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FINE Das Weinmagazin - 04/2016

FINE DAS WEINMAGAZIN, 35. AUSGABE - 04/2016 Champagne Die Union des Maisons de Champagne Champagne Moët & Chandon Champagne Perrier-Jouët Champagne Lanson Champagne Pol Roger Champagne Nicolas Feuillatte Tasting Jahrgangschampagner Champagne Dreimal Heidsieck Tasting Charles Heidsieck, Piper-Heidsieck Tasting Rheinhessen trifft Champagne Krug Weitere Themen sind: Kalifornien Kalifornien – ein Wein-Traum Kalifornien Newton Vineyard Kalifornien Vérité Winery Kalifornien Schrader Cellars Genießen Fleisch oder Fisch – Bordeaux geht immer Tasting Nederburg Wine Estate Piemont Gianluca und Elio Grasso Tasting Wein, Luft und der kleine Unterschied Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant Horváth, Berlin Rioja Bodegas Marqués de Riscal Tasting Einmal rund um die Welt: Sauvignon Blanc Frauen im Wein Marion Ebner-Ebenauer aus dem Weinviertel Tasting Kloster Eberbach: Hundert Jahre Weingeschichte Die Pigott Kolumne Riesling 2015 Essay Warum ist uns der Wein so teuer? Das Große Dutzend Bruno Giacosa, Piemont Die Würtz Kolumne Pinot Noir aus Deutschland Wein und Zeit Die Franzosen am Rhein Pfalz Das Weingut Reichsrat von Buhl Das Bier danach Maronenbier

FINE DAS WEINMAGAZIN, 35. AUSGABE - 04/2016

Champagne Die Union des Maisons de Champagne
Champagne Moët & Chandon
Champagne Perrier-Jouët
Champagne Lanson
Champagne Pol Roger
Champagne Nicolas Feuillatte
Tasting Jahrgangschampagner Champagne Dreimal Heidsieck
Tasting Charles Heidsieck, Piper-Heidsieck Tasting Rheinhessen trifft Champagne Krug

Weitere Themen sind:
Kalifornien Kalifornien – ein Wein-Traum
Kalifornien Newton Vineyard
Kalifornien Vérité Winery
Kalifornien Schrader Cellars
Genießen Fleisch oder Fisch – Bordeaux geht immer
Tasting Nederburg Wine Estate Piemont Gianluca und Elio Grasso
Tasting Wein, Luft und der kleine Unterschied
Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant Horváth, Berlin
Rioja Bodegas Marqués de Riscal Tasting
Einmal rund um die Welt: Sauvignon Blanc
Frauen im Wein Marion Ebner-Ebenauer aus dem Weinviertel
Tasting Kloster Eberbach: Hundert Jahre Weingeschichte
Die Pigott Kolumne Riesling 2015 Essay Warum ist uns der Wein so teuer?
Das Große Dutzend Bruno Giacosa, Piemont
Die Würtz Kolumne Pinot Noir aus Deutschland
Wein und Zeit Die Franzosen am Rhein
Pfalz Das Weingut Reichsrat von Buhl
Das Bier danach Maronenbier

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DAS WEINMAGAZIN<br />

Pfalz: Weingut Reichsrat von Buhl<br />

Stuart Pigott: Riesling 2015<br />

Piemont: Elio Grasso<br />

Kloster Eberbach: Hundert Jahre Weingeschichte<br />

Kalifornien: Die Weinikonen (2)<br />

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DAS WEINMAGAZIN<br />

4/<strong>2016</strong><br />

INHALT<br />

50 Kalifornien: Newton Vineyard<br />

54 Kalifornien: Vérité Winery<br />

62 Kalifornien: Schrader Cellars 28 Jahrgangschampagner<br />

32 Dreimal Heidsieck<br />

12 Die Union des Maisons de Champagne<br />

76 Piemont: Gianluca und Elio Grasso 86 Jürgen Dollase im Horváth, Berlin<br />

94 Rioja: Bodegas Marqués de Riscal<br />

1<strong>04</strong> Frauen im Wein: Marion Ebner-Ebenauer 110 Kloster Eberbach und seine Weine 134 Pfalz: <strong>Das</strong> Weingut Reichsrat von Buhl<br />

100 Tasting: Sauvignon Blanc<br />

118 Warum ist uns der Wein so teuer?<br />

9 <strong>FINE</strong> Editorial Thomas Schröder<br />

12 <strong>FINE</strong> Champagne Die Union des Maisons de Champagne<br />

16 <strong>FINE</strong> Champagne Moët & Chandon<br />

18 <strong>FINE</strong> Champagne Perrier-Jouët<br />

20 <strong>FINE</strong> Champagne Lanson<br />

22 <strong>FINE</strong> Champagne Pol Roger<br />

24 <strong>FINE</strong> Champagne Nicolas Feuillatte<br />

28 <strong>FINE</strong> Tasting Jahrgangschampagner<br />

32 <strong>FINE</strong> Champagne Dreimal Heidsieck<br />

38 <strong>FINE</strong> Tasting Charles Heidsieck, Piper-Heidsieck<br />

42 <strong>FINE</strong> Tasting Rheinhessen trifft Champagne Krug<br />

48 <strong>FINE</strong> Kalifornien Kalifornien – ein Wein-Traum<br />

50 <strong>FINE</strong> Kalifornien Newton Vineyard<br />

56 <strong>FINE</strong> Kalifornien Vérité Winery<br />

62 <strong>FINE</strong> Kalifornien Schrader Cellars<br />

70 <strong>FINE</strong> Genießen Fleisch oder Fisch – Bordeaux geht immer<br />

72 <strong>FINE</strong> Tasting Nederburg Wine Estate<br />

76 <strong>FINE</strong> Piemont Gianluca und Elio Grasso<br />

82 <strong>FINE</strong> Tasting Wein, Luft und der kleine Unterschied<br />

86 <strong>FINE</strong> Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant Horváth, Berlin<br />

94 <strong>FINE</strong> Rioja Bodegas Marqués de Riscal<br />

100 <strong>FINE</strong> Tasting Einmal rund um die Welt: Sauvignon Blanc<br />

1<strong>04</strong> <strong>FINE</strong> Frauen im Wein Marion Ebner-Ebenauer aus dem Weinviertel<br />

110 <strong>FINE</strong> Tasting Kloster Eberbach: Hundert Jahre Weingeschichte<br />

116 <strong>FINE</strong> Die Pigott Kolumne Riesling 2015<br />

118 <strong>FINE</strong> Essay Warum ist uns der Wein so teuer?<br />

122 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Große Dutzend Bruno Giacosa, Piemont<br />

126 <strong>FINE</strong> Die Würtz Kolumne Pinot Noir aus Deutschland<br />

128 <strong>FINE</strong> Wein und Zeit Die Franzosen am Rhein<br />

134 <strong>FINE</strong> Pfalz <strong>Das</strong> Weingut Reichsrat von Buhl<br />

142 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Bier danach Maronenbier<br />

146 <strong>FINE</strong> Abgang Ralf Frenzel<br />

6 7<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Inhalt


D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />

Geld oder Leben: So ließe sich, wäre<br />

ich ein wenig reißerisch gestimmt, der<br />

Disput überschreiben, den wir mit<br />

diesem Heft womöglich entfachen<br />

werden – ausgerechnet mit unserem Weihnachtsheft, das doch dem friedfertigen<br />

Genuss und dem differenzierten Erleben großer Weine gewidmet<br />

ist. Aber was der Soziologe Professor Jens Beckert vom Kölner Max-Planck-<br />

Institut für Gesellschaftsforschung unserem Autor Christian Volbracht als<br />

Ergebnis ausgedehnter wissenschaftlicher Arbeit zu sagen hatte, ist für Weinliebhaber<br />

und -kenner doch eher starker Tobak: <strong>Das</strong>s nämlich, so stellt er in<br />

seiner an bedenkenswerten Argumenten durchaus nicht armen Projektstudie<br />

fest, Wein ein kulturelles Produkt sei, das nicht nach seiner objektiven Qualität<br />

wertgeschätzt werde, sondern nach seinem semantischen gesellschaft lichen<br />

Überbau – zu Deutsch: <strong>Das</strong>s etwa ein Petrus nicht seiner sensorischen Eigenschaften<br />

wegen als großer Wein gelte, sondern seines hohen Preises und seiner<br />

Rarität, seines kaum überbietbaren Prestiges wegen. Und sich der Weinfreund<br />

eben deswegen beim Genuss einer solch edlen Flasche in seinem sensorischen<br />

Erleben des Weins von eben diesem semantischen Überbau, also von den<br />

uneigent lichen Faktoren, bestimmen ließe.<br />

Sind wir denn alle nur Symbol-, Etiketten- und Prestigetrinker?<br />

Geschmacksgeeichte Verkoster und Inhaber von Kellern, denen sie von Zeit<br />

zu Zeit solche Nobelflaschen zu festlichem Genuss entnehmen, werden das in<br />

aller Form zurückweisen. Was gilt also: <strong>Das</strong> Geld, mit dem Status in Flaschen<br />

erkauft, oder das gelebte Leben, die lange Trink- und Genusserfahrung, der<br />

geübte Gaumen des Weinfreunds, der Exzellenz oder Defizit an Geschmack<br />

und Duft erkennt?<br />

Nachdenklich stimmt da ein Artikel, den unser Kolumnist Stuart Pigott<br />

kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht hat.<br />

Hier benennt er eine Reihe hierzulande völlig unbekannter amerikanischer<br />

Weine, denen er nachrühmt, sie besäßen »eine Feinheit, wie man sie nur von<br />

den allerbesten roten Bordeaux-Weinen aus den besten Jahrgängen kennt« –<br />

zu Preisen von weniger als fünfzig Euro. Wie würden die in einer Blindprobe<br />

gegenüber großen Bordelaiser Gewächsen bestehen? Und wären sie nach der<br />

Enttarnung noch ebenso geschätzt wie zuvor? Auch verdeckte Tastings sind,<br />

so sehr das auch immer wieder behauptet wird, kein unbefragbares Mittel zur<br />

Wahrheitsfindung. Die Wahrheit, die im Wein liegt, ist eben nicht absolut.<br />

Stuart Pigott endet seinen Artikel mit dem Resümee, die Welt des Weins<br />

sehe zwar »sehr geordnet« aus, sei aber »tatsächlich vollkommen verrückt«.<br />

Gottlob, sage ich – und das wäre der feldtheoretischen Sicherheit des<br />

gelehrten Soziologen immerhin entgegenzuhalten. Zu unserem Trost, zu<br />

unserem Schutz: Denn wir fahren ja unverdrossen mit unseren Tastings fort,<br />

versuchen also weiter, im Bewusstsein unserer Subjektivität und also Fehlbarkeit,<br />

durch Geschmackserfahrung und nicht mit Blick aufs Etikett große von<br />

weniger bedeutenden Weinen zu scheiden (obwohl, ich will’s gestehen, auch<br />

mir nicht viele bekannt sind, die sich von der Verführungskraft eines illustren<br />

Etiketts nicht beeindrucken lassen – zumindest auf den ersten Blick und<br />

Schluck. Aber danach müssen Nase und Gaumen und nicht die Augen ihr Urteil<br />

so unabhängig wie möglich sprechen.) Wer nur Prestige sucht und es ahnungslos<br />

mit einem sündteuren Etikett zu finden meint, mag das tun. Wen stört’s?<br />

Wir ignorieren also mutig das mögliche Dilemma und begeben uns auf<br />

große Fahrt: Wir (das heißt: Kristine Bäder, Armin Diel, Stefan Pegatzky und<br />

Michael Schmidt) verkosten jede Menge Premium-Champagner, prüfen mit<br />

Stefan Pegatzky weitere kalifornische Wein-Ikonen auf ihre inneren Werte und<br />

nehmen die Begutachtungen einer Auswahl der besten Weine von Nederburg<br />

im südafrikanischen Paarl durch Michael Schmidt entgegen, der auch in der<br />

Schatzkammer von Kloster Eberbach seinen Gaumen an fünfundzwanzig Rieslingen<br />

und Spätburgundern der Hessischen Staatsweingüter aus warmen Jahrgängen<br />

von 1911 bis 2015 erproben konnte. Dirk Würtz nahm mehr als dreißig<br />

Weine der Trendsorte Sauvignon Blanc aus der Alten wie der Neuen Welt kritisch<br />

unter die Lupe, Kristine Bäder unterzog neun große Toskaner einer dreifach<br />

differenzierenden Verkostung, und Rainer Schäfer ließ sich von zwölf herrlichen<br />

Weinen des piemontesischen Barolo-Traditionalisten Bruno Giacosa<br />

beeindrucken. Genügend Stoff also für Diskussion und abweichende Meinung.<br />

Nun aber: Ich wünsche Ihnen Finderglück auf der Suche nach Dreißig-<br />

Euro-Weinen, die den raren Prestigeträgern der Weinwelt das Wasser reichen<br />

können!<br />

Thomas Schröder<br />

Chefredakteur<br />

<strong>FINE</strong><br />

Editorial<br />

9


Hüterin der Flamme<br />

Die Union<br />

des Maisons de<br />

Champagne<br />

Von Stefan Pegatzky<br />

Fotos Marco Grundt<br />

Weltberühmt und einzigartig wie die Kathedrale von<br />

Reims sind auch die Weine der Champagne. In der<br />

Hauptstadt der Region wacht die Union des Maisons de<br />

Champagne als eine tragende Säule der französischen<br />

Weinwirtschaft penibel über die Markenführung und<br />

die Einigkeit der produzierenden Häuser.<br />

Der moderne Verbraucher ist anspruchsvoll und untreu geworden. Mit einer ruhmreichen<br />

Geschichte alleine kann man ihn nicht mehr überzeugen. Diese Erfahrung mussten in den<br />

letzten Jahren viele französische Weinregionen machen, deren traditionelle Kunden sich in<br />

der Angebotsvielfalt des globalen Weinmarkts verloren und so für eine veritable Krise des<br />

fundamentalen Appellationen-Systems sorgten. Fels in der Brandung ist der Champagner,<br />

der 2015 wieder einen Umsatzrekord erzielen konnte. <strong>Das</strong> Erfolgsrezept: eine perfekte<br />

Marken führung, verantwortet von einem Interessenverband, der das langfristige Wohl einer<br />

ganzen Region im Auge behält, der Union des Maisons de Champagne.<br />

12 13<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Champagne


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Kalifornien:<br />

ein Wein-Traum<br />

Von Stefan Pegatzky<br />

Fotos Johannes Grau<br />

Die Weinlandschaft der Appellation Napa hat viele Gesichter:<br />

Während sich die Rebzeilen in der Ebene den Fluss entlang<br />

ausbreiten, klettern sie in Sonoma, wo die Vérité Winery liegt,<br />

bis auf eine Höhe von fast achthundert Metern.<br />

<strong>Das</strong> Napa Valley strotzt derzeit vor Selbstbewusstsein. Soeben sind die letzten Trauben<br />

geerntet worden, und es zeichnet sich schon jetzt ab, dass <strong>2016</strong> der fünfte sehr gute bis<br />

heraus ragende Jahrgang in Folge sein wird. Derzeit drängen die 2013er auf den Markt, die<br />

gerade aus europäischer Sicht mit ihrer eher strukturierten, klassischen Stilistik vielleicht<br />

zu den besten und langlebigsten Weinen der letzten Jahrzehnte in Kalifornien zählen –<br />

während 2012 eher fruchtbetonte Weine mit etwas niedrigerer Säure und 2014 Weine von<br />

sehr zuverlässiger Qualität, aber mit wenigen Spitzen hervorgebracht haben.<br />

<strong>Das</strong> hat leider auch erhebliche Auswirkungen<br />

auf die Preisentwicklung. Während sich die<br />

Preise zwischen 2007, dem letzten großen<br />

Jahrgang, und 2012 wegen der Finanzkrise und einer<br />

Reihe mittlerer Jahrgänge noch im Rahmen hielten,<br />

zogen sie mit dem Jahrgang 2013 um durchschnittlich<br />

fünfzehn Prozent an. Dabei gibt es mittlerweile<br />

schätzungsweise gut dreihundert Premium­<br />

Cabernets im Preissegment von mehr als hundert<br />

Dollar. Hinzu kommen die Preise für die Kult-<br />

Weine. Während sie früher noch recht moderat<br />

waren, sofern man einen der begehrten Plätze auf der<br />

Mailing-Liste erhielt und die Weine nicht vom überteuerten<br />

Sekundärmarkt bezog, sind sie seit einiger<br />

Zeit bereits ab Weingut geradezu explodiert. So<br />

hat etwa Harlan soeben sein Subskriptionsangebot<br />

für den Jahrgang 2014 verschickt, zu 750 Dollar die<br />

Flasche. <strong>Das</strong> hat nicht nur mit der Gier der Winzer<br />

zu tun: Grower wie Andy Beckstoffer, die das Lesegut<br />

ihrer berühmten Weinberge wie To Kalon an Vintner<br />

ohne eigenen Weinbergsbesitz zu in Europa unvorstellbaren<br />

Summen verkaufen, verlangen Mindestabgabepreise<br />

von 175 Dollar die Flasche. <strong>Das</strong> ist die<br />

negative Folge der auch in Kalifornien mittlerweile<br />

quasi heiligen Terroir-Idee.<br />

Da überrascht es nicht, wenn die Regionen<br />

abseits des Napa Classico – also entlang der Linie<br />

Rutherford, Oakville, St. Helena und Calistoga –<br />

immer mehr ins Blickfeld des anspruchsvollen<br />

Weinfreunds geraten. Nicht nur als Cool-<br />

Climate­ Gegenden hoch geschätzt sind die<br />

Berg­ Appellationen wie Spring Mountain, Howell<br />

Mountain oder Pritchard Hill, die derzeit trendigste<br />

Sub-Appellation des Tals, wo etwa Tim Mondavi<br />

das vielversprechende Weingut Continuum aufgebaut<br />

hat. Aber auch hier darf man sich nichts<br />

vor machen: Weinbau in den Hügeln ist wegen der<br />

rigiden Naturschutzbestimmungen und der immensen<br />

Erschließungs kosten teuer, was sich natürlich<br />

in den Weinpreisen niederschlägt. Bleiben die<br />

Nachbar täler, wie Sonoma oder noch nördlichere<br />

Regionen wie das Lake County, wo es vielleicht weniger<br />

Glamour, aber keine schlechteren Weine gibt.<br />

Dennoch lohnt es sich auch für europäische<br />

Weinsammler, in Napa-Weine zu investieren. Die<br />

spezifisch kalifornische Mischung aus Leidenschaft<br />

und Perfektionismus hat den dortigen Weinbau<br />

auf ein nie dagewesenes Niveau befördert. Bei den<br />

besten Weingütern sind die Tage von Überreife<br />

und Big Flavor längst vorbei, dagegen werden mit<br />

unablässiger Neugier alle Details optimiert, um<br />

sich noch ein Stück zu verbessern, Weine zu erzeugen,<br />

die deutlich ihre Herkunft schmecken lassen –<br />

oder wie man in Kalifornien sagt: die »site-driven«<br />

sind, von »the land« erzählen oder »a There<br />

There« besitzen.<br />

<strong>Das</strong> wird mittlerweile in der ganzen Welt registriert,<br />

nicht zuletzt in Frankreich, dem Mutterland<br />

großer Rotweine. So war es auch keine große Überraschung,<br />

dass Château Margaux nach dem Tod von<br />

Paul Pontallier im Frühling dieses Jahres vor kurzem<br />

Philippe Bascaules zu dessen Nachfolger ernannt<br />

hat, den wir im letzten Heft noch als Managing<br />

Director von Inglenook porträtiert hatten. Ab März<br />

2017 wird er nun beide Weingüter leiten: Inglenook<br />

und Château Margaux. Eine größere Wertschätzung<br />

hätte das Bordelais der Neuen Welt kaum entgegenbringen<br />

können.<br />

48 49<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Napa Valley


Schrader Cellars<br />

Auch die dritte Karriere des<br />

früheren Rennfahrers und Kunsthändlers<br />

Fred Schrader als Weingutsbesitzer<br />

ist äußerst erfolgreich.<br />

Der Cabernet Sauvignon CCS<br />

To Kalon Vineyard von 2013<br />

wurde vom Wine Advocate mit<br />

100 Punkten ausgezeichnet. Der<br />

Genussmensch weiß auch eine gute<br />

Zigarre zu schätzen – so sehr, dass<br />

er sie seit 2010 selbst herstellt.<br />

Die Weine<br />

in der<br />

Poleposition<br />

Von Stefan Pegatzky Fotos Johannes Grau<br />

Er hat keine Ausbildung im Weinbau, ihm gehören keine Reben und er hat noch nicht<br />

einmal ein eigenes Weingut. Dennoch ist Fred Schrader zurzeit wohl Kaliforniens Kultwinzer<br />

Nummer eins. Niemand außerhalb Frankreichs hat mehr 100-Punkte-Weine erzeugt<br />

als er, und nur wenige erreichen solch stratosphärische Preise. Rennfahrer und Kunst händler<br />

war er in seinem früheren Leben, das er vornehmlich in Florida verbracht hat − und wer jetzt<br />

eine dieser typisch amerikanischen Geschichten vermutet, der hat gar nicht so unrecht. Um<br />

aber das zu schaffen, was Fred Schrader erreicht hat, braucht es schon ein bisschen mehr<br />

als das landestypische »Think Big«, ein gut gefülltes Bankkonto und gehörigen Biss. Die<br />

Geschichte von Schrader Cellars ist vielmehr die Geschichte eines doppelten Comebacks.<br />

Acht verschiedene Weine erzeugt Schrader<br />

Cellars derzeit. Hält man eine der raren<br />

Abfüllungen in Händen, ist man überrascht<br />

von der betont sachlichen Gestaltung der Etiketten<br />

– und auch etwas irritiert von den rätsel haften<br />

Kürzeln, die sie unterscheiden: T6, CCS, RBS, GIII<br />

oder LPV. Die Lagen sind jeweils angegeben, aber<br />

das scheint nicht der Schlüssel zu sein. Vom Las<br />

Piedras Vineyard stammen zwei, vom To Kalon<br />

fünf Weine. Auf allen aber steht enigmatisch der<br />

Name »Beckstoffer«. Wer die Bedeutung von Zeichen<br />

und Namen versteht, nähert sich dem Erfolgsgeheimnis<br />

der Schrader-Weine. Es ist zutiefst mit<br />

der Geschichte des Napa Valley verknüpft.<br />

»Der Name To Kalon bedeutet die größte<br />

Schönheit oder das höchste Gut, aber ich möchte,<br />

dass man ihn in Zukunft mit boss vineyard (Meister­<br />

Weinberg) übersetzt.« Diesen Satz schrieb<br />

Hamilton Walter Crabb – vor etwa einhundertfünfzig<br />

Jahren. Er war als Goldsucher nach Kalifornien<br />

gekommen, scheiterte und verdiente sein Geld<br />

als Feldarbeiter. Auf den Rat eines Winzers zog er<br />

mit seiner Familie ins damals noch kaum besiedelte<br />

Napa Valley. 1868 kaufte er bei Oakville sechsundneunzig<br />

Hektar Farmland von E.L Sullivan, dem<br />

Schwiegersohn von George C. Yount. <strong>Das</strong> Land<br />

war Teil der Rancho Caymus, die Yount, der erste<br />

Siedler des Tals, einst für seine Verdienste erhalten<br />

hatte. Es sollte die Keimzelle von Crabbs To-Kalon-<br />

Weinberg bilden.<br />

1872 baute er seine Hermosa Winery, mit der<br />

er bald einer der erfolgreichsten Winzer des Tals<br />

werden sollte. Wie Agoston Haraszthy im benachbarten<br />

Sonoma Valley war er ein leidenschaftlicher<br />

Rebensammler, Ende der 1870er Jahre verfügte er<br />

über die größte Kollektion verschiedener Sorten in<br />

den Vereinigten Staaten und wurde mit zahlreichen<br />

Sortenabfüllungen sogar an der Ostküste populär,<br />

neben Zinfandel mit Cabernet Sauvignon, der<br />

damals aber kaum mehr als fünf Prozent des Rebbestandes<br />

ausgemacht haben dürfte. 1886 benannte<br />

Hamilton Walter Crabb sein Weingut in To Kalon<br />

Wine Company um, die Lage selbst konnte er durch<br />

Zukäufe 1881 und 1889 erheblich erweitern. Mit der<br />

Reblausplage kam das Ende, das Gut wurde versteigert,<br />

der Besitz zerstreut.<br />

Martin Stelling Jr., ein Geschäftsmann<br />

aus San Francisco, kaufte in den Jahren<br />

1943/1944 einen großen Teil des To-<br />

Kalon-Weinbergs auf – mit Ausnahme einer sechsunddreißig<br />

Hektar großen Parzelle, die an Beaulieu<br />

Vineyard ging, das seinerzeit führende Weingut<br />

des Napa Valley. Stelling, den die Qualität des<br />

kiesel reichen Sedimentbodens überzeugt hatte,<br />

pflanzte rebsortenreine Blocks an – was damals<br />

unüblich war – und gab vor allem dem Cabernet<br />

Sauvignon eine Chance, lange bevor die Rebe im<br />

Napa Valley populär wurde. André Tchelistcheff,<br />

der Önologe von Beaulieu, empfand dies, als würde<br />

»frischer Sauerstoff« ins Tal gepumpt. Doch bevor<br />

Martin Stelling seine Vision, einen amerikanischen<br />

Premium­ Wein zu erzeugen, verwirklichen konnte,<br />

verunglückte er 1950 tödlich.<br />

Ein Erbe seines Traums war ein junger charismatischer<br />

Italo-Amerikaner: Robert Mondavi.<br />

Dessen Familie besaß eines der großen alten Weingüter<br />

im Napa Valley, die Charles Krug Winery,<br />

die 1958 einen großen Teil des einstigen Stelling­<br />

Besitzes erwerben konnte. Nachdem sich Robert<br />

62 63<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Napa Valley


Wein und Luft<br />

und der kleine<br />

Unterschied<br />

Eine Vergleichsprobe mit erstaunlichen Resultaten<br />

Von Kristine Bäder<br />

Fotos Thilo Weimar<br />

Wein ist ein lebendiges Getränk. Er<br />

reagiert auf seine Umwelt, verändert<br />

sich durch die Zeit und wird<br />

beeinflusst von äußeren Faktoren wie Temperatur<br />

und Luft. Abhängig davon, welche Voraussetzungen<br />

er mitbringt, entwickelt er sich zum<br />

Guten – oder zum Schlechten. Sobald man eine<br />

Flasche öffnet, beginnt der Kontakt mit Sauerstoff.<br />

Der wird dem Wein auf die Dauer schaden,<br />

doch nach der langen Zeit in der Flasche<br />

bewirkt er zunächst eine Öffnung des Weins, der<br />

seine Aromen und seine Struktur im Lauf einiger<br />

Stunden ganz unterschiedlich zeigt. Abhängig<br />

von der Temperatur stehen dabei die verschiedensten<br />

Elemente im Vordergrund, denn nicht<br />

umsonst werden für den Weingenuss Trinktemperaturen<br />

empfohlen.<br />

In einem Experiment haben wir neun Weine<br />

eines Jahrgangs in drei Runden probiert. Zunächst<br />

mit einer Temperatur zwischen 16 und 18 Grad<br />

Celsius direkt nach dem Öffnen der Flasche,<br />

also mit noch wenig Einfluss des Sauerstoffs.<br />

In einer zweiten Runde wurden die Weine, die<br />

Stunden zuvor geöffnet worden waren, gekühlt<br />

aus dem Dekanter ausgeschenkt. In der dritten<br />

Verkostungs reihe konnte der Wein im Dekanter<br />

seine Temperatur um einige Grad erhöhen. <strong>Das</strong><br />

Ergebnis: Wie ein Wein sich zeigt, hängt auch<br />

immer von den Umständen und Bedingungen<br />

ab, unter denen er präsentiert wird. •<br />

82 83<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Tasting


Kathedrale des Glaubens, Kathedrale des Weins:<br />

Für die Bodegas Marqués de Riscal in der Rioja<br />

Alavesa ist das alles andere als ein Widerspruch.<br />

»Alle wollen Tradition<br />

und Moderne verbinden.<br />

Wir haben es getan«<br />

Marqués de Riscal, das älteste Weingut<br />

in Rioja Alavesa, hat für den spanischen<br />

Weinbau Massstäbe gesetzt<br />

Von Rainer Schäfer<br />

Fotos Arne Landwehr<br />

In Elciego dreht sich alles um Wein. Seine Bedeutung spiegelt sich schon in der Architektur des Dorfes im Anbaugebiet Rioja Alavesa,<br />

dabei sind die Proportionen ungleichmäßig verteilt: Die Kirche San Andrés – und das verwundert noch am wenigsten – strebt am<br />

höchsten zum Himmel. Darum herum gruppieren sich unauffällig Häuser mit Flachdächern, vor einigen flattert Wäsche im Wind.<br />

Die mächtigsten Gebäude – manches weist das Volumen eines halben Straßenzugs auf – sind die Kellereien. <strong>Das</strong> augenfälligste Objekt<br />

aber steht auf dem zehn Hektar großen Areal der Herederos del Marqués de Riscal: Es ist die von dem kanadischen Star architekten Frank<br />

O. Gehry entworfene City of Wine, in deren Zentrum ein Luxushotel steht. Von weitem sieht es aus, als hätte ein Trupp Metallbau-<br />

Ingenieure im Drogenrausch aus riesigen Stahlplatten wirre Formen gedreht, die in Gold, Silber und Violett glänzen. Zwei Flutlichtmasten<br />

sind so positioniert, dass sie das Spektakel auch nachts in Szene setzen können. Natürlich waren keine Drogen im Spiel; Frank O.<br />

Gehry ist für seine ausgefallene Architektur bekannt, die gern die Grenzen des Machbaren auslotet. Als das Projekt geplant wurde, war<br />

man im Weingut nicht sicher, ob der Exzentriker von Weltruf den Auftrag aus der baskischen Provinz überhaupt annehmen würde. Der<br />

Anfrage hatte man eine Flasche Rioja von 1929 beigelegt, dem Geburtsjahr von Frank O. Gehry. Ein überzeugendes Argument, er sagte<br />

begeistert zu. Man kann viel in diesen Bau hineininterpretieren, manche erkennen darin sogar Reben und den Prozess der Weinwerdung.<br />

Zweifellos ist er eine der aufregendsten Aufführungen von Weinarchitektur.<br />

92 93<br />

<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Rioja


Grosse<br />

<strong>Das</strong><br />

Dutzend<br />

Bruno Giacosa, Piemont<br />

Bruno Giacosa ist der standhafte Traditionalist unter<br />

den Barolisti des Piemont. Er steht für einen klassischen<br />

Stil, ohne große Zugeständnisse an den Zeitgeist:<br />

Während sich die Erneuerer um Elio Altare,<br />

Paolo Scavino oder Aldo Conterno dem Ausbau ihrer<br />

Weine in Barriques verschrieben haben, lehnt er das<br />

entschieden ab und hält am großen Holzfass fest.<br />

Bruno Giacosa, Jahrgang 1929, ist weit über die Langhe<br />

hinaus berühmt für seinen Instinkt und seine feine<br />

Nase: Über lange Jahre erzeugte er große Weine von<br />

Nebbiolo-Trauben, die er von anderen Winzern aufkaufte.<br />

Giacosa, der als großer Kenner der piemontesischen<br />

Terroirs gilt, konnte sich dabei immer auf sein<br />

untrügliches Urteil verlassen. Erst Anfang der 1980er<br />

Jahre erwarb er bedeutende Einzellagen in Falletto im<br />

Anbaugebiet Barolo und in Asili im Barbaresco. Die<br />

Weine aus Asili sind bekannt für Anmut und Eleganz,<br />

die aus Falletto für Festigkeit und anfängliche Unnahbarkeit,<br />

die jedoch hervorragend altern und dabei Feinheit<br />

und Charme entwickeln.<br />

Von Rainer Schäfer<br />

Fotos Guido Bittner<br />

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<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> E EN


Daniel Deckers<br />

wein und zeit xxi<br />

»Diese unnützen Karten«<br />

Warum sich Napoleon über Jean Joseph Tranchot ärgerte<br />

und noch dazu gründlich irrte<br />

Vor genau zweihundert Jahren, im Dezember 1816, wurde die Niederlage Frankreichs in den<br />

Freiheitskriegen auch in kartographischer Hinsicht besiegelt: In Berlin trafen die letzten Blätter<br />

eines umfangreichen Kartenwerks ein, das Napoleon selbst in Auftrag gegeben hatte: Die<br />

»Carte des 4 départements réunis, sur la même echelle que celle de la grande Carte de France,<br />

dite de Cassini, dont la carte ci-dessous doit être la prolongation«, die Karte der 4 vereinigten<br />

Departements, im selben Maßstab wie die große Frankreich-Karte, die sogenannte Cassini-<br />

Karte, zu der die nachfolgende Karte die Fortschreibung sein soll.<br />

Vignette aus Henri-Marie-Auguste Berthaud, Les ingénieurs géographes militaires, 1624-1831. Etude historique, Band 1, Paris 1892<br />

Abbildung: Stiftung Preußischer Kulturbesitz – Staatsbibliothek Unter den Linden, Kartensammlung<br />

Was aber waren die vier vereinigten<br />

Departements – und warum kamen<br />

die Karten nach Berlin, genauer gesagt<br />

in die Obhut des preußischen Generalstabs? 1801<br />

hatte Frankreich die Gebiete links des Rheins, die<br />

es seit 1792 Zug um Zug unter seine Kontrolle<br />

gebracht hatte, im Frieden von Lunéville annektiert.<br />

Mont Tonnerre statt Donnersberg, Spire statt<br />

Speyer, Mayence und Trèves, Cologne, Düsseldorf<br />

und Kleve auf ewig französisch? Ob Revolutionäre<br />

oder Kaiser, die Franzosen dachten schon<br />

immer in großen Linien. Wie mit den Pyrenäen<br />

im Süd westen und den Alpen im Südosten, so hatte<br />

Frankreich mit dem Rhein nun auch im Osten jene<br />

natürliche Grenze (»cette rive gauche appartient<br />

naturellement à la France«), die Gott selbst ihm<br />

zugemessen hatte (»ce que Dieu lui a donné«).<br />

Als der französische Schriftsteller Victor Hugo<br />

(1802 bis 1885) diese Überzeugung nach seiner<br />

zweiten Rheinreise im Juli 1841 unter dem Titel<br />

»Le Rhin. Lettres à un ami« in Druck gab, war<br />

die Geschichte schon wieder über diese nationale<br />

Obsession hinweggegangen. 1814/15 hatte der<br />

Wiener Kongress den größten Teil der vier linksrheinischen<br />

Départements den Preußen zugesprochen.<br />

Einen kleinen Teil bildete das Kernland des<br />

Großherzogtums Hessen, Teile der Kurpfalz und<br />

des ehemaligen Fürstbistums Speyer mussten sich<br />

damit abfinden, von München aus regiert zu werden.<br />

Angesichts dieses Scheiterns der französischimperialen<br />

Ambitionen ist es nur eine Fußnote<br />

der Geschichte, dass auch aus der<br />

»prolongation« der für das französische Kernland<br />

erarbeiteten Cassini­ Karte nichts wurde.<br />

Zwar hatten sich erfahrene französische Ingenieurgeographen<br />

(denen seit den Tagen Ludwigs XVI. auf<br />

den zahllosen französischen Kriegs schau plätzen die<br />

Arbeit nicht ausging) umgehend ans Werk gemacht<br />

und unter der Leitung von Oberst Jean Joseph<br />

Tranchot erst in Aachen und dann in Trier ein<br />

topographisches Büro eingerichtet. Der »Colonel<br />

des Ingénieurs géographiques« hätte am Leben an<br />

der Mosel vielleicht noch länger Gefallen gefunden,<br />

denn mit sechsundfünfzig Jahren hatte er 1808<br />

Klara Maria Josephine Reulandt geheiratet, die<br />

Tochter des Jo. Jos. Reulandt, Profos (»Prévôt«)<br />

der Stadt Trier und Mitglied des Inneren Rats, und<br />

der Maria Margaretha von Hontheim – so hat es<br />

Bernhard Simon, der Leiter des Trierer Stadtarchivs,<br />

ermittelt. In Trier wurden auch die beiden Kinder<br />

geboren, Madeleine Josephine im August 1810, und<br />

Niclas Joseph im März 1815.<br />

Doch nicht nur der frühe Tod von Tranchot<br />

am 30. April 1815 setzte dem Wirken ein Ende. Die<br />

Niederlage Napoleons und seiner Verbündeten<br />

in der Völkerschlacht bei Leipzig im Herbst 1813<br />

hatte das Ende der französischen Herrschaft über<br />

fast ganz Europa eingeläutet. Auch die Arbeiten an<br />

der zwölf Jahre zuvor begonnenen Landes aufnahme<br />

waren zum Stillstand gekommen. Napoleon wird<br />

sich deswegen nicht gegrämt haben. Denn was Jean<br />

Joseph Tranchot und seine Ingenieur geographen<br />

ins Werk gesetzt hatten, war nicht das, was ihm<br />

vorgeschwebt hatte.<br />

Von Beginn an hatten die Offiziere Napoleons<br />

Vorgaben ignoriert und eben nicht jene<br />

großmaßstäbliche, im Verhältnis 1: 86 400<br />

angefertigte Carte de France nach Westen bis an<br />

den Rhein fortgeschrieben. Diese hätte allenfalls<br />

militärischen Zwecken genügt. Jean Joseph<br />

Tranchot und seine Mitarbeiter wollten jedoch ein<br />

Karten werk erstellen, das modernste wissenschaftliche<br />

Ansprüche an eine Landesaufnahme erfüllte.<br />

Mochte Napoleon auch ob des langsamen Vorankommens<br />

der Offiziere verzweifeln und die ungewohnten,<br />

im Maßstab 1: 10 000 oder 1:20 000 im<br />

Feld gezeichneten Blätter als »ces cartes inutiles«<br />

verfluchen – seine Ingenieurgeographen zeichneten<br />

unverdrossen Jahr für Jahr, Blatt für Blatt ein naturgetreues<br />

Bild der rheinischen Landschaft. Mit ihrer<br />

detailgenauen Schönheit vermögen sie den Betrachter<br />

noch zweihundert Jahre später in Bann zu schlagen<br />

– und das am besten bei einem Glas Wein vom<br />

Rhein oder seinen Nebenflüssen.<br />

Bei ihren Eroberungszügen war den Franzosen<br />

nicht entgangen, dass an den steilen, sonnenbeschienenen<br />

Hängen entlang von Ahr, Mosel, Nahe und<br />

auch am Rhein selbst intensiv Weinbau betrieben<br />

wurde. Nun mochten die meisten keine wichtigen<br />

Landmarken sein und als Gelände strategisch nicht<br />

sonderlich bedeutend – es sei denn, man wollte sie<br />

zerstören. Doch hätten die Franzosen es in ihren<br />

neuerworbenen Gebieten darauf anlegen sollen?<br />

Mit dem geschmacklich und stilistisch ungewohnten<br />

Weißwein konnten die neuen Herren nicht viel<br />

Im Feld: Mit dem detaillierten Kartenwerk,<br />

das die Ingénieurs Géographes Militaires<br />

schufen, haben sie ein Bild der rheinischen<br />

Landschaft entworfen, das Winzern und<br />

Wissenschaftlern noch heute große Dienste<br />

erweisen kann.<br />

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<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Wein und Zeit


ABGANG<br />

Die neue<br />

Dekadenz<br />

Die »Winter-Post«<br />

Kaum eine meiner Äußerungen an dieser Stelle hat so viel Zustimmung<br />

und zugleich Widerspruch hervorgerufen wie mein jüngster<br />

Beitrag zum Thema Orange-Wein. Während sich die eine Seite<br />

empörte über mein Unverständnis für diesen Trend, war die andere hocherfreut,<br />

eine kritische Meinung zu dem unkritischen Großreden und Schönschreiben<br />

der Orange, Natural oder Raw Wines zu lesen.<br />

Mit fast schon religiösem Eifer versuchen Winzer, Journalisten und<br />

Sommeliers einen Trend ebenso als innovativ wie als Rückbesinnung auf<br />

den Ursprung des Weinmachens zu vermarkten. In Zeiten, in denen sich<br />

Menschen nach Authentizität und Natürlichkeit sehnen, finden solche<br />

Strömungen vielerorts offene Türen. Es geht dabei weniger um den tatsächlichen<br />

Geschmack als um die Philosophie, wenn nicht gar Ideologie<br />

dahinter. Aber seien wir mal ehrlich: Jahrhundertelang haben Winzer<br />

und Wissen schaftler daran gearbeitet, den Wein mit moderner Technik,<br />

penibler Sauberkeit im Keller und neuen önologischen Methoden besser zu<br />

machen, und nun will man uns weismachen, dies alles sei völliger Quatsch,<br />

weil man schon vor vielen hundert Jahren alles richtig gemacht habe? Ohne<br />

Frage gibt es auch unter den modernen Weinen jede Menge bedeutungslose<br />

und schlecht gemachte Tropfen. Aber all die großen, beeindruckenden,<br />

lagerfähigen Weine der vergangenen Jahrzehnte sind das Ergebnis<br />

penibler und zunehmend moderner Winzer arbeit. <strong>Das</strong> Laissez- faire der<br />

Orangewein- Bewegung, möglichst wenig in Weinberg und Keller einzugreifen,<br />

ist im Ergebnis meist sehr fragwürdig. Den Beweis, dass auf<br />

diese Art wirklich große Weine entstehen, ist man bisher definitiv schuldig<br />

geblieben, und es besteht Anlass zu der Annahme, dass das auch so<br />

bleiben wird.<br />

Ralf Frenzel<br />

Herausgeber<br />

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Hotel »Gasthof Post« A-6764 Lech am Arlberg Telefon +43-55 83-22 06-0 www.postlech.com

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