Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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16 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 38 Theorien im Mittelalter; S. 48). Die Sphären Gesellschaft, Politik und Religion hatten sich noch nicht verselbständigt. Genau eine getrennte Betrachtung von Politik und Religion, vom irdischen und vom Gottesstaat findet sich aber bei Augustinus. Seine Position kann in dieser Hinsicht als +untypisch* für das antik-mittelalterliche Denken betrachtet werden, ist – da vom Manichäismus beeinflußt – streng dualistisch und nicht von der Dualität von Weltlichkeit und Geistlichkeit geprägt. Die Glückseligkeit, die gemäß den antiken griechischen Philosophen noch durch den wohlgeordneten Staat verwirklicht werden sollte und konnte, ist für ihn endgültig in den Bereich des Metaphysischen verlagert. Auch die gerechte Herrschaft eines christlichen Monarchen vermag bestenfalls die Übel des irdischen Seins zu mindern, aber niemals zu beseitigen. Das +realistische* Ziel der Politik ist deshalb für Augustinus schlicht die Gewährleistung eines basalen Friedens, die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Dazu müssen alle im Staatswesen beitragen, denn: +[…] der Friede des Staates [besteht] in der geordneten Eintracht der Bürger im Befehlen und Gehorchen […]* (Vom Gottesstaat; Band 2, S. 552 [XIX,13]) Dem hätte allerdings sicher auch der +heilige* Thomas von Aquin (1225–74) zugestimmt, der den Höhepunkt der mittelalterlichen Scholastik markiert, in der die antike Philosophie (vor allem die des Aristoteles) eine Renaissance erlebte, dabei aber einer christilichen Uminter- pretation unterzogen wurde. Aristoteles’ Werke zur praktischen Philosophie galten lange Zeit als verschollen und kamen erst Anfang des 13. Jahrhunderts (über den Umweg arabischer Quellen) nach Mitteleuropa – deshalb diese erst so spät einsetzende Rezeption. Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln, fertigte um 1246 aber schließlich eine erste vollständige lateinische Übersetzung der +Nikomachischen Ethik* an. Durch die Übersetzungsarbeit des niederländische Dominikaners Wilhelm von Moerbeke wurde ein weiteres Jahrzehnt später auch die +Politik* in einer lateinischen Fassung zugänglich. 39 Thomas, ebenfalls Dominikaner und in Kontakt mit Moerbeke stehend, begann 1267 einen scholastischen Kommentar zur +Politik* zu verfassen und arbeitete gleichzeitig an seiner zentralen politischen Schrift: +De regimine principum* (Über die Herrschaft der Fürsten). Er stellt hier das Führungsargument in den Mittelpunkt. Zwar gesteht er zu: Wäre das menschliche Dasein vereinzelt, so genügte die Leitung der individuellen Vernunft. Da der Mensch aber, wie er in Anlehnung an Aristoteles formuliert, von Natur aus in Gemeinschaft lebt, sollte die Vernunft

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 17 eines einzelnen allen anderen die Richtung weisen, um die Vielheit des Gemeinwesens zusammenzuhalten. Das so begründete Herrscheramt ist aber (anders als später z.B. bei Marsilius und ganz in antik-christlicher Tradition verhaftet) dem allgemeinen Wohl (bonum commune) ausdrücklich verpflichtet: +Ein König ist, wer über die Gesellschaft einer Stadt oder einer Land- schaft gebietet, und zwar um ihrem Gemeinwohl zu dienen* (S. 18 [Kap. 1]). Diese Gemeinwohl- verpflichtung gilt, da der Herrscher einzig von Gott an diese hervorragende Stelle gesetzt wurde. Er ist also nicht eigenmächtig, sondern schöpft von der +göttlichen Allmacht*. Die ihm verliehene Gewalt darf er folglich nur zum Wohle aller gebrauchen, und er muß auch für die Möglichkeit zur +sittlichen Vervollkommnung* seiner Untertanen Sorge tragen: +Dessen muß sich also ein König bewußt sein: daß er das Amt auf sich genommen hat, seinem Königreiche das zu sein, was die Seele für den Leib und Gott für die Welt bedeutet. Wenn er dies mit Fleiß bedenkt, wird in ihm wohl der Eifer der Gerechtigkeit entbrennen, da er erwägt, daß er nur deshalb auf seinen Platz gestellt ist, um an Gottes Statt in seinem Reiche Urteil zu sprechen.* (Ebd.; S. 74f. [Kap. 12]) Die weltliche Gewalt bleibt also bei Thomas, obwohl er der Forderung +Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist!* grundsätzlich zustimmt, rückgebunden an die +göttliche Transzendenz* 40 und ist in Angelegenheiten des +Seelenheils* sogar der Geistlichkeit klar untergeordnet. Entlang dieser Linie argumentieren fast alle Denker des Hochmittelalters. Schließlich war die Bedeutung der Kirche groß und ihr Einfluß umfassend. Sie hatte nicht nur immense Besitzungen – spätestens seit Gregor VII. (1073–85) erhob sie einen Führungsanspruch, der sich auch auf den politischen Bereich erstreckte. Der Papst beanspruchte nun nicht nur das Recht zur Ernennung der geistlichen Würdenträger, sondern auch zur Ein- und Absetzung der weltlichen Herrscher. Dem Übergriff auf ihre Machtsphäre versuchten diese sich natürlich zu entziehen, doch zunächst mußten sie vor der kirchlichen Autorität, die mit Exkommunizierung drohte, kapitulieren: Der sprichwörtliche gewordene Bußgang Heinrichs IV. nach Canossa im Jahr 1077 ist Symbol der Niederlage der weltlichen Politik im Investiturstreit des 11. Jahrhunderts. Der sich abzeich- nende Gegensatz zwischen Kirche und Staat führte bei allen Auseinandersetzungen aber niemals zur generellen Anzweifelung der dualen sozialen Ordnung: Der einzelne blieb in der ständisch- feudalen Gesellschaft des Mittelalters sowohl Spielball der königlich-fürstlichen wie der päpstlich- klerikalen Herrschaft. Theologie und Politik waren (noch) untrennbar ineinander verquickt, wobei erstere den Rahmen des Politischen absteckte. 41

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Theorien im Mittelalter; S. 48). Die Sphären Gesellschaft, <strong>Politik</strong> und Religion hatten sich<br />

noch nicht verselbständigt. Genau e<strong>in</strong>e getrennte Betrachtung von <strong>Politik</strong> und Religion, vom<br />

irdischen und vom Gottesstaat f<strong>in</strong>det sich aber bei August<strong>in</strong>us. Se<strong>in</strong>e Position kann <strong>in</strong> dieser<br />

H<strong>in</strong>sicht als +untypisch* für das antik-mittelalterliche Denken betrachtet werden, ist – da vom<br />

Manichäismus bee<strong>in</strong>flußt – streng dualistisch und nicht von <strong>der</strong> Dualität von Weltlichkeit<br />

und Geistlichkeit geprägt. Die Glückseligkeit, die gemäß den antiken griechischen Philosophen<br />

noch durch den wohlgeordneten Staat verwirklicht werden sollte und konnte, ist für ihn endgültig<br />

<strong>in</strong> den Bereich des Metaphysischen verlagert. Auch die gerechte Herrschaft e<strong>in</strong>es christlichen<br />

Monarchen vermag bestenfalls die Übel des irdischen Se<strong>in</strong>s zu m<strong>in</strong><strong>der</strong>n, aber niemals zu<br />

beseitigen. Das +realistische* Ziel <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> ist deshalb für August<strong>in</strong>us schlicht die Gewährleistung<br />

e<strong>in</strong>es basalen Friedens, die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Dazu müssen alle im<br />

Staatswesen beitragen, denn:<br />

+[…] <strong>der</strong> Friede des Staates [besteht] <strong>in</strong> <strong>der</strong> geordneten E<strong>in</strong>tracht <strong>der</strong> Bürger im Befehlen und Gehorchen<br />

[…]* (Vom Gottesstaat; Band 2, S. 552 [XIX,13])<br />

Dem hätte allerd<strong>in</strong>gs sicher auch <strong>der</strong> +heilige* Thomas von Aqu<strong>in</strong> (1225–74) zugestimmt,<br />

<strong>der</strong> den Höhepunkt <strong>der</strong> mittelalterlichen Scholastik markiert, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die antike Philosophie<br />

(vor allem die des Aristoteles) e<strong>in</strong>e Renaissance erlebte, dabei aber e<strong>in</strong>er christilichen Um<strong>in</strong>ter-<br />

pretation unterzogen wurde. Aristoteles’ Werke zur praktischen Philosophie galten lange Zeit<br />

als verschollen und kamen erst Anfang des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts (über den Umweg arabischer<br />

Quellen) nach Mitteleuropa – deshalb diese erst so spät e<strong>in</strong>setzende Rezeption. Robert<br />

Grosseteste, Bischof von L<strong>in</strong>coln, fertigte um 1246 aber schließlich e<strong>in</strong>e erste vollständige<br />

late<strong>in</strong>ische Übersetzung <strong>der</strong> +Nikomachischen Ethik* an. Durch die Übersetzungsarbeit des<br />

nie<strong>der</strong>ländische Dom<strong>in</strong>ikaners Wilhelm von Moerbeke wurde e<strong>in</strong> weiteres Jahrzehnt später<br />

auch die +<strong>Politik</strong>* <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er late<strong>in</strong>ischen Fassung zugänglich. 39<br />

Thomas, ebenfalls Dom<strong>in</strong>ikaner und <strong>in</strong> Kontakt mit Moerbeke stehend, begann 1267 e<strong>in</strong>en<br />

scholastischen Kommentar zur +<strong>Politik</strong>* zu verfassen und arbeitete gleichzeitig an se<strong>in</strong>er zentralen<br />

politischen Schrift: +De regim<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>cipum* (Über die Herrschaft <strong>der</strong> Fürsten). Er stellt hier<br />

das Führungsargument <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Zwar gesteht er zu: Wäre das menschliche Dase<strong>in</strong><br />

vere<strong>in</strong>zelt, so genügte die Leitung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Vernunft. Da <strong>der</strong> Mensch aber, wie er<br />

<strong>in</strong> Anlehnung an Aristoteles formuliert, von Natur aus <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft lebt, sollte die Vernunft

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