Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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36 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE das Gegenteil behaupten: Der Konservatismus des frühen 19. Jahrhunderts war weniger eine bewahrende als eine reaktionäre Gegenbewegung (des Adels und des hohen Klerus) gegen die Emanzipationsversuche des Bürgertums, den politischen Liberalismus und später auch den Sozialismus, doch +vornehmlich und zuallererst gegenüber der Französischen Revolution von 1789* (Göhler/Klein: Politische Theorien des 19. Jahrhunderts; S. 297). 89 Das konservative Denken ist – trotz dieser klaren historischen Gegenstellung – in sich inho- 90 mogen. Eine Reihe von Charakteristika lassen sich jedoch, ohne allzu große (strukturierende) +Gewalt* anzuwenden, verallgemeinern und werden auch in relativer Übereinstimmung von verschiedenen Konservatismus-Interpreten genannt: • die religiöse und traditionalistische Prägung des Konservativismus • damit verbunden seine antirationalistische, antiaufklärerische und antimoderne Einstellung • die Vorstellung einer organisch gewachsenen Gesellschaft • Geschichts- und Traditionsbewußtsein • hierarchisches und autoritätsbejahendes, teilweise elitäres Denken • die Betonung der Gemeinschaft, unter die sich der einzelne unterzuordnen hat • Einheit, Stabilität, Ordnung und Pflichterfüllung als zentrale Werte 91 Als paradigmatischer Denker des (frühen) Konservatismus gilt Edmund Burke (1729–1797), der bereits 1790 seine von scharfer Ablehnung geprägten +Betrachtungen über die französische Revolution* vorlegte. In dieser Schrift stellt er das (positive) Prinzip +historisch gewachsener* politischer Strukturen der +künstlichen* und abstrakten Konstruktion des (egalitären) Verfassungs- staats gegenüber (den die Revolutionäre in Frankreich zu errichten trachteten). Für ihn war Revolution +die letzte Arznei eines Staates* (S. 112), die nur angewendet werden sollte, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Denn die historisch gewachsene politische Ordnung entspricht der gottgegebenen Ordnung der Natur, und eine widernatürliche Verfassung der Gesellschaft – d.h. für Burke: eine politische Ordnung die das ständische System in Frage stellt – entspricht einem +offenen Krieg mit der Natur* (ebd.; S. 91). Burke prägte den politischen Konservatismus des 19. Jahrhunderts in Deutschland maßgeblich, für den Namen wie Karl Ludwig Haller (1768–1854), Friedrich von Hardenberg (1772–1801), Adam Müller (1779–1829) oder auch Julius Stahl (1802–61) und Lorenz von Stein (1815–90)
KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 37 92 stehen. Der in seinen Ausprägungen stark differierende Politikbegriff des Konservatismus soll allerdings anhand der Politikkonzepte zweier konservativer politischer Autoren des 20. Jahrhunderts dargestellt werden: Carl Schmitt (1888–1985) und Eric Voegelin (1901–85). Schmitt hat explizit zum +Begriff des Politischen* (1927) Stellung genommen. Die Gleichsetzung des Politischen mit dem Staatlichen lehnt er in jener vielfach rezipierten Schrift ab, da ihm diese ungenügend und tautologisch erscheint: +Im allgemeinen wird ›Politisch‹ in irgendeiner Weise mit ›Staatlich‹ gleichgesetzt oder wenigstens auf den Staat bezogen. Der Staat erscheint dann als etwas Politisches, das Politische aber als etwas Staatliches – offenbar ein unbefriedigender Zirkel […] Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden […] Die spezifisch politische Unterscheidung [aber], auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.* (S. 21–26) Die politische Einheit (eines Volkes) konstituiert sich nämlich erst in der Gegnerschaft zu einen solchen Feind, was auch die Bereitschaft zur Anwendung von (militärischer) Gewalt notwendig mit einschließt (vgl. ebd.; S. 28–37). Schmitts +revolutionärer* Konservatismus zeigt mit derartigen Bestimmungen Berührungspunkte zur (Vernichtung-)Ideologie des Nationalsozialismus, und in der Tat stand er dem NS-Regime nahe. Eine Nähe des Konservatismus zum Faschismus ist verschiedentlich im Allgemeinen 93 behauptet worden (vgl. z.B. Lukács: Die Zerstörung der Vernunft; S. 622–662), und auch Ernst Nolte gesteht zu, +daß der Nationalsozialismus im engsten Zusammenhang mit konser- vativen Kräften emporgewachsen ist* (Konservatismus und Nationalsozialismus; S. 259). Trotzdem sollte man Faschismus und Konservatismus nicht gleichsetzen. Schließlich zeichnet sich die faschistische Ideologie (und hier stimme ich mit Nolte überein) durch eine eigentümliche Ambivalenz aus, indem sie Elemente eines nationalistisch-chauvinistischen Konservatismus 94 mit (pseudo-)sozialistischen Phrasen sowie einem haßerfüllten Rassismus verbindet. Darüber hinaus (und wahrscheinlich gerade wegen dieser unausgegorenen Melange sowie dem +prole- tarischen Element* des Nationalsozialismus) waren viele Konservative dem Hitler-Regime kritisch bis ablehnend gegenüber eingestellt. Das gilt auch für Eric Voegelin. Zu Voegelins bedeutendsten Schriften zählt +Die neue Wissenschaft der Politik* (1952). Eine solche ist für ihn notwendig, weil es seiner Meinung nach vor allem durch den Positivismus zu einem Verfall der politischen Prinzipien gekommen ist. Als +Heilmittel* gegen diesen Verfall
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36 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
das Gegenteil behaupten: Der Konservatismus des frühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts war weniger e<strong>in</strong>e<br />
bewahrende als e<strong>in</strong>e reaktionäre Gegenbewegung (des Adels und des hohen Klerus) gegen<br />
die Emanzipationsversuche des Bürgertums, den politischen Liberalismus und später auch<br />
den Sozialismus, doch +vornehmlich und zuallererst gegenüber <strong>der</strong> Französischen Revolution<br />
von 1789* (Göhler/Kle<strong>in</strong>: Politische Theorien des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts; S. 297). 89<br />
Das konservative Denken ist – trotz dieser klaren historischen Gegenstellung – <strong>in</strong> sich <strong>in</strong>ho-<br />
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mogen. E<strong>in</strong>e Reihe von Charakteristika lassen sich jedoch, ohne allzu große (strukturierende)<br />
+Gewalt* anzuwenden, verallgeme<strong>in</strong>ern und werden auch <strong>in</strong> relativer Übere<strong>in</strong>stimmung von<br />
verschiedenen Konservatismus-Interpreten genannt:<br />
• die religiöse und traditionalistische Prägung des Konservativismus<br />
• damit verbunden se<strong>in</strong>e antirationalistische, antiaufklärerische und antimo<strong>der</strong>ne E<strong>in</strong>stellung<br />
• die Vorstellung e<strong>in</strong>er organisch gewachsenen Gesellschaft<br />
• Geschichts- und Traditionsbewußtse<strong>in</strong><br />
• hierarchisches und autoritätsbejahendes, teilweise elitäres Denken<br />
• die Betonung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, unter die sich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne unterzuordnen hat<br />
• E<strong>in</strong>heit, Stabilität, Ordnung und Pflichterfüllung als zentrale Werte 91<br />
Als paradigmatischer Denker des (frühen) Konservatismus gilt Edmund Burke (1729–1797),<br />
<strong>der</strong> bereits 1790 se<strong>in</strong>e von scharfer Ablehnung geprägten +Betrachtungen über die französische<br />
Revolution* vorlegte. In dieser Schrift stellt er das (positive) Pr<strong>in</strong>zip +historisch gewachsener*<br />
politischer Strukturen <strong>der</strong> +künstlichen* und abstrakten Konstruktion des (egalitären) Verfassungs-<br />
staats gegenüber (den die Revolutionäre <strong>in</strong> Frankreich zu errichten trachteten). Für ihn war<br />
Revolution +die letzte Arznei e<strong>in</strong>es Staates* (S. 112), die nur angewendet werden sollte, wenn<br />
alle an<strong>der</strong>en Mittel versagt haben. Denn die historisch gewachsene politische Ordnung entspricht<br />
<strong>der</strong> gottgegebenen Ordnung <strong>der</strong> Natur, und e<strong>in</strong>e wi<strong>der</strong>natürliche Verfassung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
– d.h. für Burke: e<strong>in</strong>e politische Ordnung die das ständische System <strong>in</strong> Frage stellt – entspricht<br />
e<strong>in</strong>em +offenen Krieg mit <strong>der</strong> Natur* (ebd.; S. 91).<br />
Burke prägte den politischen Konservatismus des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>in</strong> Deutschland maßgeblich,<br />
für den Namen wie Karl Ludwig Haller (1768–1854), Friedrich von Hardenberg (1772–1801),<br />
Adam Müller (1779–1829) o<strong>der</strong> auch Julius Stahl (1802–61) und Lorenz von Ste<strong>in</strong> (1815–90)