt es im wesentlichen zwei Namen, die in diesem Kontext zu nennen sind: William Godwin (1756–1836) und Robert Owen (1771–1858). Godwin war ein nicht nur räumlich, sondern auch emotional distanzierter Beo- bachter der Französischen Revolution, gleichzeitig jedoch ein scharfer Kritiker des bürgerlichen 102 103 Besitzindividualismus. Er maß (ähnlich wie Rousseau) der Erziehung großen Stellenwert bei, um aus dem Menschen ein wirklich freies, dabei aber moralisch handelndes Individuum zu machen. Ökonomisch-politisch forderte er eine gerechte Verteilung des Eigentums sowie die Zerschlagung des Staates. Was die Lösung von sozialen Konflikten betrifft, so vertraute er auf das Mittel der vernünftigen Diskussion (kann also gewissermaßen als einer der ersten +Diskurstheoretiker* gelten) und favorisierte die Selbstorganisation der Individuen gegenüber Lenkungsmodellen (weshalb er häufig auch dem Anarchismus zugerechnet wird). 104 Robert Owen war aus eigener Kraft zum wohlhabenden Industriellen aufgestiegen, der in seinen Spinnerei-Betrieben vorbildliche Sozialmaßnahmen eingeführt hatte und sich in seinen politischen Vorstellungen mit der Zeit immer mehr an die Positionen der Arbeiterschaft annäher- te. 1825 versuchte Owen in Indiana eine Gemeinschaftssiedlung mit dem klangvollen Namen +New Harmony* aufzubauen. Dieser Versuch scheiterte ironischerweise ausgerechnet infolge innerer Streitigkeiten und so kehrte er nach drei Jahren (um den Großteil seines Vermögens erleichtert) zurück nach England. Auch dort blieb Owen aber weiterhin aktiv und gründete eine +Arbeitstauschbörse*, die durch Äquivalenttausch in Form von +Arbeitsgeldzertifikaten*

38 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

br<strong>in</strong>gt Voegel<strong>in</strong> jedoch weniger neue, als vielmehr die klassischen antiken <strong>Politik</strong>konzepte<br />

sowie christliche Werte <strong>in</strong>s Spiel. Denn es geht ihm um die +Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Wahrheit<br />

<strong>der</strong> kosmischen Ordnung*, weshalb es +die Entdeckung Platons neu zu entdecken [gilt]: daß<br />

e<strong>in</strong>e Gesellschaft als e<strong>in</strong> geordnetes Kosmion, als e<strong>in</strong> Repräsentant kosmischer Ordnung existieren<br />

muß, um sich den Luxus erlauben zu können, auch die Wahrheit <strong>der</strong> Seele zu repräsentieren*<br />

(S. 230). Nur: zu e<strong>in</strong>er solchen Restauration schien die Welt wenig Bereitschaft zu zeigen.<br />

E<strong>in</strong>en +Hoffnungsstrahl* sah Voegel<strong>in</strong> aber doch:<br />

+Denn die amerikanischen und englischen Demokratien, die <strong>in</strong> ihren Institutionen die Wahrheit <strong>der</strong><br />

Seele am stärksten repräsentieren, s<strong>in</strong>d gleichzeitig auch die existentiell stärksten Mächte. Aber es<br />

wird aller unserer Anstrengungen bedürfen, um diesen Funken zu e<strong>in</strong>er Flamme zu entfachen […].*<br />

(Ebd.; S. 266)<br />

Ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, daß Voegel<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Hoffnungen auf die extrem konservative <strong>Politik</strong> Eisenhowers<br />

und Churchils richtete, die e<strong>in</strong>en anti-liberalen sowie vor allem anti-sozialistischen Kurs steuerten<br />

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und damit wesentlich zur Dynamik des +Kalten Kriegs* beitrugen. Speziell <strong>in</strong> den USA machte<br />

sich darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit e<strong>in</strong> kulturkritischer +New Conservatism* breit, <strong>der</strong><br />

mit se<strong>in</strong>en rückwärtsgewandten Vorstellungen zu e<strong>in</strong>er starken Kraft <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Gesellschaft wurde (vgl. Chapman: Der Neukonservatismus). Seit den 80er Jahren läßt sich<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>er +Renaissance* des Konservatismus sprechen. 96<br />

SOZIALISMUS<br />

Man kann die Ursprünge des Sozialismus bzw. Kommunismus bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Antike ansetzen. 97<br />

Insbeson<strong>der</strong>e Platons politische Ideen bieten hierzu gewisse Ansatzpunkte. Der +eigentliche*<br />

Sozialismus ist jedoch – wie <strong>der</strong> Konservatismus – e<strong>in</strong> +K<strong>in</strong>d* des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

gibt es e<strong>in</strong>e (neuzeitliche) +frühsozialistische* Tradition, an die angeknüpft werden konnte<br />

und die bis <strong>in</strong>s 18. Jahrhun<strong>der</strong>t und davor zurückreicht. 98<br />

Das Land mit <strong>der</strong> reichsten frühsozialistischen Tradition ist Frankreich. Hier s<strong>in</strong>d vor allem<br />

die Namen Fraçois Noël Babeuf (1760–97), Claude-Heri de Sa<strong>in</strong>t-Simon (1760–1825), Charles<br />

Fourier (1772–1837), Etienne Cabet (1788–1856), Louis Blanc (1811–82), Louis-Auguste Blanqui<br />

(1805–81) und Pierre Joseph Proudhon (1809–65) zu nennen. Babeuf war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen<br />

politischen Führer <strong>der</strong> Französischen Revolution, die egalitär-sozialistische Vorstellungen vertraten

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