Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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18 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Der Augustinermönch und Schüler des Thomas, Aegidius Romanus (ca. 1245–1316), hat es schließlich unternommen, den päpstlichen Universalanspruch, der während des Pontifikats von Bonifaz VIII. (1294–1303) noch einmal vehement vorgetragen wurde, mit seinem Traktat +De ecclesiastica potestate* scholastisch zu untermauern. Gegen Ende des 14. Jahrhundert strebt aber (gewissermaßen als Vorgeschmack zur sich anbahnenden Reformation) auch die theoretische Entwicklung unaufhaltsam in Richtung Neuzeit. Ansätze dazu finden sich z.B. 42 bei Wilhelm von Ockham und John Wyclif. Am deutlichsten tritt diese Tendenz aber bei Marsilius von Padua (ca. 1290–1343) zutage. Zwar stellt er 1324 in seiner Schrift +Defensor pacis* (Verteidiger des Friedens) ebenfalls den Ordnungsgedanken in den Mittelpunkt, doch versuchte er erstmals so etwas wie einen Primat der Politik zu begründen – eine gefährliche Provokation der Kirche, die er mit einer Verurteilung wegen Häresie bezahlen mußte und so gezwungen war, sich unter die Obhut Ottos von Bayern zu begeben, dem er seine Schrift gewidmet hatte. Welche Begründung gibt Marsilius von Padua für seine damals so +revolutionär* anmutende Forderung für einen +Primat der Politik*? – Wie erwähnt, betrachtet auch Marsilius Friede und Ordnung als höchste Güter und befindet sich darin selbstverständlich noch ganz im Einklang mit der Tradition seit Augustinus. Seiner Auffassung nach können beide jedoch nur dann wirklich gedeihen, wenn die Führung des Gemeinwesens ungespalten in einer Hand vereinigt liegt: +In einer einzigen Stadt oder einem einzigen Staat darf es nur eine einzige Regierung geben […]* (Verteidiger des Friedens; Band 1, S. 205 [Kap. 17, § 1]) 43 Diese ungeteilte Herrschaft gebührt nun aber gemäß Marsilius unzweifelhaft den weltlichen Instanzen und nicht der Kurie. Die päpstlichen Machtansprüche, die unter Verweis auf die pontifikale Nachfolge Christi als +König der Könige* (Offenbarung 19,16) erhoben werden, weist er in klaren Worten zurück: +Denn keinem römischen […] Bischof, keinem Priester oder geistlichem Diener als solchem kommt […] das zwingende Regierungsamt zu […]* (Verteidiger des Friedens; Band 1, S. 245 [Kap. 19, § 12]) Zur Unterstützung seiner Argumentation sucht er Rückhalt bei Aristoteles, denn schon gemäß diesem sei die priesterliche Amtsausübung vom politischen Amt zu trennen und zu unterscheiden,
KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 19 44 so Marsilius. Es handelt sich hier um den offensichtlichen Versuch, unter Verweis auf die damals außer Frage stehende Autorität des antiken Philosophen, eine für mittelalterliche Verhältnisse durchaus gewagte These zu begründen. Die Kirche stellte schließlich nicht nur einen bedeutenden Machtfaktor dar, sondern das antike philosophische Erbe wurde auch nahezu ausschließlich unter ihrem Dach verwaltet und damit in Beschlag genommen. Philosophie war also im Mittelalter praktisch wie theoretisch weitgehend in den Kontext der Theologie eingebunden. Diese lange Zeit währende Verquickung zwischen Philosophie und Theologie begann sich erst mit dem Heraufkommen der Neuzeit zu lösen. 1.2 DER WANDEL DES POLITIKVERSTÄNDNISSES IN DER NEUZEIT 45 In der Überschrift zu diesem Abschnitt wird wie selbstverständlich die Behauptung aufgestellt, daß es in der Neuzeit zu einen Wandel des Politikverständnisses kam. Nur: Welches Politik- verständnis soll sich gewandelt haben, auf welches der vielen vorgestellten Konzepte wird mit dieser These Bezug genommen? – Denn die vorangegangene Erörterung hat, wenn über- haupt, so doch eines gezeigt: daß es einen einheitlichen Politikbegriff weder in der Antike noch im Mittelalter und schon gar nicht epochenübergreifend gegeben hat. Trotzdem läßt sich (wenn man sich auf die dominanten Diskurse konzentriert, Einzelphänomene und Neben- strömungen außer acht läßt) eine Gemeinsamkeit ausmachen (oder vielmehr konstruieren). Diese Gemeinsamkeit besteht darin, daß in der sowohl Antike wie im Mittelalter vor allem im politischen Denken, aber auch in der Praxis keine autonome Sphäre des Politischen existierte. Politisches Handeln wurde an den übergreifenden Normen eines essentialistischen Konzepts von +Gerechtigkeit* gemessen und war, wenn man es nicht sogar als Synonym für soziales Handeln schlechthin betrachten will, eingebettet und verankert in einen gesellschaftlichen Totalzusammenhang. Das änderte sich ab der Renaissance. Der Schleier, +gewoben aus Glauben, Kindheitsbefangenheit und Wahn* (Die Kultur der Renaissance in Italien; S. 123), der im Mittelalter über dem Bewußtsein lag, wurde endlich gelüftet, wie Jacob Burckhardt geradezu euphorisch diagnostiziert. Auch weniger euphorisch kann man aber von einer Epoche des Neubeginns sprechen. Dieser Neubeginn erfolgte zwar im Rekurs auf die Antike, ließ diese aber tatsächlich hinter sich. Individualität werde zum Wert an sich, und auch die Politik versuchte sich immer mehr nicht
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so Marsilius. Es handelt sich hier um den offensichtlichen Versuch, unter Verweis auf die<br />
damals außer Frage stehende Autorität des antiken Philosophen, e<strong>in</strong>e für mittelalterliche<br />
Verhältnisse durchaus gewagte These zu begründen. Die Kirche stellte schließlich nicht nur<br />
e<strong>in</strong>en bedeutenden Machtfaktor dar, son<strong>der</strong>n das antike philosophische Erbe wurde auch<br />
nahezu ausschließlich unter ihrem Dach verwaltet und damit <strong>in</strong> Beschlag genommen. Philosophie<br />
war also im Mittelalter praktisch wie theoretisch weitgehend <strong>in</strong> den Kontext <strong>der</strong> Theologie<br />
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begann sich erst mit dem Heraufkommen <strong>der</strong> Neuzeit zu lösen.<br />
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In <strong>der</strong> Überschrift zu diesem Abschnitt wird wie selbstverständlich die Behauptung aufgestellt,<br />
daß es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neuzeit zu e<strong>in</strong>en Wandel des <strong>Politik</strong>verständnisses kam. Nur: Welches <strong>Politik</strong>-<br />
verständnis soll sich gewandelt haben, auf welches <strong>der</strong> vielen vorgestellten Konzepte wird<br />
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noch im Mittelalter und schon gar nicht epochenübergreifend gegeben hat. Trotzdem läßt<br />
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Diese Geme<strong>in</strong>samkeit besteht dar<strong>in</strong>, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowohl Antike wie im Mittelalter vor allem<br />
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Politisches Handeln wurde an den übergreifenden Normen e<strong>in</strong>es essentialistischen Konzepts<br />
von +Gerechtigkeit* gemessen und war, wenn man es nicht sogar als Synonym für soziales<br />
Handeln schlechth<strong>in</strong> betrachten will, e<strong>in</strong>gebettet und verankert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen<br />
Totalzusammenhang.<br />
Das än<strong>der</strong>te sich ab <strong>der</strong> Renaissance. Der Schleier, +gewoben aus Glauben, K<strong>in</strong>dheitsbefangenheit<br />
und Wahn* (Die Kultur <strong>der</strong> Renaissance <strong>in</strong> Italien; S. 123), <strong>der</strong> im Mittelalter über dem<br />
Bewußtse<strong>in</strong> lag, wurde endlich gelüftet, wie Jacob Burckhardt geradezu euphorisch diagnostiziert.<br />
Auch weniger euphorisch kann man aber von e<strong>in</strong>er Epoche des Neubeg<strong>in</strong>ns sprechen. Dieser<br />
Neubeg<strong>in</strong>n erfolgte zwar im Rekurs auf die Antike, ließ diese aber tatsächlich h<strong>in</strong>ter sich.<br />
Individualität werde zum Wert an sich, und auch die <strong>Politik</strong> versuchte sich immer mehr nicht