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Die Stadtverwaltung Koblenz im Nationalsozialismus

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<strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines<br />

Doktors der Philosophie (Dr. phil.) an der Fakultät Kultur-<br />

und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen<br />

vorgelegt von<br />

Petra Weiß M.A.<br />

In der Wieb 35<br />

56072 <strong>Koblenz</strong><br />

<strong>im</strong> August 2011<br />

Betreuer: Prof. Dr. Wolfgang Kruse


Inhalt<br />

II<br />

1 Einleitung 1<br />

2 Forschungsstand, Quellenlage und Fragestellungen 5<br />

2.1 Forschungsstand 5<br />

2.2 Quellenlage 15<br />

2.3 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen 17<br />

3 <strong>Die</strong> Ausgangslage: <strong>Koblenz</strong> während der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

bis 1933 20<br />

3.1 <strong>Die</strong> katholische Beamten-, Rentner- und Soldatenstadt 20<br />

3.2 Gemeindeverfasssung und Wahlverhalten bis 1924 23<br />

3.3 <strong>Die</strong> Anfänge der NSDAP-Ortsgruppe 26<br />

3.4 <strong>Die</strong> wirtschaftliche Situation bis zur Kommunalwahl 1929 35<br />

3.5 <strong>Die</strong> Wahlperiode 1929 bis 1933 37<br />

4 Machtergreifung und -konsolidierung 66<br />

4.1 Machtergreifung und politische Säuberung 66<br />

4.1.1 Machtergreifung am 30. Januar 1933 und Reichstagswahlen<br />

am 5. März 1933 66<br />

4.1.2 <strong>Die</strong> Hakenkreuzflagge auf dem Rathaus 69<br />

4.1.3 <strong>Die</strong> Stadtverordnetenwahlen vom 12. März 1933 72<br />

4.1.4 Der Machtwechsel <strong>im</strong> Rathaus 76<br />

4.1.5 <strong>Die</strong> „Revolutionskommissare“ 85<br />

4.1.6 Personelle Säuberungen und Unterbringung Alter Kämpfer 88<br />

4.2 Personal und Organisation der <strong>Stadtverwaltung</strong> 121<br />

4.2.1 Das Personal 121<br />

4.2.2 Beförderungen und Bevorzugungen von Nationalsozialisten 122<br />

4.2.3 <strong>Die</strong> Gleichschaltung der Bediensteten und der Verwaltung 131<br />

4.2.4 Das neue Stadtamt für Leibesübungen 157<br />

4.3 <strong>Die</strong> Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung bis 1935 158<br />

4.3.1 Rechtliche Grundlagen 158<br />

4.3.2 <strong>Die</strong> Entmachtung der Stadtverordnetenversammlung 159<br />

4.3.3 <strong>Die</strong> Beigeordnetenwahlen und die Wahl Otto Wittgens<br />

zum Oberbürgermeister 166<br />

4.3.4 <strong>Die</strong> neuen Ratsherren und Wittgens Bestätigung <strong>im</strong> Amt 174<br />

4.3.5 <strong>Die</strong> Besetzung der dritten hauptamtlichen Beigeordnetenstelle 182<br />

4.3.6 Ein alter und ein neuer Ehrenbürger 191<br />

4.4 Zwischenergebnis 193


III<br />

5 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> und ihre „Führer“ 196<br />

5.1 <strong>Die</strong> Ära Otto Wittgen 1933 bis 1939 196<br />

5.1.1 Wittgen – kleinlicher Pedant oder Mann von Format? 196<br />

5.1.2 Der Wirtschaftsboykott gegen die Juden und<br />

die „Stürmer-Affäre“ 200<br />

5.1.3 Das Personal 209<br />

5.1.4 Ausgewählte Ereignisse 223<br />

5.1.5 <strong>Die</strong> langsame Verbesserung der städtischen Finanzlage 232<br />

5.1.6 Personelle, finanzielle und sonstige Unterstützung der Partei 234<br />

5.1.7 Das Tauziehen um die Ablösung Wittgens 240<br />

5.2 Ein Zwischenspiel: Theodor Habicht 1939 253<br />

5.2.1 <strong>Die</strong> wenigen Spuren eines bequemen Verwaltungschefs 253<br />

5.2.2 <strong>Die</strong> Mobilmachung der <strong>Stadtverwaltung</strong> 258<br />

5.3 <strong>Die</strong> Ära Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer 1940 bis 1945 262<br />

5.3.1 S<strong>im</strong>mer – eitler Karrierist oder unabhängiger Kopf? 262<br />

5.3.2 Das Personal 269<br />

5.3.3 S<strong>im</strong>mers „Unabhängigkeit“ und ihre Grenzen 295<br />

5.3.4 S<strong>im</strong>mers Konflikt mit S<strong>im</strong>on und seine Einberufung<br />

zur Wehrmacht 298<br />

5.4 Der Abgesang: Dr. Konrad Gorges 1945 301<br />

5.5 Zwischenergebnis 305<br />

6 Gemeinde zwischen „Volk“, Partei und Staat 307<br />

6.1 Wohlfahrtswesen 307<br />

6.1.1 Ausgangslage, erste Maßnahmen und Entlastung von Aufgaben 307<br />

6.1.2 Einführung nationalsozialistischer Grundsätze und Zusammen-<br />

arbeit mit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt 309<br />

6.1.3 <strong>Die</strong> Wohlfahrtserwerbslosen, sonstigen Fürsorgeempfänger<br />

und „Asozialen“ 318<br />

6.1.4 Das Personal 325<br />

6.1.5 Jugendamt zwischen Kindeswohl, NSV, Katholischem<br />

Fürsorgeverein und Hitlerjugend 327<br />

6.1.6 Kindergärten 339<br />

6.2 Bauwesen 341<br />

6.2.1 Thingstätte 341<br />

6.2.2 Baumaßnahmen für Gliederungen und angeschlossene Verbände<br />

der NSDAP 345<br />

6.2.3 Das Gauhaus Emil-Schüller-Straße 18/20 und das Neubauprojekt<br />

Amt für Volkswohlfahrt 348<br />

6.2.4 Siedlungswesen, Wohnungsbau und Wohnungszwangswirtschaft 351<br />

6.2.5 Altstadtsanierung und „Entschandelung“ 364<br />

6.2.6 Städtebauliche Großprojekte: Gauforum, Schlossachse und<br />

Industriegebiet 368<br />

6.2.7 Sonstiges 375<br />

6.3 Kultur 378<br />

6.3.1 Städtische Kulturinstitute und Kulturamt 378<br />

6.3.2 Das Stadtamt für Musik und der Städtische Musikbeauftragte 379


IV<br />

6.3.3 Musik-Institut, städtische Konzerte und Zusammenarbeit<br />

mit der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude 380<br />

6.3.4 Stadttheater 392<br />

6.3.5 Schlossmuseum und Kustos Hanns Sprung 404<br />

6.3.6 Künstlerladen und Auseinandersetzung mit Landesleiter<br />

Karl Ackermann 409<br />

6.3.7 Kunstkreis, Konkurrenz und Konflikte 410<br />

6.3.8 Hochschulwochen und Vortragsreihen des Kulturamtes 421<br />

6.3.9 Beirat für Kunst und Wissenschaften 425<br />

6.3.10 Besatzungs- und Separatisten-Ausstellung 427<br />

6.3.11 Stadtbibliothek: Dr. Hans Bellinghausen und Dr. Franz Grosse 428<br />

6.3.12 Volkspark, Karneval und Schängel-Brunnen 440<br />

6.4 Zwischenergebnis 446<br />

7 Reibungslos und effizient? – <strong>Die</strong> Umsetzung der<br />

NS-Verfolgungspolitik 449<br />

7.1. Katholische und evangelische Kirche 449<br />

7.1.1 Allgemeines 449<br />

7.1.2 <strong>Die</strong> Abschaffung der Konfessionsschule 463<br />

7.2 Juden 466<br />

7.2.1 Bezuschussung der Synagogengemeinde und Einziehung<br />

der jüdischen Kirchensteuern 466<br />

7.2.2 <strong>Die</strong> jüdischen Viehhändler und der städtische Nutzviehmarkt 468<br />

7.2.3 Jüdische Gaststätten und Beherbergungsbetriebe 472<br />

7.2.4 Repräsentantenwahl der Synagogengemeinde 481<br />

7.2.5 Jüdische Stiftungen 482<br />

7.2.6 Reichspogromnacht und Synagoge 482<br />

7.2.7 Preisüberwachung bei der „Arisierung“ von Immobilien 486<br />

7.2.8 <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> als Erwerber „jüdischer“ Immobilien 493<br />

7.2.9 Preisbildung bei Mieten und „Judenhäuser“ 501<br />

7.2.10 Wohlfahrtsunterstützung für Juden 505<br />

7.2.11 Mitwirkung bei den Deportationen 507<br />

7.2.12 Juden als Zwangs- und Lohnarbeiter 508<br />

7.2.13 Sonstiges 510<br />

7.3 „Zigeuner“ 513<br />

7.3.1 Zigeuner als städtische „Untermieter“ auf der Feste Franz 513<br />

7.3.2 Abschiebungsaktion <strong>im</strong> Juli 1938 515<br />

7.3.3 Zigeunerkinder als Mündel des Jugendamtes 517<br />

7.3.4 Deportationen <strong>im</strong> Mai 1940, März 1943 und April 1944 518<br />

7.4 Erbkranke 521<br />

7.5 Behinderte 528<br />

7.6 Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene 529<br />

7.6.1 Lager für Kriegsgefangene und Ostarbeiter 530<br />

7.6.2 Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene<br />

in städtischen <strong>Die</strong>nststellen 531<br />

7.6.3 Krankenbehandlung <strong>im</strong> Kemperhof 537<br />

7.6.4 Entbindungen und Zwangsabtreibungen 541<br />

7.7 Fre<strong>im</strong>aurer 546<br />

7.8 Zwischenergebnis 547


V<br />

8 Systemstabilisierung: <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Einsatz<br />

an der He<strong>im</strong>atfront 551<br />

8.1 Verwaltungsvereinfachung und „Menschenführung“ 551<br />

8.2 Einquartierungen und Beschlagnahmen 558<br />

8.3 Das Kriegsschädenamt 559<br />

8.4 Luftschutz: Vorbereitungen und Bewährung <strong>im</strong> Katastrophenfall 561<br />

8.5 Das Amt für Sofortmaßnahmen 575<br />

8.6 Das Wirtschafts- und Ernährungsamt 578<br />

8.7 Gefallenenehrung 584<br />

8.8 Letzte Anstrengungen: Kräftekonzentration, Evakuierungen<br />

und Kriegsende 587<br />

8.9 Zwischenergebnis 592<br />

9 Notizen zum Neuanfang 595<br />

10 Forschungsbilanz 605<br />

Anhang<br />

Abkürzungen 619<br />

Abbildungen 622<br />

Amtsinhaber und Funktionsträger von Stadt, Staat und Partei 634<br />

Tabellen 638<br />

Quellen und Literatur 645


1 Einleitung<br />

„Jede Herrschaft äußert sich und funktioniert als Verwaltung. Jede Verwaltung bedarf<br />

irgendwie der Herrschaft, denn <strong>im</strong>mer müssen zu ihrer Führung irgendwelche Befehls-<br />

gewalten in irgend jemandes Hände gelegt sein. <strong>Die</strong> Befehlsgewalt kann dabei sehr<br />

unscheinbar auftreten und der Herr als ‚<strong>Die</strong>ner’ der Beherrschten gelten und sich fühlen.“ 1<br />

Max Weber<br />

„Auch in Demokratien beeilen sich die Beamten, sich jeder neuen Regierung anzupassen<br />

und sie schleunigst zu bedienen unter dem Vorwand, den Spielregeln der Demokratie zu<br />

folgen. In Wirklichkeit denken sie dabei meistens eher an ihre Karriere.“ 2<br />

Avi Pr<strong>im</strong>or<br />

1<br />

* * *<br />

Wohl jeder, der sich mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigt, stellt sich irgendwann<br />

einmal die Frage, wie er selbst sich verhalten hätte. Wäre man z. B. der NSDAP beigetreten<br />

oder zumindest einer ihrer vielen Organisationen? Wie weit hätte man sich selbst arrangiert<br />

oder gar engagiert? <strong>Die</strong> Gründe für einen Parteibeitritt sind vielfältig gewesen, oft nach-<br />

vollziehbar und verständlich, ja entschuldbar, und nicht jeder, der Parteigenosse war, war das,<br />

was man heute unter einem „Nazi“ versteht.<br />

<strong>Die</strong> Frage ist hypothetischer Natur, denn wer heute zur NS-Geschichte forscht, lebt in der<br />

„Gnade der späten Geburt“. <strong>Die</strong>s birgt einerseits die Chance zu einer „unbelasteten“<br />

Betrachtung sine ira et studio, andererseits die Gefahr der Vermessenheit in der Beurteilung<br />

derer, denen diese „Gnade“ nicht zuteil wurde. Ein hartes Urteil über seine Zeitgenossen fällte<br />

aber schon der Vater von Joach<strong>im</strong> Fest, dem sein Sohn unter dem bezeichnenden Titel „Ich<br />

nicht“ ein literarisches Denkmal setzte. Der Lehrer wurde aufgrund seiner Weigerung, der<br />

Partei beizutreten, zwangspensioniert, was die ganze Familie in wirtschaftliche Not und<br />

soziale Ausgrenzung führte. Über diejenigen, die sich dem Reg<strong>im</strong>e nicht wie er verweigerten,<br />

sagte er: „Wer sich von alledem [Hitlers Politik] noch nicht beeindrucken ließ, habe sich<br />

eingeredet, er mache mit, ‚um Schl<strong>im</strong>meres zu verhüten’. In Wahrheit habe keiner von denen,<br />

die so redeten, Schl<strong>im</strong>meres verhütet, sondern dem Reg<strong>im</strong>e Ansehen sowie Sachverstand<br />

verschafft und damit das ‚Schl<strong>im</strong>me’ gerade befördert.“ 3<br />

1 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Hg. v. Johannes<br />

Winckelmann. 5. rev. Aufl. Tübingen 1976, S. 545 f.<br />

2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.2010: Nun wissen wir, wozu die Nazis Diplomaten brauchten.<br />

3 Joach<strong>im</strong> Fest: Ich nicht. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2008, S. 81.


2<br />

Gab und gibt es so etwas wie eine „gut gemeinte Anpassung“ in einem Unrechtsreg<strong>im</strong>e? <strong>Die</strong>s<br />

beanspruchte jedenfalls der <strong>Koblenz</strong>er Stadtkämmerer, Dr. Herbert Wirtz, für sich. Er habe<br />

nach langen inneren Kämpfen den Mitgliedsantrag für die NSDAP „nicht aus persönlichen<br />

Gründen, sondern aus dem Pflichtbewusstsein des letzten massgebenden Vertreters des<br />

Oberbürgermeisters <strong>im</strong> Interesse und zum Schutze der mir anvertrauten städtischen Belange,<br />

insbesondere der finanziellen, lediglich unterschrieben.“ 4 Auf der einen Seite hat er sein<br />

Fachwissen zur Verfügung gestellt und <strong>im</strong> Sinne Fests das „Schl<strong>im</strong>me“ damit befördert. Auf<br />

der anderen Seite hat er offenbar, so gut er konnte, Forderungen der Partei abgewehrt,<br />

jedenfalls so gut, dass der Kreisleiter ihn letztendlich wegen Sabotage aus der Partei<br />

ausschließen wollte und er die <strong>Stadtverwaltung</strong> verlassen musste. <strong>Die</strong> Reaktion des<br />

Kreisleiters scheint also zu belegen, dass es Wirtz wenigstens zum Teil geglückt war,<br />

„Schl<strong>im</strong>meres“ zu verhüten. Letztlich ist die Frage, ob es eine „gut gemeinte Anpassung“ gab,<br />

gibt oder überhaupt geben kann, eine ethisch-moralische, die die Geschichtswissenschaft<br />

schwerlich beantworten kann. Aber insbesondere die Stadtgeschichte „bietet die Chance,<br />

anhand der konkreten Befunde in einem gut überschaubaren Untersuchungsfeld das<br />

Zusammenspiel von Herrschaft und Alltag, das Spannungsfeld von Verführung und Zwang<br />

und den inneren Zusammenhang von Verfolgung und Nutznießerschaft detailliert zu<br />

untersuchen und zu verstehen.“ 5<br />

Im Mittelpunkt der vorliegenden stadtgeschichtlichen Untersuchung steht die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong>. Man muss sich zunächst vor Augen halten, dass die Berührungspunkte zwischen<br />

städtischen Bediensteten und Bürgern damals viel persönlicher und unmittelbarer waren als<br />

heute. <strong>Die</strong> wenigsten Bürger verfügten z. B. über ein Bankkonto. Geldtransfers zwischen<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> und Bürgern liefen bar über den Tresen der Stadtkasse. An der Stelle von<br />

Telefonat und E-Mail stand neben dem Brief die persönliche Vorsprache am Schalter und <strong>im</strong><br />

<strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer. Dass die Oberbürgermeister und Beigeordneten ab 1933 in der Regel nicht<br />

ohne Segen der Partei in ihre Ämter kamen oder sich dort auf Dauer halten konnten, leuchtet<br />

noch ein. Aber was haben der Arbeiter bei der städtischen Müllabfuhr, der Technische<br />

Inspektor bei der Bauverwaltung, der Inspektor be<strong>im</strong> Stadtwirtschaftsamt, der Amtmann <strong>im</strong><br />

Wohlfahrtsamt, der Oberinspektor <strong>im</strong> Kulturamt, die vielen Beamten und Angestellten der<br />

sogenannten Kriegsämter oder der Chefarzt <strong>im</strong> städtischen Krankenhaus mit der national-<br />

sozialistischen Ideologie und Politik zu tun, um nur einige Beispiele zu nennen? Nun, der<br />

städtische Arbeiter bei der Müllabfuhr beschwerte sich 1933 über seine schmutzige Arbeit,<br />

weil sie eines Alten Kämpfers nicht würdig sei. Der Technische Stadtinspektor schätzte als<br />

Sachverständiger für die städtische Preisbildungsbehörde den Mietwert einer einem Juden<br />

4 StAK 623 Nr. 2619, S. 124 f.<br />

5 Detlef Schmiechen-Ackermann/Mathias Tullner: Stadtgeschichte und NS-Zeit in Sachsen-Anhalt und <strong>im</strong><br />

regionalen Vergleich. Forschungsstand, Fragen und Perspektiven. In: Detlef Schmiechen-Ackermann/Steffi<br />

Kaltenborn (Hg.): Stadtgeschichte in der NS-Zeit. Fallstudien aus Sachsen-Anhalt und vergleichende<br />

Perspektiven (Geschichte, Forschung und Wissenschaft 13). Münster 2005, S. 7-38, hier S. 13.


gehörenden Wohnung ein, in der ein Arier wohnte. Der Inspektor be<strong>im</strong> Stadtwirtschaftsamt<br />

wies später Juden in die Judenhäuser ein. Der Leiter des Wohlfahrtsamtes musste die schon<br />

1934 schriftlich vereinbarte Zusammenarbeit mit der NS-Volkswohlfahrt mit Leben füllen.<br />

Der Leiter des Kulturamtes musste die ehrgeizige Kulturpolitik des Oberbürgermeisters in<br />

Kontrast und als Konkurrenz zur NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude und Gaupropa-<br />

gandaleitung organisieren. <strong>Die</strong> gute und schnelle Arbeit der Kriegsämter war von größter<br />

Bedeutung für die St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung <strong>im</strong> Bombenkrieg. Und der Chefarzt war für<br />

die Durchführung der vom Erbgesundheitsgericht angeordneten Sterilisationen ebenso<br />

verantwortlich wie für die Zwangsabtreibungen bei Ostarbeiterinnen, bis sie ihm von einem<br />

ukrainischen Arzt abgenommen wurden.<br />

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht vorrangig um sogenannte Schreibtisch-<br />

täter 6 und auch nicht pr<strong>im</strong>är oder ausschließlich um Verfolgungsmaßnahmen. Es geht<br />

vielmehr um die Behörde <strong>Stadtverwaltung</strong> und ihre Bediensteten sowie das Verhältnis der<br />

Kommune zu Staat und Partei. Denn die <strong>Stadtverwaltung</strong> war mit ihrem gesamten Personal,<br />

ihrem bürokratischen Know-how und ihren eingespielten Routinen unabdingbar notwendig,<br />

um den nationalsozialistischen Staat nach der Machtergreifung fest zu installieren und ihn<br />

trotz polykratischer Auswüchse und Krieg ständig zu stabilisieren. Nicht umsonst hat die<br />

Partei einen großen Aufwand betrieben und <strong>im</strong>mensen Druck auf die Beamten ausgeübt, um<br />

sie gleichzuschalten und sie sich mittel- oder unmittelbar dienstbar zu machen. Das erste<br />

rassistische Verfolgungsgesetz – das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums<br />

vom 7. April 1933 7 – galt nicht zufällig den Beamten, die seit 1934 wie die Wehrmachts-<br />

soldaten und die Parte<strong>im</strong>itglieder sowieso auf die Person Hitlers vereidigt wurden.<br />

Während die historische Forschung dem Widerstand einiger Weniger lange viel Beachtung<br />

geschenkt hat, einerseits aus Gründen der Würdigung, andererseits aus Gründen der<br />

3<br />

Legit<strong>im</strong>ation eines „besseren“ Deutschlands, hat sich das Interesse mittlerweile verlagert. Sie<br />

widmet sich verstärkt dem Anpassungsverhalten und dem Konsens, dem Wegsehen und dem<br />

Mitmachen der Masse der Bevölkerung. Dabei ist eine schlichte Einteilung in Täter und<br />

Opfer, in Schwarz und Weiß, eine unzulässige Vereinfachung. Sie wird angesichts „sehr<br />

viele[r] Grautöne“ 8 weder dem komplexen Gegenstand noch seiner andauernden politischen,<br />

kulturellen und moralischen Relevanz gerecht. 9 In der überwiegenden Mehrheit waren es<br />

keineswegs sozial Gestrandete, schlecht Ausgebildete oder gar wahnsinnige Verbrecher und<br />

6 Zur Definition eines Schreibtischtäters vgl. Martin Jungius/Wolfgang Seibel: Der Bürger als<br />

Schreibtischtäter. Der Fall Kurt Blanke. In: VfZ 56 (2008), S. 265-300, hier S. 265 Anm. 1.<br />

7 RGBl. I, S. 175.<br />

8 Schmiechen-Ackermann/Tullner: Stadtgeschichte und NS-Zeit, S. 13.<br />

9 Zur Problematik der „kategorische[n] Einteilung in Täter und Opfer“, die zu einem stark vereinfachten<br />

Geschichtsbild führe, vgl. Johannes Hürter: Das Auswärtige Amt, die NS-Diktatur und der Holocaust. Kritische<br />

Bemerkungen zu einem Kommissionsbericht. In: VfZ 59 (2011), S. 167-192, hier S. 189 f.


sadistische Monster, die den <strong>Nationalsozialismus</strong> trugen und unterstützten. Deshalb greift<br />

eine undifferenzierte Kategorisierung in Gut und Böse zu kurz. Erst langsam hat sich die<br />

4<br />

Erkenntnis durchgesetzt, dass „das NS-Reg<strong>im</strong>e und seine Verbrechen nicht von einer anderen<br />

Gesellschaft und anderen Menschen betrieben wurden als von den uns wohlvertrauten“, d. h.<br />

von „Menschen ohne hilfreiche Anomalien“ in all ihrer Widersprüchlichkeit. 10 Und zu ihnen<br />

gehörten auch die Bediensteten der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>.<br />

10 Ulrich Herbert: Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens <strong>im</strong> NS-Staat. In:<br />

Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hg.): Karrieren <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Funktionseliten zwischen<br />

Mitwirkung und Distanz. Frankfurt am Main 2004, S. 17-42, Zitate S. 38 f.


2 Forschungsstand, Quellenlage und Fragestellungen<br />

2.1 Forschungsstand<br />

<strong>Die</strong> lokale Verwaltung, die ganz unmittelbar mit der Bevölkerung in Berührung kommt und<br />

Herrschaft <strong>im</strong> direkten, alltäglichen Sinne ausübt und repräsentiert, war bis vor nicht allzu<br />

langer Zeit ein Stiefkind der historischen Forschung zum <strong>Nationalsozialismus</strong>. Hans<br />

5<br />

Mommsen stellte schon 1966 fest, dass das Beamtentum neben der Reichswehr „den stärksten<br />

traditionalen und stabilisierenden Faktor <strong>im</strong> Herrschaftsgefüge des Dritten Reiches“ bildete. 1<br />

Trotzdem gerieten die Kommunalverwaltungen <strong>im</strong> Gegensatz zu den Reichsbehörden und den<br />

Mittelinstanzen eher selten in den Fokus der Historiker, 2 und wenn, dann oft nur am Rande<br />

und beschränkt auf best<strong>im</strong>mte Zeiträume wie die Machtergreifung oder auf Einzelthemen wie<br />

ihre Rolle bei der Judenverfolgung. <strong>Die</strong>s verwundert, denn zur Durchsetzung und Ver-<br />

wirklichung der nationalsozialistischen Politik bedurfte es zwingend der Bürokratie vor Ort.<br />

Mommsen widmete sich 1966 in seiner Studie „Beamtentum <strong>im</strong> Dritten Reich“ der<br />

nationalsozialistischen Beamtenpolitik. Dabei konzentrierte er sich auf Fragen des<br />

Beamtenrechts und die Berliner Ministerialbürokratie. Er stellte fest, dass der NS-Staat<br />

entgegen der Propaganda „kein monolithisch strukturiertes, von einheitlichem politischem<br />

Wollen durchströmtes Herrschaftsgebilde“ war. Vielmehr „beruhte [er] ebensosehr auf<br />

traditionalen Elementen, wie er diese parasitär ausnützte und zersetzte. <strong>Die</strong> Beamtenpolitik ist<br />

ein hervorragendes Beispiel für diesen Vorgang.“ Zwischen der NSDAP als „Trägerin des<br />

Staates“ mit ihrem Selbstverständnis als dynamischer, revolutionärer Bewegung und dem<br />

traditionell eher konservativen Berufsbeamtentum bestand ein tiefer Gegensatz. Fachlich<br />

kompetente und juristisch vorgebildete Beamte standen oft dilettantisch agierenden<br />

Parteifunktionären gegenüber, die eifersüchtig und misstrauisch ihre Rolle als aktive,<br />

politische Führer betonten. Dabei paarten sich konfuse Vorstellungen und weitgehende<br />

Konzeptlosigkeit der Partei auf dem Gebiet der Beamtenpolitik mit einer bürokratiefeind-<br />

lichen Einstellung 3 und einem Bekenntnis zu altpreußischen Beamtentugenden, als deren<br />

1<br />

Hans Mommsen: Beamtentum <strong>im</strong> Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen<br />

Beamtenpolitik. Stuttgart 1966, S. 13.<br />

2<br />

So auch <strong>im</strong> entsprechenden Kapitel in einem Standardwerk zur deutschen Verwaltungsgeschichte: <strong>Die</strong>ter<br />

Rebentisch: Innere Verwaltung. In: Kurt G. A. Jeserich u. a. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 4: Das<br />

Reich als Republik und in der Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Stuttgart 1985, S. 732-774.<br />

3<br />

Hitler selbst ist dafür ein herausragendes Beispiel. Seine Aversion gegen Beamte und Juristen ist mehrfach<br />

beschrieben worden. Mommsen: Beamtentum, S. 21 f.; Peter <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat <strong>im</strong> Dritten Reich.<br />

Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung. 2. durchges. Aufl.<br />

München 1971, S. 8 f., 14; <strong>Die</strong>ter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg.<br />

Verfassungsentwicklung und Verfassungspolitik 1939-1945 (Frankfurter Historische Abhandlungen 29).<br />

Stuttgart 1989, S. 29-32; Ulrich von Hehl: „Keine Beamten, sondern fanatische Apostel“. Verwaltung und<br />

Beamtenschaft <strong>im</strong> Übergang vom autoritären zum nationalsozialistischen „Führerstaat“. In: Hermann<br />

Rumschöttel/Walter Ziegler (Hg.): Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945. München 2004, S. 11-37,<br />

hier S. 11-15.


6<br />

Retter man sich gerne darstellte. Der Berufsbeamte hatte durch das Festhalten am Prinzip der<br />

Gesetzmäßigkeit, an rechtlichen Normen und der Gemeinwohlorientierung die Funktion,<br />

„Repräsentant der staatlichen Ordnung“ zu sein, doch diese Funktion wurde durch die<br />

nationalsozialistische Politik <strong>im</strong>mer mehr bedroht und ausgehöhlt. Mommsen kommt zu dem<br />

Fazit, dass das „Beamtentum als Ganzes entscheidend zur Stabilisierung des national-<br />

sozialistischen Herrschaftssystems beitragen“ habe. Gleichzeitig bescheinigt er: „Bis zum<br />

Untergang des Dritten Reiches blieb das Beamtentum, ständig in seinem politischen Einfluß<br />

geschmälert und seiner Rechtsgarantien faktisch beraubt, Gegenkraft zu den radikalen<br />

Tendenzen der NS-Bewegung und auf den Staat, nicht die NSDAP orientiert.“ 4<br />

1970 erschien die umfassende Untersuchung „<strong>Nationalsozialismus</strong> und kommunale<br />

Selbstverwaltung“ von Horst Matzerath, 5 wie die Studie Mommsens inzwischen ein<br />

Standardwerk. Ihre zentrale Fragestellung lautete, inwieweit der kommunalen Selbstver-<br />

waltung „eine eigenverantwortliche Erledigung örtlicher Aufgaben noch möglich war“. 6 Auch<br />

auf lokaler Ebene stellt Matzerath den Dualismus von Partei und Staat fest, wofür er<br />

zahlreiche Beispiele institutioneller und personeller Art anführt. 7 Während nach 1933 offiziell<br />

die Weiterexistenz, ja sogar die Rettung der kommunalen Selbstverwaltung propagiert<br />

wurde, 8 sieht Matzerath sie <strong>im</strong> „Kern zerstört, wesentlicher Elemente beraubt“, nur noch als<br />

„Fassade“. 9 Als Gründe fasst er zusammen: „<strong>Die</strong> Politisierung sämtlicher Bereiche, die von<br />

der Partei und deren Organisationen ausging und alle politischen Energien an sie band, und<br />

der Zentralismus <strong>im</strong> Bereich der staatlichen Verwaltung ließen den Gemeinden keinen<br />

politischen Spielraum und zerstörten jegliches bewußte politische Leben. Der totalitäre<br />

Charakter des Systems und die Beseitigung rechtsstaatlicher Bindungen erschütterten die<br />

rechtliche und politische Position der Gemeinden.“ 10<br />

<strong>Die</strong> von Matzerath so detailreich und überzeugend beschriebene parasitäre Besetzung der<br />

Kommunalverwaltungen sowie der Niedergang und die letztendliche Zerstörung der<br />

kommunalen Selbstverwaltung trugen möglicherweise zu einem gewissen Desinteresse der<br />

4 Mommsen: Beamtentum, Zitate S. 18 f., 123, 123 Anm. 100.<br />

5 Horst Matzerath: <strong>Nationalsozialismus</strong> und kommunale Selbstverwaltung (Schriftenreihe des Vereins für<br />

Kommunalwissenschaften 29). Stuttgart 1970.<br />

6 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 10.<br />

7 Als Beispiele für institutionellen Dualismus seien die Gauämter für Kommunalpolitik genannt, die sich zu einer<br />

zusätzlichen „Aufsichtsbehörde“ entwickelten und Weisungsrechte reklamierten, und für den Dualismus auf<br />

personeller Ebene die Kreisleiter als „Gegenspieler“ der Oberbürgermeister; Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 210, 229-235, 247.<br />

8 Zur zeitgenössischen Diskussion der Staatsrechtslehre vgl. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S.<br />

438-449; Eberhard Laux: Führung und Verwaltung in der Rechtslehre des <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: <strong>Die</strong>ter<br />

Rebentisch/Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung <strong>im</strong> Staat Hitlers. Studien zum politischadministrativen<br />

System. Göttingen 1986, S. 33-64.<br />

9 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 448. An anderer Stelle sieht er den Prozess der Zerstörung<br />

der kommunalen Selbstverwaltung bei Kriegsende als noch nicht abgeschlossen an; ebd., S. 433. Ähnlich<br />

Andreas Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung <strong>im</strong> NS-Reg<strong>im</strong>e am Beispiel des Gaues Schwaben. In:<br />

Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat und Gaue, S. 419-442, hier S. 434, 442.<br />

10 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 450.


7<br />

Forschung an weiteren Studien bei. Als entmachtete Instanz und reines Exekutivorgan schien<br />

die lokale Bürokratie als Thema uninteressant, zumal Verwaltungsgeschichte an sich ein<br />

Image als trockene, unattraktive Materie besitzt. Obwohl regionale und lokale Unter-<br />

suchungen als Forschungsdesiderate erkannt waren 11 und sich mittlerweile größerer<br />

Beliebtheit erfreuten, 12 befassten sich erst seit Ende der 1980er Jahre verschiedene Autoren<br />

mit einzelnen Kommunalverwaltungen. 13 Forschungsgegenstand wurde die alltägliche Praxis<br />

in den „Niederungen des Verwaltungsvollzugs, wo die bedrückende Routine wie die<br />

spannungsreiche Dynamik der NS-Herrschaft besonders gut eingefangen werden können“. 14<br />

Im Gefolge von Mommsen und Matzerath orientierten sich die Untersuchungen zunächst an<br />

der Vorstellung vom Dualismus von Partei und Staat: Auf der einen Seite steht die radikale,<br />

mit totalitärem Anspruch auftretende Partei, auf der anderen Seite die gemäßigte und<br />

mäßigend wirkende, unpolitische Bürokratie. Matzerath selbst hatte aber schon 1978 davor<br />

11 Kurt Düwell: <strong>Die</strong> regionale Geschichte des NS-Staates zwischen Mikro- und Makroanalyse.<br />

Forschungsaufgaben zur „Praxis <strong>im</strong> kleinen Bereich“. In: JbwestdtLG 9 (1983), S. 287-344; ders.: Der<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong> Spiegel regional- und lokalgeschichtlicher Entwicklungen. Neuere landesgeschichtliche<br />

Ansätze und das Problem der Gesamtsicht. In: Debatten um die lokale Zeitgeschichte. Methoden, Träger,<br />

Themen, Formen (Bensberger Protokolle 67), Bergisch-Gladbach 1990, S. 45-60; ders.: Regionalismus und<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> am Beispiel des Rheinlands. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 59 (1995), S. 194-210; Peter<br />

Steinbach: Beiträge zur Geschichte der Stadt unter dem <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Archiv für<br />

Kommunalwissenschaften 22 (1983), S. 1-27; Ulrich von Hehl: <strong>Nationalsozialismus</strong> und Region. Bedeutung und<br />

Probleme einer regionalen und lokalen Erforschung des dritten Reiches. In: Zeitschrift für Bayerische<br />

Landesgeschichte 56 (1993), S. 111-129; Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung, S. 420.<br />

12 Bahnbrechend die 1977 bis 1983 von Martin Broszat u. a. herausgegebene, sechsbändige regionale Studie<br />

„Bayern in der NS-Zeit“. Einen Überblick gibt Claus-Christian W. Szejnmann: Verwässerung oder<br />

Systemstabilisierung? Der <strong>Nationalsozialismus</strong> in Regionen des Deutschen Reichs. In: Neue Politische Literatur<br />

48 (2003), S. 208-250.<br />

13 Eine Auswahl: Roland Müller: Stuttgart zur Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Stuttgart 1988; Wolfram Hilpert:<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> und Stadt (Verwaltung) Köln. Der Einfluß des <strong>Nationalsozialismus</strong> auf die kommunale<br />

Selbstverwaltung in den Vorkriegsjahren des Dritten Reiches. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 60<br />

(1989), S. 241-284; Benigna Schönhagen: Tübingen unterm Hakenkreuz. Eine Universitätsstadt in der Zeit des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. Stuttgart 1991; Karl-Heinz Metzger u. a. (Hg.): Kommunalverwaltung unterm Hakenkreuz.<br />

Berlin-Wilmersdorf 1933-1945. Berlin 1992; Elmar Gasten: Aachen in der Zeit der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft 1933-1944. Frankfurt am Main 1993; Hans-Joach<strong>im</strong> Heinz: NSDAP und Verwaltung in der Pfalz.<br />

Allgemeine innere und kommunale Selbstverwaltung <strong>im</strong> Spannungsfeld nationalsozialistischer Herrschaftspraxis<br />

1933-1939. Ein Beitrag zur zeitgeschichtlichen Landeskunde (Geschichte <strong>im</strong> Kontext 1). Mainz 1994; Helmut<br />

Halter: Stadt unterm Hakenkreuz. Kommunalpolitik in Regensburg während der NS-Zeit. Regensburg 1994;<br />

Angelika Ebbinghaus/Karsten Linne (Hg.): Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg <strong>im</strong> „Dritten Reich“.<br />

Hamburg 1997; Winfried Becker (Hg.): Passau in der Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Ausgewählte Fallstudien.<br />

Passau 1999; Gerhard Nestler (Hg.): Frankenthal unterm Hakenkreuz. Eine pfälzische Stadt in der NS-Zeit.<br />

Ludwigshafen 2004; Rüdiger Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler<br />

Ebene am Beispiel Hannovers (Hannoversche Studien 10). Hannover 2006; Bernhard Gotto:<br />

Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die<br />

Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong> 1933-1945 (Studien zur Zeitgeschichte 71). München 2006. <strong>Die</strong> Stadt München<br />

beabsichtigt, die Rolle ihrer Verwaltung <strong>im</strong> Dritten Reich in einem ca. 15-jährigen (!) Forschungsprojekt von<br />

Stadtarchiv und Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität untersuchen zu lassen; Süddeutsche Zeitung, 9.3.2009: Blick<br />

in Münchens NS-Vergangenheit.<br />

14 <strong>Die</strong>ter Rebentisch/Karl Teppe: Einleitung. In: <strong>Die</strong>s. (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S. 7-32, hier<br />

S. 12. Vgl. auch Jürgen Reulecke: Moderne Stadtgeschichtsforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In:<br />

Christian Engeli/Horst Matzerath (Hg.): Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan<br />

(Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik 78). Köln 1989, S. 21-36, hier S. 31 f.


gewarnt, dass ein zu enges Konzept des an sich „unbestreitbaren“ Dualismus den Blick auf<br />

andere Gegensätze, wie z. B. den von Parteidienststellen untereinander, verstelle. 15<br />

Monokratie bzw. Polykratie 16 sind weitere gängige Begriffe zur Beschreibung des NS-<br />

Herrschaftssystems. Besonders in der ersten Nachkriegszeit dominierte die Vorstellung vom<br />

monolithischen „Führerstaat“, 17 in dem Hitler als die allmächtige und zentrale Führerfigur<br />

herrschte, ausgestattet mit omnipotenter Machtfülle. Aus der überragenden Stellung des<br />

Diktators 18 leitete sich der Eindruck einer straff durchorganisierten, auf allen Gebieten<br />

gleichgeschalteten Monokratie ab. Doch schon seit den 1960er Jahren zeigte sich <strong>im</strong>mer<br />

mehr, dass der NS-Staat als monolithischer Block mehr ein nationalsozialistisches<br />

8<br />

Propagandabild als eine historische Tatsache war. 19 Polykratisch orientierte Ansätze betonten<br />

dagegen die ausufernde Fülle von <strong>im</strong>mer neuen Ämtern, <strong>Die</strong>nststellen und Sonderbehörden,<br />

von Bevollmächtigten und Beauftragten auf allen Gebieten in Staat und Partei. Ihre<br />

Gesamtstruktur wurde zunehmend verworrener, unübersichtlicher und ineffizienter, die<br />

einzelnen Kompetenzen <strong>im</strong>mer unklarer und die Konkurrenz untereinander <strong>im</strong>mer größer. Für<br />

Peter <strong>Die</strong>hl-Thiele ist daher das Motto „divide et <strong>im</strong>pera“ das Herrschaftsprinzip des NS-<br />

Staates schlechthin. 20<br />

Ernst Fraenkel analysierte in seinem Werk „Der Doppelstaat“, das er erstmals 1941 <strong>im</strong><br />

amerikanischen Exil unter dem Titel „The Dual State“ veröffentlichte, die Struktur des NS-<br />

Staates mit juristischen Begriffen. 21 Er stellt dem Normenstaat den Maßnahmenstaat<br />

gegenüber: Der Normenstaat agiert nach dem Rechtssystem der We<strong>im</strong>arer Republik, deren<br />

15 Horst Matzerath: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Anspruch und Realität. In: <strong>Die</strong> Alte Stadt 5 (1978),<br />

S. 1-22, hier S. 8 Anm. 26. Dabei bezog sich seine Kritik auf <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat.<br />

16 Klaus Hildebrand: Monokratie oder Polykratie? Hitlers Herrschaft und das Dritte Reich. In: Gerhard<br />

Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hg.): Der „Führerstaat“. Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik<br />

des Dritten Reiches (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 8), Stuttgart 1981, S. 73-<br />

97; Peter Hüttenberger: Nationalsozialistische Polykratie. In: Geschichte und Gesellschaft 2 (1976), S. 417-422.<br />

17 Martin Broszat: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung. München 1969,<br />

Lizenzausgabe Wiesbaden 2007; Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945.<br />

München 1987; Rebentisch: Führerstaat.<br />

18 Hans Mommsen: Hitlers Stellung <strong>im</strong> nationalsozialistischen Herrschaftssystem. In: Gerhard Hirschfeld/Lothar<br />

Kettenacker (Hg.): Der „Führerstaat“. Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches<br />

(Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 8). Stuttgart 1981, S. 43-72. Zur kontroversen<br />

Diskussion um die Stellung Hitlers vgl. das Kapitel „Hitler: ‚Herr und Meister <strong>im</strong> Dritten Reich’ oder<br />

‚schwacher Diktator’?“. In: Ian Kershaw: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen <strong>im</strong><br />

Überblick. Vollständig überarb. und erw. Neuausgabe Reinbek bei Hamburg 1999, S. 114-148.<br />

19 Düwell: Der NS <strong>im</strong> Spiegel, S. 48 f.; Gerhard Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hg.): Der „Führerstaat“. Mythos<br />

und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches (Veröffentlichungen des Deutschen<br />

Historischen Instituts London 8), Stuttgart 1981.<br />

20 Kritisch hierzu Horst Romeyk: Der preußische Regierungspräsident <strong>im</strong> NS-Herrschaftssystem. Am Beispiel<br />

der Regierung Düsseldorf. In: Rebentisch/Teppe: Verwaltung contra Menschenführung, S. 121-140, hier S. 139<br />

Anm. 69; sowie Rebentisch: Führerstaat, S. 11 Anm. 42, S. 16 f. Anm. 61.<br />

21 Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. 2. durchges. Aufl. Hamburg 2001. Michael Wildt hat das Werk 2002 zum<br />

Thema seiner Hamburger Antrittsvorlesung gemacht. Michael Wildt: <strong>Die</strong> politische Ordnung der<br />

Volksgemeinschaft. Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ neu betrachtet. In: Mittelweg 36 51 (2003), S. 45-61. Vgl.<br />

ders.: <strong>Die</strong> Transformation des Ausnahmezustands. Ernst Fraenkels Analyse der NS-Herrschaft und ihre<br />

politische Aktualität. In: Jürgen Danyel u. a. (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte. Göttingen 2007, S. 19-23.


Verfassung grundsätzlich Gültigkeit behielt. Demgegenüber setzt sich der Maßnahmenstaat<br />

über traditionelle Rechtsnormen hinweg und missbraucht das Recht willkürlich als bloße<br />

9<br />

Herrschaftstechnik, um seine politischen Ziele zu erreichen. Fraenkel wollte „den ‚gesamten<br />

öffentlichen Apparat’ in den Blick nehmen“. 22 Häufig wurden aber der Normenstaat dem<br />

Staat und der Maßnahmenstaat der Partei zugeordnet, was zu einer verstärkten Polarisierung<br />

<strong>im</strong> Konzept des Dualismus von Staat und Partei führte. 23 <strong>Die</strong> Anwendung und Beachtung<br />

traditioneller Rechtsnormen konnten aber laut Fraenkel auch von Parteiseite erfolgen.<br />

Umgekehrt waren es nicht nur Parteiinstanzen, die Rechtsnormen missachteten und<br />

verletzten, sondern auch die staatliche Bürokratie agierte maßnahmenstaatlich. <strong>Die</strong>hl-Thiele<br />

hat bei der Unterscheidung zwischen Normen und Maßnahmen die verschiedenen<br />

Handlungsprinzipien herausgestellt: Deren Dualität könne man „auch als Neben- und<br />

Gegeneinander von Legalitäts- und Opportunitätsprinzipien bezeichnen“. 24<br />

Franz Mögle-Hofacker hat 1983 am Beispiel württembergischer Kommunalverwaltungen<br />

darauf hingewiesen, dass gewohnte rechtsstaatliche Denk- und Handlungsmuster bei den<br />

Beamten als unbewusste Orientierung weiterwirkten, ein in diesem Fall positiv zu<br />

bewertender „Trägheitsfaktor der Verwaltung“. Er konnte zahlreiche Fälle ausmachen, in<br />

denen die Verwaltung „gegenüber der nationalsozialistischen Maschinerie eine Brems- oder<br />

Pufferfunktion“ ausübte. Viele Parteibeitritte erfolgten demnach mit der Absicht der<br />

„Effektivierung rechtsstaatlicher Maßnahmen sogar gegen Nazi-Chargen“, und Fachbeamte<br />

hatten den Ideologen „den berühmten Sand ins Getriebe“ streuen können. Mögle-Hofackers<br />

Ansatz ist zwar noch ganz dem dualistischen Gegensatz von Partei und Staat verhaftet, doch<br />

er zeigt die <strong>im</strong> Rückgriff auf traditionelle rechtsstaatliche Handlungsmuster liegenden<br />

taktisch-defensiven Möglichkeiten, insbesondere in Konfliktsituationen mit der Partei. 25<br />

Matzerath hatte – was wenig beachtet wurde – bereits aufgezeigt, dass die Gemeinde einem<br />

„doppelten Zugriff“ ausgesetzt war, nämlich nicht nur dem der Partei, sondern auch dem des<br />

Staates, die beide ihre „politische Potenz“ aufsaugten. 26 <strong>Die</strong>sen Aspekt unterstrich Andreas<br />

Wirsching. <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung stand „schon längst vor 1933 zur Disposition“.<br />

Nicht nur, dass der Status der Gemeinde verfassungsrechtlich diffus war und sie in der<br />

22 Wildt: <strong>Die</strong> politische Ordnung, S. 52.<br />

23 Beispiel: „Auf relativ festen Normen beruhende geregelte Verwaltungsführung als fortwirkende Struktur des<br />

Verwaltungs- und Rechtsstaates und der sich durch ‚Maßnahmen’ verwirklichende totale politische Anspruch<br />

der totalitären Staatspartei stellten widerstrebende, unvereinbare Prinzipien dar.“ Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 435. Vgl. auch Rebentisch/Teppe: Einleitung, S. 32.<br />

24 <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat, S. 22, 28 f., Zitat S. 28.<br />

25 Franz Mögle-Hofacker: Zur Bedeutung rechtsstaatlicher Traditionen während der Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

am Beispiel württembergischer Kommunalverwaltungen. In: Bernhard Kirchgässer/Jörg Schaft (Hg.):<br />

Kommunale Selbstverwaltung. Idee und Wirklichkeit. Sigmaringen 1983, S. 182-196, Zitate S. 184, 188, 191.<br />

Der Aufsatz ist kaum rezipiert worden: Fleiter führt ihn in seinem Literaturverzeichnis gar nicht auf, Gotto zitiert<br />

Mögle-Hofacker zwar kurz, geht auf dessen Ergebnisse jedoch nicht weiter ein. Gotto: Nationalsozialistische<br />

Kommunalpolitik, S. 4.<br />

26 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 434.


Staatsrechtslehre eher der Gesellschaft als dem Staat zugeordnet wurde, 27 faktisch erfolgte<br />

auf zentralen Gebieten der Selbstverwaltung eine expandierende „Verreichlichung“ der<br />

10<br />

kommunalen Aufgaben. Vor allem <strong>im</strong> Finanzwesen verschärfte sich der „Dualismus zwischen<br />

Reich und Gemeinden“, sodass sich die kommunale Selbstverwaltung schon vor der<br />

Machtergreifung in einer tiefen Krise befand. <strong>Die</strong> „Degradierung der Gemeinden“ setzte sich<br />

nach 1933 durch vermehrte Auftragsverwaltung und staatliche Reglementierung, neue<br />

Sonderverwaltungen und wuchernde Parteiorganisationen mit beschleunigter Dynamik und in<br />

beispiellosem Ausmaß fort. Dass die Gemeinden staatsrechtlich durch die Deutsche<br />

Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 eine Aufwertung erfuhren, indem sie zu öffentlich-<br />

rechtlichen Gebietskörperschaften erklärt wurden, 28 änderte daran nichts. 29 Franz Neumann<br />

beurteilte den Zustand der kommunalen Selbstverwaltung in seiner nach dem biblischen<br />

Ungeheuer „Behemoth“ benannten Studie, die er erstmals 1942 – wie Fraenkel <strong>im</strong><br />

amerikanischen Exil – veröffentlichte, noch düsterer. Schon vor Kriegsbeginn sah er „die<br />

Gemeindeorgane auf den Status von Behörden des Reiches“ reduziert. 30<br />

Ende der 1990er Jahre brachten insbesondere die Forschungen zur lokalen Verwaltungspraxis<br />

neue Erkenntnisse, die einen Perspektivenwechsel – es fiel sogar der viel strapazierte Begriff<br />

Paradigmenwechsel 31 – einleiteten. Damit konnte die Stadtgeschichtsforschung sich als<br />

„Korrektivwissenschaft“ erweisen, an deren Ergebnissen „allgemeine Thesen der<br />

Geschichtswissenschaft […] gemessen werden können.“ 32 Gängige Thesen und Konzepte<br />

wie die Vorstellung einer rein exekutiv agierenden Kommunalbürokratie, die weitgehend<br />

„sauber“, weil unpolitisch blieb, mussten eine Revision und Korrektur erfahren. 33<br />

27<br />

Vgl. Kurt G. A. Jeserich: Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik. In: Ders. u. a. (Hg.): Deutsche<br />

Verwaltungsgeschichte, S. 487-524, hier S. 490.<br />

28<br />

§ 1 Abs. 2 DGO vom 30.1.1935; RGBl. I, S. 49.<br />

29<br />

Andreas Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei. Aufbruch, Krise und Zerstörung der<br />

kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland 1918-1945. In: Hans Eugen Specker (Hg.): Einwohner und<br />

Bürger auf dem Weg zur Demokratie (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 28). Stuttgart 1997, S. 191-<br />

208, Zitate S. 194 f., 204; ders.: Probleme der Kommunalverwaltung. Zur Krise der Selbstverwaltung vor 1933<br />

vgl. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 21-33.<br />

30<br />

Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des <strong>Nationalsozialismus</strong> 1933-1945. Frankfurt am Main<br />

1998, S. 85.<br />

31<br />

Armin Nolzen: Rezension zu: Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative<br />

Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong> 1933-1945. München 2006. In:<br />

Archiv für Sozialgeschichte online 46 (2006) Rezensionen, http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/<br />

80763.htm, Zugriff am 18.7.2008; Andreas Wirsching: Rezension zu: Rüdiger Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebene am Beispiel Hannovers. Hannover 2006. In: H-Soz-u-<br />

Kult, 01.09.2006, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-159, Zugriff am 19.3.2008.<br />

32<br />

Peter Steinbach: Beiträge zur Geschichte der Stadt unter dem <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Archiv für<br />

Kommunalwissenschaften 22 (1983), S. 1-27, hier S. 13. Zur lokalen Zeitgeschichte als „Korrektiv für<br />

allgemeine Aussagen der Zeitgeschichtsforschung“ vgl. auch Georg Mölich: Thesen zur lokalen Zeitgeschichte.<br />

In: Debatten um die lokale Zeitgeschichte. Methoden, Träger, Themen, Formen (Bensberger Protokolle 67).<br />

Bergisch-Gladbach 1990, S. 41-44, hier S. 43.<br />

33<br />

<strong>Die</strong>s erinnert an das Bild der vermeintlich „sauberen“ Wehrmacht, das – für viele ehemalige<br />

Wehrmachtssoldaten unverständlich und schmerzlich – korrigiert werden musste. Was die<br />

Geschichtswissenschaft an wenig populären Tatsachen belegen konnte, geriet erst durch die umstrittene<br />

Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in den Blick der breiten<br />

Öffentlichkeit. Manfred Messerschmidt: <strong>Die</strong> Wehrmacht <strong>im</strong> NS-Staat. Zeit der Indoktrination. Hamburg 1969;


Wolf Gruner wies 1997 als Erster darauf hin, dass die Zuordnung Partei – Radikalität und<br />

11<br />

Staat – Mäßigung nicht durchgängig aufrecht zu erhalten ist. Er konnte zeigen, dass die lokale<br />

Ebene in der Verfolgungspolitik des NS-Reg<strong>im</strong>es eine aktivere und radikalisierendere Rolle<br />

gespielt hat als bisher angenommen. 34 Städte und Gemeinden entwickelten eigene Initiativen<br />

auf dem Gebiet der Judenverfolgung. Anhand verschiedener Beispiele konnte er die<br />

„wechselseitige Dynamisierung von zentraler und lokaler Politik“ nachweisen. 35 Damit leitete<br />

Gruner eine Abkehr vom Bild der vermeintlich unpolitischen, nach rein sachlich-formellen<br />

Kriterien entscheidenden Kommunalverwaltung ein.<br />

Sein Ansatz wurde aufgegriffen und in mehreren Arbeiten weiterentwickelt. <strong>Die</strong> 2006<br />

erschienene Dissertation von Rüdiger Fleiter über die <strong>Stadtverwaltung</strong> Hannover bestätigte<br />

Gruners Befunde, dass die Kommunen nicht nur die Rolle eines reinen Exekutivorgans<br />

spielten. Fleiter konnte selbständige Aktivitäten der <strong>Stadtverwaltung</strong> auf dem Gebiet der<br />

Verfolgung der Juden belegen, aber auch bei der Verfolgung von Sinti, Behinderten,<br />

„Asozialen“, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Städtische Interessen deckten sich<br />

dabei mit denen des NS-Reg<strong>im</strong>es. Fleiter resümiert, es sei „nicht möglich, den kommunalen<br />

Verwaltungsapparat vom nationalsozialistischen Unrechtsreg<strong>im</strong>e abzutrennen.“ 36<br />

Auch in dem 2005 von Sabine Mecking und Andreas Wirsching herausgegebenen<br />

Sammelband „<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Systemstabilisierende D<strong>im</strong>ensionen<br />

kommunaler Herrschaft“ belegen verschiedene Autoren in ihren Studien zu einzelnen<br />

Kommunen, dass diese „eigenständige Handlungsräume behielten bzw. sich neue<br />

Tätigkeitsfelder erschlossen, die sie aktiv, selbständig und dynamisch ausfüllten.“ 37 Als<br />

Beispiel sei die <strong>Stadtverwaltung</strong> Frankfurt am Main genannt, die aktiv bei der Arisierung<br />

jüdischen Vermögens mitwirkte und dabei die Gelegenheit nutzte, eigene Ziele <strong>im</strong> Bereich<br />

der Stadtentwicklung und des Grunderwerbs zu verwirklichen. 38 So können insbesondere <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Verfolgung „die nach 1945 probaten Selbststilisierungen von einer <strong>im</strong> NS-<br />

Reg<strong>im</strong>e ausgehöhlten, infolgedessen machtlosen und <strong>im</strong> Kern ohnehin unpolitischen<br />

Hans-Günther Thiele (Hg.): <strong>Die</strong> Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse (Sonderausgabe der<br />

Bundeszentrale für politische Bildung). Bonn 1997.<br />

34 Wolf Gruner: <strong>Die</strong> öffentliche Fürsorge und die deutschen Juden 1933-1945. Zur antijüdischen Politik der<br />

Städte, des Deutschen Gemeindetages und des Reichsinnenministeriums. In: Zeitschrift für<br />

Geschichtswissenschaft 45 (1997), S. 597-616; ders.: Der Deutsche Gemeindetag und die Koordinierung<br />

antijüdischer Kommunalpolitik. Zum Marktverbot für jüdische Händler und zur „Verwertung“ jüdischen<br />

Eigentums. In: Archiv für Kommunalwissenschaften 37 (1998), S. 261-291.<br />

35 Wolf Gruner: <strong>Die</strong> NS-Judenverfolgung und die Kommunen. Zur wechselseitigen Dynamisierung von zentraler<br />

und lokaler Politik 1933-1941. In: VfZ 48 (2000), S. 75-126; ders.: Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung.<br />

Wechselwirkung lokaler und zentraler Politik <strong>im</strong> NS-Staat (1933-1942). München 2002.<br />

36 Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, Zitat S. 363.<br />

37 Sabine Mecking/Andreas Wirsching: <strong>Stadtverwaltung</strong> als Systemstabilisierung? Tätigkeitsfelder und<br />

Handlungsspielräume kommunaler Herrschaft <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: <strong>Die</strong>s. (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. Systemstabilisierende D<strong>im</strong>ensionen kommunaler Herrschaft (Forschungen zur<br />

Regionalgeschichte 53). Paderborn 2005, S. 1-19, hier S. 6.<br />

38 Doris Eizenhöfer: <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> Frankfurt am Main und die „Arisierung“ von Grundbesitz. In:<br />

Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 299-324.


kommunalen (Selbst-)Verwaltung als widerlegt gelten.“ 39 Matzerath hat als Rezensent des<br />

12<br />

Bandes darauf hingewiesen, dass zwar Handlungsspielräume bestanden, ihnen aber Grenzen<br />

gesetzt gewesen waren, die von verschiedenen lokalen Gegebenheiten, vor allem von der<br />

Machtstellung des Gauleiters, abhingen. Als „Nagelprobe auf die kommunale Eigen-<br />

ständigkeit“ erscheint ihm bei künftigen Untersuchungen für weitere Aufgabenbereiche der<br />

Verwaltung die Frage, ob sich die Kommunen <strong>im</strong> Konfliktfall gegenüber der Partei sowie<br />

Staat und Sonderbehörden durchsetzen konnten. 40<br />

Im Gegensatz zum bisherigen Polykratie-Konzept, das Ineffizienz und Zerfallstendenzen<br />

durch konkurrierende Instanzen in den Mittelpunkt stellt, geraten neuerdings die<br />

stabilisierenden und integrativen Kräfte verstärkt in den Blick. Bernhard Gotto plädiert für ein<br />

offeneres Modell, das die Handlungsfähigkeit auf Partei- und Verwaltungsebene mit der<br />

„polykratischen Selbststabilisierung“ erklärt, bei der die Beteiligten die Machtverhältnisse<br />

ständig neu ausbalancierten und Konflikte flexibel lösten. 41 In seiner 2006 veröffentlichten<br />

Dissertation zur <strong>Stadtverwaltung</strong> Augsburg erhebt Gotto die „administrative Normalität“, die<br />

er als „dynamisches Konzept“ versteht, zum „Leitbegriff“ seiner Arbeit. Er benutzt ihn als<br />

„Transformationsbegriff“. Dabei orientiert er sich an Michael Wildt, der in Weiterentwicklung<br />

von Fraenkels Doppelstaats-These die „Transformation des Staates“ beschreibt, 42<br />

deren Ziel die „Umwälzung“ der bürgerlichen Gesellschaft zur nationalsozialistischen<br />

Volksgemeinschaft war. 43<br />

Gotto setzt voraus, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> weiterhin als eigenständiger Akteur auftrat und<br />

dass ein austariertes Geflecht lokaler und regionaler Herrschaftsbeziehungen bestand. Er<br />

entscheidet sich gegen eine Analyse anhand von juristischen Begriffen: Der Befund des<br />

39 Mecking/Wirsching: <strong>Stadtverwaltung</strong> als Systemstabilisierung?, S. 1-19, hier S. 16.<br />

40 Horst Matzerath: Rezension zu: Sabine Mecking/Andreas Wirsching. (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. Systemstabilisierende D<strong>im</strong>ensionen kommunaler Herrschaft (Forschungen zur<br />

Regionalgeschichte 53). Paderborn 2005. In: GiW 21 (2006), S. 208-212, Zitat S. 212.<br />

41 Bernhard Gotto: Polykratische Selbststabilisierung. Mittel- und Unterinstanzen in der NS-Diktatur. In:<br />

Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß (Hg.): Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen<br />

Diktatur (Beiträge zur Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong> 22). Göttingen 2006, S. 28-50. Schon<br />

Mecking/Wirsching hatten auf die erfolgreichen Bemühungen der lokalen Ebene verwiesen, polykratische<br />

Reibungsverluste auszugleichen; Mecking/Wirsching: <strong>Stadtverwaltung</strong> als Systemstabilisierung?, S. 18 f.<br />

42 Wildt: <strong>Die</strong> politische Ordnung, S. 52.<br />

43 Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung<br />

durch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong> 1933-1945 (Studien zur Zeitgeschichte 71). München 2006, Zitate S. 2 f.<br />

Der Begriff als solcher war nicht neu. Schon Alf Lüdtke spricht <strong>im</strong> Zusammenhang mit der „Schreibtischtat <strong>im</strong><br />

Wortsinn“ von der „administrative[n] Normalität“; Alf Lüdtke: Funktionseliten: Täter, Mit-Täter, Opfer? Zu den<br />

Bedingungen des deutschen Faschismus. In: Ders. (Hg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozialanthropologische<br />

Studien. Göttingen 1991, S. 559-590, hier S. 589. Und bereits 1986 stellten Rebentisch/Teppe<br />

fest, dass Beamtentum und Verwaltung während der NS-Herrschaft den „Anschein der Normalität“ aufrecht<br />

hielten; Rebentisch/Teppe: Einleitung, S. 32. Wirsching forderte 2004, nach der „administrativen ‚Normalität’<br />

des Reg<strong>im</strong>es“ zu fragen; Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung, S. 421.


13<br />

Unrechtscharakters 44 des NS-Staates, seines Ausnahme- 45 oder Belagerungszustands 46 könne<br />

gemessen an modernen verfassungsrechtlichen Normen einerseits nicht überraschen.<br />

Andererseits habe die Verwaltung den Rechtsbruch gerade durch den alltäglichen Vollzug<br />

gegenüber dem Bürger zur Normalität transformiert und als neue Norm <strong>im</strong> Bewusstsein<br />

verankert. Stattdessen plädiert Gotto für eine Rückbesinnung auf die Erkenntnis von Max<br />

Weber, dass Herrschaft <strong>im</strong> Alltag pr<strong>im</strong>är Verwaltung ist, 47 die als Bindeglied zwischen<br />

Bevölkerung und NS-Reg<strong>im</strong>e fungierte und deren „bürokratische Routinen“ die Diktatur<br />

„veralltäglichten“. Schlüssig erscheint auch Gottos Anliegen, seine lokale Analyse in den<br />

größeren Kontext der Region zu stellen. Er kommt – wie Fleiter – zu dem Ergebnis, dass sich<br />

zentrale nationalsozialistische Anliegen wie z. B. die Verfolgung der „Asozialen“ durchaus<br />

mit kommunalen Eigeninteressen deckten. Staat und Partei bildeten keinen dualistischen<br />

„Gegensatz, sondern standen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander.“ <strong>Die</strong><br />

Aufrechterhaltung der lokalen Daseinsvorsorge und die ständigen Koordinationsleistungen<br />

der Kommunalverwaltung trugen – besonders unter den erschwerten Kriegsbedingungen –<br />

entscheidend zur Mobilisierung von Ressourcen 48 und zur Stabilisierung des Systems bei.<br />

Gottos Fazit lautet, die Selbstverwaltung „wurde nicht abgeschafft und noch nicht einmal<br />

ausgehöhlt, wie Horst Matzerath argumentiert, sondern in einen neuen Bezugsrahmen<br />

gestellt.“ 49 <strong>Die</strong>s scheint seinem Rezensenten Wolfgang Stelbrink allerdings „fragwürdig“. Er<br />

sieht die „Korrektivleistung der Gemeinden gegen die polykratische Zerrüttung sicherlich<br />

überschätzt“. 50<br />

44 Zum Konflikt zwischen positivem Recht und einer quasi übernormativen Gerechtigkeit vgl. den<br />

einflussreichen rechtsphilosophischen Aufsatz von Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches<br />

Recht. In: Süddeutsche Juristenzeitung (1946), S. 105-108.<br />

45 „<strong>Die</strong> Herleitung und Rechtfertigung radikaler Maßnahmen aus einem mutwillig geschaffenen oder<br />

propagandistisch vorgespiegelten Ausnahmezustand gehörte [sic] zum klassischen Instrumentarium zur Lösung<br />

politischer Konflikte <strong>im</strong> NS-Reg<strong>im</strong>e.“ Hans Mommsen: Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik des NS-<br />

Reg<strong>im</strong>es. In: Manfred Funke (Hg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des<br />

Dritten Reiches (Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte 12). Düsseldorf 1977, S. 30-45, hier S. 42.<br />

46 „<strong>Die</strong> Verfassung des Dritten Reiches ist der Belagerungszustand.“ Fraenkel: Der Doppelstaat, S. 55.<br />

47 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Hg. v. Johannes<br />

Winckelmann. 5. rev. Aufl. Tübingen 1976, S. 126, 825.<br />

48 Gruner und Nolzen haben in Anlehnung an Neumanns „Behemoth“ schon 2001 darauf hingewiesen, dass<br />

Polykratie nicht zwingend zu Ineffizienz führen muss; Wolf Gruner/Armin Nolzen: Editorial. In: <strong>Die</strong>s. (Hg.):<br />

„Bürokratien“. Initiative und Effizienz (Beiträge zur Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong> 17), Berlin 2001, S. 7-<br />

15, hier S. 7 f. Wirsching hat 2004 die Bedeutung der „administrativen ‚Normalität’“ <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

„erhebliche Ressourcenmobilisierung“ trotz polykratischer Widerstände hervorgehoben; Wirsching: Probleme<br />

der Kommunalverwaltung, S. 421.<br />

49 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, Zitate S. 423, 426. Erst an zweiter Stelle könnten, wie Gotto<br />

an anderer Stelle ausführt, „Verführung und Gewalt“ (Hans-Ulrich Thamer: Verführung und Gewalt.<br />

Deutschland 1933-1945. Berlin 1986) den Wandel „braver Biedermänner zu Teilhabern, Nutznießern und<br />

Mittätern der NS-Verbrechern“ erklären. Bernhard Gotto: Dem Gauleiter entgegen arbeiten? Überlegungen zur<br />

Reichweite eines Deutungsmusters. In: Jürgen John/Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hg.): <strong>Die</strong> NS-Gaue.<br />

Regionale Mittelinstanzen <strong>im</strong> zentralistischen „Führerstaat“ (Schriftenreihe der VfZ Sondernummer). München<br />

2007, S. 80-99, hier S. 97.<br />

50 Wolfgang Stelbrink: Rezension zu: Gotto, Bernhard: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative<br />

Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong> 1933-1945. München 2006. In: H-<br />

Soz-u-Kult, 29.08.2006, , Zugriff am<br />

28.6.2007.


14<br />

<strong>Die</strong> Literatur zu <strong>Koblenz</strong> in der NS-Zeit ist schnell überschaut. Nur ein einziger Aufsatz, und<br />

zwar der von Anton Golecki, befasst sich u. a. mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten und<br />

dem Ende der We<strong>im</strong>arer Republik. 51 <strong>Die</strong> erste knappe Darstellung zum Dritten Reich findet<br />

sich in der 1950 erschienenen vierten Auflage von Hans Bellinghausen: „<strong>Koblenz</strong> an Rhein<br />

und Mosel. Ein He<strong>im</strong>atbuch“. 52 Einen erweiterten Überblick enthält die 1971 und in ergänzter<br />

zweiter Auflage 1973 von Hans Bellinghausen junior herausgegebene Neubearbeitung<br />

„2000 Jahre <strong>Koblenz</strong>. Geschichte der Stadt an Rhein und Mosel“. Im Gegensatz zu vielen<br />

Ortsgeschichten, die die NS-Zeit nur mit wenigen Sätzen abhandeln, behandeln <strong>im</strong>merhin<br />

schon knapp achtzehn Seiten die Themen „<strong>Koblenz</strong> und das nationalsozialistische Reg<strong>im</strong>e“<br />

und „Zweiter Weltkrieg“. 53 Detail- und kenntnisreich ist der Aufsatz von Peter Bucher<br />

„<strong>Koblenz</strong> während der nationalsozialistischen Zeit“ 54 , der jedoch die Jahre des Zweiten<br />

Weltkrieges weitgehend ausklammert. Der Artikel von Heinz Boberach „National-<br />

sozialistische Diktatur, Nachkriegszeit und Gegenwart“ 55 stützt sich weitgehend auf<br />

Bellinghausen und Bucher sowie Quelleneditionen. Andere Veröffentlichungen befassen sich<br />

entweder nur mit begrenzten Zeiträumen oder Einzelaspekten. Herausragende Beispiele<br />

hierfür sind „Der Luftkrieg <strong>im</strong> Raum <strong>Koblenz</strong> 1944/45. Eine Darstellung seines Verlaufs,<br />

seiner Auswirkungen und Hintergründe“ von Helmut Schnatz 56 , „Etablierung national-<br />

sozialistischer Macht. <strong>Koblenz</strong> und der Mittelrhein <strong>im</strong> Jahr 1935“ von Peter Brommer 57 und<br />

die Arbeit von Dirk Zorbach über die nationalsozialistische Fest- und Feierkultur 58 . <strong>Die</strong><br />

Verfolgung, insbesondere die der Juden, sowie der Widerstand sind seit Ende der 1980er<br />

Jahre von verschiedenen Autoren, meist in biografischen Ansätzen, thematisiert worden. 59<br />

51<br />

Anton Golecki: Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der We<strong>im</strong>arer Republik. In: Geschichte der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>. Bd. 2: Von der französischen Stadt bis zur Gegenwart. Hg. von der Energieversorgung Mittelrhein<br />

GmbH. Stuttgart 1993, S. 119-169, 567-570, hier S. 164-169, 570.<br />

52<br />

Hans Bellinghausen: <strong>Koblenz</strong> an Rhein und Mosel. Ein He<strong>im</strong>atbuch. 4. Aufl. <strong>Koblenz</strong> 1950, S. 321-336.<br />

53<br />

Hans Bellinghausen (Hg.): 2000 Jahre <strong>Koblenz</strong>. Geschichte der Stadt an Rhein und Mosel. Boppard 1971, S.<br />

317-335, bzw. Boppard 1973, S. 317-335. Auf anderthalb Seiten werden der Antisemitismus und die<br />

Zerstörungen in der Reichspogromnacht geschildert, die Deportation und Ermordung vieler <strong>Koblenz</strong>er Juden<br />

aber nur zwischen den Zeilen angedeutet. Dahinter blieb der Chronist Schmidt 1955 noch zurück, der nur die<br />

Verfolgung der Christen herausstreicht; Aloys Schmidt: He<strong>im</strong>atchronik der Stadt und des Landkreises <strong>Koblenz</strong>.<br />

Köln 1955, S. 157-160.<br />

54<br />

In: JbwestdtLG 11 (1985), S. 211-245.<br />

55<br />

In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 170-223, 571-577, hier S. 170-191, 571-573. Boberach stützt sich in<br />

seinem Aufsatz vorwiegend auf die Veröffentlichung von Bucher, bereits gedruckte Quellen sowie einige<br />

ungedruckte Quellen aus dem Bestand des Bundesarchivs. Bucher dagegen hat recht umfangreiche<br />

Quellenforschung und Zeitungsrecherchen geleistet, seine detailreiche Arbeit endet aber mit Beginn des Zweiten<br />

Weltkriegs.<br />

56<br />

Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 4, Boppard<br />

1981.<br />

57<br />

In: JbwestdtLG 25 (1999), S. 513-550.<br />

58<br />

Dirk Zorbach: „Führer unser ...“. <strong>Die</strong> nationalsozialistische Propaganda als Ersatzreligion am Beispiel der<br />

Feste und Feiern in <strong>Koblenz</strong>. In: JbwestdtLG 27 (2001), S. 309-372. <strong>Die</strong> mit einem irreführenden Titel<br />

versehene Veröffentlichung von Hihn zur NS-Pressepropaganda sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt;<br />

Marcellus Hihn: Ideologie <strong>im</strong> Alltag. <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Dritten Reich. Ideologisierung der Massen. Nordhausen 2005.<br />

59<br />

Beispiele: Hildburg-Helene Thill: Lebensbilder jüdischer <strong>Koblenz</strong>er und ihre Schicksale (Veröffentlichungen<br />

der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 21). <strong>Koblenz</strong> 1987; dies.: Lebensbilder jüdischer <strong>Koblenz</strong>er und ihre Schicksale.<br />

Personenregister und Nachträge (Veröffentlichung der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 24). <strong>Koblenz</strong> 1988; Joach<strong>im</strong><br />

Hennig: Verfolgung und Widerstand in <strong>Koblenz</strong> 1933-1945. Eine Skizze. Teil I. In: Sachor Heft 17 (1/1999), S.<br />

50-62. Teil II. In: Sachor Heft 18 (1/2000), S. 5-27; ders.: Widerstand gegen den <strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong>


Eine der ersten Veröffentlichungen zur NSDAP <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier bzw. Moselland ist<br />

die 1967 vom damaligen Leiter des Landeshauptarchivs, Franz-Josef Heyen, bearbeitete<br />

15<br />

Quellensammlung zum „<strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong> Alltag“. 60 Peter Brommer ist der Bearbeiter<br />

der 1988 bzw. 1992 herausgegebenen zweibändigen Quellenedition „<strong>Die</strong> Partei hört mit“ 61<br />

sowie der 2009 erschienenen Quellenpublikation „Das Bistum Trier <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

aus der Sicht von Partei und Staat“ 62 . Beate Dorfey hat 2003 die Ergebnisse ihrer<br />

prosopografischen Untersuchung zu den Kreisleitern vorgelegt. 63 2007 erschien ein Handbuch<br />

von Franz Maier zur Organisation der NSDAP und ihrer Gliederungen <strong>im</strong> Gebiet des heutigen<br />

Rheinland-Pfalz und zu den Biografien ihrer leitenden Funktionäre. 64 Zur Verwaltungs-<br />

geschichte der Rheinprovinz und ihren Spitzenbeamten hat Horst Romeyk zwei<br />

Nachschlagewerke verfasst: „Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz<br />

1918-1945“ und „<strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der<br />

Rheinprovinz 1816-1945“. 65<br />

2.2 Quellenlage<br />

<strong>Die</strong> Aktenüberlieferung der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong> ist bis heute nicht<br />

systematisch, sondern nur punktuell <strong>im</strong> Hinblick auf die o. g. spezifischen Fragestellungen<br />

erforscht worden. <strong>Die</strong> Überlieferung ist für einige Bereiche (z. B. Kultur, Luftkrieg) sehr dicht<br />

<strong>Koblenz</strong>er Raum. In: JbwestdtLG 31 (2005), S. 381-423; Elmar Ries: Wozu Menschen fähig sind. <strong>Die</strong><br />

Reichspogromnacht 1938 in <strong>Koblenz</strong> (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 25). <strong>Koblenz</strong> 1988.<br />

60<br />

Franz-Josef Heyen: <strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong> Alltag. Quellen zur Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

vornehmlich <strong>im</strong> Raum Mainz-<strong>Koblenz</strong>-Trier (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz<br />

9). Boppard 1967, Nachdruck <strong>Koblenz</strong> 1985. Zum aktuellen Stand der NS-Forschung in Rheinland-Pfalz vgl.<br />

Walter Rummel: Regionen <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> – Ein Forschungsbericht aus rheinland-pfälzischer Sicht. In:<br />

Michael Kißener (Hg.): Rheinhessische Wege in den <strong>Nationalsozialismus</strong>. Studien zu rheinhessischen<br />

Landgemeinden von der We<strong>im</strong>arer Republik bis zum Ende der NS-Diktatur. Worms 2010, S. 9-59, hier S. 34-49.<br />

61<br />

Peter Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Lageberichte und andere Meldungen des Sicherheitsdienstes der SS aus<br />

dem Großraum <strong>Koblenz</strong> 1937-1941 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 48).<br />

<strong>Koblenz</strong> 1988; ders.: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2: Lageberichte und andere Meldungen des Sicherheitsdienstes der<br />

SS, der Gestapo und sonstiger Parteidienststellen <strong>im</strong> Gau Moselland 1941-1945 (Teil 1 und 2)<br />

(Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 58). <strong>Koblenz</strong> 1992.<br />

62<br />

Peter Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> aus der Sicht von Partei und Staat (Quellen und<br />

Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 126). Mainz 2009.<br />

63<br />

Beate Dorfey: „Goldfasane“ oder Hoheitsträger der Kreise? <strong>Die</strong> Kreisleiter <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier. In:<br />

JbwestdtLG 29 (2003), S. 297-424.<br />

64<br />

Franz Maier: Biographisches Organisationshandbuch der NSDAP und ihrer Gliederungen <strong>im</strong> Gebiet des<br />

heutigen Landes Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des<br />

Landes Rheinland-Pfalz 28). 2. (erg.) Aufl. Mainz 2009. Leider hat Maier bei seinen Recherchen die<br />

Kommunalarchive kaum berücksichtigt, was einige Lücken bzw. Fehler zur Folge hatte. <strong>Die</strong> Vernachlässigung<br />

der kommunalen Überlieferung auch bei Heinz Boberach: „<strong>Die</strong> Führer der Provinz“. Möglichkeiten und Grenzen<br />

prosopographischer Erhebungen über führende Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen <strong>im</strong> Rheinland.<br />

In: GiW 1 (2001), S. 73-75.<br />

65<br />

Horst Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914-1945 (Publikationen der<br />

Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 63). Düsseldorf 1985; ders.: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und<br />

kommunalen Verwaltungsbeamten 1816-1945 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde<br />

69). Düsseldorf 1994.


und bietet eine große Materialfülle. Für andere Bereiche (z. B. städtische Schulen 66 ,<br />

„Kriegsämter“ wie Wirtschafts- und Ernährungsamt sowie Feststellungsbehörde) ist sie<br />

dürftig bis fragmentarisch oder fehlt völlig (z. B. Abteilung für Familienunterhalt,<br />

16<br />

Vierjahresplan, Pfandamt). Gemessen am Personalstand hat sich nur ein sehr kleiner Bestand<br />

an Personalakten erhalten, der sich vielfach schmerzlich bemerkbar machte. 67 Selbst für die<br />

Oberbürgermeister und Beigeordneten sind zum Teil nur Sammelakten oder Nachkriegsakten<br />

vorhanden, die wegen Versicherungs- und Pensionsfragen nach 1945 neu angelegt wurden.<br />

Hier darf wohl nicht zu Unrecht vermutet werden, dass wie andernorts in den letzten<br />

Kriegstagen die Akten politisch belasteter Personen systematisch vernichtet wurden.<br />

Allerdings gab es später noch bedauerliche Verluste anderer Art. 68 <strong>Die</strong> Protokolle der<br />

Stadtverordnetenversammlungen und Ratsherrensitzungen sind vollständig, die Verfügungen<br />

des Oberbürgermeisters zum größten Teil überliefert. Für die Rechnungsjahre 1. April 1933<br />

bis 31. März 1937 liegen ein gemeinsamer Verwaltungsbericht sowie für die beiden<br />

Rechnungsjahre vom 1. April 1937 bis 31. März 1939 je einzelne Verwaltungsberichte vor.<br />

Haushaltspläne bzw. -satzungen sind bis einschließlich 1943 vorhanden. Das Parteiorgan<br />

„Nationalblatt“, das vom 1. April 1933 bis 30. Juni 1944 vollständig und vom 1. Juli 1944 bis<br />

2. März 1945 lückenhaft 69 in der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> vorliegt, liefert trotz seines<br />

tendenziösen Charakters als Propagandamedium viele wichtige Details.<br />

Im Landeshauptarchiv <strong>Koblenz</strong> befinden sich die Akten der Aufsichtsbehörden (Ober-<br />

präsidium der Rheinprovinz und Regierung des Regierungsbezirks <strong>Koblenz</strong>), darunter die<br />

Sammelpersonalakten der Oberbürgermeister. Nicht zu unterschätzen ist der Wert der<br />

Spruchkammerakten aus der Nachkriegszeit, die jedoch nicht für alle zentralen Akteure<br />

vorhanden sind bzw. ausfindig gemacht werden konnten. 70 <strong>Die</strong> darin enthaltenen<br />

Zeugenaussagen sind zwar – besonders <strong>im</strong> Hinblick auf die Beurteilung des Betroffenen –<br />

teils widersprüchlich, zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie recht zeitnah, meist zwischen<br />

1947 und 1949, gemacht wurden. Sieht man von den oft nur allgemein formulierten<br />

Leumundszeugnissen („Persilscheine“), der „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei) der<br />

Belasteten selbst und der Absicht der Zeugen, sich selbst nicht zu belasten, ab, enthalten<br />

viele Akten eine Fülle von Informationen. Zur NSDAP-Gauleitung ist nur eine kleine<br />

66 In städtischer Trägerschaft befanden sich: Volksschulen, Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium und Oberrealschule<br />

(später Kaiser-Wilhelm-Schule, Oberschule für Jungen; heute Eichendorff-Gymnasium), Oberschule für<br />

Mädchen, Kaufmännische Berufsschule und Handelsschule, Gewerbliche und Hauswirtschaftliche Berufsschule.<br />

VB 1937/38, S. 63-67; VB 1938/39, S. 61-73.<br />

67 Selbst rud<strong>im</strong>entäre Daten wie Vorname, Familienstand und Konfession konnten in einigen Fällen nur mit<br />

Hilfe von Adressbüchern, Melde- und Personenstandsunterlagen ermittelt werden.<br />

68 Ein großer Bestand von einigen Tausend Personalakten fiel in den 1990er Jahren unsachgemäßer Lagerung<br />

(Sch<strong>im</strong>melbefall) und 2008 einer mit dem Stadtarchiv nicht abgest<strong>im</strong>mten Vernichtungsaktion des Haupt- und<br />

Personalamtes zum Opfer. <strong>Die</strong> z. T. vorhandenen Mikrofiches von Personalakten bieten aufgrund ihrer<br />

schlechten Qualität einen nur unvollkommenen Ersatz für die verlorenen Originale.<br />

69 53 Einzelausgaben 1.7.1944-1./2.3.1945, vorwiegend Juli bis September 1944.<br />

70 Es galt das Wohnortprinzip, d. h. Evakuierte, Geflüchtete oder Internierte wurden nicht in <strong>Koblenz</strong><br />

entnazifiziert.


Splitterüberlieferung erhalten geblieben. 71 Für diesen Verlust bietet das erhaltene<br />

publizistische Schriftgut der Gauleitung nur einen unbefriedigenden Ersatz. <strong>Die</strong> Kartei<br />

der Gestapo <strong>Koblenz</strong> ist eine wichtige Quelle zur Verfolgungspolitik.<br />

Im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, in Düsseldorf gibt es einen<br />

17<br />

Bestand der Provinzialdienststelle Rheinland und Hohenzollern (später <strong>Die</strong>nststelle Westen)<br />

des Deutschen Gemeindetags, in dem z. B. Protokolle der Sitzungen von Arbeitsgemein-<br />

schaften mit Vertretern der Stadt <strong>Koblenz</strong> und Ergebnisse von Umfragen unter den<br />

angeschlossenen Kommunen einige Überlieferungslücken verkleinern halfen. Im<br />

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde wurden einschlägige Akten vor allem aus den Beständen<br />

Reichsinnenministerium, Hauptamt für Kommunalpolitik, Deutscher Gemeindetag und des<br />

ehemaligen Berlin Document Center ausgewertet.<br />

Zeitzeugen konnten kaum noch ausfindig gemacht und befragt werden. Dazu zählten die<br />

damalige städtische Fürsorgerin Frau Susanne Hermans geb. Hilleshe<strong>im</strong> sowie die Tochter<br />

von Oberbürgermeister Otto Wittgen, Frau Elisabeth Holzer. Angesichts der Tatsache, dass<br />

Protagonisten wie z. B. der Stellvertretende Gauleiter Fritz Reckmann, Oberbürgermeister<br />

Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer oder der Beigeordnete Hubert Fuhlrott noch bis Mitte der 1980er Jahre<br />

lebten, ist es trotz der bekannten Problematik von Zeitzeugenaussagen sehr bedauerlich, dass<br />

in dieser Hinsicht in der Vergangenheit Chancen vertan oder vielleicht einfach nicht erkannt<br />

wurden. Auch konnte nicht auf autobiografisches Material zurückgegriffen werden. Einzige<br />

bekannte Ausnahme bilden die autobiografischen Aufzeichnungen von Nikolaus S<strong>im</strong>mer, die<br />

er 1968 in Romanform unter dem Pseudonym Klaus S<strong>im</strong>mer-Jochem herausgab, die aber nur<br />

seine politische und berufliche Sozialisation bis 1933 beschreiben. 72<br />

2.3 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen<br />

Verwaltungsgeschichte ist sowohl die Geschichte der Institution Behörde, ihrer Struktur<br />

und Funktion als auch die ihres Personals. <strong>Die</strong> Untersuchung zielt damit auf den<br />

„organisatorischen Aufbau, die personelle Struktur, die verfassungsrechtliche Stellung und<br />

das praktische Verwaltungshandeln“ der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>. 73 Vor dem Hintergrund<br />

der kontroversen Deutungsdebatten 74 sollen die vorgestellten verschiedenen theoretischen<br />

Ansätze, Konzepte und Erklärungsmodelle auf ihre Aussagekraft und Tragfähigkeit empirisch<br />

überprüft werden. Dabei wird zum einen davon ausgegangen, dass ein monokausaler Ansatz<br />

71<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> Gauhaus Emil-Schüller-Straße 18/20 befindlichen Akten verbrannten be<strong>im</strong> Luftangriff vom 6.11.1944;<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 295.<br />

72<br />

Robert Grenzmann: Generation ohne Hoffnung. Hg. v. Klaus S<strong>im</strong>mer-Jochem. Hannover 1968.<br />

73<br />

Zu „Charakter, Methode und Zielsetzung“ von Verwaltungsgeschichte vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 23-27,<br />

Zitat S. 24.<br />

74<br />

Vgl. Ian Kershaw: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen <strong>im</strong> Überblick. Erw. u. bearb.<br />

Neuausgabe Reinbek 1999; Hans Mommsen: Forschungskontroversen zum <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Aus Politik<br />

und Zeitgeschichte 14-15 (2007), S. 14-21.


18<br />

der Komplexität und Veränderungsdynamik des NS-Staates nicht gerecht werden kann. Zum<br />

anderen wird vorausgesetzt, dass <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> mit seinen durch das Führerprinzip<br />

stark personenbezogenen Herrschafts- und Machtbeziehungen die zentralen Akteure, d. h. die<br />

Funktionseliten von Partei, Staat und Kommunalverwaltung, besondere Beachtung verdienen.<br />

Eine dritte Prämisse ist, dass sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> noch Handlungsspielräume hat<br />

bewahren können, die sie relativ eigenständig ausfüllen konnte, die Selbstverwaltung also<br />

noch nicht völlig ausgehöhlt war.<br />

Damit ergeben sich einige grundlegende Fragestellungen:<br />

• Wie funktionierte die Verwaltung als „Herrschaft <strong>im</strong> Alltag“? Gab es einen Wandel<br />

oder Bruch in den bürokratischen Routinen oder herrschte Kontinuität?<br />

• Wie transformierte die <strong>Stadtverwaltung</strong> durch die „administrative Normalität“ Unrecht<br />

in „Recht“? Wie konnten permanente Rechtsbrüche als neue „Normen“ <strong>im</strong><br />

Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden?<br />

• Wie sicherte sich das NS-Reg<strong>im</strong>e den notwendigen Min<strong>im</strong>alkonsens der Bediensteten<br />

mit seiner Ideologie und Politik?<br />

• Wie waren die persönlichen Beziehungen zwischen Stadtspitze, Gau- und<br />

Kreisleitung? Gab es Personalunionen in wichtigen Positionen?<br />

• Wie nahm die Partei Einfluss? Versuchte die Verwaltung, ihn abzuwehren oder<br />

arrangierte man sich?<br />

• Gab es für die kommunale Selbstverwaltung noch Handlungsspielräume? Wenn ja,<br />

wie wurden sie eröffnet und genutzt?<br />

• Wurde die Verfolgungspolitik aktiv unterstützt oder sogar verschärft? Inwieweit hat<br />

die <strong>Stadtverwaltung</strong> die Exklusion der Gemeinschaftsfremden aus der<br />

„Volksgemeinschaft“ gefördert? Entfernte sie sich damit von ihrer eigentlichen<br />

Klientel, der Gesamtbevölkerung, und ihrer klassischen Aufgabe, der am Gemeinwohl<br />

orientierten Daseinsvorsorge für alle?<br />

• Wirkte der eine oder andere Beamte mäßigend, bremsend, abmildernd, streute „Sand<br />

ins Getriebe“ oder leistete sogar Widerstand?<br />

• Welche Verflechtungen bestanden auf institutioneller und personeller Ebene? Wie<br />

sahen die Machtkonstellationen aus? Wer waren die zentralen Akteure? Wie war ihr<br />

Verhältnis zueinander? Gab es Konflikte und wer ging als Sieger aus ihnen hervor?<br />

• Wie konnte sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> polykratischen Wirrwarr behaupten? Trug sie<br />

zur Systemstabilisierung und Ressourcenmobilisierung bei?<br />

• Spielte das katholische Milieu, dem sowohl die Mehrheit der Bediensteten als auch der<br />

Bevölkerung verhaftet war, eine besondere Rolle? Machte es die Bediensteten und die<br />

Wähler resistent gegen die nationalsozialistische Ideologie?


• Wie wirkten regionale Faktoren, z. B. die rheinische Mentalität? Gab es eine<br />

„rheinische Variante“ des <strong>Nationalsozialismus</strong>? 75<br />

So weit es die vorhandene Literatur 76 erlaubt, soll die zweite Mittelstadt, die dem NSDAP-<br />

Gau ihren Namen gab und die zum selben Reichstagswahlbezirk gehörte, nämlich der<br />

19<br />

Bischofssitz Trier, zum direkten Vergleich herangezogen werden. Da die Überlieferung für<br />

die kommunalen Aufgabengebiete Wohlfahrtswesen, Bauwesen und Kultur am dichtesten ist,<br />

bot sich exemplarisch deren schwerpunktmäßige Untersuchung an.<br />

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird bei Personen auf die Verwendung der<br />

grammatikalisch weiblichen Form verzichtet, ohne dass damit eine Diskr<strong>im</strong>inierung<br />

beabsichtigt ist. <strong>Die</strong>s entspricht in den meisten Fällen ohnehin dem historischen Gegenstand,<br />

da weibliche Beamte, Amtsträger, Parteifunktionäre etc. eher die Ausnahme als die Regel<br />

waren. Um die Überfrachtung des Schriftbilds mit Anführungszeichen zu vermeiden, werden<br />

Begriffe wie „Führer“, „Hoheitsträger“, „Arier“, „Bewegung“ usw. nicht besonders<br />

hervorgehoben, auch wenn dabei auf den nationalsozialistischen Sprachgebrauch<br />

zurückgegriffen wird. Bei der Verwendung des Begriffs „Partei“ ist i. d. R. nicht nur die<br />

NSDAP <strong>im</strong> engeren Sinne, sondern es sind außerdem auch ihre Gliederungen und<br />

angeschlossenen Verbände gemeint.<br />

75 Gotto stellte eine „schwäbische[n] Ausprägung der nationalsozialistischen Herrschaft“ fest; Gotto:<br />

Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 423.<br />

76 Emil Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung der Stadt Trier seit Beginn der preußischen Zeit 1814-1959.<br />

Trier 1959; ders.: Geschichte der Stadt Trier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bd. 3: 1928-1945<br />

(Ortschroniken des Trierer Landes 12). Trier 1973; Rudolf Müller: Trier in der We<strong>im</strong>arer Republik (1918-1933),<br />

S. 495-515. In: Kurt Düwell/Franz Irsigler (Hg.): Trier in der Neuzeit. 2000 Jahre Trier. Bd. 3. Trier 1988, S.<br />

517-589; Reinhard Bollmus: Trier und der <strong>Nationalsozialismus</strong> (1925-1945). In: Ebd., S. 517-589; Thomas<br />

Zuche (Hg.): StattFührer. Trier <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. 3. überarb. u. erw. Aufl. Trier 2005.


20<br />

3 <strong>Die</strong> Ausgangslage: <strong>Koblenz</strong> während der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

bis 1933<br />

3.1 <strong>Die</strong> katholische Beamten-, Rentner- und Soldatenstadt<br />

Drei Charakteristika prägten <strong>Koblenz</strong> seit dem frühen 19. Jahrhundert. Zum einen war die<br />

Stadt an Rhein und Mosel innerhalb der preußischen Rheinprovinz ein Verwaltungszentrum.<br />

Hier hatte nicht nur der Oberpräsident seinen Sitz, sondern auch der Regierungspräsident für<br />

den Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> sowie zahlreiche weitere Behörden. 1 1933 war jede zehnte<br />

Erwerbsperson ein Beamter (2.863; 9,9 %), mehr als doppelt so viele wie <strong>im</strong> Reichs-<br />

durchschnitt (1,48 Millionen; 4,6 %). 2 <strong>Koblenz</strong> war aber nicht nur eine Beamten-, sondern<br />

auch eine Soldatenstadt. Bis zur Entmilitarisierung des Rheinlandes infolge der<br />

Best<strong>im</strong>mungen des Versailler Vertrages war sie eine der größten preußischen Garnison- und<br />

Festungsstädte. Das Generalkommando des VIII. Armeekorps war hier ebenso ansässig wie<br />

viele weitere militärische Kommandobehörden, und die verschiedenen Teile der Festung<br />

<strong>Koblenz</strong> und Ehrenbreitstein sowie die Kasernen waren mit zahlreichen Truppen belegt. 3<br />

Zwar gab es einen breit gefächerten Handel und ein vielseitiges Gewerbe, jedoch verhinderten<br />

die engen Festungsrayons trotz der verkehrstechnisch günstigen Lage die weitere Ausdehnung<br />

der Stadt und die Ansiedlung einer nennenswerten Industrie. Erst 1890 genehmigte Berlin die<br />

seit langem gewünschte Entfestigung der Stadt, die durch ihre „Einschnürung“ zwar eine<br />

hohe Bevölkerungsdichte aufzuweisen hatte, in der Einwohnerentwicklung 4 und Stadt-<br />

erweiterung insgesamt aber stark gehemmt worden war. <strong>Die</strong> reizvolle landschaftliche<br />

Umgebung ohne Fabrikschlote machte die Residenzstadt nicht nur zu einem florierenden<br />

Fremdenverkehrsort, 5 sondern auch zu einem attraktiven Wohnsitz, der wohlhabende Rentner<br />

und Pensionäre auf der Suche nach einem Altersdomizil anzog (Abb. 1 und 2). Nicht nur für<br />

das wirtschaftliche und soziale Gefüge der Stadt, sondern auch psychologisch bedeutete der<br />

mit der Niederlage <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg einhergehende Abzug des Militärs und die<br />

1 Max Bär: <strong>Die</strong> Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische<br />

Geschichtskunde 35). Bonn 1919; ders.: Aus der Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong> 1814-1914. <strong>Koblenz</strong> 1922; Horst<br />

Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914-1945 (Publikationen der Gesellschaft<br />

für Rheinische Geschichtskunde 63). Düsseldorf 1985.<br />

2 Statistisches Reichsamt (Hg.): <strong>Die</strong> berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung <strong>im</strong> Deutschen Reich, in<br />

den Ländern und Landesteilen, in den Großstädten und in den Gemeinden mit 10000 und mehr Einwohnern nach<br />

der Berufszählung vom 16. Juni 1933. Sonderbeilage zu „Wirtschaft und Statistik“ 24 (1934), S. 10, 33. Zu der<br />

Kategorie Beamte zählten auch die Soldaten, die für <strong>Koblenz</strong> angesichts der Entmilitarisierung aber entfallen.<br />

<strong>Die</strong> Beamtenzahl war faktisch noch höher, da leitende Beamte zur Kategorie Selbständige gehörten. Ebd., S. 10<br />

Anm. 1 und 2.<br />

3 Thomas Tippach: <strong>Koblenz</strong> als preußische Garnison- und Festungsstadt. Wirtschaft, Infrastruktur und Städtebau<br />

(Städteforschung A 53). Köln 2000; ders.: <strong>Die</strong> Garnisonstadt. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 338-353,<br />

388-391; Rüdiger Wischemann: <strong>Die</strong> Festung <strong>Koblenz</strong>. Vom römischen Kastell und Preußens stärkster Festung<br />

zur größten Garnison der Bundeswehr. <strong>Koblenz</strong> 1978.<br />

4 Franz-Heinz Köhler: <strong>Die</strong> Bevölkerungsentwicklung. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 319-337, 586-588.<br />

5 Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 314.


nachfolgende Besatzung Ende 1918 eine tief greifende Zäsur. Den Ausfall der Nachfrage<br />

des deutschen Heeres bei Handwerkern, Händlern und Gewerbetreibenden konnte die<br />

amerikanische Besatzung zwar zum Teil kompensieren, jedoch entfielen die bisherigen<br />

Arbeitsplätze <strong>im</strong> Zivilbereich. Ihren typischen Charakter als Handels-, Verkehrs-,<br />

Verwaltungs- und <strong>Die</strong>nstleistungszentrum behielt die Stadt, denn die in den 1920er Jahren<br />

unternommenen Versuche, Industriebetriebe anzuwerben und damit der wirtschaftlichen<br />

21<br />

Ausrichtung eine breitere Basis zu verschaffen, scheiterten daran, dass die Firmen unbesetztes<br />

Gebiet zur Niederlassung bevorzugten. 6 Im Januar 1923 wurden die Amerikaner durch<br />

Franzosen abgelöst, die <strong>Koblenz</strong> erst am 30. November 1929 wieder verließen. Das ohnehin<br />

spannungsgeladene Verhältnis 7 zur Besatzungsmacht spitzte sich 1923 während des passiven<br />

Widerstands dramatisch zu, als die Separatistenbewegung 8 mit französischer Unterstützung<br />

kurzfristig erfolgreich agierte und zahlreiche Beamte, darunter Oberbürgermeister Dr. jur.<br />

Karl Russell 9 , für mehrere Monate ausgewiesen wurden. <strong>Die</strong> zentrale „Befreiungsfeier“ der<br />

Rheinprovinz zum bejubelten Abzug der französischen Truppen aus dem Rheinland fand am<br />

22. Juli 1930 in <strong>Koblenz</strong> in Anwesenheit des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg 10 , des<br />

ehemaligen Bürgers und Ehrenbürgers, statt. Ein Brückenunglück mit 38 Toten setzte dem<br />

glänzenden Festtag am späten Abend ein tragisches Ende. 11<br />

6<br />

StAK 623 Nr. 6557; ebd. Nr. 10063; Harald Winkel: Handel und Gewerbe. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>,<br />

S. 354-408, 591-593, hier S. 368-398, 592 f.<br />

7<br />

Vgl. den bezeichnenden Titel von Jakob Wenz: Elf Jahre in Fesseln! <strong>Die</strong> Leidensgeschichte der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Bevölkerung während der Besatzungszeit. Sonderausgabe des <strong>Koblenz</strong>er General-Anzeigers vom 1.12.1929.<br />

Sonderdruck <strong>Koblenz</strong> 1930. Der erste Band von Hans Bellinghausen (Hg.): Alt-<strong>Koblenz</strong>. Eine Sammlung<br />

geschichtlicher Abhandlungen. <strong>Koblenz</strong> 1929, erschien laut Vorwort am „1. Dezember 1929, am Tage der<br />

Befreiung von elfjähriger Besatzungsnot.“ Literarisch verarbeitet wurde die amerikanische Besatzungszeit durch<br />

den 1933 verbotenen Roman des 1903 in Ehrenbreitstein gebürtigen Joseph Breitbach: <strong>Die</strong> Wandlung der<br />

Susanne Dasseldorf. Göttingen 2006. Vgl. Lucas Breuckmann: Yankees am Rhein. <strong>Die</strong> amerikanische<br />

Besatzungspolitik <strong>im</strong> Rheinland 1918-1923. Heidelberg 1997. Zahlreiche Anzeigen und polizeiliche Meldungen<br />

zu Übergriffen von Besatzungssoldaten auf die Zivilbevölkerung in StAK 623 Nr. 5190. Zur Entstehung der<br />

„Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich vgl. Michael Kißener: Wie Völker hassen lernen.<br />

Deutsche und Franzosen <strong>im</strong> 19. Jahrhundert. In: Franz J. Felten (Hg.): Frankreich am Rhein – vom Mittelalter<br />

bis heute (Mainzer Vorträge 13). Stuttgart 2009, S. 181-198.<br />

8<br />

Vgl. Martin Schlemmer: „Los von Berlin“. <strong>Die</strong> Rheinstaatbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg<br />

(Rheinisches Archiv 152). Köln 2007.<br />

9<br />

* 15.1.1870 Recklinghausen, 4.1.1950 Bad Godesberg, katholisch, verheiratet, 16.6.1919 Wahl zum<br />

Oberbürgermeister, 1.8.1919 <strong>Die</strong>nstantritt. Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 706 (Schreibweise irrtümlich: Russel).<br />

10<br />

Hindenburg war von 1896 bis 1900 Chef des Generalstabs des VIII. Armeekorps gewesen, 1917 wurde er<br />

Ehrenbürger von <strong>Koblenz</strong>. Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 294, 486 und Abb. 129 nach S. 488. Seit 1927<br />

schmückte eine Erinnerungstafel sein ehemaliges Wohnhaus in der Schloßstraße 42. Helmut Kampmann: Wenn<br />

Steine reden. Gedenktafeln und Erinnerungsplatten in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1992, S. 49 f.<br />

11<br />

Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 119-163, 567-570. Bei der Beisetzung der Opfer trugen die Kränze für die<br />

Ehefrau und den Sohn des NSDAP-Parte<strong>im</strong>itglieds Ferdinand Will Hakenkreuzschleifen; LAV NRW R, NW 6<br />

Nr. 114, S. 133; StAK FA4 Nr. 33, Bilder 53, 55.


Tabelle 1: Berufliche Gliederung der Erwerbspersonen in<br />

<strong>Koblenz</strong> und Trier nach den Ergebnissen der Berufszählung vom 16. Juni 1933 12<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Industrie und Handwerk<br />

Handel und Verkehr<br />

öffentlicher <strong>Die</strong>nst<br />

und private <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

Häusliche <strong>Die</strong>nste<br />

Erwerbspersonen<br />

(Erwerbstätige und Erwerbslose)<br />

davon erwerbslos<br />

22<br />

<strong>Koblenz</strong> Trier<br />

957<br />

(3,3 %)<br />

9.823<br />

(33,9 %)<br />

10.618<br />

(36,6 %)<br />

5.494<br />

(18,9 %)<br />

2.112<br />

(7,3 %)<br />

29.004<br />

(100 %)<br />

7.499<br />

(25,9 %)<br />

2.083<br />

(6,4 %)<br />

12.714<br />

(39,0 %)<br />

10.262<br />

(31,5 %)<br />

5.456<br />

(16,7 %)<br />

2.112<br />

(6,5 %)<br />

32.627<br />

(100 %)<br />

7.544<br />

(23,1 %)<br />

Bevölkerung 65.257 76.692<br />

<strong>Die</strong> Einwohnerzahl von <strong>Koblenz</strong> lag <strong>im</strong> Oktober 1919 bei 57.408. Zum Stichtag der<br />

Volkszählung am 16. Juni 1933 hatte die Stadt 65.257 Einwohner. 13 Bei der konfessionellen<br />

Zugehörigkeit überwogen die Katholiken deutlich. Wenn auch ihr Anteil <strong>im</strong> Vergleich zum<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts, als über 90 % der Bevölkerung katholisch waren, durch den<br />

Zuzug von preußischen Beamten und deren Angehörigen aus den altpreußischen, traditionell<br />

protestantischen Gebieten geschrumpft war, so betrug er am 16. Juni 1933 noch 78,5 %<br />

(Reich 33,0 %). Der Anteil der Protestanten belief sich auf 19,7 % (Reich 62,2 %) und der<br />

Juden auf 1,0 % (absolut 669, Reich 0,8 %). Der Rest von 0,8 % (Reich 4,0 %) entfiel auf<br />

sonstige Religionsgemeinschaften bzw. Konfessionslose. 14 Ende 1932 sprach Russells<br />

Nachfolger, Oberbürgermeister Dr. Hugo Rosendahl, von „friedlich nebeneinander<br />

arbeitenden [christlichen] Konfessionen“. 15<br />

12<br />

Statistisches Reichsamt (Hg.): <strong>Die</strong> berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung <strong>im</strong> Deutschen Reich, in<br />

den Ländern und Landesteilen, in den Großstädten und in den Gemeinden mit 10000 und mehr Einwohnern nach<br />

der Berufszählung vom 16. Juni 1933. Sonderbeilage zu „Wirtschaft und Statistik“ 24 (1934), S. 33 f.<br />

13<br />

Tabelle 1: <strong>Die</strong> Einwohnerentwicklung von <strong>Koblenz</strong> von 1787 bis 1991. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S.<br />

608.<br />

14<br />

Tabelle 3: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung nach der Religionszugehörigkeit 1794 bis 1991. In: Geschichte der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 610; <strong>Die</strong> Hauptergebnisse der Volks-, Berufs- und Betriebszählung <strong>im</strong> Deutschen Reich<br />

(einschl. Saarland). Statistik des Deutschen Reichs. Bd. 470, Heft 1, S. 5.<br />

15<br />

StAK 623 Nr. 9832, S. 97.


Tabelle 2: Einwohnerentwicklung und Konfessionszugehörigkeit 1910-1933 16<br />

Stichtag Einwohner Katholiken Protestanten Juden Sonstige<br />

1.12.1910 56.487<br />

1914 61.512<br />

16.6.1925 58.322<br />

31.12.1927 59.292<br />

1.7.1929 61.873<br />

1.7.1931 63.889<br />

16.6.1933 65.257<br />

43.577<br />

77,1 %<br />

46.190<br />

79,2 %<br />

51.200<br />

78,5 %<br />

23<br />

11.408<br />

20,2 %<br />

11.114<br />

19,1 %<br />

12.855<br />

19,7 %<br />

677<br />

1,2 %<br />

709<br />

1,2 %<br />

669<br />

1,0 %<br />

3.2 Gemeindeverfasssung und Wahlverhalten bis 1924<br />

825<br />

1,5 %<br />

309<br />

0,5 %<br />

533<br />

0,8 %<br />

<strong>Die</strong> Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 (kurz: Rheinische Städteordnung),<br />

die für den Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> am 15. Mai 1857 in Kraft trat, gab dem Ober-<br />

bürgermeister <strong>im</strong> Rahmen der Bürgermeisterverfassung eine starke Machtposition und<br />

persönlichen Gestaltungsspielraum: Er war nicht nur allein entscheidender Leiter der<br />

Verwaltung, sondern gleichzeitig Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung und besaß<br />

dort volles St<strong>im</strong>mrecht, bei St<strong>im</strong>mengleichheit sogar mit ausschlaggebender St<strong>im</strong>me. Er<br />

stellte die Tagesordnung auf, best<strong>im</strong>mte das Abst<strong>im</strong>mungsverfahren und entschied über die<br />

rechtliche Zulässigkeit von Anträgen. <strong>Die</strong> Beigeordneten nahmen an den Sitzungen der<br />

Stadtverordnetenversammlung teil, hatten aber kein St<strong>im</strong>mrecht. Oberbürgermeister und<br />

besoldete Beigeordnete wurden durch die Stadtverordnetenversammlung auf zwölf Jahre<br />

gewählt, die unbesoldeten Beigeordneten auf sechs Jahre. 17 <strong>Die</strong> lange Amtszeit machte die<br />

Oberbürgermeister unabhängig von wechselnden Mehrheiten in den Kommunalparlamenten,<br />

nach einem viel zitierten Tagebucheintrag von Außenminister Gustav Stresemann von 1925<br />

waren sie „neben den Großindustriellen die Könige der Gegenwart“. 18 <strong>Die</strong> rheinischen<br />

Oberbürgermeister verband – nicht zuletzt durch ihren gemeinsamen Widerstand gegen die<br />

Besatzungsmacht – eine „Art Corpsgeist“, die meisten besaßen „ein ausgeprägtes<br />

16 Tabelle 1: <strong>Die</strong> Einwohnerentwicklung von <strong>Koblenz</strong> von 1787 bis 1991 und Tabelle 3: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er<br />

Bevölkerung nach der Religionszugehörigkeit 1794 bis 1991. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 608, 610.<br />

17 Bär: <strong>Die</strong> Behördenverfassung der Rheinprovinz, S. 48 f., 271-289; Heinz Maull: <strong>Die</strong> Städteordnungen<br />

Preußens. Berlin 1927, S. 26-44; Hans Pagenkopf: Einführung in die Kommunalwissenschaft (Aschendorffs<br />

Juristische Handbücherei 63). 3. Aufl. Münster 1975, S. 51 f. <strong>Die</strong> rheinischen Städte konnten sich auch für die<br />

Magistratsverfassung entscheiden, machten von dieser Möglichkeit in der Regel aber keinen Gebrauch.<br />

18 Jeremy Noakes: Oberbürgermeister und Gauleiter. City Government between Party and State. In: Gerhard<br />

Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hg.): Der „Führerstaat“. Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik<br />

des Dritten Reiches (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 8), Stuttgart 1981, S. 194-<br />

227, hier S. 194; Michael Alfred Kanther: Hugo Rosendahl (1884-1964). Ein Porträt. In: Das Münster am<br />

Hellweg 42 (1989), S. 82-119, hier S. 95; Hans Tigges: Das Stadtoberhaupt. Porträts <strong>im</strong> Wandel der Zeit. Baden-<br />

Baden 1988, S. 358 f.


Selbstbewußtsein mit egozentrischem Zug, einen Sinn für Repräsentation, Flexibilität und<br />

24<br />

gestalterische Dynamik“. 19 Parteipolitisch gehörten sie überwiegend der Zentrumspartei an,<br />

während der seit 1919 amtierende <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeister Russell parteilos 20 war. Ihm<br />

zur Seite standen sechs hauptamtliche Beigeordnete: Der Erste Beigeordnete, Bürgermeister<br />

Gisbert Binhold, sowie die Beigeordneten Stadtkämmerer Dr. jur. Herbert Wirtz,<br />

Stadtoberbaurat Franz Rogg, Dr. jur. Ernst Biesten, Dr. med. Ernst Dahm und Kunibert<br />

Ochs. 21<br />

Das Rheinland gehörte traditionell zum Kernland der Zentrumspartei, doch <strong>Koblenz</strong> war<br />

keine ausgesprochene Zentrumshochburg. Zwar ging das Zentrum aus allen Wahlen bis zur<br />

Reichstagswahl 1930 als stärkste Partei hervor, verfehlte aber auch bei den Kommunalwahlen<br />

stets die absolute Mehrheit. 22 So erreichte die Zentrumspartei bei den Stadtverordnetenwahlen<br />

vom 19. November 1919 nur 20 der 48 Sitze. Neun Sitze errang jedoch eine zweite katholisch<br />

orientierte Gruppe, die Freie Bürgerliste des populären Pfarrers Johannes Greber 23 , die 1918<br />

durch eine Abspaltung vom <strong>Koblenz</strong>er Zentrum entstanden war. Bei den Kommunalwahlen<br />

vom 4. Mai 1924 konnte sich das Zentrum mit 20 Sitzen in dem auf 44 Mitglieder<br />

verkleinerten Stadtparlament zwar relativ verbessern. Da aber die diesmal als Freie<br />

Bürgervereinigung antretende Greber-Gruppe nur noch drei Sitze errang, war das „katholische<br />

Lager“ insgesamt geschwächt. Zweites wichtiges Kennzeichen für das Wahlverhalten der<br />

<strong>Koblenz</strong>er war die <strong>im</strong> Vergleich zum Reich geringe Bedeutung der sozialistischen Parteien.<br />

Ihre 1919 erzielte Fraktionsstärke von zwölf Stadtverordnetenmandaten konnte die SPD nicht<br />

mehr annähernd erreichen. 1924 trat auch die KPD bei den Kommunalwahlen an und<br />

gewann zwei Sitze, die SPD nur noch vier. <strong>Die</strong>se Schwäche der Linksparteien ist auf den<br />

verhältnismäßig kleinen Anteil an Arbeitern in der Bevölkerung und die späte Formierung der<br />

19 Kanther: Hugo Rosendahl, S. 96. Ausführlich zu den rheinischen Oberbürgermeistern Walter Först:<br />

Rheinische Städte und ihre Oberbürgermeister während der We<strong>im</strong>arer Zeit. In: Hugo Stehkämper (Hg.): Konrad<br />

Adenauer. Oberbürgermeister von Köln. Köln 1976, S. 531-596. Ein gemeinsames Gremium für die rheinischen<br />

Städte bildete der 1908 in <strong>Koblenz</strong> gegründete Rheinische Städtetag; ebd., S. 564. Russell gehörte 1930 dem<br />

Kreditausschuss an; Lothar Weiß: Rheinische Großstädte während der Weltwirtschaftskrise (1929-1933).<br />

Kommunale Finanz- und Sozialpolitik <strong>im</strong> Vergleich. Köln 1999, S. 143 Anm. 235.<br />

20 StAK 623 Nr. 2628, Fragebogen vom 4.3.1933. Romeyk gibt als Parteizugehörigkeit „Arbeitsgemeinschaft“<br />

(?) an; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 706.<br />

21 StAK 623 Nr. 5996, S. 292; Bär: Aus der Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 123.<br />

22 Helmut Neubach: Von Reichensperger bis Peter Altmeier: <strong>Koblenz</strong>, Hochburg der Zentrumspartei. In:<br />

JbwestdtLG 24 (1998), S. 329-363. Der <strong>im</strong> Titel gewählte Begriff „Hochburg“ erscheint angesichts der<br />

Wahlergebnisse übertrieben. Zum Wahlverhalten vgl. Jürgen Herres: Das preußische <strong>Koblenz</strong>. In: Geschichte<br />

der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 49-118, 559-567, hier S. 98-102, 109-115, 565 f.; Hartmut Sander: <strong>Die</strong> politischen Wahlen<br />

<strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> 1918 bis 1924. Diss. Phil. Bonn 1972; ders.: <strong>Die</strong> politischen Wahlen <strong>im</strong><br />

Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> 1918 bis 1924. In: JbwestdtLG 6 (1980), S. 319-342.<br />

23 Greber (* 2.5.1876 Wenigerath/Kreis Bernkastel, + 31.3.1944 New York) wurde als Pfarrer zwe<strong>im</strong>al vom Amt<br />

suspendiert, zuletzt 1926, weil er sich dem Spiritismus zugewandt hatte. 1929 wanderte er nach Amerika aus, wo<br />

er heiratete und eine eigene Kirche gründete. Neubach: Von Reichensperger bis Peter Altmeier, S. 349-358;<br />

Ewald <strong>Die</strong>trich: Der Hunsrückpastor Johannes Greber (1874-1944). In: Rhein-Hunsrück-Kalender 46 (1990), S.<br />

103-105.


25<br />

Parteien auf Ortsebene zurückzuführen. Erst 1904 wurde der Ortsverein der SPD 24 gegründet.<br />

<strong>Die</strong> KPD-Ortsgruppe 25 ging um 1920/21 aus der Ortsgruppe der USPD hervor, war aber<br />

wegen interner Streitigkeiten und geringer Mitgliederzahlen bis Ende der 1920er Jahre<br />

bedeutungslos. Erst ab 1930 führten die wirtschaftliche Lage, die wachsenden Erfolge der<br />

Nationalsozialisten und intensive Werbekampagnen zu steigenden Mitgliederzahlen. Drittes<br />

Charakteristikum des Wahlverhaltens war das vergleichsweise wesentlich stärkere Gewicht<br />

der Liberalen (DDP, DVP, DNVP), die aber nicht als einheitliche politische Kraft auftraten. 26<br />

1919 konnten sie zunächst nur sechs Sitze erzielen. 1924 agierten sie gemeinsam als<br />

Bürgerliche Arbeitsgemeinschaft mit zwölf Stadtverordneten erfolgreicher. Bei derselben<br />

Wahl erhielt die ihnen nahe stehende, von Stadtinspektor Karl Trampp als lokale Gruppierung<br />

gegründete „Beamtenliste“ drei Sitze. 27<br />

Zu den politisch einflussreichen Größen müssen neben den Parteien aber noch zwei<br />

Institutionen des gesellschaftlichen Lebens gezählt werden. 28 Zum einen war dies die 1808<br />

gegründete Casino-Gesellschaft, die sich „Freiheit, Urbanität und Eintracht“ verpflichtet<br />

fühlte. 29 <strong>Die</strong> Statuten garantierten eine gewisse Exklusivität, und an den „so berühmt<br />

gewordenen Stammtische[n]“ saßen „die Männer aus alteingesessenen Familien […] oder die<br />

als Stadträte das besondere Vertrauen ihrer Mitbürger genossen“. <strong>Die</strong>se Treffen hatten<br />

keineswegs nur geselligen Charakter, sondern hier wurde Politik gemacht. 30 Für die Teile des<br />

Bürgertums, die stärker dem katholischen Milieu verhaftet waren, bildete der 1863 ins Leben<br />

gerufene Katholische Leseverein mit seinem Wahlspruch „Per aspera ad astra“ das<br />

Gegenstück zum Casino. 31<br />

24<br />

Fritz Franzen: Im Spiegel der Geschichte. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er SPD von ihren Anfängen bis 1933. <strong>Koblenz</strong> 2003, S.<br />

21 f.<br />

25<br />

Hubertus Seibert: Zur Geschichte der Arbeiterbewegung <strong>im</strong> Großraum <strong>Koblenz</strong> in der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

(1920-1933). In. JbwestdtLG 10 (1984), S. 179-214, hier S. 184-189.<br />

26<br />

<strong>Die</strong> „Liberalen“ hatten sogar gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr Stadtverordnete als die „Klerikalen“<br />

gestellt. Herres: Das preußische <strong>Koblenz</strong>, S. 109-111.<br />

27<br />

Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 133-136, 568. Vgl. Tabelle 8 in Kapitel 4.1.3.<br />

28<br />

Zum Folgenden vgl. Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 244-247. Dagegen konnte der erst 1900 gegründete<br />

Evangelische Bürgerverein keinen nennenswerten politischen Einfluss gewinnen; ebd. S. 246.<br />

29<br />

Werner Wilhelm Weichelt: Casino Coblenz 1808-1908. Ein Gedenkbuch zur Hundertjahr-Feier. <strong>Koblenz</strong><br />

1908.<br />

30<br />

Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 14. „Oberbürgermeister Dr.<br />

Rosendahl hob [anlässlich des 125-jährigen Stiftungsfestes <strong>im</strong> Januar 1933] in seiner Rückschau hervor, dass<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> und Casinodirektion in vielen Fragen zusammengearbeitet hätten.“ Ebd., S. 34. Schon in der<br />

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dürften städtische Belange, so vermutet Herres, „häufiger <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er<br />

‚Casino’, zu dem nur die wohlhabenden und gebildeten Bürger Zugang hatten […], besprochen und <strong>im</strong><br />

wesentlichen vorab geklärt worden sein als <strong>im</strong> Rathaus.“ Herres: Das preußische <strong>Koblenz</strong>, S. 109.<br />

31<br />

90 Jahre Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1952; <strong>Koblenz</strong> und sein Katholischer Leseverein.<br />

Herausgegeben 1963 aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens des Katholischen Lesevereins. <strong>Koblenz</strong> 1963.<br />

Selbst be<strong>im</strong> Baustil des Vereinsgebäudes setzte man bewusst Akzente. Das 1865 errichtete, neogotische<br />

Görreshaus der „Lese“ sollte einen Kontrast zum angeblich konfessionslosen Klassizismus des Casino-Baues<br />

von 1828 schaffen. Udo Liessem: Bauten des 19. Jahrhunderts. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 409-450,<br />

593-597, hier S. 422, 428, 592.


26<br />

3.3 <strong>Die</strong> Anfänge der NSDAP-Ortsgruppe 32<br />

<strong>Die</strong> älteste NSDAP-Ortsgruppe des späteren Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier war die rechtsrheinisch in<br />

unmittelbarer Nachbarschaft zu <strong>Koblenz</strong> gelegene, am 1. Mai 1925 gegründete Ortsgruppe<br />

Arenberg. 33 Wenig später, das genaue Datum ist unbekannt, wurde die Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong><br />

ins Leben gerufen. Ihre erste öffentliche Versammlung fand am 29. August 1925 <strong>im</strong><br />

Evangelischen Gemeindesaal am Altlöhrtor statt. 34 Zunächst kamen die Redner noch von<br />

außerhalb, meist aus dem Gau Rheinland-Süd 35 , dem <strong>Koblenz</strong> angehörte, allen voran<br />

Gauleiter Dr. rer. nat. Robert Ley 36 . 1926 setzten massivere Propaganda und Agitation der<br />

Ortsgruppe ein, die Teilnehmerzahlen der Versammlungen wuchsen. <strong>Die</strong> Kölner<br />

Parteizeitung, der „Westdeutsche Beobachter“, wurde unter lautstarkem Ausrufen der<br />

reißerischen Schlagzeilen verkauft. Größere Aufmerksamkeit der lokalen Presse 37 erlangten<br />

die nationalsozialistischen Aktivitäten erstmals, als es am 3. März 1926 anlässlich einer<br />

NSDAP-Veranstaltung mit dem Reichstagsabgeordneten Gottfried Feder in der städtischen<br />

Festhalle zu blutigen Zusammenstößen mit Kommunisten kam, deren Auflösung ein 70 Mann<br />

starkes Polizeiaufgebot erforderte. Schlägereien mit Angehörigen des Reichsbanners und der<br />

KPD waren fortan an der Tagesordnung. 38 <strong>Die</strong> erste Geschäftsstelle der NSDAP befand sich<br />

seit 1927 in der „Passage“ zwischen der Löhrstraße 103/105 und der Bahnhofstraße. 39<br />

<strong>Die</strong> städtische Polizeiverwaltung und der zuständige Dezernent Biesten an ihrer Spitze waren<br />

bis zur Verstaatlichung der Polizei am 1. Dezember 1929 40 die ständigen Kontrahenten der<br />

NSDAP-Ortsgruppe. <strong>Die</strong> Nationalsozialisten fanden in Biesten einen entschiedenen Gegner,<br />

32<br />

Zum Folgenden vgl. Moselland. Kulturpolitische Hefte. Sonderheft „10 Jahre Gau Moselland“. Luxemburg<br />

1941.<br />

33<br />

NB, 27./28.4.1940: Ortsgruppe Arenberg – Urzelle der Bewegung <strong>im</strong> Westmarkgau. Ortsgruppenleiter war<br />

Georg Schmidt, seit 1931 Leiter des Nationalverlags. Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 415 f.;<br />

NB, Weihnachten 1937: Wie ich zur Partei kam.<br />

34<br />

10 Jahre Gau Moselland. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und<br />

Volksaufklärung H. 5 (1941), S. 1-3, hier S. 2; NB Nr. 144: 23.6.1938: „Sind Sie der Doktor Robert Ley?“. <strong>Die</strong><br />

RW berichtete 1925 als einzige der drei <strong>Koblenz</strong>er Tageszeitungen über das „erste Gastspiel“ der „Wotanjünger<br />

aus Hitlers Schule“ in <strong>Koblenz</strong>; RW, 2.9.1925: Völkische Großmäuler in <strong>Koblenz</strong>.<br />

35<br />

1928 Umbenennung in Gau Rheinland; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 23.<br />

36<br />

Ronald Smelser: Robert Ley. Hitlers Mann an der „Arbeitsfront“. Eine Biographie. Paderborn 1989.<br />

37<br />

KVZ, 4.3.1926: Politischer Krawall in Coblenz [Titelseite!]; KGA, 4.3.1926: Blutiger Zusammenstoß<br />

zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten; NB, 1.7.1933: <strong>Die</strong> denkwürdige Federversammlung 1926; NB,<br />

3./4.3.1934: Saalschlacht in der Stadthalle. Aus den Sturmtagen der Bewegung des Jahres 1926; NB, 26.2.1937:<br />

Stadthallen-Schlacht <strong>Koblenz</strong> 1926; Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 106.<br />

38<br />

NB, 1.7.1933: Ein Jahrzehnt Kampf ums Deutsche Eck. Als erster <strong>Koblenz</strong>er gehörte der Arenberger<br />

Ortsgruppe Anton („Toni“) Fey an. In aller Offenheit wird sich in dem Artikel mehrfach mit brutalen<br />

Schlägermethoden gebrüstet.<br />

39<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 13, 32; ebd. Nr. 6252, S. 727; NB, 1.7.1933: Unsere erste Geschäftsstelle in <strong>Koblenz</strong>.<br />

In der „Passage“ befand sich auch der Vertrieb des WB; StAK 623 Nr. 6675, S. 102. Seit spätestens Juli 1930<br />

befand sich die Gauleitung bzw. ihre Geschäftsstelle in der Viktoriastraße 10, seit spätestens Januar 1932 in der<br />

Friedrichstraße 29. StAK 623 Nr. 6187, S. 194; ebd. Nr. 6222, S. 70 f., 103, 129; ebd. Nr. 6544, S. 235; ebd. Nr.<br />

6161, S. 208, 212. Das AB 1931/32, S. II 98, VI 11, nennt als Sitz der Gauleitung Schloßstraße 36 und als Sitz<br />

der Geschäftsstelle Friedrichstraße 29.<br />

40<br />

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong><br />

Rechnungsjahr 1929, o. S.


27<br />

der Störungen der öffentlichen Ordnung und republikfeindliche Aktionen mit allen ihm zur<br />

Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte. Dabei erfuhren Biesten und Oberbürgermeister<br />

Russell allerdings oft eine nur halbherzige Unterstützung durch die vorgesetzten Behörden<br />

und die Justiz. Ende 1929 schied Biesten aus dem städtischen <strong>Die</strong>nst aus, um erster staatlicher<br />

Polizeipräsident von <strong>Koblenz</strong> zu werden. 41<br />

<strong>Die</strong> besondere Feindschaft der Partei hatte sich Biesten spätestens durch eine erfolgreiche<br />

Polizeiaktion am 6. März 1927 zugezogen: An diesem „Schwarzen Sonntag von Nastätten“<br />

war es dort anlässlich einer geplanten Kundgebung gegen die NSDAP zu schweren<br />

gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, angezettelt von Nationalsozialisten aus dem<br />

Rheinland unter der Führung von Gauleiter Ley. In Nastätten trafen sie mit Parteigenossen<br />

aus dem Gau Hessen-Nassau zusammen, darunter rund 30 Mann aus Wiesbaden, die vom<br />

zweiten Vorsitzenden der Ortsgruppe und späteren <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeister, Theodor<br />

Habicht 42 , angeführt wurden. Der 18-jährige Wilhelm Wilhelmi aus Singhofen kam bei den<br />

bald eskalierenden Gewalttätigkeiten durch die in Notwehr von einem der völlig über-<br />

forderten Landjäger abgefeuerten Kugel ums Leben. <strong>Die</strong> Partei vereinnahmte Wilhelmi sofort<br />

als ihren ersten „Blutzeugen“ <strong>im</strong> Gau 43 und entwickelte einen regelrechten Kult um ihn, der<br />

seine Wirkung nicht verfehlte. Der <strong>Koblenz</strong>er Kaufmann Heinrich Schwarz ermöglichte durch<br />

eine Spende die Beteiligung der Ortsgruppe an einem Nachruf auf Wilhelmi, 44 obwohl<br />

letztlich unklar blieb, ob er nicht nur ein unbeteiligter Zuschauer gewesen war. Auf dem<br />

Rückweg in Richtung Köln gelang der inzwischen alarmierten <strong>Koblenz</strong>er Polizei an der<br />

Stadtgrenze die Verhaftung von 69 Nationalsozialisten. Am 7. April 1927 erging durch den<br />

Oberpräsidenten in Verbindung mit den zuständigen Polizeibehörden das Verbot aller an dem<br />

Landfriedensbruch beteiligten Ortsgruppen, darunter <strong>Koblenz</strong> und Arenberg. Dessen<br />

Durchsetzung stieß aufgrund einer Gesetzeslücke <strong>im</strong> Reichsvereinsgesetz 45 <strong>im</strong>mer wieder auf<br />

Schwierigkeiten. 46<br />

41<br />

Joach<strong>im</strong> Hennig: Dr. Ernst Biesten (1884-1953). Demokrat in vier Epochen (Schriftenreihe des Ministeriums<br />

der Justiz 4). Frankfurt am Main 1996, S. 123 f.<br />

42<br />

Vgl. Kapitel 5.1.7 und 5.2.<br />

43<br />

Nastätten gehörte ursprünglich zum Gau Rheinland-Süd und erst später zum Gau Hessen-Nassau; Hubertus<br />

Seibert: Der Aufstieg des <strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong> Kreis St. Goarshausen (1926-1933). In: Nassauische Annalen<br />

94 (1984), S. 297-307, hier S. 300.<br />

44<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 111008, Säuberungsspruch vom 2.3.1950.<br />

45<br />

Das Reichsvereinsgesetz vom 19.4.1908 bot be<strong>im</strong> Zuwiderhandeln gegen ein Auflösungsverbot keine<br />

Handhabe, da eine Strafbest<strong>im</strong>mung fehlte; RGBl. I, S. 151.<br />

46<br />

Horst Friedrich: Der Nastätter Landfriedensbruch – Ein Mann aus Singhofen getötet. In: He<strong>im</strong>atjahrbuch<br />

Rhein-Lahn-Kreis 2007, S. 151-156; Thorsten Stötzer: Landkreis St. Goarshausen in der französischen<br />

Besatzungszeit 1918-1929. <strong>Koblenz</strong> 2004, S. 132-137; Hubertus Seibert: Der Aufstieg des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

<strong>im</strong> Rhein-Lahn-Kreis (1925-1933). In: Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises (Hg.): Der Rhein-Lahn-Kreis.<br />

Landschaft – Geschichte – Kultur unserer He<strong>im</strong>at. Oberwesel 1987, S. 219-251, hier S. 222-224; ders.: Der<br />

Aufstieg der NSDAP <strong>im</strong> Kreis St. Goarshausen (1926-1933). In: Nassauische Annalen 95 (1984), S. 299-307,<br />

hier S. 300-303; Uli Jungbluth: Zur Nazifizierung der Deutschen. Machtergreifung <strong>im</strong> Westerwald. Höhr-<br />

Grenzhausen 1993, S. 14-17; Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 100-103; Smelser: Robert Ley, S. 55-57.


Russell gab in der Stadtverordnetenversammlung vom 18. November 1927 außerhalb der<br />

28<br />

Tagesordnung Erklärungen ab, mit denen er seine Verwaltung vor verschiedenen Vorwürfen<br />

des Westdeutschen Beobachters in Schutz nahm. So sei eine Strafanzeige wegen Angriffen<br />

auf den städtischen Fuhrparkdirektor Max Möckel 47 erfolgreich gewesen, den die<br />

nationalsozialistische Propaganda besonders attackierte, weil er gleichzeitig sozial-<br />

demokratischer Fraktionsführer war. 48 Möckel hatte – einer gängigen Praxis folgend –<br />

städtische Fahrzeuge u. a. auch an den Geschäftsführer der Rheinischen Warte und das<br />

Reichsbanner vermietet. Mitte März 1927 waren Reichsbanner-Angehörige, die von einem<br />

städtischen Lastauto Propagandamaterial abgeworfen hatten, von der Polizei zunächst für<br />

Nationalsozialisten gehalten worden. Russell hatte daraufhin alle Vermietungen an die<br />

Rheinische Warte und sämtliche politischen Organisationen untersagt, um die Neutralität der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> zu wahren. 49<br />

Am 30. Juli 1928 forderte der Preußische Innenminister vom Oberpräsidenten einen Bericht<br />

über die Propagandatätigkeit der NSDAP, die „in <strong>Koblenz</strong> und Umgebung in letzter Zeit<br />

nachgerade unerträgliche Formen angenommen“ habe. Der Westdeutsche Beobachter hetze<br />

„in gemeiner Weise“ gegen <strong>Koblenz</strong>er Behörden und die jüdische Bevölkerung und werde<br />

„zu einer gefährlichen Quelle der Beunruhigung“, wobei die städtische Polizeiverwaltung<br />

„angeblich völlig tatenlos“ geblieben sei. In seiner ausführlichen Stellungnahme bestätigte<br />

Russell das aggressive Auftreten der Parteianhänger, das er mit den Schmähartikeln der<br />

Parteipresse in Verbindung brachte. Sie verungl<strong>im</strong>pften städtische Behörden, den<br />

Oberbürgermeister, den Polizeidezernenten, den Leiter der Sittenpolizei, Kr<strong>im</strong>inalober-<br />

inspektor Albert Lehnhoff, und verschiedene Stadtverordnete. Zum Teil seien mit Erfolg<br />

Strafanträge 50 gestellt worden. Außerdem hetze der Westdeutsche Beobachter gegen die<br />

jüdische Bevölkerung und schüre die Unzufriedenheit ehemals wohlhabender Rentner und in<br />

ihrer Existenz gefährdeter Gewerbetreibender. Letztere sähen sich in ihren Befürchtungen<br />

über die Expansion des Kaufhauses Leonhard Tietz 51 bestärkt. Nachdrücklich verwahrte sich<br />

Russell gegen den Vorwurf der Tatenlosigkeit und stellte sich schützend vor seine<br />

47<br />

Vgl. Max Möckel: Der städtische Fuhrpark. In: Hans Bellinghausen (Bearb.): Deutschlands Städtebau.<br />

Coblenz. 2. Aufl. Berlin 1925, S. 140 f.<br />

48<br />

KGA, 19./20.11.1927: <strong>Die</strong> Stadtverordneten lehnen Steuererhöhungen ab; StAK 623 Nr. 5995,<br />

Zeitungsausschnitt nach S. 343.<br />

49<br />

StAK 623 Nr. 8058, S. 513-519.<br />

50<br />

Vgl. StAK 623 Nr. 6675, S. 33-51, Abschrift eines Urteils des Schöffengerichts Köln vom 10.7.1928 wegen<br />

übler Nachrede und Beleidigung gegen den Redakteur Josef Grohé in Köln, den Bürogehilfen Erich Liese aus<br />

<strong>Koblenz</strong>-Lützel und einen Verlagsbuchhändler in Vechta. Ausführlich dazu Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 103-<br />

113.<br />

51<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Filiale gehörte zu den ältesten Tietz-Häusern. Sie wurde 1890 in einem kleinen Ladenlokal in<br />

der Löhrstraße 16-18 eröffnet und bereits nach kurzer Zeit zwe<strong>im</strong>al vergrößert. 1895 zog die Firma in die<br />

Löhrstraße 1, doch schon 1901 bezog man einen Neubau in der Löhrstraße 85. Auch dieser erwies sich bald als<br />

zu klein und wurde erweitert, sodass das Kaufhaus seit 1911 unter der Adresse Löhrstraße 83-85 residierte.<br />

StAK Fach 96, Bauakte Löhrstraße 85; ebd. Fach 91, Bauakte Löhrstraße 83-85; 50 Jahre Leonhard Tietz 1879-<br />

1929. Köln o. J. [1929], S. 37, 105; Thill: Lebensbilder, S. 146, 246 f.; Werner Hagspiel: Köln und seine<br />

jüdischen Architekten. Köln 2010, S. 192 f.; AB 1892, S. 292; AB 1897, S. 342, Anzeige nach S. 436; AB<br />

1902/03, S. 328, Anzeige nach S. 346; AB 1912, S. 252.


Polizeiverwaltung. Man habe auch mit dem Polizeipräsidenten in Köln Kontakt<br />

aufgenommen, der jedoch empfohlen habe, die Nationalsozialisten als bedeutungslos zu<br />

ignorieren. Er, Russell, habe schon mehrfach mit dem Regierungspräsidenten Gespräche<br />

geführt. Aufgrund des Ende 1926 einsetzenden, lauten Ausrufens der Hetzartikel habe die<br />

29<br />

städtische Polizei einen Verkäufer wegen groben Unfugs angezeigt. Das Verfahren vor dem<br />

Amtsgericht habe jedoch aufgrund der Pressefreiheit mit einem Freispruch geendet. Im<br />

Dezember 1926 habe ein nicht genehmigter Wagen mit antisemitischen Hetzparolen an dem<br />

vom städtischen Verkehrsamt organisierten Werbeumzug der Gewerbetreibenden<br />

teilgenommen. Wegen Störung der öffentlichen Ordnung sei der Wagen von der Polizei aus<br />

dem Zug entfernt worden. Weitere geplante Demonstrationen, so eine Werbefahrt <strong>im</strong><br />

Dezember 1927 mit Propaganda für „deutsche“ Geschäfte, wurden laut Russell verboten. 52<br />

Auf rechte Umtriebe reagierte die Stadtspitze aber nicht <strong>im</strong>mer so konsequent. Anlässlich<br />

eines Turnerempfangs <strong>im</strong> Juli 1928 hisste der Pächter des städtischen Restaurationsbetriebs<br />

Café Rheinanlagen seinem Gast Dr. med. Gustav Kreglinger jun. 53 , einem bekennenden<br />

Nationalsozialisten, zuliebe die schwarz-weiß-rote Flagge. Russell gab ihm nach diesem<br />

Vorfall lediglich auf, in Zukunft „mindestens <strong>im</strong> gleichen Range die jetzigen Reichsfahnen“<br />

zu setzen. 54 Als der Westdeutsche Beobachter Mitte September 1928 beleidigende Vorwürfe<br />

gegen den Oberbürgermeister erhob, sprachen ihm die Stadtverordneten <strong>im</strong> Oktober ihr<br />

Vertrauen aus. Von einer Strafanzeige sah man ab, um dem Blatt nicht noch mehr Beachtung<br />

zu schenken. 55<br />

Seit 1928 hatte Gauleiter Ley in dem Diplom-Handelslehrer Gustav S<strong>im</strong>on (Abb. 4) einen<br />

unermüdlichen Mitarbeiter und Aktivisten gefunden. S<strong>im</strong>on, geboren am 2. August 1900 in<br />

Malstatt-Burbach (seit 1909 Saarbrücken), katholisch, war der Sohn des Schreibgehilfen und<br />

späteren Reichsbahnamtmanns Adam S<strong>im</strong>on 56 . Nach der Volksschule in Saarbrücken<br />

52<br />

StAK 623 Nr. 6675, S. 14 f. (Zitate), 21-32; LHAKo Best. 403 Nr. 16743, S. 645 f., 673-697, gekürzt<br />

veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 2-7. Zu den Diffamierungskampagnen des WB gegen Biesten und<br />

Lehnhoff sowie den Praktiken des WB ausführlich Smelser: Robert Ley, S. 61-67.<br />

53<br />

* 12.5.1882 Triberg (Schwarzwald), + 22.3.1945 Nastätten, Sohn von Dr. med. Gustav Kreglinger sen.,<br />

Facharzt für Chirurgie, Betreiber der von seinem Vater gegründeten Privatklinik Elisabeth-Krankenhaus, 1929<br />

NSDAP-Mitglied, 1931-1939 Leiter des Gauamtes für Volksgesundheit. StAK 623 Nr. 6556, S. 17; Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 321. Kreglinger bekannte sich bereits 1928 offen zur NSDAP; RW,<br />

6.6.1928: Wer wählt die Hitlerpartei?<br />

54<br />

StAK 623 Nr. 8472, S. 682 f., Zitat S. 683; RW, 25.7.1928: Den Turnern zum Gruß!; ebd.: Eine<br />

schwarzweißrote Fahne.<br />

55<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 69. Angeblich war Russell schwerwiegenden Verfehlungen eines<br />

Verwaltungsanwärters nicht nachgegangen.<br />

56<br />

Vgl. NB, 17./18.8.1941: Todesanzeige. Auch Gustavs jüngerer Bruder Paul, * 18.2.1908, machte<br />

Parteikarriere: Er stieg <strong>im</strong> August 1937 zum stellvertretenden Gauleiter von Pommern auf. In <strong>Koblenz</strong> war er<br />

von Juni 1933 bis Februar 1935 Hauptschriftleiter des Nationalblatts und Gaupresseamtsleiter. Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 448-450; Joach<strong>im</strong> Lilla: Statisten in Uniform. <strong>Die</strong> Mitglieder des<br />

Reichstags 1933-1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und<br />

nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Düsseldorf 2004, S. 621; Joach<strong>im</strong> Lilla: <strong>Die</strong><br />

stellvertretenden Gauleiter und die Vertretung der Gauleiter der NSDAP <strong>im</strong> „Dritten Reich“. Bremerhaven 2003,


esuchte er von 1914 bis 1917 die Präparanden-Anstalt in Merzig, vom März 1917 bis<br />

1920 das dortige Volkschullehrer-Seminar, 57 wo er Anfang 1920 das Examen bestand.<br />

30<br />

Anschließend wurde er vorübergehend Aushilfslehrer. Als er keine Anstellung fand, folgten<br />

zwei Jahre als Reichsbahnhelfer in Hermeskeil und neun Monate als Zolldeklarant. Im August<br />

1923 schrieb sich S<strong>im</strong>on als Werkstudent an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität Frankfurt am Main ein, holte <strong>im</strong> November 1924 das Abitur nach<br />

und wechselte <strong>im</strong> Mai 1925 zur Rechtswissenschaftlichen Fakultät, wo er Jura und<br />

Volkswirtschaft studierte. 1927 legte er das Examen als Diplom-Handelslehrer ab. Danach<br />

arbeite S<strong>im</strong>on 1927/28 in Völklingen als Handelsstudienreferendar und Gewerbelehrer an der<br />

dortigen Handelsschule. Während seiner Studienzeit begann seine politische Karriere: Ab<br />

1922 war er in der völkischen Bewegung aktiv, 1923 wurde er zweiter Vorsitzender der<br />

Völkischen Hochschulgruppe, 1924/25 gehörte S<strong>im</strong>on der Nationalsozialistischen<br />

Freiheitspartei an. Am 14. August 1925 wurde er unter der Nummer 17.017 Mitglied der<br />

NSDAP und gründete <strong>im</strong> selben Jahr die Ortsgruppe Frankfurt am Main des National-<br />

sozialistischen Deutschen Studentenbundes. 1927 errang die junge Gruppierung zwei<br />

von zwölf Mandaten <strong>im</strong> AStA und stellte den Vorsitzenden 58 – reichsweit der erste<br />

Nationalsozialist in dieser Position. An der Frankfurter Universität freundete sich S<strong>im</strong>on mit<br />

weiteren gleich gesinnten Werkstudenten an, mit denen er später noch in engem Kontakt<br />

stand: den Brüdern Nikolaus und Peter S<strong>im</strong>mer, Hermann Unger und Claus Jakobs. Noch<br />

während seiner Studentenzeit gründete S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> September 1926 die NSDAP-Ortsgruppe<br />

Hermeskeil. Von dort stammte auch die 1911 geborene Frieda Margaretha („Friedel“)<br />

Henning, Tochter eines Elektrotechnikers, die S<strong>im</strong>on am 12. August 1930 in ihrer<br />

He<strong>im</strong>atgemeinde heiratete. Aus der Ehe, die 1942 geschieden wurde, ging <strong>im</strong> August 1931<br />

ein Sohn hervor. 59<br />

S. 88 f.; Helmut Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik. 80 Zeitungen aus drei Jahrhunderten. <strong>Koblenz</strong> 1988, S.<br />

222.<br />

57 S<strong>im</strong>on bestand am 9.3.1917 die Aufnahmeprüfung am Königlichen Schullehrer-Seminar, man bescheinigte<br />

ihm „Gesundheitszustand geeignet, Fleiß sehr groß, Betragen sehr gut, Religion 2/3, Deutsch 2/3, Rechnen und<br />

Raumlehre 3, Geschichte 3, Realien [Naturwissenschaften] 3, Musik 3, Turnen 3, Französisch 2/3“. LHAKo<br />

Best. 405 Nr. 5060.<br />

58 <strong>Die</strong> gelegentliche Nennung von S<strong>im</strong>on selbst als AStA-Vorsitzender dürfte falsch sein. Anselm Faust: Der<br />

Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und <strong>Nationalsozialismus</strong> in der We<strong>im</strong>arer Republik. 2<br />

Bde. Düsseldorf 1973, hier Bd. 1, S. 60, sowie Michael Grüttner: Studenten <strong>im</strong> Dritten Reich. Paderborn 1995,<br />

S. 21, nennen Gerd Rühle als AStA-Vorsitzenden. Für Rühle spricht auch der große Artikel über S<strong>im</strong>ons<br />

Lebensweg in NB, 1.7.1933: Aus dem Leben eines Kämpfers, der eine so herausragende Station sicher nicht<br />

verschwiegen hätte. Ebd. Abb. des St<strong>im</strong>mzettels von 1927 mit S<strong>im</strong>on als „Vertrauensmann“ sowie Gerd Rühle<br />

auf dem 1. und Nikolaus S<strong>im</strong>mer auf dem 2. Listenplatz. Rühle sprach am 26.10.1929 auf einer Kundgebung der<br />

<strong>Koblenz</strong>er NSDAP-Ortsgruppe; LHAKo Best. 714 Nr. 1421.<br />

59 NB, 1.7.1933: Aus dem Leben eines Kämpfers; NB, 25.9.1933: 7 Jahre Ortsgruppe Hermeskeil; NB,<br />

27.3.1939: Der arbeitsreiche Weg eines Kämpfers; Baldur von Schirach: <strong>Die</strong> Pioniere des Dritten Reiches, Essen<br />

o. J. [1933], S. 205-208; Das Deutsche Führerlexikon 1934/35. Berlin 1934, S. 459; Peter Hüttenberger: <strong>Die</strong><br />

Gauleiter. Studien um Wandel des Machtgefüges in der NSDAP (Schriftenreihe der VfZ 19). Stuttgart 1969, S.<br />

218; Paul Spang: Gustav S<strong>im</strong>ons Ende. In: Hémecht 44 (1992), S. 303-317; Emile Krier: Gustav S<strong>im</strong>on (1900-<br />

1945). In: Rheinische Lebensbilder (16) 1997, S. 255-285; Paul Dostert: Luxemburg zwischen Selbstbehauptung<br />

und nationaler Selbstaufgabe. <strong>Die</strong> deutsche Besatzungspolitik und die Volksdeutsche Bewegung 1940-1945.<br />

Luxemburg 1985; Lilla: Statisten in Uniform, S. 619 f.; Hans Peter Klauck: Gustav S<strong>im</strong>on, der Satrap aus<br />

Saarbrücken. Gauleiter des Mosellandes. In: Saarbrücker Hefte 95 (2006), S. 76-80; <strong>Die</strong>ter Wolfanger: Josef


S<strong>im</strong>on besaß Organisationstalent, Fleiß, großen Ehrgeiz und rhetorische Fähigkeiten. Sein<br />

späterer Stellvertreter Fritz Reckmann hob als S<strong>im</strong>ons herausragende Charakteristika<br />

„Energie und Zähigkeit“ hervor. 60 Seine geringe Körpergröße versuchte S<strong>im</strong>on durch ein<br />

31<br />

gesteigertes Geltungsbedürfnis wettzumachen, was ihm Spitznamen wie „der Giftzwerg von<br />

Hermeskeil“ einbrachte. 61 Ley übertrug dem eifrigen Parteigenossen zunächst die Leitung des<br />

Bezirks Trier-Birkenfeld. In dem stark agrarisch strukturierten, dünn besiedelten und für die<br />

Bewegung noch kaum aufgeschlossenen südlichen Gebiet des Gaues konnte sich S<strong>im</strong>on<br />

profilieren. Er gab sogar <strong>im</strong> Frühjahr 1929 auf Bitten Leys kurz vor Abschluss seines<br />

Assessorexamens die Schullaufbahn auf, um sich hauptamtlich der Parteiarbeit zu widmen.<br />

Ley ernannte ihn am 27. März 1929 zum Bezirksleiter von <strong>Koblenz</strong>. 62 Dort kümmerte sich<br />

S<strong>im</strong>on um den Neuaufbau der zerstrittenen Ortsgruppe, die sich <strong>im</strong> September 1928 selbst<br />

aufgelöst hatte, <strong>im</strong> Untergrund aber weiter existierte. 63 Es gab innerhalb der Ortsgruppe nicht<br />

nur Zwistigkeiten um Parteigelder, sondern auch gegensätzliche politische Strömungen,<br />

die aber nicht genauer bezeichnet werden. 64 Gegen Gauleiter Ley formierte sich 1928<br />

parteiinterner Widerstand, als er wegen Unzuverlässigkeit und Misswirtschaft rund um seinen<br />

Privatverlag des Westdeutschen Beobachters in die Kritik geriet. 1928 arbeiteten die<br />

Ortsgruppen Köln und <strong>Koblenz</strong> sogar bei der Parteileitung in München auf seine Entlassung<br />

hin. 65 Trotz dieser internen Streitigkeiten erzielte die NSDAP in <strong>Koblenz</strong> bei der<br />

Bürckel und Gustav S<strong>im</strong>on. Zwei Gauleiter der NSDAP und ihr Streit um die „Westmark“. In: Werner<br />

Haubrichs (Hg.): Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag<br />

(Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 24). Saarbrücken<br />

1995, S. 397-409; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 748 f.; Heinz<br />

Monz (Hg.): Trierer Biographisches Lexikon. Trier 2000, S. 433; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 445-447, 591; Standesamt Hermeskeil, Heiratsurkunde Nr. 36/1930; LHAKo Best.<br />

727 Nr. 2 Img_15737_0; StAK, Sterbekartei Gustav S<strong>im</strong>on. Eine Biografie S<strong>im</strong>ons fehlt bis heute.<br />

60<br />

NB, 27.3.1939: Unser Gauleiter Gustav S<strong>im</strong>on. Reckmann benutzte in seiner Würdigung zwe<strong>im</strong>al die zitierte<br />

Wendung.<br />

61<br />

Klauck: Gustav S<strong>im</strong>on, S. 77. Vgl. die scharfe Kritik eines Trierer Alten Kämpfers vom März 1933 an S<strong>im</strong>ons<br />

Auftreten; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 310-312. In Anspielung auf seine geringe Körpergröße und sein anmaßendes<br />

Auftreten wurde er als CdZ „’Gernegroß’-Statthalter“ genannt; Alois und Wolfgang Becker: Vom<br />

Oberpräsidium der Rheinprovinz zum Wiederaufbau der Verwaltungsstrukturen <strong>im</strong> Rheinland nach dem 2.<br />

Weltkrieg. In: JbwestdtLG 26 (2000), S. 453-581, hier S. 484.<br />

62<br />

NB, 27.3.1939: Unser Gauleiter Gustav S<strong>im</strong>on; Albrecht Tyrell: Führergedanke und Gauleiterwechsel. <strong>Die</strong><br />

Teilung des Gaues Rheinland der NSDAP 1931. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 39 (1975), S. 237-271, hier S.<br />

260.<br />

63<br />

StAK 623 Nr. 6675, S. 71. Auch die SA löste sich laut Bericht der Polizeiverwaltung vom 16.4.1929 damals<br />

auf. <strong>Die</strong> „Rheinische Warte“ vom 3.10.1928 berichtete, Ley habe Parteiausschlüsse veranlasst und die<br />

„<strong>Koblenz</strong>er Bande“ aufgelöst; StAK 623 Nr. 6675, S. 52 (Zeitungsausschnitt). Zu S<strong>im</strong>ons Agitation vgl. Foto<br />

einer Versammlung auf dem Clemensplatz 1929 mit S<strong>im</strong>on als Redner; NB, 1.3.1937.<br />

64<br />

StAK 623 Nr. 6675, S. 27 f., 30. Wahrscheinlich handelte es sich um Flügelkämpfe wie in der Ortsgruppe<br />

Trier, wo es laut Bericht des Trierer Regierungspräsidenten vom 2.2.1931 Anhänger der „Strasserrichtung“<br />

gegeben hatte, die ihre Posten räumen mussten; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 68.<br />

65<br />

Für <strong>Koblenz</strong> trat dabei der spätere Ortsgruppenleiter Vorstadt, Oskar Dönch, in Aktion. Zu einem weiteren<br />

Finanzskandal um den WB kam es 1932, als Ley S<strong>im</strong>on Druckpapier in Rechnung stellte, das in Wirklichkeit<br />

gespendet worden war. S<strong>im</strong>on strengte ein Uschla-Verfahren gegen Ley an, konnte aber überredet werden, die<br />

Angelegenheit in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Peter Hüttenberger: <strong>Die</strong> Anfänge der NSDAP <strong>im</strong> Westen. In:<br />

Walter Först (Hg.): Zwischen Ruhrkampf und Wiederaufbau (Beiträge zur neueren Landesgeschichte des<br />

Rheinlandes und Westfalens 5). Köln 1972, S. 51-80, 184, hier S. 57 f.; ders.: <strong>Die</strong> Gauleiter. Studie zum Wandel


32<br />

Reichstagswahl am 20. Mai 1928 einen überaus beachtlichen Wahlerfolg, den die Rheinische<br />

Warte als „Schmach“ geißelte: 66 Aus dem Stand heraus 67 erzielte sie mit 10,4 % der St<strong>im</strong>men<br />

(absolut 2.700) das Vierfache des schlechten Reichsergebnisses von 2,6 % und übertrumpfte<br />

die KPD (absolut 1.612) um mehr als 1.000 St<strong>im</strong>men. 68 Mit diesem Wahlergebnis stand<br />

<strong>Koblenz</strong> in einer Reihe mit den NSDAP-Hochburgen München, Nürnberg und We<strong>im</strong>ar, wo<br />

jeweils über 10 % der St<strong>im</strong>men erreicht wurden. 69<br />

Anlässlich des „Deutschen Freiheitstages“ der Nationalsozialisten des Rheinlandes in<br />

<strong>Koblenz</strong> am 23. und 24. März 1929 nahm die Kölner Gauleitung die offizielle Neugründung<br />

der Ortsgruppe in Angriff. <strong>Die</strong> von S<strong>im</strong>on zu diesem Zweck beantragte Nutzung der<br />

Stadthalle 70 war von Biesten abgelehnt worden 71 . Am Abend des 23. März 1929 traf man sich<br />

schließlich mit ca. 350 aus dem ganzen Rheinland angereisten Anhängern, davon 100 in<br />

Uniform, in der Lützeler Gaststätte „Bürgerhe<strong>im</strong>“ von Jakob Trapp 72 , dem ältesten<br />

„Kampflokal[en] der Bewegung“ 73 . Es sprachen Josef Grohé, Redakteur des Westdeutschen<br />

Beobachters, und Gauleiter Ley. Am 24. März gelang zwar vormittags <strong>im</strong> „Münchener<br />

Pschorrbräustübl“ in der Münzstraße mit ca. 150 anwesenden Mitgliedern die Gründung einer<br />

neuen Ortsgruppe, doch schon die Bildung eines Vorstands scheiterte an den unvereinbaren<br />

Positionen des internen Richtungsstreits. Während die „radikalere“ Richtung von der Kölner<br />

Gauleitung beeinflusst war, gab es eine „gemäßigtere“ Gruppe, die zum Teil aus älteren<br />

<strong>Koblenz</strong>er Bürgern bestand. Gustav S<strong>im</strong>on, der pünktlich zum 23. März seinen Wohnsitz von<br />

Hermeskeil in den Kaltenhof 2 d in der <strong>Koblenz</strong>er Altstadt polizeilich ummeldete, 74 wurde<br />

des Machtgefüges in der NSDAP. S. 51 f., 64; Smelser: Robert Ley, S. 59-62, 98 f.; Tyrell: Führergedanke, S.<br />

259.<br />

66<br />

Vierteilige Artikelserie „<strong>Die</strong> Schmach von <strong>Koblenz</strong>“, in der mit der „Hitlerbande“ abgerechnet wurde; RW,<br />

23., 24., 25., 26./27.5.1928.<br />

67<br />

Abgesehen von den wenigen St<strong>im</strong>men, die in <strong>Koblenz</strong> 1924 während des NSDAP-Verbots für die<br />

Ersatzorganisationen Völkisch-Sozialer Block und Nationalsozialistische Freiheitspartei abgegeben wurden; vgl.<br />

Tabelle 4.<br />

68<br />

Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 167.<br />

69<br />

Michael Wildt: Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong> (Grundkurs Neue Geschichte). Göttingen 2008, S. 45.<br />

70<br />

<strong>Die</strong> Stadtverordnetenversammlung hatte am 13.6.1928 die Umbenennung der 1901 eingeweihten städtischen<br />

Festhalle in „Stadthalle“ beschlossen; StAK 623 Nr. 5996, S. 30. <strong>Die</strong> Bezeichnung „Festhalle“ findet sich in den<br />

Folgejahren trotzdem noch häufig.<br />

71<br />

StAK 623 Nr. 6675, S. 1.<br />

72<br />

Trapp war seit spätestens 1924 Wirt in Lützel, NSDAP-Mitglied und stand bei der Kommunalwahl <strong>im</strong><br />

November 1929 auf Listenplatz 12. KGA, 19./20.10.1929: Das Wahlvorspiel; KGA, 11.11.1933: Oeffentliche<br />

Bekanntmachung. <strong>Die</strong> Gaststätte „Zum Hähnchen“ bzw. „Bürgerhe<strong>im</strong>“, Mariahilfstraße 18, verfügte über ein<br />

Saalgebäude. 1925 genehmigte die Bauaufsicht auf Antrag des Lützeler Kaplans die Einrichtung eines Kinos für<br />

den Katholischen Jugend- und Jungmännerverein, 1926 den Bau einer Turnhalle für den Turnverein Lützel.<br />

StAK Fach 122, Bauakte Mariahilfstraße 18.<br />

73<br />

NB, 24.7.1935: [Aufruf zum] General-Mitglieder-Appell. Weitere alte Parteilokale waren die Gaststätten<br />

„Zom Schänzje“, Schanzenpforte 4, „Frankfurter Hof“, Löhrstraße 66, „Burg Hohenzollern“, Hohenzollernstraße<br />

100, und „Amandus“, Stegemannstraße 47; NB, 26.6.1936: Das Sturmlokal der Kampfzeit [mit Anzeigenteil];<br />

NB, 12.12.1940: Ehrung verdienter alter Kämpfer. Der Gastwirt des Frankfurter Hofs, Wilhelm Adelmann,<br />

wurde 1934 mit einem Ratsherrensitz bedacht; StAK 623 Nr. 6182, S. 39 f., 218-222.<br />

74<br />

StAK, Sterbekartei. S<strong>im</strong>on zog in den Folgejahren mehrfach innerhalb von <strong>Koblenz</strong> um, sein letzter Wohnsitz<br />

war seit 29.4.1939 Rheinau 15; StAK M 151, Hausblatt Rheinau 15. Ein Familienblatt fand sich in der Ablage<br />

nicht; ebd. M 161.


Ortsgruppenleiter. Als Vertreter der Gemäßigten fungierte an seiner Seite der <strong>Koblenz</strong>er<br />

33<br />

Kaufmann Josef Münz. Nachmittags folgte eine öffentliche Kundgebung am Deutschen Eck,<br />

die aufgrund der zahlreichen Spaziergänger eine große Menge Schaulustiger anzog. In seiner<br />

Ansprache kritisierte Grohé den Oberbürgermeister und die <strong>Stadtverwaltung</strong> wegen der<br />

Verweigerung der Stadthalle. Be<strong>im</strong> anschließenden Demonstrationszug zum Ehrenfriedhof,<br />

wo eine Kranzniederlegung stattfand, kam es zu Rangeleien mit KPD-Anhängern, sodass die<br />

Polizei eingreifen musste. <strong>Die</strong> Abschlusskundgebung fand auf dem Clemensplatz statt, dort<br />

hatte der offensichtlich alkoholisierte Redner Ley wieder ein vielköpfiges Publikum. <strong>Die</strong> auch<br />

bei dieser Gelegenheit zum wiederholten Male beobachtete „Rauflust“ der National-<br />

sozialisten, insbesondere der SS- und SA-Leute, nahm die städtische Polizeiverwaltung in<br />

ihrem Bericht vom 25. März zum Anlass, be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten ein generelles<br />

Demonstrationsverbot für die NSDAP anzuregen. 75<br />

Im Mai 1929 beantragte S<strong>im</strong>on die regelmäßige Nutzung einer städtischen Turnhalle für<br />

„unsere Sportabteilung“. Da deren paramilitärischer Hintergrund befürchtet werden musste,<br />

machte Biesten dies zum Thema der Dezernentenbesprechung. <strong>Die</strong> Genehmigung wurde am<br />

6. Juni bis auf Widerruf erteilt unter der Bedingung, dass „Schmähartikel gegen die<br />

Stadtvertretung, <strong>Stadtverwaltung</strong> und Bürger der Stadt <strong>Koblenz</strong>“ in der Parteipresse in<br />

Zukunft zu unterbleiben hätten. Doch diese ließen nicht lange auf sich warten und führten<br />

schon am 10. Juli zum Widerruf, der mit den Führern der bürgerlichen Stadtverordnetenfraktionen<br />

abgest<strong>im</strong>mt war. 76<br />

Der Oberpräsident berichtete dem Preußischen Innenminister am 19. Mai 1930, die NSDAP<br />

finde „wachsenden Anklang […] innerhalb der städtischen Bevölkerung“. Man stelle in Köln<br />

und <strong>Koblenz</strong> „<strong>im</strong> Gegensatz zu früheren Beobachtungen übereinst<strong>im</strong>mend eine <strong>im</strong>mer stärker<br />

werdende Beteiligung des Mittelstandes und gut bürgerlicher Kreise an den national-<br />

sozialistischen Veranstaltungen“ fest. Zwei Parteiveranstaltungen in der etwa 3.000 Personen<br />

fassenden Stadthalle am 17. und 31. März seien überfüllt gewesen, am 31. März hätte parallel<br />

sogar eine Versammlung mit 1.600 Teilnehmern in der Rheinhalle stattgefunden. 77 <strong>Die</strong><br />

Ortsgruppe bestehe nach Angaben des Ortsgruppenleiters am 1. April 1930 aus etwa<br />

400 Mitgliedern. 78 Zum Vergleich: <strong>Die</strong> Ortsgruppe der SPD zählte am 31. Dezember 1930<br />

nur 368 Mitglieder. 79<br />

75<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 16745, S. 251-257; veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 9-12, Zitate S. 10, 12 (der<br />

Name von Münz auf S. 10 ist anonymisiert).<br />

76<br />

StAK 623 Nr. 6675, S. 2-10, Zitate S. 2, 8. Am 18.4.1929 hatte die „Volksst<strong>im</strong>me“ unter der Schlagzeile<br />

„Bürgerkriegsvorbereitungen des Faschismus” über angebliche Sportkurse der Kölner Nationalsozialisten<br />

berichtet, die in Wirklichkeit eine paramilitärische Ausbildung als Vorbereitung für einen gewaltsamen Umsturz<br />

seien; StAK 623 Nr. 6675, S. 72 (Zeitungsausschnitt). Zur Tarnung der Mainzer Ortsgruppe als Sportverein vgl.<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 32 f.<br />

77<br />

Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 32 f.<br />

78<br />

Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 31. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen <strong>im</strong> Gau Rheinland wuchsen nach einem Rundschreiben der<br />

Gauleitung zwischen 1.10.1929 und 31.3.1930 um 64 %, die Zahl der Ortsgruppen um 61 %. Der Oberpräsident


34<br />

Seit 2. Juni 1930 erweiterte sich das <strong>Koblenz</strong>er Presseangebot um ein weiteres Blatt. Neben<br />

der zentrumsnahen <strong>Koblenz</strong>er Volkszeitung, dem unabhängigen <strong>Koblenz</strong>er General-Anzeiger,<br />

der sozialdemokratischen Rheinischen Warte und der kommunistischen Volksst<strong>im</strong>me<br />

erschien mit zunächst acht Seiten das „Nationalblatt“. Es gab drei Regionalausgaben, darunter<br />

das „<strong>Koblenz</strong>er Nationalblatt“. Bis auf den Lokalteil war das Blatt mit dem Westdeutschen<br />

Beobachter identisch. Herausgeber war Ley, Hauptschriftleiter S<strong>im</strong>on, Verleger die neu<br />

gegründete „Westmarkverlag GmbH“. Satz, Druckerei und Redaktion befanden sich in der<br />

Mehlgasse 5. Als journalistisches Vorbild für sein neues Propagandainstrument diente S<strong>im</strong>on<br />

der Westdeutsche Beobachter, was bedeutete, dass die kommunalen Spitzenbeamten, die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> und einzelne Stadtverordnete sich jetzt zusätzlich <strong>im</strong> Nationalblatt rüden<br />

Angriffen und Verungl<strong>im</strong>pfungen ausgesetzt sahen. S<strong>im</strong>on bekannte sich später offen dazu, 80<br />

dass die Skandalgeschichten nur dazu dienten, die Leser mit dem Gedankengut des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> zu infiltrieren. Trotzdem fungierte das Nationalblatt aufgrund eines<br />

Stadtverordnetenbeschlusses 81 schon ab 1. Dezember 1930 zusammen mit den vier anderen<br />

Tageszeitungen als öffentliches Bekanntmachungsblatt für die städtischen Mitteilungen. Seit<br />

2. Januar 1931 erschien das Nationalblatt dann <strong>im</strong> Kölner Westdeutschen Verlag 82 , denn<br />

der Westmarkverlag hatte massive Finanzprobleme. Der Redaktionssitz wurde in die<br />

Viktoriastraße verlegt, wahrscheinlich in das Haus Nr. 10, wo sich inzwischen auch die<br />

Geschäftsstellen der NSDAP-Ortsgruppe 83 und der Bezirksleitung 84 befanden. Hatte der<br />

Untertitel des Nationalblatts bisher „Mittagspost für das rheinische Deutschtum“ geheißen, so<br />

lautete er ab dem 13. Oktober 1931 „Der neue rheinische Merkur“. Als Begründung wurden<br />

historische Bindungen behauptet, 85 womit der Leserschaft eine mehr als fragwürdige<br />

Traditionslinie zum „Rheinischen Merkur“ von Josef Görres suggeriert werden sollte. S<strong>im</strong>on<br />

übernahm ab 15. Oktober 1931 den Posten des Herausgebers. Zum Hauptschriftleiter wurde<br />

Peter Oskar Hildebrandt ernannt, der vom Westdeutschen Beobachter nach <strong>Koblenz</strong><br />

wechselte. Nach einem Bericht des Regierungspräsidenten vom Februar 1931 wurden für<br />

sah „keinen Anlaß, diese Zahlen für übertrieben zu halten.“ Ebd., S. 30. Vgl. auch Bericht über einen<br />

„Sprechabend der NSDAP in <strong>Koblenz</strong> am 25. März 1930“. Ebd., S. 20.<br />

79 Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 205.<br />

80 NB, 1.7.1933: Zum Werden und Wachsen unserer Presse; NB am Sonntag, Folge 22, 1.6.1940: Trotz Verbot<br />

und Terror groß geworden.<br />

81 StAK 623 Nr. 5996, S. 321 f. Der Beschluss vom 18.11.1930, künftig nicht nur KVZ und KGA, sondern alle<br />

fünf Tageszeitungen zu berücksichtigen, ging auf einen Antrag des KPD-Stadtverordneten Adolf Benscheid und<br />

einen Beschluss des Finanzausschusses zurück.<br />

82 Auch der Kölner Privatverlag Leys erlebte 1932 eine Finanzkrise. Wegen einer Manipulation Leys zugunsten<br />

seines Verlags kam es zu einem heftigen Konflikt, als Ley S<strong>im</strong>on eine unberechtigte Rechnung vorlegte, die<br />

S<strong>im</strong>on ahnungslos beglich. S<strong>im</strong>on strengte daraufhin sowohl ein Gerichtsverfahren als auch ein Reichs-Uschla-<br />

Verfahren gegen Ley an. Der Reichsleitung gelang es, S<strong>im</strong>on zu einer diskreten Erledigung der Angelegenheit<br />

zu bewegen und damit eine Kompromittierung Leys zu verhindern. Hüttenberger: <strong>Die</strong> Gauleiter, S. 64.<br />

83 StAK 623 Nr. 6222, S. 103.<br />

84 StAK 623 Nr. 6222, S. 70 f. (NB, 3.7.1930).<br />

85 Auch der Gauleiter von Düsseldorf, Friedrich Karl Florian, knüpfte mit seiner Gaupresse geschickt an<br />

regionale historische Traditionen an; Kurt Düwell: Regionalismus und <strong>Nationalsozialismus</strong> am Beispiel des<br />

Rheinlands. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 59 (1995), S. 194-210, hier S. 199 f. Letztmalig erschien der<br />

Untertitel <strong>im</strong> NB vom 15.9.1933.


<strong>Koblenz</strong>-Stadt und die nähere Umgebung täglich 6.000 Exemplare <strong>im</strong> Abonnement und <strong>im</strong><br />

Einzelverkauf abgesetzt, darüber hinaus 3.000 Exemplare für Propagandazwecke. 86<br />

3.4 <strong>Die</strong> wirtschaftliche Situation bis zur Kommunalwahl 1929<br />

35<br />

<strong>Die</strong> schnell steigenden Soziallasten führten in den letzten Jahren der We<strong>im</strong>arer Republik zu<br />

einer <strong>im</strong>mer dramatischeren Finanzlage der Städte und Gemeinden. Auf der einen Seite<br />

standen die Ausdifferenzierung des Sozialstaates und die Expansion der kommunalen<br />

Sozialleistungen und Daseinsvorsorge, 87 auf der anderen Seite Weltwirtschaftskrise,<br />

Massenarbeitslosigkeit, Lohnsenkungspolitik und Deflation mit sinkenden Einnahmen und<br />

steigenden Ausgaben. Reich und Länder legten dabei die Aufgabenbereiche der Gemeinden<br />

fest und entschieden über staatliche Zuschüsse und Gemeindeanteile. Über seine Sozial-<br />

gesetzgebung wälzte insbesondere das Reich die Kosten der Massenarbeitslosigkeit auf die<br />

Kommunen ab, deren Selbstverwaltung entscheidend von der Finanzhoheit abhing. <strong>Die</strong>se<br />

„politische Bevormundung“ bedeutete für die Kommunen nicht nur eine Einengung ihrer<br />

Handlungs- und Gestaltungsspielräume, sondern führte viele geradewegs in den finanziellen<br />

Ruin. 88 Ende 1932/Anfang 1933 mussten rund 600 preußische Gemeinden die Zwangs-<br />

verwaltung durch einen Staatskommissar beantragen, was den Nationalsozialisten als weiterer<br />

Beleg für das Versagen der Selbstverwaltung galt. 89<br />

<strong>Die</strong> stärkste Belastung der städtischen Wohlfahrtsetats ging dabei auch in <strong>Koblenz</strong> von den<br />

„Wohlfahrtserwerbslosen“ aus, da der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung (Alu) eng<br />

begrenzt war. Nach Ablauf der Alu konnte ein beschränkter Berechtigtenkreis<br />

Krisenunterstützung (Kru) erhalten. War der Unterstützungsempfänger nach Ablauf der<br />

Bezugsdauer von Alu bzw. Kru <strong>im</strong>mer noch arbeitslos, wurde er zum „Ausgesteuerten“, der<br />

als Wohlfahrtserwerbsloser jetzt der Kommune zur Last fiel. Auch Alu- oder Kru-<br />

Unterstützungsempfänger, deren Bezüge wegen Krankheit oder großer Kinderzahl nicht<br />

ausreichten, mussten vom Bezirksfürsorgeverband, also der Kommune, zusätzlich unterstützt<br />

werden. Mit Notstandsarbeiten wurde seit den 1920er Jahren wenigstens ein Teil der<br />

Erwerbslosen beschäftigt, dafür erhielt die Stadt Mittel aus der „produktiven Erwerbslosen-<br />

fürsorge“, außerdem brachte eine sechsmonatige Beschäftigung die Erwerbslosen wieder in<br />

86 Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 216-224; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 36, 51, 67, 72; Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 50; NB, 1.7.1933: 3 Jahre Nationalblatt; ebd.: Unser Weg. Falter<br />

konnte zeigen, dass das Vorhandensein eines rechten Blattes und ein „rechtes Pressekl<strong>im</strong>a“ den Aufstieg der<br />

NSDAP in einem Ort begünstigten. Jürgen W. Falter: Hitlers Wähler. München 1991, S. 327-339.<br />

87 <strong>Die</strong> Reichsgesetzgebung schuf beständig neue Gruppen von Fürsorgeempfängern: Kriegsopfer, Erwerbslose,<br />

Klein- und Sozialrentner, während sich das Leistungsspektrum der kommunalen Armenpflege um Bereiche wie<br />

sozialer Wohnungsbau, Gesundheitsfürsorge und -vorsorge erweiterte. Christoph Sachße/Florian Tennstedt:<br />

Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Bd. 2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871-1929. Stuttgart<br />

1988; Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 201 f.<br />

88 Karl-Heinrich Hansmeyer (Hg.): Kommunale Finanzpolitik in der We<strong>im</strong>arer Republik (Schriftenreihe des<br />

Vereins für Kommunalwissenschaften 36). Stuttgart 1973, Zitat S. 139.<br />

89 Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 195.


den Leistungsbezug der Arbeitslosenversicherung. 90 Im Gegensatz zu deren Leistungen<br />

waren die kommunalen Fürsorgeleistungen grundsätzlich nicht befristet. Sie sollten das<br />

Existenzmin<strong>im</strong>um sichern, jedoch mussten die Fürsorgesätze der Offenen Fürsorge aus<br />

Finanznot ständig gekürzt und freiwillige Nebenleistungen gestrichen werden. 91<br />

36<br />

<strong>Die</strong> schwierige gesamtwirtschaftliche Lage wurde in <strong>Koblenz</strong> durch die Besatzung und das<br />

Fehlen von Industrie verschärft. Oberbürgermeister Russell sah sich <strong>im</strong> Oktober 1927<br />

gezwungen, be<strong>im</strong> Preußischen Innenminister einen ersten – erfolglosen – Antrag auf<br />

Gewährung einer Sonderbeihilfe zu stellen, den er mit einer achtseitigen Denkschrift<br />

begründete. Infolge der Besatzung hätten viele wohlhabende Bürger die Stadt verlassen und<br />

Betriebe siedelten sich trotz günstiger Verkehrslage nicht an. Das „fortschreitende[n]<br />

Absinken des Mittelstandes“ und die Folgen des Ruhrkampfs hätten eine „ungewöhnlich<br />

starke Erwerbslosigkeit“ hervorgerufen. Am 1. Oktober 1927 waren 10.341 Personen oder<br />

17,2 % der Bevölkerung Unterstützungsempfänger. 92<br />

Im September 1928 verfasste Russell eine weitere, 17-seitige Denkschrift über die<br />

Erwerbslosigkeit in <strong>Koblenz</strong> und ihre Folgen für den städtischen Haushalt, mit der er<br />

<strong>im</strong>merhin eine Sonderbeihilfe von 293.611 RM erreichte. Es folgte <strong>im</strong> Februar 1929 sein<br />

dringender Appell an den Regierungspräsidenten, sich für Notstandsarbeiten einzusetzen.<br />

Volkswirtschaftlich gesehen könnten nur Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen helfen, auch wenn<br />

Projekte wie z. B. Brückenbau vorübergehend die Schuldenlast der Stadt erhöhen würden.<br />

Nur ein kleiner Teil der seit 1919 schulentlassenen Jugend habe die Arbeit kennen gelernt und<br />

„hunderte von Kindern […] haben ihren Vater überhaupt noch niemals zur Arbeit, sondern<br />

<strong>im</strong>mer nur zum ‚Stempeln’ gehen sehen. <strong>Die</strong> Verantwortung für solche Zustände ist nicht<br />

mehr zu tragen.“ 93 Auf Geheiß des Regierungspräsidenten stellte Russell einen Antrag auf<br />

eine Deckungsbeihilfe für den Haushalt 1928, der aber in Berlin ohne Erfolg blieb. 94<br />

Den letzten Antrag auf eine staatliche Beihilfe vor den <strong>im</strong> November 1929 anstehenden<br />

Kommunalwahlen stellte Russell <strong>im</strong> Juni. Seit 1928 hatte die Zahl der Wohlfahrts-<br />

erwerbslosen beängstigend zugenommen. Hatte es am 1. April 1928 noch 604<br />

Hauptunterstützungsempfänger (dazu 1.119 Zuschlagsempfänger) gegeben, war die Zahl<br />

genau ein Jahr später mit 1.270 Hauptunterstützungsempfängern (dazu 2.111<br />

Zuschlagsempfänger) doppelt so hoch. <strong>Die</strong> Gesamtzahl der Unterstützten (einschließlich<br />

90<br />

StAK 623 Nr. 5921; ebd. Nr. 8172-8174; ebd. Nr. 8179; ebd. Nr. 8181. <strong>Die</strong> Beschäftigung erfolgte vor allem<br />

be<strong>im</strong> Wegebau sowie bei Erd-, Bau- und Instandsetzungsarbeiten.<br />

91<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 54 f.; ebd. Nr. 6110. Vgl. Weiß: Rheinische Großstädte, S. 85-91.<br />

92<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 95, 99-110, Zitate S. 102.<br />

93<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 149-151, Zitat S. 151.<br />

94<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 95, 116-141, 149-156, Zitat S. 151.


37<br />

Armenstamm 95 , Klein- und Sozialrentner, Alu- und Kru-Empfängern usw.) betrug 10.935, das<br />

waren 18,5 % der Bevölkerung. Bei diesen „unerträglich hohen Wohlfahrtslasten“ und dem<br />

„Bleigewicht der Wohlfahrtserwerbslosen“ sei eine Sanierung der angeschlagenen städtischen<br />

Finanzen „unmöglich“. Nach dieser eindringlichen Schilderung Russells wurde eine Beihilfe<br />

von 117.842 RM gewährt, was jedoch nicht einmal zur Deckung der Aufwendungen für die<br />

Offene Fürsorge des Monats Mai 1929 ausreichte, die 127.000 RM betrugen. 96<br />

3.5 <strong>Die</strong> Wahlperiode 1929 bis 1933<br />

<strong>Die</strong> unermüdliche Agitation S<strong>im</strong>ons in Form von Sprechabenden 97 , Versammlungen und<br />

Kundgebungen trug bald erste Früchte. Für die am 17. November 1929 anstehenden<br />

Kommunalwahlen konnte er auf einer Wahlveranstaltung am 19. Oktober 1929 den ca.<br />

400 Anwesenden zwölf Kandidaten präsentieren, 98 die endgültige Liste umfasste dann sogar<br />

20 Namen. 99 Als Ziele der NSDAP <strong>im</strong> Stadtparlament formulierte S<strong>im</strong>on die Reduzierung der<br />

fünf Beigeordnetenstellen, die Einführung einer Warenhaussteuer 100 und den Abbau der<br />

Beamten, die nicht aufgrund ihrer Kenntnisse, sondern durch ihr Parteibuch in hohe Posten<br />

aufgerückt seien. Das Amt des zweiten Vorsitzenden der Ortsgruppe bekleidete mittlerweile<br />

der kaufmännische Angestellte Ludwig Christ, Mitglied <strong>im</strong> Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband,<br />

einer völkisch-antisemitischen Angestelltengewerkschaft. 101<br />

Bei den Kommunalwahlen konnte S<strong>im</strong>on dann ein sensationelles Wahlergebnis feiern. Bei<br />

einer niedrigen Wahlbeteiligung von nur 55 % erhielt die NSDAP mit 4.257 Wählerst<strong>im</strong>men<br />

mehr als SPD (2.475) und KPD (1.204) zusammen. Ihr St<strong>im</strong>menanteil von 18,1 % war der<br />

Spitzenwert unter den 24 von 28 preußischen Städten in der Größenklasse zwischen<br />

50.000 und 100.000 Einwohnern, in deren Stadtparlamente die Nationalsozialisten<br />

einziehen konnten. So hob auch der General-Anzeiger „die gewaltige[n] Zunahme der<br />

Nationalsozialisten“ hervor, die nun mit acht Mitgliedern in der Stadtverordneten-<br />

versammlung vertreten waren. 102 In 17 der – allerdings nach Anzahl der Wahlberechtigten<br />

95<br />

Sonstige, dauerhaft Unterstützungsbedürftige, die weder Anspruch auf sonstige Leistungen (Alu usw.) hatten<br />

noch aufgrund von Krankheit, Alter etc. arbeitsfähig waren. Vgl. StAK 623 Nr. 6114, S. 183.<br />

96<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 95, 159-168, Zitate S. 159.<br />

97<br />

Beispiele: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 18-20.<br />

98<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 16747, S. 365-369; gekürzt veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 16 f.<br />

99<br />

KVZ, 11.11.1929: Oeffentliche Bekanntmachung; KGA, 11.11.1933: Oeffentliche Bekanntmachung. Zum<br />

Vergleich: Für die KPD traten 11 Kandidaten an; ebd.<br />

100<br />

<strong>Die</strong> Bekämpfung von Warenhäusern und Filialgeschäften gehörte zum ältesten Kernbestand der<br />

nationalsozialistischen Mittelstandspolitik. Broszat: Der Staat Hitlers, S. 208, 212-215.<br />

101<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 16747, S. 365, veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 16 (der Name von Christ, der<br />

1938 starb, ist anonymisiert!); KGA, 19./20.10.1929: Das Wahlvorspiel. Zum Handlungsgehilfen-Verband vgl.<br />

Iris Hamel: Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband<br />

1893-1933 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle für die Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong> in Hamburg 6).<br />

Frankfurt am Main 1967.<br />

102<br />

KGA, 18.11.1929: <strong>Die</strong> Stadtverordnetenwahlen in <strong>Koblenz</strong> (Zitat); Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 48, der geringfügig abweichend 18,2 % angibt (ebd., Anm. 181). Vgl. auch Übersichten zu<br />

den Stadtverordnetenwahlen in 32 westdeutschen Städten, erstellt vom Statistischen Amt der Stadt Dortmund <strong>im</strong>


38<br />

sehr unterschiedlich zugeschnittenen – insgesamt 41 Wahlbezirke hatte die NSDAP mehr als<br />

20 % der St<strong>im</strong>men erzielt. Demnach hatte sie ihr größtes Wählerpotential nicht nur in der<br />

Altstadt, in der die ärmsten Bevölkerungsschichten auf engstem Raum lebten, sondern auch in<br />

der Neustadt, in Teilen der südlichen Vorstadt und in Lützel. In zwölf weiteren St<strong>im</strong>m-<br />

bezirken erreichte sie über 15 %, verfügte also praktisch <strong>im</strong> ganzen Stadtgebiet über<br />

Anhänger. Ausnahmen bildeten die Stadtteile Moselweiß und Wallershe<strong>im</strong>, wo die NSDAP<br />

deutlich unter 10 % blieb. 103 S<strong>im</strong>on selbst konnte einen weiteren persönlichen Erfolg<br />

verbuchen, denn er zog als Abgeordneter in den gleichzeitig neu gewählten Provinziallandtag<br />

der Rheinprovinz ein. 104<br />

Offensichtlich war es der NSDAP besser als den anderen Parteien gelungen, ihre<br />

Anhängerschaft zum Gang an die Urnen zu mobilisieren, denn eine geringe Wahlbeteiligung<br />

kommt tendenziell den kleinen Parteien zugute. Schon <strong>im</strong> Frühjahr 1929 war ein gewandeltes<br />

Verhältnis zwischen Stahlhelm 105 und NSDAP beobachtet worden. 106 In der ehemaligen<br />

Garnisonstadt dürfte dieses rechte Wählerpotential eine Rolle gespielt haben. Außerdem<br />

ließen sich Besatzung und Separatismus für den Aufstieg der NSDAP hervorragend<br />

instrumentalisieren. 107 1930 schrieb z. B. der <strong>Koblenz</strong>er NSDAP-Stadtverordnete Paul Esser,<br />

ein selbständiger Kaufmann, er habe durch die Besatzung sein gesamtes Vermögen verloren<br />

und von „diesem ‚Rechtsstaat’ keine Entschädigung erhalten“. 108 Seinen Stadtratskollegen<br />

Karl Carius hatten die französischen Besatzungsbehörden 1923 wegen völkischer Aktivitäten<br />

14 Monate ausgewiesen. 109 Hatten 1924 nur sechs Listen zur Wahl gestanden, waren es 1929<br />

Dezember 1929; StAK 623 Nr. 6252, S. 730-742. Danach folgte mit Bonn eine weitere rheinische Stadt mit<br />

15,4 % (Matzerath, ebd.: 16,7 %). Tyrell und Smelser nennen für <strong>Koblenz</strong> fälschlich 38,5 % der abgegebenen<br />

St<strong>im</strong>men. Tyrell: Führergedanke, S. 260; Smelser: Robert Ley, S. 91. In der westdeutschen Presse soll <strong>Koblenz</strong><br />

seit dieser Wahl sogar das „rheinische Coburg“ genannt worden sein. NB 147, 1.7.1933: Das „rheinische<br />

Coburg“; 10 Jahre Gau Moselland. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und<br />

Volksaufklärung H. 5 (1941), S. 1-3, hier S. 2. In Coburg hatte die NSDAP 1929 die Mehrheit <strong>im</strong> Stadtrat<br />

errungen und konnte 1931 einen Bürgermeister stellen. Vgl. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung,<br />

S. 46; Joach<strong>im</strong> Albrecht: <strong>Die</strong> Avantgarde des „Dritten Reiches“. <strong>Die</strong> Coburger NSDAP während der We<strong>im</strong>arer<br />

Republik 1922-1933 (Europäische Hochschulschriften Reihe III 1008). Frankfurt am Main 2005.<br />

103 KGA, 9./10.11.1929: Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahlen [Einteilung der St<strong>im</strong>mbezirke]; KVZ,<br />

18.11.1929: Vorläufige Wahlergebnisse der Stadt <strong>Koblenz</strong>; KGA, 18.11.1929: Einzelergebnisse in den<br />

<strong>Koblenz</strong>er Wahlbezirken.<br />

104 KGA, 21.11.1929: Rheinischer Provinziallandtag. <strong>Die</strong> NSDAP stellte 8 von 163 Abgeordneten.<br />

105 Vgl. Volker R. Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935 (Beiträge zur Geschichte des<br />

Parlamentarismus und der politischen Parteien 33). Düsseldorf 1966.<br />

106 StAK 623 Nr. 6675, S. 80 f.<br />

107 <strong>Die</strong>s ist z. B. für die Pfalz und das rheinhessische Gau-Odernhe<strong>im</strong> bereits beschrieben worden. Vgl. Gerhard<br />

Gräber/Matthias Spindler: Rheinlandbesetzung, rheinischer Separatismus und <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Hans-<br />

Georg Meyer/Hans Berkessel (Hg.): <strong>Die</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong> in Rheinland-Pfalz. Bd. 1: „Eine<br />

nationalsozialistische Revolution ist eine gründliche Angelegenheit.“ Mainz 2000, S. 57-68; Michael Kißener:<br />

Gau-Odernhe<strong>im</strong>: „Stütze für das nationalsozialistische Werden in Rheinhessen“. In: Ders. (Hg.): Rheinhessische<br />

Wege in den <strong>Nationalsozialismus</strong>. Studien zu rheinhessischen Landgemeinden von der We<strong>im</strong>arer Republik bis<br />

zum Ende der NS-Diktatur. Worms 2010, S. 161-179, hier S. 165-167.<br />

108 StAK 623 Nr. 6187, S. 116-118, Zitat S. 118. Esser starb am 5.6.1930 <strong>im</strong> Alter von 47 Jahren an den Folgen<br />

eines Verkehrsunfalls. KGA, 6.6.1930: Nachruf; StAK 623 Nr. 5996, S. 253. Für ihn rückte Karl Gastmann<br />

nach; StAK 623 Nr. 5996, S. 271 f.<br />

109 Lilla: Statisten in Uniform, S. 78.


39<br />

elf, ein Zeichen für die Zersplitterung des bürgerlichen Lagers, das St<strong>im</strong>menabwanderungen<br />

zur NSDAP hinnehmen musste. 110<br />

Das Zentrum hatte – trotz der mittlerweile fehlenden Konkurrenz durch Pfarrer Greber – vier<br />

Sitze eingebüßt und stellte jetzt nur noch 16 Stadtverordnete. Noch kurz vor der Wahl hatte<br />

die Volkszeitung vor einer St<strong>im</strong>menabgabe für die Nationalsozialisten gewarnt, in deren<br />

Ideologie kein Platz für Katholiken sei. 111 Schwer geschadet haben soll dem Zentrum ein<br />

Skandal um den Vorsitzenden des Lesevereins, Rechtsanwalt Wilhelm Hirtz, <strong>im</strong> Jahre 1928.<br />

Der Westdeutsche Beobachter hetzte in mehreren „Fortsetzungen“ über ein angebliches<br />

außereheliches Verhältnis Hirtz’ mit seiner Sekretärin. Als Vereinsvorsitzender wurde Hirtz<br />

jedenfalls Ende des Jahres abgelöst. 112<br />

Schon für die Wahl 1924 wurde konstatiert: „<strong>Die</strong> soziale Basis des Zentrums verengte sich<br />

tendenziell auf die mittelständische katholische Bevölkerung, während die bürgerlichen, vor<br />

allem nicht konfessionell gebundenen Wähler […] sich stärker für nationalistische Ideen und<br />

antidemokratische Ressent<strong>im</strong>ents konservativer und rechtsextremer Gruppen empfänglich<br />

zeigten.“ 113 <strong>Die</strong> Erfolge des Pfarrers Greber von 1919 und 1924 sind ein klares Indiz dafür,<br />

dass die kirchlichen Wahlempfehlungen zumindest für Teile der <strong>Koblenz</strong>er Katholiken bereits<br />

damals nicht bindend waren. Trotz des hohen katholischen Bevölkerungsanteils kam 1929<br />

weder die positive Wahlnorm (d. h. Zentrum zu wählen) noch die negative Wahlnorm (d. h.<br />

nicht NSDAP zu wählen) voll zum Tragen. <strong>Die</strong> katholische Konfessionszugehörigkeit von<br />

fast 80 % der <strong>Koblenz</strong>er erwies sich nicht als „Resistenzfaktor“ gegen den National-<br />

sozialismus. 114 Ganz anders sah es in der Bischofsstadt Trier aus, wo es der NSDAP mit nur<br />

2,7 % der St<strong>im</strong>men vorerst nicht gelungen war, die absolute Mehrheit des Zentrums (47,7 %,<br />

22 Sitze) zu brechen, und nur einen einzigen von 42 Stadtverordneten stellte. 115<br />

110<br />

KVZ, 18.11.1929: Das neue <strong>Koblenz</strong>er Stadtparlament.<br />

111<br />

KVZ, 13.11.1929: Keine St<strong>im</strong>men den Nationalsozialisten! Katholiken Parias <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Staate!<br />

112<br />

WB, 3.6.1928: Zentrumsklüngel in allen Ecken!; WB, 24.6.1928: Neues in Sachen Hirtz; WB, 8.7.1928: Der<br />

Fall Hirtz. Ein Lesevereinsmitglied hat das Wort!; WB, 5.8.1928: Fortsetzung <strong>im</strong> Fall Hirtz; WB, 7.10.1928:<br />

Hirtz fühlt sich sicher; WB: 14.10.1928: Hirtz fühlt sich sicher; WB, 28.10.1928: Hirtz … Hirtz … Hirtz; WB,<br />

11.11.1928: Hirtz und kein Ende; Abschriften in: BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886.<br />

Laut Rechtsanwalt Wilhelm Meyers habe die Geschichte dem <strong>Koblenz</strong>er Zentrum „das Genick gebrochen“;<br />

StAK Nr. 3833, S. 19. Hirtz war vom 8.2.1920 bis 18.12.1928 Vorsitzender des Lesevereins; 90 Jahre<br />

Katholischer Leseverein, S. 17; KVZ, 20.12.1928: Generalversammlung des Kath. Lesevereins; KVZ,<br />

22./23.12.1928: Der neue Präsident des Kath. Lesevereins. Im März 1931 zog Hirtz nach Mönchengladbach;<br />

StAK M 138, Hausblatt Mainzer Straße 109.<br />

113<br />

Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 136.<br />

114<br />

Vgl. Falter: Hitlers Wähler, S. 51-53, 169-193, Zitat S. 186.<br />

115<br />

Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung, S. 113 f.; Bollmus: Trier und der NS, S. 519. Zu den NSDAP-<br />

Mandaten in anderen rheinischen Städten vgl. Först: Rheinische Städte und ihre Oberbürgermeister, S. 586. In<br />

Mainz hatte die NSDAP nicht einmal Kandidaten aufgestellt; Hedwig Brüchert: Demokratie ohne Demokraten –<br />

Krise und Zerstörung der We<strong>im</strong>arer Republik und die Anfänge des <strong>Nationalsozialismus</strong> auf dem Gebiet des<br />

heutigen Rheinland-Pfalz. In: Meyer/Berkessel: <strong>Die</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 17-30, hier S. 24.


Scharf hatte die Volkszeitung mit der Beamtenliste eine weitere Konkurrentin um<br />

Wählerst<strong>im</strong>men angegriffen, denn sie vertrete reine Standesinteressen und betreibe somit<br />

„Separatismus“. 116 Trotzdem verteidigte die Liste mit Stadtinspektor Karl Trampp an der<br />

40<br />

Spitze ihre drei Mandate. 117 Eine neue Liste unter dem Namen Bürger- und Wirtschaftsblock<br />

kam auf fünf Sitze, die Liberale Gemeinschaft – eine Listenverbindung von DVP und<br />

DDP 118 – und die DNVP auf je zwei. <strong>Die</strong> beiden deutschnationalen Mandatsträger waren der<br />

Chemiker Dr. Walter Petri, seit 1908 bei der Stadt beschäftigt als Leiter des Chemischen<br />

Untersuchungsamtes, und der evangelische Pfarrer Paul Coerper. Den einzigen Sitz der Liste<br />

der Angestellten und Kriegsopfer nahm Oberstadtsekretär Josef Z<strong>im</strong>mermann ein. <strong>Die</strong>se zehn<br />

Stadtverordneten schlossen sich zur Fraktion „Bürgerblock“ zusammen. 119 <strong>Die</strong> SPD gewann<br />

ein Mandat hinzu und stellte jetzt fünf Stadtverordnete. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten, namentlich ihr<br />

Unterbezirkssekretär Johann Dötsch 120 , hatten die NSDAP unterschätzt und nahmen sie auch<br />

weiterhin als politischen Gegner nicht ernst genug. 121 <strong>Die</strong> KPD hatte ihre beiden Mandate<br />

halten können, die meisten Wähler hatte sie in der Altstadt und in Neuendorf. 122<br />

<strong>Die</strong> NSDAP-Stadtverordneten, die in der konstituierenden Sitzung vom 20. Dezember 1929<br />

in ihr Amt eingeführt wurden, waren: 123<br />

1. Gustav S<strong>im</strong>on, Diplom-Handelslehrer, Hohenzollernstraße 16,<br />

2. Heinrich Schwarz 124 , selbständiger Kaufmann, Laubach 66 b,<br />

3. Karl Carius, Sekretär <strong>im</strong> Bund christlicher Arbeitsinvaliden, Hohenzollernstraße 38,<br />

4. Ludwig Christ, kaufmännischer Angestellter, Eltzerhofstraße 11,<br />

5. Nikolaus Junk 125 , Schlosser, Kolpingstraße 10,<br />

6. Johannes Neyer 126 , Oberpostsekretär, Kaiser-Friedrich-Straße 74,<br />

116 KVZ, 14.11.1929: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Beamtenschaft und die Kommunalwahlen; KVZ, 16./17.11.1929: <strong>Die</strong><br />

Wahrheit über die „Beamten-Liste“. Der Zwiespalt in der Beamtenschaft.<br />

117 Der Beamtenliste blieb der Fraktionsstatus versagt. Den Antrag Trampps, die Mindestfraktionsstärke auf drei<br />

Mitglieder festzusetzen, lehnte die Stadtverordnetenversammlung am 20.12.1929 ab. StAK 623 Nr. 6187, S. 81<br />

f.; ebd. Nr. 5996, S. 182.<br />

118 KVZ, 11.11.1929: Oeffentliche Bekanntmachung; KGA, 11.11.1929: Oeffentliche Bekanntmachung.<br />

119 Es gab vier Fraktionen: Bürgerblock, Zentrum, SPD und NSDAP; StAK 623 Nr. 6187, S. 182 f. Vgl. auch<br />

ebd. Nr. 5996; ebd. Nr. 7214.<br />

120 Vgl. Petra Weiß: Metternich in der We<strong>im</strong>arer Republik und <strong>im</strong> Dritten Reich. In: He<strong>im</strong>atfreunde <strong>Koblenz</strong>-<br />

Metternich e.V./Petra Weiß (Hg.): Metternich <strong>im</strong> Spiegel der Jahrhunderte. Beiträge zur Ortsgeschichte. <strong>Koblenz</strong><br />

2002, S. 51-80, hier S. 73.<br />

121 Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 146, 152, 171, 188-190.<br />

122 KGA, 9./10.11.1929: Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahlen [Einteilung der St<strong>im</strong>mbezirke]; KVZ,<br />

18.11.1929: Vorläufige Wahlergebnisse der Stadt <strong>Koblenz</strong>.<br />

123 KGA, 18.11.1929: <strong>Die</strong> Stadtverordnetenwahlen in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 18.11.1929: Das neue <strong>Koblenz</strong>er<br />

Stadtparlament; StAK 623 Nr. 3260, S. 15 f.<br />

124 * 11.6.1891 Barmen (heute Wuppertal), + 3.12.1980 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, 1939 Kirchenaustritt. StAK 623 Nr.<br />

6187, S. 262-272; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1809/1980; LHAKo Best. 856 Nr. 111008.<br />

125 * 2.2.1887 Metzerwiese (Lothringen), + 27.8.1950 <strong>Koblenz</strong>, verheiratet, bei der Reichsbahn beschäftigt,<br />

Betriebsratsmitglied. StAK 623 Nr. 6187, S. 856; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 698/1950; KGA,<br />

19./20.10.1929: Das Wahlvorspiel.<br />

126 * 24.11.1871 Salzig (Kreis St. Goar), katholisch, verheiratet, lebte seit 1901 in <strong>Koblenz</strong>. StAK M 111,<br />

Hausblatt Gutenbergstraße 18; ebd., Passive Meldekartei.


7. Adam Born 127 , Asphalt- und Betongeschäftsinhaber, Andernacher Straße 7,<br />

41<br />

8. Paul Esser 128 , selbständiger Kaufmann, Kurfürstenstraße 64.<br />

Der Volksschullehrer Heinrich Schwarz war 1917 nach <strong>Koblenz</strong> gezogen und hatte als<br />

selbständiger Kaufmann die bekannte Samengroßhandlung Gassen übernommen. Am<br />

1. Oktober 1929 trat Schwarz der NSDAP bei, deren Ideen und Ziele ihm sein Angestellter<br />

Albert Müller nahe gebracht hatte. 129 Karl Carius war am 20. Juni 1902 in <strong>Koblenz</strong> als Sohn<br />

eines Unteroffiziers geboren worden und evangelisch. Seine nach dem Volksschulbesuch<br />

begonnene Schlosserlehre musste er 1918 abbrechen, als er bei einem Arbeitsunfall den<br />

linken Arm verlor. Anschließend absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete<br />

als Angestellter, zuletzt war er be<strong>im</strong> Bund christlicher Arbeitsinvaliden, Witwen und Waisen<br />

Deutschlands e.V. beschäftigt. Der NSDAP war Carius 1928 beigetreten. Er engagierte sich<br />

besonders in der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation und als Gauredner. 130<br />

Ludwig Christ, katholisch, wurde am 5. September 1900 in Winterburg (Kreis Kreuznach)<br />

als Sohn des Postsekretärs Karl Christ geboren. Er besuchte die Volksschule zunächst in<br />

Kreuznach, dann in <strong>Koblenz</strong>, wohin die Familie 1907 gezogen war. Von 1914 bis 1917<br />

absolvierte Christ eine Lehre bei der Firma Jungermann, Klein und Kolwes, einem Kurz-,<br />

Galanterie- und Schreibwarengeschäft, bei dem er bis zum 30. September 1917 als<br />

Handlungsgehilfe blieb. Vom 1. Oktober 1917 bis zum 14. November 1918 diente Christ als<br />

Kriegsfreiwilliger. Anschließend war er <strong>im</strong> Januar 1919 wieder bei seiner alten Firma tätig,<br />

dann bis Ende 1919 als Reisender und Aushilfe bei zwei anderen Firmen, danach bis zum<br />

31. März 1923 als Buchhalter bei einer Bauschreinerei und Glaserei. Nach 14 Monaten<br />

Arbeitslosigkeit fand er <strong>im</strong> Laufe des Jahres 1924 zwei Halbtagsbeschäftigungen als<br />

Buchhalter 131 in einer Dachdeckerei und einer Gaststätte. Am 16. Juli 1926 heiratete Christ<br />

die Buchhalterin Johanna („Hanne“) Micheli, die 1901 in <strong>Koblenz</strong> geborene Tochter eines<br />

Kutschers. In die NSDAP war Christ am 1. September 1928 eingetreten. Genau ein Jahr<br />

127<br />

* 21.8.1876 Holler (Unterwesterwaldkreis), + 21.1.1955 <strong>Koblenz</strong>, verheiratet, invalider Maurermeister,<br />

betrieb in Lützel ein Bauunternehmen, 1929 NSDAP-Mitglied und Mitglied der SA-Reserve, seit 1930 Uschla-<br />

Beisitzer, 13.4.1933-31.3.1937 Präsident der Handwerkskammer <strong>Koblenz</strong>. StAK 623 Nr. 6182, S. 270-273; ebd.,<br />

Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 82/1955; Geschäftsbericht der Handwerkskammer <strong>Koblenz</strong> für die Zeit<br />

vom 1. April 1933 bis 31.12.1937, S. 7; Karl-Jürgen Wilbert (Hg.): 100 Jahre und mehr: Handwerkskammer<br />

<strong>Koblenz</strong>, <strong>Koblenz</strong> 2001, S. 113 (mit Abb.).<br />

128<br />

* um 1883 Flieth (Kreis Grevenbroich-Neuß), + 5.6.1930 <strong>Koblenz</strong>, ledig. StAK 623 Nr. 6187, S. 111, 120,<br />

116-118; ebd. Nr. 6222, S. 36-38; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 694/1930; KGA, 6.6.1930:<br />

Nachruf.<br />

129<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 111008. Schwarz ließ Müller sogar während der Arbeitszeit Parteiangelegenheiten<br />

erledigen.<br />

130<br />

StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Geburtsurkunde Nr. 670/1902; Das Deutsche Führerlexikon, S. 83; Lilla:<br />

Statisten in Uniform, S. 78 f.; LHAKo Best. 712 Nr. 2432, 2433, 3521.<br />

131<br />

Außerdem betätigte sich Christ als Hausverwalter der Immobilie Eltzerhofstraße 10; StAK 623 Nr. 7735, S.<br />

53.


später war er Kassenwart der Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>, ab 15. September 1930 sogar deren<br />

Leiter. 132<br />

Auch <strong>im</strong> benachbarten Amt Ehrenbreitstein konnten die Nationalsozialisten ihre ersten<br />

Mandate gewinnen. In den Gemeinderäten von Ehrenbreitstein, Pfaffendorf, Arenberg und<br />

Arzhe<strong>im</strong> saßen nun Nationalsozialisten, darunter in Pfaffendorf der als Technischer<br />

42<br />

Stadtinspektor bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> beschäftigte Paul Haupt, der zusammen mit<br />

dem Arzhe<strong>im</strong>er Albert Müller, dem Angestellten von Schwarz, auch als neuer Verordneter in<br />

die Amtsvertretung Ehrenbreitstein einzog. 133 Dagegen saß in der Amtsvertretung <strong>Koblenz</strong>-<br />

Land kein Nationalsozialist, 134 <strong>im</strong> Gemeinderat von Metternich vertrat Josef Quirin die<br />

NSDAP. 135<br />

<strong>Die</strong> Auseinandersetzungen zwischen der Stadtspitze und der NSDAP unter ihrem<br />

Fraktionsführer S<strong>im</strong>on bekamen jetzt eine neue Qualität. Bis dato hatte es Oberbürgermeister<br />

Russell „nur“ mit einer als staatsfeindlich eingestuften, zeitweise sogar verbotenen<br />

Umsturzpartei zu tun, die die öffentliche Ruhe und Ordnung in der von ihm verwalteten Stadt<br />

gefährdete. Jetzt traten ihm S<strong>im</strong>on und seine Parteigenossen als gewählte Volksvertreter<br />

gegenüber. Zu einer ersten Provokation kam es bereits wenige Tage nach der Wahl, als zwei<br />

NSDAP-Vertreter Einsicht in die Wahlunterlagen verlangten, um die für ungültig erklärten<br />

St<strong>im</strong>mzettel zu prüfen. Als ihnen dies verweigert wurde, wandte sich S<strong>im</strong>on an den<br />

Wahlleiter, Bürgermeister Binhold 136 . Russell selbst erteilte S<strong>im</strong>on daraufhin den<br />

abschlägigen Bescheid, über die Gültigkeit oder Ungültigkeit entscheide allein der<br />

Wahlvorstand und über eventuelle Einsprüche die Stadtverordnetenversammlung. 137 <strong>Die</strong><br />

NSDAP-Fraktion konnte Anfragen an die Verwaltung richten und Anträge zur Tagesordnung<br />

der Stadtverordnetenversammlung stellen, wobei ihr die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit<br />

durch die Presse und der Beifall anwesender Parte<strong>im</strong>itglieder und Sympathisanten sicher<br />

waren. In den Ausschüssen war die NSDAP ab sofort gemäß ihrem St<strong>im</strong>menanteil vertreten.<br />

S<strong>im</strong>on selbst ließ sich nur in drei Ausschüsse wählen, und zwar den Bauausschuss, den<br />

Theater- und Orchesterausschuss sowie den wichtigen Finanz- und Verfassungsausschuss; die<br />

anderen Ausschüsse überließ er seinen Parteigenossen. Als „erziehungskundige[n] Person“<br />

132 StAK 623 Nr. 6128, S. 308-321; ebd. Nr. 6137, S. 222; ebd. M 111, Hausblatt Gutenbergstraße 25; Das<br />

Deutsche Führerlexikon, S. 84; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S.<br />

393; Joach<strong>im</strong> Lilla: Der Preußische Staatsrat 1921-1933. Ein biographisches Handbuch. Mit einer<br />

Dokumentation der <strong>im</strong> „Dritten Reich“ berufenen Staatsräte (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus<br />

und der politischen Parteien 13). Düsseldorf 2005, S. 26; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 170<br />

f.<br />

133 KGA, 19.11.1929: Der Stadtrat in Ehrenbreitstein.<br />

134 KGA, 19.11.1929: <strong>Die</strong> neue Amtsvertretung für <strong>Koblenz</strong>-Land.<br />

135 Weiß: Metternich in der We<strong>im</strong>arer Republik, S. 58.<br />

136 * 7.12.1878 Nehe<strong>im</strong> (Kreis Arnsberg), + 13.7.1954 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, 1933 verwitwet, 1945 zweite<br />

Eheschließung, Volljurist. StAK 623 Nr. 3240, S. 116; RZ, 14.7.1954: Todesanzeige; RZ, 15.7.1954: Nachruf;<br />

ebd.: Bürgermeister a. D. Binhold +.<br />

137 StAK 623 Nr. 6252, S. 727-729.


wurde er außerdem in den Schulvorstand der gewerblichen Berufsschule sowie der<br />

kaufmännischen Berufsschule und in die Stadtschuldeputation gewählt, daneben wurde er<br />

43<br />

Mitglied der Gesellschafterversammlung der Gasfernversorgung Mittelrhein GmbH und der<br />

Gasfernversorgungsgesellschaft <strong>Koblenz</strong> mbH (rechtsrheinisch). Im Januar 1930 kam S<strong>im</strong>on<br />

noch in die Rechnungsprüfungskommission, zog sich aber schon <strong>im</strong> Juni 1930 aus dem Bau-<br />

und dem Theaterausschuss zurück. 138<br />

Den bürgerlichen Parteien <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Stadtparlament stand jetzt eine relativ starke<br />

nationalsozialistische Opposition mit Fraktionsstatus gegenüber. Deren Stil und Methoden<br />

ließen bald keinen Zweifel daran, dass die Stadtverordnetenversammlung endgültig kein<br />

Treffen ehrwürdiger Honoratioren mehr war und die NSDAP kein Interesse an einer<br />

konstruktiven Zusammenarbeit zum Wohl der Stadt hatte. Ihrem Politikverständnis<br />

entsprechend, trug sie den Kampf von der Straße in den Sitzungssaal. <strong>Die</strong> Taktik war dabei<br />

die gleiche wie fast überall <strong>im</strong> Reich: 139 keine konkreten Aussagen treffen, keine<br />

Verantwortung übernehmen, keine Kooperation mit anderen Parteien. Während die NSDAP<br />

selbst wiederholt eine angebliche rot-schwarze Koalition von Marxismus und Zentrum<br />

anprangerte, kam es faktisch sehr häufig zu einem gemeinsamen Abst<strong>im</strong>mungsverhalten mit<br />

der KPD, mit der man sich in der prinzipiellen Verweigerungshaltung einig war. 140 Bei der<br />

Sitzung vom 26. März 1930 ist erstmals ausdrücklich das ablehnende Votum der NSDAP-<br />

Fraktion gegen die Verwaltungsvorlagen in vier Kreditangelegenheiten protokolliert. 141 <strong>Die</strong>se<br />

nun fast durchgängig vertretene Linie zielte darauf, jede Verantwortung für die sich stetig<br />

verschl<strong>im</strong>mernde Finanzlage der Stadt von sich weisen zu können. Polemik und Propaganda<br />

gegen das We<strong>im</strong>arer „System“ und seine „Erfüllungspolitik“, Verschwendungs- und<br />

Korruptionsvorwürfe sowie persönliche Angriffe und Beleidigungen gegen Kommunal-<br />

politiker und Verwaltung ersetzten das magere kommunalpolitische Programm. Dabei bestand<br />

die Agitation aus entnervenden Geschäftsordnungsdebatten und ebenso zeitraubenden wie<br />

meist unsinnigen (weil nicht finanzierbaren 142 oder nicht auf Gemeindeebene zu<br />

entscheidenden 143 ) Dringlichkeitsanträgen, die den Parteianhängern auf der einen Seite die<br />

kompromisslose Aktivität ihrer gewählten Vertreter und auf der anderen Seite die Schwächen<br />

138 StAK 623 Nr. 5996, S. 183 f., 190-192, 194, 198, 200, 206, 257, Zitat S. 192. S<strong>im</strong>on wurde auch kein<br />

Mitglied in dem am 5.11.1930 neu konstituierten Sparausschuss, möglicherweise weil dieser auf eine beratende<br />

Funktion beschränkt wurde; ebd., S. 297, 306, 342.<br />

139 Vgl. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 52-57. Zum Auftreten der NSDAP-Fraktion <strong>im</strong><br />

Kölner Stadtparlament unter der Führung von Grohé (ab 1931 der neue Gauleiterkollege S<strong>im</strong>ons) vgl. Rudolf<br />

Morsey: Adenauer und der <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Hugo Stehkämper (Hg.): Konrad Adenauer.<br />

Oberbürgermeister von Köln. Köln 1976, S. 447-497, hier S. 449-454.<br />

140 Beispiele: StAK 623 Nr. 5996, S. 223 f., 228 f., 235-237, 248, 251 f., 261, 273 f., 287, 294, 297 f., 314, 357;<br />

ebd. Nr. 7214, S. 10, 60, 63, 79, 85, 88-90, 106 f., 112 f., 129, 140 f., 169, 189. Vgl. Matzerath: NS und<br />

kommunale Selbstverwaltung, S. 44.<br />

141 StAK 623 Nr. 5996, S. 238 f.<br />

142 Beispiel: <strong>Die</strong> NSDAP-Fraktion beantragte die Erhöhung des Ehrensolds für bedürftige Veteranen bzw. deren<br />

Witwen um jeweils 10 RM; StAK 623 Nr. 5996, S. 330 f.<br />

143 Beispiele: StAK 623 Nr. 5996, S. 285, 337.


des parlamentarisch-demokratischen Systems vorführen sollten. 144 Parlamentarische<br />

Gepflogenheiten wie die Schweigepflicht bei nicht-öffentlichen Tagesordnungspunkten<br />

ignorierte die Fraktion <strong>im</strong> Einzelfall zugunsten ihrer propagandistischen Verwertung in der<br />

Parteipresse. 145 Wiederholt beantragte die Fraktion die öffentliche Beratung propaganda-<br />

trächtiger Themen aus dem gehe<strong>im</strong>en Sitzungsteil, was die Mehrheit des Stadtparlaments<br />

regelmäßig ablehnte. 146 S<strong>im</strong>on, der laut Geschäftsordnung zu einem der drei Unterzeichner<br />

der Protokolle <strong>im</strong> Beschlussbuch best<strong>im</strong>mt worden war, verweigerte seine Unterschrift<br />

44<br />

ebenso wie Christ, der diese Aufgabe <strong>im</strong> Juli 1931 übernahm. 147 Christ begründete dies damit,<br />

die Äußerungen des Oberbürgermeisters seien fast wörtlich, die Entgegnungen seiner Partei<br />

aber nur unzulänglich festgehalten. 148<br />

Das Kaufhaus Leonhard Tietz war als jüdisches Warenhaus eine ständige Zielscheibe der<br />

nationalsozialistischen Agitation. Als die Stadtverordnetenversammlung <strong>im</strong> Januar 1930 die<br />

Annahme einer Spende der Kölner Aktiengesellschaft über 10.000 RM aus Anlass ihres<br />

50-jährigen Jubiläums beschloss, st<strong>im</strong>mte die NSDAP-Fraktion als einzige dagegen, obwohl<br />

das Geld Notleidenden zu Gute kommen sollte. 149 Im Juli 1930 bemäkelte die Fraktion die<br />

Reklamefahnen als Verunzierung des Straßenbildes, aber die Stadtverordnetenversammlung<br />

stellte fest, sie entsprächen den geltenden Richtlinien. 150 Als die NSDAP-Vertreter <strong>im</strong> März<br />

1930 die als Wahlziel propagierte Einführung einer Warenhaussteuer thematisierte, erreichte<br />

sie eine Mehrheit für einen Antrag auf eine entsprechende Gesetzesinitiative bei der<br />

preußischen Regierung. Ein Dringlichkeitsantrag zur Einführung der Steuer auf lokaler Ebene<br />

scheiterte aber <strong>im</strong> August 1931 mehrheitlich. 151 Ihre antisemitische Einstellung bewiesen die<br />

nationalsozialistischen Stadtverordneten <strong>im</strong> Dezember 1931, als sie sich gegen die Wahl von<br />

Julius Daniel 152 zum Beisitzer <strong>im</strong> Mieteinigungsamt aussprachen, 153 während sie <strong>im</strong> Januar<br />

1930 nichts gegen die Wahl von Hermann Daniel 154 in den Schlachthofausschuss<br />

144<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 180-380; ebd. Nr. 7214, S. 1-197. Vgl. Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 42-45.<br />

145<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 6187, S. 138-140; ebd. Nr. 6222, S. 40-47; ebd. Nr. 5996, S. 261-263.<br />

146<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 214, 221 f., 237, 310, 350.<br />

147<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 200; ebd. Nr. 6187, S. 229 f.<br />

148<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 243, 275. Am 11.10.1932 heißt es dazu in einem Aktenvermerk, Oberbürgermeister<br />

Rosendahl „legt keinen Wert mehr auf die Weiterverfolgung der Angelegenheit“; ebd., S. 275. Tatsächlich sind<br />

die Anträge, Beratungen und Abst<strong>im</strong>mungen zu den meisten Tagungsordnungspunkten nur knapp und<br />

summarisch wiedergegeben. Der nähere Sachverhalt und die einzelnen Redebeiträge lassen sich heute nur noch<br />

über die Berichte <strong>im</strong> KGA und in der KVZ ermitteln, die jeweils ausführlich und teils wörtlich berichteten.<br />

Häufig sind <strong>im</strong> Protokollbuch sogar der Einfachheit halber Zeitungsausschnitte eingeklebt.<br />

149<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 219. In Köln lehnten die vier NSDAP-Stadtverordneten (von 95) unter Führung von<br />

Grohé regelmäßig die Annahme von Schenkungen jüdischer Mitbürger an die städtischen Museen ab; Morsey:<br />

Adenauer und der <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 450.<br />

150<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 279. Vgl. ebd. Nr. 3992 (Ortsstatut gegen die Verunstaltung der Straßen und Plätze<br />

der Stadt <strong>Koblenz</strong> vom 30.12.1930).<br />

151<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 230; ebd. Nr. 7214, S. 63.<br />

152<br />

Thill: Lebensbilder, S. 287-292.<br />

153<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 84.<br />

154<br />

Thill: Lebensbilder, S. 271, 284-287. Daniel war Präsident des Viehhändlerverbands und Vorsitzender des<br />

Bezirksvereins.


einzuwenden gehabt hatten. 155 Im September 1931 versuchte die NSDAP-Fraktion<br />

45<br />

vergeblich, über einen Dringlichkeitsantrag das Stück „Der Hauptmann von Köpenick“ vom<br />

Theaterspielplan abzusetzen, weil es Militär und Geistlichkeit lächerlich mache und der<br />

Autor angeblich Jude sei. 156 Mit ihrem Antisemitismus konnte die NSDAP an vermutlich<br />

wirtschaftlich motivierte antijüdische Strömungen anknüpfen, die gegen Ende des<br />

19. Jahrhunderts in der Stadt aufgetaucht waren. So war es 1881 zu Ausschreitungen gegen<br />

das Bekleidungsgeschäft einer jüdischen Familie gekommen, und seit Mitte der 1880er Jahre<br />

bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges erschienen – wenn auch mit geringer Auflage – einige<br />

antisemitische Blätter wie der „Coblenzer Volksfreund“. <strong>Die</strong> Zeitung wurde, wie später das<br />

Nationalblatt, in der Mehlgasse 5 gedruckt, und ihr aus Mayen stammender Verleger gründete<br />

1893 in <strong>Koblenz</strong> sogar einen „Deutschsozialen antisemitischen Verein“. 157<br />

Im Januar 1930 forderten die NSDAP-Vertreter, die städtischen Gebäude und Säle in Zukunft<br />

schwarz-weiß-rot zu beflaggen. S<strong>im</strong>on begründete dies mit der Gewohnheit der Bevölkerung.<br />

Der Antrag wurde mit 19 zu 14 St<strong>im</strong>men abgelehnt, wobei sich die Mehrheit des Bürger-<br />

blocks auf die Seite der Nationalsozialisten schlug, das Zentrum jedoch geschlossen dagegen<br />

st<strong>im</strong>mte. 158 Schon Ende 1929 hatte die NSDAP-Fraktion beantragt, die Anschaffung schwarz-<br />

rot-goldener Fahnen und Verfassungsfeiern als überflüssige Ausgaben zurückzustellen.<br />

Russell hatte jedoch die Behandlung des Antrags wegen „Schmähung“ verfassungsrechtlicher<br />

Symbole abgelehnt. 159<br />

Weiteres Wahlziel war die Reduzierung der Beigeordnetenstellen gewesen. Als am 30. Juli<br />

1930 die Wiederwahl von Bürgermeister Binhold anstand, waren 38 Stadtverordnete<br />

anwesend, darunter alle acht NSDAP-Vertreter. Abgegeben wurden 35 St<strong>im</strong>mzettel, davon<br />

31 mit Ja, vier waren unbeschriftet. 160 Das bedeutete, dass wenigstens ein NSDAP-<br />

Stadtverordneter für Binhold gest<strong>im</strong>mt haben musste. Der Abbau von mindestens einer der<br />

beiden 1933 frei werdenden Beigeordnetenstellen (Dahm und Ochs) wurde bei der<br />

Wiederwahl von Stadtkämmerer Herbert Wirtz 161 (Abb. 12) am 29. April 1932 von der<br />

Stadtverordnetenversammlung beschlossen, ohne dass es dazu der Initiative der NSDAP<br />

bedurfte. 162 <strong>Die</strong> Fraktion st<strong>im</strong>mte nach mehreren Geschäftsordnungsdebatten gegen Wirtz’<br />

155<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 205.<br />

156<br />

StAK 623 Nr. 6328, S. 377-399.<br />

157<br />

Herres: Das preußische <strong>Koblenz</strong>, S. 112; Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 178-180, 254; Berthold<br />

Prößler: Mayen <strong>im</strong> Kaiserreich. Basaltlavabetrieb und politisch-soziale Verhältnisse. Mayen 1991, S. 135 f.; NB,<br />

3./4.8.1935: Jüdisch, Allzujüdisches; NB, 28.5.1943: Der unerschrockene „Volksfreund“.<br />

158<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 272; KGA, 31.7.1930: Stadtverordnetensitzung in <strong>Koblenz</strong>.<br />

159<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 33 f.<br />

160<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 291.<br />

161<br />

* 11.8.1888 Aachen, + 7.5.1970 Köln, katholisch, verheiratet, Volljurist, 1918 Promotion an der Universität<br />

Jena. StAK 623 Nr. 2619; BArch R 3001/80667.<br />

162<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 129 f. Der Beschluss erfolgte aus „Sparsamkeitsgründen“ und aufgrund des<br />

Sparerlasses des Regierungspräsidenten vom 16.12.1931.


Wiederwahl und boykottierte am 20. Juli 1932 seine Wiedereinführung ins Amt durch<br />

Verlassen des Sitzungssaals. 163<br />

46<br />

Oberbürgermeister Russell gelang es nicht <strong>im</strong>mer, als Versammlungsleiter für den geordneten<br />

Ablauf der Stadtverordnetensitzungen zu sorgen. Schon <strong>im</strong> Juni 1930 hatte der General-<br />

Anzeiger „Mehr Sachlichkeit!“ in den Sitzungen gefordert: „Fast kaum mehr ist Raum für<br />

ernstes und verantwortungsvolles Wägen und Raten, weil sich in unablässigem Nörgeln,<br />

gegenseitigem Anpflaumen, persönlichem Gezänk, in Gehässigkeiten und Anpöbeleien die<br />

Kräfte zermürben.“ 164 Bei der Sitzung am 18. Juni kam es zu einem Eklat. <strong>Die</strong> NSDAP hatte<br />

bei Russell beantragt, dem Fraktionsführer des Zentrums, Rechtsanwalt Georg Loenartz 165 ,<br />

die Teilnahme an vaterländischen Feiern in seiner Eigenschaft als Stadtverordneter zu<br />

untersagen. Loenartz entstammte einer angesehenen, fest <strong>im</strong> katholischen Milieu verwurzelten<br />

und weit verzweigten Familie, die sich aktiv <strong>im</strong> Zentrum betätigte und als integer galt. Schon<br />

sein Vater war Rechtsanwalt gewesen, sein Bruder Friedrich 166 war ebenfalls Jurist,<br />

Zentrumspolitiker und Landrat von Bitburg. <strong>Die</strong> Tatsache, dass Loenartz 1913/14 und<br />

1917/18 die Position des Vorsitzenden Direktors der fünfköpfigen Direktion der Casino-<br />

Gesellschaft innehatte, 167 zeigt, dass er in weiten Kreisen Reputation genoss. <strong>Die</strong> national-<br />

sozialistische Presse apostrophierte ihn sogar als den „wahren ‚Herrscher’ von <strong>Koblenz</strong>“ 168 .<br />

Als Begründung für den NSDAP-Antrag musste eine angeblich separatistische Äußerung<br />

Loenartz’ aus dem Jahre 1919 herhalten. Der Oberbürgermeister hatte es wegen des<br />

kränkenden Inhalts des Antrags aber abgelehnt, ihn auf die Tagesordnung zu setzen. Als die<br />

Parteipresse den fraglichen Halbsatz von Loenartz und den abgelehnten Antrag daraufhin<br />

ausschlachtete, erteilte Russell dem auf diese Art beleidigten Loenartz außerhalb der<br />

Tagesordnung Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Loenartz rechtfertigte sich ausführlich zu<br />

den Vorgängen. 1919 und 1923 habe er bei Verhandlungen „gegen das separatistische<br />

Gesindel […] ein freies, kühnes und männliches Wort für die deutsche Sache geführt“, als die<br />

heutigen „nationalen Helden“ sich „vorsichtig in ihren Mauselöchern“ zurückgehalten hätten.<br />

Mehrere Stadtverordnete bestätigten seine Ausführungen. Bei S<strong>im</strong>ons Erwiderung stellte sich<br />

163 StAK 623 Nr. 7214, S. 133.<br />

164 KGA, 18.6.1930: Eins bitte: „Mehr Sachlichkeit!“<br />

165 * 8.6.1875 <strong>Koblenz</strong>, + 27.12.1944 (nicht in <strong>Koblenz</strong>), katholisch, verheiratet, Volljurist, gemeinsame<br />

Rechtsanwaltspraxis mit Dr. jur. Rudolf Nöthen in der Schloßstraße 3. Zentrums-Mitglied, seit 1919<br />

Stadtverordneter und Führer der Stadtverordnetenfraktion, Vorsitzender des Zentrums <strong>im</strong> Wahlbezirk <strong>Koblenz</strong>-<br />

Trier und <strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong>. 1920 bis März 1930 und 1933 Mitglied des Preußischen Landtags.<br />

April bis Juli 1933 Preußischer Staatsrat, stellvertretender Vorsitzender des Verfassungsausschusses des<br />

Staatsrats. Lilla: Der Preußische Staatsrat, S. 99; Mitteilung der Nichte, Frau Marianne Loenartz, <strong>Koblenz</strong>, vom<br />

5.1.2008.<br />

166 * 6.2.1887 <strong>Koblenz</strong>, + 29.3.1929 Köln, 1919-1927 Landrat von Bitburg, anschließend Rechtsanwalt be<strong>im</strong><br />

Oberlandesgericht Köln, 1921-1929 Mitglied des Preußischen Landtags. Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und<br />

kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 612; Neubach: Von Reichensperger bis Peter Altmeier, S. 359. Ein<br />

weiterer Bruder Clemens war Priester und Jesuit, Schwester Hedi gehörte dem Benediktinerinnen-Orden an.<br />

Mitteilung von Frau Marianne Loenartz vom 5.1.2008.<br />

167 Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 31 f., 63.<br />

168 WB, 3.6.1928: Zentrumsklüngel in allen Ecken! Abschrift in: BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm,<br />

28.10.1886.


47<br />

heraus, dass es sich bei dem Antrag um die Reaktion auf einen Zentrumsbeschluss handelte,<br />

der darauf abzielte, den NSDAP-Stadtverordneten das Tragen der Parteiuniform bei<br />

offiziellen, feierlichen Anlässen zu verbieten. <strong>Die</strong>s stelle eine Kränkung der Träger und eine<br />

Beleidigung der Partei dar, so S<strong>im</strong>on. Russell hielt dagegen, erst kürzlich hätten Gäste<br />

ihr Befremden darüber ausgedrückt, dass die Nationalsozialisten den Frieden durch ihr<br />

Erscheinen in Kampfuniform gefährdeten. 169 Davon abgesehen stellte die Stadtverordneten-<br />

versammlung in der Uniformfrage nur einen weiteren „Kriegsschauplatz“ dar. Der Preußische<br />

Innenminister hatte nämlich am 11. Juni 1930 ein Verbot des öffentlichen Tragens der<br />

Uniform der NSDAP und ihrer Organisationen erlassen, was sofort zu gezielten Provokationen<br />

der <strong>Koblenz</strong>er SA gegenüber der Polizei geführt hatte. 170<br />

In den beiden Sitzungen vom 5. November 1930 und 29. Januar 1931 kam es dann sogar zu<br />

Tumulten. Im November löste ein Zwischenruf des Führers der SPD-Fraktion, Veit Rummel,<br />

so großen Lärm aus, dass ein weiterer Zwischenruf von Christ, der sich auf den inzwischen<br />

verstorbenen vorherigen SPD-Fraktionsführer und städtischen Fuhrparksdirektor Möckel<br />

bezog, 171 von Russell ungeahndet blieb. Als sich der sozialdemokratische Stadtverordnete<br />

Jean Brüning bei Russell über dessen Untätigkeit beschwerte, erklärte dieser, er habe nichts<br />

gehört. Darauf erging sich Brüning in Beleidigungen der Nationalsozialisten, wofür er vom<br />

Oberbürgermeister zur Ordnung gerufen wurde. Auch spätere Erkundigungen von Russell,<br />

der ob seines Versäumnisses um Klärung bemüht war, konnten den genauen Wortlaut<br />

der diffamierenden Äußerungen Christs nicht mehr rekonstruieren. In der nächsten<br />

Stadtverordnetenversammlung rief Russell die Stadtverordneten zur Mäßigung auf, „damit<br />

ihre Würde unter allen Umständen gewahrt bleibe“. 172 Seine Mahnung verhallte ungehört,<br />

denn in der folgenden Sitzung vom 29. Januar 1931 eskalierte die Situation dermaßen,<br />

dass selbst die auswärtige Presse größere Notiz nahm. Es ging um die Beratung des<br />

Wohlfahrtsetats, der mit rund einer Million RM mehr verschlang als alle anderen Etats<br />

zusammen. „<strong>Die</strong> Aussprache wurde zum Teil mit außergewöhnlicher Erregung geführt. Als<br />

der Nationalsozialist Christ in einer Rede u. a. von der ‚landesverräterischen Sozial-<br />

demokratischen Partei’ sprach, sprang der sozialdemokratische Stadtverordnete Rummel auf<br />

und schrie in höchster Erregung: ‚Sie elender Lump!’ Es entstand ein ungeheurer Tumult, der<br />

169<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 261-263; ebd. Nr. 6222, S. 40-48; KGA, 18.6.1930: Erklärung des Stadtv.[erordneten]<br />

Loenartz (Zitate). Vgl. auch KVZ, 11.7.1930: Der „gute Ton“ der Hakenkreuzler; KVZ, 31.7.1930: <strong>Die</strong> Nazis als<br />

Verleumder gebrandmarkt.<br />

170<br />

Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 126-128. Zur weiteren Entwicklung des Uniformverbots und der juristischen<br />

Problematik vgl. ebd., S. 130-132, 138-146.<br />

171<br />

Für dessen frühen Tod <strong>im</strong> Alter von 52 Jahren <strong>im</strong> Mai 1929 hatte die RW „eine unbeschreibliche Hetze<br />

rechtsradikaler und kleinbürgerlicher Kreise“ mitverantwortlich gemacht. RW, 8.5.1929: Max Möckel ist nicht<br />

mehr! (Zitat); RW, 10.5.1929: „Ein Sohn des Volkes wollt’ er sein“; KVZ, 8./.9.5.1929: Nachruf. Möckel, *<br />

Schneeberg bei Zwickau, Funktionär be<strong>im</strong> Baugewerksbund, seit 1919 Stadtverordneter und seit 1923 Direktor<br />

des städtischen Fuhrparks, wurde noch posthum <strong>im</strong> Wahlkampf 1929 von der NSDAP als angeblicher<br />

Parteibuchbeamter attackiert; LHAKo Best. 403 Nr. 16747, S. 365; StAK 623 Nr. 6161, S. 61-78. <strong>Die</strong><br />

Parteipresse hatte ihn z. B. mit Berufsbezeichnungen wie „ehemaliger Handlanger“ diffamiert. WB, 14.10.1928:<br />

Hirtz fühlt sich sicher; Abschrift in: BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886.<br />

172<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 171-174, Zitat S. 174.


vom Oberbürgermeister nur mit Mühe beigelegt werden konnte.“ 173 Christ und alle<br />

48<br />

sozialdemokratischen Stadtverordneten erhielten einen Ordnungsruf. 174 Schon am nächsten<br />

Tag nahm Russell die Überarbeitung der seit 1909 geltenden Geschäftsordnung 175 in Angriff,<br />

außerdem sollte das bisher sehr knapp gehaltene Protokoll ausführlicher werden. Auf der<br />

Grundlage von Mustern aus anderen rheinischen Städten wurde ein Entwurf ausgearbeitet,<br />

der den Fraktionen zur Stellungnahme zuging. 176 Zu einer abschließenden Beratung kam<br />

es allerdings nicht mehr, sie wurde am 9. Februar 1933 als nicht mehr dringlich zurückgestellt.<br />

177<br />

In ihrer misstrauischen und ablehnenden Haltung gegenüber der Beamtenschaft und dem<br />

Beamtentum orientierten sich die Fraktionsmitglieder offenbar an ihrem Führer, der<br />

bekanntermaßen eine Aversion gegen Beamte hegte. 178 Mehrfach forderte die NSDAP-<br />

Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung eine Übersicht über die Besoldung sämtlicher<br />

Beamter, das Verbot von Nebenbeschäftigungen oder sogar einen Gehaltsverzicht, obwohl die<br />

Beamten 1930/31 mehrere Gehaltskürzungen hinnehmen mussten. 179 Seit 25. Juni 1930<br />

bestand in Preußen für die Beamten das Verbot der Aktivität und Mitgliedschaft in den beiden<br />

Umsturzparteien NSDAP und KPD. Während es für die NSDAP in Folge des Preußenschlags<br />

am 27. Juli 1932 wieder aufgehoben wurde, blieb es für die KPD bestehen. 180 Ungeachtet<br />

dieses Mitgliedsverbots und des wenig freundlichen Auftretens der Partei gegenüber dieser<br />

Berufsgruppe gab der Regierungspräsident den Anteil der Beamten an den etwa 780<br />

eingeschriebenen Mitgliedern der <strong>Koblenz</strong>er Ortsgruppe <strong>im</strong> Februar 1931 mit <strong>im</strong>merhin 5 %,<br />

173<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 193 (Zeitungsausschnitt Düsseldorfer Nachrichten, 30.1.1931).<br />

174<br />

Christ legte Einspruch ein, der gegen die St<strong>im</strong>men der NSDAP abgewiesen wurde. StAK 623 Nr. 6187, S.<br />

197 f.; ebd. Nr. 5996, S. 345. Russell sandte an Wirtz noch am 29.1.1931 einen Ministerialerlass vom 8.12.1930<br />

über den Ausschluss von Stadtverordneten aus der Sitzung, den er von seinem Kölner Amtskollegen Adenauer<br />

erhalten hatte. Der Erlass könne vielleicht noch eine Rolle spielen. StAK 623 Nr. 6532, S. 396 f.<br />

175<br />

StAK 623 Nr. 6532, S. 375-379.<br />

176<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 247-261, 338-594, 788-791.<br />

177<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 793. <strong>Die</strong> neue Geschäftsordnung wurde am 4.8.1933 beschlossen; ebd., Nr. 7214,<br />

Anlage 2 nach S. 229.<br />

178<br />

Vgl. Kapitel 2.1.<br />

179<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 216, 228 f.; ebd. Nr. 7214, 56 f. <strong>Die</strong> Beamten mussten zum 1.7.1931<br />

Gehaltskürzungen hinnehmen; KGA, 20./21.6.1931: <strong>Die</strong> neue Gehaltskürzung für die Beamten. <strong>Die</strong><br />

Stadtverordnetenversammlung beschloss am 23.10.1931 gegen die St<strong>im</strong>men von KPD und NSDAP eine<br />

Protestnote gegen die VO des Reichspräsidenten zur Sicherung der Haushalte von Ländern und Gemeinden vom<br />

24.8.1931 (RGBl. I S. 453) und der preußischen Staatsregierung vom 12.9.1931 zur Neuregelung der<br />

Beamtenbesoldung, die sie als schwere Eingriffe in das kommunale Selbstverwaltungsrecht auffassten; StAK<br />

623 Nr. 7214, S. 70-72. Es gab 1930/31 insgesamt vier Sparverordnungen zur Kürzung der Beamtengehälter:<br />

VO vom 1.12.1930 (RGBl. I S. 517), VO vom 5.6.1931 (RGBl. I S. 279), VO vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537),<br />

VO vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 699). Vgl. auch StAK 623 Nr. 6143; ebd. Nr. 6245; Sabine Mecking: „Immer<br />

treu“. Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik. Essen 2003, S. 62-69.<br />

180<br />

Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland. Frankfurt am Main 1986, S. 121. Das hinderte die<br />

NSDAP nicht daran, unter den Beamten seit 1929 zahlreiche Anhänger zu finden. <strong>Die</strong> Berufsgruppe war schon<br />

vor dem 1.9.1930 in der Partei überrepräsentiert. Vgl. Mommsen: Beamtentum, S. 21; Rudolf Morsey:<br />

Beamtenschaft und Verwaltung zwischen Republik und „Neuem Staat“. In: Karl <strong>Die</strong>trich Erdmann/Hagen<br />

Schulze (Hg.): We<strong>im</strong>ar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute. Düsseldorf 1980, S. 151-168, hier<br />

S. 161.


also ca. 39, an. 181 Schon <strong>im</strong> Dezember 1930 war der Regierungslandmesser Richard<br />

Purrmann mit der Organisation der NS-Beamtenabteilung 182 des Gaues beauftragt worden.<br />

49<br />

Der 1881 in Berlin geborene Beamte war Mitglied des Opferrings und trat der NSDAP nach<br />

Aufhebung des Mitgliedsverbots am 1. August 1932 bei. 183<br />

S<strong>im</strong>ons anmaßendes Auftreten gegenüber Mitarbeitern der <strong>Stadtverwaltung</strong> zeigte sich <strong>im</strong><br />

Juni 1930 anlässlich seiner telefonischen Anfrage zur Anmietung der Stadthalle für den<br />

Abend des gleichen Tages. Der Sachbearbeiter des zuständigen Verkehrsamtes, Ober-<br />

stadtsekretär Gustav Kettler, verweigerte ihm die verlangte sofortige Zusage, weil er erst mit<br />

seinem Dezernenten Ochs Rücksprache nehmen müsse. S<strong>im</strong>on „regte sich sehr auf […] und<br />

wurde wiederum sehr ausfallend“ und kündigte an, dass „sie in einem Jahr die Macht hätten<br />

und dass dann alle Beamten, die ihnen nicht genehm wären, entlassen würden“, wie Kettler in<br />

einem Aktenvermerk festhielt. 184 Stadtinspektor Hugo Radke, der <strong>im</strong> Vorz<strong>im</strong>mer des<br />

Oberbürgermeisters saß und die Ratsprotokolle erstellte, sah sich ein Jahr später ebenfalls<br />

zu einer Aktennotiz veranlasst. S<strong>im</strong>on hatte die Richtigkeit von Radkes Abschriften<br />

angezweifelt, was Radke empört als „Misstrauensvotum gegen mich und dadurch auch gegen<br />

die Verwaltung“ wertete. 185<br />

Dabei fällt <strong>im</strong> Gegenteil auf, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> um eine geschäftsmäßig besonders<br />

korrekte Behandlung der NSDAP bzw. ihrer Stadtverordneten bemüht war. Offenbar wollte<br />

man keine Angriffsflächen bieten und war um rasche Erledigung von Anträgen, Anfragen und<br />

Beschwerden besorgt, die häufig mit Vermerken wie „Eilt!“ oder „Sofort!“ versehen<br />

wurden. 186 Mehrfach nahm Russell Klagen der NSDAP-Fraktion zum Anlass, generell die<br />

zügigere Bearbeitung von Anträgen, Bereitstellung von Unterlagen usw. anzuweisen. 187<br />

<strong>Die</strong> Nutzung der städtischen Säle für NSDAP-Veranstaltungen entwickelte sich zu einem<br />

Dauerkonflikt, der sogar den Oberbürgermeister beschäftigte. Auslöser für eine verschärfte<br />

Prüfung der Mietanfragen waren die Ereignisse um eine nationalsozialistische Sonnwendfeier<br />

am 21./22. Juni 1930. Für die auswärtigen Teilnehmer stellte die Stadt Quartiere in der<br />

Kaserne Steinstraße zur Verfügung. <strong>Die</strong> Feier auf der Schmidtenhöhe endete nachts mit<br />

181<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 16740, S. 396; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 52. Der Rest verteilte sich auf 40 %<br />

Handwerker und Kleingewerbetreibende, 23,5 % Angestellte, 20 % Industriearbeiter, 10 % freie Berufe, 1,5 %<br />

Landwirte. Zu den Beweggründen für einen Parteieintritt vgl. Christoph Schmidt: Zu den Motiven „alter<br />

Kämpfer“ in der NSDAP. In: Detlev Peukert/Jürgen Reulecke (Hg.): <strong>Die</strong> Reihen fast geschlossen. Beiträge zur<br />

Geschichte des Alltags <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Wuppertal 1981, S. 21-43.<br />

182<br />

Vorläufer des RDB. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 57 f.; Mommsen: Beamtentum, S.<br />

28. Vgl. Kapitel 4.2.3.<br />

183<br />

BArch (ehem. BDC), PK, Purrmann, Richard, 16.6.1881; NB, 19.1.1934: Neuernennungen bei der<br />

Gauleitung.<br />

184<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 51.<br />

185<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 104.<br />

186<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 6222, S. 35-37, 49, 52, 55, 57; ebd. Nr. 6252, S. 729.<br />

187<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 112 f., 129-133, 162; ebd. Nr. 6187, S. 220-225.


mehreren, teils bewaffneten Überfällen alkoholisierter Nationalsozialisten auf die<br />

50<br />

Horchhe<strong>im</strong>er Kirmes, die in Massenschlägereien endeten und zahlreiche Verletzte forderten.<br />

Das Quartier in der Steinstraße wurde in nicht ordnungsgemäßem Zustand verlassen,<br />

außerdem waren von dort aus Provokationen in Richtung der gegenüberliegenden Kaserne der<br />

Landesschutzpolizei 188 ausgegangen. <strong>Die</strong> Rheinische Warte übte scharfe Kritik an der Praxis,<br />

städtische Säle an die NSDAP zu vermieten, und stellte in ihrem Bericht über die<br />

„Horchhe<strong>im</strong>er Blutkirmes“ die Frage: „Wie lange unterstützt die <strong>Stadtverwaltung</strong> die<br />

nationalsozialistischen Landsknechte noch?“ 189 Russell rechtfertigte sich, er habe mit der<br />

Genehmigung Exzesse gerade verhindern wollen, jetzt habe der „Landfriedensbruch“ die<br />

Bürger „auf das höchste empört“. Zusammen mit den jüngsten Vorfällen (Separatismus-<br />

vorwurf gegen Loenartz und Entlassungsdrohung gegen Kettler) war für ihn das Maß jetzt<br />

voll. In einer Besprechung mit Vertretern von Zentrum, Bürgerblock und SPD kam man<br />

überein, die städtischen Säle nicht mehr an die NSDAP zu vermieten. Russell ordnete Anfang<br />

Juli an, dass ihm sämtliche Mietanfragen der NSDAP persönlich und sofort vorzulegen seien.<br />

In besonderen Fällen ließ er sich für sein Vorgehen sogar von den übrigen Fraktionsführern<br />

Rückendeckung geben. 190 <strong>Die</strong> Debatte über den Antrag der NSDAP in der Stadtverordneten-<br />

versammlung vom 30. Juli 1930, Stadthalle und Rheinhalle in Zukunft unterschiedslos allen<br />

Parteien zu überlassen, endete mit „einer scharfen Auseinandersetzung“ zwischen Russell,<br />

Christ und dem KPD-Stadtverordneten Adolf Benscheid. 191 Der Antrag scheiterte<br />

mehrheitlich. 192 Abgelehnte Mietanfragen kommentierte das Nationalblatt mit Schlagzeilen<br />

wie „Brutaler Willkürakt der <strong>Stadtverwaltung</strong>“. 193<br />

<strong>Die</strong> NSDAP scheute nicht davor zurück, aus dem Brückenunglück vom Abend der<br />

Befreiungsfeier am 22. Juli 1930 Kapital schlagen zu wollen. Sie erweckte den Anschein, sie<br />

allein kümmere sich <strong>im</strong> Interesse der Hinterbliebenen um die Klärung der Schuldfrage. Schon<br />

in der Stadtverordnetensitzung vom 30. Juli 1930, in der man der Opfer gedachte und den<br />

Rettungskräften dankte, brachte S<strong>im</strong>on einen erfolglosen Dringlichkeitsantrag ein, man solle<br />

die amtliche Darstellung zur Schuldfrage zurückweisen. Russell erklärte, dies sei Sache der<br />

Staatsanwaltschaft. 194 <strong>Die</strong> Parteipresse führte indessen populistische Angriffe gegen die<br />

Verwaltung und den Polizeipräsidenten, der wegen angeblicher Versäumnisse angeprangert<br />

wurde, mit einer Beleidigungsklage gegen zwei Redakteure aber Erfolg hatte. Abgeordnete<br />

188 Ehemalige Telegraphen-Kaserne, spätere Boelcke-Kaserne.<br />

189 RW, 24.6.1930: <strong>Die</strong> Blutkirmes in Horchhe<strong>im</strong>; Hans Josef Schmidt: Blutkirmes. Als die braunen Schläger<br />

kamen. In: Kirmes Magazin [Horchhe<strong>im</strong>]. <strong>Koblenz</strong> 1980, S. 32-37; Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 128-130.<br />

190 StAK 623 Nr. 6222, S. 49-59, 108 f., Zitate S. 57-59.<br />

191 KGA, 31.7.1930: Stadtverordnetensitzung in <strong>Koblenz</strong> [Kommentar]. Zu Benscheid vgl. Klaus J. Becker: <strong>Die</strong><br />

KPD in Rheinland-Pfalz 1946-1956 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des<br />

Landes Rheinland-Pfalz 22). Mainz 2001, S. 40, 44, 419 f.<br />

192 StAK 623 Nr. 5996, S. 285; KVZ, 31.7.1930: <strong>Die</strong> Nazis als Verleumder gebrandmarkt.<br />

193 StAK 623 Nr. 6222, S. 111 (Zeitungsausschnitt NB, 12.9.1930).<br />

194 StAK 623 Nr. 5996, S. 285.


51<br />

der NSDAP stellten <strong>im</strong> Provinziallandtag zwei Anfragen zu der Katastrophe und brachten sie<br />

<strong>im</strong> Oktober sogar <strong>im</strong> Reichstag zur Sprache. 195<br />

Gut vier Wochen nach der Befreiungsfeier, am 21. August 1930, sprach Adolf Hitler vor<br />

nahezu 10.000 Zuhörern in der Rheinhalle, die schon lange vor Veranstaltungsbeginn<br />

überfüllt war. Seiner durch Lautsprecher nach draußen übertragenen Rede wurde „stürmischer<br />

langanhaltender Beifall“ gezollt. 196 Während der General-Anzeiger Hitlers Ausführungen <strong>im</strong><br />

Wesentlichen kommentarlos referierte, erfuhren sie in der Volkszeitung scharfe Kritik. 197 Im<br />

Vorfeld hatte das Blatt seine Leser in einer fünfteiligen Artikelserie über „Das wahre Gesicht<br />

des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ aufgeklärt. 198 Spätestens das Ergebnis der Reichstagswahl vom<br />

14. September 1930 zeigte auch für <strong>Koblenz</strong>, dass die NSDAP längst keine vorübergehende<br />

Erscheinung oder Splittergruppe mehr war, sondern eine ernsthafte Bedrohung aller<br />

demokratischen Parteien darstellte. Zwar ging das Zentrum bei einer starken Wahlbeteiligung<br />

von 82 % mit 12.049 St<strong>im</strong>men als Wahlsieger hervor, doch mit 9.043 St<strong>im</strong>men blieb die<br />

NSDAP nur um ein Viertel dahinter zurück. 199 <strong>Die</strong> Gewaltexzesse der NSDAP nach der<br />

Sonnwendfeier in Horchhe<strong>im</strong> knapp drei Monate zuvor hatten ihrem weiteren Aufstieg in der<br />

Wählergunst der <strong>Koblenz</strong>er also nicht nachhaltig geschadet.<br />

Von Ende Mai bis Anfang Juli 1930 erlebten die <strong>Koblenz</strong>er mehrere Treffen ehemaliger<br />

Reg<strong>im</strong>entsangehöriger in ihrer früheren Garnisonstadt. 200 <strong>Die</strong> NSDAP hatte sich schon <strong>im</strong><br />

Januar in einem Dringlichkeitsantrag zum Anwalt der sich vorbereitenden Veteranen<br />

gemacht. Der Oberbürgermeister solle be<strong>im</strong> Innenminister die Aufhebung des<br />

Versammlungs- und Umzugsverbots erwirken. Russell gab <strong>im</strong> März bekannt, dass der<br />

NSDAP-Antrag sich mit den Bestrebungen der Verwaltung decke und der Innenminister dem<br />

bereits entsprochen habe. 201 Im Vorfeld der <strong>Koblenz</strong>er Befreiungsfeier vom 22. Juli 1930<br />

195 KGA, 19.8.1930: Nachspiel zur Brückenkatastrophe vor dem <strong>Koblenz</strong>er Gericht; StAK 623 Nr. 6087, S. 92 f.<br />

(Zeitungsausschnitt NB, 29.10.1930: <strong>Koblenz</strong>er Brückenunglück vor dem Reichstag), 118 f. (Zeitungsausschnitt<br />

NB, 22.8.1930: Herr Staatsanwalt[,] man ruft Sie wieder!); Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 133-139.<br />

196 KGA, 22.8.1930: Adolf Hitler in <strong>Koblenz</strong>; Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 196. Beherbergt wurde<br />

Hitler anschließend vom Stadtverordneten Schwarz, weil sich Hitler eine ruhige Privatunterkunft gewünscht<br />

hatte und S<strong>im</strong>on als Junggeselle nur über ein bescheidenes Z<strong>im</strong>mer verfügte; LHAKo Best. 856 Nr. 111008,<br />

Schwarz vom 12.9.1948.<br />

197 KVZ, 22.8.1930: Mit Hitler ins Chaos … oder mit Brüning den Weg der Vernunft? Nach dem<br />

Zeitungsbericht hatte es in <strong>Koblenz</strong> Blumen auf Hitler geregnet, als er das Spalier der SA durchschritt. Es wurde<br />

neben Hitlerbildern auch „Hitlerschokolade“ zum Kauf angeboten, doch „scheint das in politischen Dingen<br />

abgeklärte rheinische Volk für Hitlerschokolade nicht sehr zu schwärmen.“<br />

198 KVZ, 16./17.8.8.1930; Nr. 190, 18.8.1930; Nr. 191, 19.8.1930; Nr. 192, 20.8.1930; Nr. 193, 21.8.1930.<br />

199 KGA, 15.9.1930: Das Ergebnis der Reichstagswahlen.<br />

200 1. Reg<strong>im</strong>entsappell mit Wiedersehensfeier des ehem. Schleswig-Holsteinischen Fußartillerie-Reg<strong>im</strong>ents Nr. 9<br />

und seiner Kriegsformationen in der befreiten Garnison Ehrenbreitstein vom 31.5. - 2.6.1930. Hg. v. 9er Bund<br />

Köln. Köln 1930; Hans Bellinghausen (Bearb.): Festschrift zur 13. Wiedersehensfeier ehemaliger Angehöriger<br />

der Nachrichtentruppe unter Teilnahme des Waffenringes der deutschen Nachrichtentruppe. <strong>Koblenz</strong> 31. Mai bis<br />

2. Juni 1930. <strong>Koblenz</strong> 1930; 4. Reg<strong>im</strong>entstag des L. I. R. [Landwehr-Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent] 25. 21.-22. Juni 1930<br />

<strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1930; Festschrift zur Wiedersehensfeier und 70. Stiftungstag der 68er [6. Rheinisches<br />

Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent Nr. 68] in <strong>Koblenz</strong> am 5., 6. und 7. Juli 1930. <strong>Koblenz</strong> 1930.<br />

201 StAK 623 Nr. 5996, S. 209 f., 229.


hatte Hindenburg bereits die Aufhebung des 1929 erlassenen Stahlhelm-Verbots durch die<br />

preußische Regierung durchsetzen können. 202 Erinnerungen an Glanz und Gloria der<br />

Kaiserzeit ließ dann der „11. Reichs-Frontsoldatentag am Rhein“ wieder aufleben, den der<br />

Stahlhelm am 4./5. Oktober 1930 mit gewaltigem Aufwand feierte. 203 Auf dem Karthäuser<br />

Feld fanden Massenaufmärsche statt, die mit der <strong>im</strong>posanten Teilnehmerzahl von 100.000<br />

das neu erstarkte Selbstbewusstsein des Verbands und der nationalistischen Kräfte<br />

demonstrierten. <strong>Koblenz</strong> als Versammlungsort <strong>im</strong> grenznahen Westen des Reichs und<br />

innerhalb der entmilitarisierten Zone gab dem Treffen einen politischen Charakter. 204 <strong>Die</strong><br />

Rheinische Warte warnte voller Argwohn vor der offensichtlichen Verbindung zwischen<br />

Stahlhelm und <strong>Nationalsozialismus</strong>. 205 Tatsächlich berichtete am 22. April 1931 der<br />

52<br />

Regierungspräsident zur <strong>Koblenz</strong>er NSDAP-Ortsgruppe, es mache sich „eine <strong>im</strong>mer stärker<br />

werdende Annäherung an den Stahlhelm bemerkbar“. 206 Das größte Treffen republik-<br />

freundlicher Kräfte gab es <strong>im</strong> August 1931, als 60.000 Angehörige des Reichsbanners<br />

Schwarz-Rot-Gold den Verfassungstag feierten. In der Stadthalle sprach der Sozialdemokrat<br />

und Preußische Innenminister Carl Severing, der meinte, in <strong>Koblenz</strong> sei noch ein „Kaiser-<br />

Wilhelm-Gedächtnis-Kult“ anzutreffen, der einen Teil der Bevölkerung zum „Hitlerismus“<br />

hingerissen habe. 207<br />

<strong>Die</strong> abweisende Haltung der <strong>Stadtverwaltung</strong> in der Vermietungsfrage wurde offenbar schnell<br />

gelockert, denn Ende Oktober 1930 beanstandete Polizeipräsident Biesten Werbeplakate der<br />

NSDAP für eine Versammlung in der Stadthalle wegen republikfeindlicher Hetze. Auf<br />

Anordnung der Staatsanwaltschaft mussten die Plakate von den öffentlichen Anschlagflächen<br />

entfernt bzw. überklebt werden. Russell entzog daraufhin <strong>im</strong> Interesse einer einheitlichen<br />

Reaktion der NSDAP die bereits zugesagte Nutzung der Stadthalle zwei Tage vor der<br />

Veranstaltung. Das Nationalblatt schrieb: „<strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> provoziert!“. Da die<br />

städtischen Plakatsäulen an das Evangelische Stift verpachtet waren, erklärte sich dessen<br />

Verwaltungsratsvorsitzender nach Verhandlungen mit Russell bereit, dass Plakate politischen<br />

202 Als Ehrenvorsitzender des Stahlhelms hatte er mit der Absage seiner Teilnahme gedroht. Golecki: Vom<br />

Ersten Weltkrieg, S. 161, 570; Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 193 f.; Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 132<br />

f.<br />

203 Der Stahlhelm am Rhein. 11. Reichs-Frontsoldaten-Tag am Rhein, 4.-5. Oktober 1930. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1930];<br />

Berghahn: Der Stahlhelm, S. 156 f. Anwesend waren auch der ehemalige Kronprinz Wilhelm sowie zwei weitere<br />

Kaisersöhne, Eitel Friedrich und Oskar. RW, 8.10.1930: Und das Kronprinzchen; Echo aus dem Westen.<br />

Berichte der französischen Presse über den XI. Reichsfrontsoldatentag am Rhein. Hg. <strong>im</strong> Auftrag des<br />

Bundesamtes des Stahlhelm B.[und] d.[er] F.[rontsoldaten] von Wilhelm Kleinau. O. O., o. J., S. 15, 37.<br />

204 <strong>Die</strong> französische Presse berichtete mehrfach. <strong>Die</strong> Berichte zollten dem Stahlhelm demnach „widerwillige[n]<br />

Anerkennung“ und die Pariser Tageszeitung Le Temps schrieb am 6.10.1930: „Gewiß sind Hitler und die<br />

Stahlhelmführer noch nicht die Herren Deutschlands […] <strong>Die</strong> Bewegung neigt dazu, daß sie mehr und mehr die<br />

Form einer brutalen Reaktion ann<strong>im</strong>mt gegen Demokratie und Liberalismus […]. Es ist an der Zeit, daß das<br />

republikanische Deutschland endlich scharf reagiert […]“. Echo aus dem Westen, S. 7, 43 f.<br />

205 RW, 4.10.1930: Seldte-Rekruten in <strong>Koblenz</strong>: Gespräch mit einem Stahlhelmer und Nazi-Wähler;<br />

RW, 6.10.1930: Stahl-wil-helmisches! RW, 7.10.1930: Stahlhelmnachklänge; RW, 8.10.1930: Der Stahlhelm-<br />

Tag. Eine Kundgebung, die sehr ernst genommen werden muß.<br />

206 Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 57.<br />

207 Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 222-227, Zitate S. 223.


Inhalts vor Anbringung durch die <strong>Stadtverwaltung</strong> geprüft werden sollten. Russell machte<br />

S<strong>im</strong>on klar, bei Gesetzesverstößen müsse er auch in Zukunft mit Nutzungsverweigerungen<br />

53<br />

rechnen. S<strong>im</strong>on ließ wissen, es sei ihm lieber, wenn die <strong>Stadtverwaltung</strong> die Plakattexte sogar<br />

schon vor dem Druck prüfe. Im Übrigen habe keine Gesetzesverletzung vorgelegen, aber so<br />

lange man die politische Macht noch nicht besitze, müsse man sich fügen. Für den<br />

30. November 1930 – den Tag des Abzugs der Besatzung – hatte die Partei die Stadthalle für<br />

eine „Große Freiheitskundgebung“ angemietet, auf der u. a. der Reichstagsabgeordnete<br />

Hermann Göring sprechen sollte. Als die Regierung aber einen für den nächsten Tag<br />

geplanten Aufmarsch wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung verbot, zog die Stadt ihre<br />

Zusage für die Halle kurzfristig zurück. S<strong>im</strong>on zeigte sich auch nach in einer persönlichen<br />

Unterredung mit Russell und Biesten uneinsichtig. Er warf Russell Amtsmissbrauch vor und<br />

drohte ihm mit einem Disziplinarverfahren. Am 10. Dezember erging eine Polizeiverordnung,<br />

die den „Anschlag aufreizender Plakate“ untersagte, 208 und neun Tage später folgte ein<br />

Umzugs- und Versammlungsverbot für die NSDAP, 209 das mit Gewaltaktionen begründet<br />

wurde. Das vereinbarte Zensurverfahren unterlief die Partei schon bald. Ende Januar 1931<br />

wurden auf den städtischen Säulen zwar die von Russell persönlich korrigierten Plakate<br />

geklebt, doch auf nicht-städtischen Tafeln erschienen die Texte in der ursprünglichen<br />

Fassung. Russells Streichungen betrafen regelmäßig republikfeindliche und antisemitische<br />

Äußerungen. Gegen den Standardzusatz „Juden haben keinen Zutritt“ fehlte ihm die<br />

gesetzliche Handhabe. Hier musste er sich auf eine Bitte beschränken, der die Partei<br />

selbstverständlich keine Folge leistete. <strong>Die</strong> Zensur durch Russell wurde laut Aktenlage zuletzt<br />

am 1. April 1931 praktiziert. 210 Am 29. April 1931 billigte die Mehrheit der Stadtverordneten,<br />

dass die Verwaltung vor jeder Vermietung prüfte, „ob Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie<br />

das religiöse Empfinden und die Würde des Ortes gewahrt werden.“ 211 Kurz zuvor, am<br />

4. April 1931, hatte der Oberpräsident ein erneutes Uniformverbot für die Nationalsozialisten<br />

erlassen. 212<br />

Mitte 1931 erfuhr die Provinzialhauptstadt auch innerhalb der Organisation der NSDAP eine<br />

Rangerhöhung: <strong>Koblenz</strong> wurde Hauptstadt eines neu geschaffenen Gaues, der seine<br />

Entstehung dem Ehrgeiz Gustav S<strong>im</strong>ons verdankte. S<strong>im</strong>on betrieb seit Oktober 1930<br />

beharrlich die Loslösung des südlichen Gaugebiets vom Gau Rheinland, und das gegen den<br />

erklärten Willen seines erbosten einstigen Förderers, Gauleiter Ley. S<strong>im</strong>on blieb vom Zorn<br />

208<br />

KVZ, 11.12.1930: Der Staat greift ein.<br />

209<br />

KGA, 20./21.12.1930: Kundgebungen unter freiem H<strong>im</strong>mel für Nationalsozialisten verboten. S<strong>im</strong>on machte<br />

das Verbot zum Gegenstand eines Dringlichkeitsantrags in der Stadtverordnetensitzung vom 28. Januar 1931,<br />

doch Russell stellte klar, dass es sich nicht um eine kommunale Angelegenheit, sondern um eine „politische<br />

Maßnahme der Polizei“ handele; StAK 623 Nr. 5996, S. 337. Das Verbot wurde am 1.2.1931 wieder<br />

aufgehoben; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 51.<br />

210<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 13-28, 72-103.<br />

211<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 355.<br />

212<br />

KGA, 8.4.1931: Verbot des Oberpräsidenten; Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 143. Vgl. LHAKo Best. 517,1 Nr.<br />

1.


54<br />

Leys unbeeindruckt. Selbstbewusst verwies er gegenüber der Reichsorganisationsleitung in<br />

München in drei Denkschriften auf seine Erfolge hinsichtlich Organisation, Mitglieder-<br />

entwicklung und Wahlergebnissen. Dabei ging S<strong>im</strong>on ein nicht geringes Risiko ein, denn er<br />

ignorierte durch die Umgehung Leys das Führerprinzip und setzte stattdessen auf das Prinzip<br />

der Leistungsauslese. Tatsächlich hatte S<strong>im</strong>on, seit der Reichstagswahl von 1930 neben vier<br />

Zentrumsabgeordneten das einzige Reichstagsmitglied des Wahlkreises 21 (<strong>Koblenz</strong>-Trier)<br />

und dadurch finanziell unabhängig von der Gauleitung, für seinen Bezirk <strong>Koblenz</strong> 374<br />

Wahlkampfveranstaltungen organisiert. <strong>Die</strong> Unterstützung aus Köln war sehr gering gewesen.<br />

Es traten fast ausschließlich Redner auf, die S<strong>im</strong>on sich herangezogen hatte. 213 Genau wie<br />

1929 die Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong> hatte er 1930 die Ortsgruppe Trier wiederaufgebaut und neu<br />

gefestigt. Auch hier machte sich S<strong>im</strong>ons Agitation bezahlt. Als in Trier infolge von<br />

Eingemeindungen erneut Kommunalwahlen anstanden, die zusammen mit den Reichs-<br />

tagswahlen am 14. September 1930 durchgeführt wurden, erreichte die NSDAP 14,1 % der<br />

St<strong>im</strong>men. Sie stellte statt zuvor nur einen von 42 jetzt sieben von 45 Stadtverordneten,<br />

während das Zentrum seine absolute Mehrheit (41,5 %, 20 Sitze) einbüßte. 214<br />

S<strong>im</strong>ons Kalkül ging auf, 215 und seine Hartnäckigkeit wurde belohnt. Auf einer Gautagung am<br />

31. Mai 1931 in <strong>Koblenz</strong> wurde die Teilung des Gaues Rheinland offiziell vollzogen. Der<br />

neue südliche Gau erhielt den Namen „<strong>Koblenz</strong>-Trier“ 216 mit S<strong>im</strong>on als Gauleiter, der<br />

nördliche hieß „Köln-Aachen“, wo Josef Grohé Gauleiter wurde, während Ley <strong>im</strong> Oktober<br />

1931 zum Reichsorganisations-Inspekteur berufen wurde. 217 <strong>Die</strong> Namensgebung der neuen<br />

Gaue entsprach sowohl dem der beiden Regierungsbezirke als auch der Wahlkreise 21 und<br />

20. Obwohl Trier infolge von Eingemeindungen <strong>Koblenz</strong> inzwischen größenmäßig<br />

überflügelte, 218 kam als Gauhauptstadt von „<strong>Koblenz</strong>-Trier“ für die Partei nur <strong>Koblenz</strong> in<br />

Frage. Dort saß die Gauleitung direkt <strong>im</strong> Zentrum der staatlichen Macht. In Trier sahen S<strong>im</strong>on<br />

und die NSDAP trotz der jüngsten Wahlerfolge einen Hort der „klerikalen Reaktion“. 219 <strong>Die</strong><br />

beiden Bezirke <strong>Koblenz</strong> und Trier wurden aufgelöst und direkt der Gauleitung unterstellt. Der<br />

bisherige Geschäftsführer des Bezirks <strong>Koblenz</strong>, der 1907 in Steele (heute Essen) geborene<br />

Friedrich („Fritz“) Reckmann, wurde am 1. Juli 1931 mit einer beachtlichen Machtfülle<br />

ausgestattet, denn er wurde zum Stellvertretenden Gauleiter, Gauinspekteur und<br />

213<br />

Dazu ausführlich Tyrell: Führergedanke, S. 260-267; Smelser: Robert Ley, S. 90-96.<br />

214<br />

Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung, S. 117-119; Müller: Trier in der We<strong>im</strong>arer Republik, S. 512;<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 517-519.<br />

215<br />

Für den Fall des Scheiterns seines Vorstoßes soll S<strong>im</strong>on gegenüber dem späteren Verlagsleiter des<br />

„Luxemburger Wort“, Heinrich Klee, seinen Parteiaustritt angekündigt haben; BArch (ehem. BDC), PK,<br />

Karbach, Rolf, 9.4.1908: Karbach vom 5.10.1944.<br />

216<br />

Da der neue Gau auch den oldenburgischen Landesteil Birkenfeld (Parteibezirk V) umfasste, findet sich in<br />

den ersten Jahren häufig die Bezeichnung „Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld“. Beispiele: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S.<br />

45, 58 f., 71. Am 1.4.1937 wurde der Landkreis Birkenfeld gebildet und dem Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong><br />

angegliedert; BArch R 1501/8091.<br />

217<br />

Tyrell: Führergedanke, S. 267-271.<br />

218<br />

Trier zählte 1930 68.457 Einwohner, <strong>Koblenz</strong> am 1.7.1931 63.889. Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 25;<br />

Tabelle 1 in: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 608.<br />

219<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 100.


55<br />

Gaugeschäftsführer ernannt. Der Gau war damit an seiner Spitze für die gesamte Dauer des<br />

Dritten Reichs personell aufgestellt, denn S<strong>im</strong>on und Reckmann blieben als Gauleiter und<br />

dessen Stellvertreter bis Kriegsende <strong>im</strong> Amt. Allerdings dürfte Reckmanns Abkomman-<br />

dierung zum Obersten Parteigericht <strong>im</strong> Februar 1943 seine zumindest zeitweilige<br />

Abwesenheit von <strong>Koblenz</strong> zur Folge gehabt haben. 220<br />

S<strong>im</strong>on setzte seine ehrgeizige Aufbauarbeit fort. Dass er als Reichstagsabgeordneter nicht nur<br />

in den Genuss parlamentarischer Immunität, sondern auch einer Freifahrkarte der Reichsbahn<br />

kam, bot ihm dabei nicht zu unterschätzende Vorteile. 221 Während es 1930 <strong>im</strong> späteren<br />

Gaugebiet 124 Ortsgruppen und Stützpunkte gegeben hatte, waren es 1932 bereits 303. 222 Der<br />

neue Status von <strong>Koblenz</strong> als Gauhauptstadt steigerte offenbar Selbstbewusstsein und Aktivität<br />

der örtlichen NSDAP- und SA-Mitglieder. <strong>Die</strong> offene Gewalt zwischen ihnen, Reichsbanner-<br />

Angehörigen und vor allem Kommunisten eskalierte trotz der verschiedenen Verbote<br />

zunehmend. Seit spätestens Oktober 1931 kam es neben den fast alltäglichen Überfällen,<br />

Schlägereien und Messerstechereien sogar zum Schusswaffengebrauch. Mehrfach wurden<br />

Kommunisten schwer verletzt. 223 SA-Kolonnen zogen antisemitische Hetzparolen grölend<br />

durch die Löhrstraße. 224<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Kommunalpolitik in der Stadtverordnetenversammlung überließ S<strong>im</strong>on jetzt<br />

fast vollständig seinem bisherigen stellvertretenden Fraktionsführer Christ. Am 15. Mai 1931<br />

teilte Christ mit, „da Herr S<strong>im</strong>on mit Parteiangelegenheiten und Gaueinrichtung z. Zt.<br />

überlastet ist“, solle ihm ab sofort alle Post zugestellt werden. 225 Dabei beinhalteten die<br />

„Parteiangelegenheiten“ chronische Kassenprobleme des Bezirks sowie interne<br />

Auseinandersetzungen zwischen S<strong>im</strong>on und einem SA-Führer, gegen den sich S<strong>im</strong>on letztlich<br />

durchsetzen konnte. Zudem brachen in der Ortsgruppe wieder Meinungsverschiedenheiten<br />

zwischen Gemäßigten und Radikalen auf. Als Folge dieser innerparteilichen Querelen<br />

220 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 27, 373 f.; Dorfey: „Goldfasane“, S. 410; Lilla: <strong>Die</strong><br />

stellvertretenden Gauleiter, S. 12, 70 f. Reckmann war <strong>im</strong> November 1930 von St. Goar nach <strong>Koblenz</strong> gezogen;<br />

StAK Passive Meldekartei.<br />

221 Vgl. Smelser: Robert Ley, S. 81.<br />

222 Partei-Statistik, Bd. III. Hg v. Reichsorganisationsleiter der NSDAP. München o. J. [1935], S. 175. Zum<br />

Vergleich: Im späteren Gau Köln-Aachen gab es 1930 76 Ortsgruppen und Stützpunkte, 1932 waren es 168;<br />

ebd.<br />

223 KVZ, 21.10.1931: Rauferei mit blutigem Ausgang. Zusammenstöße zwischen Nationalsozialisten und<br />

Kommunisten; KVZ, 11.11.1931: Zusammenstöße politischer Gegner. Kampf mit Schuß- und Hiebwaffen – Ein<br />

Schwer- und vier Leichtverletzte; KVZ, 9./10.7.1932: Feuergefecht auf Feste Franz. „Proletarischer<br />

Selbstschutz“ gegen Nationalsozialisten; KVZ, 26.7.1932: Blutige Zusammenstöße. 20 bewaffnete Nazis<br />

verhaftet; RW, 7.1.1933: Hitlers Mordbuben wüten in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 9.1.1933: Nächtliche Bluttat in der<br />

Marktstraße. Ein Nationalsozialist schießt einen Kommunisten nieder; KGA, 9.1.1933: <strong>Die</strong> Polizei berichtet:<br />

Blutiger Zwischenfall in der Marktstraße.<br />

224 Kurt Hermann – Benjamin Bar Jehuda: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong> 1918-1935. Hg. vom Evangelischen<br />

Gemeindeverband <strong>Koblenz</strong> und von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit. <strong>Koblenz</strong> 1986, S.<br />

29. <strong>Die</strong> Parole lautete „Erst wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s uns wieder gut.“<br />

225 StAK 623 Nr. 6187, S. 213. In seinem Lebenslauf gab Christ als Datum der (faktischen) Übernahme des<br />

Fraktionsführerpostens den 1.6.1931 an; StAK 623 Nr. 6137, S. 222.


56<br />

schrumpfte die Mitgliederzahl der Ortsgruppe von 780 <strong>im</strong> Januar 1931 auf 660 <strong>im</strong> April. 226<br />

S<strong>im</strong>on soll sich selbst noch Jahre später „als zu den Strasser-Gauleitern gehörend“ bezeichnet<br />

haben. 227<br />

<strong>Die</strong> Ära Russell neigte sich dem Ende zu, <strong>im</strong> Juli 1931 stand die Wahl seines Nachfolgers an.<br />

Zuvor sollte Russell die Ehrenbürgerwürde der Stadt zuerkannt werden. <strong>Die</strong> für den 22. Juni<br />

in Gehe<strong>im</strong>er Sitzung unter der Leitung von Bürgermeister Binhold geplante Abst<strong>im</strong>mung der<br />

Stadtverordneten platzte, weil Bürgerblock und Beamtenpartei sie aus Protest gegen die sie<br />

kränkende Vorgehensweise von Loenartz 228 boykottierten. Christ erklärte, Russell habe sich<br />

als „aufrechter nationaler Mann erwiesen“ und die NSDAP lehne die Ehrenbürgerwürde nicht<br />

ab, hätte sich aber aus grundsätzlichen Erwägungen der St<strong>im</strong>me enthalten. <strong>Die</strong> NSDAP-<br />

Fraktion machte die Versammlung nämlich beschlussunfähig, indem sie die Sitzung verließ,<br />

„um den beiden fehlenden Fraktionen die ganze Verantwortung für das Mißlingen des<br />

Antrages zuzuschieben“. 229 Erst in der Dringlichkeitssitzung vom 23. Juni wurde die<br />

Ehrenbürgerwürde einst<strong>im</strong>mig beschlossen. Anwesend waren aber nur 24 der 44<br />

Stadtverordneten, die NSDAP fehlte komplett. 230<br />

<strong>Die</strong> Ehrenbürgerwürde erhielt Russell in der Stadtverordnetensitzung vom 24. Juni 1931<br />

verliehen, 231 der letzten unter seinem Vorsitz. Mit der Entscheidung für den Bau einer zweiten<br />

Straßenbrücke über die Mosel wurde in derselben Sitzung ein für die Stadt bedeutender und<br />

zukunftsweisender Beschluss gefasst. <strong>Die</strong> Mehrheit sprach sich gemäß einer Gutachter-<br />

empfehlung für eine Eisenbetonbrücke aus. <strong>Die</strong> NSDAP-Stadtverordneten votierten bei der<br />

namentlichen Abst<strong>im</strong>mung über die Art der Bauausführung für eine Stahlbrücke, nachdem<br />

Christ die angeblich ungeklärte Sicherheit einer Betonbrücke, Proteste von Stahlbaufirmen<br />

und mögliche Kostensteigerungen ins Feld geführt hatte. Auch die Verwaltung hatte für die<br />

Betonbrücke plädiert, da hierbei mehr Tagwerke an Erwerbslose vergeben und mehr<br />

Baustoffe aus der Stadt und der Region bezogen werden konnten. 232 <strong>Die</strong> NSDAP-Fraktion<br />

226 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 26, 245 f.; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 50, 52, 57.<br />

227 So jedenfalls lautete einer der Vorwürfe, die HJ-Obergebietsführer Karbach 1944 gegen S<strong>im</strong>on erhob; BArch<br />

(ehem. BDC), PK, Karbach, Rolf, 9.4.1908: Karbach vom 5.10.1944. Zu den parteiinternen Richtungskämpfen<br />

um Gregor Strasser <strong>im</strong> nordwestdeutschen Raum vgl. Peter Hüttenberger: <strong>Die</strong> Anfänge der NSDAP <strong>im</strong> Westen.<br />

In: Walter Först (Hg.): Zwischen Ruhrkampf und Wiederaufbau (Beiträge zur neueren Landesgeschichte des<br />

Rheinlandes und Westfalens 5). Köln 1972, S. 51-80, 184.<br />

228 Vermutlich hatte Loenartz die geplante Verleihung der Ehrenbürgerwürde nicht mit Bürgerblock und<br />

Beamtenpartei abgesprochen, denn beide erklärten ausdrücklich, ihr Vorgehen richte sich nicht gegen Russell<br />

und sie hätten den Antrag voraussichtlich geschlossen unterstützt.<br />

229 StAK 623 Nr. 7214, S. 19 f., Zitat S. 20.<br />

230 StAK 623 Nr. 7214, S. 21. Inzwischen hatte sich der Ärger über Loenartz offenbar wieder gelegt, denn noch<br />

am 23.6. kündigte der Bürgerblock an, man werde geschlossen am Abschiedsessen für Russell teilnehmen und<br />

sei einverstanden, dass die Dankes- und Abschiedsworte in der Stadtverordnetenversammlung auch in ihrem<br />

Namen von Loenartz gesprochen würden; StAK 623 Nr. 6187, S. 215. Vielleicht war man aber auch zur Einsicht<br />

gelangt, dass das ganze Abst<strong>im</strong>mungsverfahren letztlich der Ehrenbürgerwürde Russells etwas von ihrem Glanz<br />

genommen hatte.<br />

231 StAK 623 Nr. 7214, S. 34-36.<br />

232 StAK 623 Nr. 7214, S. 25-29; KGA, 25.6.1931: Neue Moselbrücke in Beton.


ließ nachträglich ausdrücklich <strong>im</strong> Protokoll vermerken, dass sie der darauf folgenden<br />

Auftragsvergabe an das Baukonsortium nicht zugest<strong>im</strong>mt habe. 233 Be<strong>im</strong> Spatenstich am<br />

57<br />

25. Januar 1932 provozierte Christ mit dem Ausspruch: „Möge das Werk, das in schwerster<br />

Notzeit begonnen wird, <strong>im</strong> Dritten Reich glücklich beendet werden.“ 234<br />

Bereits am 14. Januar 1931 hatte Russell alle Fraktionsführer zur Besprechung der Frage<br />

seiner Nachfolge eingeladen. S<strong>im</strong>on erklärte, ein Oberbürgermeisterposten sei heutzutage<br />

ziemlich unbedeutend, weil er hauptsächlich nur die von Berlin festgelegten Steuern<br />

eintreiben müsse. Da ein nationalsozialistischer Oberbürgermeister derzeit für <strong>Koblenz</strong><br />

noch nicht in Frage käme, sei seine Fraktion an dem Problem „mehr oder weniger<br />

uninteressiert“. 235 Auf die Stellenausschreibung gingen 53 Bewerbungen ein 236 – ein Beleg<br />

dafür, dass die Stelle trotz wirtschaftlicher und finanzieller Probleme der Stadt attraktiv war.<br />

<strong>Die</strong> Wahl fand in der Sitzung vom 8. Juli 1931 statt, von 40 St<strong>im</strong>men lauteten 31 mit Ja für<br />

den Kandidaten Dr. jur. Hugo Rosendahl (Abb. 3), neun St<strong>im</strong>mzettel waren unbeschriftet. 237<br />

Das Zentrumsmitglied Rosendahl wurde am 28. Dezember 1884 in Sterkrade als Sohn von<br />

Theodor Rosendahl, einem Ingenieur der Gutehoffnungshütte, geboren. Er hatte in Marburg,<br />

München und Münster Rechts- und Staatswissenschaften studiert. Es folgten 1907 bis 1912<br />

verschiedene Stationen als Rechtsreferendar, die durch die Absolvierung des einjährig-<br />

freiwilligen Militärdienstes unterbrochen wurden. 1910 wurde Rosendahl in Heidelberg<br />

promoviert. 1913 trat er als Stadtassessor in den <strong>Die</strong>nst seiner He<strong>im</strong>atstadt und heiratete Paula<br />

Schulte-Ostrop (1889-1936), die Tochter eines vermögenden Sterkrader Gutsbesitzers. Aus<br />

der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Als sich Rosendahl <strong>im</strong> August 1914 als Kriegs-<br />

freiwilliger meldete, wurde er als Ortskommandant einer flämischen Stadt eingesetzt. Mitte<br />

1915 wurde er vom Kriegsdienst freigestellt, als in Sterkrade die Stelle des Bürgermeisters<br />

vakant wurde. Der nunmehrige Leutnant der Reserve leitete als gewählter Erster<br />

Beigeordneter die Verwaltung bis zur Neuwahl eines Bürgermeisters. Von 1916 bis 1921 war<br />

Rosendahl dann zum ersten Mal am Mittelrhein tätig, nämlich als Oberbürgermeister von<br />

Andernach. Dort konnte er ein Unternehmen aus der Nachbarstadt Neuwied für die<br />

Ansiedlung eines Kaltwalzwerkes 238 gewinnen, das sich nach seinem Fortgang zum größten<br />

Arbeitgeber des Ortes entwickeln sollte. Verübelt wurde Rosendahl allerdings, dass er ohne<br />

vorherige Zust<strong>im</strong>mung der Stadtverordnetenversammlung ein großes Grundstück in der<br />

233 StAK 623 Nr. 7214, S. 29 (Nachtrag <strong>im</strong> Protokoll), 38.<br />

234 NB, 23.4.1934: Weihe der ersten Hitler-Brücke Deutschlands. In einem Nachruf auf Christ verschärfte S<strong>im</strong>on<br />

1938 den Wortlaut in: „Wir beginnen diese Brücke <strong>im</strong> Reiche des Verfalls um sie <strong>im</strong> Dritten Reich zu<br />

vollenden.“; NB, 14.3.1938: Oberbürgermeister Pg. Ludwig Christ +.<br />

235 StAK 623 Nr. 6137, S. 109 f., Zitat S. 110. Auch Max Krause bekundete für die KPD Desinteresse; ebd.<br />

236 StAK 623 Nr. 6137, S. 134-154.<br />

237 StAK 623 Nr. 7214, S. 49. KGA, 9.7.1931: Der neue Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong>: Dr. Rosendahl -<br />

Hamborn.<br />

238 <strong>Die</strong> heutige Rasselstein GmbH ist mit ca. 2.400 Beschäftigten bis heute größter Arbeitgeber in Andernach;<br />

http://www.rasselstein.com, Zugriff am 27.4.2008.


Altstadt erwarb, auf dem später ein Schulzentrum entstand. 1920 gelang ihm ein großer<br />

Karrieresprung: Er wurde zum Oberbürgermeister der rund 130.000 Einwohner zählenden<br />

Stadt Hamborn gewählt. 1921 trat er sein Amt an. In Hamborn machte er sich vor allem<br />

als strategischer Kopf durch die Planung und Ausführung umfangreicher Bau- und<br />

Infrastrukturmaßnahmen einen Namen, außerdem machte er die Wohlfahrtspflege zur<br />

Chefsache. Trotz vielfältiger Gegenwehr auch aus den Reihen der Bevölkerung konnte er<br />

jedoch die Eingemeindung Hamborns am 1. August 1929 in die Stadt Duisburg nicht<br />

verhindern. Bis Februar 1930 führte er noch die Überleitung der <strong>Die</strong>nstgeschäfte durch. 239<br />

Mit den beiden Beschlüssen von 1931 zum Neubau einer zweiten Moselbrücke sowie von<br />

1932 zum Erwerb der Pfaffendorfer Eisenbahnbrücke und deren Umbau in eine<br />

58<br />

Straßenbrücke 240 standen für den neuen Oberbürgermeister ganz ähnliche Aufgaben an, wie<br />

er sie in Hamborn bereits gemeistert hatte. Dagegen brachte Rosendahl bei seiner Amts-<br />

einführung am 21. September 1931 241 – Gauleiter S<strong>im</strong>on beehrte ihn nicht mit seiner<br />

Anwesenheit und fehlte entschuldigt – nur wenige Erfahrungen <strong>im</strong> praktischen Umgang mit<br />

den Nationalsozialisten mit. In Hamborn mit seinem großen Arbeiteranteil waren die<br />

politischen Kräfteverhältnisse ganz andere gewesen: Seit der Kommunalwahl von 1924 waren<br />

20 der 48 Stadtverordneten von der KPD, nach der Wahl von 1929 saß nur ein einziger<br />

Nationalsozialist <strong>im</strong> Stadtparlament. Allerdings war es auch nicht Rosendahls Stil, die<br />

Stadtverordnetenversammlung zu hofieren, was er schon in Andernach bewiesen hatte. Sein<br />

Auftreten in Hamborn war zwar konziliant, aber gleichzeitig vom Bewusstsein fachlicher<br />

Überlegenheit best<strong>im</strong>mt gewesen. 242 In <strong>Koblenz</strong> berief er 1932 jedenfalls nur sieben<br />

Stadtverordnetensitzungen ein, nachdem vorher mindestens neun pro Jahr üblich gewesen<br />

waren. 243<br />

Das ständig schwelende Problem der Vermietung der städtischen Säle löste sich <strong>im</strong> Dezember<br />

1931 zumindest vorübergehend. Der Regierungspräsident verfügte, ein Erlass des<br />

Preußischen Innenministers Severing vom 27. Dezember 1930, wonach staatsfeindlichen<br />

Organisationen keine gemeindlichen Säle oder Plätze überlassen werden durften, sei<br />

239 Kanther: Hugo Rosendahl, S. 84-105; Franz-Josef Heyen: Nur sieben Jahrzehnte. Andernach seit dem Ende<br />

des 1. Weltkrieges. In: Ders. (Hg.): Andernach. Geschichte einer rheinischen Stadt. 2. durchges. u. erg. Aufl.<br />

Andernach 1994, S. 217-276, hier S. 227-229, 237; LHAKo Best. 441 Nr. 35584; Hugo Rosendahl: Inwieweit<br />

finden die Best<strong>im</strong>mungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Vertragspfandrecht Anwendung auf das<br />

Pfändungspfandrecht der Zivilprozessordnung, insbesondere ist auch das Pfändungspfandrecht ein<br />

akzessorisches Recht? Univ. Diss. Heidelberg 1910.<br />

240 StAK 623 Nr. 5996, S. 259 f.; ebd., Nr. 7214, S. 189 f. Zum Umbau, der 1934/35 erfolgte, vgl. <strong>Koblenz</strong> –<br />

Stadt der Brücken. Dokumentation zur Einweihung der <strong>Koblenz</strong>er Balduinbrücke. Hg. v. der Stadt <strong>Koblenz</strong>.<br />

<strong>Koblenz</strong> 1975, S. 54; Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 320 f.<br />

241 StAK 623 Nr. 7214, S. 69 f. <strong>Die</strong> Amtseinführung hatte sich wegen Besoldungsfragen verzögert. Aufgrund<br />

von Sparmaßnahmen und neuen Besoldungsrichtlinien musste sich Rosendahl mit rund 7.000 RM jährlich<br />

weniger als Russell begnügen. Ebd. Nr. 6137, S. 89 f., 126, 161, 189, 199 f.<br />

242 Kanther: Hugo Rosendahl, S. 91 f., 96. Gegen Ende seiner Hamborner Amtszeit sah sich Rosendahl einer<br />

nationalsozialistischen Pressekampagne ausgesetzt, auf die er schließlich mit einer Strafanzeige gegen den<br />

Redakteur, einen NSDAP-Landtagsabgeordneten, reagierte. Ebd., S. 97 f.<br />

243 Vgl. Tabelle 23 <strong>im</strong> Anhang.


59<br />

„ausnahmslos“ anzuwenden. <strong>Die</strong>ser Erlass hatte bisher offenbar keine Beachtung gefunden<br />

oder war unbekannt gewesen, denn sonst hätte Russell sich viel Arbeit und Ärger ersparen<br />

können. 244 <strong>Die</strong> Regelung führte bei der NSDAP zu einer „starke[n] Erregung“, denn sie<br />

machte es ihr unmöglich, alle Ortsgruppenmitglieder in einem einzigen Versammlungslokal<br />

unterzubringen. Anfang 1932 wurde deshalb die bisherige Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong> in sechs<br />

kleinere (Altstadt, Lützel, Mitte, Mosel, Rhein, Vorstadt) 245 aufgeteilt. 246<br />

Mittlerweile stieß die Betreuung der Fürsorge- und Unterstützungsempfänger nicht nur<br />

finanziell, sondern auch personell auf <strong>im</strong>mer größere Schwierigkeiten. Wohlfahrtsamtsleiter<br />

Johannes Schmitz und Fürsorgeamtsvorsteher Franz Meyendriesch wurden seit Ende 1931<br />

mehrfach bei Stadtdirektor Wilhelm Schwalge, dem zuständigen Dezernenten Dahm und<br />

schließlich be<strong>im</strong> Oberbürgermeister vorstellig, um auf den Personalmangel und die dringend<br />

notwendige Umorganisation des Wohlfahrtsamtes aufmerksam zu machen. Allein der tägliche<br />

Publikumsverkehr an den drei Standorten Alte Burg, Münzplatz und Falckensteinkaserne war<br />

kaum mehr zu bewältigen. Der Freitag erreichte dabei einen Spitzenwert von 2.000<br />

Besuchern, gefolgt vom <strong>Die</strong>nstag mit 1.720. 247<br />

In der Sitzung vom 24. Februar 1932 teilte Rosendahl offiziell mit, dass Christ die Nachfolge<br />

S<strong>im</strong>ons als Fraktionsführer angetreten habe. S<strong>im</strong>ons Platz in den Ausschüssen wurde durch<br />

andere Fraktionsmitglieder besetzt. 248 Der Gauleiter legte sein Mandat zwar nicht nieder, hatte<br />

aber schon seit August 1931 – mit einer Ausnahme – in jeder Sitzung entschuldigt gefehlt. 249<br />

Für Christ bedeutete dieser Vertrauensbeweis S<strong>im</strong>ons auch einen Aufstieg in der Partei-<br />

hierarchie, denn als Fraktionsführer war er einem Kreisleiter <strong>im</strong> Rang gleichgestellt. 250 Seit<br />

1. September 1931 war Christ bereits Gausachbearbeiter in kommunalpolitischen Ange-<br />

legenheiten; ein Amt, das er bis 30. November 1932 ausübte. Ab 1. Juni 1932 wurde er als<br />

hauptamtlicher Gauschatzmeister Mitglied der Gauleitung, seine Buchhaltertätigkeit gab er<br />

auf. 251<br />

244<br />

StAK 623 Nr. 6586, S. S. 259-269. Möglicherweise hatte der Erlass in Bezug auf die NSDAP keine<br />

Beachtung gefunden, weil darin auf einen Vorfall mit einer kommunistischen Sportorganisation Bezug<br />

genommen wurde. Er bezog sich aber eindeutig auf staatsfeindliche Organisationen überhaupt.<br />

245<br />

NB, 1.7.1933: Sechs selbständige Ortsgruppen. Ortsgruppenleiter wurden Klaeber (Altstadt), Heß (Lützel),<br />

Greven (Mitte), Ackermann (Mosel), Müßner (Rhein, gelegentlich auch mit Neuendorf bezeichnet) und Dönch<br />

(Vorstadt).<br />

246<br />

Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 61 f., Zitat S. 61. Dem Kölner Oberbürgermeister Adenauer ging dieser Eingriff in<br />

die Selbstverwaltungskompetenz zu weit. Offenbar gab es dort in dieser Hinsicht weniger Probleme, denn<br />

Adenauer suchte Wege, die Überlassung von Sälen grundsätzlich allen Parteien weiterhin zu ermöglichen.<br />

Morsey: Adenauer und der <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 452 f.<br />

247<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 675-686.<br />

248<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 235; ebd. Nr. 7214, S. 93 f.<br />

249<br />

S<strong>im</strong>on nahm zum letzten Mal an der Sitzung vom 23.10.1931 teil; StAK 623 Nr. 7214, S. 70-82. Christ fehlte<br />

bei keiner einzigen Sitzung.<br />

250<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 41.<br />

251<br />

StAK 623 Nr. 6137, S. 222 (Lebenslauf); Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 170.


Das Verhalten der <strong>Koblenz</strong>er Nationalsozialisten in der Stadtverordnetenversammlung,<br />

60<br />

insbesondere von Fraktionsführer Christ, zeugte indessen von steigendem Selbstbewusstsein.<br />

Gleichzeitig wollte man offenbar testen, wie weit man bei Rosendahl gehen konnte, den man<br />

– heftiger als zuvor Russell – durch persönliche Attacken vorzuführen versuchte. Zwar<br />

bescheinigte Christ Rosendahl in der Stadtverordnetensitzung vom 28. April 1932, ein<br />

„waschechter Zentrümler“ zu sein, hielt ihm aber zugute, er sei „kein Parteibuchbeamter“.<br />

Dann warf er ihm die Verschwendung städtischer Gelder vor. So sei für ihn für 75 RM ein<br />

Tintenfass angeschafft worden, das extra in Köln habe beschafft werden müssen. Immer<br />

stärker konzentrierte Christ seine Angriffe auf den politischen Hauptrivalen in <strong>Koblenz</strong>, das<br />

Zentrum. Als er seine Stadtverordnetenkollegen mit „meine lieben Schwestern und Brüder<br />

vom ‚gottlosen’ Zentrum“ anredete, verließ die Zentrumsfraktion voller Empörung den<br />

Sitzungssaal. 252 Ansonsten blieben Geschäftsordnungsdebatten 253 , Dringlichkeitsanträge 254<br />

und das Verlassen des Sitzungssaales 255 erprobte Instrumente der NSDAP-Fraktion, den<br />

geregelten und zügigen Ablauf der Sitzungen zu sabotieren. <strong>Die</strong>s sicherte der Bewegung die<br />

Aufmerksamkeit ihrer Wähler und der Presse, aber auch der wachsenden Zahl derer, die mit<br />

der politischen und wirtschaftlichen Lage unzufrieden und von den übrigen Parteien<br />

enttäuscht waren.<br />

Das Jahr 1932 brachte eine fünffache Wahlserie, an der sich die wahlberechtigten <strong>Koblenz</strong>er<br />

mit einer gleich bleibend hohen Wahlbeteiligung von jeweils ca. 80 % beteiligten. Bei den<br />

beiden Urnengängen zur Reichspräsidentenwahl am 13. März und 10. April 1932 entschieden<br />

sich in der ehemaligen Garnisonstadt mehr Wähler für Hindenburg als auf Reichsebene. 256<br />

Zur Unterstützung seiner Wiederwahl hatte sich unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Rudolf<br />

Frank ein „Ortsausschuss“ gebildet, dem Rosendahl angehörte und für den Stadtdirektor<br />

Schwalge organisatorische Aufgaben wahrnahm. 257<br />

252<br />

KGA, 29.4.1932: Nationalsozialistische Erklärungen. Rosendahl erklärte, die Rede Christs sei ein typisches<br />

Beispiel einer unfruchtbaren Kritik gewesen und es wäre bedauerlich, wenn das Niveau der Rede das Niveau der<br />

<strong>Koblenz</strong>er Stadtvertretung wäre.<br />

253<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 6187, S. 100; ebd., Nr. 7214, S. 129 f.<br />

254<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 5996, S. 209 f., 285, 331, 337, 340, 374-377; ebd. Nr. 7214, S. 56 f., 63 f., 133-137<br />

(6 Dringlichkeitsanträge!), 182 f.<br />

255<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 5996, S. 366; ebd. Nr. 7214, S. 20, 64, 133.<br />

256<br />

Damit bestätigt sich auch für <strong>Koblenz</strong> die Analyse von Falter, dass Regionen, die 1925 mehrheitlich für den<br />

rheinischen Zentrumspolitiker Wilhelm Marx gest<strong>im</strong>mt hatten, 1932 überwiegend für Hindenburg votierten. Bei<br />

einer Wahlbeteiligung von 70 % (Reich 78 %) waren 1925 63,7 % (45,3 %) der <strong>Koblenz</strong>er St<strong>im</strong>men für Marx<br />

und 33,0 % (48,3 %) für Hindenburg abgegeben worden. Falter: Hitlers Wähler, S. 123-125; KGA, 27.4.1925:<br />

Das Wahlergebnis von Coblenz; ebd.: <strong>Die</strong> Einzelwahlergebnisse aus Coblenz.<br />

257<br />

StAK 623 Nr. 6258.


Tabelle 3: <strong>Die</strong> Reichspräsidentenwahl 1932 258<br />

61<br />

1. Wahlgang 13.3.1932 2. Wahlgang 10.4.1932<br />

St<strong>im</strong>men<br />

<strong>Koblenz</strong><br />

%<br />

<strong>Koblenz</strong><br />

%<br />

Reich<br />

St<strong>im</strong>men<br />

<strong>Koblenz</strong><br />

%<br />

<strong>Koblenz</strong><br />

%<br />

Reich<br />

Wahlbeteiligung 37.815 84 86 35.759 78 83<br />

Hindenburg 20.532 54,3 49,6 20.884 58,4 53,0<br />

Hitler 10.933 28,9 30,1 12.583 35,2 36,8<br />

Thälmann 3.319 8,8 13,2 2.117 5,9 10,2<br />

Duesterberg 2.983 7,9 6,8 - - -<br />

Der unterlegene Kandidat Hitler – seit Ende Februar zum Zwecke seiner Einbürgerung<br />

„Parteibuchbeamter“ des Freistaates Braunschweig 259 – sprach zum zweiten (und letzten) Mal<br />

am 21. April 1932 in <strong>Koblenz</strong>, diesmal auf einer Kundgebung <strong>im</strong> Landtagswahlkampf, die <strong>im</strong><br />

Stadion Oberwerth stattfand. Nach Angaben der örtlichen Parteileitung waren 40.000<br />

Teilnehmer gekommen, die Polizei meldete 10.000 bis 12.000 Zuhörer. Während der<br />

General-Anzeiger die Rede nüchtern referierte, kritisierte die Volkszeitung den Auftritt hart.<br />

Hitler bleibe vor allem den Katholiken Antworten schuldig, er verachte die Masse und<br />

schmeichle ihr gleichzeitig, weil er sie für seinen Machthunger brauche und missbrauche.<br />

Hellsichtig zog sie das Fazit: Hitler „verschwieg mit lautem Organ, dass er allein, er allein<br />

Diktator sein will.“ 260 Nur einen Tag später trat der Zentrumsvorsitzende Prälat Ludwig Kaas<br />

in der Stadthalle auf. Der gebürtige Trierer war von 1910 bis 1918 Rektor <strong>im</strong> städtischen<br />

Krankenhaus Kemperhof gewesen. 261 Kaas setzte die „Abrechnung mit Hugenberg und<br />

Hitler“ fort. 262 Trotzdem konnte die NSDAP am 24. April ihr bislang bestes Wahlergebnis in<br />

<strong>Koblenz</strong> verbuchen. Mit 13.903 St<strong>im</strong>men (39,2 %) ging sie erstmals als stärkste Partei hervor<br />

und übertraf das Gesamtergebnis in Preußen (36,3 %) damit um fast drei Prozentpunkte. Das<br />

Zentrum erhielt mit 11.740 über 2.000 St<strong>im</strong>men weniger. 263<br />

258<br />

KGA, 14.3.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 11.4.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; Martin Broszat/Norbert Frei<br />

(Hg.): Das Dritte Reich <strong>im</strong> Überblick. 6. durchges. u. aktualisierte Aufl. München 1999, S. 191; Golecki: Vom<br />

Ersten Weltkrieg, S. 168, 570.<br />

259<br />

Rudolf Morsey: Hitler als braunschweigischer Regierungsrat. In: VfZ 8 (1960), S. 419-448. Regierungsrat<br />

Hitler war inzwischen beurlaubt. Am Tag der <strong>Koblenz</strong>er Hitler-Rede hatte die KVZ die Ziele der NSDAP nicht<br />

als Stärkung des Berufsbeamtentums, sondern als Einführung des Parteibuchbeamtentums kritisiert. KVZ,<br />

21.4.1932: Der Berufsbeamte <strong>im</strong> „Dritten Reich“.<br />

260<br />

KVZ, 22.4.1932: Hitler in <strong>Koblenz</strong> (Zitat); KGA, 22.4.1932: Hitler in <strong>Koblenz</strong>; Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 48.<br />

261<br />

Heinz Monz (Hg.): Trierer Biographisches Lexikon. Trier 2000, S. 207; Paulinus Nr. 18, 4.5.1952: Exzellenz<br />

Prälat Dr. Ludwig Kaas +.<br />

262<br />

KVZ, 23./24.4.1932: <strong>Die</strong> Abrechnung mit Hugenberg und Hitler. Auf der Titelseite machte das Blatt darauf<br />

aufmerksam, dass <strong>im</strong> überwiegend katholischen Wahlkreis <strong>Koblenz</strong>-Trier „Nicht einmal ein ‚Taufschein-<br />

Katholik’“ auf der NSDAP-Liste sei, sondern die fünf Spitzenkandidaten „sämtlich protestantisch“ seien.<br />

Gewählt wurden dann drei NSDAP-Abgeordnete: August Wetter, Ludwig Pies und Wilhelm Struve; KVZ,<br />

25.4.1932: Das Ergebnis der Länderwahlen.<br />

263<br />

Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 167 f., 570.


Bei den Etatberatungen Ende April 1932 zeigte der Haushaltsentwurf ein „Spiegelbild der<br />

Not“. Rosendahl führte aus, dass die Wohlfahrtslasten die gesamten Gemeindefinanzen<br />

überschatteten. Am 1. April standen insgesamt 5.828 „Parteien“ (Haushalte) mit 8.130<br />

Zuschlagsempfängern, also 13.958 Personen, in der Betreuung des Wohlfahrtsamtes.<br />

Dazu kamen 2.775 Parteien Alu-, Kru- und Sonderunterstützungsempfänger mit 4.505<br />

Zuschlagsempfängern, insgesamt 7.280 Personen. Somit war jeder zehnte arbeitsfähige<br />

<strong>Koblenz</strong>er wohlfahrtserwerbslos, fast jeder siebte arbeitsfähige erwerbslos. Mehr als jeder<br />

62<br />

Dritte, nämlich 21.238 <strong>Koblenz</strong>er, lebte von der öffentlichen Fürsorge. Zwar wurde der Etat<br />

mit den St<strong>im</strong>men von Zentrum, Bürgerblock und Beamtenfraktion angenommen, doch<br />

gegen die St<strong>im</strong>me des Oberbürgermeisters lehnte die Stadtverordnetenversammlung die<br />

Deckungsvorlage geschlossen ab. Dabei kritisierten alle Redner die Finanzpolitik von Reich<br />

und Staat, die die Gemeinden in ihre schwere Finanzkrise getrieben habe und durch<br />

zwangsweise Steuererhöhungen 264 Bürger und Wirtschaft überlaste. 265<br />

Anfang Mai 1932 st<strong>im</strong>mte der Wohlfahrtsausschuss den Plänen der Verwaltung zu, die<br />

Wohlfahrtserwerbslosen stärker als bisher zu den 1930 eingeführten Pflichtarbeiten 266<br />

heranzuziehen. 267 <strong>Die</strong> Umsetzung dieser Maßnahme gestaltete sich schwierig. Sie stieß<br />

bei den Betroffenen auf Widerstand, noch <strong>im</strong> Mai kam es sogar zu einem Streik der<br />

Pflichtarbeiter. <strong>Die</strong> Pflichtarbeit wurde daraufhin bei gleichen Bedingungen auf freiwillige<br />

Arbeit umgestellt, worauf sich die Zahl der Arbeiter sogar erhöhte. 268<br />

In den beiden Reichstagswahlkämpfen des Jahres 1932 kam wieder Parteiprominenz nach<br />

<strong>Koblenz</strong>: Am 14. Juli 1932 sprach Dr. Joseph Goebbels in der Stadthalle und anschließend in<br />

der Rheinhalle. Seine Rede wurde mit „stürmischem Beifall aufgenommen“. 269 Eine<br />

Wahlveranstaltung mit Reichstagspräsident und „Fliegerhauptmann“ Hermann Göring fand<br />

am 22. Oktober 1932 in der wiederum überfüllten Rheinhalle statt. 270 Bei den Juliwahlen<br />

konnte sich das Zentrum etwas erholen, die NSDAP behielt aber trotz leichter<br />

264 Beispiel: Ende 1930 verfügte der Regierungspräsident die Erhöhung der Realsteuern. <strong>Die</strong> Einführung einer<br />

Getränkesteuer und Verdoppelung der Gemeindebiersteuer lehnten die Stadtverordneten ab; StAK 623 Nr. 5996,<br />

S. 324-326.<br />

265 StAK 623 Nr. 7214, S. 123-126; KGA, 29.4.1932: <strong>Die</strong> Etatsberatung [sic] in <strong>Koblenz</strong> (Zitat).<br />

266 <strong>Die</strong> Pflichtarbeit war durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 30.7.1930 eingeführt worden;<br />

StAK 623 Nr. 5996, S. 279 f. Der Wohlfahrtsausschuss sprach sich am 14.11.1930 dafür aus, die Pflichtarbeit<br />

solle nur „bei tatsächlich unwirtschaftlichen und arbeitsscheuen Elementen angewandt werden“; ebd. Nr. 5902,<br />

S. 92.<br />

267 StAK 623 Nr. 5902, S. 112 f. Vorgesehen waren 16 Wochenstunden gegen eine Zulage von 0,10 RM pro<br />

Arbeitsstunde, die der Ausschuss durchsetzte. <strong>Die</strong> Zentrums-Stadtverordnete Berta Schwarz schlug die<br />

Ausweitung der Pflichtarbeit auf Frauen vor.<br />

268 StAK 623 Nr. 5902, S. 119. Auch in anderen Orten war die Pflichtarbeit nicht durchsetzbar. In München z. B.<br />

wurde sie <strong>im</strong> Juli 1929 eingeführt und ein Jahr später wieder abgeschafft wurde. Claudia Brunner:<br />

„Fürsorgeausnützer wurden ausgemerzt“. <strong>Die</strong> Sozialpolitik des Münchner Wohlfahrtsamtes am Ende der<br />

We<strong>im</strong>arer Republik und in der frühen NS-Zeit. In: Christoph <strong>Die</strong>ckmann u. a. (Hg.): „Durchschnittstäter“.<br />

Handeln und Motivation (Beiträge zur Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong> 16). Berlin 2000, S. 53-72, hier S. 54.<br />

269 KGA, 15.7.1932: Goebbels spricht in <strong>Koblenz</strong>.<br />

270 KGA, 23.10.1932: Wahlkundgebung der NSDAP in <strong>Koblenz</strong>.


63<br />

St<strong>im</strong>menverluste klar die Oberhand. Doch bei den Novemberwahlen wendete sich das Blatt,<br />

die NSDAP büßte St<strong>im</strong>men ein und musste dem Zentrum wieder die führende Stellung<br />

einräumen. Gleichzeitig konnten aber die republikfeindlichen Parteien am rechten und linken<br />

Rand, DNVP und KPD, je ca. 2 % mehr St<strong>im</strong>men gewinnen, während die liberalen Parteien<br />

(DVP, DStP) in <strong>Koblenz</strong> wie <strong>im</strong> Reich inzwischen bedeutungslos waren. 271<br />

Tabelle 4: <strong>Koblenz</strong>er Wählerst<strong>im</strong>men (absolut) für KPD, SPD, Zentrum und NSDAP 272<br />

KPD SPD Zentrum NSDAP<br />

Nationalverslg. 19.01.1919 - 5.378 14.606 -<br />

Landesverslg. 26.01.1919 - 4.623 13.618 -<br />

1. Kommune 16.11.1919 - 4.707 7.841 273 -<br />

1. Reichstag 06.06.1920 - 4.319 10.880 -<br />

1. Landtag 20.02.1921 317 4.379 11.147 -<br />

2. Reichstag 04.05.1924 1.842 2.617 11.612 (702 274 )<br />

2. Kommune 04.05.1924 1.470 2.408 10.160 275 -<br />

3. Reichstag 07.12.1924 1.264 3.752 12.092 -<br />

2. Landtag 07.12.1924 1.269 3.767 12.131 (149 276 )<br />

4. Reichstag 20.05.1928 1.612 3.551 9.371 2.700<br />

3. Landtag 20.05.1928 1.606 3.520 9.259 2.676<br />

3. Kommune 17.11.1929 1.204 2.475 7.850 4.257<br />

5. Reichstag 14.09.1930 2.894 3.785 12.049 9.043<br />

4. Landtag 24.04.1932 2.658 3.499 11.740 13.903<br />

6. Reichstag 31.07.1932 3.114 3.983 12.556 13.319<br />

7. Reichstag 06.11.1932 3.810 3.870 11.930 11.336<br />

271<br />

Zum Wahlverhalten und -ergebnissen 1924 bis 1932 vgl. Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 166-169, 570.<br />

272<br />

Brunhilde Mohr-Severin: Zur Arbeiterbewegung <strong>im</strong> Raum <strong>Koblenz</strong>-Mayen-Andernach 1919-1933 und ihren<br />

sozialökonomischen Voraussetzungen. In: JbwestdtLG 10 (1984), S. 215-250, hier S. 245; für die Wahl zur<br />

preußischen Landesversammlung KVZ, 28.1.1919; für die Kommunalwahl 1919 KVZ, 18.11.1919; für die<br />

Kommunalwahl 1924 KVZ, 5.5.1924; für die Landtagswahl 1924 KGA, 8.12.1924; für die Landtagswahl 1928<br />

KGA, 21.5.1928; für die Märzwahlen 1933 KGA, 6.3.1933; KGA, 13.3.1933; KGA, 14.3.1933 (dort Korrektur<br />

der am 13.3. veröffentlichten Zentrumsst<strong>im</strong>men); KVZ, 14.3.1933.<br />

273<br />

<strong>Die</strong> ebenfalls dem katholischen Lager zuzurechnende „Greber-Partei“ des Pfarrers Greber erzielte 3.750<br />

St<strong>im</strong>men; KVZ, 18.11.1919.<br />

274<br />

St<strong>im</strong>men für den „Völkisch-Sozialen Block“, eine „Tarnorganisation der NSDAP während des Verbots der<br />

Partei in Preußen (16. Januar 1922 bis 7. Januar 1925), die trotz der französischen Besatzung agitieren konnte“;<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 517. Vgl. Jürgen W. Falter u. a.: Wahlen und Abst<strong>im</strong>mungen in der We<strong>im</strong>arer<br />

Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933 (Statistische Arbeitsbücher zur neueren deutschen<br />

Geschichte). München 1986, S. 39, 43.<br />

275<br />

<strong>Die</strong> Freie Bürgervereinigung des Pfarrers Greber („Greber-Liste“) erhielt 1.928 St<strong>im</strong>men; KVZ, 5.5.1924.<br />

276<br />

St<strong>im</strong>men für die „Nationalsozialistische Freiheitspartei“, eine kurzzeitig während des NSDAP-Verbots<br />

agierende Partei, die für die Landtagswahl eine Liste eingereicht hatte; KGA, 8.12.1924.


64<br />

Tabelle 5: <strong>Koblenz</strong>er Wahlergebnisse und -beteiligung in Prozent (in Klammern: Reich bzw.<br />

Preußen) für KPD, SPD, DStP, Z, DVP, DNVP und NSDAP 1930-1932 277<br />

Reichstag<br />

09/1930<br />

Landtag<br />

04/1932<br />

Reichstag<br />

07/1932<br />

Reichstag<br />

11/1932<br />

Wahlbeteilig.<br />

82<br />

(82)<br />

80<br />

(82)<br />

83<br />

(84)<br />

80<br />

(81)<br />

KPD SPD DStP Z DVP DNVP NSDAP<br />

8,3<br />

(13,1)<br />

7,5<br />

(12,8)<br />

8,6<br />

(14,3)<br />

10,8<br />

(16,9)<br />

10,9<br />

(24,5)<br />

9,9<br />

(21,2)<br />

11,1<br />

(21,6)<br />

11,0<br />

(20,4)<br />

3,2<br />

(3,8)<br />

1,0<br />

(1,5)<br />

0,4<br />

(1,0)<br />

0,4<br />

(1,0)<br />

34,6<br />

(14,8)<br />

33,1<br />

(15,3)<br />

34,8<br />

(15,7)<br />

33,9<br />

(15,0)<br />

5,6<br />

(4,5)<br />

2,5<br />

(1,5)<br />

1,4<br />

(1,2)<br />

2,7<br />

(1,9)<br />

4,5<br />

(7,0)<br />

4,4<br />

(6,9)<br />

5,7<br />

(5,9)<br />

7,6<br />

(8,9)<br />

Zur Belebung der he<strong>im</strong>ischen Wirtschaft organisierte die „Mittelrheinische Arbeits-<br />

gemeinschaft ‚Deutsche Woche’“ unter Vorsitz des Oberbürgermeisters und der<br />

26,0<br />

(18,3)<br />

39,2<br />

(36,3)<br />

37,0<br />

(37,3)<br />

32,2<br />

(33,1)<br />

Geschäftsführung des städtischen Verkehrsamtes eine Werbewoche für deutsche Produkte.<br />

<strong>Die</strong> von zahlreichen Verbänden, Vereinen und Institutionen getragene Veranstaltung zeigte<br />

vom 11. bis 20. November 1932 unter dem Motto „Kauft deutsche Ware und Ihr schafft<br />

Arbeit und Brot“ eine Leistungsschau regionaler Hersteller und Händler. 278 Im Begleit-<br />

programm war <strong>im</strong> Casino erstmals eine vom Leiter des städtischen Presse- und Statistischen<br />

Amtes, Dr. phil. Hans Bellinghausen, konzipierte Ausstellung über „Kriegsende, Besatzungs-<br />

und Separatistenzeit“ zu sehen, die „<strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Kampf um sein Deutschtum“ zeigte. 279<br />

Am 7. Dezember 1932 tagte die Stadtverordnetenversammlung zum letzten Mal unter dem<br />

Vorsitz von Rosendahl. Das Protokoll schließt be<strong>im</strong> letzten Punkt der Tagesordnung, einer<br />

Kreditverlängerung, mit den geradezu symptomatischen Worten: „<strong>Die</strong> N.S.D.A.P. st<strong>im</strong>mte<br />

dagegen.“ 280 Ende 1932 schürte die wirtschaftliche Not soziale Unruhen bzw. ging mit<br />

politisch motivierten Ausschreitungen Hand in Hand. Kommunisten und ihren<br />

Sympathisanten gelang es, am Abend des 20. Dezember 1932 eine Hungerdemonstration vor<br />

dem Rathaus anzuzetteln, an der sich 150 bis 200 Personen beteiligten. Nach Darstellung<br />

von Polizeipräsident Biesten dienten die tumultartigen Ausschreitungen jedoch nur als<br />

Ablenkungsmanöver, um die Polizei am Einschreiten bei den anschließenden Plünderungen<br />

277 KGA, 15.9.1930: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 25.4.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 1.8.1932: <strong>Die</strong> Wahl in<br />

<strong>Koblenz</strong>; KGA, 7.11.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Die</strong> Zahlen für das Reich (be<strong>im</strong> Zentrum inkl. BVP) bzw. für<br />

Preußen vgl. Broszat/Frei (Hg.): Das Dritte Reich <strong>im</strong> Überblick. S. 196 f.<br />

278 StAK 623 Nr. 5658, S. 58-73; KGA, 11.11.1932: Deutsche Woche in <strong>Koblenz</strong>; ebd. Nr. 269, 21.11.1932:<br />

‚Deutsche Woche’ beendet. Beteiligt war auch der Jüdische Frauenbund <strong>Koblenz</strong>; StAK 623 Nr. 5658, S. 59.<br />

279 KGA, 14.11.1932: <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Kampf um sein Deutschtum. Vgl. VB 1933-1937, S. 70 f.<br />

280 StAK 623 Nr. 7214, S. 197.


in einigen Lebensmittelgeschäften zu hindern. Schon am Vortag war es zu einigen<br />

Ladendiebstählen gekommen. 281<br />

Auch in der <strong>Koblenz</strong>er Verwaltung griff wie in anderen Kommunen eine „tiefgreifende<br />

65<br />

Erbitterung gegenüber dem Reich“ um sich, da man sich angesichts der Finanzmisere mit <strong>im</strong><br />

Grunde nationalen Problemen allein gelassen fühlte. 282 Rosendahl appellierte am 31. Januar<br />

1933 an den Regierungspräsidenten, sich für eine Änderung des „ganz unerträglich[en]“<br />

Verteilungsschlüssels der Reichswohlfahrtshilfe einzusetzen, um die es zwischen den Städten<br />

einen regelrechten Verteilungskampf gab. Anhand umfangreichen Zahlen- und<br />

Vergleichmaterials legte er die Ungerechtigkeit des Systems dar und bestritt dabei – wie<br />

bereits in seiner Etatrede 1932 – beschönigende Angaben des Reichsfinanzministers, der<br />

sogar von sanierten Gemeindehaushalten gesprochen hatte. Laut Rosendahl betrug am<br />

15. Oktober 1932 der Anteil der Alu- und Kru-Empfänger 2,66 % der Einwohner (absolut<br />

1.596), während er für den Arbeitsamtsbezirk <strong>Koblenz</strong> (d. h. Kreis <strong>Koblenz</strong>) nur bei 2,16 %<br />

lag. <strong>Die</strong> Zahl der Arbeitssuchenden von 9.721 Personen am 31. August 1932 entsprach<br />

16,2 % der Einwohner, <strong>im</strong> Arbeitsamtsbezirk <strong>Koblenz</strong> waren es nur 8,52 %. <strong>Die</strong> Zahl der<br />

Wohlfahrtserwerbslosen stieg ständig: von 4.565 Ende Oktober 1932 auf 4.993 Ende Januar<br />

1933. Im Armenstamm betreute das Wohlfahrtsamt zum 31. Dezember 1932 917 Parteien<br />

Hauptunterstützte und 970 Zuschlagsempfänger. <strong>Die</strong> Personendurchschnittszahl pro Partei lag<br />

in Köln, <strong>Koblenz</strong> und Trier mit 2,3 bis 2,5 Personen weit höher als in anderen Städten (Berlin<br />

1,6; Essen und Oberhausen 2; Duisburg 2,1). In der Stadt erfolgte die Steuereintreibung<br />

schärfer als auf dem Land, dagegen hatten die Erwerbslosen dort niedrigere Lebens-<br />

haltungskosten 283 . Seit 1931 betrug der Zuschussbedarf des Wohlfahrtsamtes mehr als die<br />

Hälfte des städtischen Haushalts; die Fürsorgelasten waren seit 1914 von 3,40 RM pro Kopf<br />

der Bevölkerung auf 65 RM gestiegen. 284<br />

Während Rosendahl sich um eine künftige wirtschaftliche Besserstellung von <strong>Koblenz</strong><br />

bemühte, waren in Berlin tags zuvor ganz andere Entscheidungen gefallen: Adolf Hitler war<br />

am 30. Januar 1933 Reichskanzler geworden.<br />

281<br />

StAK 623 Nr. 7061; KGA, 20.12.1932: Ladendiebstähle in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 21.12.1932: Zu den<br />

Ausschreitungen von <strong>Koblenz</strong>.<br />

282<br />

Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 203.<br />

283<br />

Der <strong>Koblenz</strong>er Ortsindex für die Lebenshaltungskosten lag Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre um ca.<br />

30 % über dem Reichsindex, d. h. die Lebenshaltung war in <strong>Koblenz</strong> teurer. Gleichzeitig bewegten sich die<br />

Fürsorgesätze <strong>im</strong> Durchschnitt jeweils um einige RM unter denen, die in den von Weiß untersuchten rheinischen<br />

Großstädten gezahlt wurden. StAK 623 Nr. 5645, S. 54 f.; ebd. Nr. 6110; Weiß: Rheinische Großstädte, S. 241,<br />

Tabelle 41.<br />

284<br />

StAK 623 Nr. 5645, S. 67-78, Zitat S. 76; zu den einzelnen Beihilfeanträgen vgl. auch ebd. Nr. 5842. Vgl.<br />

Weiß: Rheinische Großstädte, S. 159-161. Außerdem griffen die Bedingungen der Reichswohlfahrtshilfe in die<br />

Finanzautonomie der Kommunen ein.


66<br />

4 Machtergreifung und -konsolidierung<br />

4.1 Machtergreifung und politische Säuberung<br />

4.1.1 Machtergreifung am 30. Januar 1933 und Reichstagswahlen<br />

am 5. März 1933<br />

<strong>Die</strong> Kanzlerschaft Hitlers bot der örtlichen NSDAP Anlass für eine große öffentliche<br />

Kundgebung in den Abendstunden des 30. Januar 1933. Mit dem der Partei eigenen Gespür<br />

für st<strong>im</strong>mungsvolle Inszenierungen sollten sich derartige Kundgebungen mit Aufmärschen,<br />

Musikkapellen, Fahnen, Ansprachen, Horst-Wessel-Lied und Heil-Rufen ab sofort <strong>im</strong>mer<br />

wieder ähnlich abspielen. Ort des Geschehens war dieses Mal das Deutsche Eck. <strong>Die</strong><br />

anhaltende Kältewelle, die für massiven Eisgang auf Rhein und Mosel gesorgt hatte, 1 war<br />

etwas abgeflaut. Es sprachen Gauleiter S<strong>im</strong>on und der NSDAP-Landtagsabgeordnete<br />

Wilhelm („Willy“) Struve 2 , eingefunden hatte sich eine „unübersehbare Zahl von<br />

Teilnehmern“. Während S<strong>im</strong>on die Tilgung der „Novemberschmach“ feierte, hörte man den<br />

Lärm einer Gegenkundgebung 3 . Der Redner ging darauf mit einer unverhohlenen Drohung<br />

ein: „Adolf Hitler könne niemand mehr wegdrängen […] und wer sich in den Weg stelle,<br />

der werde vernichtet.“ 4<br />

Auf die Nachricht von einem Kabinett unter Reichskanzler Adolf Hitler reagierte der<br />

Kommentator des General-Anzeigers am folgenden Tag recht gelassen. Überraschen könne<br />

die Zusammensetzung der neuen Regierung nicht, führende Wirtschaftskreise und die Börse<br />

hätten positiv reagiert. 5 <strong>Die</strong> zentrumsnahe Volkszeitung räumte der nationalsozialistischen<br />

Freudenkundgebung nur knappe sieben Zeilen ein. Es sei anlässlich des „Umzuges einer<br />

politischen Organisation“ am Vorabend zu geringfügigen Störungen gekommen. 6 Am Abend<br />

des 31. Januar gab es dann eine von Polizeikräften begleitete Demonstration der<br />

Kommunisten. Als lautstark zum Sturz der Regierung aufgefordert wurde, löste die Polizei<br />

den Zug unter Einsatz von Gummiknüppeln auf, es kam zu Festnahmen wegen Widerstands. 7<br />

1<br />

KVZ, 30.1.1933: In den Eisbezirken.<br />

2<br />

LHAKo Best. 463 Nr. 113 und 114; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 24, 27, 84, 467 f.;<br />

Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 773 f.; Petra Weiß: Das Amt für<br />

Kommunalpolitik des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier und sein Leiter Wilhelm Struve. In: JbwestdtLG 37 (2011), S. 395-<br />

412, hier S. 398-405.<br />

3<br />

Dabei handelte es sich wahrscheinlich um Kommunisten. Der Polizeipräsident hatte die für den 30.1. durch<br />

Flugblätter angekündigten „Massendemonstrationen gegen das neue Diktaturkabinett“ allerdings verboten;<br />

KGA, 31.1.1933: Kommunistische Demonstration verboten. Vgl. RW, 31.1.1933: War das auch wirklich<br />

notwendig?<br />

4<br />

KGA, 31.1.1933: Kundgebung der NSDAP (Zitate); ebd.: Winter ade!<br />

5<br />

KGA, 31.1.1933: Kabinett Hitler; ebd.: Politik vom Tage [Kommentar].<br />

6<br />

KVZ, 31.1.1933: <strong>Die</strong> Polizei meldet.<br />

7<br />

KGA, 1.2.1933: Auflösung eines kommunistischen Demonstrationszuges.


67<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er SA sah sich durch die Machtergreifung 8 zur Ausweitung ihres Straßenterrors<br />

ermutigt. Ziele waren insbesondere Einrichtungen der SPD wie die Hauptgeschäftsstelle der<br />

Rheinischen Warte <strong>im</strong> Ebert-Haus in der Löhrstraße 100, worauf deren Redakteure sich ins<br />

Saarland absetzten. <strong>Die</strong> preußische Regierung verbot am 2. Februar Versammlungen und<br />

Aufzüge der KPD, das Verbot wurde Mitte Februar wiederholt. Am 9. Februar fand eine<br />

Kundgebung der Eisernen Front statt, eine für den 25. Februar geplante Demonstration verbot<br />

der Polizeipräsident wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Auch Wahlveran-<br />

staltungen der SPD wurden schon Mitte Februar nicht mehr genehmigt. 9 An der Spitze des<br />

Polizeipräsidiums hatte es nämlich bereits einen von den Nationalsozialisten freudig<br />

begrüßten Wechsel gegeben: 10 Ihr alter Widersacher, Polizeipräsident Biesten, war am<br />

13. Februar durch den Preußischen Innenminister Hermann Göring zwangsbeurlaubt<br />

worden. 11 Sein kommissarischer Nachfolger wurde Regierungsrat Heinrich Neubaur 12 , bisher<br />

bei der Regierung für die staatliche Polizei zuständig. 13 Neubaur wurde schon Anfang März<br />

versetzt, worauf kommissarisch der vom Oberpräsidium Hannover kommende Regierungsrat<br />

Paul Braschoß die <strong>Die</strong>nstgeschäfte des Polizeipräsidenten übernahm. 14<br />

Während in den späten Abendstunden des 27. Februar 1933 in Berlin der Reichstag brannte,<br />

feierte man in den gut besuchten <strong>Koblenz</strong>er Gaststätten den Rosenmontag. 15 <strong>Die</strong> am nächsten<br />

Tag von Reichspräsident Hindenburg erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat<br />

diente auch <strong>im</strong> Polizeibezirk <strong>Koblenz</strong> als rechtliche Handhabe zur Verfolgung der<br />

Kommunisten. Das Polizeipräsidium gab Anfang März bekannt, „etwa 80 Führer und<br />

Unterführer der KPD in Schutzhaft genommen“ zu haben, außerdem seien Waffen und<br />

Munition beschlagnahmt und ein Verkehrslokal in der Kastorstraße geschlossen worden. 16<br />

Das in der Region verbreitete kommunistische Blatt „Volksst<strong>im</strong>me“ war schon vom 2. bis 15.<br />

Februar verboten gewesen, die vermutlich letzte Ausgabe war am 19./20. Februar 1933<br />

erschienen. 17 Am 2. März drangen SA-Leute in die Redaktionsräume der Volkszeitung ein,<br />

8<br />

Zum Begriff und seiner Verwendung vgl. Norbert Frei: „Machtergreifung“. Anmerkungen zu einem<br />

historischen Begriff. In: VfZ 31 (1983), S. 136-145.<br />

9<br />

Bucher: <strong>Koblenz</strong>, S. 214 f.<br />

10<br />

WB, 14.2.1933: So sahen sie aus!<br />

11<br />

Zur Zwangsbeurlaubung und Entlassung vgl. Hennig: Dr. Ernst Biesten, S. 151-158; Romeyk: Verwaltungs-<br />

und Behördengeschichte, S. 256.<br />

12 * 30.4.1889 Krosigk (Saalekreis), 1925-1933 Regierungsrat in <strong>Koblenz</strong>. NB, 9./10.6.1934: Pg. Neubaur<br />

Vizepolizeipräsident von Berlin.<br />

13 StAK 623 Nr. 6130, S. 139 (dort fälschlich „Dr. Neugebaur“, wahrscheinlich eine Verwechselung mit dem<br />

<strong>Koblenz</strong>er Rechtsanwalt Dr. Neugebauer); KGA, 14.2.1933: Polizeipräsident Dr. Biesten beurlaubt; Bucher:<br />

<strong>Koblenz</strong>, S. 213.<br />

14 KGA, 8.3.1933: Wechsel in der Polizeileitung in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 8.3.1933: Wechsel <strong>im</strong> Polizeipräsidium.<br />

Neubaur wurde Polizeipräsident in Weißenfels/Saale; Wolfgang Benz (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der<br />

nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 2. München 2005, S. 216. Im Juni 1934 wurde Neubaur<br />

Vizepolizeipräsident von Berlin; NB, 9./10.6.1934: Pg. Neubaur Vizepolizeipräsident von Berlin.<br />

15 Aufgrund der wirtschaftlichen Lage fand kein Rosenmontagszug statt, die Operette „Im Weißen Rössl“<br />

brachte dem Stadttheater an den vier Fastnachtstagen einen Rekordbesuch. KGA, 25./26.2.1933: Der Karneval in<br />

<strong>Koblenz</strong>; KGA, 28.2.1933: Rosenmontag in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 8.3.1933: Das Stadttheater <strong>im</strong> Februar.<br />

16 KGA, 4./5.3.1933: <strong>Die</strong> Polizeiaktion in <strong>Koblenz</strong> gegen die Kommunisten.<br />

17 Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 215.


issen Plakate ab und versuchten, den Schreibtisch des Kassierers aufzubrechen. Das<br />

Herbeirufen der Schutzpolizei erwies sich als ebenso wirkungslos wie der Protest des<br />

Zentrums be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten. 18 Am nächsten Tag rief der Zentrumsvorsitzende<br />

Prälat Kaas in der voll besetzten Stadthalle noch einmal zur „Sammlung zur Rettung<br />

Deutschlands“ auf. Als der zwangsbeurlaubte Biesten die Halle betrat, erhob sich ein<br />

68<br />

demonstrativer „Beifallssturm, der dem tapferen Vorkämpfer des politischen Katholizismus<br />

galt“. 19 <strong>Die</strong> Zentrums-Stadtverordnete Helene Rothländer hatte einige Tage vorher, am<br />

24. Februar, auf einer Versammlung vom „preußisch-protestantischen Geist“ gesprochen und<br />

vor einem allmächtigen Staat als Erbe Preußens gewarnt, was zu einer heftigen Leser-<br />

briefdebatte führte, an der sich Geistliche beider Konfessionen beteiligten. 20 Auf der<br />

Wahlkundgebung der NSDAP war bereits am 17. Februar in der überfüllten Stadthalle der<br />

Exilrusse und spätere SS-Standartenführer Gregor Schwartz-Bostunitsch als Redner zum<br />

Thema Bolschewismus aufgetreten. 21<br />

Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 errang die NSDAP 16.822 St<strong>im</strong>men, das entsprach<br />

41,2 % der abgegebenen St<strong>im</strong>men. Bei einer außerordentlich hohen Wahlbeteiligung von<br />

92,5 % hatte das Zentrum nur noch 12.830 St<strong>im</strong>men (31,4 %) auf sich vereinigen können. <strong>Die</strong><br />

absolute Mehrheit hatte die NSDAP zwar auch in <strong>Koblenz</strong> verfehlt, doch zum Erfolg der<br />

Rechten trug das Wahlbündnis Kampffront Schwarz-Weiß-Rot bei, das sich <strong>im</strong> Vergleich zur<br />

Novemberwahl von 1932 auf 8,4 % verbessern konnte. SPD und KPD mussten St<strong>im</strong>men-<br />

verluste von ca. 2 % bzw. 3 % hinnehmen. War schon auf Reichsebene ein erheblicher<br />

Anstieg der Wahlbeteiligung um etwa 8 % <strong>im</strong> Vergleich zur Novemberwahl zu verzeichnen,<br />

so war er in <strong>Koblenz</strong> mit fast 13 % oder absolut 5.590 St<strong>im</strong>men geradezu enorm. 22 Es waren<br />

vor allem die bisherigen Nichtwähler, deren Mobilisierung Hitler gelungen war und die<br />

gerade bei der Märzwahl den „mit Abstand stärksten Beitrag zu den nationalsozialistischen<br />

Wahlerfolgen leisteten.“ 23 Zu diesem Ergebnis kam auch schon die zeitgenössische Analyse<br />

des General-Anzeigers. 24<br />

<strong>Die</strong> NSDAP errang in 38 der 54 Wahlbezirke die Mehrheit, darunter in sämtlichen Bezirken<br />

der linksrheinischen Stadtteile Lützel, Neuendorf und Wallershe<strong>im</strong>. Als einzig verbliebene<br />

Hochburg des Zentrums mit einem deutlichen Vorsprung vor der NSDAP konnte nur noch<br />

Moselweiß gelten, wo das Zentrum 1.089 St<strong>im</strong>men gegenüber 423 für die NSDAP erhielt.<br />

18 KVZ, 2.3.1933: Nationalsozialistische Uebergriffe; Franzen: Im Spiegel der Geschichte, S. 264 f.<br />

19 KVZ, 4./5.3.1933: Nicht Volkszerreißung, sondern Sammlung!<br />

20 Ausführlich dazu Tilman Koops: Selbstbehauptung in der Diaspora. Protestanten und Katholiken in <strong>Koblenz</strong>.<br />

In: Pragmatisch, preußisch, protestantisch … <strong>Die</strong> Evangelische Gemeinde <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Spannungsfeld von<br />

rheinischem Katholizismus und preußischer Kirchenpolitik (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische<br />

Kirchengeschichte 161). Hg. v. Markus Dröge u. a. Bonn 2003, S. 309-337, hier S. 331-333.<br />

21 KGA, 18./19.2.1933: Kundgebung der NSDAP in <strong>Koblenz</strong>.<br />

22 KGA, 6.3.1933: Reichstagswahl in <strong>Koblenz</strong>; eigene Berechnungen.<br />

23 Falter: Hitlers Wähler, S. 115.<br />

24 KGA, 6.3.1933: Politik vom Tage.


69<br />

Nur einen einzigen Wahlbezirk in der Altstadt konnte die KPD für sich entscheiden, während<br />

der Nachbarbezirk wiederum an die NSDAP ging. <strong>Die</strong> Wählerschaft war jedenfalls zwischen<br />

den beiden radikalen Parteien am rechten und linken Rand polarisiert, denn die gemäßigte<br />

SPD konnte keinen Wahlbezirk für sich gewinnen. 25<br />

Tabelle 6: <strong>Koblenz</strong>er Reichstagswahlergebnisse (in Klammern: Reich) für KPD, SPD,<br />

Zentrum, DNVP bzw. Deutscher Block Schwarz-Weiß-Rot 26 und NSDAP 1932-1933 27<br />

Reichstags-<br />

wahl<br />

07/1932<br />

11/1932<br />

03/1933<br />

Wahlbeteiligung<br />

83,5 %<br />

(84,0 %)<br />

80 %<br />

(80,6 %)<br />

92,5 %<br />

(88,7 %)<br />

KPD SPD Zentrum DNVP/<br />

Dt. Block NSDAP<br />

8,6 %<br />

(14,3 %)<br />

10,8 %<br />

(16,9 %)<br />

7,7 %<br />

(12,3 %)<br />

11,1 %<br />

(21,6 %)<br />

11,0 %<br />

(20,4 %)<br />

8,3 %<br />

(18,3 %)<br />

34,8 %<br />

(15,7 %)<br />

33,9 %<br />

(15,0 %)<br />

31,4 %<br />

(13,9 %)<br />

4.1.2 <strong>Die</strong> Hakenkreuzflagge auf dem Rathaus<br />

5,7 %<br />

(5,9 %)<br />

7,6 %<br />

(8,9 %)<br />

8,4 %<br />

(8,0 %)<br />

37,0 %<br />

(37,3 %)<br />

32,2 %<br />

(33,1 %)<br />

41,2 %<br />

(43,9 %)<br />

Wie <strong>im</strong> gesamten Deutschen Reich kam es auch in <strong>Koblenz</strong> in den nächsten Tagen zu<br />

illegalen Hissungen der Hakenkreuzfahne auf öffentlichen Gebäuden. 28 Den Anfang machte<br />

am 7. März das Polizeipräsidium. Für den 8. März wurden weitere Flaggenhissungen<br />

angekündigt: Mittags sollte zuerst auf dem Schloss die Parteiflagge gehisst werden, dann bei<br />

Oberpräsidium und Regierung sowie zuletzt auf dem Rathaus. 29 Der Andrang der<br />

Schaulustigen war groß, den Schulkindern war zur Feier der „geschichtlichen Wende“<br />

schulfrei beschert worden. 30 Das Spektakel begann mit dem von Musikkapellen begleiteten<br />

Aufmarsch der SA-, SS- und Stahlhelm-Kolonnen vor dem Schloss, wo u. a. Regierungs-<br />

präsident Walther von Sybel 31 , Gauleiter S<strong>im</strong>on und der Führer des Stahlhelms 32 die Parade<br />

25<br />

KVZ, 6.3.1933: <strong>Die</strong> Wahlen in <strong>Koblenz</strong>.<br />

26<br />

Auf Reichsebene Kampffront Schwarz-Weiß-Rot.<br />

27<br />

KGA, 1.8.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 7.11.1932: <strong>Die</strong> Wahl in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 6.3.1933:<br />

Reichstagswahl in <strong>Koblenz</strong>; eigene Berechnungen. <strong>Die</strong> Zahlen für das Reich (be<strong>im</strong> Zentrum inkl. BVP) vgl.<br />

Broszat/Frei (Hg.): Das Dritte Reich <strong>im</strong> Überblick, S. 196 f.<br />

28<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 66 f. In Trier war schon am 28.2.1933 auf dem<br />

Hauptmarkt eine Hakenkreuzfahne aufgezogen worden. Der kommissarische Kreisleiter Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer<br />

wiederholte eine gegenüber Oberbürgermeister Dr. Heinrich Weitz ausgesprochene Drohung, die SA werde das<br />

Einziehen der Flagge nicht dulden, am 7.3. auf einer Massenkundgebung. Auf dem Rathaus und dem<br />

Regierungspräsidium wurden die Parteifahnen am 6.3. aufgezogen, am nächsten Tag noch die schwarz-weiß-rote<br />

Fahne daneben gesetzt. Bollmus: Trier und der NS, S. 525.<br />

29<br />

KGA, 8.3.1933: Hakenkreuzfahne auf öffentlichen Gebäuden.<br />

30<br />

KGA, 7.3.1933: Schulfrei am 8. März.<br />

31<br />

* 1883, + 1973, DVP-Mitglied, 1929 Regierungspräsident, 9.5.1933 Versetzung in den einstweiligen<br />

Ruhestand, anschließend Verwaltungsgerichtsdirektor in Wiesbaden. Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und<br />

kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 776 f.<br />

32<br />

Im Oktober 1933 wird Oberstleutnant a. D. Warder, Jesuitenplatz 3, als örtlicher Stahlhelmführer genannt;<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 629. Als Kreisführer ist <strong>im</strong> März/April 1933 Rudolf Spaeter, Brentanostraße,


abnahmen. Dann wurde unter den Klängen des Präsentiermarschs und Abfeuern von<br />

70<br />

Böllerschüssen die Hakenkreuzfahne auf dem Schloss aufgezogen. Auf Hoch-Rufe und das<br />

Horst-Wessel-Lied folgten eine Ansprache von Gaupropagandaleiter Dr. Felix Meyer 33 und<br />

die Nationalhymne. Begleitet von der Zuschauermenge bewegten sich die Formationen dann<br />

zum Oberpräsidium, von dessen Balkon Landtagsabgeordneter Struve eine Rede hielt. Dann<br />

wurden die Hakenkreuzfahne und die schwarz-weiß-rote Fahne gleichzeitig auf den<br />

Gebäuden von Oberpräsidium und Regierung gehisst. 34<br />

Anschließend bewegte sich der Zug durch die Rheinstraße in Richtung Rathaus. Von einem<br />

Balkon <strong>im</strong> ersten Obergeschoss des Hauses Firmungstraße 36 – über den Jesuitenplatz hinweg<br />

dem großen Sitzungssaal gegenüberliegend – sprach der NSDAP-Fraktionsführer Christ zu<br />

der Menge. Oberbürgermeister Rosendahl habe sich noch morgens geweigert, die<br />

Flaggenhissung zuzulassen und der SA den Zutritt zum Rathaus verweigert. Erst mittags habe<br />

er seinen Widerstand aufgegeben, jedoch gegen die Aktion protestiert. Christ hatte Rosendahl<br />

am 7. März telefonisch über die geplante Flaggenhissung informiert. Darauf hatte Rosendahl<br />

erklärt, dass er nach den jüngsten Verordnungen nur die preußische und die städtische Fahne<br />

zulassen könne und das Aufziehen der Parteifahne rechtswidrig sei. <strong>Die</strong>selbe Auskunft gab er<br />

dem Stahlhelmführer. Gleichzeitig musste Rosendahl eingestehen, dass ihm polizeiliche<br />

Unterstützung nicht zur Verfügung stehe. <strong>Die</strong>ses Eingeständnis der eigenen Schwäche wuchs<br />

sich zur faktischen Kapitulation aus, als Rosendahl den städtischen Botenmeister anwies, der<br />

SA die technischen Vorrichtungen für die Flaggenhissung zu erklären. Auch dem Wunsch des<br />

NSDAP-Stadtverordneten Carius, den Parte<strong>im</strong>itgliedern unter den städtischen Bediensteten<br />

die Teilnahme während der <strong>Die</strong>nstzeit zu gestatten, kam Rosendahl nach, offensichtlich in<br />

dem Bemühen, jede unnötige Eskalation von vorneherein zu vermeiden. 35<br />

Während vor dem Rathaus die Kundgebung begann (Abb. 5), befand sich Rosendahl in einer<br />

Besprechung mit Firmenvertretern über den Umbau der Pfaffendorfer Brücke. Zwei SA-<br />

Unterführer kamen ins Sitzungsz<strong>im</strong>mer und forderten ihn auf, an der Kundgebung<br />

teilzunehmen, andernfalls würde er unter Gewaltanwendung dazu gezwungen werden.<br />

Rosendahl lehnte die Teilnahme ab. Kurz darauf erschien Gaupropagandaleiter Meyer<br />

zusammen mit bewaffneten SA-Männern unangemeldet <strong>im</strong> Sitzungsz<strong>im</strong>mer und wiederholte<br />

die Forderung. Als Rosendahl erklärte, er wolle die nationalsozialistische Bewegung nicht<br />

brüskieren, könne aber nicht anders handeln, entgegnete Meyer, jetzt müsse die SA als<br />

Exekutive 36 ihres Amtes walten. Rosendahls Versuch, telefonisch Schutzpolizei anzufordern,<br />

nachweisbar; ebd. Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert); NB, 25.4.1933: <strong>Koblenz</strong> rüstet für den Tag der nationalen<br />

Arbeit.<br />

33 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 350 f.<br />

34 KGA, 9.3.1933: Der Flaggenwechsel in <strong>Koblenz</strong>.<br />

35 KGA, 9.3.1933: Der Flaggenwechsel in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 9.3.1933: Ein unerhörter Vorgang.<br />

36 <strong>Die</strong> Volkszeitung stellte dagegen ausdrücklich fest, es habe sich bei den SA-Leuten nicht um Hilfspolizisten<br />

gehandelt; KVZ, 9.3.1933: Ein unerhörter Vorgang.


verhinderte die SA durch die Besetzung des Telefons. Als die SA tatsächlich Anstalten<br />

machte, ihn mit Gewalt aus seinem <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer zu führen, beugte Rosendahl sich der<br />

71<br />

bewaffneten Übermacht und ging durch den mit weiteren bewaffneten SA-Leuten besetzten<br />

Flur in den großen Sitzungssaal. Dort musste er vom mittleren Fenster aus eine Rede von<br />

Carius 37 „über sich ergehen“ 38 lassen, der ihn scharf angriff und für abgesetzt erklärte bzw.<br />

seine Absetzung forderte. <strong>Die</strong> Bürgerschaft werde bei der Wahl ihr Urteil sprechen, alle<br />

Gegner der NSDAP müssten aus dem Rathaus verschwinden. <strong>Die</strong> Forderung Meyers, sich<br />

öffentlich vor der Menge zu rechtfertigen, lehnte Rosendahl ab. <strong>Die</strong> anschließende<br />

Nationalhymne habe der Oberbürgermeister als „vaterländisch gesinnter und national<br />

eingestellter Staatsbürger und ehemaliger Frontkämpfer (Oberleutnant der Reserve)“<br />

selbstverständlich mitgesungen, betonte die Volkszeitung. Währenddessen wollten zwei SA-<br />

Männer die zurückgebliebenen Sitzungsteilnehmer zur Angabe ihrer Namen zwingen, was<br />

diese aber empört ablehnten. Als es hieß, Schutzpolizei sei unterwegs, verschwand die SA.<br />

Rosendahl legte be<strong>im</strong> Preußischen Innenminister schärfsten Protest 39 gegen die ent-<br />

würdigende Behandlung ein und gab eine amtliche Presseerklärung 40 heraus. <strong>Die</strong><br />

Volkszeitung berichtete unter dem Titel „Ein unerhörter Vorgang“, die <strong>Koblenz</strong>er hätten<br />

mit „Entrüstung“ reagiert, was in Bezug auf weite Bevölkerungsteile allerdings eine<br />

Wunschvorstellung war, 41 wie der nächste Wahlsonntag zeigen sollte. Der General-Anzeiger<br />

veröffentlichte zwar ebenfalls die Erklärung Rosendahls <strong>im</strong> vollen Wortlaut, erwähnte aber in<br />

seiner Berichterstattung die Gewaltandrohung der SA mit keiner Silbe, sondern rechtfertigte<br />

das Herbeiholen des Oberbürgermeisters mit entsprechenden Rufen aus der Menge. 42<br />

Es war ganz offensichtlich geworden, dass Rosendahl politisch schwer angeschlagen und<br />

– wie die Mehrzahl seiner Amtskollegen, darunter die von Trier und Köln, 43 – praktisch ohne<br />

Rückendeckung von oben war, denn der Regierungspräsident hatte die Inszenierung mit<br />

seiner Anwesenheit beehrt, der kommissarische Polizeipräsident die Flaggenhissung schon<br />

am Vortag zugelassen. Der symbolische, sorgfältig inszenierte Propagandaakt nahm die<br />

politischen Ereignisse der nächsten Tage nur vorweg: <strong>Die</strong> Partei ergriff Besitz vom Rathaus.<br />

37<br />

Carius’ ältester Enkel entschuldigte sich <strong>im</strong> März 2003 öffentlich bei der <strong>Koblenz</strong>er Bürgerschaft und der<br />

CDU als Nachfolgepartei des Zentrums für das Vorgehen seines Großvaters; RZ, 8./9.3.2003.<br />

38<br />

KGA, 9.3.1933: Eine Erklärung des Oberbürgermeisters; KVZ, 9.3.1933: Erklärung des Oberbürgermeisters.<br />

39<br />

Wirtz gab 1959 an, er habe die Beschwerde verfasst und deswegen jeden Tag mit seiner Entlassung gerechnet;<br />

StAK 623 Nr. 2619, S. 124.<br />

40<br />

KGA, 9.3.1933: Eine Erklärung des Oberbürgermeisters; KVZ, 9.3.1933: Erklärung des Oberbürgermeisters.<br />

41<br />

Ein Zeitzeuge erinnerte sich 1993 an den überfüllten Jesuitenplatz und den Beifall der Menschenmenge. RZ,<br />

23.4.1993: Vergangenheit unbewältigt (Leserbrief).<br />

42<br />

KGA, 9.3.1933: Der Flaggenwechsel in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 9.3.1933: Ein unerhörter Vorgang (Zitate). <strong>Die</strong><br />

Darstellungen der beiden Blätter zu den Vorgängen <strong>im</strong> und am Rathaus weichen in Details voneinander ab,<br />

wobei die KVZ wesentlich ausführlicher berichtet, als Redner aber nur Carius erwähnt. Vgl. NB, Ausgabe Trier,<br />

9.3.1933: „Herr Dr. Rosendahl, Sie sind entlassen!“<br />

43<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 45 f.; Morsey: Adenauer und der <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 462 f.


72<br />

4.1.3 <strong>Die</strong> Stadtverordnetenwahlen vom 12. März 1933<br />

Am Abend des 10. März kamen die Flaggenhissungen zu ihrem Abschluss und Höhepunkt,<br />

als die Hakenkreuzfahne und die schwarz-weiß-rote Fahne auf der Festung Ehrenbreitstein<br />

aufgezogen wurden. 44 Der Symbolgehalt dieser Zeremonie war für jeden national oder auch<br />

nur lokalpatriotisch gesinnten Bürger der Stadt kaum hoch genug zu veranschlagen. Jahrelang<br />

hatten an derselben Stelle erst das Sternenbanner und dann die Trikolore geweht. Das<br />

Einholen der französischen Flagge und der Abzug der letzten Besatzungstruppen waren am<br />

30. November 1929 Grund zu riesigem Jubel der Bevölkerung gewesen. 45 Viermal war es<br />

Nationalsozialisten vor 1933 gelungen, den Felsen bei Nacht und Nebel mit großen weißen<br />

Hakenkreuzen zu bemalen. 46 Jetzt wehte die Parteifahne weithin sichtbar über der Stadt und<br />

hielt so symbolisch die „Wacht am Rhein“. <strong>Die</strong> Kreisleitungen von <strong>Koblenz</strong>-Stadt und -Land<br />

gestalteten das Programm am Deutschen Eck, wo die vaterländischen Verbände<br />

aufmarschierten. Außer den Führern von Partei und Stahlhelm nahmen u. a. wieder<br />

Regierungspräsident von Sybel, Oberregierungsrat Flach als Vertreter des Oberpräsidenten,<br />

Oberregierungsrat Hans Freiherr von Kirchbach und der kommissarische Polizeipräsident<br />

Braschoß teil. Als auf der beleuchteten Festung die beiden Fahnen gehisst wurden, spielte die<br />

Kapelle der Schutzpolizei einträchtig mit den Kapellen von SA und Stahlhelm. Auch diese<br />

Veranstaltung erfreute sich „überaus großer Beteiligung der Bürgerschaft“. 47<br />

Am selben Abend fanden drei große, gut besuchte Wahlversammlungen für die<br />

bevorstehenden Stadtverordnetenwahlen statt. Auf der Kandidatenliste des Deutschen Blocks<br />

Schwarz-Weiß-Rot, der ins Evangelische Gemeindehaus eingeladen hatte, fanden sich die<br />

städtischen Beamten Dr. Walter Petri auf Platz 1, Josef Z<strong>im</strong>mermann auf Platz 9 und Karl<br />

Trampp auf Platz 12. 48 <strong>Die</strong> NSDAP tagte in der Gaststätte „Burg Hohenzollern“ 49 . Sie hatte<br />

eine Liste mit 44 Kandidaten aufstellen können, die von Christ angeführt wurde. Auf dem<br />

aussichtsreichen fünften Platz kandidierte der Diplom-Gartenbauinspektor Walter Frischling<br />

44<br />

KGA, 10.3.1933: Flaggenhissung auf der Festung Ehrenbreitstein; KGA, 11./12.3.1933: Vaterländische<br />

Kundgebung am Deutschen Eck.<br />

45<br />

Zur Feier der „Befreiungsstunde“ am 30.11.1929 vgl. Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 159 f. <strong>Die</strong><br />

Amerikaner wählten am 6.4.1945 bewusst wieder die Festung Ehrenbreitstein als Ort für eine Siegesfeier mit<br />

großer Flaggenzeremonie. Dabei wählten sie für dieselbe amerikanische Flagge, die 1923 eingeholt und eigens<br />

wieder eingeflogen worden war, zunächst einen falschen Standort, sodass sie vom Tal aus nicht gut gesehen<br />

werden konnte. Petra Weiß: <strong>Die</strong> Festung Ehrenbreitstein in den 1940er Jahren. In: Neue Forschungen zur<br />

Festung <strong>Koblenz</strong> und Ehrenbreitstein. Bd. 2. Hg. v. Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz und der<br />

Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung. Regensburg 2006, S. 149-225, hier S. 158 f.<br />

46<br />

<strong>Die</strong> erste Aktion fand in der Nacht zum 19.6.1927 statt; KVZ, 21.6.1927: Ein „armes Kind“; StAK FA4 Nr.<br />

30, Bd. 4, Bilder 95a-c, 96a-d. Mitglieder der Arenberger NSDAP-Ortsgruppe, darunter der spätere NB-<br />

Verlagsleiter Georg Schmidt, NB-Vertriebsleiter Toni Fey und HJ-Gebietsführer Rolf Karbach, waren bei den<br />

drei nächsten Aktionen 1929 und 1931 beteiligt; NB, 23.1.1936: Ewiges Mahnmal auf altem Gestein.<br />

47<br />

KGA, 11./12.3.1933: Vaterländische Kundgebung am Deutschen Eck.<br />

48<br />

KGA, 25./26.2.1933: Der Aufmarsch der Parteien zur Stadtratswahl; KGA, 7.3.1933: Bekanntmachung<br />

betreffend die am 12. März 1933 stattfindende Stadtverordnetenwahl.<br />

49<br />

Hohenzollernstraße 130, Inhaber war Martin Micus. Eine Ansichtskarte des Lokals zeigt außer dem<br />

Schankraum einen mit Hakenkreuzfahnen und Hitlerporträt geschmückten Versammlungsraum. StAK FA4 Nr.<br />

27, Bd. 10, Bild 118.


73<br />

von der städtischen Friedhofsverwaltung. An letzter Stelle stand Gauleiter S<strong>im</strong>on, der also<br />

kein Interesse an einer Wiederwahl zeigte, die Liste an sich aber „überprüft und gebilligt“ 50<br />

hatte. 51 Kreispropagandaleiter Wilhelm Michels, selbst auf Platz 4, forderte eine Säuberung<br />

unter den Kommunalbeamten. Christ lastete der schwarz-roten Mehrheit und dem<br />

Bürgerblock <strong>im</strong> Stadtparlament an, die Stadt <strong>im</strong>mer tiefer in ein Verschuldungselend geführt<br />

zu haben. Ziel der künftigen Kommunalpolitik müsse sein, die Vetternwirtschaft zu beenden<br />

und eine „anständige Wirtschaft“ aufzubauen. <strong>Die</strong> acht NSDAP-Stadtverordneten hätten<br />

bisher „eine Zeit harter und ernster Tätigkeit“ in der Kleinarbeit der Ausschüsse absolviert –<br />

ein typisches Propagandabild vom rastlos für das Gemeinwohl sich aufopfernden Arbeiters,<br />

das man, angefangen vom Führer bis zum kleinsten Funktionär, gerne von sich zeichnete. 52<br />

Für das Zentrum warben <strong>im</strong> Görresbau des Katholischen Lesevereins Georg Loenartz und<br />

Prälat Professor Robert Schmitt 53 . Scharf verurteilte der Fraktionsführer die dem<br />

Stadtoberhaupt zugefügte „ungeheuerliche[n] Schmach“, die durch die Staatsgewalt gesühnt<br />

werden müsse. Alle dem Zentrum angehörenden Beamten missbilligten das Vorgehen gegen<br />

Rosendahl, dessen Grüße die Versammlung mit „begeistertem Jubel“ entgegennahm. 54 <strong>Die</strong><br />

Volkszeitung überging die beiden anderen Wahlkundgebungen. In ihrem politischen<br />

Kommentar sprach sie sich für die Selbstverwaltung <strong>im</strong> Sinne des Freiherrn vom Stein und<br />

gegen die Rückkehr zum alten Obrigkeitsstaat aus. Ein weiterer Artikel beschwor den<br />

Selbstbehauptungswillen der Katholiken und des Zentrums. 55 Das Resultat dieses<br />

Aufbegehrens gegen den sich abzeichnenden Machtwechsel präsentierte sich den Lesern am<br />

11. März in einer einzigen fetten Schlagzeile: „Verboten! Das Erscheinen der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Volks-Zeitung ist mit Wirkung vom 11. bis zum 13.3.1933 verboten worden.“ 56<br />

Der Wahlsonntag war ein „außergewöhnlich herrliche[r] Frühlingstag“. Er fiel mit dem<br />

Volkstrauertag zusammen, sodass außerdem verschiedene Gefallenenehrungen und<br />

Gedenkfeiern stattfanden. 57 <strong>Die</strong> Kommunalwahl endete mit einem deutlichen Rechtsruck: <strong>Die</strong><br />

NSDAP wurde mit Abstand stärkste Partei mit 14.335 St<strong>im</strong>men (42,0 %) vor dem Zentrum<br />

mit 11.771 St<strong>im</strong>men (34,3 %). <strong>Die</strong> absolute Mehrheit der Rechten wurde komplettiert durch<br />

den Erfolg des Deutschen Blocks Schwarz-Weiß-Rot, der 3.664 St<strong>im</strong>men (10,7 %) erhielt und<br />

50 BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: S<strong>im</strong>on vom 15.8.1934. Erst später sei eine<br />

Vorstrafe des Kandidaten Paul Saling bekannt geworden.<br />

51 KGA, 7.3.1933: Bekanntmachung betreffend die am 12. März 1933 stattfindende Stadtverordnetenwahl. Nur<br />

das Zentrum hatte mehr Kandidaten, nämlich 46. Frischling hatte den Parteieintritt am 1.6.1932 beantragt,<br />

obwohl die NSDAP-Mitgliedschaft preußischen Beamten zu diesem Zeitpunkt noch verboten war; BArch (ehem.<br />

BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Frischling vom 3.2.1934; StAK 623 Nr. 3869, S. 217-220.<br />

52 KGA, 10.3.1933: Kundgebungen zu den Kommunalwahlen in <strong>Koblenz</strong>.<br />

53 Oberstudienrat am Kaiserin-Augusta-Gymnasium, + 10.9.1936 Berlin; NB, 15.9.1936: Nachruf.<br />

54 KVZ, 10.3.1933: Alle Kräfte für Sonntag mobil! Der General-Anzeiger gab in seinem Bericht Loenartz’ Kritik<br />

zwar <strong>im</strong> Wesentlichen wieder, allerdings deutlich kürzer; KGA, 10.3.1933: Kundgebungen zu den<br />

Kommunalwahlen in <strong>Koblenz</strong>.<br />

55 KVZ, 10.3.1933: Für freie Selbstverwaltung!; ebd.: Schachmatt setzen gibt es nicht!<br />

56 KVZ, 11./12.3.1933: Verboten! (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Ausgesprochen haben konnte das Verbot nur<br />

der Polizeipräsident als die zuständige Zensurbehörde. In Trier wurde am 10.3. die Ausgabe des „Volksfreund“<br />

beschlagnahmt; Bollmus: Trier und der NS, S. 526.<br />

57 KGA, 13.3.1933: <strong>Koblenz</strong> hat gewählt (Zitat); ebd.: Den Gefallenen zum Gedächtnis.


74<br />

damit fast 1.000 St<strong>im</strong>men mehr als die SPD (2.700; 7,9 %). <strong>Die</strong> St<strong>im</strong>men für die KPD (1.616;<br />

4,7 %) hatten sich gegenüber der Reichstagswahl fast halbiert. <strong>Die</strong> Nationalsozialisten<br />

konnten sich somit von 8 auf 19 Stadtverordnetenmandate verbessern. Das Zentrum verlor<br />

– nach Korrektur eines Auszählungsfehlers 58 – einen Sitz und kam jetzt auf 15 Sitze. Einer<br />

der Zentrums-Stadtverordneten war, wie schon in der vorherigen Wahlperiode, Peter<br />

Altmeier 59 , der spätere rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Der Deutsche Block erhielt<br />

fünf Mandate, die Sozialdemokraten nur noch drei, die Kommunisten konnten ihre beiden<br />

Mandate halten. Somit hatte das rechte Lager die absolute Mehrheit von 23 der 44<br />

Stadtverordnetensitze inne. <strong>Die</strong> Wahlbeteiligung, die bei der Reichstagswahl noch über 92 %<br />

betragen hatte, war auf 79,1 % gesunken, damit jedoch höher als bei der Kommunalwahl 1929<br />

(55 %). 60 Von den 45 <strong>Koblenz</strong>er St<strong>im</strong>mbezirken 61 konnte die NSDAP 35 für sich gewinnen.<br />

<strong>Die</strong> Wähler <strong>im</strong> Stadtteil Moselweiß erwiesen sich wie eine Woche zuvor als die treuesten<br />

Zentrumsanhänger. Im St<strong>im</strong>mbezirk Oberwerth, der bevorzugten Wohnlage von <strong>Koblenz</strong>,<br />

wurde das Zentrum (256 St<strong>im</strong>men) von NSDAP (278) und Deutschem Block (211)<br />

zusammen klar übertroffen. In Lützel und Wallershe<strong>im</strong> gewann die NSDAP deutlich die<br />

Mehrheit. In Neuendorf ging einer der drei Wahlbezirke knapp an das Zentrum, insgesamt<br />

konnten sich die Nationalsozialisten dort aber ebenfalls durchsetzen. 62<br />

58<br />

<strong>Die</strong>ser Auszählungsfehler, der sich zugunsten des Deutschen Blocks auswirkte und den der KGA am 14.3.<br />

meldete, wurde in den bisherigen Publikationen nicht berücksichtigt. Dort wird stets die am 13.3. veröffentlichte<br />

– falsche – Mandatsverteilung wiedergegeben (nämlich Zentrum 16 und Deutscher Block 4 Sitze). Bucher:<br />

<strong>Koblenz</strong>, S. 215 f.; Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 171, 571; Neubach: Von Reichensperger bis<br />

Peter Altmeier, S. 360. Da die KVZ erst wieder am 14.3. erscheinen durfte, konnte sie sofort die korrekten<br />

Zahlen melden.<br />

59<br />

* 12.8.1899 Malstatt-Burbach (heute Saarbrücken), + 28.8.1977 <strong>Koblenz</strong>, Oktober 1945 Mitbegründer der<br />

CDP (spätere CDU) in der Französischen Zone, 1947-1969 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Fritz<br />

Hirschner: Dr. h. c. Peter Altmeier und das Werden von Rheinland-Pfalz. Neuwied o. J.; Franz-Josef Heyen:<br />

Peter Altmeier (1899-1977). Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. In: Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu<br />

den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in <strong>Koblenz</strong> 1945-1951 (Veröffentlichungen der Kommission des<br />

Landtags für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 5). Boppard 1984, S. 199-208; Hans-Josef Schmidt:<br />

Formierung der Parteien in <strong>Koblenz</strong>. In: Ebd., S. 105-125, hier S. 109-113.<br />

60<br />

KGA, 13.3.1933: Rechtsmehrheit in <strong>Koblenz</strong>; KGA, 14.3.1933: Aenderung der <strong>Koblenz</strong>er Mandatsverteilung;<br />

KVZ, 14.3.1933: Der <strong>Koblenz</strong>er Stadtrat. Vgl. Tabelle 26 <strong>im</strong> Anhang.<br />

61<br />

<strong>Die</strong> neun St<strong>im</strong>mbezirke Krankenhäuser entfielen gegenüber der Reichstagswahl bei der Kommunalwahl.<br />

KVZ, 10.3.1933: Das Wählen ist einfach!<br />

62<br />

KGA, 13.3.1933: <strong>Die</strong> Einzelergebnisse aus den <strong>Koblenz</strong>er Wahlbezirken. Das veröffentlichte Ergebnis <strong>im</strong><br />

Wahlbezirk 18 musste zu Lasten des Zentrums korrigiert werden; KGA, 14.3.1933: Aenderung der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Mandatsverteilung.


75<br />

Tabelle 7: <strong>Koblenz</strong>er Wählerst<strong>im</strong>men (in Klammern: Prozent) 1933 für KPD, SPD, Zentrum,<br />

Kampffront bzw. Deutscher Block Schwarz-Weiß-Rot und NSDAP 63<br />

8. Reichstag 5.3.1933<br />

5. Landtag 5.3.1933<br />

4. Kommune 12.3.1933<br />

KPD SPD Zentrum Kampffront/<br />

Dt. Front<br />

3.131 3.391 12.830 3.410<br />

(7,7) (8,3) (31,4) (8,4)<br />

1.609 2.705 11.926 3.380<br />

(4,6) (7,8) (34,4) (9,7)<br />

1.616 2.700 11.711 3.664<br />

(4,7) (7,9) (34,3) (10,7)<br />

Tabelle 8: Ergebnisse der Kommunalwahlen 1919-1933 (Sitzverteilung) 64<br />

NSDAP<br />

16.822<br />

(41,2)<br />

14.487<br />

(41,8)<br />

14.335<br />

(42,0)<br />

Kommunalwahl 16.11.1919 4.5.1924 17.11.1929 12.3.1933<br />

Zentrum 20 20 16 15<br />

Pfarrer-Greber-Liste 9 3 - -<br />

SPD 12 4 5 3<br />

KPD - 2 2 2<br />

Bürger- und Wirtschaftsblock - - 5 -<br />

DNVP / DVP / DDP 6 12 4 -<br />

Beamtenliste - 3 3 -<br />

Sonstige 1 - 1 -<br />

Deutscher Block SWR - - - 5<br />

NSDAP - - 8 19<br />

Sitze gesamt 48 44 44 44<br />

Der General-Anzeiger kommentierte, <strong>Koblenz</strong> sei nun eine „Stadt der nationalen Rechten<br />

geworden […]. Es war gewiß nicht spießbürgerliche Nörgelsucht, die zu diesen veränderten<br />

Situationen geführt hat, sondern es war zweifellos der unerschütterliche Wille der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Mehrheit, die politischen und wirtschaftlichen Aufgaben vom Reich bis zu den Gemeinden<br />

auf einen einheitlichen Kurs zu bringen.“ 65 <strong>Die</strong> Volkszeitung schürte vage Hoffnungen, es<br />

bliebe abzuwarten, wie sich die Vertreter des Deutschen Blocks verhielten, die bisher <strong>im</strong>mer<br />

mit dem Zentrum gest<strong>im</strong>mt hätten. 66 Trier blieb <strong>im</strong> Gegensatz zu <strong>Koblenz</strong> „schwarz“: <strong>Die</strong><br />

NSDAP hatte nur einen St<strong>im</strong>menanteil von 30,0 % erreicht, die Kampffront Schwarz-Weiß-<br />

Rot 7,7 %. Zum Ärger der Nationalsozialisten gewann das Zentrum (46,1 %) mit 23 der<br />

63 KGA, 6.3.1933: Reichstagswahl in <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 14.3.1933: Der <strong>Koblenz</strong>er Stadtrat; KGA, 13.3.1933: <strong>Die</strong><br />

<strong>Koblenz</strong>er Ergebnisse der Provinziallandtagswahl; eigene Berechnungen.<br />

64 KVZ, 18.11.1919: <strong>Die</strong> Stadtverordnetenwahlen in Coblenz; KVZ, 6.5.1924: Der neue Coblenzer Stadtrat;<br />

KVZ, 18.11.1929: Das neue <strong>Koblenz</strong>er Stadtparlament; KGA, 14.3.1933: Aenderung der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Mandatsverteilung.<br />

65 KGA, 14.3.1933: <strong>Koblenz</strong> hat gewählt.<br />

66 KVZ, 14.3.1933: Parole: Sammeln!


45 Stadtverordnetensitze die absolute Mehrheit. Führer der 14-köpfigen NSDAP-Fraktion<br />

wurde der spätere <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeister, Dr. rer. pol. Nikolaus S<strong>im</strong>mer. 67<br />

In der Amtsvertretung <strong>Koblenz</strong>-Land erzielte die NSDAP nur zwei Mandate, <strong>im</strong><br />

Gemeinderat von Metternich konnte sie sich von bisher einem auf fünf Sitze steigern. In<br />

76<br />

der Ehrenbreitsteiner Amtsvertretung gewann die Partei sechs Mandate, Mandatsträger war<br />

u. a. wieder der Technische Stadtinspektor Paul Haupt 68 , der mit vier weiteren NSDAP-<br />

Mitgliedern wie zuvor <strong>im</strong> Gemeinderat von Pfaffendorf saß und zusätzlich in den Kreistag<br />

<strong>Koblenz</strong>-Land einzog. Im Gemeinderat von Ehrenbreitstein hatte die NSDAP sieben Sitze,<br />

für das Zentrum war dort der Stadtoberinspektor Wilhelm van Rühden einer von neun<br />

Gemeindevertretern. 69<br />

4.1.4 Der Machtwechsel <strong>im</strong> Rathaus<br />

<strong>Die</strong> Ablösung 70 von Oberbürgermeister Rosendahl erfolgte dann sehr schnell. Schon dienstags<br />

machte das Gerücht von seiner Absetzung die Runde, denn am Mittwoch, dem 15. März,<br />

erschien ein entsprechendes Dementi in der Presse. Das städtische Nachrichtenamt teilte<br />

stattdessen mit, der Regierungspräsident habe dem Oberbürgermeister auf dessen Bitte den<br />

ihm zustehenden Erholungsurlaub von 14 Tagen gewährt. 71 Noch am Erscheinungstag dieser<br />

Pressenotiz wurde Rosendahl durch Verfügung Görings bis auf Weiteres beurlaubt. Der<br />

General-Anzeiger interpretierte diese „Beurlaubung“ bereits als endgültige Amtsenthebung.<br />

Mit der kommissarischen Wahrnehmung der Amtsgeschäfte beauftragte der Regierungspräsident<br />

den Regierungs- und Gewerberat Otto Wittgen (Abb. 9). 72<br />

Wittgen, der nur auf Platz 9 der NSDAP-Liste gestanden hatte, dürfte bis zu diesem Zeitpunkt<br />

der <strong>Koblenz</strong>er Öffentlichkeit so gut wie unbekannt gewesen sein. Während der Posten eines<br />

Oberbürgermeisters kein adäquates staatliches Amt für Gauleiter S<strong>im</strong>on war – nicht wenige<br />

67 Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung, S. 122 f.; Bollmus: Trier und der NS, S. 519 f. Bei der<br />

Reichstagswahl am 5.3.1933 hatte die NSDAP in Trier 31,9 % der St<strong>im</strong>men erhalten.<br />

68 * 6.4.1887 Neiße (Regierungsbezirk Oppeln), + 25.5.1964 Neuwied, evangelisch, seit 1920 bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>, 1.9.1929 NSDAP-Mitglied; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 248-250;<br />

Dorfey: „Goldfasane“, S. 312, 397 f.<br />

69 KGA, 13.3.1933: Der Kreistag <strong>Koblenz</strong>-Land; ebd.: <strong>Die</strong> Wahl in Ehrenbreitstein; KVZ, 14.3.1933: Ergebnisse<br />

<strong>im</strong> Landkreis <strong>Koblenz</strong>; ebd.: Der Kreistag <strong>Koblenz</strong>-Land.<br />

70 Schon <strong>im</strong> Vorfeld hatte Gauleiter S<strong>im</strong>on sich um geeignetes Personal zur Besetzung der wichtigsten<br />

Positionen in Wirtschaft und Verwaltung bemüht: „Er [S<strong>im</strong>on] sagte, dass es bei einer Machtübernahme<br />

notwendig sei, dass zunächst alle Schlüsselstellungen durch Angehörige der NSDAP besetzt würden,<br />

insbesondere nannte er dabei Bürgermeister, Landräte und Regierungspräsidenten, weiterhin das Geldwesen.<br />

Nun kam etwa 8 Tage vor der Machtergreifung eine Rundfrage, was jeder <strong>im</strong> gegebenen Falle werden wolle.“<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 200412 (unpaginiert), Wilhelm Meyers vom 29.3.1949, der nach eigenen Angaben diese<br />

„Postenjägerei“ nicht hatte mitmachen wollen.<br />

71 KGA, 15.3.1933: Oberbürgermeister Dr. Rosendahl.<br />

72 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 1-5; KGA, 16.3.1933: Dr. Rosendahl seines Amtes enthoben. Boberach legt<br />

die Amtsenthebung am 15.3. fälschlich mit der Kundgebung auf dem Jesuitenplatz vom 8.3.1933 zusammen;<br />

Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 171, 571. Rosendahl sprach 1934 von seiner „mich vollständig<br />

überraschenden Beurlaubung“; StAK 623 Nr. 3910, S. 170. Vgl. auch ebd. Nr. 9965, S. 184.


77<br />

seiner Kollegen wurden Oberpräsidenten wie der Essener Gauleiter Josef Terboven 73 1935 für<br />

die Rheinprovinz –, stellt sich die Frage, warum die Wahl nicht auf den Fraktionsführer Christ<br />

gefallen war. <strong>Die</strong> Antwort liefert ein Blick auf die Biografien und die spezifische lokale<br />

Situation. Christ stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und hatte eine kaufmännische<br />

Ausbildung absolviert, war fanatischer Nationalsozialist und konnte eine Parteikarriere bis<br />

zum Gauschatzmeister aufweisen, besaß aber weder die formelle Befähigung für den<br />

Verwaltungsdienst noch praktische Erfahrungen.<br />

Wittgen wurde am 6. August 1881 in Neunkirchen/Oberwesterwald als Sohn des Hauptlehrers<br />

Philipp Wittgen geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Wiesbaden und einer<br />

Tätigkeit in der Eisenbahn-Hauptwerkstätte in Frankfurt am Main studierte er von 1900 bis<br />

1902 Maschinenbau an der Technischen Hochschule Hannover. Zu Beginn seiner Studienzeit<br />

wurde er aktives Mitglied des Studentenbundes Polytechniker-Gesang-Verein (P.G.V.)<br />

Hannover, 74 dem er als Alter Herr und Bundesbruder zeitlebens die Treue hielt. 1902/03<br />

diente Wittgen als Einjährig-Freiwilliger be<strong>im</strong> 2. Nassauischen Feld-Artillerie-Reg<strong>im</strong>ent<br />

Nr. 63 in Mainz und setzte dann von 1903 bis 1905 sein Maschinenbaustudium an der<br />

Technischen Hochschule Darmstadt fort. 1905 legte er die Regierungs-Bauführer-Prüfung ab<br />

und arbeitete bis Ende des Jahres bei der Hessischen Dampfkessel-Inspektion Darmstadt.<br />

Anfang 1906 wurde Wittgen Gewerbereferendar be<strong>im</strong> Gewerbeaufsichtsamt Wiesbaden,<br />

seine Prüfung als Gewerbeassessor bestand er 1909. Neben seiner beruflichen Tätigkeit<br />

studierte er – ohne Abschluss – von 1907 bis 1909 Rechts- und Staatswissenschaften an den<br />

Universitäten Frankfurt/Main und Berlin. 1909 bis 1912 arbeitete er als Hilfsarbeiter be<strong>im</strong><br />

Gewerbeaufsichtsamt in Hirschberg/Schlesien. Am 19. September 1910 heiratete Wittgen in<br />

Alt-Rahlstedt (heute Hamburg) die 1877 geborene Constanze Richter, Tochter eines<br />

Hamburger Beamten. Von 1912 bis 1914 war er als Gewerbeassessor be<strong>im</strong> Gewerbe-<br />

aufsichtsamt Hannover, bevor er am 1. April 1914 als Gewerbeinspektor Leiter des<br />

Gewerbeaufsichtsamtes in Itzehoe wurde. Von September 1914 bis August 1918 nahm<br />

Wittgen am Ersten Weltkrieg teil und erhielt neben dem Eisernen Kreuz II. Klasse<br />

verschiedene Auszeichnungen 75 . Nach Kriegsende kehrte er nach Itzehoe zurück, wo er 1920<br />

sogar kurzzeitig Stadtverordneter war. Auf Empfehlung des Schleswiger Regierungs-<br />

präsidenten 76 wurde er am 1. Oktober 1921 zum Regierungs- und Gewerberat befördert und<br />

73 Zu Terbovens Werdegang und Persönlichkeit vgl. Hans-<strong>Die</strong>trich Loock: Quisling, Rosenberg und Terboven.<br />

Zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen (Quellen und<br />

Darstellungen zur Zeitgeschichte 18). Stuttgart 1970, S. 335-339; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und<br />

kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 780.<br />

74 Umbenennung 1914 in „Hansea“, 1926 in „Hansea-Turnerschaft <strong>im</strong> VC [Vertreter Convent]“, heute<br />

„Turnerschaft Hansea Hannover <strong>im</strong> MK [Marbuger Konvent]“. Wittgen trat am 13.11.1900 ein, am 2.11.1905<br />

wurde er Alter Herr. Mitteilung von Herrn Jörg Bornemann, Hamburg, vom 16.3.2009. Fotos belegen eine<br />

deutlich sichtbare Mensur auf der linken Wange Wittgens.<br />

75 Mecklenburgisch-Schweriner Militärverdienstkreuz II. Klasse, Hamburger Hanseatenkreuz, Verdienstkreuz<br />

für Kriegshilfe; Das Deutsche Führerlexikon, S. 535.<br />

76 Der Regierungspräsident lobte den „durch großen Eifer, Begabung, Takt und Geschicklichkeit <strong>im</strong> Verkehr mit<br />

Arbeitgebern und Arbeitnehmern in hohem Maße sich aufzeichnenden Beamten […]. Wittgen ist 37 Jahre alt


als Hilfsarbeiter bei den Regierungen in Düsseldorf und Wiesbaden beschäftigt, bis er<br />

schließlich am 1. Juni 1924 zur Regierung in <strong>Koblenz</strong> kam. Sein Privatvermögen<br />

78<br />

– 1921 hatte er noch als „ziemlich vermögend“ gegolten – hatte Wittgen zu diesem Zeitpunkt<br />

durch die Inflation „restlos verloren“. 77<br />

Von April 1919 bis April 1932 gehörte Wittgen der nationalliberalen Deutschen Volkspartei 78<br />

an. Als Ende Juli 1932 das Verbot der Mitgliedschaft in der NSDAP für preußische Beamte<br />

aufgehoben wurde, trat er der Partei zum 1. August 1932 bei. 79 Seine Frau war schon <strong>im</strong><br />

Anschluss an Hitlers Auftritt in der Rheinhalle <strong>im</strong> August 1930 eingetreten. 80 Seit 1926 war<br />

Wittgen Mitglied der traditions- und einflussreichen Casino-Gesellschaft. 81 Damit bewegte er<br />

sich gesellschaftlich in Kreisen, die für einen Mann wie Christ bis 1933 nicht zugänglich<br />

gewesen waren. Wittgen war ein erfahrener Verwaltungsbeamter, der sich allerdings in einem<br />

begrenzten technischen Fachgebiet bewegte. 82 Immerhin bot seine langjährige Tätigkeit als<br />

preußischer Staatsbeamter – worauf er selbst <strong>im</strong>mer wieder verweisen sollte – die Gewähr<br />

dafür, dass er sich in bürokratischen Denk- und Verfahrensweisen auskannte. In der<br />

Beamtenstadt <strong>Koblenz</strong> musste man in Parteikreisen damit rechnen, dass die Aktivitäten des<br />

ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters direkt unter den Augen der Aufsichts-<br />

behörden von einem besonderes großen „Fachpublikum“ beobachtet würden. Einen<br />

Parteibuchbeamten an so exponierter Stelle wollte man sich offenbar nicht leisten. <strong>Die</strong><br />

Spruchkammer stellte 1951 fest: „Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on in dem Verstorbenen einen willfährigen Gefolgsmann seiner Politik erblickte. […]<br />

Seine Tätigkeit lag auf einem Spezialsektor des Verwaltungsgebietes. <strong>Die</strong> Spruchkammer hält<br />

[Randvermerk: geb. 6.8.81, also bald 40 Jahre!], verheiratet, ohne Kinder und ziemlich vermögend. Er verfügt<br />

über ein gewandtes, sicheres Auftreten und besitzt tüchtige Kenntnisse, derer er sich bei guter rednerischer<br />

Veranlagung erfolgreich zu bedienen weiß.“ BArch R 3901/100971 (unpaginiert), RP vom 24.3.1921.<br />

77 BArch R 3901/100971 (unpaginiert), Zitate RP vom 24.3.1921 und Wittgen vom 22.7.1924; Das Deutsche<br />

Führerlexikon, S. 335; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 823 f.<br />

78 <strong>Die</strong> Zugehörigkeit eines Beamten zur DVP besagte „nur wenig über seine politische Einstellung“. Es gab<br />

viele, die persönlich eher den Deutschnationalen zugeneigt waren und aus Karrieregründen der DVP beitraten,<br />

weshalb man sogar von der „volksparteilichen Schutzfärbung reaktionärer Beamter“ sprach. Wolfgang Runge:<br />

Politik und Beamtentum <strong>im</strong> Parteienstaat. <strong>Die</strong> Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen<br />

1918 und 1933 (Industrielle Welt 5). Stuttgart 1965, S. 206 f.<br />

79 BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881. Eine Mitgliedschaft <strong>im</strong> Stahlhelm, die in der Literatur<br />

(Bellinghausen: 2000 Jahre <strong>Koblenz</strong>, S. 318; Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 171, 571) angegeben<br />

wird, erwähnt Wittgen selbst in seinem undatierten Fragebogen zum BBG (ca. Mitte 1933) nicht; BArch R<br />

3901/100971.<br />

80 Constanze Wittgen hatte die Wahlveranstaltung ohne Wissen ihres Mannes besucht und danach in spontaner<br />

Begeisterung ihren Parteibeitritt erklärt; Mitteilung der Tochter, Frau Elisabeth Holzer, <strong>Koblenz</strong>, vom 28.2.2009.<br />

<strong>Die</strong>se Angabe deckt sich mit der niedrigen Mitglieds-Nr. 313.301; BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto,<br />

6.8.1881.<br />

81 Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 34.<br />

82 Wo sein Spezialwissen lag, zeigt eine 1932 in Berlin <strong>im</strong> Auftrag des Technischen Ausschusses der Deutschen<br />

Gesellschaft für Gewerbehygiene veröffentlichte, 56-seitige Abhandlung „<strong>Die</strong> Staubbeseitigung und<br />

Geräuschbekämpfung in Schotterbetrieben“. Sie basierte auf einem Vortrag, den Wittgen auf Bitten des<br />

Ausschusses ergänzte und niederschrieb (ebd., Vorwort). Wittgens Interesse an technischen Dingen blieb, noch<br />

1938 bezog er an seine Privatanschrift die Wochenschrift „Rundschau Deutscher Technik“, hg. v. NS-Bund<br />

Deutscher Technik; StAK 623 Nr. 9732, S. 12.


79<br />

es für unwahrscheinlich, daß der Verstorbene normalerweise zum Oberbürgermeister ernannt<br />

worden wäre.“ 83<br />

<strong>Die</strong> politische Zuverlässigkeit Wittgens stand nicht erst seit seiner Kandidatur für die<br />

Kommunalwahlen außer Frage. Er verkehrte regelmäßig an einem Stammtisch <strong>im</strong> Park-Hotel<br />

und <strong>im</strong> Frankfurter Hof 84 , der sich „Tisch der deutschen Freiheitsbewegung“ nannte und der<br />

am 18. Januar 1930 gegründet worden war. Am Stammtisch saßen u. a. Alte Kämpfer wie der<br />

Arzt Dr. Gustav Kreglinger jun. und der Rechtsanwalt Wilhelm Meyers. 85 Bald nach seinem<br />

Parteieintritt engagierte sich Wittgen aktiv für die Bewegung. In einer Art konspirativen<br />

Sitzung trafen sich <strong>im</strong> August 1932 in der Privatklinik Kreglingers und seines Vaters 86 , dem<br />

Elisabeth-Krankenhaus, sieben Nationalsozialisten: Der SA-Oberführer Arthur Etterich 87 , die<br />

Architekten Ludwig Stähler und Fritz Horn, der SA-Führer Dr. jur. Julius Ruttkowsky 88 ,<br />

Nikolaus S<strong>im</strong>mer, Kreglinger und Wittgen. Wenige Tage später wurde der von ihnen<br />

gegründete „Verein zur Umschulung freiwilliger Arbeitskräfte <strong>Koblenz</strong> e.V.“ mit Wittgen als<br />

Vorsitzenden und Etterich als Stellvertreter ins Vereinsregister eingetragen. Unter diesem<br />

Deckmantel agierte dann ab Oktober in einem Arbeitslager auf der Karthause der spätere<br />

Arbeitsdienst der NSDAP. In der Chronik des Arbeitsgaus XXIV Mittelrhein heißt es, die<br />

Behörden seien misstrauisch gewesen, da Etterich als SA-Oberführer bekannt war und die<br />

übrigen Mitglieder „alle stark naziverdächtig“ gewesen seien. 89 Aktionen des 1931<br />

gegründeten Freiwilligen Arbeitsdienstes, eines Beschäftigungsprogramms für junge<br />

Erwerbslose, gab es in <strong>Koblenz</strong> verstärkt erst seit Mitte 1932, Träger waren vor allem<br />

konfessionelle Vereine sowie die Stadt <strong>Koblenz</strong>. 90 Das Nationalblatt hob anlässlich des<br />

einjährigen Bestehens des Karthäuser Arbeitslagers hervor, Wittgen habe sich schon vor der<br />

Machtergreifung bei den Behörden „mutig und offen“ für die Belange des Arbeitsdienstes<br />

eingesetzt und seine „hervorragenden Verwaltungskenntnisse selbstlos zur Verfügung<br />

83<br />

StAK 623 Nr. 2615, S. 64. Obwohl Wittgen schon 1941 verstorben war, musste zur Festsetzung der Höhe der<br />

Witwengeldbezüge ein Spruchkammerverfahren durchgeführt werden.<br />

84<br />

Das Hotel Frankfurter Hof in der Löhrstraße 66 wird auch an anderer Stelle als Treffpunkt einer „grössere[n]<br />

Gesellschaft von Parteigenossen“ genannt; BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886:<br />

Landgerichtspräsident Dr. Viktor Bartman vom 26.3.1934.<br />

85<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Vernehmungsprotokoll Kreglinger II [jun.],<br />

undatiert.<br />

86<br />

Dr. med. Gustav Kreglinger sen., * 17.5.1854 Prechtal (Kreis Waldkirch), + 1.1.1944 <strong>Koblenz</strong>, Sanitätsrat,<br />

Facharzt für Chirurgie und orthopädische Chirurgie, 1928 NSDAP-Mitglied. StAK 623 Nr. 5189; ebd. Nr. 6426,<br />

S. 376; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 2/1944; NB, 17.5.1933: Ein Kämpfer feiert Geburtstag.<br />

87<br />

Das Deutsche Führerlexikon, S. 116 f.; Lilla: Statisten in Uniform, S. 129 f.<br />

88<br />

* 25.7.1891 <strong>Koblenz</strong>, 1937/38 SA-Standartenführer und Leiter der Gerichtsabteilung der SA-Gruppe<br />

Westmark; seit 15.4.1941 Chef des Obersten SA-Gerichts in München. NB, 15.4.1941: Ehrenvolle Berufung;<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984, Zeugenaussage Ruttkowsky (undatiert).<br />

89<br />

Gau-Chronik RAD Arbeitsgau XXIV. Mittelrhein. <strong>Koblenz</strong> o. J., S. 3 f., Zitat S. 4; StAK 623 Nr. 6640, S. 1;<br />

NB, 1.4.1933: Säuberungsaktion in den Arbeitslägern. Nationalsozialistische Arbeitslager traten reichsweit erst<br />

spät in Erscheinung. <strong>Die</strong> Namensgebung der Trägervereine unter der Formel „Umschulung“ orientierte sich am<br />

Vorbild des ersten in Berlin gegründeten Vereins. Wolfgang Benz: Vom freiwilligen Arbeitsdienst zur<br />

Arbeitsdienstpflicht. In: VfZ 16 (1968), S. 317-346.<br />

90<br />

StAK 623 Nr. 9483; KGA, 3.8.1932: Endlich wieder ein Tagwerk. Vgl. Matthias Kellermann: Der Freiwillige<br />

Arbeitsdienst auf der Bubenhe<strong>im</strong>er Flesche. In: JbwestdtLG 36 (2010), S. 343-359.


gestellt.“ 91 Für seine Verdienste wurde Wittgen später ehrenhalber der Rang eines RAD-<br />

Oberfeldführers verliehen. 92<br />

Dass Wittgen evangelischer Konfession war und er damit der erste nicht-katholische<br />

80<br />

Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong> wurde, ist damals in der Öffentlichkeit mit Sicherheit ganz<br />

genau registriert worden. <strong>Die</strong> Volkszeitung widmete der Übertragung der Amtsgeschäfte an<br />

Wittgen lediglich 18 Zeilen. 93 Als er am 4. August 1933 von der Stadtverordnetenver-<br />

sammlung zum Oberbürgermeister gewählt wurde, sagte er selbst, er sei durch das Vertrauen<br />

des Gauleiters und des Preußischen Innenministers in das Amt des kommissarischen<br />

Oberbürgermeisters berufen worden. Allerdings habe er seine Tätigkeit nur als vorübergehend<br />

angesehen, denn der Regierungspräsident habe ihm mitgeteilt, man wolle der überwiegend<br />

katholischen Bevölkerung kein evangelisches Stadtoberhaupt aufzwingen. 94 Reichsweit<br />

konnten sich in den Mittelstädten nur 17,4 % der Oberbürgermeister zumindest bis Ende 1933<br />

<strong>im</strong> Amt behaupten. In den preußischen Mittelstädten schieden 15 aus, während elf<br />

– insbesondere in den stark katholischen Gebieten – aus taktischen Gründen zunächst <strong>im</strong> Amt<br />

verbleiben konnten. 95 Rosendahls Trierer Amtskollege Dr. Heinrich Weitz wurde mit<br />

Rücksicht auf die Heilig-Rock-Ausstellung erst am 31. August 1933 zwangsbeurlaubt und <strong>im</strong><br />

Januar 1934 zwangspensioniert, nachdem er seine vorübergehende Feigenblattfunktion erfüllt<br />

hatte. 96 In <strong>Koblenz</strong> schätzte man die Situation <strong>im</strong> Frühjahr 1933 folglich so ein, dass eine<br />

solche Zurückhaltung trotz der katholischen Bevölkerungsmehrheit nicht erforderlich war.<br />

<strong>Die</strong> 1933 vielerorts zu beobachtende Verjüngung an der Stadtspitze ist in <strong>Koblenz</strong> mit<br />

Wittgen nicht eingetreten. 97 Er war bei seinem Amtsantritt mit 51 Jahren 98 drei Jahre älter als<br />

sein Vorgänger Rosendahl, der das Amt mit 46 Jahren übernommen hatte.<br />

<strong>Die</strong> Einführung Wittgens in sein Amt als kommissarischer Oberbürgermeister durch den<br />

Regierungspräsidenten vollzog sich am 16. März 1933 um 12 Uhr mittags <strong>im</strong> Rahmen einer<br />

91 NB, 12.10.1933: Ein Jahr Arbeitsdienst auf der Karthause.<br />

92 StAK 623 Nr. 2615, S. 93. Seine Witwe behauptete 1949 be<strong>im</strong> Rechtsstreit mit der Stadt um die vollen<br />

Witwenbezüge, ihr Mann sei am 16.3.1933 noch gar kein Parte<strong>im</strong>itglied, sondern nur Mitglied des Freiwilligen<br />

Arbeitsdienstes gewesen; ebd. S. 26. Bei seinem Tod stand Wittgen <strong>im</strong> Rang eines Oberstarbeitsführers (s.<br />

Kapitel 5.1.7).<br />

93 KVZ, 17.3.1933: Wechsel <strong>im</strong> Rathaus.<br />

94 StAK 623 Nr. 7214, S. 228 f. Auf die Anfrage eines evangelischen Kandidaten für den<br />

Oberbürgermeisterposten hatte Russell 1931 geantwortet, es käme „aller Voraussicht nach nur ein Katholik<br />

infrage“; StAK 623 Nr. 6137, S. 170.<br />

95 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 79 f.<br />

96 Bollmus: Trier und der NS, S. 530-532; Walter Först: Rheinische Städte und ihre Oberbürgermeister, S. 592.<br />

Im katholischen Fulda verblieb der ehemals dem Zentrum nahe stehende Dr. Franz Danzebrink sogar bis 1945<br />

als Oberbürgermeister <strong>im</strong> Amt; Horst Matzerath: Oberbürgermeister <strong>im</strong> Dritten Reich. Auswertung einer<br />

quantitativen Analyse (Korreferat). In: Klaus Schwabe (Hg.): Oberbürgermeister (Deutsche Führungsschichten<br />

in der Neuzeit 13). Boppard 1981, S. 157-199, hier S. 187.<br />

97 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 81. Das Durchschnittsalter der letzten vier<br />

Oberbürgermeister vor Wittgen (Ortmann, Clostermann, Russell, Rosendahl) betrug bei ihrem Amtsantritt genau<br />

45 Jahre.<br />

98 Boberach gibt das Alter Wittgens irrtümlich mit 41 Jahren an; Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S.<br />

171, 571.


81<br />

„große[n] vaterländische[n] Kundgebung“ am Rathaus. Während sich draußen Formationen<br />

von SA und SS auf dem Clemensplatz aufstellten und begleitet von Marschmusik zum<br />

Gymnasialplatz zogen, übertrug <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer des Oberbürgermeisters Regierungs-<br />

präsident von Sybel persönlich die Leitung der Stadt kommissarisch an Wittgen. Anwesend<br />

waren Gauleiter S<strong>im</strong>on, Regierungsrat von Kirchbach, der bei der Regierung für die<br />

Kommunalaufsicht zuständig war, 99 und der kommissarische Polizeipräsident Braschoß.<br />

Anschließend zeigten sich Wittgen, S<strong>im</strong>on, der Gauführer von SS und SA, Major a. D. Emil<br />

Steinhoff 100 , Kreisleiter Albert Müller 101 und weitere NSDAP-Funktionäre auf dem mit<br />

Teppichen und Fahnen geschmückten Rathausbalkon 102 (Abb. 6) den dicht gedrängt<br />

stehenden Schaulustigen. Der Kleidung nach zu urteilen, 103 gehörten sie vorwiegend<br />

bürgerlichen Kreisen an: Herren mit Hut waren zahlreicher vertreten als Träger einfacher<br />

Mützen. <strong>Die</strong> Mitteilung des Fraktionsführers Christ über die soeben vollzogene Amts-<br />

einführung wurde mit Bravorufen quittiert. Dann sprach Wittgen selbst. Er sei als<br />

„pflichtbewusster Soldat und alter Beamter“ dem Ruf gefolgt und werde seine Pflicht zum<br />

Wohle der Stadt erfüllen. Bevor er Deutschland und die Stadt <strong>Koblenz</strong> hochleben ließ, bat er<br />

um Vertrauen und Mithilfe bei der nationalen Aufbauarbeit. <strong>Die</strong> längste Ansprache hielt<br />

S<strong>im</strong>on, der erst nach allgemeiner Propaganda auf die lokale Situation einging. Es habe eine<br />

Reihe von Skandalen gegeben, deren Aufklärung er versprach. Der Zentrumsführer, der die<br />

Bewegung mit allen Mitteln unterdrückt habe, sei nun machtlos. In Zukunft herrsche<br />

Sparsamkeit, der Beamtenapparat werde gesäubert. Dann machte der Gauleiter bemerkens-<br />

werte Äußerungen: „Wir wenden uns nicht gegen die katholischen Beamten.“ Aber den<br />

Gegnern sage er, niemand könne den Katholizismus für sich allein in Anspruch nehmen. Man<br />

wolle weder einen Bevölkerungsteil vergewaltigen noch eine Konfession unterjochen,<br />

vielmehr sollten beide Konfessionen wie in der Regierung einträchtig am Aufbau<br />

Deutschlands arbeiten. Mit dieser Anspielung auf die evangelische Konfession Wittgens<br />

verband S<strong>im</strong>on geschickt Drohgebärden gegenüber den Katholiken mit der Aussicht auf eine<br />

friedliche Koexistenz bei entsprechendem Wohlverhalten. 104<br />

99<br />

Regierungsrat von Kirchbach taucht wiederholt als „Berichterstatter“ des Regierungspräsidenten auf, <strong>im</strong> Laufe<br />

des Jahres 1933 wird er zum Oberregierungsrat befördert; z. B. LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 405; ebd. Nr.<br />

43657, S. 30.<br />

100<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 107; Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte, S.<br />

128 Anm. 239.<br />

101<br />

Müller wurde <strong>im</strong> Mai 1933 Kreisleiter von Trier-Stadt, wo er S<strong>im</strong>mer ablöste. Zenz: Geschichte der Stadt<br />

Trier, S. 84, 177, 197-199, 202, Abb. 17 nach S. 192; Bollmus: Trier und der NS, S. 533; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 355 f.<br />

102<br />

Der Balkon über dem Eingang zum Rathausgebäude I wurde nach 1945 in verkleinerter Form wiedererrichtet:<br />

Heute umfasst er nur noch zwei statt drei Fensterachsen und hat ein schmiedeeisernes Geländer statt einer<br />

steinernen Brüstung.<br />

103<br />

Vgl. Fotos StAK FA1, Az. 016. <strong>Die</strong> Partei hatte Geschäfte und Behörden gebeten, ihre Beschäftigten für das<br />

Ereignis zu beurlauben; KGA, 16.3.1933: Kundgebung am Rathaus.<br />

104<br />

KGA, 17.3.1933: Der Kurswechsel <strong>im</strong> Rathaus (Zitate); NB, Ausgabe Trier, 17.3.1933: Ungeheurer Jubel der<br />

Kobl. Bevölkerung über die Verjagung Rosendahls; LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 7. Franzen datiert die<br />

Amtseinführung fälschlich auf den 8.3.1933, den Tag der Flaggenhissung; Franzen: Im Spiegel der Geschichte,<br />

S. 267.


Noch am Nachmittag des 16. März traf Wittgen die ersten personellen Entscheidungen und<br />

leitete damit die von S<strong>im</strong>on angekündigte „Säuberung“ ein. Beigeordneter Franz Rogg,<br />

Stadtdirektor Wilhelm Schwalge und Intendant Bruno Schoenfeld wurden ihrer Ämter<br />

enthoben, das Betreten des Rathauses bzw. Theaters wurde ihnen untersagt. Das städtische<br />

Nachrichtenamt verkündete die „Gewißheit, daß auch gegen alle belasteten Männer der<br />

82<br />

Novemberrevolution Disziplinarverfahren eingeleitet werden, so dass niemand zu befürchten<br />

braucht, dass ein Schuldiger irgendwie zu kurz kommt.“ 105 Den Tag nutzte Wittgen noch zu<br />

einer Geste, die er „als eine besondere Ehrenpflicht“ betrachtete und die in der ehemaligen<br />

Garnisonstadt auch in nicht-nationalsozialistischen, national-konservativen Kreisen mit<br />

Anerkennung rechnen durfte: Er legte an der Gedenktafel für die <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg<br />

gefallenen städtischen Bediensteten einen Lorbeerkranz mit Hakenkreuzschleife nieder. 106<br />

Um 18 Uhr fand in der Stadthalle eine von Wittgen einberufene Versammlung der städtischen<br />

Bediensteten statt. Bürgermeister Binhold begrüßte den kommissarischen Oberbürgermeister<br />

in deren Namen, hob ihre treue Pflichterfüllung in der Vergangenheit hervor und versprach,<br />

bei der nationalen Erhebung „wolle die Beamtenschaft der Stadt <strong>Koblenz</strong> keineswegs abseits<br />

stehen, sondern in bewährter Beamtentreue die Pflicht gegenüber der Reichs- und<br />

Staatsregierung auf das genaueste erfüllen“. Wittgen zeigte sich erfreut über dieses<br />

„Gelöbnis“, auch wenn es nicht jedem leicht falle, auf dem Boden der neuen Tatsachen zu<br />

stehen. Er „komme zwar als Parte<strong>im</strong>ann“, sei aber „vor allen Dingen ein alter preußischer<br />

Beamter“. Laute Kritik an den neuen Verhältnissen sei mit Beamtendisziplin nicht vereinbar.<br />

Wittgen unterstrich den <strong>Die</strong>nstleistungsgedanken: Disziplin müsse auch gegenüber dem<br />

Publikum gewahrt werden, womit er wohl die Aufrechterhaltung des regulären <strong>Die</strong>nst-<br />

betriebes meinte. Man spreche vom <strong>Die</strong>nst am Kunden, und der Beamte müsse sich bewusst<br />

sein, dass er für das Publikum da sei und nicht umgekehrt. Seinen Beamten sicherte Wittgen<br />

sein Verständnis in Nöten und bei erlittenem Unrecht zu, gleichzeitig warb er um Vertrauen.<br />

Wenn für die <strong>Stadtverwaltung</strong> der Grundsatz des Reichskanzlers „Gemeinnutz geht vor<br />

Eigennutz!“ maßgebend sei, dann werde die Verwaltung „wieder sauber“. Auf Wittgens Rede<br />

folgte „lebhafter Beifall“, bevor S<strong>im</strong>on die „eindrucksvolle Schlussansprache“ hielt. Der<br />

Gauleiter hob den „revolutionären Charakter der letzten Tage und Wochen“ hervor, doch die<br />

Ereignisse dürften nicht an „geschriebenen Paragraphen“ gemessen werden, denn sie folgten<br />

„dem ungeschriebenem [sic] Gesetz des unbezwingbaren und begeistert aufflammenden<br />

deutschen Lebenswillens“. <strong>Die</strong> Absetzung Rosendahls sei „<strong>im</strong> Einverständnis mit dem<br />

Volkswillen“ erfolgt. S<strong>im</strong>on rief zur Einigkeit auf und entwarf das Bild der neuen<br />

„Volksgemeinschaft“. Er appellierte an die Beamten, sich nicht gegen das Neue zu sperren,<br />

105 KGA, 17.3.1933: <strong>Die</strong> ersten Maßnahmen.<br />

106 KGA, 18./19.3.1933: Neue Maßnahmen <strong>im</strong> Rathaus. <strong>Die</strong> Tafel existiert heute noch, sie ist in die Wand vor<br />

dem Eingang zum Großen Rathaussaal eingelassen.


denn: „Es ist da, es wird marschieren“, und statt zu zögern, sollten sie be<strong>im</strong> Wiederaufbau<br />

mithelfen. 107<br />

Mit seinen Worten rechtfertigte S<strong>im</strong>on die „legale“ Revolution und legte vor der<br />

Beamtenschaft, deren Beruf in der Anwendung und Ausführung von Gesetzen und<br />

Verordnungen bestand, die nationalsozialistische Rechtsauffassung dar: Erstens waren<br />

gesetzliche Normen für die Partei zweitrangig, zumindest beanspruchte sie die Deutungs-<br />

83<br />

hoheit über deren Geltung und Anwendung. Der (angebliche) Volkswille – der letztlich in der<br />

Partei seinen Ausdruck fand – diente zur Legit<strong>im</strong>ation des Bruchs „geschriebener<br />

Paragraphen“, die <strong>im</strong> Gegensatz zum „ungeschriebenen Gesetz des Lebenswillens“ als<br />

lebensfremd oder gar tot hingestellt wurden. Damit kündigte sich bereits die „Ersetzung des<br />

Begriffs der ‚Gesetzmäßigkeit’ durch die dehnbare Klausel der ‚Rechtmäßigkeit’“ an, die sich<br />

nicht auf positives Recht, „sondern auf das der nationalsozialistischen Weltanschauung<br />

gemäße ‚Rechtsempfinden’ bezog.“ 108 Zweitens war S<strong>im</strong>on bewusst, dass die Partei zur<br />

Durchsetzung ihrer Politik auf die Kooperation der Beamtenschaft angewiesen war. Einer der<br />

führenden Verfassungsrechtler des Dritten Reiches, Ernst Forsthoff, sagte 1938 über den<br />

Staatsapparat: „Man muß ihn in die Hand bekommen. Aber man darf ihn nicht zerstören. <strong>Die</strong><br />

Revolution ist nur noch als Machtübernahme, das heißt in legalen Formen möglich.“ 109 <strong>Die</strong>s<br />

galt gleichermaßen für den kommunalen Verwaltungsapparat. So appellierte auch Wittgen an<br />

die Disziplin der Beamten dem Publikum gegenüber und verlangte „business as usual“. Wie<br />

verblüffend reibungslos sich der Übergang vollzog, lässt sich am Willkommensgruß von<br />

Bürgermeister Binhold ablesen: Am 14. März wurde er mit der Urlaubsvertretung Rosendahls<br />

beauftragt, nur zwei Tage später versprach er Wittgen die Treue. So scheint auch für <strong>Koblenz</strong><br />

der Befund zuzutreffen, dass die Mehrheit der Beamten die „nationale Erhebung“ begrüßte<br />

und bereit war, sich in ihre Front einzureihen. 110<br />

Den zumindest äußerlich glatten Übergang dürfte nicht nur das weit verbreitete<br />

Selbstverständnis der Beamten als „unpolitische“ <strong>Die</strong>ner des Staates erleichtert haben, dem<br />

sie unabhängig von Staatsform und Regierung die Treue hielten. 111 <strong>Die</strong> Kommunalbeamten<br />

sahen sich offenbar stärker und unmittelbarer der Gemeinde (oft He<strong>im</strong>at-, meist Wohnort),<br />

ihren (Mit-)Bürgern und deren Wohl verpflichtet als dem abstrakten Staat und dessen<br />

jeweiligen Machthabern. Das ermöglichte es den Gemeindebeamten in ihrer Selbst-<br />

wahrnehmung, sich <strong>im</strong> Vergleich zu den Kollegen <strong>im</strong> Staatsdienst noch „unpolitischer“ zu<br />

107<br />

KGA, 17.3.1933: Oberbürgermeister Wittgen spricht zu den Beamten (Zitate); NB, Ausgabe Trier, 17.3.1933:<br />

Der neue Oberbürgermeister stellt sich seiner Beamtenschaft vor.<br />

108<br />

Mommsen: Beamtentum, S. 122.<br />

109<br />

Ernst Forsthoff: <strong>Die</strong> Verwaltung als Leistungsträger. Stuttgart 1938, S. 9, zit. n. Gotto: Nationalsozialistische<br />

Kommunalpolitik, S. 51.<br />

110<br />

Mommsen: Beamtentum, S. 14. Vgl. auch Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte, S. 129.<br />

111<br />

Zum (un-)politischen Selbstverständnis der Beamten vgl. am Beispiel des Übergangs von der Monarchie zur<br />

Republik Wolfgang Runge: Politik und Beamtentum <strong>im</strong> Parteienstaat. <strong>Die</strong> Demokratisierung der politischen<br />

Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933 (Industrielle Welt 5). Stuttgart 1965.


sehen. Stadtinspektor Franz Wüst verteidigte sich in seinem Spruchkammerverfahren, er<br />

habe sich sowohl in seiner Tätigkeit als Beamter als auch während des Krieges als<br />

kommissarischer Ortsgruppenleiter seines Wohnorts Urbar <strong>im</strong>mer nur „für das Wohl der<br />

84<br />

Allgemeinheit zur Verfügung“ gestellt: „Meine Aufgabe sah ich darin, Jedem zu helfen. <strong>Die</strong>se<br />

Grundsätze […] wurden mir in einer 4jährigen Lehrzeit in der öffentlichen Verwaltung der<br />

ehem. Monarchie anerzogen. Ihnen bin ich in meiner fast 40jährigen Beamtenlaufbahn, wo<br />

Parteien kamen und gingen, stets treu geblieben.“ 112<br />

Aus Anlass des <strong>Koblenz</strong>er Machtwechsels wurden auf Anregung Wittgens an den beiden<br />

folgenden Sonntagen <strong>im</strong> Stadttheater Festvorstellungen des Schauspiels „Der 18. Oktober“<br />

gegeben, zu denen SS, SA und Stahlhelm freien Eintritt bekamen. 113 Ihren krönenden<br />

Abschluss fanden die Feierlichkeiten am 21. März, dem „Tag von Potsdam“. Für die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> war wie für die Staatsbehörden Sonntagsdienst angeordnet. Wittgen hatte die<br />

Geschäftswelt gebeten, den Angestellten und Arbeitern die Teilnahme an den Feiern zu<br />

ermöglichen. <strong>Die</strong> Einladung des Polizeipräsidenten für Wittgen und seine Beamten zu den<br />

Gottesdiensten in der Herz-Jesu- bzw. Schlosskirche und der anschließenden Parade von<br />

Schutzpolizei und der aus SA, SS und Stahlhelm gebildeten Hilfspolizei schlug Wittgen<br />

unter Hinweis auf Zeitmangel und das späte Eintreffen des Schreibens aus. 114 <strong>Die</strong><br />

Polizeiformationen paradierten mittags auf dem Clemensplatz, wo sich hochrangige<br />

Behördenvertreter, an ihrer Spitze der Oberpräsident, das Zentrumsmitglied Dr. Johannes<br />

(„Hans“) Fuchs 115 , eingefunden hatten. Nach dem Abschreiten der Front hielt Fuchs eine<br />

Ansprache, in der er nationale Töne anschlug. Er versicherte, dass die Beamten entschlossen<br />

seien, sich, „entsprechend unserer <strong>im</strong>mer gleichbleibenden Auffassung von Beamtenpflicht<br />

und Beamtentreue, dem Staat und seiner Regierung mit allen unseren Kräften und<br />

Fähigkeiten“ zur Verfügung zu stellen und „rückhaltlos und freudig mitzuarbeiten“. Dabei<br />

sprach er nur allgemein von der Reichsregierung, vermied aber jede Nennung oder gar<br />

Hervorhebung Hitlers. Anschließend wurden die Feierlichkeiten aus Potsdam auf öffentlichen<br />

Plätzen, in der Stadt- und Rheinhalle übertragen, in allen Schulen gab es Feierstunden.<br />

Wittgen und Oskar Peter Hildebrandt, Hauptschriftleiter des Nationalblatts, war es in<br />

Vertretung des Gauleiters vorbehalten, zum Abschluss des abendlichen Fackelzugs zu<br />

sprechen. Nachdem die vaterländischen Verbände, sämtliche nationalsozialistischen<br />

Formationen, Musikkapellen und -chöre stundenlang durch die von begeisterten<br />

Menschenmengen gesäumten Straßen gezogen waren, folgte nach 21 Uhr der Vorbe<strong>im</strong>arsch<br />

112 LHAKo Best. 856 Nr. 110136, Bl. 33 f. In der Klageschrift von 1948 hieß es: „<strong>Die</strong> Personalakten fanatischer<br />

Parteijünger pflegen <strong>im</strong> allgemeinen anders auszusehen. […] Sein Fehler war offenbar, dass er seine bewährten<br />

Beamtengrundsätze auf seine Parteitätigkeit übertrug. Das liess ihn parteigebundener erscheinen, als er vielleicht<br />

in Wirklichkeit war.“ Ebd., Bl. 27. Wüst wurde 1949 als Mitläufer eingestuft.<br />

113 KGA, 17.3.1933: <strong>Die</strong> ersten Maßnahmen. Das „vaterländische Drama“ von Walter Erich Schäfer stand<br />

gerade mit großem Erfolg auf dem Spielplan; KGA, 8.3.1933: Der 18. Oktober; ebd.: Das Stadttheater <strong>im</strong><br />

Februar.<br />

114 StAK 623 Nr. 6779, S. 342; ebd. Nr. 6556, S. 14 f. Vgl. KGA, 21.3.1933: Der nationale Feiertag.<br />

115 Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 454 f.


85<br />

an den Behördenvertretern auf dem Schlossplatz. Wittgen hob in der Schlusskundgebung den<br />

Geist von Potsdam hervor, der vaterländisch gesinnte Männer beseelt und zu Hindenburg<br />

und seinem Paladin Hitler geführt habe, „denen man Gefolgschaft schwöre in guten und<br />

bösen Tagen.“ Hildebrandt feierte anschließend die nationale Wiedergeburt durch die<br />

nationalsozialistische Revolution, bevor Deutschlandlied und Großer Zapfenstreich den Tag<br />

beendeten. 116<br />

4.1.5 <strong>Die</strong> „Revolutionskommissare“ 117<br />

Noch am 16. März, dem Tag seiner Amtseinführung, setzte Wittgen die ersten beiden<br />

politischen Kommissare ein. Er berief zwei NSDAP-Stadtverordnete, nämlich Fraktionsführer<br />

Christ und Hauptschriftleiter Hildebrandt, zu seinen Beauftragten zur besonderen<br />

Verfügung. 118 Damit erhielten zwei Mitglieder der Gauleitung das Recht, sämtliche<br />

<strong>Die</strong>nsträume zu betreten, Akteneinsicht zu nehmen und sonstige Ermittlungen anzustellen,<br />

denn Christ war Gauschatzmeister und der zwei Jahre jüngere Hildebrandt seit 1931<br />

kommissarischer Gaupresseamtsleiter. Hildebrandt war sogar Verwaltungsfachmann: Vor<br />

seiner Tätigkeit als Journalist war er von 1920 bis 1927 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> Aachen, der<br />

Regierung Aachen und dem Wasserwerk des Landkreises Aachen beschäftigt gewesen und<br />

hatte 1923 die Prüfung für mittlere Gemeindebürobeamte abgelegt. 119<br />

Ziel dieser „Revolutionskommissare“ war die Aufdeckung von Vetternwirtschaft, Korruption<br />

und Verschwendung in der <strong>Stadtverwaltung</strong>, die – so wollten es jedenfalls die Parolen der<br />

Kampfzeit – dort gang und gäbe gewesen sein sollten. Am 20. März erhielt Christ<br />

Verstärkung. Ihm wurde der Technische Stadtinspektor Paul Haupt von der Einziehungsstelle<br />

zu seiner Unterstützung zugewiesen. Haupt erhielt für diese Aufgabe ein eigenes <strong>Die</strong>nst-<br />

z<strong>im</strong>mer und eine eigene Stenotypistin. 120 Er war schon seit 1929 Parte<strong>im</strong>itglied – hatte sich<br />

also über das Beitrittsverbot für Beamte hinweggesetzt – und nicht nur Vertreter der NSDAP<br />

in der Gemeindevertretung von Pfaffendorf und der Amtsvertretung Ehrenbreitstein, sondern<br />

seit 1930 auch Kreisleiter von <strong>Koblenz</strong>-Land. 121 Haupt blieb der einzige Kommissar bzw.<br />

Hilfsarbeiter eines Kommissars, der direkt aus der <strong>Stadtverwaltung</strong> rekrutiert wurde. Christ<br />

konnte sich nun die Insiderkenntnisse eines zuverlässigen Parteigenossen zunutze machen.<br />

116 KGA, 21.3.1933: Der nationale Feiertag; KGA, 22.3.1933: <strong>Koblenz</strong> in Begeisterung (Zitate).<br />

117 Vgl. Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß: Editorial. Kommissare <strong>im</strong> NS-Herrschaftssystem. Probleme und<br />

Perspektiven der Forschung. In: <strong>Die</strong>s. (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 9-27, Zitat S. 17; Matzerath: NS und<br />

kommunale Selbstverwaltung, S. 67-69.<br />

118 KGA, 17.3.1933: <strong>Die</strong> ersten Maßnahmen; StAK 623 Nr. 9561, S. 19. <strong>Die</strong> Bestellung von Christ und<br />

Hildebrandt war die erste schriftliche Rundverfügung Wittgens.<br />

119 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 264 f.; Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 222.<br />

120 StAK 623 Nr. 6190, S. 845; ebd. Nr. 6170, S. 161-169.<br />

121 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 248-250; Dorfey: „Goldfasane“, S. 397 f.; Joach<strong>im</strong><br />

Hennig: <strong>Die</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Frank Hoffbauer (Hg.): Winningen – „eine feine wolgezogene<br />

gemain“. Winningen 2007, S. 115-196, hier S. 137.


Mit Haupts Berufung wurde das Spitzelwesen und Denunziantentum innerhalb der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> quasi institutionalisiert.<br />

86<br />

Eine weitere Kraft wurde Christ am 2. April in der Person des Oberpostsekretärs Karl Hertel<br />

zugeteilt, der von der Oberpostdirektion eigens bis 11. Mai beurlaubt wurde. 122 <strong>Die</strong> nächste<br />

Verstärkung folgte am 11. April durch den aus Breslau zugezogenen, arbeitslosen Juristen Dr.<br />

Hermann Reiners, der seine ehrenamtliche Tätigkeit bis 30. Juni ausübte. Wittgen bewilligte<br />

ihm auf seine Bitte Ende Mai eine finanzielle Unterstützung von 200 RM. 123 Einen Tag nach<br />

Reiners’ Arbeitsbeginn, am 12. April, beendete Hildebrandt seine Tätigkeit. Sie hat trotz<br />

seiner Berufskenntnisse keinen nennenswerten Niederschlag in den Akten gefunden, 124<br />

hervorgetreten ist er nur be<strong>im</strong> Ausscheiden des Intendanten Schoenfeld. Seine Hauptaufgabe<br />

hatte darin bestanden, die „Enthüllungen“ der Säuberungsaktion ohne Umwege <strong>im</strong><br />

Nationalblatt propagandistisch zu verwerten, was die verschiedenen Artikel mit Details aus<br />

den internen Untersuchungen belegen. Hildebrandt beendete seine Tätigkeit als Haupt-<br />

schriftleiter Ende April 1933, weil seine Belastung „in der Kommunalverwaltung usw. usw.“<br />

inzwischen zu groß geworden sei. 125 Doch auch nach Hildebrandts Ausscheiden wurde das<br />

Nationalblatt exklusiv mit Material aus dem Rathaus versorgt. So heißt es z. B. <strong>im</strong> Mai in<br />

einem Artikel über die Repräsentationskosten für die Jahrtausendfeier 1925, die Belege<br />

„türmen sich auf unserem Redaktionstische“. Dem Vorwurf der übrigen Presse, die<br />

nationalsozialistische Konkurrenz arbeite mit rechts- und sittenwidrigen Mitteln, widersprach<br />

Regierungspräsident Turner öffentlich. 126<br />

Als weitere Hilfskraft für Christ fungierte seit 18. April der Dolmetscher Erich Gärtner. 127<br />

Wodurch er sich für diese Tätigkeit qualifizierte, ist unbekannt, zweifellos dürfte er ein Alter<br />

Kämpfer gewesen sein. Der arbeitslose oder nur jeweils vorübergehend beschäftigte Architekt<br />

Hugo Hinkel 128 , seit 1930 NSDAP-Mitglied und Gau-Uschla-Beisitzer 129 , war vom 29. April<br />

122<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 190-196.<br />

123<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 115, 142 f.<br />

124<br />

Es fand sich lediglich ein Hinweis auf die Feststellung von Hildebrandt <strong>im</strong> März 1933, dass die Polizei<br />

gebrauchte Waffen verkauft hatte. <strong>Die</strong> Sache wurde kurz untersucht, bevor man sie auf sich beruhen ließ. StAK<br />

623 Nr. 6588, S. 310-312.<br />

125<br />

NB, 29.4.1933: Pg. Hauptschriftleiter O. P. Hildebrandt. Tatsächlich trat er einen – wahrscheinlich<br />

lukrativeren – Posten als Generalsekretär des Deutschen Weinhandels an; StAK 623 Nr. 6544, S. 595 f.; ebd. Nr.<br />

6560, S. 288.<br />

126<br />

NB, 5.5.1933: <strong>Koblenz</strong>er Bürger, so wurde mit euern Steuergeldern geast; NB, 30.9.1933: <strong>Die</strong> bürgerliche<br />

Presse am Pranger.<br />

127<br />

StAK 623 Best. 9561, S. 60.<br />

128<br />

* 27.6.1901 Borbeck (heute Essen), 1923 Teilnahme am Ruhrkampf, 15 Monate Internierung durch die<br />

belgische Besatzung, 1929/30 als Techniker bei der Regierung in Sigmaringen, danach arbeitslos oder<br />

vorübergehender Hilfsangestellter, jüngerer Bruder des Stadtobersekretärs Karl Hinkel. LHAKo Best. 856 Nr.<br />

110786.<br />

129<br />

NB, 1.7.1933: Gauleitung der NSDAP, Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier.


is 3. August bei Christ <strong>im</strong> Einsatz. 130 Am 9. Mai stieß noch der Gerichtsassessor Ludwig<br />

Wolf dazu, den der Präsident des Oberlandesgerichts bis 30. Juni beurlaubte. 131 Ein<br />

planmäßiges Vorgehen der acht Kommissare lässt sich in den Akten nur bei den beiden<br />

ausgebildeten Juristen unter ihnen, Reiners und Wolf, erkennen, deren Ermittlungstätigkeit<br />

sich in größerem Umfang niedergeschlagen hat. Ihre Arbeitsweise war eine streng<br />

bürokratisch-formale: Anhand der vorliegenden Unterlagen prüften sie die Ordnungs- und<br />

87<br />

Rechtmäßigkeit der Vorgänge, fehlte ihnen Material zur Beurteilung eines Falles, so forderten<br />

sie Protokolle und Belege an oder luden Zeugen „zur Vernehmung“ vor. Ihnen wurden auch<br />

die anspruchsvolleren Fälle zugewiesen, so befasste sich z. B. Reiners mit Oberbürgermeister<br />

Rosendahl und Wolf mit Oberbaurat Rogg.<br />

In den ersten Wochen und Monaten nach der Machtergreifung liefen viele Fäden zunächst bei<br />

Kommissar Christ zusammen. Der Schriftverkehr an den kommissarischen Oberbürgermeister<br />

wurde gelegentlich sogar „durch Herrn Beauftragten z. B. V. Christ“ adressiert, 132 wurde also<br />

zuerst Christ vorgelegt. So waren auch sämtliche Zahlungsanweisungen laut Verfügung<br />

Wittgens durch ihn selbst oder Christ gegenzuzeichnen. 133 Zu einem Runderlass des<br />

Innenministers, sich bei Neueinstellungen von Angestellten vorzugsweise Parte<strong>im</strong>itglieder<br />

nennen zu lassen, verfügte Wittgen <strong>im</strong> September 1933: „Jede Neueinstellung erfolgt nach<br />

Benehmen + mit Genehmigung des Herrn Beigeordneten Christ.“ 134 Aufgrund des wesentlich<br />

höheren Bekanntheitsgrades von Christ in der Bevölkerung ist es auch verständlich, dass sich<br />

Beschwerdeführer oder Bittsteller zuerst an Christ wandten oder ihn parallel zum offiziellen<br />

<strong>Die</strong>nstweg einschalteten. 135 In der Erinnerung avancierte der „starke Mann in der <strong>Koblenz</strong>er<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>“ 136 angesichts seiner Machtfülle und seines Auftretens rückblickend zum<br />

stellvertretenden Oberbürgermeister 137 oder zum Gauleiter-Stellvertreter 138 . Auch Christ<br />

selbst war anfangs von seiner Machtfülle überzeugt. Als Standesbeamter Clemens Henn am<br />

21. März 1933 nicht rechtzeitig zur angeordneten gemeinsamen Teilnahme an den<br />

Feierlichkeiten zum Tag von Potsdam erschien, wollte Christ ihn entlassen. Dazu kam es zwar<br />

130 StAK 623 Nr. 6130, S. 257-259; ebd. Nr. 9561, S. 72; ebd. Nr. 3873, S. 43. Als Architekt erbaute Hinkel<br />

1950 das zur Denkmalzone „Vier Türme“ gehörende, 1944 zerstörte Gebäude Am Plan 2 („Zum grünen Baum“)<br />

wieder neu; Inschrift am Haus Am Plan 2.<br />

131 StAK 623 Nr. 6130, S. 68, 116, 197-204. 1935 war Wolf Regierungsassessor und wohnte in Neuwied; ebd.,<br />

Nr. 7946, S. 1.<br />

132 Beispiel: StAK 623 Nr. 6170, S. 1, verbessert aus „durch Herrn Stadtverordneten Christ“.<br />

133 StAK 623 Nr. 9561, S. 33.<br />

134 StAK 623 Nr. 6130, S. 272.<br />

135 Beispiele: Beschwerde wegen Nicht-Zulassung zur Verwaltungsschule vom 20.3.1933; StAK 623 Nr. 6178,<br />

S. 354-371. Bittschrift einer Mutter um Einstellung ihres Sohnes, eines Alten Kämpfers, an Christ, der am<br />

18.3.1933 auf einem kleinen Zettel handschriftlich sein Einverständnis gab; ebd. Nr. 3873, S. 142 f., 145.<br />

Bittschrift einer Witwe vom 8.8.1933 um Beschaffung einer Arbeitsstelle für ihren Sohn; ebd. Nr. 6600, S. 431.<br />

Eingabe an „Herrn Stadtverordneten Christ zur eventl. Weitergabe an den Herrn Oberbürgermeister“ vom<br />

26.6.1933; ebd. Nr. 6560, S. 250 f. Noch am 15.2.1934, als Christ längst Oberbürgermeister in Trier war, wandte<br />

sich ein Bittsteller aus <strong>Koblenz</strong> an ihn, er sei von seinem Nachfolger Klaeber nur vertröstet worden; ebd. Nr.<br />

6656, S. 462 f.<br />

136 Bucher: <strong>Koblenz</strong>, S. 217.<br />

137 So Standesbeamter Henn 1948; LHAKo Best. 856 Nr. 111523, Fragebogen vom 11.2.1948.<br />

138 So Stadtkämmerer Wirtz 1959; StAK 623 Nr. 2619, S. 124.


nicht, aber Wittgen erteilte Henn eine Verwarnung gemäß Beamtendienststrafordnung.<br />

Nachdem Henn die dienstlichen Gründe nachweisen konnte, hob Wittgen die Strafe <strong>im</strong><br />

Februar 1934 auf und ließ den Vorgang aus der Personalakte entfernen. 139<br />

4.1.6 Personelle Säuberungen und Unterbringung Alter Kämpfer 140<br />

88<br />

Mit dem Technischen Beigeordneten Oberbaurat Franz Rogg 141 (Abb. 14) hatte Wittgen am<br />

16. März einen Mann beurlaubt, der den Nationalsozialisten als ein Paradebeispiel für<br />

Verschwendung galt. Rogg war als Dezernent für den Bau des sogenannten Kopfgebäudes in<br />

der Bahnhofstraße verantwortlich gewesen, das erheblich teurer als geplant geworden war.<br />

<strong>Die</strong> Mehrkosten waren sogar Gegenstand eines Untersuchungsausschusses 142 gewesen, der<br />

die Verantwortung von Rogg und dem Leiter des Hochbauamtes, Stadtbaurat Friedrich<br />

Neumann, festgestellt hatte, wofür beide 1931 eine Rüge von Rosendahl erhalten hatten. Ein<br />

Disziplinarverfahren, das der Finanzausschuss angestrebt und das die NSDAP-Fraktion nur<br />

als Verschleppungstaktik gewertet hatte, weil man die Beamten nicht direkt zur Rechenschaft<br />

ziehen wolle, kam nicht zustande. Stattdessen nahm die Stadtverordnetenversammlung <strong>im</strong><br />

Juni 1931 den Antrag Rosendahls, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten, gegen die<br />

St<strong>im</strong>men der NSDAP an. 143 Rogg war es <strong>im</strong> Übrigen auch, der 1930 die Beförderung des<br />

frisch gebackenen NSDAP-Stadtverordneten Frischling, Friedhofsinspektor bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>, abgelehnt hatte. 144<br />

Rogg legte gegen seine Zwangsbeurlaubung Rechtsverwahrung ein. Wittgen rechtfertigte sein<br />

Vorgehen gegenüber dem Regierungspräsidenten am 20. März nicht nur mit Roggs<br />

erheblicher Verantwortung für die städtische Finanzmisere. Es sei eine „zwingende<br />

Notwendigkeit“ zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung gewesen, da sich daraus<br />

„eine grosse Misst<strong>im</strong>mung“ der Bevölkerung gegen die <strong>Stadtverwaltung</strong> entwickelt habe.<br />

Kommissar Wolf rollte die gesamten Vorgänge um das Kopfgebäude neu auf und legte <strong>im</strong><br />

Oktober 1933 eine 26-seitige Anklageschrift vor. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nststrafkammer der Regierung<br />

sprach Rogg am 28. November 1933 aber von allen Vorwürfen frei. Doch dieser Freispruch 145<br />

bedeutete keineswegs seine Rückkehr, denn schon am 4. Juli 1933 hatte Wittgen parallel über<br />

den Regierungspräsidenten in Berlin die Entlassung Roggs gemäß § 6 des Gesetzes zur<br />

Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 („Berufsbeamtengesetz“,<br />

139<br />

StAK 623 Nr. 6564, S. 498 f.; ebd. Nr. 6588, S. 65-69, 414 f.; LHAKo Best. 856 Nr. 111523, Fragebogen<br />

vom 11.2.1948.<br />

140<br />

Vgl. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 70-89.<br />

141<br />

* 8.11.1875 Weingarten (Württemberg), + 9.10.1944 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, seit 1915 Stadtbaurat und<br />

Technischer Beigeordneter auf 12 Jahre, Wiederwahl 1927. StAK 623 Nr. 2616; Helge Dvorak: Biographisches<br />

Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Bd. 1: Politiker, Teilbd. 5: R-S. Heidelberg 2002, S. 100 f.<br />

142<br />

StAK 623 Nr. 3902.<br />

143<br />

StAK 623 Nr. 5995, S. 346 f.; ebd. Nr. 7214, S. 30.<br />

144<br />

StAK 623 Nr. 3869, S. 150-152.<br />

145<br />

Nach Rechtsanwalt Meyers war die Urteilsbegründung „ein einziges Loblied auf den Beigeordneten Rogg“;<br />

StAK 623 Nr. 3833, S. 11.


89<br />

BBG) 146 beantragt. Zur Begründung gab er die notwendige Reduzierung der Beigeordneten-<br />

stellen an. Rogg legte am 22. Juli 1933 in seiner Stellungnahme dar, Wittgens Antrag habe<br />

ihn „besonders schmerzlich getroffen“, weil er gehofft hätte, seine Arbeit bald wieder<br />

aufnehmen zu können. Da er sich als geistigen Urheber der laufenden Brückenprojekte an<br />

Rhein und Mosel sah, machte er den Vorschlag, wenigstens diese noch zu Ende führen zu<br />

dürfen, zumal solch schwierige Aufgaben ohne technischen Dezernenten kaum bewältigt<br />

werden könnten. Wittgen erklärte dem Regierungspräsidenten dagegen, es stünde genügend<br />

qualifiziertes Personal zur Verfügung. Nach seinem Freispruch glaubte sich Rogg rehabilitiert<br />

und unternahm <strong>im</strong> Dezember einen weiteren Versuch, seine Weiterbeschäftigung zu<br />

erreichen. Seine politische Zuverlässigkeit versuchte er mit dem Hinweis zu dokumentieren,<br />

dass die Namensgebung „Adolf-Hitler-Brücke“ für die von ihm entworfene Moselbrücke ihm<br />

„zur besonderen Ehre“ gereiche. Doch Wittgen hielt an seinem Antrag fest. Trotz Freispruchs,<br />

so argumentierte er gegenüber dem Regierungspräsidenten, sei das Vertrauen von<br />

<strong>Die</strong>nstbehörde und Bevölkerung „in hohem Maße verscherzt“. Schließlich wurde Rogg durch<br />

den Preußischen Innenminister am 26. Januar 1934 in den Ruhestand versetzt. Im Oktober<br />

bemühte sich der knapp 59-Jährige um eine Beschäftigung bei der Regierung, die Wittgen<br />

nicht befürwortete und Turner ablehnte. 147<br />

Mit der Vertretung Roggs wurde noch am 16. März Stadtbaurat Friedrich Neumann 148<br />

(Abb. 15) beauftragt. Zwar war auch ihm eine gewisse Mitverantwortung an der<br />

Kostenüberschreitung zur Last gelegt worden, doch schien er trotzdem für den Posten<br />

geeignet. Als <strong>Die</strong>nstältester unter den Bauräten hatte er gerade sein 25-jähriges<br />

<strong>Die</strong>nstjubiläum gefeiert. Er war evangelisch, also nicht <strong>im</strong> katholischen Milieu der Stadt<br />

verwurzelt, und als Mitglied der DNVP konnte er als politisch zuverlässig gelten. Er trat zwar<br />

nicht der NSDAP, aber <strong>im</strong> November 1933 dem Opferring 149 bei. 1934 wurde er SS-<br />

Fördermitglied. Am 6. Juli 1933 verlieh Wittgen Neumann zur „besonderen Bezeichnung<br />

dieser Tätigkeit und zur Hebung der Autorität in der gesamten Bauverwaltung“ die<br />

Amtsbezeichnung Oberbaurat. 150 Als Städteplaner stand Neumann „für vorsichtige<br />

146<br />

RGBl. I, S. 175. Zunächst als befristetes Ausnahmegesetz gedacht, wurde das BBG mehrmals verlängert. Es<br />

galt bis zum Inkrafttreten des Deutschen Beamtengesetzes am 1.7.1937. Wunder: Geschichte der Bürokratie, S.<br />

138 f.; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 277. Das BBG verstieß gegen<br />

Verfassungsgrundsätze und stellte aufgrund seines sogenannten Arierparagrafen den Einstieg in die gegen Juden<br />

gerichtete Sondergesetzgebung dar. Trotzdem liest man gelegentlich, es bedeute <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />

Willkürmaßnahmen kurz nach der Machtergreifung „einen Schritt in Richtung auf eine Verrechtlichung der<br />

Verhältnisse“. Mommsen: Beamtentum, S. 39; Uwe Lohalm: Garant nationalsozialistischer Herrschaft. Der<br />

öffentliche <strong>Die</strong>nst. In: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.): Hamburg <strong>im</strong> „Dritten Reich“.<br />

Göttingen 2005, S. 154-187, hier S. 157 (Zitat). Dagegen urteilt Rebentisch, das BBG „bot dann die Handhabe,<br />

um aus den Gewaltakten einen Dauerzustand zu machen.“ <strong>Die</strong>ter Rebentisch: Innere Verwaltung. In: Jeserich<br />

u. a. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, S. 732-774, hier S. 746.<br />

147<br />

StAK 623 Nr. 2616 (unpaginiert).<br />

148<br />

* 19.2.1875 Harxhe<strong>im</strong> (Pfalz), + 18.9.1939 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch, seit 1908 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>,<br />

Stadtbaumeister, Leiter des Hochbauamtes; StAK 623 Nr. 3244.<br />

149<br />

Zum Opferring vgl. Carl-Wilhelm Reibel: Das Fundament der Diktatur: <strong>Die</strong> NSDAP-Ortsgruppen 1932-1945.<br />

Paderborn 2002, S. 245 f.<br />

150<br />

StAK 623 Nr. 3244 (unpaginiert); ebd. N 118.


90<br />

Modernität und sensible Rücksichtnahme auf die historische Stadtstruktur“. 151 Privat war er<br />

seit 1934 als „rühriger […] Hausdirektor“ <strong>im</strong> fünfköpfigen „Führerrat“ der Casino-<br />

Gesellschaft tätig. 152 Bis zu seinem Tod am 18. September 1939 blieb Neumann in<br />

dezernentenähnlicher Stellung ein fleißiger und eher unauffälliger, loyaler Beamter. 153<br />

Der zwangsbeurlaubte Wilhelm Schwalge 154 (Abb. 11) war für die Nationalsozialisten ein<br />

Gegner politischer Art. Seit 1923 mit dem Titel eines Stadtdirektors ausgestattet, saß der<br />

gebürtige Kölner in einer zentralen Schaltstelle der Verwaltung. Als Chef der für Personal<br />

und Organisation zuständigen Abteilung I arbeitete er auf engster Tuchfühlung mit der<br />

Stadtspitze und hatte eine Schlüsselposition direkt unterhalb der Beigeordnetenebene inne.<br />

Gleichzeitig war er seit 1924 bis zu den Märzwahlen 1933 Zentrums-Stadtverordneter. Gegen<br />

seine Zwangsbeurlaubung legte er wie Rogg Rechtsverwahrung ein. Am 21. und 25. März bat<br />

Schwalge um Aufhebung der Residenzpflicht, um an Sitzungen der Deutschen Beamten-<br />

Krankenversicherung (heute: Debeka) teilnehmen zu können, für die er schon jahrelang<br />

nebenamtlich tätig war, was Wittgen anstandslos genehmigte. In seinem Wiedergut-<br />

machungsverfahren erklärte Schwalge 1956, Christ habe seine Weiterbeschäftigung nicht<br />

zulassen wollen, und so hätte sich auch Wittgen geäußert. Das Problem löste sich dann für<br />

beide Seiten auf elegante Weise: Am 29. April bat Schwalge, zum 15. Mai 1933 aus dem<br />

<strong>Die</strong>nst der Stadt ausscheiden zu dürfen. Den Verlust seiner durch die Beamtenschaft<br />

erworbenen Pensionsansprüche erkenne er an. Noch am selben Tag entsprach Wittgen dem<br />

Gesuch. <strong>Die</strong> Presse unterrichtete er über die Aufhebung der Beurlaubung und das freiwillige<br />

Ausscheiden Schwalges, den die Deutsche Beamten-Krankenversicherung zu ihrem<br />

hauptamtlichen Vorstandsvorsitzenden gewählt hatte. 155<br />

<strong>Die</strong> Verdrängung aus seinem Amt verschmerzte Schwalge schnell und gründlich. Zum 1. Mai<br />

1933 trat er der NSDAP bei. 156 <strong>Die</strong> Deutsche Beamten-Krankenversicherung entwickelte<br />

sich unter seiner Führung zu einem linientreuen Unternehmen mit ausgesprochen<br />

regierungsfreundlicher Geschäftspolitik. 157 Schon <strong>im</strong> August entzog die Versicherung der<br />

151<br />

Peter Lammert: Städtebau von 1917 bis zur GegenwArt. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 451-477, 597 f.,<br />

hier S. 457.<br />

152<br />

Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 35 (Zitat), 63.<br />

153<br />

Neumann fehlte seit Juni 1939 wegen einer Krebserkrankung. Sofern dienstlich möglich, sollte die gesamte<br />

Gefolgschaft an der Beerdigung teilnehmen; StAK 623 Nr. 3244; ebd. Nr. 9567, S. 163. Das NB würdigte<br />

Neumann in einem redaktionellen Nachruf, in dem es ihn posthum als „Pg.“ vereinnahmen wollte, es erschien <strong>im</strong><br />

Anzeigenteil aber nie der übliche Nachruf einer NSDAP-Ortsgruppe; NB, 19.9.1939: Stadtoberbaurat Neumann<br />

gestorben.<br />

154<br />

* 24.12.1887 Köln, + Juli 1966 Köln, katholisch, seit 1921 als Verwaltungsdirektor bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>,<br />

leitete außerdem die städtische Verwaltungsschule; StAK 623 Nr. 3234 (unpaginiert).<br />

155<br />

StAK 623 Nr. 3234 (unpaginiert).<br />

156<br />

StAK 623 Nr. 3234 (unpaginiert).<br />

157<br />

Vgl. Hanns Schneider: Der vorbildliche Betrieb. Westmark-Betriebe <strong>im</strong> Leistungskampf. Berlin 1939, S. 43-<br />

46. In ihrem Geschäftsbericht 1937 schrieb die Debeka, dass sie darauf hingewirkt habe, dass alle<br />

Gefolgschaftsmitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehörten. Im November 1938 kündigte sie<br />

ohne satzungsmäßige Grundlage alle Verträge mit Juden; ebenfalls 1938 entschied sie sich in Berlin für den<br />

Kauf eines Objektes aus jüdischem Besitz, um die Arisierungsbestrebungen der Regierung zu fördern. Zur


Görres-Druckerei, Herausgeberin der Volkszeitung, einen großen Druckauftrag. 158 Auch<br />

91<br />

schien zwischen Wittgen, Christ und Schwalge kein Groll zu herrschen, denn auf der ersten<br />

Tagung der Versicherung nach der Gleichschaltung <strong>im</strong> September 1933 dankte Schwalge den<br />

Ehrengästen Wittgen und Christ mit „herzlichen Worten“ für ihr Erscheinen. 159 Schwalge<br />

wurde 1949 in Berlin entnazifiziert. Nach über siebenjährigem Schriftwechsel erging 1957 ein<br />

Wiedergutmachungsbescheid der Stadt <strong>Koblenz</strong> an den „Generaldirektor i. R., Stadtdirektor<br />

i. R.“, bei dem man nur von einer nominellen Mitgliedschaft in der NSDAP ausging. 160<br />

Auf den Posten Schwalges berief Wittgen noch am 16. März Stadtinspektor Karl Trampp 161 ,<br />

bis zur Märzwahl Führer der Beamtenliste in der Stadtverordnetenversammlung und zuletzt<br />

Kandidat des Deutschen Blocks, dem er „vorläufig“ den Titel eines Stadtdirektors verlieh. 162<br />

<strong>Die</strong> Pressenotiz enthielt die Feststellung, dass Trampp keiner politischen Partei angehöre, 163<br />

was die politische Neutralität dieser Personalentscheidung unterstreichen sollte. Trampp<br />

wurde nämlich erst zum 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied. Da er bei den Kommunalwahlen 1924<br />

und 1929 jeweils drei Mandate mit seiner Beamtenliste hatte erringen können, musste er unter<br />

den Beamten eine gewisse Anhängerschaft besitzen. Außerdem war er Vorsitzender 164 der<br />

Ortsgruppe des Verbands der Kommunalbeamten und -angestellten Preußens e.V. Mit der<br />

Beförderung Trampps wollte man sich offenbar einen treuen Gefolgsmann schaffen, von<br />

dessen Vorbild eine entsprechende Signalwirkung auf die Beamten ausgehen sollte. Seine<br />

endgültige Ernennung zum Amtmann mit dem Titel Stadtdirektor erfolgte zum 1. November<br />

1933. Für Trampp, der bis dahin <strong>im</strong> Rechnungsamt und in der Hauptbuchhaltung eingesetzt<br />

gewesen war, bedeutete dies einen beachtlichen Karrieresprung über mehrere Besoldungs-<br />

gruppen hinweg. 165 Trampp stellte sich schnell und unaufgefordert in den <strong>Die</strong>nst der Partei.<br />

Am 15. Mai schickte er Gauleiter S<strong>im</strong>on Vorschläge zur besseren inhaltlichen Gestaltung des<br />

kommunalpolitischen Mitteilungsblattes der NSDAP, die S<strong>im</strong>on an das Hauptamt in<br />

München weiterleitete. 166 Er wurde Ortsgruppenpresseleiter der Ortsgruppe Schenkendorf,<br />

RDB- und NSV-Mitglied. 167<br />

Entlastung der staatlichen Gesundheitsfürsorge und der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik<br />

vernachlässigte die Debeka versicherungsmathematische Grundsätze und geriet dadurch sogar in ein finanzielles<br />

Ungleichgewicht. Ingo Böhle: Private Krankenversicherung (PKV) <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Unternehmens- und<br />

sozialgeschichtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Krankenversicherung (DKV).<br />

Frankfurt am Main 2003, S. 47, 90 f., 118, 120, 170 f., 202 f.; Debeka Krankenversicherungsverein auf<br />

Gegenseitigkeit (Hg.): 100 Jahre Debeka. Geschichte und Geschichten. <strong>Koblenz</strong> 2005, S. 16 f.<br />

158<br />

Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 170.<br />

159<br />

NB, 11.9.1933: <strong>Die</strong> DeBeKa in <strong>Koblenz</strong>. Stellvertretender Vorsitzender war Stadtinspektor Trampp.<br />

160<br />

StAK 623 Nr. 3234 (unpaginiert).<br />

161<br />

* 19.9.1892 Damgarten (Kreis Franzberg, Pommern), + 3.3.1966 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch, 1941 Kirchenaustritt,<br />

seit 1920 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>; LHAKo Best. 856 Nr. 200461.<br />

162<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 24.<br />

163<br />

KGA, 21.3.1933: Aus der <strong>Stadtverwaltung</strong>. Der Meldung zufolge war Trampp Vorsitzender der<br />

Beamtenausschüsse bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> und des Verbands der Kommunalbeamten und -angestellten.<br />

164<br />

Zumindest ist Trampp für 1930 als Erster Vorsitzender nachweisbar; StAK 623 Nr. 3869, S. 146.<br />

165<br />

StAK 623 Nr. 9160, S. 32-46; ebd. Nr. 9561, S. 159-161; LHAKo Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert).<br />

166 BArch NS 25/1599, Bl. 7-9.<br />

167 LHAKo Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert).


92<br />

Bis zum 24. Juni 1945 konnte sich Trampp als Stadtdirektor <strong>im</strong> Amt behaupten, dann wurde<br />

er entlassen und in <strong>Die</strong>z interniert. In seinem Spruchkammerverfahren gab er an, Wittgen und<br />

Christ hätten ihn ohne seine Einwilligung berufen. Der Tenor der meisten Zeugenaussagen<br />

lautete, dass seine Amtsführung sachlich-korrekt gewesen und er politisch nicht in<br />

Erscheinung getreten sei. Oberbürgermeister Josef Schnorbach, während des Dritten Reiches<br />

selbst Stadtinspektor und daher ein oft gefragter Zeuge, schrieb 1949: „Wenn auch zugegeben<br />

werden muß, daß T. zur Bekleidung der Stelle eines Verwaltungsdirektors die notwendigen<br />

Voraussetzungen und auch die Befähigung besass, so muß doch erwähnt werden, daß er<br />

infolge seiner besonderen Beziehungen zu damals maßgebenden Personen der NSDAP,<br />

insbesondere des damaligen Kommissars der <strong>Stadtverwaltung</strong> Christ und des Stadt-<br />

verordneten Frischling, ihm diese Stelle übertragen worden ist [sic]. Hinsichtlich seiner<br />

Amtsführung sind Beanstandungen irgendwelcher Art nicht bekannt.“ Härter, aber wohl<br />

realistischer, lautete 1947 die Beurteilung von Stadtamtfrau Anna Hans: „Wäre er den Nazis<br />

nicht genehm und ihnen nicht als politisch 100 % zuverlässig gewesen, dann wäre er <strong>im</strong><br />

Dritten Reich nicht vom Stadtinspektor zum Verwaltungsdirektor befördert worden. Jeder, der<br />

das Dritte Reich mit offenen Augen erlebt hat, weiß, daß bei Beförderungen von Beamten<br />

usw. die politische Zuverlässigkeit zuerst feststehen mußte und erst in zweiter Linie spielte<br />

die Brauchbarkeit eine Rolle. <strong>Die</strong> Nationalsozialisten standen doch auf dem Standpunkt, daß<br />

ein Mann nur ein guter Nationalsozialist zu sein braucht um für alle Posten geeignet zu sein.<br />

[…] Daß Herr Trampp von den Nazis mit dem wichtigen Amt des Personalchefs betraut<br />

wurde und in diese [sic] Eigenschaft bis zum Zusammenbruch durchgehalten hat, ist m. E. ein<br />

unbestrittener Beweis für seine <strong>im</strong> dritten Reich bewiesene politische Zuverlässigkeit.“ 168<br />

Damit traf Hans den Kern der Personalpolitik der Partei: Politische Zuverlässigkeit ging vor<br />

fachlicher Eignung. Trampp wurde schließlich 1949 als Mitläufer eingestuft. Er wurde als<br />

Stadtamtmann Geschäftsführer des Stadttheaters und 1957 pensioniert. 169<br />

Intendant Bruno Schoenfeld 170 , ebenfalls am 16. März zwangsbeurlaubt, hatte sich bereits<br />

vorsorglich gegen offenbar erwartete Schwierigkeiten gewappnet. Schon am 13. März hatte er<br />

sich von Theaterdezernent Binhold eine Bescheinigung ausstellen lassen, dass er christlicher<br />

Abstammung und evangelisch getauft sei. Schoenfelds Vertrag lief zum 30. Juni 1933 aus.<br />

Der Theateraussschuss hatte ihn bereits <strong>im</strong> Februar gegen die St<strong>im</strong>men der beiden NSDAP-<br />

Mitglieder wiedergewählt, jedoch stand die Bestätigung durch die Stadtverordneten-<br />

versammlung noch aus. Wittgen beauftragte seinen Kommissar Hildebrandt, Schoenfeld zum<br />

„freiwilligen“ Verzicht auf seine Wiederwahl zu bewegen. Schoenfeld fügte sich in sicherer<br />

168 LHAKo Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert), Schnorbach vom 15.10.1949, Hans vom 20.2.1947. Zwei<br />

Zeugen berichteten von Konflikten Trampps mit Stadtrat Fuhlrott, dem späteren Personaldezernenten; ebd.,<br />

Braun vom 26.9.1949, Weihs vom 10.10.1949.<br />

169 StAK 623 Nr. 9602, S. 33 f.; Handbuch des Stadtrates Stadt <strong>Koblenz</strong>, Mai 1953, S. 29; Fritz Bockius: 1787-<br />

1987. 200 Jahre Theater <strong>Koblenz</strong> (<strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur). <strong>Koblenz</strong> 1987, S. 218.<br />

170 * 19.1.1885 Leipzig, + 29.7.1981 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch, Schreibweise fälschlich auch: Schönfeld. KVZ,<br />

15.5.1931: Der neue Intendant des <strong>Koblenz</strong>er Stadttheaters; RZ, 18./19.1.1975: Unermüdlicher aktiver Künstler<br />

B. Schönfeld wird 90 Jahre alt; RZ, 19./20.1.1980: Im Gespräch; RZ, 30.7.1981: Bruno Schönfeld [Nachruf].


93<br />

Erwartung größerer Probleme. Seine Zwangsbeurlaubung wurde am 27. März „nach Klärung<br />

anscheinender Missverständnisse aufgehoben“, anschließend erhielt er bis zum Ende der<br />

Spielzeit „Krankheitsurlaub […] bewilligt“. <strong>Die</strong> Stadt stellte Schoenfeld bei seinem<br />

Ausscheiden ein glänzendes Zeugnis aus. 171 In einer beispiellosen „konzertierten Aktion“ von<br />

Partei und Staat wurde er dann regelrecht von <strong>Koblenz</strong> weggelobt: Keine Geringeren als<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on, Regierungsvizepräsident Mand und der kommissarische Oberpräsident von<br />

Lüninck versorgten ihn <strong>im</strong> Mai mit Leumunds- und Empfehlungsschreiben. 172<br />

Als Grund für seine Zwangsbeurlaubung nannte Schoenfeld selbst später seine Rede in der<br />

Stadthalle anlässlich des Verfassungstags 1932, die er auf Wunsch Rosendahls gehalten und<br />

die ihm Hildebrandt als „Eintreten für die Judenrepublik“ vorgeworfen hatte. Dass er als<br />

Mischling I. Grades <strong>im</strong> Sinne der späteren Nürnberger Gesetze galt, spielte entgegen seinen<br />

Befürchtungen noch keine Rolle. Er konnte anschließend noch drei Jahre als Intendant in<br />

Schleswig 173 und von 1936 bis zum Anschluss Österreichs 1938 in Graz arbeiten, bevor er<br />

diese beiden Posten aufgrund seiner „halbarischen“ Abstammung verlor. 174 Als das Amt für<br />

Beamte 175 <strong>im</strong> Februar 1936 um „eine Sammlung […] belastenden Materials“ über Schoenfeld<br />

bat, der „linksradikal“ eingestellt gewesen und dem der Ariernachweis „nicht ganz geglückt“<br />

sei, antwortete Binhold ganz und gar nicht <strong>im</strong> erwünschten Sinne. Er bestätigte die<br />

künstlerischen Verdienste Schoenfelds, zitierte aus dem Zeugnis und gab an, von Schwierig-<br />

keiten wegen des Ariernachweises sei nichts bekannt, da dieser damals noch gar nicht zu<br />

führen gewesen sei. 176 Kurioserweise sagte Wittgen Schoenfeld 1938 sogar zu, dessen<br />

Bewerbung um die Intendantenstelle in Trier zu unterstützen. Schoenfeld hatte ihn aus Graz<br />

darum gebeten und ihm versichert, „dass ich – ohne Heucheln und plumpes Anbiedern – […]<br />

von Innen her den Weg zum nationalsozialistischen Staat gefunden [habe]“. 177<br />

171<br />

StAK 623 Nr. 3890, S. 34 f., 40-46, Zitate S. 45; ebd. Nr. 3891, S. 227-229; KGA, 18./19.3.1933: Neue<br />

Maßnahmen <strong>im</strong> Rathaus.<br />

172<br />

StAK N 36.<br />

173<br />

Über Schoenfelds neues Engagement am Nordmark-Landestheater berichtete sogar das Nationalblatt; NB,<br />

11.9.1933: Intendant Schoenfeld.<br />

174<br />

StAK 623 Nr. 3891, S. 2, 21 f., 221-229, Zitat S. 223; ebd. Nr. 7083, S. 3-5, 85-92; Bockius: 1787-1987, S.<br />

161 f., 189, 200; Fritz Richard Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937], S.<br />

59, 61 f. Von 1938 bis 1941 war Schoenfeld arbeitslos, dann war er als Schauspieler an Wehrmachtsbühnen<br />

tätig. Seine Einberufung zur Wehrmacht <strong>im</strong> Oktober 1944 wurde bald wieder als irrtümlich rückgängig gemacht,<br />

bis Kriegsende war er Büro- und Gärtnergehilfe. Ab 16.8.1945 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am<br />

30.6.1949 war Schoenfeld wieder als Intendant in <strong>Koblenz</strong> beschäftigt. In seinem Wiedergutmachungsverfahren<br />

bereitete ihm sein formell „freiwilliger“ Verzicht auf seine Wiederwahl große Probleme, die Stadt beschied<br />

Schoenfeld deshalb am 11.3.1952 abschlägig. Darauf meldeten sich Jean Elsner als Mitglied des früheren<br />

Theaterausschusses und Binhold als Zeugen zu seinen Gunsten zu Wort. Der Ausgang der Angelegenheit vor<br />

dem Landesamt für Wiedergutmachung ist nicht überliefert. StAK 623 Nr. 3891, S. 22, 200-242.<br />

175<br />

Eines der Ämter der Gauleitung; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 39 f., 84.<br />

176<br />

StAK 623 Nr. 3890, S. 44-46, Zitate S. 44. Im Kunstbeirat berichtete Binhold am 5.11.1936 zu Schoenfelds<br />

Wechsel nach Graz, der Reichspropagandaminister habe erklärt, seiner späteren Rückkehr an eine reichsdeutsche<br />

Bühne stehe nichts ihm Wege. Trotzdem meldete Ratsherr Wilhelm Koenig Zweifel an der arischen<br />

Abstammung Schoenfelds an. Ebd. Nr. 6726, S. 709.<br />

177<br />

StAK 623 Nr. 8780, S. 746-752, Zitat S. 747.


94<br />

<strong>Die</strong> beiden nächsten Beurlaubungen vom 17. März 1933 betrafen zwei Frauen, zum einen die<br />

Stadtsekretärin Maria Finkler vom Wohlfahrtsamt, zum anderen die Sozialreferentin Anna<br />

Loenartz, Leiterin des Jugend- und Gesundheitsamtes. 178<br />

Maria Finkler 179 war seit 1931 be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt eingesetzt, wo sie für allein stehende<br />

Frauen und Mädchen zuständig war. 180 Ein Grund für Finklers Beurlaubung lag sicher in ihrer<br />

Mitgliedschaft in der SPD, der sie von 1930 bis zum 14. März 1933 angehört hatte. Im<br />

Gegensatz zu ihr blieb aber ihre Kollegin, die bereits genannte Stadtsekretärin Anna Hans 181<br />

vom Jugendamt, unbehelligt, obwohl sie sogar zwei Jahre länger Mitglied in der SPD<br />

gewesen war, nämlich von 1928 bis zum 28. Februar 1933, außerdem 1932 inaktives Mitglied<br />

der Eisernen Front. 182 Finkler war allerdings noch jüngst Zielscheibe öffentlicher Kritik <strong>im</strong><br />

Nationalblatt gewesen. 183 Dabei spielten Konflikte mit dem Publikum eine Rolle, 184 angeblich<br />

hatte Finkler um Unterstützung nachsuchenden Frauen zur Prostitution geraten. Ihr<br />

Vorgesetzter, Wohlfahrtsamtsleiter Johannes Schmitz, hatte sich Ende 1932 erfolgreich dafür<br />

stark gemacht, dass der üblen Hetze gegen Finkler ein Ende gemacht werden müsse. Gegen<br />

zwei Frauen wurde ein Prozess wegen Beamtenbeleidigung angestrengt, der Mitte März noch<br />

schwebte und Ende April 1933 zu Finklers Gunsten ausging. Wittgen, dem angesichts der<br />

Vorwürfe <strong>im</strong> Nationalblatt kaum eine andere Wahl blieb, setzte Kommissar Wolf auf den Fall<br />

an. Wolf nahm sowohl das gerade abgeschlossene Gerichtsverfahren, ein älteres – das in der<br />

Berufungsinstanz ebenfalls zu Gunsten Finklers geendet hatte – sowie weitere Vorfälle unter<br />

die Lupe. In seinen Berichten vom 9. und 22. Juni kam Wolf zu dem Ergebnis, dass die<br />

Beweislage angesichts der widersprüchlichen Aussagen der zum Teil unglaubwürdigen<br />

Zeuginnen für ein <strong>Die</strong>nststrafverfahren nicht ausreichen würde, allerdings hätte Finkler in<br />

ihren Äußerungen vorsichtiger sein müssen. Wittgen machte von der Möglichkeit, die ihm<br />

inzwischen das BBG bot, keinen Gebrauch, wonach er Finkler allein wegen ihrer früheren<br />

SPD-Mitgliedschaft als politisch unzuverlässig hätte entlassen können. Er hob auf Wolfs<br />

Berichte hin die Beurlaubung zum 30. Juni auf und versetzte Finkler ab 1. Juli 1933 zum<br />

Hafenamt. Schmitz hatte die Versetzung zu einer <strong>Die</strong>nststelle mit weniger Publikumsverkehr<br />

befürwortet, um weiteren Konflikten vorzubeugen. <strong>Die</strong>se milde Behandlung Finklers muss<br />

178 KGA, 18./19.3.1933: Neue Maßnahmen <strong>im</strong> Rathaus.<br />

179 * 11.9.1886 St. Johann (heute Saarbrücken), + 29.5.1945 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, ledig, seit 1907 bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>, zunächst als Stenotypistin und Bürogehilfin, legte 1923 und 1926 die I. und II.<br />

Verwaltungsprüfung ab; StAK 623 Nr. 3916.<br />

180 StAK 623 Nr. 6190, S. 679, 682. <strong>Die</strong> „Rate“ (Arbeitsgebiet) umfasste Ende 1931 508 Parteien (Haushalte).<br />

181 * 22.3.1890 Irmtraut (Kreis Oberwesterwald), katholisch, ledig, seit 1911 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, zunächst<br />

als Bürogehilfin, während des Ersten Weltkrieges als Hilfsschwester in Festungs- und Kriegslazaretten, legte<br />

1923 und 1926 die I. und II. Verwaltungsprüfung ab; StAK 623 Nr. 3901.<br />

182 StAK 623 Nr. 3901. Bei Finkler und Hans finden sich nicht nur Parallelen <strong>im</strong> beruflichen Werdegang sowie<br />

politischen Engagement, sondern auch <strong>im</strong> privaten Bereich: Hans hatte zwei Pflegekinder, Finkler einen<br />

Pflegesohn.<br />

183 NB, 16.2.1933: Eine feine Fürsorgebeamtin; NB, 17.2.1933: Da gehört sie hin! Auch die kommunistische<br />

Volksst<strong>im</strong>me hatte 1930 St<strong>im</strong>mung gegen Finkler gemacht; Volksst<strong>im</strong>me, 19.2.1930: Fort mit Fräulein Finkler!<br />

Zeitungsausschnitte in: StAK 623 Nr. 6560, S. 54, 56 f.<br />

184 Schon 1928 musste Finkler aufgrund von Beschwerden ein Protokoll zum Verhalten <strong>im</strong> Publikumsverkehr<br />

unterschreiben; StAK 623 Nr. 3916, S. 104.


umso mehr verwundern, als das Nationalblatt den Fall mit neuer Polemik 185 begleitet hatte.<br />

Der Öffentlichkeit vermittelte Wittgen daher – fälschlicherweise – den Eindruck, die<br />

95<br />

Angelegenheit sei noch in der Schwebe, denn er schickte dem Blatt eine Pressenotiz, wonach<br />

die Beurlaubung Finklers nur vorläufig aufgehoben sei, bis über die Einleitung eines<br />

<strong>Die</strong>nststrafverfahrens entschieden werde. Das Hafenamt bestätigte <strong>im</strong> August auf Anfrage<br />

Wittgens, Finkler habe sich dort gut bewährt. Am 22. August musste Finkler ausdrücklich<br />

schriftlich bestätigen, dass sie jegliche Beziehungen zur SPD und ihren Organisationen gelöst<br />

habe. 186 Ihre Weiterbeschäftigung führte angesichts der vorherigen lautstarken Ankündigung<br />

von Säuberungen zu Unzufriedenheit. Im Oktober 1933 forderte der Kölner Bezirksleiter der<br />

DAF von Wittgen die Entlassung Finklers. Viele Mitglieder seien „erbost“, dass die<br />

„ausgesprochene S.P.D.istin“ weiter bei der Stadt tätig sei. 187<br />

Anna Loenartz 188 (Abb. 13) musste den Nationalsozialisten wegen ihrer politischen und<br />

familiären Bindungen unliebsam sein. Sie war nicht nur eine Schwester von Zentrums-<br />

Fraktionsführer Georg Loenartz, sondern gehörte selbst seit 1918 der Zentrumspartei an. 1901<br />

hatte sie eine Tätigkeit als Lehrerin an der Höheren Mädchenschule der Ursulinen in <strong>Koblenz</strong><br />

aufgenommen, die sie 1903 aufgab, um für den erkrankten Vater bis zu dessen Tod 1906 als<br />

Privatsekretärin zu arbeiten. Danach widmete sie sich der Vereinsarbeit, besuchte<br />

Fortbildungskurse und Vorlesungen in Bonn und betrieb private Studien auf dem Gebiet der<br />

Wohlfahrtspflege. <strong>Die</strong> Abiturprüfung verhinderte eine Krankheit. Vom August 1914 bis April<br />

1917 war sie Geschäftsführerin des Nationalen Frauendienstes in <strong>Koblenz</strong>, 1917 auch kurz<br />

zweite Referentin <strong>im</strong> Frauenreferat be<strong>im</strong> Kriegsamt des VIII. Armeekorps. Am 1. Mai 1917<br />

trat sie eine Stelle be<strong>im</strong> städtischen Wohlfahrtsamt an. Am 1. April 1919 wurde Loenartz<br />

Beamtin und Leiterin des Wohlfahrtsamtes, ab 1. April 1920 führte sie den Titel „Sozial-<br />

referentin“. Mit den wachsenden Aufgaben des Amtes erfolgte später eine Aufgabenteilung:<br />

Unter dem gemeinsamen Dach des Wohlfahrtsamtes, das Stadtamtmann Schmitz leitete, stand<br />

die in gleicher Höhe wie Schmitz besoldete 189 Loenartz dem Jugend- und Gesundheitsamt 190<br />

und Stadtinspektor Franz Meyendriesch dem Fürsorgeamt vor. 191<br />

185<br />

NB, 8.4.1933: <strong>Die</strong> beurlaubte Stadtsekretärin Finkler vom Wohlfahrtsamt fühlt sich beleidigt.<br />

186<br />

StAK 623 Nr. 3916; ebd. Nr. 6560, S. 12-124.<br />

187<br />

StAK 623 Nr. 6564, S. 288.<br />

188<br />

* 27.6.1881 <strong>Koblenz</strong>, + 20.3.1946 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, ledig, seit 1917 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>. StAK 623<br />

Nr. 3875. Loenartz’ Werdegang ist ein typisches Beispiel für eine ledige Frau ihrer Generation, die in der<br />

„Mütterlichkeit als Beruf“ ihre Berufung fand. In einem Haushalt mit den Eltern, später mit einer Tante lebend,<br />

konnte sie als Leiterin des Jugendamts das Ideal der christlichen Caritas mit der „Mutterschaft“ an ihren<br />

Schutzbefohlenen verbinden. Vgl. Christoph Sachße: Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und<br />

Frauenbewegung 1871-1929. Weinhe<strong>im</strong> 2003.<br />

189<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 81.<br />

190<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 693 f. Dazu gehörte auch das sogenannte Pflegeamt, dem die Betreuung<br />

geschlechtskranker bzw. „gefährdeter“ Frauen und Mädchen oblag; ebd. S. 691.<br />

191<br />

StAK 623 Nr. 3875.


96<br />

Auch Loenartz legte Rechtsverwahrung gegen ihre Zwangsbeurlaubung ein. Am 9. Mai nahm<br />

sie gegenüber Wittgen ausführlich Stellung zu den Vorwürfen, die man in der Öffentlichkeit<br />

gegen sie erhebe. Sie habe weder eine Begründung für ihre Beurlaubung noch eine<br />

Möglichkeit zur Rechtfertigung bekommen. Besonders wehrte sie sich gegen den<br />

Hauptvorwurf, eine „Parteibuchbeamtin“ ohne entsprechende fachliche Qualifikation zu sein.<br />

<strong>Die</strong> Leitung eines Wohlfahrtsamtes durch pädagogisch vorgebildete Kräfte mit praktischen<br />

Erfahrungen in der Fürsorge sei damals üblich 192 und eine Einflussnahme ihres Bruders gar<br />

nicht möglich gewesen, da dieser erst <strong>im</strong> November 1919 Stadtverordneter geworden sei.<br />

Schwer gekränkt zeigte sie sich über die Behauptungen des Nationalblatts, sie habe<br />

Hilfsbedürftige unwürdig oder unmenschlich behandelt. Ihre nationale Gesinnung habe sie in<br />

der Separatistenzeit bewiesen und sich mit Rücksicht auf ihr Amt nie politisch betätigt.<br />

Wittgen antwortete am 12. Mai nur lapidar, die von ihr angesprochenen Anschuldigungen<br />

habe die Verwaltung bisher nicht erhoben, eine Entscheidung über ihre Beurlaubung werde<br />

noch getroffen. 193 Am 15. Mai beschuldigte das Nationalblatt Loenartz, die sich gerne als<br />

„Wohltäterin der Stadt <strong>Koblenz</strong>“ aufgespielt habe, Russell habe ihr 1926 einen „Urlaubs-<br />

zuschuss“ über 500 RM gewährt, außerdem hätten die in der städtischen Nähstube<br />

beschäftigten Pflichtarbeiterinnen Flickarbeiten für sie persönlich erledigen müssen. 194 Damit<br />

kamen zu den Vorwürfen des Parteibeamtentums und der Vetternwirtschaft noch die der<br />

Verschwendungssucht und Korruption, womit das gesamte Spektrum der üblicherweise<br />

vorgeschobenen Beurlaubungsgründe abgedeckt war. Loenartz beschwerte sich tags darauf<br />

bei Wittgen, es habe sich um eine korrekt bewilligte Notstandsbeihilfe für einen Kuraufenthalt<br />

gehandelt und sie habe die Näherinnen nie privat in Anspruch genommen. <strong>Die</strong> Nach-<br />

prüfungen und Vernehmungen durch Wolf und Trampp ergaben, dass kein dienstwidriges<br />

Verhalten vorlag 195 und die Notstandbeihilfe nicht zu beanstanden war. Wittgen schickte<br />

daraufhin, wie von Loenartz wiederholt verlangt, dem Nationalblatt eine Berichtigung, die<br />

jedoch nie erschien. Obwohl sich die Anschuldigungen als haltlos erwiesen hatten, hielt<br />

Wittgen wie <strong>im</strong> Fall Rogg an der geplanten Entlassung von Loenartz fest: Zum einen konnte<br />

man sich einer unliebsamen „Parteibuchbeamtin“ entledigen, zum anderen den Sparwillen der<br />

Nationalsozialisten demonstrieren. Am 5. Juli beantragte Wittgen be<strong>im</strong> Innenminister über<br />

den Regierungspräsidenten die Versetzung von Loenartz in den Ruhestand gemäß § 6 BBG.<br />

<strong>Die</strong> Stelle eines Leiters des Jugendamtes solle aus Kostengründen nicht neu besetzt, 196<br />

192<br />

<strong>Die</strong> Professionalisierung der weiblichen Wohlfahrtspflege war bei Eintritt Loenartz’ noch nicht abgeschlossen<br />

gewesen: <strong>Die</strong> erste „Soziale Frauenschule“ gab es 1905, die staatlich geregelte Ausbildung und Anerkennung der<br />

Wohlfahrtspflegerinnen kam erst mit Einführung der Preußischen Prüfungsordnung vom 22.10.1920; Christoph<br />

Sachße/Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3: Der Wohlfahrtsstaat <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>.<br />

Stuttgart 1992, S. 193 f.; Paul Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. <strong>Die</strong> Wohlfahrtspflege in Preußen<br />

zwischen 1933 und 1939 am Beispiel der Wirtschaftsfürsorge. Weinhe<strong>im</strong>/Basel 1985, S. 40-47.<br />

193<br />

StAK 623 Nr. 3875.<br />

194<br />

NB, 15.5.1933: Zwei Stützen des Systems.<br />

195<br />

StAK 623 Nr. 6627, S. 117-119.<br />

196<br />

Loenartz hatte sich und das Jugendamt schon 1932 Rechtfertigungsdruck ausgesetzt gesehen, als Schmitz<br />

aufgrund der Überlastung des Wohlfahrtsamtes Umorganisationen und Versetzungen vorschlug, was Rosendahls


sondern von Schmitz zusätzlich übernommen werden, der bereits seit der Suspendierung<br />

97<br />

Loenartz’ mit ihrer Vertretung beauftragt worden war. Zwar erkundigte sich Loenartz in ihrer<br />

Stellungnahme vom 5. August, ob eine beschränkte Weiterbeschäftigung be<strong>im</strong> Jugendamt<br />

möglich sei, doch sie war realistisch genug um einzusehen, dass ihr keine andere Wahl blieb,<br />

als ihrer Pensionierung „schweren Herzens“ zuzust<strong>im</strong>men. Der Regierungspräsident gab den<br />

Antrag auf Pensionierung befürwortend weiter, nachdem er Loenartz noch gegen das Votum<br />

Wittgens rückwirkend zurückgruppiert hatte. Am 2. Dezember 1933 versetzte der<br />

Innenminister Loenartz in den Ruhestand. 197<br />

Neben Loenartz wurden zwei weitere Frauen Opfer des BBG, beide Volksschullehrerinnen. 198<br />

Bekannt ist nur der Fall von Helene Rothländer, deren umstrittene Äußerungen <strong>im</strong><br />

Wahlkampf denunziert wurden. Sie wurde <strong>im</strong> September 1933 entlassen und stand seitdem<br />

unter Gestapo-Aufsicht. 199<br />

Einen Tag nach Loenartz und Finkler, am 18. März, wurde Stadtinspektor Heinrich („Heinz“)<br />

Bastians 200 von Abteilung I vom <strong>Die</strong>nst suspendiert. Bastians war Absolvent der Düsseldorfer<br />

Beamtenhochschule und führte den Titel „Diplom-Kommunalbeamter“. Für den Deutschen<br />

Beamtenbund war er als Funktionär tätig und verfasste Beiträge für dessen Monatsrundschau,<br />

die er auch redigierte. Außerdem war er Autor der Broschüre „1000 Fragen des<br />

Beamtenrechts“, die Prüfungsfragen behandelte und bis 1933 <strong>im</strong> Selbstverlag 14 Auflagen<br />

erlebte. Konkrete Vorwürfe lagen gegen Bastians, der bis 1931 dem Zentrum angehörte<br />

hatte, 201 offenbar nicht vor. Wahrscheinlich hatte er sich der Gleichschaltung der Komba 202<br />

widersetzt, zumindest gehörte er nicht dem neuen Vorstand des Ortskartells an. Während<br />

Kommissar Wolf seit Mai 1933 mit der Überprüfung der Bürgersteuerermäßigungen der<br />

vergangenen Jahre beschäftigt war, richtete er sein besonderes Augenmerk auf Bastians.<br />

Parallel dazu wurden die Unterlagen des Ortskartells durch die NS-Beamtenabteilung,<br />

Kommissar Hertel und Stadtsekretär Ludwig Dolle geprüft. Wolf kam zu dem Schluss,<br />

Bastians habe aufgrund fehlender Honorarangaben Steuerhinterziehung begangen, was<br />

Unterstützung fand; StAK 623 Nr. 6190, S. 675-724. Im Januar 1933 hatte es heftige Querelen zwischen<br />

Loenartz und Stadtsekretär Meyer vom Rechnungsamt gegeben; StAK 623 Nr. 5744, S. S. 532-539.<br />

197 StAK 623 Nr. 3875, Zitat S. 224. Ende 1945 wurde die Kürzung der Bezüge als Verfolgungsmaßnahme<br />

eingestuft, rückwirkend zum 1.4.1945 erfolgte eine neue Berechnung. Eine Wiederbeschäftigung bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> kam aufgrund des schlechten Gesundheitszustands von Loenartz zum Bedauern von<br />

Oberbürgermeister Wilhelm Kurth nicht mehr in Frage. Sie starb am 20.3.1946 in <strong>Koblenz</strong>. StAK 623 Nr. 3875,<br />

S. 255-258; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 375/1946.<br />

198 VB 1933-1937, S. 58. Männliche Lehrer sind aufgrund des BBG nicht entlassen worden.<br />

199 NB, 6.9.1933: Frl. Rothländer pensioniert; Koops: Selbstbehauptung, S. 331 f. Rothländer (* 23.12.1890<br />

Köln, + 1.7.1976 <strong>Koblenz</strong>) saß vom 23.8. bis 4.10.1944 wegen angeblicher Mitwisserschaft der Verschwörung<br />

vom 20. Juli in Gestapo-Haft; LHAKo Best. 540,1 Nr. 1415. Vgl. Helene Rothländer: „In Deinen Händen ruhet<br />

mein Geschick.“ Erinnerungen aus schwerer Zeit. O. O. o. J. [<strong>Koblenz</strong> 1972]. Nach Kriegsende war sie<br />

Mitbegründerin der CDP (spätere CDU), Landtagsabgeordnete und Regierungsdirektorin <strong>im</strong> Kultusministerium.<br />

200 * 6.9.1891 Süchteln (Kreis Kempen-Krefeld), + 21.2.1964 Bonn, katholisch, seit 1920 bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>. StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 1 (unpaginiert); Standesamt Bonn, Sterbeurkunde Nr. 464/1964.<br />

201 BArch R 55/24116, Bescheinigung der <strong>Koblenz</strong>er Zentrumspartei vom 23.3.1933.<br />

202 NB, 3.5.1933: Gleichschaltung des Komba-Vorstandes.


Bastians bestritt. Am 26. September erging die Klageschrift 203 wegen Steuerhinterziehung<br />

98<br />

von 15,75 RM. In der Verhandlung vom 14. November 1933 wurde kurzer Prozess gemacht.<br />

Als einziger Zeuge wurde Stadtoberinspektor Heinrich Michel als Leiter des Steueramts<br />

vernommen, der unter Eid zur Bemessungsmethode aussagte. Als der Vorsitzende des<br />

Schöffengerichts, Landgerichtspräsident Dr. Viktor Bartman, der Verteidiger und Michel<br />

sofort eine Rechenprobe anstellten, wurde die Anklage fallengelassen und Bastians<br />

freigesprochen. 1934 wurden weitere Nachforschungen zu Bastians’ Einnahmen aus seinem<br />

Buchvertrieb angestellt, doch der Oberstaatsanwalt riet Wittgen von einer Berufung ab. Der<br />

Oberbürgermeister wählte den inzwischen probaten Weg des § 6 BBG. Mit knapp 43 Jahren<br />

wurde Bastians zum 30. Juni 1934 in den Ruhestand versetzt. 204<br />

Bastians kam offenbar nahtlos be<strong>im</strong> Landesfremdenverkehrsverband Rheinland unter, womit<br />

sich Wittgen ausdrücklich einverstanden erklärte. Von dort wechselte er 1936 als<br />

Verwaltungsdirektor zum Reichsfremdenverkehrsverband nach Berlin. <strong>Die</strong>s führte <strong>im</strong> April<br />

1937 zu der Anfrage des NSDAP-Hauptamtes für Beamte be<strong>im</strong> vorgesetzten Reichs-<br />

propagandaministerium, wieso ein politisch missliebiger Beamter in einer anderen Stelle <strong>im</strong><br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nst unterkomme, die zudem wesentlich besser bezahlt werde. Das Schreiben<br />

löste größere Nachforschungen aus, die für den als sehr fleißig und kompetent geltenden<br />

Bastians zwar keine Entlassung zur Folge hatten, aber eine beabsichtigte Höhergruppierung in<br />

Frage stellten. Mit den bestehenden politischen Verhältnisse hatte er sich offensichtlich<br />

vollkommen arrangiert. 205 1934 war er dem Opferring beigetreten, später wurde er<br />

NSDAP-Mitglied. 1939 bis 1941 war Bastians stellvertretender Geschäftsführer des<br />

Landesfremdenverkehrsverbandes Sudetenland in Reichenberg. Danach trat er in die Leitung<br />

des Berliner Verlags Erwin Jäger ein. Ein ärztliches Gutachten von 1950 bescheinigte<br />

Bastians <strong>Die</strong>nstunfähigkeit seit 1945 (!). Laut Entnazifizierungsbescheid war er nur<br />

nominelles Mitglied der NSDAP gewesen. Mit der Stadt <strong>Koblenz</strong> schloss Bastians 1950 einen<br />

außergerichtlichen Vergleich zur Regelung seiner Pensionsbezüge. Seine späteren Versuche,<br />

Nachbesserungen zu erreichen, lehnte der Personalausschuss 1962 ab. 206<br />

Am 18. März 1933 erhielten die Kommissare Hilfestellung von außen. Bei Christ meldete<br />

sich ein Denunziant, der bereits 1932 ohne Erfolg bei Oberbürgermeister Rosendahl vorstellig<br />

geworden war. Der Mann war eine ehemalige Saisonkraft des Verkehrsamtes. Dass er bei<br />

späteren Einstellungen übergangen wurde, führte er auf sein Wissen um ein Verhältnis des<br />

203 Vertreter der Anklage war Staatsanwalt Dr. Harlos, * 1889, 1941 Oberstaatsanwalt (Behördenleiter) in<br />

Schneidemühl, 1943 Oberstaatsanwalt in Luxemburg, 1944 zunächst in Vertretung Oberstaatsanwalt<br />

(Behördenleiter) in <strong>Koblenz</strong>, nach 1945 Oberregierungsrat und Leiter der Strafanstalt Freiendiez in <strong>Die</strong>z. Justiz<br />

<strong>im</strong> Dritten Reich. NS-Sondergerichtsverfahren in Rheinland-Pfalz. Eine Dokumentation, Teil 1 (Schriften des<br />

Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz 1). Frankfurt am Main 1994, S. 55.<br />

204 StAK 623 Nr. 6170, S. 17, 21-24; ebd. Nr. 6564, S. 627-710; ebd. Nr. 6130, S. 331-333.<br />

205 Vgl. Bastians’ Kommentar zur Verhaftung von Otto Braun 1936 in Kapitel 5.1.3.<br />

206 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 1 (unpaginiert); ebd. Nr. 3401 (unpaginiert), Schreiben vom 17.1.1940, 6.9.1940,<br />

8.11.1940, 24.4.1941; BArch R 55/24116.


99<br />

verheirateten Hafen- und Verkehrsdirektors Franz Lanters 207 (Abb. 34) mit einer wesentlich<br />

jüngeren Untergebenen zurück, deren Versetzung zum Wohlfahrtsamt 1932 auf seinen<br />

Hinweis erfolgt sei. Bereitwillig wurde seine Geschichte aufgegriffen, handelte es sich bei<br />

Lanters doch um ein altes Zentrumsmitglied (seit 1912) in exponierter Stellung, das man an<br />

den Pranger stellen konnte. Lanters, wie sein Duz-Freund Schwalge ein gebürtiger Kölner,<br />

hatte einen eher ungewöhnlichen Werdegang hinter sich. Nach dem Realschulbesuch<br />

absolvierte er 1893 bis 1897 eine kaufmännische Lehre in seiner He<strong>im</strong>atstadt, nach dem<br />

Militärdienst war er von 1899 bis 1902 bei Great Eastern Railway in London beschäftigt.<br />

Dann war er bis 1910 Leiter der Verschiffungsabteilung der Felten & Guillaume AG in<br />

Mülhe<strong>im</strong>, ab Oktober 1910 dort Hafendirektor. 1914 wurde er Hafendirektor und<br />

Oberbeamter der Stadt Köln, bevor er 1916 Sachverständiger für Schifffahrts- und<br />

Brückenangelegenheiten be<strong>im</strong> stellvertretenden Generalkommando des VIII. Armeekorps<br />

wurde. Seit 1917 war er Hafen- und Verkehrsdirektor in <strong>Koblenz</strong>. Seine ausgezeichneten<br />

Sprachkenntnisse und Kontakte nach England kamen der Belebung des <strong>Koblenz</strong>er<br />

Fremdenverkehrs sehr zugute. 208<br />

Wittgen persönlich vernahm Lanters und die Beamtin in Gegenwart seiner Kommissare Christ<br />

und Hildebrandt. Beide bestritten die Anschuldigungen. Wittgen drängte Lanters, den<br />

Denunzianten wegen Verleumdung zu verklagen, was dieser schließlich zusagte. Es folgten<br />

weitere Nachforschungen durch Kommissar Haupt und Verwaltungsdirektor Trampp in den<br />

von Lanters geführten Ämtern sowie den städtischen Bewirtungsbetrieben 209 , die dem<br />

Verkehrsamt unterstellt waren. <strong>Die</strong> Aussagen brachten Widersprüche und wenig Greifbares.<br />

Zwölf Mitarbeiter von Lanters sowie der Betriebsratsvorsitzende namens der Hafenarbeiter<br />

unterschrieben eine Ehrenerklärung für ihren Chef. Der Denunziant blieb bei seinen<br />

Vorwürfen, wenn er auch zugeben musste, das angebliche Paar selbst nicht beobachtet zu<br />

haben. Unterdessen riet Lanters’ Rechtsanwalt von einer Klageerhebung wegen Beleidigung<br />

ab, da er mit einer Abweisung der Klage rechnete. Da brachte Anfang April die Beschwerde<br />

der Inhaber einer Privatpension über den Denunzianten die entscheidende Wende: Der<br />

Mann habe bei seiner Tätigkeit <strong>im</strong> Verkehrsamt bei der Z<strong>im</strong>mervermittlung das Hotel<br />

„Westfälischer Hof“ des Juden Rudolf Süßmann 210 bevorzugt, der ihn dafür mit Wurstpaketen<br />

aus seiner Metzgerei bezahlt habe. Ob diese Anschuldigung nun st<strong>im</strong>mte oder nicht, wurde<br />

nicht weiter überprüft; <strong>im</strong> Grunde handelte es sich um eine weitere Denunziation. Ein<br />

Gewährsmann, der <strong>im</strong> Verdacht stand, dass er sich von einem Juden hatte kaufen lassen, war<br />

für die Nationalsozialisten nicht mehr tauglich. Dass dieser Beschwerdebrief genau zum<br />

207 * 6.3.1877 Köln, + 3.10.1956 <strong>Koblenz</strong>, katholisch; StAK 623 Nr. 8827.<br />

208 StAK 623 Nr. 3834, S. 1 f., 3-17; ebd. Nr. 8827. Tatsächlich hatte die beschuldigte Beamtin 1932 selbst um<br />

ihre Versetzung gebeten; ebd. Nr. 6869, S. 482 f.<br />

209 Der Stadt gehörten die Restaurationsbetriebe Stadthalle, Weindorf, Rittersturz, Café Rheinanlagen und<br />

Schützenhaus Laubach, die jeweils verpachtet waren; VB 1933-1937, S. 108 f.<br />

210 Süßmann starb am 19.4.1938, seine Witwe Johanna geb. Levy und Tochter Meta wurden am 1942 deportiert;<br />

Thill: Lebensbilder, S. 209, 214, 216 f.


100<br />

richtigen Zeitpunkt bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> eintraf, legt die Vermutung nahe, dass dies kein<br />

Zufall war. Es dürfte sich in den Stadt längst herumgesprochen haben, dass der Hafen- und<br />

Verkehrsdirektor in Schwierigkeiten steckte. 211<br />

Immerhin hatten die Untersuchungen Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in der Kassenführung<br />

des Verkehrsamts ergeben. Eine Kassenprüfung am 18. April ergab einen Fehlbetrag von<br />

50 RM und weitere Unst<strong>im</strong>migkeiten. <strong>Die</strong> beiden Hilfsangestellten Hans Weng und Dr.<br />

Bernhard Schmitz wurden daraufhin fristlos entlassen und Stadtobersekretär Peter Lucas mit<br />

sofortiger Wirkung vom <strong>Die</strong>nst suspendiert. Zwar hatte Lanters schon <strong>im</strong> April 1932<br />

regelmäßige interne Kassenprüfungen angeordnet, sie waren aber offenbar locker gehandhabt<br />

worden. Da er als <strong>Die</strong>nststellenleiter letztlich die Verantwortung trug und man seinen<br />

Klageverzicht wegen Beleidigung zudem als Eingeständnis des ursprünglichen Vorwurfs<br />

wertete, leitete Wittgen am 21. April 1933 ein <strong>Die</strong>nststrafverfahren mit der Ziel der<br />

Entlassung gegen ihn ein. Lanters wurde ebenfalls suspendiert, das Betreten der Amtsräume<br />

wurde ihm untersagt, seine Bezüge gekürzt. Mit der Wahrnehmung seiner <strong>Die</strong>nstgeschäfte<br />

beauftragte Wittgen noch am selben Tag Kommissar Gärtner, der als Dolmetscher zumindest<br />

über Fremdsprachenkenntnisse verfügte. 212 Das Nationalblatt schlachtete diesen ersten<br />

Ermittlungserfolg gegen den „Korruptionsherd“ <strong>im</strong> Verkehrsamt mit der Schlagzeile „Es wird<br />

ausgemistet“ aus. 213 Weng und Lucas wurden <strong>im</strong> August 1933 wegen fortgesetzter<br />

Amtsunterschlagung zu je neun Monaten Gefängnis verurteilt. 214<br />

Anscheinend rechnete man nicht damit, dass Lanters das <strong>Die</strong>nststrafverfahren „überstehen“<br />

würde, denn schon am 24. Mai 1933 suchte die Stadt <strong>Koblenz</strong> über eine Anzeige <strong>im</strong><br />

Völkischen Beobachter einen neuen Leiter für das Verkehrsamt. Es gingen über<br />

30 Bewerbungen aus ganz Deutschland ein, überwiegend von Alten Kämpfern, wie be<strong>im</strong><br />

Leserkreis des Blattes nicht anders zu erwarten war, zudem waren ausdrücklich Angaben zur<br />

Parteizugehörigkeit verlangt gewesen. Im Juni übersandte Gauleiter S<strong>im</strong>on Wittgen ein<br />

Empfehlungsschreiben seines Studienfreundes Dr. Hermann Unger 215 , ein gebürtiger<br />

<strong>Koblenz</strong>er und inzwischen kommissarischer Bürgermeister in Traben-Trarbach. Er hatte ihn<br />

gebeten, sich für einen Alten Kämpfer und SA-Sturmführer zu verwenden. Doch da der<br />

Bewerber ansonsten keine besondere Eignung vorzuweisen hatte, gab S<strong>im</strong>on Wittgen<br />

gleichzeitig eine interessante Direktive: „Da es sich bei der Stelle eines Leiters des städt.<br />

211 StAK 623 Nr. 3834; ebd. Nr. 8827.<br />

212 StAK 623 Nr. 3834, S. 59-76; ebd. Nr. 9561, S. 61 f.<br />

213 NB, 21.4.1933: Es wird ausgemistet. Im gleichen Artikel heißt es, das derzeit gesichtete Aktenmaterial der<br />

Verwaltung gebe „Kunde von der furchtbaren Luderwirtschaft und Verschwendungspolitik“ unter Russell und<br />

Rosendahl.<br />

214 NB, 12.8.1933: <strong>Die</strong> Unregelmäßigkeiten be<strong>im</strong> städtischen Verkehrsamt. Im Fall Lucas kam es 1936 zu einem<br />

Wiederaufnahmeverfahren; NB, 7.8.1936: <strong>Die</strong> Spesen des Stadtsekretärs Lukas.<br />

215 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 474 f.; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und<br />

kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 787 f.


101<br />

Verkehrsamtes vorzüglich um fachliche Fähigkeiten handelt [sic!], bitte ich, nur nach diesen<br />

Gesichtspunkten zu entscheiden.“ Politische Zuverlässigkeit allein reichte S<strong>im</strong>on also<br />

– zumindest in diesem Fall – nicht aus. 216 Eingestellt wurde letztlich niemand. Das<br />

Disziplinarverfahren gegen Lanters entwickelte sich nämlich nicht sehr aussichtsreich.<br />

Tatsächlich wurde es Anfang Mai 1934 eingestellt, und Lanters nahm am 15. Mai 1934 seinen<br />

<strong>Die</strong>nst wieder auf. Lanters trat der NSDAP zum 1. August 1935 bei, also während der<br />

Mitgliedersperre, was nur in Ausnahmefällen möglich war. 217<br />

Nach einigen wenigen Tagen ohne Zwangsbeurlaubung betraf die nächste am 24. März 1933<br />

Rechnungsdirektor Heinrich Geisemeyer 218 , Leiter der Abteilung IV, Rechnungsamt und<br />

Hauptbuchhaltung. Er war seit 1912 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>. Nach seiner Teilnahme am<br />

Ersten Weltkrieg, in dem er mehrfach verwundet und ausgezeichnet worden war, wurde<br />

er zunächst <strong>im</strong> Polizeidienst eingesetzt, kehrte aufgrund von Differenzen mit den<br />

amerikanischen Behörden aber Anfang 1920 in die <strong>Stadtverwaltung</strong> zurück und wurde <strong>im</strong><br />

Dezember <strong>Die</strong>nststellenleiter. 219 1932 trat Geisemeyer dem Stahlhelm bei. 1933 war er<br />

Vorgesetzter von acht Beamten, unter ihnen auch Trampp. 220 Als Grund für seine<br />

Beurlaubung wurde seine Untätigkeit bei der angeblichen Verschwendung öffentlicher Gelder<br />

vorgegeben, wobei Rosendahls Tintenfass wieder ins Spiel kam. Dagegen gab sein<br />

Rechtsanwalt Wilhelm Meyers 1946 an, der wahre Grund sei gewesen, dass Christ – von<br />

Beruf Buchhalter – seinen Posten hätte übernehmen wollen. Treibende Kraft in der<br />

Angelegenheit sei aber Frischling gewesen, dem Geisemeyer wegen Unregelmäßigkeiten auf<br />

der Spur gewesen sei. 221 Meyers beschwerte sich <strong>im</strong> Mai 1933 sogar be<strong>im</strong> Innenministerium<br />

über die Beurlaubung sowie die Art und Weise einer Anhörung seines Mandanten durch<br />

Kommissar Christ. <strong>Die</strong> Beurlaubung wurde am 1. Juni wieder aufgehoben, 222 da sich keine<br />

Anhaltspunkte für ein <strong>Die</strong>nststrafverfahren ergeben hatten. Berlin antwortete Meyers <strong>im</strong> Juli,<br />

die Beurlaubung sei „nach Auffassung des kommissarischen Oberbürgermeisters erforderlich<br />

[gewesen], um einen raschen und reibungslosen Ablauf der s.Zt. bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

Gange befindlichen Untersuchungen sicherzustellen.“ <strong>Die</strong> Vernehmung durch Christ sei<br />

„einwandfrei und korrekt erfolgt.“ 223 Doch Anfang 1934 bekräftigte Meyers in einem<br />

Parteigerichtsverfahren, Geisemeyer habe sich als Frontkämpfer und Offizier von Christ, „der<br />

wahrhaftig <strong>im</strong> Weltkrieg kein Pulver gerochen hatte, wie ein dummer Junge abrüffeln lassen<br />

[müssen] und zwar in Gegenwart seiner Untergebenen und mit Wissen des Pg. Wittgen“. 224<br />

216 StAK 623 Nr. 6637, Zitat S. 166; ebd. Nr. 6123, S. 358-372.<br />

217 StAK 623 Nr. 3834, S. 59-72; ebd. Nr. 8827, S. 120, 160.<br />

218 * 21.12.1887 Westbarthausen (Kreis Halle/Westfalen), evangelisch; LHAKo Best. 856 Nr. 110018.<br />

219 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 10 (unpaginiert).<br />

220 StAK 623 Nr. 6170, S. 32-46. <strong>Die</strong> dortige Angabe, Geisemeyer sei Mitglied der DNVP, ist falsch und beruht<br />

vermutlich auf einem Irrtum, weil er Stahlhelm-Mitglied war. Einer Partei gehörte er bis 1933 nicht an. StAK<br />

623 Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert).<br />

221 LHAKo Best. 856 Nr. 110018, Meyers vom 4.9.1946.<br />

222 NB, 2.6.1933: St. N. A. [Städtisches Nachrichten-Amt].<br />

223 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert).<br />

224 StAK 623 Nr. 3833, S. 12.


102<br />

<strong>Die</strong> Stelle Geisemeyers wurde rasch mit einem Parte<strong>im</strong>itglied neu besetzt. Bis zur<br />

„endgültigen Regelung des Personalstands“ ernannte Wittgen am 20. Mai 1933 Stadt-<br />

obersekretär Jakob Müller 225 zum vorläufigen Leiter der Abteilung IV. 226 Bis 1931<br />

Zentrumsmitglied, war er zum 1. August 1932 der NSDAP beigetreten. 227 Für Geisemeyer<br />

musste nun eine neue Stelle gefunden werden. Am 4. Oktober 1933 wurde er mit der<br />

Amtsbezeichnung „Bürodirektor“ Leiter der Liegenschaftsverwaltung bebauter Besitz 228 . Mit<br />

der neuen Tätigkeit war die Herabgruppierung zum Amtmann verbunden. Als <strong>im</strong> Dezember<br />

durch die Regierung eine weitere Zurückstufung zum Oberinspektor erfolgte, legte nicht nur<br />

Geisemeyer, sondern sogar Abteilung I Einspruch ein. <strong>Die</strong>se letzte Maßnahme wurde dann<br />

schließlich zurückgenommen. 229<br />

Vom Stahlhelm war Geisemeyer zur SA-Reserve übernommen worden, wo er als<br />

Verwaltungs- und Oberscharführer für die Beitragsverwaltung zuständig wurde. 1935 trat er<br />

dem Opferring bei, was er in seinem Spruchkammerverfahren damit begründete, die Partei<br />

habe von jedem Beamten verlangt, „dass er seine Verbundenheit mit der NSDAP durch die<br />

Mitgliedschaft unter Beweis stelle. Das gehöre zu den Beamtenpflichten. […] <strong>Die</strong> Folgen<br />

[einer Ablehnung] könnten nicht ausbleiben. […] So bin ich <strong>im</strong> Interesse der Erhaltung von<br />

Stellung und Familie beigetreten, um nach den Bedrückungen von 1933/34 nicht selbst noch<br />

weitere Gründe zum Schikanieren zu liefern.“ 230 1935 bewarb sich Geisemeyer auf eine Stelle<br />

als Prüfer bei der Regierung, wozu ihn der als reg<strong>im</strong>ekritisch bekannte Regierungsrat Bruno<br />

Quast 231 aufgefordert hatte. Seine äußere Anpassungsbereitschaft nutzte ihm jetzt wenig. <strong>Die</strong><br />

politische Beurteilung der Kreisleitung 232 fiel so negativ aus, dass die an sich aussichtsreiche<br />

Bewerbung scheiterte. Kreisleiter Claussen schrieb, Geisemeyer sei zwar SA- und NSV-<br />

Mitglied, die Kinder bei der HJ und er beteilige sich an Spenden. „Jedoch haben wir an<br />

seinem sonstigen Verhalten festgestellt, dass alles dies nicht aus innerer Überzeugung<br />

geschieht, sondern lediglich deswegen, um nicht unliebsam auffallen zu wollen. Ein<br />

Nationalsozialist wird G. nie werden. Geisemeyer kann nicht als nat.soz. zuverlässig<br />

bezeichnet werden.“ 233 Sein Parteibeitritt 1937 sei ohne eigenen Antrag erfolgt, so<br />

225<br />

* 4.4.1895 Niederbreitbach (Kreis Neuwied), + 1.2.1975 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, 1939 Kirchenaustritt, seit 1919<br />

bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, bis Mai 1933 be<strong>im</strong> Schlacht- und Viehhof eingesetzt. LHAKo Best. 856 Nr. 160147;<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 194 f.; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1805/1975.<br />

226<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 87.<br />

227<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 160147.<br />

228<br />

Dort löste er Stadtbaurat Friedrich Bode ab, der zur Baupolizei wechselte.<br />

229<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert); LHAKo Best. 856 Nr. 110018, Geisemeyer vom 9.6.1948.<br />

230<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110018, Geisemeyer vom 24.6.1947.<br />

231<br />

* 12.2.1894 <strong>Koblenz</strong>, + 22.4.1945 Nagold (gefallen), katholisch, Sohn des Zentrums-Stadtverordneten Rektor<br />

Heinrich Quast, 1928 Heirat mit Anneliese Goepfert (1952-1956 CDU-Stadtratsmitglied). StAK M 107,<br />

Familienblatt in Hausblatt Eichendorffstraße 5; Standesamt Nagold, Sterbeurkunde Nr. 110/1945.<br />

232<br />

Vgl. Kapitel 4.2.3.<br />

233<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert), Claussen vom 15.11.1935 (Zitat); LHAKo Best. 856 Nr.<br />

110018, Geisemeyer vom 14.6.1947, Peter Thönnes vom 31.3.1948.


103<br />

Geisemeyer, eines Abends sei er von der Ortsgruppe Süd zu einer Mitgliederversammlung<br />

einbestellt worden. 234<br />

Nur zwei Tage nach Geisemeyer, am 26. März, wurde der Direktor der Städtischen Sparkasse,<br />

Wilhelm Hütte, von Wittgen zwangsbeurlaubt, weil eine Nachprüfung schwere Pflicht-<br />

verletzungen ergeben hätte. Hütte, seit 1907 bei der Stadtsparkasse beschäftigt, war am<br />

1. August 1932 vom Zweiten zum Ersten Sparkassendirektor befördert worden, die Stelle des<br />

Zweiten Direktors wurde gleichzeitig eingespArt. <strong>Die</strong> Stadtverordnetenversammlung hatte der<br />

Beförderung <strong>im</strong> Juli zugest<strong>im</strong>mt. <strong>Die</strong> NSDAP-Fraktion hatte sich wegen der damit<br />

verbundenen Gehaltserhöhung dagegen ausgesprochen, „wenn auch gegen die Person des Dir.<br />

Hütte nichts einzuwenden ist.“ Dass Hütte einmal die Nachfolge von Sparkassendirektor Emil<br />

Grüttner 235 antreten würde, war lange fraglich gewesen. 1926 hatte es ein Disziplinar-<br />

verfahren gegen den Beigeordneten Ochs, Grüttner und seinen Stellvertreter Hütte gegeben, in<br />

dem Spekulationen, erhebliche Unregelmäßigkeiten und mangelnde Kontrollen bei der<br />

Sparkasse geahndet wurden. Der Bezirksausschuss hatte alle drei zu Geldbußen verurteilt. Der<br />

Regierungspräsident und Oberbürgermeister Russell hatten in der Folgezeit Bedenken,<br />

Grüttner und Hütte auf ihren Posten zu halten, Versetzungspläne wurden aber nicht<br />

umgesetzt. <strong>Die</strong> Regelung der Nachfolgefrage Grüttners überließ man schließlich Rosendahl,<br />

der die Vorgänge erneut prüfte. Da Hütte nur nachrangig verantwortlich gewesen war, hatte<br />

dieser keine Bedenken, ihm die Sparkasse anzuvertrauen. 236<br />

Hüttes Stellvertreter, Sparkasseninspektor Josef Plönissen 237 , hatte am 23. März <strong>im</strong> Auftrag<br />

von Christ umfangreiche Aufstellungen zu Reisekosten, Zigarrenkäufen etc. erstellt,<br />

daneben rollte man die alten Vorfälle aus den Jahren 1924/25 neu auf. Als das belastende<br />

Revisionsprotokoll angeblich nirgends aufzufinden war, ließ man Hütte, der gerade einen<br />

Besuch bei Rosendahl gemacht hatte, unter dem Vorwurf der Aktenunterschlagung verhaften.<br />

Hütte gab an, die Vorgänge müssten sich bei Abteilung I befinden. Plönissen überzeugte sich<br />

persönlich von der Inhaftierung Hüttes, bevor er mit Christ an einer ergebnislosen<br />

234 LHAKo Best. 856 Nr. 110018, Geisemeyer vom 14.6.1947. Meyers sagte aus, wenn Geisemeyer nicht<br />

Beamter gewesen wäre, hätte er ihm geraten, die Mitgliedskarte zurückzuschicken, aber ohne Gefährdung seiner<br />

Existenz hätte er dies nicht wagen können; ebd., Meyers vom 4.9.1946. Das Aufnahmeverfahren der NSDAP<br />

setzte Freiwilligkeit und die eigenhändige Unterschrift des Aufnahmeantrags voraus, das Verfahren endete mit<br />

der Aushändigung der roten Mitgliederkarte. Vgl. Juliane Wetzel: <strong>Die</strong> NSDAP zwischen Öffnung und<br />

Mitgliedersperre. In: Wolfgang Benz: Wie wurde man Parteigenosse? <strong>Die</strong> NSDAP und ihre Mitglieder.<br />

Frankfurt am Main 2009, S. 74-90, 193-196. Andererseits ist das Führen von „Schwarzen Kassen“ ein bekanntes<br />

Phänomen innerhalb der NSDAP. Vgl. Björn Weigel: „Märzgefallene“ und Aufnahmestopp <strong>im</strong> Frühjahr 1933.<br />

In: Benz: Wie wurde man Parteigenosse?, S. 91-109, 196-200, hier S. 103 f., 199; Claudia Roth: Parteikreis und<br />

Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns (Schriftenreihe zur bayerischen<br />

Landesgeschichte 107). München 1997, S. 63-65.<br />

235 Grüttner war zum 1.10.1931 pensioniert worden; StAK 623 Nr. 3899.<br />

236 StAK 623 Nr. 7214, S. 150 (Zitat); ebd. Nr. 6588, S. 79-112.<br />

237 Schreibweise eigentlich Joseph, * 20.4.1896 <strong>Koblenz</strong>, + 18.12.1979 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, Kirchenaustritt<br />

1935, gottgläubig. LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (mit Foto). Plönissen war es gelungen, am dienstältesten<br />

Stadtinspektor Anton Baumann vorbei in diese Position zu gelangen. Baumann hatte sich wegen seiner<br />

Zurücksetzung noch am 15.2.1933 bei Rosendahl beschwert; StAK 623 Nr. 6197, S. 481, 488, 490.


104<br />

polizeilichen Hausdurchsuchung von Hüttes Privatwohnung teilnahm. Am nächsten Morgen<br />

wurde Hütte frei gelassen und von Wittgen suspendiert. Der Revisionsbericht blieb vorerst<br />

verschwunden, Christ befragte deswegen sogar am 27. März telefonisch Russell. Stadt-<br />

kämmerer Wirtz versuchte derweil erfolglos, ein erneutes Verfahren aufgrund der alten<br />

Vorwürfe zu verhindern. Er berichtete Wittgen von einer Aussprache, an der Mitte März er<br />

selbst, Hütte, der Sparkassenvorstand, Vertreter der Regierung und des Revisionsverbandes<br />

teilgenommen hatten. Man sei sich einig, dass es um die Sparkasse nicht wieder unruhig<br />

werden solle. Wittgen eröffnete am 31. März dennoch ein Disziplinarverfahren gegen<br />

Hütte, 238 nachdem Plönissen einen belastenden Bericht vorgelegt hatte. Das Nationalblatt<br />

begleitete die Aktion propagandistisch, 239 indem es seinen Lesern die angebliche<br />

Verschwendung bei Sitzungen des Sparkassenausschusses enthüllte. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nststrafkammer<br />

bestellte den älteren Bruder von Kommissar Hinkel, Stadtobersekretär Karl Hinkel, zum<br />

Untersuchungsführer und Stadtsekretär Erich Legner zum Protokollführer, Letzterer zu<br />

diesem Zeitpunkt Parteianwärter. <strong>Die</strong> Untersuchungen von Hinkel und Legner führten aber<br />

nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Eine Vernehmung des beurlaubten Geisemeyer<br />

erbrachte <strong>im</strong> Gegenteil stark belastendes Material gegen Plönissen, auf das Oberbürgermeister<br />

Wittgen aber nicht reagierte. 240<br />

<strong>Die</strong> Anklageschrift wurde dann aus den Vorwürfen des alten <strong>Die</strong>nststrafverfahrens und dem<br />

Bericht Plönissens konstruiert. Be<strong>im</strong> ersten Verhandlungstermin <strong>im</strong> Oktober wurde<br />

festgestellt, dass ein Teil der Vorwürfe verjährt sei, ansonsten vertagte die <strong>Die</strong>nststrafkammer<br />

das Verfahren, um Detailfragen zu klären. Der nächste Termin am 28. November 1933<br />

brachte für Hütte einen Freispruch – und damit die zweite juristische Niederlage für die neuen<br />

Machthaber, denn auch Beigeordneter Rogg wurde am selben Tag freigesprochen. <strong>Die</strong> Hütte<br />

zur Last gelegten Vorgänge und Praktiken waren weder rechtswidrig gewesen noch hatten sie<br />

ihm einen Vermögensvorteil eingebracht, was sogar der zum Sparkassenvorstand gehörende<br />

NSDAP-Stadtverordnete Karl Gastmann unter Eid hatte bestätigen müssen. Doch wie bei<br />

Rogg brachte auch dieser Freispruch nicht die Rehabilitierung Hüttes. Nachdem der<br />

Anklagevertreter Wittgen wenig Hoffnung für den Fall einer Revision gemacht hatte, stellte<br />

Wittgen am 19. Januar 1934 den Antrag auf Versetzung Hüttes gemäß § 5 BBG, also eine<br />

Versetzung auf einen untergeordneten Posten innerhalb der Sparkasse. Zur Begründung führte<br />

238 NB, 5.4.1933: Disziplinarverfahren gegen städtische Beamte.<br />

239 NB, 24.4.1933: <strong>Die</strong> Herren ließen es sich gut munden.<br />

240 LHAKo Best. 856 Nr. 110984, Legner vom 11.5.1948, Säuberungsspruch vom 29.3.1950; ebd. Nr. 160147,<br />

Legner vom 11.7.1949; ebd. Nr. 110019, Karl Hinkel vom 8.4.1948. Geisemeyer verdächtigte Plönissen sowohl<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit einem ausgebuchten Fehlbetrag bei der Sparkasse von 11.000 bis 12.000 RM in den<br />

Jahren 1927/28 als auch in einer <strong>Die</strong>bstahlsaffäre um einen wertvollen Brillantring, die Geisemeyer 1919 als<br />

damaliger Kr<strong>im</strong>inalkommissar bearbeitet hatte. Legner und Hinkel wurden in den Folgejahren durch politische<br />

Beurteilungen des RDB in ihrem beruflichen Fortkommen behindert. Als sie sich darüber 1938 in einer Eingabe<br />

bei der Gau- bzw. Kreisleitung beschwerten, musste Plönissen – inzwischen auch RDB-Kreisfachschaftsleiter –<br />

nachgeben, obwohl er Hinkel sogar wegen Beleidigung angezeigt hatte. Im Gegenzug mussten Legner und<br />

Hinkel Stillschweigen versprechen. Ebd. Best. 727 Nr. 2, Img_30505_0; ebd. Best. 856 Nr. 110984, Legner vom<br />

11.5.1948, Säuberungsspruch vom 29.3.1950.


105<br />

er völlig aus dem Zusammenhang gerissene Passagen des Freispruchs an, außerdem habe das<br />

Ansehen Hüttes so gelitten, dass er als Direktor nicht mehr tragbar sei. Empört erhob Hüttes<br />

Rechtsanwalt Meyers schwere Vorwürfe gegen Wittgen. <strong>Die</strong> Kosten des schlecht<br />

vorbereiteten Verfahrens müssten dem „Beamten, auf dessen Einflüsterung hin das ganze<br />

Verfahren in Scene gesetzt wurde“, aufgebürdet werden. Nicht das Ansehen Hüttes, sondern<br />

das der <strong>Stadtverwaltung</strong> habe erheblich gelitten. Eine untergeordnete Position sei unzumutbar.<br />

Der Stadt und der Allgemeinheit seien durch Beurlaubungen und Kündigungen schon<br />

erhebliche finanzielle Schäden entstanden, über die er gerne persönlich in Berlin berichten<br />

werde. Als der Freispruch am 12. Februar 1934 rechtskräftig wurde, meldete sich Hütte<br />

pflichtgemäß zum <strong>Die</strong>nstantritt bei Wittgen, der ihn aber bis zur Entscheidung über seinen<br />

Versetzungsantrag weiterhin beurlaubte. Berlin meldete Bedenken an, ob nicht eine<br />

Pensionierung gemäß § 6 BBG einer Versetzung vorzuziehen sei, da eine gedeihliche<br />

Zusammenarbeit in Zukunft kaum zu erwarten sei. <strong>Die</strong>sem Argument schloss man sich in<br />

<strong>Koblenz</strong> an. Hütte wurde am 29. März in den Ruhestand versetzt. 241<br />

Nachfolger wurde wunsch- und erwartungsgemäß zum 1. Juli 1934 der bisherige<br />

kommissarische Leiter der Sparkasse, Plönissen. In seinem Spruchkammerverfahren wurde<br />

festgestellt, dass er bereits vor 1933 in der Sparkasse eine Zelle gebildet und Vorbereitungen<br />

für die Zeit nach der Machtübernahme getroffen hatte. Plönissen, der 1921/22 sogar SPD-<br />

Mitglied gewesen war, hatte über Christ zur NSDAP gefunden und war ihr trotz des<br />

bestehenden Verbots für Beamte am 1. September 1931 beigetreten. Trotzdem kann er nicht<br />

als reiner Parteibuchbeamter angesehen werden, denn er hatte die Verwaltungsprüfungen<br />

abgelegt, und selbst Hütte bescheinigte ihm 1949, dass er die Geschäfte der Sparkasse nicht<br />

schlecht geführt habe. 242<br />

<strong>Die</strong> Untersuchungen zu Oberbürgermeister Rosendahl führte Kommissar Reiners durch, bei<br />

der Regierung war Oberregierungsrat von Kirchbach der zuständige Sachbearbeiter. Dabei<br />

ging es zunächst um Rosendahls Nebeneinkünfte. Rosendahl teilte Wittgen mit, dass er <strong>im</strong><br />

Gegensatz zu seinen Vorgängern außer einer Aufwandsentschädigung der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Straßenbahn-AG keine Nebeneinnahmen erzielt habe. Reiners nahm sämtliche <strong>Die</strong>nstfahrten,<br />

Reisekosten- und Spesenabrechnungen, die Umzugskosten und Instandsetzungskosten der<br />

<strong>Die</strong>nstwohnung ins Visier. Zu den <strong>Die</strong>nstfahrten wurde Rosendahls Fahrer ausführlich<br />

vernommen. Noch währenddessen informierte Wittgen den Regierungspräsidenten über ein<br />

vermeintlich dienstliches Telefonat Rosendahls, das die städtische Telefonzentrale vermittelt<br />

und die Telefonistin pflichteifrig gemeldet hatte. Der Regierungspräsident ermahnte<br />

241 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 18 und 19, Zitat MF Nr. 19 (unpaginiert), Meyers vom 19.1.1934.<br />

242 StAK 623 Nr. 8918, S. 26; LHAKo Best. 856 Nr. 110984, Lebenslauf be<strong>im</strong> Protokoll vom 22.7.1949, Hütte<br />

vom 22.7.1949; Säuberungsspruch vom 29.3.1950. Nach eigenen Angaben hatte Plönissen die Partei 1932 aus<br />

Sorge um sein Amt verlassen und war am 1.5.1933 erneut beigetreten, die in der Spruchkammerakte<br />

vorliegenden Personalunterlagen der NSDAP belegen dagegen seine ununterbrochene Mitgliedschaft.


106<br />

Rosendahl dringend, sich aller <strong>Die</strong>nstgeschäfte zu enthalten, 243 was zu den Pflichten eines<br />

beurlaubten Beamten zähle. Rosendahl konnte jedoch glaubhaft machen, dass es sich um ein<br />

Privatgespräch gehandelt hatte. Am 8. Mai beantragte Wittgen dann die Einleitung eines<br />

<strong>Die</strong>nststrafverfahrens gegen Rosendahl, dem dessen Vernehmung durch Oberregierungsrat<br />

von Kirchbach am 20. Mai folgte. <strong>Die</strong> Liste der Vorwürfe ergänzte Wittgen am 23. Mai um<br />

Überschreitung von Amtsbefugnissen und Bereicherung an städtischen Geldern. 244<br />

<strong>Die</strong> Umzugskosten Rosendahls und etliche Details aus der Rechnung eines Dekorateurs<br />

standen <strong>im</strong> Mittelpunkt eines reißerischen Artikels des Nationalblatts, dessen Informationen<br />

nur direkt aus dem Rathaus stammen konnten. Rosendahl bat Wittgen am 29. Mai in einem<br />

ausgesucht höflichen Brief um ein persönliches Gespräch, um das er schon zuvor telefonisch<br />

gebeten und das Wittgen ihm in Aussicht gestellt hatte. Eine offizielle Richtigstellung sei<br />

dringend erforderlich. Lebhaft bedauerte Rosendahl, dass dem Blatt die Zahlen in ganz<br />

wahrheitsentstellender und verleumderischer Weise zur Verfügung gestellt worden seien. Er<br />

appellierte an Wittgen, für eine „objektive Klarstellung“ zu sorgen und berief sich auf<br />

Verlautbarungen der neuen Regierung, dass die „Ehre pflichttreuer Beamter nicht ohne Grund<br />

angetastet wird“. <strong>Die</strong>sen Brief druckte die Volkszeitung am 31. Mai <strong>im</strong> Wortlaut ab. 245 Am<br />

selben Tag meldete Wittgen dem Regierungspräsidenten, Rosendahl habe trotz Residenz-<br />

pflicht Mitte des Monats eine nicht genehmigte, mehrtägige Reise unternommen. Doch der<br />

Regierungspräsident vermerkte am 10. Juni nur unaufgeregt, die Sache sei nach Rücksprache<br />

mit Rosendahl erledigt. 246 <strong>Die</strong> Richtigstellung <strong>im</strong> Nationalblatt blieb ebenso aus wie ein<br />

klärendes Gespräch. Im Gegenteil sah sich Wittgen berechtigt, sein harsches Antwortschreiben<br />

an Rosendahl ebenfalls der Presse zuzuleiten, die es am 6. Juni veröffentlichte. 247<br />

Wittgen wies darin Rosendahls unerbetene Ratschläge zurück, während das Nationalblatt<br />

seine beleidigenden Töne gegen Rosendahl noch steigerte. 248<br />

Auch an der Spitze der Aufsichtsbehörden hatte es inzwischen Personalwechsel gegeben.<br />

Oberpräsident Fuchs war am 25. März beurlaubt und am 31. März in den einstweiligen<br />

Ruhestand versetzt worden, was unter den Beamten des Oberpräsidiums eine Beitrittswelle<br />

zur NSDAP ausgelöst hatte. 249 Als Nachfolger trat am 1. April aus taktischen Gründen kein<br />

243<br />

Rosendahl hatte offenbar noch Rückstände aufgearbeitet, z. B. beginnt ein auf den 15.3. datiertes und am<br />

15.3. gefertigtes Schreiben mit den Worten „Bei Durchsicht der mir noch vorliegenden Akten finde ich […]“;<br />

StAK 623 Nr. 6328, S. 421.<br />

244<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 349, 359-370, 377-379, 401, 445. Der Antrag vom 8.5. selbst ist nicht in der<br />

Akte überliefert, es wird aber mehrfach auf ihn Bezug genommen; ebd., S. 431, 447-451.<br />

245<br />

NB, 15.5.1933: Zwei Stützen des Systems; KVZ, 31.5.1933: <strong>Die</strong> Umzugskosten des Oberbürgermeisters<br />

(Zitate).<br />

246<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 353.<br />

247<br />

NB, 6.6.1933: Kläglicher Rechtfertigungsversuch Dr. Rosendahls; KVZ, 6.6.1933: Antwort der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>.<br />

248<br />

NB, 17.6.1933: Nur ruhig Blut, Herr Dr. Rosendahl …; NB, 9.9.1933: Dr. Rosendahl und „Der kostspielige<br />

Doppelkopf“.<br />

249<br />

Alois und Wolfgang Becker: Vom Oberpräsidium der Rheinprovinz zum Wiederaufbau der<br />

Verwaltungsstrukturen <strong>im</strong> Rheinland nach dem 2. Weltkrieg. In: JbwestdtLG 26 (2000), S. 453-581, hier S. 496;


107<br />

Exponent der Partei – wie in anderen Provinzen – seinen <strong>Die</strong>nst an, sondern ein katholischer<br />

Bauernfunktionär, nämlich Hermann Freiherr von Lüninck. 250 Regierungspräsident von Sybel,<br />

DVP-Mitglied, wurde am 9. Mai in den einstweiligen Ruhestand versetzt. 251 Sein Nachfolger<br />

wurde vier Tage später Harald Turner 252 , Sohn eines englischen Offiziers und einer<br />

Deutschen, promovierter Volkswirt, seit 1930 NSDAP- und seit 1932 SS-Mitglied. Turner<br />

drängte Rosendahl massiv, freiwillig auf sein Amt zu verzichten, weil er politisch untragbar<br />

sei. Dagegen sträubte sich Rosendahl. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen und<br />

wolle <strong>im</strong> Gegenzug die Zusage für eine anderweitige Verwendung. 253 <strong>Die</strong> Weigerung<br />

Rosendahls, den öffentlichen <strong>Die</strong>nst freiwillig zu verlassen, belegt, dass er sich zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht in grundsätzliche Opposition zu den neuen Machthabern begab, ganz wie sein<br />

Trierer Kollege Weitz, der nach seiner Beurlaubung erklärte, andernorts eine gleichwertige<br />

Stelle übernehmen zu wollen. 254<br />

Zu den ihm zur Last gelegten Anschuldigungen nahm Rosendahl am 30. Juni Stellung, ohne<br />

dass er auf „die teilweise etwas sehr eigenartige Ausdrucksweise und offen zu Tage tretende<br />

Tendenz in den Revisionsberichten“ einging. Punkt für Punkt widerlegte er die von Reiners<br />

zusammengetragenen Vorwürfe, wobei er sich mehrfach beklagte, dass dem Prüfer sowohl<br />

das Verständnis für die politische Natur der <strong>Die</strong>nstgeschäfte eines Oberbürgermeisters als<br />

auch kommunale Verwaltungserfahrung fehle. So schrieb Rosendahl zu angeblich<br />

überflüssigen <strong>Die</strong>nstfahrten: „Gerade bei diesem Kapitel fällt es mir ausserordentlich schwer,<br />

dem Herrn Revisor, dem bedauerlicherweise offensichtlich Rechte und Pflichten eines<br />

leitenden Kommunalbeamten nicht geläufig sind, eine seinen Ausführungen entsprechende<br />

Antwort zu geben. Es ist für mich geradezu unmöglich, mich mit ihm auseinanderzusetzen<br />

über die Frage, ob eine Reise erforderlich oder überflüssig war, ob sie länger ausgedehnt<br />

wurde als unbedingt notwendig war, oder ob mehr Personen als nötig beteiligt wurden. […]<br />

Es ist eine gänzliche Verkennung der Bedeutung des Amtes des Oberbürgermeisters der<br />

Provinzialhauptstadt des Rheinlandes durch den Herrn Revisor, wenn er derartige<br />

Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus. <strong>Die</strong> Zentrumspartei zwischen christlichem<br />

Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33. Stuttgart 1977, S. 159.<br />

250 * 1893, + 1975, Zentrumsmitglied, seit 1933 (?) NSDAP-Mitglied, jüngerer Bruder des Oberpräsidenten von<br />

Westfalen, Ferdinand von Lüninck (1888-1944, hingerichtet wegen Verbindung zu den Verschwörern des 20.<br />

Juli). Das Deutsche Führerlexikon, S. 291 f.; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 618; Lilla: Der preußische Staatsrat, S. 221 f.; Hüttenberger: <strong>Die</strong> Gauleiter, S. 78;<br />

LHAKo Best. 700,41.<br />

251 Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 776 f. Sein Trierer Kollege Dr.<br />

Konrad Saassen (1886-1937), ehemaliges Zentrums-, dann NSDAP-Mitglied, konnte sich – obwohl Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on sich seit Februar 1935 massiv für seine Abberufung einsetzte – bis 31.1.1936 <strong>im</strong> Amt halten, dann wurde<br />

er vor allem aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert; Bollmus: Trier und der NS, S. 534-536.<br />

252 Das Deutsche Führerlexikon, S. 499; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 786 f. Zu seiner späteren Rolle in Serbien, wo er sich mit der Liquidierung der<br />

jüdischen Bevölkerung brüstete, vgl. Christopher R. Browning: Harald Turner und die Militärverwaltung in<br />

Serbien 1941-1942. In: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S. 351-373.<br />

253 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 371 f.<br />

254 Bollmus: Trier und der NS, S. 531. Im September bot der Trierer Regierungspräsident Weitz auch <strong>im</strong> Namen<br />

des Gauleiters die Stelle eines Ersten Beigeordneten in <strong>Koblenz</strong> an, was er aber als Degradierung empfand und<br />

ablehnte; ebd.


108<br />

Verpflichtungen als Privatreisen anspricht.“ Rückblickend hätte er z. B. sogar noch häufiger<br />

nach Berlin reisen müssen, um mehr Vorteile für <strong>Koblenz</strong> erreicht zu haben. Seine Kollegen<br />

und Vorgänger seien häufiger und kostspieliger gereist. Eine ungerechtfertigte Bereicherung<br />

zu Lasten städtischer Mittel wies Rosendahl entschieden zurück. Er bekannte sich zur<br />

Zentrumspartei, war sich aber sicher, nie das Vertrauen der nationalen Bürgerschaft verloren<br />

zu haben. Nach Görings Aussage, so argumentierte er, berge die Zentrumsmitgliedschaft<br />

keinen Nachteil. Als ehemaliger Frontkämpfer habe er in schwerer Nachkriegs- und<br />

Besatzungszeit als national denkender und empfindender Mann gehandelt. 255<br />

Sollte sich Rosendahl tatsächlich Hoffnung auf eine Rückkehr in den Verwaltungsdienst<br />

gemacht haben, so hatte er sich getäuscht. Bereits einen Tag später, am 1. Juli, beantragte<br />

Wittgen die Pensionierung Rosendahls aufgrund § 6 BBG. Der Antrag wurde begründet<br />

mit Mängeln in der Amtsführung sowie der Mitgliedschaft in der Zentrumspartei.<br />

Der öffentliche Briefwechsel mit der Verwaltung habe das letzte Vertrauen geraubt.<br />

Regierungspräsident Turner votierte, die Entfernung Rosendahls sei unbedingt <strong>im</strong><br />

dienstlichen Interesse. Andererseits solle seine „wertvolle Arbeitskraft“ nicht ungenutzt<br />

bleiben. Im Einvernehmen mit der Gauleitung schließe er sich dem Antrag auf Pensionierung<br />

an unter der Voraussetzung, dass Rosendahls Unterbringung in einem anderen Amt möglich<br />

gemacht werde, auch weil das Ruhegehalt für <strong>Koblenz</strong> eine finanzielle Härte darstelle.<br />

Zwischen Rosendahl und der NSDAP-Fraktion bestehe „ein so starker und unüberbrückbarer<br />

Gegensatz“, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit in <strong>Koblenz</strong> und sogar <strong>im</strong> ganzen Gau<br />

unmöglich erscheine. Turner musste zugleich einräumen, dass die Rosendahl zur Last<br />

gelegten Vorwürfe nicht so schwer seien, dass sie zu seiner Entlassung ausreichten. Der<br />

Preußische Innenminister versetzte Rosendahl am 17. Juli wie beantragt in den Ruhestand.<br />

Auf die Einleitung eines <strong>Die</strong>nststrafverfahrens mit dem Ziel der Aberkennung<br />

der Ruhegehaltsbezüge verzichtete Turner dann am 7. August wegen zu geringer<br />

Erfolgsaussichten. 256<br />

Jetzt war die Stadt <strong>Koblenz</strong> zur Zahlung von Ruhegehaltsbezügen verpflichtet. Das<br />

Verwaltungsorgan 257 beschloss am 29. Juli aufgrund der städtischen Finanzlage die<br />

Herabsetzung von Rosendahls Grundgehalt rückwirkend zum 1. Juli. Turner segnete die<br />

Gehaltskürzung um eine Besoldungsgruppe ab. Vor dem Bezirksausschuss erzwang<br />

Rosendahl aber die Auszahlung seiner monatlichen Aufwandsentschädigung von 200 RM<br />

anteilig für die Zeit vom 14. März bis Ende Juli, die ihm Wittgen verwehren wollte. Der<br />

255 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 375-399, Zitate S. 375, 387.<br />

256 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 403-415, 427, Zitate S. 405 f. Ursprünglich galt § 6 BBG – wie <strong>im</strong> Fall<br />

Loenartz – nur für Stellen, die nicht neu besetzt werden sollten, doch eine Ausweitung des Paragrafen vom<br />

23.6.1933 erlaubte jetzt auch eine Entlassung „<strong>im</strong> Interesse des <strong>Die</strong>nstes“, was fast beliebige Tatbestände zuließ.<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 75.<br />

257 Mit diesem “Verwaltungsorgan” kann nur der am 19.4.1933 als Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung<br />

gebildete Beschlussausschuss gemeint sein, in dessen Kompetenz Personal- und Besoldungsangelegenheiten<br />

fielen; StAK 623 Nr. 7214, S. 204-207.


109<br />

Beschluss, u. a. von Turner und Struve unterzeichnet, ging davon aus, dass Rosendahl am<br />

14. März seinen Urlaub angetreten hatte, der dann am 15. März bis auf weiteres ausgedehnt<br />

worden war. 258<br />

Rosendahl, erst 48 Jahre alt, zog mit seiner Familie nach Essen und beantragte seine<br />

Zulassung als Rechtsanwalt be<strong>im</strong> dortigen Amts- und Landgericht. Auf die Anfrage des<br />

Oberlandgerichtspräsidenten Hamm vom November 1933, ob ein <strong>Die</strong>nststrafverfahren gegen<br />

Rosendahl laufe, gab Wittgen die Auskunft, es sei beantragt, und verschwieg dabei, dass es<br />

zu diesem Zeitpunkt von Turner schon ad acta gelegt worden war. Korrekt antwortete<br />

demgegenüber Turner, Rosendahl sei in den Ruhestand versetzt und er sehe keine<br />

Veranlassung, neue Vorermittlungen aufzunehmen. 259 Seine Zulassung erhielt Rosendahl <strong>im</strong><br />

Frühjahr 1934. Im Herbst desselben Jahres dachte man <strong>im</strong> Innenministerium über seine<br />

Wiederverwendung <strong>im</strong> Kommunaldienst nach und holte dazu die Meinung des Regierungs-<br />

präsidenten ein, der sich auch be<strong>im</strong> Gauleiter erkundigen sollte. Sowohl Turner als auch<br />

S<strong>im</strong>on befürworteten angesichts Rosendahls „fachlichen Fähigkeiten, die sicher hoch zu<br />

bewerten sind“, grundsätzlich dessen Wiederverwendung, nicht zuletzt, um die Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

von ihrer finanziellen Last zu befreien. 260<br />

Es kam jedenfalls nicht dazu, Rosendahl blieb Rechtsanwalt in Essen. Zusätzlich übernahm er<br />

1936 die Geschäftsführung einer Duisburger Firma, die er 1942 niederlegen musste. Nach<br />

dem 20. Juli 1944 wurde er als Reg<strong>im</strong>egegner und mutmaßlicher Mitwisser vorübergehend<br />

inhaftiert. Ende Mai 1945 wurde Rosendahl als völlig unbelasteter Verwaltungsfachmann<br />

zum Oberbürgermeister von Essen ernannt, was er mit den Worten kommentierte, er habe<br />

zwölf seiner besten Jahre verloren und wolle ein wenig davon nachholen. Als 1946 die<br />

Aufgaben des Oberbürgermeisters auf das Maß eines Ehrenamtes eingeschränkt wurden,<br />

entschied sich Rosendahl für das unpolitische Amt des Oberstadtdirektors als Chef der<br />

Verwaltung. Dem <strong>Koblenz</strong>er Oberpräsidenten Dr. Wilhelm Boden gelang es 1946 nicht,<br />

Rosendahl zur Rückkehr nach <strong>Koblenz</strong> zu bewegen. Das Rheinisch-Westfälische<br />

Elektrizitätswerk berief ihn nach seiner Pensionierung 1950 in den Vorstand, wo er noch fünf<br />

Jahre wirkte. Daneben engagierte sich das CDU-Mitglied vielfältig, vor allem für den<br />

Wiederaufbau des Essener Münsters und das DRK. Für seine Verdienste erhielt Rosendahl<br />

258 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 355-357, 419-423. Finanziell war für Rosendahl trotz der Zurückstufung<br />

gesorgt: Aufgrund gesetzlicher Ausgleichsregelungen hatte er während seiner Zeit als Oberbürgermeister von<br />

<strong>Koblenz</strong> von der Kommune Duisburg den Unterschiedsbetrag zu seinen vorherigen Bezügen als<br />

Oberbürgermeister von Hamborn erhalten. <strong>Die</strong>se Regelung galt analog auch für seine Pension, wie der<br />

Düsseldorfer Regierungspräsident seinem <strong>Koblenz</strong>er Amtskollegen <strong>im</strong> November auf Anfrage mitteilte. Ebd., S.<br />

474, 477.<br />

259 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 465 f. <strong>Die</strong> Nachfrage aus Hamm, ob die Voraussetzungen des § 2 a oder 4<br />

BBG vorgelegen hätten, verneinte der Regierungspräsident am 23.12.1933. Ebd., S. 467 f.<br />

260 LHAKo Best. 441 Nr. 35584, S. 469-476, Zitat S. 475.


110<br />

das Große Bundesverdienstkreuz und das Komturkreuz des päpstlichen Gregorius-Ordens. Er<br />

starb am 23. April 1964 in Essen und wurde in Hamborn beigesetzt. 261<br />

Tabelle 9: Zwangsbeurlaubungen 1933<br />

Datum der<br />

Beurlaubung<br />

Beamter / Beamtin<br />

15.3.1933 Dr. Hugo Rosendahl, Oberbürgermeister<br />

Franz Rogg, Beigeordneter<br />

16.3.1933 Wilhelm Schwalge, Stadtdirektor<br />

Bruno Schoenfeld, Intendant<br />

17.3.1933<br />

Anna Loenartz, Sozialreferentin<br />

Maria Finkler, Stadtsekretärin<br />

18.3.1933 Heinz Bastians, Stadtinspektor<br />

24.3.1933 Heinrich Geisemeyer, Rechnungsdirektor<br />

26.3.1933 Wilhelm Hütte, Sparkassendirektor<br />

21.4.1933 Franz Lanters, Hafen- und Verkehrsdirektor<br />

Tabelle 10: Aufgrund BBG oder sonstiger Maßnahmen ausgeschiedene Beamte<br />

Name Ausscheiden Begründung Wiederverwendung<br />

Wilhelm Schwalge 15.05.1933 „freiwillig“<br />

Dr. Ernst Dahm<br />

22.06.1933<br />

§ 6 BBG sowie Gesetz zur<br />

Erzielung weiterer<br />

Ersparnisse in der<br />

gemeindlichen Verwaltung<br />

Bruno Schoenfeld 30.06.1933 „freiwillig“<br />

§ 6 BBG sowie Gesetz zur<br />

Kunibert Ochs 12.07.1933<br />

Erzielung weiterer<br />

Ersparnisse in der<br />

gemeindlichen Verwaltung<br />

ab 23.06.1933<br />

ehrenamtlicher<br />

Beigeordneter<br />

Dr. Hugo Rosendahl 31.10.1933 § 6 BBG<br />

Anna Loenartz 30.04.1934 § 6 BBG<br />

Franz Rogg 31.05.1934 § 6 BBG ab 26.08.1940<br />

Heinz Bastians 30.06.1934 § 6 BBG<br />

Wilhelm Hütte 30.06.1934 § 6 BBG ab 15.10.1940<br />

261 Kanther: Hugo Rosendahl, S. 107-117; Tigges: Das Stadtoberhaupt, S. 287; LHAKo Best. 860 Nr. 1005, S.<br />

507. Anlässlich Rosendahls Tod kondolierte Oberbürgermeister Willi Werner Macke (1960-1972) der Familie,<br />

schickte einen Kranz und legte am Beisetzungstag einen Kranz an der Ehrentafel der Oberbürgermeister <strong>im</strong><br />

Rathaus nieder. Ein Nachruf der <strong>Stadtverwaltung</strong> erschien nicht. Es wurde nur ein Zeitungsartikel veranlasst und<br />

in der nächsten Stadtratssitzung eine Gedenkminute eingelegt. StAK 623 Nr. 9956, S. 265; RZ, 29.4.1964:<br />

Oberbürgermeister Dr. Rosendahl gestorben.


111<br />

Wittgen hatte am 27. März 1933 für alle Bediensteten ein strenges Verbot jeglichen Kontakts<br />

mit den beurlaubten Beamten verfügt, das er erst am 3. August wieder aufhob. 262 Am selben<br />

Tag erklärte er die Tätigkeit des letzten noch verbliebenen Kommissars Hinkel für beendet,<br />

der als arbeitsloser Architekt zeitweise als Hilfsangestellter be<strong>im</strong> Hochbauamt unterkam,<br />

bevor er sich 1936 selbständig machte. 263 Aus dem Haushaltstitel der von Rosendahl<br />

unverbrauchten <strong>Die</strong>nstaufwandsentschädigung (die ihm der Bezirksausschuss später<br />

zusprach) bewilligte Wittgen zum Abschluss der Untersuchungen sich selbst und Christ je<br />

300 RM, Hinkel, Reiners und Wolf je 100 RM. 264 Damit war die erste Säuberungswelle 265 ,<br />

die nur Beamten gegolten hatte, abgeschlossen. Der neue Führer der Zentrumsfraktion, Franz<br />

Henrich, hatte schon am 26. Mai eine Anfrage zur Beendigung der Kommissarseinsätze<br />

gestellt und sich dabei auf einen Erlass Görings vom 6. Mai bezogen. Danach gehe es nicht<br />

an, dass Untersuchungsausschüsse und -kommissare „Verwaltung und Oeffentlichkeit<br />

dauernd in Unruhe“ hielten und jedem Gerücht oder anonymen Denunziation nachgingen.<br />

Denselben Erlass hatte auch Turner zum Anlass genommen, von Wittgen einen Bericht<br />

anzufordern. Auf dessen ausweichende Antwort, Ausschüsse seien nicht gebildet, hakte<br />

Turner nach. Darauf musste Wittgen am 16. Juni zugeben, er habe zur „Regelung besonderer<br />

Vorfälle“ den NSDAP-Fraktionsführer Christ zu seiner besonderen Verwendung bestellt<br />

sowie ehrenamtliche Hilfsarbeiter ohne Entscheidungsbefugnisse. Ihre Tätigkeit werde aber<br />

bald beendet. 266<br />

Eine durchgängige Linie ist bei dieser ersten Säuberungsaktion schwer auszumachen.<br />

Stadtsekretärin Anna Hans vom Jugendamt war als ehemaliges SPD-Mitglied nicht betroffen,<br />

während Stadtsekretärin Maria Finkler 267 vom Wohlfahrtsamt schließlich mit einer<br />

Versetzung „davonkam“. Auch andere ehemals sozialdemokratische Beamte wie z. B.<br />

Stadtsekretär Otto Braun vom Wohlfahrtsamt wurden lediglich versetzt, was in diesem Fall<br />

<strong>im</strong> Mai 1933 zu scharfen Protesten der NSKOV bei Wittgen geführt hatte. 268 Im Amt verblieb<br />

auch das Mitglied des Zentrums und des Windthorstbundes Wilhelm Müller, Stadtsekretär bei<br />

der Liegenschaftsverwaltung. Seine aktive Rolle während des Wahlkampfs <strong>im</strong> März 1933<br />

hatte Kommissar Wolf zwar unter die Lupe genommen, aber kaum Aussicht auf Entlassung<br />

262 StAK 623 Nr. 9561, S. 34, 127.<br />

263 LHAKo Best. 856 Nr. 110786; StAK 623 Nr. 6130, S. 257. Hinkel plante 1939 für Wittgen in Pfaffendorf ein<br />

Einfamilienwohnhaus; StAK Fach 158, Bauakte Ellingshohl, Neubau Wittgen.<br />

264 StAK 623 Nr. 6137, S. 224 f.<br />

265 Selbstverständlich blieben auch die Bediensteten anderer Behörden nicht verschont. So wurde z. B. der<br />

Zentrums-Stadtverordnete und Arbeitsamtsdirektor Josef Kirsch als „Parteibuchbonze“ zwangsbeurlaubt; NB,<br />

24.4.1933: Arbeitsamtsdirektor Kirsch beurlaubt.<br />

266 StAK 623 Nr. 6130, S. 90-109, Zitate S. 92, 108; ebd. Nr. 7214, S. 262 f.<br />

267 Dass von den Sozialdemokraten nur Maria („Mieze“) Finkler betroffen war, hatte eventuell familiäre<br />

Hintergründe. So griff der WB 1928 mehrmals einen ehemaligen Stadtsekretär Finkler als<br />

Sittlichkeitsverbrecher, Abtreiber, Reichsbannerführer und Führer des Jungzentrums an. WB, 24.6.1928: Neues<br />

in Sachen Hirtz; WB, 7.10.1928: Hirtz fühlt sich sicher; WB, 14.10.1928: Hirtz fühlt sich sicher (Abschriften in:<br />

BArch [ehem. BDC], OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886). Näheres war nicht zu ermitteln.<br />

268 StAK 623 Nr. 6588, S. 257-260.


112<br />

ohne Pension gesehen. 269 Auch Zentrumsmitglied Wilhelm van Rühden, Stadtoberinspektor<br />

und Leiter der Verwaltungsabteilung der Bauverwaltung, blieb <strong>im</strong> Amt. 270 Sein Parteifreund<br />

Johannes Schmitz konnte sich ebenfalls halten, obwohl es sicher ein Leichtes gewesen wäre,<br />

gegen den Leiter des Wohlfahrtsamtes angesichts der Masse und des Elends seiner Klientel<br />

Anschuldigungen zu konstruieren. Sein Zuständigkeitsbereich wurde sogar um den seiner<br />

entlassenen Kollegin Anna Loenartz erweitert. Während Schwalge und Schoenfeld<br />

„freiwillig“ ausschieden, wurden alle Entlassungen (Rosendahl, Rogg, Loenartz, Hütte,<br />

Bastians) nach § 6 beantragt, einem „gern gewählten Umweg, um die ‚Diffamierung’ und die<br />

Kürzung des Ruhegehalts bei politischen Entlassungen nach § 4 zu umgehen“ 271 , wobei man<br />

Letzteres bei Rosendahl und Loenartz durch eine Zurückstufung quasi durch die Hintertür<br />

erreichte.<br />

<strong>Die</strong> nach § 3 BBG vorgesehene Möglichkeit der Entlassung von „nichtarischen“ Bediensteten<br />

kam in <strong>Koblenz</strong> nicht zum Tragen. Der seit Januar 1931 be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt angestellte<br />

Ernst Nitsche wurde zum 30. September 1933 nach eigenen Angaben aus „rassenpol.<br />

Gründen“ entlassen, weil er seit 1924 mit der Jüdin Erna geborene Rosenthal verheiratet war.<br />

Den Wiedergutmachungsantrag des Familienvaters erkannten die städtischen Gremien 1951<br />

in Höhe von 560 DM als berechtigt an. Dass seine jüdische Ehefrau der alleinige Grund für<br />

Nitsches Entlassung gewesen sei, ließ sich nicht belegen. Nitsche gehörte zu den Wohlfahrts-<br />

erwerbslosen, die als sogenannte Fürsorgerarbeiter oder -angestellte regelmäßig nur so lange<br />

beschäftigt wurden, bis ihr Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung erreicht war. Überliefert<br />

sind lediglich mehrere Übersichten mit Wohlfahrtserwerbslosen, nach denen Nitsches<br />

Entlassung aus diesem Grund bereits seit Mitte 1932 mehrfach angestanden hatte. 272<br />

Auch die <strong>im</strong> Ruhestand befindlichen leitenden Wahlbeamten blieben von der Überprüfung<br />

gemäß BBG nicht verschont. <strong>Die</strong> <strong>im</strong> Gesetz vorgesehenen Fragebogen von Russell, des<br />

früheren Ersten Beigeordneten Dr. Josef Janssen und der versorgungsberechtigten Vollwaise<br />

von Oberbürgermeister Clostermann wurden der Regierung <strong>im</strong> September eingereicht. <strong>Die</strong><br />

von dort verlangte Stellungnahme der Gauleitung gab S<strong>im</strong>on handschriftlich persönlich ab:<br />

Das BBG sei in diesen Fällen nicht anzuwenden, womit der unlängst noch so bekämpfte<br />

Russell durch den Gauleiter politisch rehabilitiert war. Der Preußische Innenminister schloss<br />

sich diesem Votum <strong>im</strong> Dezember 1933 an. 273<br />

269 StAK 623 Nr. 6651, S. 25; ebd. Nr. 6170, S. 119 f.; ebd. Nr. 6588, S. 231-245.<br />

270 StAK 623 Nr. 6651, S. 74; ebd. Nr. 6170, S. 101 f.<br />

271 Mommsen: Beamtentum, S. 55.<br />

272 LHAKo Best. 856 Nr. 115070 Unternr. 1743/27 (unpaginiert), Zitat Fragebogen vom 3.5.1947; StAK 623 Nr.<br />

6654, S. 13, 34 f., 38 f., 42, 44, 53 f., 57, 63, 104, 134, 207, 224, 230, 263; ebd. Nr. 9952, S. 30; ebd. Protokoll<br />

Haupt- und Finanzausschuss, 10.12.1951; ebd. M 122, Familienblatt in Hausblatt St.-Josef-Straße 20.<br />

273 StAK 623 Nr. 3848, S. 245-252; ebd. Nr. 3860, S. 186-193; ebd. Nr. 2628 (unpaginiert), Fragebogen vom<br />

4.8.1933.


113<br />

Gemäß einem Runderlass des Preußischen Finanzministers vom Dezember 1933 wurden die<br />

Vorgänge zu den Maßnahmen aufgrund BBG nicht in den Personalakten, sondern gesondert<br />

abgelegt. Damit war den Betroffenen die Möglichkeit zur Einsicht genommen. 274 Einen<br />

klaren Verfassungsbruch bedeutete der Runderlass des Reichsinnenministers vom 12. April<br />

1934, der erklärte, das verfassungsmäßige Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte sei<br />

„als überholt anzusehen und ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung außer Kraft getreten“,<br />

da es dem Führergrundsatz widerspreche. Wittgen gab diese Regelung am 25. Mai nicht nur<br />

allen Beamten, sondern auch den Angestellten zur Kenntnis, obwohl der Erlass erst später<br />

auch auf die Angestellten ausgedehnt wurde. 275<br />

Von den Säuberungen waren die Wahlbeamten und leitenden Beamten 276 wesentlich stärker<br />

betroffen als die übrigen Verwaltungskräfte, was dem radikaleren Vorgehen gegen sie auf<br />

allen Verwaltungsebenen <strong>im</strong> Reich und in Preußen entsprach. Mit 2,7 %, gemessen am<br />

Personalbestand von 337 Beamten und Dauerangestellten, fielen die sieben Zwangs-<br />

pensionierungen und zwei „freiwilligen“ Wechsel allerdings relativ gering aus. 277 Zwar<br />

unterblieb der große, umfassende Personalaustausch, doch bewirkten die Zwangsbe-<br />

urlaubungen, Entlassungen, Disziplinarverfahren und Kommissarsaktivitäten bei den<br />

städtischen Bediensteten zweifellos eine starke Einschüchterung. Dazu kam die ständige<br />

Furcht vor Denunziationen durch Spitzel unter den Kollegen, die Misstrauen säte und das<br />

Arbeitskl<strong>im</strong>a belastete. Spätestens jetzt musste jedem klar geworden sein, dass ab sofort ein<br />

mehr oder weniger intensiver Anpassungsdruck und „Gesinnungsterror“ 278 herrschten. 279<br />

<strong>Die</strong> zweite Welle der politischen Säuberung betraf dann Angestellte und Arbeiter, denn<br />

entgegen seinem irreführenden Titel galt das BBG auch für sie. <strong>Die</strong> Frist für die Abgabe der<br />

Fragebogen, denen Anlagen wie Geburts- und Heiratsbescheinigungen zum Nachweis der<br />

arischen Abstammung beizufügen waren, musste zwe<strong>im</strong>al bis zum 5. August verlängert<br />

werden, begleitet von dem drohenden Hinweis Wittgens, wissentlich falsche Angaben führten<br />

zur fristlosen Kündigung. 280<br />

Am 7. September 1933 wurden dann die ersten sechs Arbeiter gemäß § 2 BBG fristlos<br />

entlassen, es folgten bald weitere, die alle KPD, SPD, Reichsbanner, Freien Gewerkschaften<br />

oder der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition angehört hatten. Dabei war es<br />

274<br />

StAK 623 Nr. 6651, S. 1. <strong>Die</strong>s erklärt, warum sich die Prüfungsberichte der Kommissare, die<br />

Disziplinarverfahren, Schriftverkehr usw. zu einem einzigen Fall in ganz verschiedenen Akten befinden können.<br />

275<br />

StAK 623 Nr. 6651, S. 5 (Zitat), 7.<br />

276<br />

Zum 31.10.1934 meldete Wittgen 44 leitende Beamte einschließlich Lehrer und Ärzte (ab Besoldungsgruppe<br />

2 b); StAK 623 Nr. 6585, S. 15.<br />

277<br />

In Preußen wurden 28 % der Beamten des höheren <strong>Die</strong>nstes sowie 3,5 % des mittleren und unteren <strong>Die</strong>nstes<br />

aufgrund des BBG entlassen, <strong>im</strong> Reich waren es 9,5 % bzw. 5,5 %. Mommsen: Beamtentum, S. 54-56; Wunder:<br />

Geschichte der Bürokratie, S. 139 f.; ausführliches Zahlenmaterial bei Mecking: „Immer treu“, S. 156-159.<br />

278<br />

Mommsen: Beamtentum, S. 60.<br />

279<br />

Vgl. Mecking: „Immer treu“, S. 159; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 243 f.<br />

280 StAK 623 Nr. 9561, S. 105, 108, 123 f.


114<br />

unerheblich, wie lange die Mitgliedschaft gedauert hatte, wie lange sie zurücklag und wie<br />

aktiv man gewesen war. Bis Anfang November 1933 bezifferte Wittgen die Zahl der<br />

entlassenen ehemaligen KPD-Mitglieder auf 12 Arbeiter. Fast alle Entlassenen machten von<br />

ihrem Beschwerderecht innerhalb einer Frist von 14 Tagen Gebrauch. Der Vorgang samt<br />

Personalakte ging in diesem Fall an den Regierungspräsidenten, der ihn mit seinem Votum an<br />

den Preußischen Innenminister sandte. <strong>Die</strong>ser erteilte den endgültigen Bescheid, gegen den<br />

ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig war. Aufgrund der Fülle der Verfahren ist es kaum<br />

verwunderlich, dass in der Regel mehrere Monate vergingen, bevor der Bescheid aus Berlin<br />

eintraf, einige Verfahren zogen sich bis weit ins erste Halbjahr 1934 hin. <strong>Die</strong> Zustellung des<br />

ministeriellen Bescheids wiederum oblag dem Oberbürgermeister. Bevor Wittgen die<br />

Vorgänge an die Regierung weiterleitete, fragte er regelmäßig bei der Gauleitung an, ob dort<br />

Aussagen über die Entlassenen gemacht werden könnten. Ausführlich legte Wittgen jeweils<br />

dar, dass das Gesetz Ausnahmen zulasse, wenn die jetzige „nationale Zuverlässigkeit“ des<br />

Betroffenen bestätigt werde. <strong>Die</strong>ses Vorgehen Wittgens gibt ein Beispiel dafür, dass sich das<br />

Verfahren, von der NSDAP eine Auskunft über die politische Zuverlässigkeit einzuholen, <strong>im</strong><br />

Rahmen des Vollzugs des BBG einbürgerte. Doch die Gauleitung ließ trotz wiederholter<br />

Erinnerungen und Hinweisen auf die Eilbedürftigkeit nichts von sich hören, sodass Wittgen<br />

die Vorgänge stets ohne Stellungnahme der Partei weitergeben musste. <strong>Die</strong> Einlassungen der<br />

Betroffenen bei ihren Beschwerden ähnelten sich: Sie beriefen sich auf ihren Frontkämpfer-<br />

Status, Kriegsauszeichnungen, Bewährung in der Separatistenabwehr, Unkenntnis über den<br />

Marxismus, Kürze und Passivität ihrer Mitgliedschaft sowie eine kinderreiche und Not<br />

leidende Familie. In Einzelfällen setzten sich die NSBO bzw. DAF für Entlassene ein, die<br />

inzwischen dort aktiv waren. 281<br />

Außerdienstliches Verhalten wurde dem Heizer und Bademeister Ferdinand Ferber zum<br />

Verhängnis. In stark alkoholisiertem Zustand hatte er <strong>im</strong> Mai 1933 in einem Lokal abfällige<br />

Äußerungen über die Partei gemacht und war darüber mit einem SS-Mann in Streit geraten,<br />

der ihn <strong>im</strong> Rathaus denunzierte. Kommissar Wolf nahm sich des Falles an. Ferber wurde <strong>im</strong><br />

Juni fristlos entlassen, ein Ersatzmann von Christ noch am selben Tag „best<strong>im</strong>mt“. 282 Bei dem<br />

entlassenen Josef Pohl hatte zunächst sogar Kreisleiter Claussen Wittgen Anfang 1934<br />

gebeten, sich um dessen Wiedereinstellung zu bemühen, weil die Familie kinderreich und die<br />

politische Einstellung heute einwandfrei sei. Der dre<strong>im</strong>al verwundete Kriegsfreiwillige hatte<br />

bis 13. März 1933 knapp acht Monate der KPD angehört, war dann vier Tage später der<br />

NSDAP beigetreten. Bei seinen städtischen Vorgesetzten galt er als fleißiger Mann, der<br />

politisch nie in Erscheinung getreten war. Im Mai 1934 lehnte das Innenministerium seine<br />

281 StAK 623 Nr. 3873; ebd. Nr. 6147; ebd. Nr. 6570, S. 366; ebd. Nr. 6574, S. 288-297. <strong>Die</strong> Entlassung allein<br />

reichte nach 1945 nicht für eine Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ aus; LHAKo Best. 540,1 Nr. 1008.<br />

Zur „Einbürgerung“ der politischen Beurteilung vgl. <strong>Die</strong>ter Rebentisch: <strong>Die</strong> „politische Beurteilung“ als<br />

Herrschaftsinstrument der NSDAP. In: Peukert/Reulecke (Hg.): <strong>Die</strong> Reihen fast geschlossen, S. 107-125, hier S.<br />

111, 113.<br />

282 StAK 623 Nr. 6147, S. 75-91, 312-359, Zitat S. 318; ebd. Nr. 6574, S. 288-297.


115<br />

Beschwerde ab, doch der Mann blieb hartnäckig, schrieb an den Führer, seine Frau wurde<br />

be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten vorstellig. Der beauftragte Wittgen, sich mit der Kreisleitung in<br />

Verbindung zu setzen, doch Claussen hatte inzwischen eine Kehrtwendung vollzogen und<br />

antwortete <strong>im</strong> September: „Ich kann unmöglich meine Zust<strong>im</strong>mung dazu geben, einen Mann<br />

wieder in Arbeit zu bringen, der auf Grund eines nat. soz. Gesetzes entlassen worden ist, es<br />

sei denn, dass in <strong>Koblenz</strong> der letzte alte Parteigenosse in Arbeit und Brot ist.“ Selbst auf diese<br />

klare Absage intervenierte Wittgen erneut, Pohl solle dort eingesetzt werden, wo es für Alte<br />

Kämpfer nicht in Frage komme. Claussen ließ <strong>im</strong> November 1935 wissen, er sei auch damit<br />

nicht einverstanden, schlage einen anderen Parteigenossen vor und „rechne mit der<br />

Einstellung desselben.“ 283<br />

Solche und ähnliche Formulierungen sind bis ungefähr 1935 symptomatisch für die Partei,<br />

wenn es um die Beschäftigung Alter Kämpfer ging. Sie ließen an Deutlichkeit nichts zu<br />

wünschen übrig, auch wenn sie formal als Bitte ausgesprochen wurden: „Erledigungsbericht<br />

erbitten wir bis zum […]“ oder „[bitten wir] uns über die vollzogene Einstellung zu<br />

unterrichten“. 284 Wittgen kam dem <strong>im</strong> Rahmen des Möglichen entgegen, hatten doch<br />

verschiedene ministerielle Runderlasse wiederholt die bevorzugte Unterbringung Alter<br />

Kämpfer in der Verwaltung angeordnet. 285 Gleichzeitig versuchte Wittgen aber<br />

„aufklärerisch“ auf die Parteidienststellen einzuwirken, indem er den gesetzlichen Rahmen<br />

und die Vorgaben der Aufsichtsbehörden wie z. B. Stellenpläne in seinen Antworten in<br />

groben Zügen und einfachen Worten zusammenfasste. Zunehmend geriet er dabei in die<br />

Defensive, indem er seine Stellung als verantwortlicher Verwaltungschef behaupten musste.<br />

Während Wittgen bürokratische Denk- und Verfahrensweisen in Fleisch und Blut<br />

übergegangen waren, fehlte seinen Parteigenossen vielfach jede Kenntnis von Verwaltungs-<br />

abläufen, geschweige denn ihren Rechtsgrundlagen. Bei der Gauleitung war das Amt für<br />

Kommunalpolitik eine der <strong>Die</strong>nststellen, mit denen Wittgen ständig in Berührung kam. Es<br />

wurde seit 1931 von Wilhelm Struve geleitet, der am 28. September 1933 kommissarischer<br />

Landrat für den Landkreis <strong>Koblenz</strong> wurde. 286 Am 1. April 1933 berief Struve den<br />

Bannbildungsleiter der HJ, Hellmut Goerz, und am 1. Juni den Ersten Beigeordneten der Stadt<br />

Mayen, Ernst <strong>Die</strong>denhofen 287 , zu neuen Mitarbeitern des Amtes. Ihre Aufgabe sollte vor<br />

allem in der Beratung und Unterstützung der am 12. März neu gewählten Kommunalpolitiker<br />

bestehen, weswegen das Amt ab August 1934 eine Kartothek aller kommunalpolitisch aktiven<br />

283 StAK 623 Nr. 3873, S. 266-309, Zitat S. 303.<br />

284 StAK 623 Nr. 3873, S. 39, 128.<br />

285 StAK 623 Nr. 3873, S. 158; ebd. Nr. 6262, S. 23, 34 f.<br />

286 Vgl. Weiß: Das Amt für Kommunalpolitik.<br />

287 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 180 f.; Dorfey: „Goldfasane“, S. 336, 387 f. Anfang 1934<br />

war <strong>Die</strong>denhofen Leiter der Ortsgruppe Schenkendorf, <strong>im</strong> August 1934 wurde er Bürgermeister und Kreisleiter<br />

von Bitburg.


116<br />

Partei- und Volksgenossen aufbaute. 288 Doch musste man erst einmal selbst mit der Materie<br />

vertraut werden. Das Nationalblatt meldete <strong>im</strong> Juli 1933, die beiden besuchten zur<br />

„Erweiterung ihrer Sachkenntnisse“ die Verwaltungsschule der Stadt <strong>Koblenz</strong>. 289 Für die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> war offenbar Goerz zuständig, von dem die eingangs zitierten<br />

Formulierungen stammen. 290 In weiteren Schreiben und Vorgängen sollte sich zeigen, dass sie<br />

weniger aus anfänglich fehlender Sachkenntnis resultierten als vielmehr aus der festen<br />

Überzeugung, dass der Verwaltung die Rolle einer Erfüllungsgehilfin der Partei zufalle.<br />

So vermerkte Stadtinspektor Philipp Söller am 29. September für Wittgen: „Herr<br />

Beigeordneter Christ ordnete heute – 18,45 Uhr – an, a) dass auf Grund des § 4 des<br />

Berufsbeamtengesetzes zu entlassen sind [zehn namentlich genannte Arbeiter und<br />

Angestellte] und b) sofort zu prüfen ist, ob die beiden Dauerangestellten [zwei namentlich<br />

genannte ehemalige SPD-Mitglieder] auf Grund des § 4 des Berufsbeamtengesetzes entlassen<br />

werden können.“ Es wurden zwar nicht alle entlassen, aber <strong>im</strong> Einvernehmen mit der<br />

Gauleitung gab es eine ganze Reihe von Versetzungen zur Straßenreinigung. Als Goerz am<br />

3. November 1933 innerhalb von drei Tagen eine Liste aller Dauerangestellten, Arbeiter,<br />

„Dauerhilfsangestellten“ und noch zu besetzenden Stellen verlangte, schickte Wittgen die<br />

Liste mit einer Erläuterung des Unterschieds zwischen Dauer- und Hilfsangestellten. Er stellte<br />

fest, dass seit Mitte März elf Parte<strong>im</strong>itglieder als Angestellte und 16 als Arbeiter neu<br />

eingestellt worden waren. Weitere Angestelltenstellen lasse der von der Regierung<br />

genehmigte Stellenplan nicht zu, aber <strong>im</strong> Interesse der Sache wolle man weitere<br />

16 Arbeiterstellen schaffen sowie zehn bei der Straßenreinigung, wobei er darauf verwies,<br />

dass die Stadt derzeit 914 Fürsorgeunterstützungsempfänger bis zur Erreichung ihrer<br />

Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung beschäftige. Mit der Gauleitung einigte sich<br />

Wittgen <strong>im</strong> November 1933 auf die Unterbringung von 28 Alten Kämpfern mit Mitglieds-<br />

Nummern unter 300.000, davon 23 bisherige Fürsorgearbeiter. 291 Unter diesen<br />

Neueinstellungen war auch Jakob Born, der als Hausmeister der Thielenschule unterkam.<br />

Anfang 1942 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP (Mitglieds-Nr. 38.154). 292<br />

Überhaupt waren die Schulhausmeisterposten beliebt zur Unterbringung verdienter Alter<br />

288 BArch NS 25/240, S. 74, 79, 84, 95, 125, 129, 230; ebd. NS 25/243, S. 47. <strong>Die</strong> Kartei enthielt Angaben zu<br />

Person und Amt, NSDAP- bzw. Opferring-Mitgliedschaft, Parteiämtern, Vorstrafen und Kriegsteilnahme, aber<br />

auch zu Ehefrau und Kindern und deren Mitgliedschaften in Organisationen.<br />

289 NB, 1.7.1933: <strong>Die</strong> kommunalpolitische Abteilung.<br />

290 Als Goerz <strong>im</strong> Dezember 1933 ein peinliches Versehen eingestehen musste, bat er diesmal „freundlichst“ um<br />

Mitteilung. Ein ehemaliges Parte<strong>im</strong>itglied, das für zwei Jahre ausgetreten und für die KPD aktiv gewesen war,<br />

hatte be<strong>im</strong> Wiedereintritt die alte Mitglieds-Nummer bekommen und war deswegen ungerechtfertigt in den<br />

Genuss der bevorzugten Einstellung gekommen. Goerz bat um Austausch gegen einen anderen Parteigenossen,<br />

die Stadt gab diesem „Antrag“ statt. StAK 623 Nr. 3873, S. 169-171.<br />

291 StAK 623 Nr. Nr. 3873, S. 4-8, 12-27, 30-35; ebd. Nr. 6147, S. 225-251, Zitat S. 235.<br />

292 Born war zuletzt Hausmeister an der Overbergschule und Stadtoberbetriebsmeister. Er war fast 33 Jahre <strong>im</strong><br />

städtischen <strong>Die</strong>nst und starb am 4.6.1966 <strong>im</strong> Alter von 61 Jahren. StAK 623 Nr. 3873, S. 168; ebd. Nr. 8918, S.<br />

22; ebd. Nr. 9570, S. 51; ebd. Nr. 9615, S. 65; ebd. M 111, Hausblatt Gutenbergstraße, Overbergschule.


117<br />

Kämpfer. 1945 wurden neun Schulhausmeister entlassen, die teils 1929 und früher<br />

Parte<strong>im</strong>itglied gewesen waren. 293<br />

Sogar der Jurist und spätere Ratsherr Dr. Adolf Schreder 294 forderte als Kreisabteilungsleiter<br />

für Arbeitsbeschaffung für erwerbslose Parteigenossen <strong>im</strong> Dezember 1933 von Wittgen die<br />

Weiterbeschäftigung eines Fürsorgeangestellten, die nicht an „Formalitäten“ scheitern dürfe.<br />

Einmal bei der Stadt beschäftigte Alte Kämpfer dürften nicht entlassen werden, meinte<br />

Schreder und drohte mit der Einschaltung des Gauleiters. Wieder sah sich Wittgen zu<br />

Richtigstellungen gezwungen: Fürsorgeangestellte würden nur solange beschäftigt, wie eine<br />

Fürsorgepflicht der Stadt bestehe, ihrer Übernahme stünden gesetzliche und ministerielle<br />

Richtlinien entgegen. <strong>Die</strong> Einstellung Alter Kämpfer und Versorgungsanwärter 295 müsse <strong>im</strong><br />

Verhältnis 1 zu 1 stehen, 296 wobei die Stadt dieses Verhältnis schon mit 16 zu 2 durchbrochen<br />

habe. Der Minister habe für den Fall der Missachtung dieses Grundsatzes bereits wiederholt<br />

Strafen angedroht. Der Parteigenosse sei bereits bevorzugt, da es sich eigentlich um die Stelle<br />

eines Fürsorgearbeiters gehandelt habe. Er könne die Stelle behalten, aber nicht als<br />

Angestellter, sondern als Arbeiter, womit sich der Betroffene schließlich einverstanden<br />

erklärte. 297<br />

Tatsächlich hatte Wittgen zugunsten von Parte<strong>im</strong>itgliedern gegen Einstellungsgrundsätze<br />

verstoßen, worauf er mehrfach verwies. 298 Als sich <strong>im</strong> März 1934 NSKOV und Gauschatz-<br />

meister für die Einstellung eines Alten Kämpfers stark machten, antwortete Wittgen, dass die<br />

bevorzugte Einstellung eigentlich nur für Parteigenossen mit Mitgliedsnummern unter<br />

100.000 gelte. „Nach dem von der Gauleitung (kommunal-politische Abteilung) eingeführten<br />

Brauch“ werde sie bei der Stadt <strong>Koblenz</strong> aber schon bei Mitgliedsnummern bis 300.000<br />

gewährt. 299 Bei dem „Brauch“ handelte es sich um eine reichsweite Sonderaktion, die eine<br />

bevorzugte Unterbringung erwerbsloser Alter Kämpfer regelte und bis zum 30. September<br />

1936 lief. 300 Hatte Wittgen nach eigenem Bekunden also bereits Zugeständnisse gemacht,<br />

versuchte er gleichzeitig, den Einfluss von außen einzudämmen. Er verwies die NSKOV <strong>im</strong><br />

Mai auf eine neue Anordnung der Gauleitung, nach der die Vermittlung von Arbeitsplätzen<br />

allein Sache der Arbeitsämter sei, wobei die Gauleitung dem Arbeitsamt allerdings<br />

293 StAK 623 Nr. 8918, S. 21-28.<br />

294 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 423 f.<br />

295 Männer, die nach zwölfjähriger <strong>Die</strong>nstzeit be<strong>im</strong> Militär ausgeschieden waren und Anspruch auf eine<br />

Eingliederung in die Zivilverwaltung hatten (deshalb gelegentlich auch „Militäranwärter“).<br />

296 Anstelle von 90 % sollten bis Ende März 1934 zugunsten Alter Kämpfer nur noch 50 % der frei werdenden<br />

Stellen mit Versorgungsanwärtern besetzt werden; StAK 623 Nr. 6262, S. 34.<br />

297 StAK 623 Nr. 3873, S. 193-196, Zitat S. 196.<br />

298 Zum Beispiel am 10.8.1934; StAK 623 Nr. 6654, S. 708 f. Auch Köln hatte Einstellungsgrundsätze zugunsten<br />

von Parte<strong>im</strong>itgliedern nicht eingehalten; Wolfram Hilpert: <strong>Nationalsozialismus</strong> und Stadt(Verwaltung) Köln. Der<br />

Einfluß des <strong>Nationalsozialismus</strong> auf die kommunale Selbstverwaltung in den Vorkriegsjahren des Dritten<br />

Reiches. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 60 (1989), S. 241-284, hier S. 263 f.<br />

299 StAK 623 Nr. 6654, S. 342-345, Zitat S. 345.<br />

300 Lohalm: Garant nationalsozialistischer Herrschaft, S. 165; StAK 623 Nr. 3863, S. 48.


118<br />

entsprechende Vorschlagslisten einreichte. 301 Um die vorgeschriebene Einstellung von<br />

Versorgungsanwärtern trotzdem einigermaßen gewährleisten zu können, wurden sie bis 1935<br />

auf jeder frei werdenden Beamtenstelle eingesetzt, was aber dazu führte, dass die zivilen<br />

städtischen Beamtenanwärter trotz erfolgreichen Abschlusses der Verwaltungsprüfungen das<br />

Nachsehen hatten. Als Wittgen <strong>im</strong> Januar 1936 die außerplanmäßige Anstellung von 10 seiner<br />

16, mittlerweile bereits <strong>im</strong> fortgeschrittenen Alter stehenden Beamtenanwärter beantragte,<br />

schickte Turner den Originalantrag mit einer handschriftlichen Ablehnung zurück. Der<br />

Regierungspräsident war nicht gewillt, das vorschriftswidrige Verhalten der Vergangenheit zu<br />

sanktionieren, vermied aber den Eingang des Schreibens in die Akten seiner Behörde.<br />

Offenbar verständigte man sich mündlich auf die Formulierung eines neuen Antrags, der<br />

weniger Details enthielt, die Nicht-Wahrung der Anstellungsgrundsätze auf die Kriegs- und<br />

Besatzungszeit schob und von Turner <strong>im</strong> April 1936 genehmigt wurde. 302<br />

Im April 1934 sah sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> mit weitergehenden Ansprüchen der Gauleitung<br />

konfrontiert. Goerz war be<strong>im</strong> neuen Beigeordneten Rudolf Klaeber vorstellig geworden. Der<br />

Gauleiter bzw. sein Stellvertreter hätten „bemängelt“, dass Alte Kämpfer „<strong>im</strong>mer noch mit<br />

minderwertigen und schmutzigen Arbeiten beschäftigt würden“, während frühere<br />

Gewerkschaftsmitglieder und Arbeiter, die der Bewegung feindlich gegenüber gestanden<br />

hätten, „mit besseren Arbeiten“ beschäftigt seien und sogar noch Vorarbeiterzulage bekämen.<br />

Daraufhin verlangte Abteilung I von den betroffenen Ämtern eine Aufstellung der<br />

entsprechenden Arbeiter und beraumte eine gemeinsame Sitzung der Betriebsleiter über die<br />

„Anregung“ der Gauleitung zum Austausch der Arbeiter an. Zwar war die grundsätzliche<br />

Bereitschaft der Stadt vorhanden, praktisch ergaben sich aber Probleme, da z. B.<br />

Vorkenntnisse und körperliche Eignung fehlten. Stadtbaurat Hans Mohaupt machte darauf<br />

aufmerksam, dass es nur wenige Arbeitsplätze gebe, bei denen sich die Tätigkeit nicht in der<br />

Öffentlichkeit abspiele. Noch während die Stadt Versetzungsmöglichkeiten auslotete,<br />

beschwerte sich ein Fuhrparkarbeiter <strong>im</strong> Mai bei Wittgen, er habe als Bote angelernt werden<br />

sollen und deswegen Goerz eingeschaltet: „Ich sehe nicht ein, dass alte Parteigenossen und<br />

langjährige SA-Kämpfer die Straße kehren u. Asche ausleeren sollen, während ehemalige<br />

Sozialdemokraten […] ihre Posten behalten.“ Als er sofortigen Bescheid verlangte und mit<br />

seinen Parteibeziehungen drohte, hatte er den Bogen allerdings überspannt. Wittgen<br />

vermerkte: „Angelegenheit mit Gau besprochen; es herrscht Übereinst<strong>im</strong>mung, daß die<br />

Drohung dem Führergrundsatz widerspricht.“ Es kam schließlich so weit, dass Alte Kämpfer<br />

bei ihrer Beschäftigung bei Müllabfuhr und Straßenreinigung ihr schriftliches Einverständnis<br />

mit dieser Art der Tätigkeit abgeben und einen Versetzungsanspruch ausschließen mussten. 303<br />

301<br />

StAK 623 Nr. 6654, S. 347 f.; vgl. auch ebd. Nr. 3873, S. 42-46, 58 f., 175 f.; ebd. Nr. 6222, S. 357 f.<br />

302<br />

StAK 623 Nr. 6654, S. 646-650.<br />

303<br />

StAK 623 Nr. 3873, S. 50-80, 86 f., Zitate S. 50, 86 f.


119<br />

Der Theaterausschuss unter der Leitung von Bürgermeister Binhold erklärte sich <strong>im</strong> Oktober<br />

1934 bereit, trotz Überschreitung des Etats und obwohl alle Sparten besetzt waren, den<br />

verdienten Nationalsozialisten Reinhard Blum als Schauspieler zu engagieren. Damit hatte<br />

der Ausschuss zumindest teilweise Gegenwehr geleistet, denn ein Erlass des Präsidenten der<br />

Reichstheaterkammer hatte die Einstellung von drei Alten Kämpfern verlangt. 304<br />

Im Mai 1934 bezifferte Wittgen die Zahl der bei der Stadt untergekommenen Alten Kämpfer<br />

auf etwa 75, 305 <strong>im</strong> August 1934 waren es bereits 164, 306 wozu er aber wohl auch die nur<br />

vorübergehend als Fürsorgearbeiter Beschäftigten zählte. Im November 1934 nannte er<br />

nämlich 95 und <strong>im</strong> März 1935 106 Alte Kämpfer, die als Angestellte und Arbeiter dauerhaft<br />

beschäftigt seien und deren Unterbringung er – neben der von Erwerbslosen – „als meine<br />

vornehmste Aufgabe betrachtet“ habe. 307 Damit lag Wittgen auf einer Linie mit Gauamtsleiter<br />

Struve, der die bevorzugte Arbeitsvermittlung alter Parteigenossen zur „Dankesschuld“<br />

erhob. 308 1937 war die Zahl der beschäftigten Alten Kämpfer sogar auf 160 angewachsen. 309<br />

<strong>Die</strong> vom Arbeitsamt als Fürsorgeangestellte für Büroarbeiten zugeteilten Parteigenossen<br />

stießen angesichts ihrer unzureichenden Qualifikation jedoch nicht unbedingt auf begeisterte<br />

Zust<strong>im</strong>mung. Im April 1936 beschwerte sich der Direktor des Arbeitsamtes bei Wittgen über<br />

kritische Bemerkungen zweier Stadtinspektoren. Wittgen musste die Angelegenheit in einem<br />

persönlichen Gespräch bereinigen und stellte gleichzeitig die „berechtigten Ansprüche der<br />

Stadt bei der Vermittlung von Personal“ klar. 310<br />

Noch <strong>im</strong> Oktober 1935 hatten Wittgens gebetsmühlenartige Belehrungen bei Goerz nicht viel<br />

gefruchtet, denn dieser forderte – diesmal als „Amt für Arbeitsbeschaffung für arbeitslose<br />

Pgg.“ der Gauleitung – für den körperbehinderten SA-Oberscharführer Josef Beckenkamp<br />

eine Arbeitsstelle mit den Worten: „Es muß möglich sein, einem so alten Kämpfer der N.S.<br />

Bewegung innerhalb eines Betriebes der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> eine Beschäftigung zu<br />

geben, die seinem körperlichen Zustand entspricht.“ Auch der SA-Gruppenführer Steinhoff<br />

bedrängte Wittgen. Der geplante Einsatz als Nachtwächter <strong>im</strong> Bürgerhospital scheiterte am<br />

Widerstand von Chefarzt Professor Dr. Fritz Hohmeier, der argumentierte, ein Nachtwächter<br />

müsse kräftig sein. Es folgte Schriftverkehr zu vier weiteren Parteigenossen, die wegen<br />

gesundheitlicher Probleme mit Hilfe der Partei einen neuen Arbeitsplatz suchten, doch<br />

Wittgen erklärte der Gauamtsleitung <strong>im</strong> November, die <strong>Stadtverwaltung</strong> könne „unmöglich<br />

allen diesen Wünschen entsprechen, da sie nicht über derartige Arbeitsplätze verfügt.“ 311<br />

304<br />

StAK 623 Nr. 8304, S. 3.<br />

305<br />

StAK 623 Nr. 3873, S. 1-3.<br />

306<br />

StAK 623 Nr. 6654, S. 708 f.<br />

307<br />

StAK 623 Nr. 7215, Anlage 2 nach S. 3 (Zitat); ebd. Anlage 2 nach S. 41.<br />

308<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 357 f.<br />

309<br />

Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong>. 1.4.1933-31.12.1937, S. 25.<br />

310<br />

StAK 623 Nr. 6720, S. 190-194, Zitat S. 194.<br />

311<br />

StAK 623 Nr. 3873, S. 310-330, Zitate S. 326, 329.


120<br />

Obwohl Wittgen seit 1933 mehrfach über die Rechtslage aufklärte, sind auch in den<br />

Folgejahren die Akten der Fürsorgearbeiter und -angestellten voll eindringlicher Gesuche von<br />

Parteidienststellen, NSKOV oder DAF, ihre Mitglieder über die zur Erreichung des<br />

Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung notwendige Frist hinaus weiterzubeschäftigen. 312 In<br />

wenigen Ausnahmefällen ließ sich Wittgen auf Verlängerungen oder sogar Festeinstellungen<br />

ein, musste dabei aber auch negative Erfahrungen <strong>im</strong> Hinblick auf Vorstrafenregister oder<br />

Unfrieden stiftendes Verhalten von Parteigenossen machen. 313 Als Missgriff erwies sich z. B.<br />

der neue Leiter der städtischen Jugendherberge Josef Münch, der 1933 das Zentrumsmitglied<br />

Peter Altmeier 314 , den Vater des gleichnamigen Stadtverordneten, ersetzte. Wittgen setzte den<br />

Vorhaltungen von Rechtsanwalt Meyers entgegen, Altmeier sei schon 1932 wegen<br />

Unfreundlichkeit zum 31. März 1933 entlassen worden und gerade die Jugendherberge müsse<br />

„ein Ort nat.soz. Erziehung sein.“ 315 Münch gab aber bald zu so heftigen Beschwerden<br />

Anlass, dass der Reichsverband für deutsche Jugendherbergen drohte, den Jugendherbergs-<br />

status abzuerkennen. Als Münch 1934 auf einen Verwaltungsposten versetzt wurde, räumte er<br />

seine <strong>Die</strong>nstwohnung trotz Angebots einer Ersatzwohnung und Erstattung der Umzugskosten<br />

erst aufgrund einer Räumungsklage der Stadt. 316<br />

Auf welche Art Parteigenossen noch begünstigt werden konnten, illustriert ein letztes<br />

Beispiel: Als der jüdische Textilhändler Semmy Pollack 317 von November 1933 bis Ende<br />

März 1934 der Stadt einen monatlichen Zuschuss von 120 RM zur Beschäftigung von zwei<br />

Wohlfahrtserwerbslosen zahlte, entschied Wittgen, dadurch solle der „vom Herrn<br />

Regierungspräsidenten warm empfohlene SS-Mann Peter Grosse“ vorerst bei der NSV als<br />

Bote unterkommen. 318<br />

312<br />

StAK 623 Nr. 6635; ebd. Nr. 6654-6656.<br />

313<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 6635, S. 533-568, 762-795.<br />

314<br />

* 4.4.1870 Hausbach (Kreis Merzig), + 2.1.1954 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet. StAK, Standesamt<br />

<strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 13/1954.<br />

315<br />

StAK 623 Nr. 3833, S. 13, 25 (Zitat). Mit Altmeier habe die Stadt laut Meyers wegen seiner Entlassung einen<br />

Vergleich geschlossen und ihm aufgrund seiner langen Beschäftigungsdauer über 1.000 RM gezahlt. Altmeiers<br />

Großneffe, der <strong>Koblenz</strong>er CDU-Politiker Dr. Heinz-Peter Volkert, erinnerte sich, dass die Entlassung wegen<br />

politischer Unzuverlässigkeit erfolgt und sein Großonkel 1945 rehabilitiert worden sei; RZ, 25.4.2001: <strong>Die</strong><br />

Jugend wanderte – in den Krieg. Der Finanzausschuss st<strong>im</strong>mte jedenfalls 1951 einer Zahlung von 1.800 DM an<br />

Altmeier als einmalige Entschädigung zu. Sie sollte „die ihm durch seine vorzeitige Entlassung“ entstandenen<br />

Nachteile abgelten. Protokolle Finanzausschuss vom 20.8.1951, TOP 6, und 1.10.1951, TOP 1 (Zitat).<br />

316<br />

StAK Nr. 6616, S. 354-363.<br />

317<br />

Zu Pollack vgl. Thill: Lebensbilder, S. 177, 190, 217, 356; dies.: Lebensbilder, Personenregister und<br />

Nachträge, S. 54 f. Noch <strong>im</strong> Mai 1933 stand Pollack mit der Stadt in Kaufverhandlungen für das Hohenfelder<br />

Haus, Löhrstraße 30. Der Vorgang wurde <strong>im</strong> August ad acta gelegt. StAK 623 Nr. 11347.<br />

318<br />

StAK Best. 3873, S. 172 f. Der städtischen Nothilfe hatte Pollack um 1932/33 1.000 RM gespendet, die mit<br />

seinen Forderungen verrechnet wurde; ebd. Nr. 6627, S. 106.


121<br />

4.2 Personal und Organisation der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

4.2.1 Das Personal<br />

Einen ersten Überblick über das Personal der <strong>Stadtverwaltung</strong> erhielt Wittgen durch eine<br />

Aufstellung aller Beamten und Angestellten, die ihm Abteilung I unter dem 20. März 1933<br />

anfertigte und die ihm über seinen Kommissar Christ zuging. <strong>Die</strong> Liste war geordnet nach den<br />

Ämtern und ihren Dezernenten, und sie enthielt Angaben z. B. zu <strong>Die</strong>nststellung, Konfession,<br />

Besoldung, Datum des Eintritts bei der Stadt sowie zur Parteiangehörigkeit - Letzteres<br />

allerdings nur vereinzelt und oft mit Fragezeichen versehen. <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> zählte<br />

demnach 379 Beamte, Dauer- und Hilfsangestellte, darunter zehn Beamtenanwärter und fünf<br />

Lehrlinge. 319 Hinzu kamen 48 Bedienstete bei den städtischen Schulen, 57 be<strong>im</strong> Stadttheater<br />

sowie 367 Arbeiter. 320 Mit Abstand größtes Amt war das Wohlfahrtsamt mit 61, gefolgt von<br />

Abteilung I mit 37 Bediensteten. Bei der konfessionellen Zugehörigkeit waren die<br />

Protestanten <strong>im</strong> Vergleich zum Verhältnis in der <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung leicht über-<br />

repräsentiert: 73,6 % (absolut: 279) der 379 Beamten und Angestellten waren katholisch,<br />

23,7 % (90) evangelisch, die restlichen 2,6 % (10) verteilten sich auf einen Altkatholiken und<br />

einen Dissidenten, bei acht war die Konfession unbekannt oder es fehlen Angaben. Bei der<br />

Städtischen Sparkasse, also einem mehr kaufmännischen als bürokratischen Bereich, erreichte<br />

der Anteil der evangelischen Bediensteten mit 34,2 % (13 von 38 Bediensteten inklusive vier<br />

Beamtenanwärtern und Lehrlingen) den Spitzenwert unter den Ämtern. 321<br />

Der Anteil der Frauen an den Beamten und Angestellten betrug <strong>im</strong> März 1933 mindestens<br />

12,9 %, nämlich mindestens 49 Frauen bei 379 Bediensteten. 322 Ein „Verzeichnis der bei der<br />

Verwaltung vorhandenen weiblichen Beamten und Dauerangestellten“ vom Mai 1934<br />

listete nur noch 35 Frauen auf, die Hilfsangestellten (meist Schreibkräfte) blieben also<br />

unberücksichtigt. Allerdings beinhaltet das Verzeichnis sechs Gewerbeober- und Diplom-<br />

Handelslehrerinnen, die an der städtischen Gewerbeschule unterrichteten und in der Liste vom<br />

20. März 1933 gar nicht aufgeführt sind (sämtliches Lehrpersonal fehlt), sodass mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit bereits von einem Stellenabbau bei den Frauen ausgegangen werden<br />

kann. Alle 35 Frauen waren ledig. Wittgen hatte die Liste zu Überwachungszwecken erstellen<br />

lassen, denn Mitte 1933 war die während der We<strong>im</strong>arer Republik gelockerte „Zölibats-<br />

klausel“ wieder eingeführt worden, 323 nach der Beamtinnen und Dauerangestellte bei<br />

319 StAK 623 Nr. 6170, S. 1-244.<br />

320 Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1933.<br />

321 StAK 623 Nr. 6170, S. 1-244. Der Altkatholik war Dr. Walter Petri, Stadtverordneter und Leiter des<br />

Chemischen Untersuchungsamtes; ebd., S. 74-79.<br />

322 StAK 623 Nr. 6170, S. 16-244. Aufgrund der fehlenden Vornamen und stellenweise gebrauchten<br />

Abkürzungen wie z. B. „Hilfsang.“ ließ sich nicht <strong>im</strong>mer klären, ob es sich um männliche oder weibliche<br />

Personen handelte, besonders da Personalakten der unteren Gehaltsgruppen fast durchgängig fehlen.<br />

323 Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten vom 30.5.1932 in der Fassung vom 30.6.1933; RGBl.<br />

I, S. 435. Das Gesetz hatte Unruhe unter den weiblichen Beamten ausgelöst, denn das Innenministerium sah sich


122<br />

Sicherstellung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zu entlassen waren, was bei einer Heirat als<br />

gegeben angesehen wurde. Wittgen vermerkte dazu, in diesem Fall sei die Entlassung zu<br />

verfügen. 324 In der Praxis kündigten die Frauen bei ihrer Eheschließung selbst und kamen der<br />

Kündigung damit voraus. Sie erhielten dafür eine nach staatlichen Grundsätzen festgelegte<br />

Abfindung. 325<br />

Tabelle 11: Städtische Bedienstete 1927-1935 326<br />

Haushaltsplan 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935<br />

Beamte und<br />

Dauerangestellte 327 560 515 526 352 328 352 340 337 310 314<br />

Hilfsangestellte 129 113 329 (davon in Besat-<br />

96 87 67 69 74 90 90<br />

zungsangelegenheiten<br />

tätig) 330<br />

(56) (39) (23)<br />

Arbeiter 538 412 417 401 397 371 367 374 373<br />

Schulen 79 69 66 62 59 47 48 50 50<br />

Theater und<br />

Orchester<br />

66 65 79 29 26 57 57 64 64<br />

Brückenbauten - - - - - - - 7 6<br />

Gesamt<br />

Ruhegehalts-<br />

1.372 1.174 1.189 931 901 884 883 895 897<br />

empfänger,Hinterbliebene usw.<br />

133 135 136 134 138 148 157 160 168<br />

4.2.2 Beförderungen und Bevorzugungen von Nationalsozialisten<br />

Während die Karrieren einiger Beamter durch Zwangsbeurlaubung und Pensionierung jäh<br />

unterbrochen bzw. beendet wurden, nutzten die Nationalsozialisten ihre neue Machtstellung<br />

reichsweit, um verdiente Parteigenossen durch eine Stelle oder eine Beförderung zu belohnen.<br />

am 21.11.1933 zu einer Klarstellung veranlasst; StAK Best. 6262, S. 20. Das NB begrüßte das Gesetz <strong>im</strong> Kampf<br />

gegen das „Doppelverdienertum“; NB, 19.9.1933: Keine Pensionen für verheiratete Beamtinnen mehr? Vgl.<br />

auch Sabine Mecking: „Beamte mit sportgestähltem Körper, hellem Geist und einem soldatischen Herzen“?<br />

Städtische Personalpolitik während des Krieges in Münster. In: <strong>Die</strong>s./Anrdreas Wirsching (Hg.):<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Systemstabilisierende D<strong>im</strong>ensionen kommunaler Herrschaft<br />

(Forschungen zur Regionalgeschichte 53). Paderborn 2005, S. 77-103, hier S. 99.<br />

324<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 245-248.<br />

325<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 7215, S. 64, 143 f.; ebd. Nr. 7216, S. 2. Im Berichtszeitraum 1.4.1933-31.7.1937<br />

schied eine Volksschullehrerin wegen Heirat aus; VB 1933-1937, S. 58.<br />

326<br />

Haushaltspläne der Stadt <strong>Koblenz</strong> für die Rechnungsjahre 1927 bis 1935. <strong>Die</strong> Rechnungsjahre begannen<br />

jeweils am 1. April.<br />

327<br />

Ab dem Haushaltsplan 1928 war die Rubrik um Anwärter und Lehrlinge erweitert.<br />

328<br />

Der starke Rückgang beruht auf der Verstaatlichung der Polizeiverwaltung am 1.12.1929, wodurch 113<br />

Beamte und fünf Hilfsangestellte vom Staat übernommen wurden.<br />

329<br />

Vorübergehend eingestellt 44.<br />

330<br />

<strong>Die</strong> Gehälter für die entsprechenden Beamten, Dauer- und Hilfsangestellten wurden vom Reich erstattet.


123<br />

Dass in den Reihen der <strong>Koblenz</strong>er <strong>Stadtverwaltung</strong> bei der Machtergreifung nur ein kleiner<br />

Bestand an NSDAP-Mitgliedern vorhanden war und damit überhaupt für Beförderungen in<br />

Frage kam, zeigten schon die ersten Personalentscheidungen Wittgens. Trampp z. B. war bei<br />

seiner Beförderung noch kein Parte<strong>im</strong>itglied gewesen. Da in Abteilung I als der zentralen<br />

Organisations- und Personalabteilung besonderer Wert auf Gesinnungstreue gelegt werden<br />

musste, wurde dem „Märzgefallenen“ Trampp der Alte Kämpfer Peter Nilles als Stellvertreter<br />

zur Seite gestellt. 331 Nilles gehörte der NSDAP seit Februar 1932 an, <strong>im</strong> Juni 1935 wurde er<br />

Ortsgruppenleiter seines Wohnorts Mülhe<strong>im</strong>, wo er außerdem Gemeindeältester war und sich<br />

durch antisemitische Hetze hervortat. 332 1933 noch Stadtobersekretär bei der Sparkasse, war<br />

er 1935 schon zum Stadtoberinspektor aufgestiegen. Nilles starb 1937 <strong>im</strong> Alter von nur<br />

42 Jahren nach kurzer Krankheit. Sein Beispiel zeigt, dass selbst überzeugte National-<br />

sozialisten der katholischen Kirche treu bleiben konnten: In der Todesanzeige bekundete die<br />

Familie ganz traditionell, dass Nilles „wohlvorbereitet durch die hl. Sterbesakramente der<br />

kath. Kirche“ gestorben sei und ein Seelenamt für ihn gehalten werde. Im Gegensatz dazu<br />

interpretierte Kreisleiter Claussen seinen Tod als Antritt „zum letzten Appell be<strong>im</strong> Sturm<br />

Horst Wessel“. 333<br />

Am 18. März 1933 verfügte Wittgen die Zusammenlegung von Lohn- und Gehaltsbüro unter<br />

der vorläufigen Leitung des Stadtsekretärs und Parteianwärters Heinrich Junior. Es handelte<br />

sich um eine Vertrauensstellung, denn hier flossen beträchtliche Geldsummen. Dass politische<br />

Zuverlässigkeit allerdings nicht <strong>im</strong>mer charakterliche Eignung garantierte, beweist Juniors<br />

weiterer Lebensweg. Seine schon am 28. April begonnene Karriere als Bürgermeister von<br />

Sinzig endete nämlich 1937 mit der Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe wegen<br />

Amtsunterschlagung, Betrug und Untreue. 334 Der Technische Stadtinspektor und Kommissar<br />

Paul Haupt machte ähnlich wie Junior außerhalb der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> Karriere,<br />

allerdings erfolgreicher als sein Kollege. Seit 29. Mai 1933 war er kommissarischer<br />

Amtsbürgermeister von Winningen, <strong>im</strong> Mai 1934 wurde er durch Wahl in seinem Amt<br />

bestätigt. Daneben blieb Haupt bis zum 31. Juli 1936 Kreisleiter von <strong>Koblenz</strong>-Land. Zum<br />

331 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 9 (unpaginiert), Trampp vom 12.7.1938.<br />

332 NB, 7./8.9.1935: Kauft nichts bei Judenknechten!<br />

333 StAK 623 Nr. 6556, S. 677 f.; ebd. Nr. 6564, S. 310; ebd. Nr. 6585, S. 28; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>,<br />

Sterbeurkunde Nr. 191/1937; NB, 23.2.1937: Todesanzeigen (Zitate), Nachruf <strong>Stadtverwaltung</strong>; NB, 24.2.1937:<br />

Todesanzeige. Der als „Prediger von Buchenwald“ bekannt gewordene evangelische Pfarrer Paul Schneider<br />

(1897-1939) hatte bei der Beerdigung eines Hitlerjungen am 12.6.1934 in Gemünden (Hunsrück) der Grabrede<br />

des Kreisleiters widersprochen, der Tote sei in Horst Wessels h<strong>im</strong>mlischen Sturm eingegangen. Sein Protest<br />

brachte Schneider auf Veranlassung der <strong>Koblenz</strong>er Gestapo seine erste Verhaftung und sechs Tage Schutzhaft<br />

ein. Claude R. Foster: Paul Schneider. Seine Lebensgeschichte. Holzgerlingen 2001, S. 318-329.<br />

334 StAK 623 Nr. 9561, S. 24; ebd. Nr. 6240, S. 586; LHAKo Best. 856 Nr. 200412; Hans Kleinpass: Sinzig von<br />

1815 bis zur Gebietsreform 1969. In: Jürgen Haffke/Bernhard Koll: Sinzig und seine Stadtteile – gestern und<br />

heute. Sinzig 1983, S. 156-329, hier S. 207 f. Juniors Nachfolge als Leiter des Gehalts- und Lohnbüros trat<br />

Stadtinspektor Philipp Söller an, der jedoch kein Parte<strong>im</strong>itglied war. Als er am 12.3.1934 <strong>im</strong> Alter von 52 Jahren<br />

starb, erschien nämlich nicht der übliche Nachruf einer NSDAP-Ortsgruppe. StAK 623 Nr. 6240, S. 587, 594 f.;<br />

NB, 14.3.1934: Todesanzeige, Nachruf <strong>Stadtverwaltung</strong>.


124<br />

1. August 1936 wechselte er von Winningen auf den Bürgermeisterposten in Neuwied, wo ihn<br />

die amerikanische Besatzung am 28. März 1945 seines Amtes enthob und inhaftierte. 335<br />

Wer schon lange ohne Erfolg um eine Beförderung gekämpft hatte und deswegen sogar<br />

1930/31 zwe<strong>im</strong>al die Schiedsstelle der Arbeitsgemeinschaft der rheinischen Behörden-<br />

verbände und der Bezirksgruppe Rheinland der Komba angerufen hatte, war der neu gewählte<br />

NSDAP-Stadtverordnete und Friedhofsinspektor Walter Frischling 336 . Damals hatte sich<br />

Trampp als Ortsvorsitzender der Komba für Frischlings Anliegen eingesetzt, dessen<br />

Weiterverfolgung sich durch die Notverordnungen aber erledigte. Frischling war seit 1919 bei<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong> und seit 1921 Friedhofsinspektor. 1927 absolvierte er die Prüfung zum<br />

Diplom-Gartenbau-Inspektor und strebte seitdem seine Höhergruppierung und Ernennung<br />

zum Friedhofsdirektor an, was der zuständige Dezernent Rogg ablehnte. Schon am 18. März<br />

1933 legte Wittgen zur „Vereinfachung des Geschäftsverkehrs“ die Friedhofs- und<br />

Anlagenverwaltung einschließlich Stadtgärtnerei unter der Leitung Frischlings zusammen und<br />

unterstellte ihn Stadtbaurat Neumann. <strong>Die</strong>se Aufgabenerweiterung um die Verwaltung der<br />

städtischen Anlagen erlaubte Wittgen die Beförderung Frischlings zum Direktor des<br />

nunmehrigen Garten- und Friedhofsamtes und seine Höhergruppierung zum 1. Dezember<br />

1933. Zwar st<strong>im</strong>mten die städtischen Gremien zu, aber am 2. Januar 1934 versagte der<br />

Regierungspräsident unter Hinweis auf gesetzliche Grundsätze und die prekäre Finanzlage der<br />

Stadt seine Genehmigung. <strong>Die</strong> Stadt legte be<strong>im</strong> Innenministerium erfolglos Beschwerde ein.<br />

Am 26. April 1934 musste Wittgen Frischling mitteilen, sein Titel laute jetzt „Garten- und<br />

Friedhofsoberinspektor“. 337<br />

Doch Frischling sorgte noch auf andere Weise für Schriftverkehr zwischen Rathaus,<br />

Regierung, Berlin und Partei: Anfang Januar 1934 hatten sich die Parteigenossen Theo<br />

Doppelgatz und Moritz Sibert an den Ministerpräsidenten bzw. den Innenminister gewandt<br />

und schwere Vorwürfe gegen Frischling, Christ und Wittgen erhoben. Beweggrund für ihre<br />

Anschuldigungen war offenbar ihre Entlassung aus städtischen <strong>Die</strong>nsten. Frischling habe sich<br />

1926 von Sibert Zeichnungen für seine Prüfungsarbeit anfertigen lassen und sie als sein Werk<br />

ausgegeben, sein Diplom also betrügerisch erschlichen. Als sie Wittgen und Christ<br />

informierten, hätten diese sie unter Druck gesetzt und massiv bedroht, sogar mit KZ.<br />

Außerdem leite die Tante von Christ inzwischen die städtische Nähstube. Regierungs-<br />

präsident Turner verlangte von Wittgen einen Bericht. Der Oberbürgermeister rechtfertigte<br />

sich <strong>im</strong> Mai, Kommissar Wolf hätte <strong>im</strong> April 1933 sofort bei Bekanntwerden der<br />

Anschuldigungen eine Untersuchung durchgeführt und 14 Zeugen verhört. Es habe sich aber<br />

kein Anlass zu weiteren Maßnahmen ergeben, denn das Verfahren der Staatsanwaltschaft sei<br />

335 Dorfey: „Goldfasane“, S. 312, 397 f.; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 248-250; Hennig:<br />

<strong>Die</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 137 f.; 300 Jahre Neuwied. Ein Stadt- und He<strong>im</strong>atbuch. Neuwied 1953, S.<br />

178.<br />

336 * 10.7.1890 Düsseldorf, + 25.4.1961 Marbeck (?, letzter Wohnsitz), evangelisch; StAK 623 Nr. 3869.<br />

337 StAK 623 Nr. 3869, S. 1-239, Zitat S. 216.


125<br />

am 3. Dezember 1933 eingestellt worden. Nach einigem Hin und Her stellte das Innen-<br />

ministerium <strong>im</strong> März 1935 mit tadelndem Unterton fest, Wittgen habe zwar alles<br />

Erforderliche veranlasst, doch sei „der ganze Vorgang nicht völlig klargestellt.“ So sei<br />

Frischling bei Kenntnis der Tatsache, dass Teile der Abschlussarbeit nicht von ihm stammten,<br />

erst gar nicht zur Prüfung zugelassen worden, andererseits wären sie für die Arbeit nicht von<br />

großer Wichtigkeit gewesen und der Oberstaatsanwalt habe Frischling kein subjektives<br />

Verschulden nachweisen können. Von weiteren Maßnahmen gegen Frischling werde daher<br />

abgesehen. Wittgen musste Frischling protokollarisch über diese Auffassung des Ministers<br />

belehren. 338 Der Fall zog für Frischling allerdings ein Parteigerichtsverfahren nach sich, das<br />

mit einer Verwarnung endete. 339<br />

Sibert erhielt von Turner den Bescheid, das Verfahren sei eingestellt. An der Einstellung von<br />

Fräulein Christ als Leiterin der städtischen Nähstube sei nichts auszusetzen. Sie sei dort<br />

schon früher angestellt gewesen und wohl aufgrund ihrer Verwandtschaft zum damaligen<br />

Fraktionsführer Christ entlassen worden, so dass ihre Wiederanstellung „die Wiedergut-<br />

machung eines Unrechts“ bedeute. 340 Hier beschönigte Turner – wahrscheinlich<br />

unwissentlich –, denn die Schneiderin Anna Christ 341 war Ende der 1920er Jahre lediglich<br />

befristet als Wohlfahrtserwerbslose beschäftigt gewesen. 342 Nach Überprüfung der Nähstube<br />

durch Kommissar Wolf wurden zwei Meisterinnen entlassen. 343 Wittgen gab zwar zu, dass die<br />

Untersuchungen gegen sie „keinerlei belastendes Material“ erbracht hätten, argumentierte<br />

aber, in der Öffentlichkeit seien die Meisterinnen „umstrittene Persönlichkeiten“ geblieben.<br />

<strong>Die</strong> beiden „gutmütige[n], anständige[n] und ehrliche[n] Frauen“ seien nicht in der Lage<br />

gewesen, straffe Disziplin aufrechtzuerhalten und die Pflichtarbeiterinnen <strong>im</strong> national-<br />

sozialistischen Sinne zu erziehen. 344 Gemessen an ihrer Bedeutung innerhalb der städtischen<br />

Betriebe 345 widmete man der Nähstube eine ganz beträchtliche Aufmerksamkeit, die auf ein<br />

massives persönliches Interesse Christs schließen lässt.<br />

338<br />

StAK 623 Nr. 3869, S. 245-271.<br />

339<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Beschluss des Gaugerichts gegen Christ vom<br />

25.10.1934. Eine Verwarnung war die zweithöchste Strafe (die höchste war der Parteiausschluss), sie wurde <strong>im</strong><br />

Mitgliedsbuch vermerkt; Organisationsbuch der NSDAP. Hg. v. Reichsorganisationsleiter der NSDAP. 6. Aufl.<br />

München 1940, S. 349 f.<br />

340<br />

StAK 623 Nr. 3869, S. 255.<br />

341<br />

1875 in Kreuznach geboren und seit 1920 in <strong>Koblenz</strong> wohnhaft; StAK M 169, Ablage Südallee 56,<br />

Familienblatt Anna/Anny Christ.<br />

342<br />

StAK 623 Nr. 5917, S. 62. Zwölf Näherinnen beschwerten sich damals massiv, sie wollten mit ihr nicht<br />

arbeiten, da sie eine „zu selbstherrschende [sic] und kommandierende Person“ sei. Vgl. auch BArch (ehem.<br />

BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Aussagen von Helene Kilzer und Elisabeth Horn, undatiert.<br />

343<br />

<strong>Die</strong> Beschwerden der entlassenen Witwen Helene Kilzer und Elisabeth Horn wies Turner am 11.5.1934<br />

zurück. StAK 623 Nr. 6627, S. 108-116; ebd. Nr. 6568, S. 59-62; ebd. Nr. 6549, S. 34; vgl. auch ebd. Nr. 6560,<br />

S. 270 f., 273-275. Der Finanzausschuss st<strong>im</strong>mte 1951 einer Zahlung von 1.000 DM an die Witwe Horn als<br />

einmalige Entschädigung zu. Protokolle Finanzausschuss vom 20.8.1951, TOP 6, und 1.10.1951, TOP 1.<br />

344<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Wittgen vom 7.3.1934.<br />

345<br />

<strong>Die</strong> Ausgaben für die Nähstube betrugen <strong>im</strong> städtischen Haushalt 1931 2.310 RM, 1932 2.342 RM und 1933<br />

2.320 RM. Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1933, S. 43; dito 1934, S. 42; dito 1935, S.<br />

46.


126<br />

Stadtobersekretär Jakob Müller, der <strong>im</strong> Mai 1933 Geisemeyers Stelle übernommen hatte,<br />

wurde von Wittgen am 21. August 1933 für neun Jahre zum Leiter des nach den Vorgaben<br />

der Preußischen Gemeindefinanzverordnung von 1932 neu errichteten Rechnungs-<br />

prüfungsamtes ernannt. 346 Im Dezember 1933 wurde Müller zum Stadtamtmann befördert,<br />

der damit noch mehr Stufen der Karriereleiter übersprang als Trampp. Am 1. Dezember 1938<br />

erhielt er die Amtsbezeichnung Verwaltungsdirektor verliehen. 347 Wahrscheinlich in diesem<br />

Zusammenhang überprüfte der SD-Unterabschnitt <strong>Koblenz</strong> bereits 1937 Müllers politische<br />

Zuverlässigkeit. Das Ergebnis fiel positiv aus: Müller sei laut Auskunft des Oberbürger-<br />

meisters ein „rühriger Nationalsozialist“. 348 Das Gemeindeprüfungsamt 349 der Regierung<br />

bescheinigte dem Rechungsprüfungsamt 1939, es habe „in beträchtlichem Umfange zur<br />

Sauberkeit der Verwaltung, die manchmal zu wünschen übrig ließ, beigetragen.“ 350<br />

Vom 1. April 1933 an arbeitete Müller ehrenamtlich in der NS-Beamtenabteilung bzw. deren<br />

Nachfolgeorganisation RDB als Gausachbearbeiter der Fachschaft Gemeindebeamte, daneben<br />

bis 31. Mai 1933 auch als Kreissachbearbeiter. 351 Ab 1. April 1941 verwaltete er als<br />

Gausachbearbeiter außerdem das Arbeitsgebiet „Beamtenrecht“. Da der RDB vom Amt für<br />

Beamte betreut wurde, war Müller von Parteiseite damit in alle Vorgänge eingeschaltet, die<br />

seine dort organisierten <strong>Stadtverwaltung</strong>skollegen betrafen, sofern die Zuständigkeit 352 nicht<br />

be<strong>im</strong> Amt für Kommunalpolitik lag. Im März 1942 wurde Müller der <strong>Die</strong>nstrang eines<br />

Obergemeinschaftsleiters verliehen, der dem eines Ortsgruppenleiters entsprach. Müller<br />

behauptete 1948 in seinem Spruchkammerverfahren, seine Tätigkeit sei bis 1936 „nicht der<br />

Rede wert und für mich sehr unbefriedigend“ gewesen, da der Leiter des Amtes für Beamte,<br />

Richard Purrmann, ihm kaum Arbeiten übertragen habe. Erst Purrmanns Nachfolger,<br />

Polizeipräsident August Wetter, habe ihn besoldungsrechtliche und soziale Angelegenheiten<br />

bearbeiten lassen, aber keine politischen oder das Amt für Kommunalpolitik betreffende. <strong>Die</strong><br />

Arbeit habe ihm Freude gemacht, er habe helfen können und viele Beamte seien ihm dankbar<br />

gewesen. Von Wetter habe er sich nichts sagen lassen und die Arbeit habe sich mit Ausnahme<br />

des Führerprinzips kaum von der <strong>im</strong> früheren Beamtenbund unterschieden. 353<br />

346<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 87, 134. Das Rechnungsprüfungsamt bestand <strong>im</strong> Juli 1934 inklusive Müller aus drei<br />

Bediensteten; StAK 623 Nr. 6651, S. 52. Zur Neuordnung des Kassen- und Rechnungsprüfungswesens vgl.<br />

StAK 623 Nr. 6240, S. 292-300.<br />

347<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 160147 (unpaginiert), Säuberungsspruch vom 11.7.1949.<br />

348<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 839.<br />

349<br />

Vgl. Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte, S. 273 f.<br />

350<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 739. Es handelte sich um die Ordnungsprüfung für die Rechnungsjahre 1936<br />

und 1937, durchgeführt <strong>im</strong> April/Mai 1939. Das Rechnungsprüfungsamt war zu diesem Zeitpunkt mit sechs<br />

Beamten besetzt. Ebd., S. 721, 739.<br />

351<br />

StAK 623 Nr. 6262, S. 1 f.: Schreiben Wittgens an die „Fachschaft 16/17 Kommunale Verwaltung und<br />

Betriebe für den Kreis <strong>Koblenz</strong>-Stadt, z. Hd. des Leiters Pg. Jakob Müller“.<br />

352<br />

Vgl. Organisationsbuch der NSDAP, S. 246-251, 283-285.<br />

353 LHAKo Best. 856 Nr. 160147 (unpaginiert).


127<br />

Mehrere Zeugen bestätigten die Aussagen Müllers, dass er sein Amt als Leiter des<br />

Rechnungsprüfungsamtes rein sachlich ausgeübt und nicht zwischen Parteigenossen und<br />

Nicht-Parteigenossen unterschieden habe. Einer gab an, Müller habe in vielen Fällen bei<br />

schlechten politischen Beurteilungen eine Überprüfung und Abänderung erreicht und<br />

unbegründete Anschuldigungen zurückgewiesen. Übergriffen sei er entgegengetreten und<br />

seine Anträge hätten den gesetzlichen Vorschriften von Beamten- und Besoldungsrecht<br />

entsprochen. Nachdem die Spruchkammer Müller „noch eben als Mitläufer “ eingestuft und<br />

ihm eine Gehaltskürzung auferlegt hatte, legte der Landeskommissar für politische Säuberung<br />

<strong>im</strong> Januar 1949 Einspruch ein. Auch die Militärregierung hob in einer Note vom Juni 1949<br />

den Spruch auf und verwies den Fall zurück. Bereits nach Bekanntwerden des Spruchs hatte<br />

sich Stadtamtmann Otto Braun 1948 voller Empörung an den Betriebsrat der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

gewandt. <strong>Die</strong> Einstufung als Mitläufer habe großes Befremden hervorgerufen, dafür, dass<br />

Müller jetzt als Rechnungsdirektor zurückkehren könne, bringe niemand Verständnis auf.<br />

Seine Beförderung habe er „lediglich seiner intensiven Betätigung für die Nazis“ zu<br />

verdanken. Seine Aufgaben als Gaufachschaftsleiter <strong>im</strong> Amt für Beamte habe er zur vollsten<br />

Zufriedenheit der Nationalsozialisten erledigt. Müller sei „von 1933 ab mit Ploenissen die<br />

Hauptstütze der Nazis in der Verwaltung gewesen“ und er habe „zu jenen Typen gehört, die<br />

durch ihr Auftreten manchen unerfahrenen und ängstlichen Beamten oder Angestellten direkt<br />

oder indirekt veranlassten, in die Partei einzutreten.“ Viele von diesen irregeführten oder<br />

durch das Verhalten der „Nazistützen“ beeinflussten Beamten, „die den Schwindel zum<br />

größten Teil innerlich ablehnten und als Druck empfanden“, müssten sich seit Jahren um ihre<br />

Bereinigung bemühen, doch die „wirklichen Knechte Hitlers“ würden wieder eingestellt. In<br />

der neuen Verhandlung vom Juli 1949 schloss sich die Zeugin Anna Hans Brauns Meinung<br />

an, dass Müller und Plönissen „als Exponenten der Partei“ galten. Als ehemalige<br />

Sozialdemokratin habe sie sich sehr zurückgehalten und vor jedem überzeugten National-<br />

sozialisten in Acht genommen. <strong>Die</strong> Kammer blieb zwar bei der Einstufung Müllers als<br />

Mitläufer, hob aber trotz einiger positiver Aussagen – besonders von engen Mitarbeitern und<br />

ehemaligen Parteigenossen – die Beförderungen Müllers auf und degradierte ihn zum<br />

Stadtoberinspektor. 354<br />

Sparkassendirektor Plönissen war seit Juni 1935 Leiter der Fachschaft 13, Gemeinde-<br />

verwaltungen, <strong>im</strong> RDB für den Kreis <strong>Koblenz</strong>-Stadt. 355 Das Amt hatte er zunächst<br />

kommissarisch auf Wunsch von Gausachbearbeiter Müller übernommen, der sich<br />

„hinreichend beschäftigt“ fühlte. 356 Im Vergleich zu Müller galt Plönissen sogar als der<br />

354 LHAKo Best. 856 Nr. 160147 (unpaginiert), Zitate Säuberungsspruch vom 8.10.1948, Braun vom<br />

19.11.1948, Hans vom 11.7.1949. Müller konnte sich „nie mit dem Spruch einverstanden erklären“ und reichte<br />

1950 ein Gnadengesuch zur Rückgängigmachung der Zurückstufung ein, das Ministerpräsident Altmeier <strong>im</strong><br />

Februar 1951 <strong>im</strong> Einvernehmen mit der Stadt ablehnte. Ebd., Zitat Müller vom 7.11.1949. Vgl. auch StAK 623<br />

Nr. 8907, S. 78-83.<br />

355 StAK 623 Nr. 6206, S. 119; ebd. Nr. 6262, S. 50-53; ebd. Nr. 6651, S. 97 f., 120.<br />

356 StAK 623 Nr. 6222, S. 156.


128<br />

„stärker hervorgetretene[n] Nat.Soz.“ 357 Ende 1934 heiratete seine Schwester Franz<br />

Ackermann, den jüngeren Bruder des späteren Gauinspekteurs und kommissarischen Leiter<br />

des Amtes für Kommunalpolitik, Josef Ackermann, weswegen sich Plönissen seines<br />

Einflusses in der Partei rühmte. 358 Im September 1941 wurde Plönissen auf Vorschlag von<br />

Kreisleiter Cattepoel zusätzlich Leiter der Ortsgruppe Altstadt, dieses Amt hatte er bis<br />

Kriegsende inne. Als ständiger Uniformträger betrat er die Sparkasse dann nur noch<br />

„besuchsweise“ und widmete sich ganz der Parteiarbeit. Bei Appellen und Betriebsver-<br />

sammlungen sprach er stets vom „heißgeliebten Führer“. 1942 wurde Plönissen<br />

Gemeinschaftsleiter, 1944 Obergemeinschaftsleiter. 359<br />

Dass die Ausübung eines Parteiamtes Karrieren nicht <strong>im</strong>mer spektakulär förderte, zeigt das<br />

unauffällige Beispiel von Louis Dolle 360 , der seinen mittlerweile unpassenden französischen<br />

Vornamen durch „Ludwig“ ersetzt hatte. Er war seit 1920 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, hatte<br />

beide Verwaltungsprüfungen bestanden und wurde 1925 Stadtsekretär. Von 1929 bis 1931<br />

gehörte er dem Zentrum an. Am 1. April 1933 trat er der NSDAP bei und wurde<br />

Stützpunktleiter seines Wohnorts Niederberg, der am 1. August 1936 den Status einer<br />

Ortsgruppe erhielt. Nach Nilles’ plötzlichem Tod wurde Dolle vom Jugendamt 1937 zur<br />

Abteilung I als Stellvertreter Trampps versetzt und am 1. April 1937 zum Stadtinspektor<br />

befördert. Als Dolle <strong>im</strong> Mai 1937 die Denunziation des Theatermeisters Eugen Kuttler durch<br />

einen Bühnenarbeiter wegen anti-nationalsozialistischer Einstellung protokollierte, fand sein<br />

Protokoll 361 weder den Weg in Kuttlers Personalakte noch bekam es irgendein Vorgesetzter<br />

zu Gesicht, es wanderte in die Ablage einer Theaterakte. Dolles nächste Beförderung zum<br />

Stadtoberinspektor folgte schon am 1. Juli 1938. Im Herbst 1938 wurde Dolle für knapp zwei<br />

Jahre als Lagerführer am Westwall dienstverpflichtet, dann kehrte er <strong>im</strong> Juli 1940 erst zum<br />

Jugendamt und später zur Abteilung I zurück. 1942 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz und<br />

wurde höhergruppiert. Im September 1944 musste er zur Wehrmacht. Dolle besuchte mit<br />

seiner Familie weiterhin die katholischen Gottesdienste, aber <strong>im</strong> Nachbarort Arenberg. Im<br />

Spruchkammerverfahren konnten ihm weder Fanatismus noch Aktivismus nachgewiesen<br />

werden, der CDU-Ortsverein bescheinigte ihm, er sei „human und maßvoll“ gewesen. Der<br />

Säuberungsspruch vom Mai 1949 stufte ihn in die Gruppe der Minderbelasteten ein, die<br />

Geldstrafe galt durch die 33 Monate Internierungshaft als abgegolten. Das Landesgesetz über<br />

357 LHAKo Best. 856 Nr. 160147 (unpaginiert), Matthias Scholz vom 11.7.1949.<br />

358 StAK, Standesamt Ehrenbreitstein, Heiratsurkunde Nr. 158/1934 (Josef Ackermann und Plönissen waren<br />

Trauzeugen); LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Josef Mohr vom 18.10.1947.<br />

359 LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Zitate Hermann Oehl vom 22.7.1949 und Josef Mohr vom<br />

18.10.1947. Aus Anlass der „Deutschen Sparwoche“ erschien von Sparkassendirektor Plönissen eine<br />

Veröffentlichung <strong>im</strong> parteiamtlichen Propagandablatt des Gaues: Josef Plönissen: Sparen und Krieg! In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 10 (1942), S. 268.<br />

360 * 15.12.1901 <strong>Koblenz</strong>, + 14.8.1962 <strong>Koblenz</strong>, katholisch; StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 8 und 9.<br />

361 StAK 623 Nr. 6825, S. 326-328. Das Original-Protokoll trägt jedenfalls keinerlei Sichtvermerke. Schon am<br />

7.4.1933 hatte die Theaterleitung andere Vorwürfe gegen Kuttler als haltlos entkräftet; ebd. Nr. 8240, S. 150-<br />

152.


129<br />

den Abschluß der politischen Säuberung in Rheinland-Pfalz von 1950 362 reihte die<br />

Minderbelasteten in die Gruppe der Mitläufer ein und Dolle kehrte zur <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

zurück. 1955 wurde er Stadtamtmann, 1960 Stadtoberamtmann. Bei seinem Tod am<br />

14. August 1962 war er Leiter des Personalamtes. 363<br />

In verschiedenen ministeriellen Runderlassen war geregelt, dass Ernennungen und<br />

Beförderungen vorzugsweise an nationalen Gedenktagen vorzunehmen waren, um damit die<br />

besondere „Verbundenheit der Beamtenschaft mit dem Führer und Reichskanzler und der<br />

nationalsozialistischen Bewegung“ zu demonstrieren und zu festigen. Bei der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong> wurde in der Regel der 20. April, der Geburtstag des Führers, als Termin gewählt. 364<br />

Gerüchten über die bevorzugte Beförderung alter Parteigenossen war Wittgen bereits in einer<br />

Rundverfügung <strong>im</strong> Januar 1934 entgegengetreten, gleichzeitig forderte er dazu auf, ihm die<br />

Verbreiter derartiger Gerüchte zu melden. <strong>Die</strong> gesetzlich vorgeschriebene Angleichung der<br />

Gehälter 365 geschehe in enger Abst<strong>im</strong>mung mit der Aufsichtsbehörde und der Gauleitung,<br />

wobei ihm besonders daran gelegen sei, die Besoldung <strong>im</strong> Rahmen der übrigen rheinischen<br />

Städte zu halten, damit sich keiner seiner Beamten „als solcher 2. Klasse zu fühlen<br />

braucht.“ 366 Der Verweis auf die Mitwirkung der Gauleitung war ein Wink für die<br />

Unentschlossenen oder gar Anpassungsunwilligen, ihre Zurückhaltung und ihren Widerstand<br />

gegen die neuen Verhältnisse <strong>im</strong> eigenen Interesse aufzugeben. Dass die Gerüchte einer<br />

Bevorzugung einer realen Grundlage nicht entbehrten, bewiesen seit Mitte der 1930er Jahre<br />

u. a. die ministeriellen Runderlasse zur Verbeamtung verdienter Alter Kämpfer. 367 <strong>Die</strong> z. B.<br />

anlässlich des „Führergeburtstags“ 1938 ausgesprochenen Beförderungen betrafen fast<br />

ausschließlich Alte Kämpfer mit Parteieintritt vor dem 14. September 1930, daneben nur<br />

ganz best<strong>im</strong>mte Dauerangestellte. Dabei wurden allein neun Schulhausmeister ins<br />

Beamtenverhältnis (!) überführt. Auch Emil Pokorny, 1933/34 kurzzeitig NSDAP-<br />

Ortsgruppenleiter Altstadt 368 und dann DAF-Betriebszellenobmann der <strong>Stadtverwaltung</strong>, und<br />

Hans Gassdorf, Kraftfahrer bei der Müllabfuhr und seit 1934 Ratsherr 369 , wurden<br />

verbeamtet. 370 Selbst bei der Versetzung in den Ruhestand wurden Nationalsozialisten<br />

362<br />

GVBl., S. 11.<br />

363<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 8 und 9; LHAKo Best. 856 Nr. 110055 (unpaginiert), Zitat Peter Reckenthäler<br />

(CDU Niederberg) vom 27.12.1948; RZ, 16.8.1962: Nachruf <strong>Stadtverwaltung</strong>.<br />

364<br />

StAK 623 Nr. 6206, S. 101, 109, 111 (Zitat), 209, 245, Ausnahmen: S. 161 f., 249. <strong>Die</strong> Anstellung von zwölf<br />

Versorgungsanwärtern als Stadtsekretäre zum 20.4.1937 verzögerte sich durch Verschulden der Kreisleitung, die<br />

mehrfach an die politische Beurteilung erinnert werden musste; StAK 623 Nr. 6123, S. 660-666.<br />

365<br />

Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des<br />

Versorgungsrechts vom 30.6.1933; RGBl. I, S. 433.<br />

366<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 4.<br />

367<br />

Mecking: „Immer treu“, S. 185.<br />

368<br />

NB, 23.12.1933: Aus dem Leben der Bewegung: Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>-Altstadt.<br />

369<br />

In der Ratsherrensitzung vom 10.2.1938 beklagte sich Gassdorf über den schlechten Zustand eines Müllautos.<br />

Er habe neulich mit einem offenen Wagen Müll laden müssen. StAK 623 Nr. 7216, S. 257.<br />

370<br />

StAK 623 Nr. 6206, S. 240, 245, 249; ebd. Nr. 8140, S. 687. Beide wurden am 26.5.1945 ohne Pension<br />

entlassen. Ebd. Nr. 8918, S. 23, 26; Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die


130<br />

bevorzugt behandelt. Mehrere Arbeiter erhielten einen monatlichen „Ehrensold“ zuerkannt,<br />

wobei als Begründung nicht ihre Arbeitsleistung, sondern ihre Verdienste als Alte Kämpfer<br />

<strong>im</strong> Vordergrund standen. 371<br />

Auch <strong>im</strong> Außenverhältnis profitierten Parte<strong>im</strong>itglieder vom Machtwechsel. Als <strong>im</strong> Juni 1933<br />

anlässlich eines Ministerialerlasses die bisherigen Prozessvertreter der Stadt ausgetauscht<br />

wurden, 372 traten an die Stellen der bisherigen Rechtsanwälte Fahr & Scherer, Graeff & von<br />

Davidson, Henrich, Herter, Loenartz und Müller die Rechtsanwälte Walter Hackenbroich 373 ,<br />

Otto Rausch 374 , Felix Schlemmer 375 , Dr. Ernst Christian Neugebauer 376 und Dr. Paul<br />

Fischer. 377 Vorausgegangen war eine äußerst aufwändige Untersuchung über die<br />

Vergabepraxis an die bisherigen Vertragsanwälte und deren Erfolgsquote bei Prozessen seit<br />

1924, die Abteilung I <strong>im</strong> März vom Rechtsamt verlangt hatte. Wittgen machte Dezernent<br />

Wirtz daraufhin Vorhaltungen, Loenartz sei in den einträglichsten Fällen mit der<br />

Prozessvertretung beauftragt worden. Wirtz’ Gegenargumente ließ er nicht gelten, sondern<br />

Wittgen blieb dabei, dass der frühere Zentrums-Fraktionsführer bevorzugt worden sei. 378<br />

Schon 1930 hatte die NSDAP-Fraktion erfolglos beantragt, keine Rechtsanwälte mehr zu<br />

beauftragen, die gleichzeitig Stadtverordnete waren – was sich einzig gegen Loenartz<br />

gerichtet hatte. 379 Das nach eigenen Angaben älteste Parte<strong>im</strong>itglied unter den Rechtsanwälten<br />

<strong>im</strong> Gau, Wilhelm Meyers, war bei den neuen Prozessvertretern übergangen worden, weil er<br />

gerade Geisemeyer gegen die Stadt vertrat, wie er selbst argwöhnte. Außer Hackenbroich<br />

seien die neuen Vertragsanwälte der Stadt „Leute, die erst ganz kurz vor Toresschluss der<br />

Partei beigetreten waren und teilweise früher jeden Morgen einen Nat.-Sozialisten zum<br />

Frühstück verspeisten“. 380<br />

Regierung in <strong>Koblenz</strong>, Nr. 9, 1. Jg., 15.7.1946, S. 73 f. Während für Pokorny 1952 eine Unterhaltsbeihilfe<br />

abgelehnt wurde, war Gassdorf wiedereingestellt worden. StAK 623 Nr. 9623, S. 167; ebd. Nr. 9742, S. 405.<br />

371 StAK 623 Nr. 7216, S. 274, 297, 331 f., 357.<br />

372 StAK 623 Nr. 9718, S. 45 f.<br />

373 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 85, 243 f. Hackenbroich wurde <strong>im</strong> März 1936 vorstellig,<br />

um sich nach der gerechten Aufteilung der Prozesse zu erkundigen. Wirtz ließ eine Aufstellung anfertigen, aus<br />

der hervorging, dass diese nach Anzahl und Gebührenhöhe ziemlich gleichmäßig verteilt worden waren. Wirtz<br />

merkte an, bei der großen Zahl der Vertragsanwälte fielen für den einzelnen nur geringe Gebühren an. Er hätte<br />

damals nur zwei vorgeschlagen, drei würden auch völlig genügen. Im Dezember 1937 wurde Hackenbroich auf<br />

eigenen Wunsch aus dem Vertragsverhältnis entlassen; StAK 623 Nr. 9718, S. 69, 80-82.<br />

374 Sohn des Technischen Stadtinspektors Otto Rausch sen.; StAK M 487, Mappe R, Familienblatt.<br />

375 Sozietät mit O. Damm; AB 1933/34, S. II 125. Schlemmer war 1936 bereits wieder ausgeschieden, er vertrat<br />

in diesem Jahr mehrere Mandanten in Prozessen gegen die Stadt <strong>Koblenz</strong>; StAK 623 Nr. 6624.<br />

376 Seit ca. 1937 Leiter des Kreisrechtsamtes der NSDAP-Kreisleitung (NSRB), Bahnhofstraße 38. AB 1937/38,<br />

S. I 10; AB 1939/40, S. I 12.<br />

377 StAK 623 Nr. 9561, S. 104; ebd. Nr. 9718, S. 62, 66.<br />

378 StAK 623 Nr. 6560, S. 185-249.<br />

379 StAK 623 Nr. 9718, S. 1-43. Der Antrag hatte eine Rundfrage zur Praxis in anderen Städten ausgelöst, die zu<br />

dem Ergebnis kam, dass die überwiegende Mehrheit wie <strong>Koblenz</strong> auch Stadtverordnete als Prozessvertreter<br />

beauftragte.<br />

380 StAK 623 Nr. 3833, S. 17.


131<br />

4.2.3 <strong>Die</strong> Gleichschaltung der Bediensteten und der Verwaltung<br />

Parallel zur politischen Säuberung begann die Umerziehung der verbleibenden Bediensteten<br />

<strong>im</strong> Sinne der neuen staatstragenden Ideologie. Auch die <strong>Stadtverwaltung</strong> als Behörde sollte<br />

nach nationalsozialistischen Maßstäben agieren. Als treibende Kraft der Gleichschaltung<br />

erwies sich Oberbürgermeister Wittgen. Schon als der Gauaktionsausschuss zur „Abwehr<br />

der Greuelpropaganda <strong>im</strong> Ausland“ in einem Rundschreiben seine Erwartung formulierte,<br />

dass besonders Beamte und ihre Angehörigen jüdische Kaufhäuser, Ärzte und Rechtsanwälte<br />

meiden sollten, erweiterte Wittgen mit Rundverfügung vom 31. März 1933 den ange-<br />

sprochenen Personenkreis um die Angestellten. Er vertraue darauf, dass die städtischen<br />

Beamten und Angestellten „zur Erhaltung der deutschen Ehre“ der Aufforderung des<br />

Aktionsausschusses folgten. 381 Am 6. April sprach er dann ein Verbot der Belieferung der<br />

Stadt durch jüdische und marxistische Geschäfte aus, verbunden mit der Bitte an die<br />

städtischen Bediensteten, auch bei „Privateinkäufen diesem Grundsatz entsprechen zu<br />

wollen.“ 382<br />

Bei den Feiern zum 1. Mai 1933 gehörte Wittgen als Zweiter Vorsitzender dem vom<br />

Oberpräsidenten und Gaupropagandaamt angeordneten Vorbereitungsausschuss an, den<br />

Vorsitz führte Kreisleiter Müller. 383 Wittgen ordnete für die <strong>Stadtverwaltung</strong> Sonntagsdienst<br />

an, doch war die Teilnahme der städtischen Bediensteten 1933 noch nicht streng<br />

reglementiert. 384 Dagegen setzte 1934 eine generalstabsmäßige Planung bis ins Detail ein.<br />

Alle Beamten, Angestellten und Arbeiter einschließlich Fürsorgearbeiter mussten sich unter<br />

Wittgens persönlicher Führung am Festumzug beteiligen. <strong>Die</strong> einzelnen Gruppen wurden<br />

jeweils von Binhold, Wirtz und Neumann angeführt, an der Spitze trug ein Mann das<br />

„Betriebsschild“. <strong>Die</strong> Kleiderordnung schrieb einen dunklen Straßenanzug vor. Es wurde in<br />

Sechserreihen „in straffer, militärischer Haltung marschiert“. <strong>Die</strong> Teilnahme galt als <strong>Die</strong>nst,<br />

Wittgen erwartete „größte Ordnung und Pünktlichkeit“. Unentschuldigt Fehlende waren ihm<br />

namentlich zu melden. 385 Das Rathaus, die städtischen Gebäude und Schulen waren feierlich<br />

beflaggt und vom Friedhofsamt mit frischem Grün und Birken geschmückt, geliefert von der<br />

Forstverwaltung. 386 Oberbürgermeister Schnorbach formulierte in seinem Aufruf zum<br />

Maifeiertag 1948, wie die verordnete nationalsozialistische Festkultur als Belastung<br />

empfunden worden war: „Mit äusserer Aufmachung war dieser Tag in den hinter uns<br />

381 StAK 623 Nr. 9561, S. 39.<br />

382 StAK 623 Nr. 9561, S. 43.<br />

383 NB, 22.4.1933: Der „Tag der nationalen Arbeit“; NB, 25.4.1933: <strong>Koblenz</strong> rüstet für den Tag der nationalen<br />

Arbeit; NB, 2.5.1933: <strong>Koblenz</strong> feiert den 1. Mai.<br />

384 StAK 623 Nr. 9561, S. 70.<br />

385 StAK 623 Nr. 6130, S. 315-318. Dem Amt für Beamte meldete Wittgen 367 Beamte und 940 Arbeiter, die<br />

nach den Best<strong>im</strong>mungen der Gauleitung geschlossen unter seiner Führung <strong>im</strong> Rahmen der DAF und nicht <strong>im</strong><br />

Rahmen des RDB am Festzug teilnehmen sollten; ebd. S. 356.<br />

386 StAK 623 Nr. 6130, S. 319-328; ebd. Nr. 9562, S. 102 f. <strong>Die</strong> Forstverwaltung belieferte auch die anderen<br />

<strong>Koblenz</strong>er Behörden mit Grün; ebd. Nr. 6222, S. 304-328. Zum 1.5.1937 vgl. ebd. Nr. 3868; zum 1.5.1938 vgl.<br />

ebd. Nr. 6027, S. 106.


132<br />

liegenden Jahren mehr als überladen worden. Aufmärsche und Maifeiern machten den Tag<br />

der Arbeit zu einem Arbeitstag [Abb. 23]. Wir freuen uns, daß wir von diesem Zwang befreit<br />

sind.“ 387<br />

Stadtoberinspektor Wilhelm Jahn schilderte 1947 die erste Zusammenkunft der Beamten<br />

unter Federführung der NS-Beamtenabteilung: „<strong>Die</strong> Beamtenschaft der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong> wurde <strong>im</strong> März 1933 in einer Versammlung <strong>im</strong> Rathaus durch einen Postinspektor<br />

Günther 388 zurechtgewiesen. Das geringe Interesse, das die städt. Beamten bisher für Hitler<br />

gezeigt hatten, wurde uns allen zum Vorwurf gemacht. Besonders wies Günther auf die<br />

bevorstehende Reinigung der Beamtenschaft auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung<br />

des Berufsbeamtentums hin. Eingeschüchtert meldeten sich die Beamten fast ohne Ausnahme<br />

bei der Beamtenabteilung der NSDAP Fachschaft Gemeindeverwaltung.“ 389<br />

Noch vor der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai wurde die seit 1905<br />

bestehende Ortsgruppe der Komba 390 gleichgeschaltet. Bei der Neuwahl des Vorstands am<br />

20. April, die <strong>im</strong> großen Sitzungssaal des Rathauses stattfand, präsentierte der Leiter der<br />

Fachschaft Kommunalbeamte der NS-Beamtenabteilung, Jakob Müller, eine Liste, die sich<br />

ausschließlich aus NSDAP-Mitgliedern und -Sympathisanten zusammensetzte. Mit deren<br />

einst<strong>im</strong>miger Annahme wurde Müller selbst Erster und Heinrich Junior Zweiter Vorsitzender,<br />

Beamtenanwärter Oswald Opp Schriftführer und Stadtsekretär Hugo Tilsner Schatzmeister.<br />

Stadtobersekretär Josef Plönissen wurde einer der Beisitzer. <strong>Die</strong> Aufgabe des neuen<br />

Vorstands definierte Müller mit der Pflege und Förderung der Kameradschaft unter den<br />

Beamten nach nationalsozialistischem Vorbild. Das Nationalblatt hob hervor, dass die Sitzung<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu den früheren langen Debatten schon nach einer knappen Stunde beendet<br />

war. 391 <strong>Die</strong> Kürze von Sitzungen diente <strong>im</strong>mer wieder als Beleg dafür, die angeblich größere<br />

Effizienz der Arbeitsweise und Einigkeit der Teilnehmer <strong>im</strong> Unterschied zum „Parteienhader“<br />

der „Systemzeit“ zu demonstrieren.<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on nutzte anlässlich der feierlichen Fahnenweihe der NS-Beamtenabteilung der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> am 30. Juni 1933 in der Stadthalle die Gelegenheit, in einer Grundsatzrede die<br />

Rolle der Beamten <strong>im</strong> neuen Staat zu definieren. <strong>Die</strong> nationale Erhebung sei für keinen Stand<br />

387 StAK 623 Nr. 9581, S. 28.<br />

388 Karl Günther, Leiter der NS-Beamtenabteilung des Gaues; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S.<br />

243. Günther übernahm Anfang April 1933 kommissarisch zusätzlich das Amt des Leiters der NS-<br />

Beamtenabteilung des Kreises <strong>Koblenz</strong>-Stadt von Stadtsekretär Alfons S<strong>im</strong>on, der zurückgetreten war; NB,<br />

3.4.1933: Wechsel in der Leitung der Beamtenabteilung. Leitung und Geschäftsführung hatten ab 1.7.1933 ihren<br />

Sitz in der Hindenburgstraße 6; NB, 3.7.1933: Gau-Beamtenabteilung.<br />

389 LHAKo Best. 856 Nr. 111937 (unpaginiert), Anlage zum Fragebogen vom 3.2.1947.<br />

390 Am 1.10.1955 feierte der Ortsverband sein 50-jähriges Jubiläum; StAK 623 Nr. 9821, S. 52.<br />

391 NB Nr. 3.5.1933: Gleichschaltung des Komba-Vorstandes. Als Vertreter der einzelnen Fachgruppen<br />

fungierten Stadtobersekretär Peter Nilles für die Sparkassenbeamten, der Technische Stadtinspektor Otto Rausch<br />

für die Techniker, Marktmeister Josef Sch<strong>im</strong>mel für die Außenbeamten und Beamtenanwärter Paul Postleb für<br />

die Beamtenanwärter.


133<br />

so bedeutsam gewesen wie für den der Beamten, über dem eine „gewisse Tragik“ liege.<br />

S<strong>im</strong>on lobte die gute Beamtentradition wie ihre Loyalität zum Staat. Den daraus<br />

resultierenden <strong>Die</strong>nst am überwundenen „verdammungswürdigen System“ tadelte er nur<br />

indirekt und ohne Schärfe als einen tragischen Irrtum. Damit gab er seinen Zuhörern eine Art<br />

Absolution für ihr angebliches früheres Fehlverhalten. Gleichzeitig eröffnete S<strong>im</strong>on den<br />

Beamten neue Zukunftsperspektiven als geachtete <strong>Die</strong>ner des unter Hitler wieder erstarkten<br />

Staates. Heute erlebe die NSDAP einen gewaltigen Zulauf: „Vorteile können für niemanden<br />

daraus erwachsen, man darf also glauben, daß die meisten, die sich heute um unsere Fahnen<br />

scharen, dieses aus ehrlicher Ueberzeugung tun.“ An das traditionelle Selbstverständnis der<br />

Beamten als unpolitische Staatsdiener anknüpfend, nahm S<strong>im</strong>on sie durch die typische<br />

Identitätsbildung von Staat, Volk und Führer in die Pflicht: „Der deutsche Beamte soll sein<br />

der erste <strong>Die</strong>ner des Dritten Reiches, damit der erste <strong>Die</strong>ner des Volkes und damit Adolf<br />

Hitlers.“ Laut Nationalblatt erntete S<strong>im</strong>on für seine Rede den jubelnden Beifall der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Beamten. 392<br />

Dem Umwerben der Beamten standen als Kehrseite der Medaille Einschüchterungsversuche<br />

gegenüber. Willy Struve z. B. sprach anlässlich seiner Amtseinführung als Landrat <strong>im</strong><br />

September 1933 eine Warnung aus, die aufgrund seiner Funktion als Leiter des Amtes für<br />

Kommunalpolitik nicht nur an die Adresse der Beamten seines neuen staatlichen<br />

Wirkungsbereichs gerichtet war: „Und ich kenne keine Rücksicht gegenüber denjenigen<br />

[Beamten], die aus verschiedenen Ursachen heraus nicht in der Lage sind, sich restlos in<br />

diesen neuen Staat einzugliedern.“ 393 Wittgen gab <strong>im</strong> Juli 1933 den städtischen Bediensteten<br />

den ministeriellen Runderlass zur „Bekämpfung des Miesmachertums“ bekannt. Danach<br />

wurde die Äußerung von Unzufriedenheit mit Maßnahmen der Regierung künftig als „eine<br />

Fortsetzung der marxistischen Hetze“ gewertet, die zu melden war. Das Unterlassen der<br />

Meldung galt als eine „betonte Solidaritätskundgebung“. 394 Das Denunziantentum blühte. So<br />

berief sich Stadtrat Hubert Fuhlrott in seinem Spruchkammerverfahren darauf, er habe<br />

nirgendwo Spitzel nötig gehabt, „denn die Denunzianten drängten sich so an mich heran.“ 395<br />

Andere Erlasse bemühten sich wiederum, das Ausufern einzudämmen. 396 <strong>Die</strong>se Widersprüche<br />

gaben der Partei letztlich die Handhabe zu Willkürakten, eine Denunziation je nach Bedarf zu<br />

begrüßen oder zu verdammen.<br />

392<br />

NB, 3.7.1933: Gauleiter S<strong>im</strong>on vor der <strong>Koblenz</strong>er Beamtenschaft. Geweiht wurde u. a. auch die Fahne der<br />

Kommunalbeamten Kreis <strong>Koblenz</strong>.<br />

393<br />

NB, 3.10.1933: Landrat Pg. Struve in sein Amt eingeführt.<br />

394<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 109.<br />

395<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Fuhlrott vom 3.3.1948. Er habe das Denunziantentum „so<br />

gehasst und bekämpft“ und in seiner Ortgruppe – Fuhlrott war Ortsgruppenleiter Falckenstein – habe er zur<br />

Eindämmung des Denunziantentums angewiesen, nur schriftliche Aussagen mit voller Namens- und<br />

Zeugenangabe anzunehmen.<br />

396<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 36; ebd. Nr. 9562, S. 173.


134<br />

Nachdem sich u. a. ein Runderlass des Preußischen Innenministers am 11. Juli 1933 mit der<br />

„Verbreitung des Gedankenguts der nationalsozialistischen Bewegung in der Beamtenschaft“<br />

beschäftigte hatte, legte Wittgen die ideologische Schulung seiner Beamten in die Hände der<br />

Partei. Der Oberbürgermeister versicherte Müller in dessen Eigenschaft als Fachschaftsleiter<br />

der NS-Beamtenabteilung am 21. Juli, dass er „als Behördenleiter besonderes Augenmerk“<br />

darauf richte, dass den Beamten wichtige Werke des nationalsozialistischen Schriftguts nahe<br />

gebracht würden und man sie mit der Ideologie des <strong>Nationalsozialismus</strong> ebenso vertraut<br />

mache, wie mit den Grundsätzen heutiger Staatspolitik. Er wolle sich in den Fachschafts-<br />

versammlungen 397 persönlich davon überzeugen. Trampp notierte am 4. Oktober 1933: „<strong>Die</strong><br />

Beamten werden in allmonatlichen Fachschaftsversammlungen mit dem Gedankengut der<br />

N.S.-Bewegung vertraut gemacht.“ Mitte Januar 1934 fügte er hinzu, nach der zum<br />

Jahresanfang erfolgten Bildung des RDB unter der Führung des Amtes für Beamte „ist die<br />

Verbreitung und Wachhaltung des nationalsozialistischen Gedankenguts innerhalb der<br />

Beamtenschaft gewährleistet.“ 398<br />

Der RDB umfasste ab 1. Januar 1934 als neue berufsständische Einheitsorganisation der<br />

Beamten und Dauerangestellten sowohl die in ihr aufgehende NS-Beamtenabteilung als auch<br />

die bisherigen Beamtenorganisationen. Er unterstand dem NSDAP-Hauptamt für Beamte,<br />

dessen Leiter gleichzeitig der Reichswalter des RDB war. Analog fungierte der jeweilige<br />

Gauamtsleiter als RDB-Gauwalter. Eine der Hauptaufgaben des RDB war die „Erziehung der<br />

Mitglieder zu vorbildlichen Nationalsozialisten“ 399 , die „für ihre Sonderstellung unter den<br />

Volksgenossen als Volkserzieher“ geschult werden sollten. 400 Reichsinnenminister Frick<br />

betonte <strong>im</strong> Februar 1934, dass zwischen Behördenleiter und Amtswaltern des RDB „ständige<br />

Fühlung“ bestehen solle, stellte aber auch ausdrücklich die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft<br />

fest. 401 Indessen hatte die neue Organisation einen „Massenzustrom“ erlebt, sodass schon zum<br />

29. Dezember 1933 eine Aufnahmesperre erlassen werden musste. 402 Aber auch bei den<br />

Arbeitern galt es laut Wittgen, „persönlich aufklärend und belehrend einzuwirken“. Dazu<br />

verpflichtete er <strong>im</strong> November 1933 alle Betriebsleiter und kündigte an, er werde die Arbeiter<br />

in Kürze „zu einer gemeinsamen Belehrungsstunde“ versammeln. 403<br />

Wie umfassend die Ideologisierungsmaßnahmen der neuen Machthaber auch Bereiche<br />

außerhalb des eigentlichen <strong>Die</strong>nstes erfassten, zeigen die intensiven Bemühungen zur<br />

397<br />

Bereits Ende März hatte Wittgen verfügt, dass der Fachschaft ab sofort grundsätzlich die Sitzungssäle der<br />

Stadt zur Verfügung stünden; StAK 623 Nr. 9561, S. 32.<br />

398<br />

StAK 623 Nr. 6262, S. 1-15, Zitate S. 1 f.<br />

399<br />

Reichsbund der Deutschen Beamten (Hg.): Deutscher Beamtenkalender 1937. Berlin 1936, S. 106.<br />

400<br />

NB, 7.12.1933: Gautagung des Amtes für Beamte der NSDAP.<br />

401<br />

Mommsen: Beamtentum, S. 32, 143 f.<br />

402<br />

NB, 19.12.1933: Massenzustrom zum Reichsbund der Deutschen Beamten (Zitat); NB, 20.12.1933: Aus dem<br />

Leben der Bewegung, Amt für Beamte. Vgl. auch NB, 19.1.1934: Neuernennungen bei der Gauleitung, wo die<br />

Zahl der organisierten Beamten <strong>im</strong> Gau mit ca. 21.500 angegeben wird gegenüber ca. 11.300 Beamten (inkl. der<br />

zwischenzeitlich anderweitig zugeordneten Lehrer, Geistlichen, Polizei-, Justiz- und Forstbeamten) <strong>im</strong> Juli 1933.<br />

403<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 329 f.


135<br />

Einführung des Hitlergrußes. Zahlreiche Erlasse und Verfügungen von der ministeriellen<br />

Ebene über den Regierungspräsidenten bis hin zum Oberbürgermeister beschäftigten sich bis<br />

1935 mit dem „Deutschen Gruß“ – „eine wohl einmalige Tatsache in der Geschichte<br />

staatlicher Bürokratie, daß der alltäglichen Begrüßung eine solche Aufmerksamkeit gewidmet<br />

wurde.“ 404 Den Anfang machte Regierungspräsident Turner in einem Rundschreiben vom<br />

6. Juni 1933. Da es sich be<strong>im</strong> Hitlergruß um die „von der überwiegenden Mehrheit des<br />

Deutschen Volkes bejahte Grußform“ handele, entspreche es „einem selbstverständlichen<br />

Taktgefühl“, dass Beamte bei öffentlichen Veranstaltungen be<strong>im</strong> Horst-Wessel-Lied sowie<br />

gegenüber Hakenkreuzfahnen die Hand zum Hitlergruß erheben. 405 Wittgen erweiterte in<br />

seiner ersten Rundverfügung zum Hitlergruß am 19. Juni den von Turner angesprochenen<br />

Personenkreis der Beamten um Angestellte und Arbeiter. 406 Es ging also zuerst um das<br />

Verhalten der städtischen Bediensteten in der Öffentlichkeit, vor der sie ihre Loyalität zu<br />

Hitler bekunden sollten. Wittgen widmete dem Deutschen Gruß <strong>im</strong> Jahr 1933 drei<br />

Verfügungen, 1934 zwei und 1935 drei weitere, 407 in denen bis in alle Einzelheiten geregelt<br />

wurde, wer, wann, wo und wie den Deutschen Gruß zu erweisen hatte. Es dauerte also drei<br />

Jahre, bis alte Gewohnheiten abgelegt waren und sich die neue Grußform <strong>im</strong> Alltag etabliert<br />

hatte. 408 <strong>Die</strong> letzte Rundverfügung vom 27. September 1935 führte deutlich mögliche<br />

Konsequenzen vor Augen: Wittgen gab das Urteil eines Landesarbeitsgerichts bekannt,<br />

wonach die Verweigerung des Deutschen Grußes zur fristlosen Entlassung von Beamten und<br />

Angestellten aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nst berechtige, da ansonsten die Staatsautorität<br />

schweren Schaden erleide. Schon <strong>im</strong> Runderlass des Preußischen Finanzministers vom Juli<br />

1933 hatte es unmissverständlich geheißen: „Wer nicht in Verdacht kommen will, sich<br />

bewusst ablehnend zu verhalten, wird daher den Hitler-Gruss erweisen.“ 409<br />

<strong>Die</strong> Art und Weise der Ausführung dieses rituellen Treuebekenntnisses zum Führer <strong>im</strong><br />

privaten Bereich, gegenüber Kollegen und <strong>im</strong> Publikumsverkehr unterlagen genauer<br />

Beobachtung. Dem Leiter der Brückenbauabteilung, Max Woltmann, wurde vorgeworfen,<br />

am 1. Mai 1933 die Hakenkreuzfahne nicht gegrüßt zu haben. Er rechtfertigte sich vor<br />

Kommissar Wolf, er habe durch Abziehen des Hutes gegrüßt und gemeint, das Heben des<br />

rechten Arms sei Parte<strong>im</strong>itgliedern vorbehalten. Sein Verhalten müsse für ein Nicht-<br />

404<br />

<strong>Die</strong>ter Rebentisch u. a. (Hg.): Dreieich zwischen Parteipolitik und „Volksgemeinschaft“. Fünf Gemeinden in<br />

Dokumenten aus der We<strong>im</strong>arer Republik und der NS-Zeit. Frankfurt am Main 1984, S. 127.<br />

405<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 55.<br />

406<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 102.<br />

407<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 102, 121, 130; ebd. Nr. 9562, S. 54, 97; ebd. Nr. 9563, S. 45, 142, 203; vgl. ebd. Nr.<br />

6262, S. 24, 41; ebd. Nr. 6130, S. 247, 256, 334 f.<br />

408<br />

Im Juli 1933 mussten selbst Parteigenossen noch dazu angehalten werden, sich gegenseitig mit dem<br />

Hitlergruß zu grüßen; NB, 3.7.1933: Ortsgruppe Altstadt. Noch <strong>im</strong> August 1939 wurden Einzelheiten be<strong>im</strong><br />

Erweisen des Deutschen Grußes geregelt; StAK 623 Nr. 9567, S. 135. Gegen Kriegsende wandte sich ein<br />

(angeblicher) Leserbriefschreiber <strong>im</strong> NB gegen die zu beobachtende Bequemlichkeit be<strong>im</strong> Ausführen des<br />

Deutschen Grußes; NB, 16.8.1944: Der Deutsche Gruß.<br />

409<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 203; ebd. Nr. 6130, S. 256 (Zitat). Der Trierer Beigeordnete Dr. Karl Schreiner musste<br />

sich 1934 in einem Prozess wegen angeblicher Verweigerung des Fahnengrußes verantworten. Der Fall wurde<br />

später niedergeschlagen, Schreiner schied 1935 aus dem Amt. Bollmus: Trier und der NS, S. 542.


136<br />

Parte<strong>im</strong>itglied als „ausreichend angesehen werden“, lautete noch <strong>im</strong> Juni 1933 Wolfs<br />

Urteil. 410 Der SS-Mann Peter Stein denunzierte <strong>im</strong> September 1933 Liegenschaftsrat Oswald<br />

Breuer bei Wittgen, dass dieser „geflissentlich“ den Hitlergruß vermeide und dadurch anderen<br />

Beamten ein schlechtes Beispiel gebe. Breuer gab an, er habe Stein nicht gegrüßt, weil er ihn<br />

überhaupt nicht kenne, und versicherte gleichzeitig, die Anordnung des Oberbürgermeisters<br />

„über die Grußart und -pflicht betrachte ich für mich ebenso verbindlich und selbstver-<br />

ständlich, wie für jeden anderen Beamten, wenngleich es ja ab und zu vorkommt, daß einem<br />

auch der frühere altgewohnte Gruß heute noch entwischt.“ 411 In Spruchkammerverfahren<br />

wurde später die Duldung einer gewissen Nachlässigkeit bei der Ausführung des Hitlergrußes<br />

bzw. dessen strikte Beachtung mehrfach als Indiz für die Nonkonformität bzw. Linientreue<br />

der Betroffenen angeführt. 412 Es blieb nicht nur be<strong>im</strong> mündlichen Hitlergruß. Am 6. März<br />

1934 führte ein gemeinsamer Runderlass des Finanz- und Innenministers den Gruß „Heil<br />

Hitler“ als Schlussformel an Stelle der bisherigen Höflichkeitsfloskeln <strong>im</strong> Schriftverkehr der<br />

preußischen Staatsverwaltung und allen nachgeordneten Behörden ein. 413 Einen Gehalts-<br />

erhöhungsantrag von Maria Finkler lehnte Wittgen <strong>im</strong> März 1935 ab, weil sie sich noch nicht<br />

des Deutschen Grußes bediene. 414<br />

Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 415 regelte die<br />

arbeitsrechtliche Organisation der Betriebe und das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und -<br />

nehmern nach dem Führerprinzip. Angestellte und Arbeiter wurden zur „Gefolgschaft“ des<br />

„Führers des Betriebes“. Als Betriebe <strong>im</strong> Sinne des Gesetzes galten auch Verwaltungen. Der<br />

Begriff der „Gefolgschaft“ machte die Arbeitnehmer „zu Vasallen, zu waffentragenden und<br />

zur Treue verpflichteten Gefolgschaftsleuten adliger, ritterlicher Herren […] und bog ein<br />

friedliches Verhältnis ins Kriegerische“. 416 Er verankerte sich tief <strong>im</strong> Bewusstsein der<br />

städtischen Bediensteten, denn er hielt sich <strong>im</strong> Sprachgebrauch der <strong>Stadtverwaltung</strong> noch bis<br />

in die Mitte der 1950er Jahre! 417<br />

Im Juni 1934 hielt Abteilung I noch einmal fest: „<strong>Die</strong> [weltanschauliche] Schulung wird <strong>im</strong><br />

Stadtkreis <strong>Koblenz</strong> durch das Amt für Beamte des Gaues durchgeführt. Jeden Monat findet<br />

410<br />

StAK 623 Nr. 6627, S. 127, 131 (Zitat).<br />

411<br />

StAK 623 Nr. 6564, S. 284 f.<br />

412<br />

Z. B. LHAKo Best. 856 Nr. 112755, Dr. Theisen vom 19.12.1945; ebd. Nr. 110475, Heland vom 11.12.1947;<br />

ebd. Nr. 110984, Oehl vom 22.7.1949.<br />

413<br />

StAK 623 Nr. 6262, S. 37.<br />

414<br />

StAK 623 Nr. 3916, S. 213 f. Dabei hatte Finkler als schriftlichen Gruß „Heil Hitler Ergebenst!“ verwendet.<br />

Entweder hatte Wittgen dies übersehen oder ihm missfiel die zusätzliche Höflichkeitsfloskel, oder aber Finkler<br />

grüßte mündlich noch nicht wie verlangt.<br />

415<br />

RGBl. I, S. 45.<br />

416<br />

Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1996, S. 304. Vgl. Mommsen: Beamtentum, S.<br />

122.<br />

417<br />

StAK 623 Nr. 7209, S. 142 f.; ebd. Nr. 9582, S. 96; ebd. Nr. 9594, S. 31; ebd. Nr. 9585, S. 12; ebd. Nr. 9587,<br />

S. 12; ebd. Nr. 9821, S. 1; ebd. Nr. 12018, S. 113. <strong>Die</strong> „Gefolgschaft <strong>Stadtverwaltung</strong>“ und die<br />

„Gefolgschaftsmitglieder“ sind damit schriftlich so häufig überliefert, dass davon ausgegangen werden kann,<br />

dass die Bezeichnungen auch mündlich noch lange geläufig waren.


137<br />

ein Schulungsabend statt. Zur Teilnahme an diesem sind die Beamten und Angestellten<br />

dienstlich verpflichtet.“ 418 Der erste Schulungsabend fand am 16. April 1934 in der Stadthalle<br />

statt, als Redner zum Thema „<strong>Die</strong> politischen Grundlagen des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ trat der<br />

Gauleiter persönlich auf. Trotz des dienstlichen Charakters der Veranstaltung mussten bei den<br />

Vertrauensleuten des RDB Eintrittskarten für 0,15 RM erworben werden. 419 Abwesenheit<br />

wurde nur aus „triftigen Gründen“ geduldet und musste in einer Liste dokumentiert<br />

werden. 420 Gegen Jahresende lockerte sich die Teilnahmepflicht. Zum fünften Schulungs-<br />

vortrag <strong>im</strong> November sprach Wittgen nur noch eine dringende Empfehlung aus, wünschte<br />

aber ausdrücklich zahlreichen Besuch. 421<br />

Schon einen Monat später, <strong>im</strong> Dezember 1934, ermahnte Wittgen die <strong>Die</strong>nststellenleiter, „von<br />

Zeit zu Zeit die Gefolgschaft zusammenzunehmen und über die wesentliche Arbeit des<br />

nationalsozialistischen Reiches zur unterrichten.“ Insbesondere sollten Lieder wie „Volk ans<br />

Gewehr“ 422 geübt werden. Be<strong>im</strong> letzten Appell in der Stadthalle habe sich gezeigt, dass man<br />

nicht in der Lage sei, „gemeinsam ein passendes Lied zu singen“. 15 bis 20 Minuten,<br />

eingepasst in den betrieblichen Ablauf, seien ausreichend. Daraufhin schafften verschiedene<br />

Ämter sogar Liederhefte an, es wurden Betriebsappelle mit Gesangsstunden abgehalten, bis<br />

stolz die verlangte Meldung gemacht werden konnte, es werde „wie angeordnet gesungen“<br />

(Feuerwehr), die gängigsten Lieder würden „gut zu Gehör gebracht“ (Müllabfuhr) oder sogar<br />

„einwandfrei“ (Hafenamt) gesungen. <strong>Die</strong> Schulungsmaßnahmen reichten von der Vermittlung<br />

des nationalsozialistischen Geistes in Morgen- oder Mittagsappellen bis hin zu selbst<br />

organisierten Vorträgen. 423 Keine Billigung fand aber das Vorgehen von Stadtsekretär Alfons<br />

S<strong>im</strong>on. Der Alte Kämpfer hatte den Unterricht der städtischen Polizeibeamten – 1930 war<br />

wieder eine kommunale Polizeiverwaltung eingerichtet worden 424 – durch die „Einübung von<br />

Sprechchören“ ersetzt. 425<br />

Als sich <strong>im</strong> März 1935 für eine Vortragsreihe der Mittelrheinischen Verwaltungsakademie<br />

über die nationalsozialistische Gesetzgebung nur wenige Beamte anmeldeten, folgte ein<br />

weiterer Aufruf. <strong>Die</strong> Anmeldungen waren nun über Abteilung I an das Amt für Beamte zu<br />

richten und die Nichtanmeldung musste schriftlich begründet werden. Dem folgte die<br />

418<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 359.<br />

419<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 84; NB, 16.4.1934: Amt für Beamte; NB, 17.4.1934: „Nur der wirklich<br />

leistungsfähige Mensch kann seinen Platz behaupten!“. <strong>Die</strong> Überschrift des Artikels war ein Zitat aus dem<br />

Vortrag S<strong>im</strong>ons, der laut NB häufig von brausendem Beifall unterbrochen wurde.<br />

420<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 110. Be<strong>im</strong> zweiten Schulungsabend am 14.5.1934, einem Vortrag zum Thema „Der<br />

deutsche Arbeiter in der Vergangenheit und Gegenwart“, kostete der Eintritt sogar 0,20 RM; NB, 15.5.1934:<br />

Vom Proletarier zum deutschen Arbeiter.<br />

421<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 264.<br />

422<br />

Von Arno Pardun, eines der am häufigsten gesungenen Sturm- und Kampflieder mit antisemitischen<br />

Textzeilen wie „Deutschland erwache und Juda den Tod!“; StAK 623 Nr. 6211, S. 15.<br />

423<br />

StAK 623 Nr. 6211, S. 11-19, Zitate S. 12, 14, 16, 19.<br />

424<br />

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong><br />

Rechnungsjahr 1930, S. 10 f.<br />

425<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 34 (unpaginiert).


138<br />

Mahnung Wittgens, der Anmeldung auch die tatsächliche Teilnahme folgen zu lassen. 426<br />

Zur Eröffnung des Wintersemesters der Verwaltungsakademie hielt S<strong>im</strong>on am 27. Oktober<br />

1937 vor den in der Stadthalle versammelten Beamten einen programmatischen Vortrag über<br />

„Partei und Staat <strong>im</strong> 3. Reich“. Darin forderte er ein „volksnahes Beamtentum“. Nach dem<br />

Motto „Wir sind alle <strong>Die</strong>ner der Nation“ grenzte er die Verwaltungsarbeit von der<br />

„Menschenführung“ als Aufgabe der Partei ab. Wittgen hatte seine Beamten zur regen<br />

Teilnahme an der Eröffnungsveranstaltung und den Vorlesungen aufgerufen. 427<br />

Im Januar 1935 warb der RDB für den Bezug der parteiamtlichen Presse. 428 <strong>Die</strong> Vertrauens-<br />

leute sollten Bestellungen für das Nationalblatt, der selbstverständlichen Pflichtlektüre des<br />

Beamten, aufnehmen. Als die Werbung keine sonderliche Wirkung zeigte, erhöhte Wittgen<br />

<strong>im</strong> Februar den Druck. Allen Nicht-Abonnenten wurden Bestellscheine ausgehändigt, die an<br />

Abteilung I zurückzugeben waren. 429 Für die Polizeibeamten wurde zu ihrer Fortbildung<br />

während der <strong>Die</strong>nststunden neben der Tagespresse der Völkische Beobachter bezogen. 430<br />

Baudezernent Klose legte <strong>im</strong> August 1939 größten Wert darauf, dass die acht Exemplare des<br />

Völkischen Beobachters, die die Bau- und Liegenschaftsverwaltung bezog, noch am<br />

Erscheinungstag jedem Gefolgschaftsmitglied zugänglich waren. 431 Wiederholt empfahl<br />

Wittgen die Anschaffung nationalsozialistischer Literatur und ließ zum Teil Bestelllisten<br />

umlaufen. 432<br />

Das Amt für Beamte stellte schon <strong>im</strong> Juni 1934 fest, dass ein Beamter als Parteigenosse das<br />

Recht und die Pflicht habe, „Vorkommnisse“ seiner Parteidienststelle zu melden. 433 <strong>Die</strong> in<br />

den einzelnen <strong>Die</strong>nststellen vorhandenen Vertrauensleute des RDB – in Spruchkammer-<br />

verfahren ist häufig allgemein von Spitzeln der Partei die Rede – sorgten bereits durch ihre<br />

bloße Anwesenheit bei den Kollegen für einen ständigen Druck zu Anpassung und<br />

Wohlverhalten. Vor allem aber gewährleisteten sie den laufenden Informationsfluss aus dem<br />

Rathaus in die Gauleitung über Interna der Verwaltung und bildeten in umgekehrter Richtung<br />

Kanäle für Weisungen aus der Gauleitung ins Rathaus. 434 Aber auch dem SD der SS dienten<br />

die Vertrauensleute als Informanten. Belegt ist dies zumindest für Beamte des Ober-<br />

präsidiums und der Reichsbahn mit Zugang zu den Personalakten, die sich „freudig als Pg. in<br />

426 StAK 623 Nr. 9563, S. 66, 74, 86.<br />

427 NB, 28.10.1937: Wir sind alle <strong>Die</strong>ner der Nation; StAK 623 Nr. 6026, S. 197.<br />

428 NB, 9.1.1935: <strong>Die</strong> Zeitung des Beamten: <strong>Die</strong> parteiamtliche NS-Presse; NB, 26./27.1.1935: An die Beamten<br />

des Gaues!<br />

429 StAK 623 Nr. 9563, S. 18, 40 f. Eine Aufforderung aus Berlin zum Bezug des Völkischen Beobachters gab<br />

Wittgen dagegen <strong>im</strong> Dezember 1935 nur kommentarlos zur Kenntnis; ebd., S. 264.<br />

430 VB 1933-1937, S. 43.<br />

431 StAK 623 Nr. 3576, S. 201.<br />

432 „Das Wesensgefüge des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ von Alfred Rosenberg und „Der neue Staat“ von Walther<br />

Schotte; StAK 623 Nr. 9561, S. 185. „Martin Luther, deutscher Kämpfer“ von Otto Lerche; ebd., S. 190. Schrift<br />

„Der Aufbau“ und Zeitschrift „Saarfreund“; ebd. Nr. 9562, S. 121, 170.<br />

433 NB, 30.6./1.7.1934: Arbeitstagung des Amtes für Beamte.<br />

434 Hüttenberger: <strong>Die</strong> Gauleiter, S. 124.


139<br />

den <strong>Die</strong>nst der Sache gestellt“ und dem SD Gutachten über Kollegen geliefert hatten, die dort<br />

in politische Beurteilungen einflossen. <strong>Die</strong>se Praxis beendete Mitte 1938 Gauamtsleiter<br />

Wetter, der als Gauwalter des RDB die „strikte Anweisung“ erteilte, dass die Vertrauensleute<br />

nicht mehr unmittelbar mit anderen <strong>Die</strong>nststellen einschließlich des SD in Verbindung treten<br />

dürften. In Zukunft solle wegen Beurteilungen an das Amt für Beamte verwiesen werden,<br />

„da dort von jedem Beamten ein Aktenstück vorliegen würde“. Veranlassung für diese<br />

anscheinend von höherer Stelle ausgegebene Weisung gab laut Wetter ein Einzelfall<br />

andernorts, bei dem es Widersprüche in den Beurteilungen verschiedener Stellen gegeben<br />

hatte. 435<br />

Tatsächlich hatte der Stellvertreter des Führers bereits <strong>im</strong> Juni 1935 best<strong>im</strong>mt, dass zur<br />

Abgabe politischer Beurteilungen allein die Hoheitsträger der Partei vom Kreisleiter aufwärts<br />

berechtigt seien. 436 Auch Oberpräsident Terboven stellte <strong>im</strong> August 1935 in einem<br />

Rundschreiben klar, dass die politische Begutachtung von Beamten weder vom RDB noch<br />

einer Fachschaft vorgenommen werde, sondern nur vom zuständigen Hoheitsträger der Partei.<br />

Von wem der Hoheitsträger Erkundigungen einziehe und ob er „<strong>im</strong> besonderen durch das<br />

Amt für Beamte eine Kartei über die Einstellung und Zuverlässigkeit von Beamten herstellen<br />

lässt, ist seine Sache.“ Jedenfalls dürfe der <strong>Die</strong>nst nicht beeinträchtigt werden und es<br />

„keinerlei Beunruhigung unter den Beamten“ geben. 437 Dass Beruf und Karriere der Beamten<br />

vom politischen Wohlverhalten abhingen, wurde sogar gesetzlich verankert. <strong>Die</strong>s erfolgte<br />

durch die auch für Gemeindebeamte geltenden Reichsgrundsätze für die Einstellung,<br />

Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14. Oktober 1936 438 und<br />

schließlich durch das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937, das von den Beamten an<br />

erster Stelle verlangte, „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzu-<br />

treten“. 439 Zur Beweisführung diente die politische Beurteilung des Kreisleiters, die als eine<br />

Art Unbedenklichkeitsbescheinigung regelmäßig einzuholen war. Dadurch entwickelte sie<br />

sich zu einem zentralen Herrschaftsinstrument des Kreisleiters, das ihm die Möglichkeit der<br />

„Protektion oder Maßregelung“ von Beamten bot. 440 Dass Parteiaktivitäten sich günstig<br />

für den beruflichen Aufstieg auswirken konnten, machte nicht zuletzt ein Erlass des<br />

435<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 335. Über den Ausfall der Informationsquelle RDB war man be<strong>im</strong> SD nicht angetan<br />

und sandte den Vorgang am 22.7.1938 an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra zur<br />

„Charakterisierung des Polizeipräsidenten Wetter“. HJ-Gebietsführer Karbach warf Gauleiter S<strong>im</strong>on 1944 die<br />

Unterdrückung des SD vor. Politische Leiter seien ult<strong>im</strong>ativ aufgefordert worden, sich zwischen Parteiamt und<br />

SD-Mitarbeit zu entscheiden. BArch (ehem. BDC), PK, Karbach, Rolf, 9.4.1908: Karbach vom 5.10.1944, S. 12.<br />

Vgl. entsprechende ehrenwörtliche Erklärung in der NSDAP-Personalakte von Ortsgruppenleiter Plönissen vom<br />

20.5.1944; LHAKo Best. 856 Nr. 110984.<br />

436<br />

Rebentisch: <strong>Die</strong> „politische Beurteilung“, S. 111.<br />

437<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 199-202, Zitate S. 200. <strong>Die</strong> Regelung wurde in <strong>Koblenz</strong> beachtet. So reichte die<br />

Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>-Süd am 28.9.1935 eine Anfrage von Abt. I über die politische Zuverlässigkeit Geisemeyers<br />

zuständigkeitshalber an die Kreisleitung weiter; StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 12 (unpaginiert).<br />

438<br />

RGBl. I, S. 893.<br />

439<br />

RGBl. I, S. 39, Zitat § 3 Abs. 2.<br />

440<br />

Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 269-292, 499 (Zitat); Rebentisch: <strong>Die</strong> „politische Beurteilung“, S. 111-<br />

113.


140<br />

Innenministers vom Januar 1938 deutlich, wonach die Personalakten durch Angaben zu<br />

Mitgliedschaften in der NSDAP und ihren Gliederungen sowie den dort ausgeübten Ämtern<br />

zu ergänzen waren. 441<br />

Dass das Amt für Beamte sich bei der Beschaffung von Informationen auch direkt an die<br />

Beamten wandte, zeigt eine Beschwerde Purrmanns über Dr. Walter Petri, den Leiter des<br />

Chemischen Untersuchungsamtes, die er Wittgen <strong>im</strong> November 1934 vorbrachte. Wittgen<br />

solle Petri belehren, dass er als Gauamtsleiter berechtigt und verpflichtet sei, „in politischer<br />

Hinsicht Fragen über einzelne Beamte einzuholen [sic].“ Petri hatte Purrmann geschrieben,<br />

die Beantwortung von Fragen des Gauamtes „erübrigt sich eigentlich meinerseits“. Er wolle<br />

vorerst von weiteren Schritten absehen, teilte der Gauamtsleiter dem Oberbürgermeister mit<br />

und stellte gleichzeitig fest, dass Petri „kein Nationalsozialist ist und sich durch seine<br />

Bemerkung in Gegensatz zur Bewegung gestellt hat.“ Wittgen begnügte sich damit, Petri die<br />

Äußerungen Purrmanns wörtlich mitzuteilen. 442 Wahrscheinlich handelte es sich um den<br />

Fragenkatalog, den das Amt für Beamte als eine Art Personalbogen für die <strong>im</strong> RDB<br />

organisierten Beamten 443 anlegte. Dazu waren Fragebogenaktionen üblich, 444 die <strong>im</strong><br />

Grenzbereich der Zuständigkeiten der beiden Parteiressorts für Kommunalpolitik und Beamte<br />

lagen. 445 Petri blieb jedenfalls bei seiner distanzierten Haltung und trat der NSDAP nicht<br />

bei. 446 Dass deren Drohgebärden nicht <strong>im</strong>mer ernst zu nehmen waren, beweist die Tatsache,<br />

dass Petri in Würdigung seiner wissenschaftlichen Verdienste am 30. Januar 1939 von Hitler<br />

zum Professor ernannt wurde. 447<br />

Während Gauamt und RDB über das „Wohl und Wehe“ 448 der Beamten wachten, blieben sie<br />

in den eigenen Reihen nicht von einem Korruptionsfall an ihrer Spitze verschont. Richard<br />

441<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 28, 57; ebd. Nr. 6643, S. 322-329.<br />

442<br />

StAK 623 Nr. 6556, S. 758 f.<br />

443<br />

Im Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier waren am 1.1.1935 19.450 Beamte (ohne Lehrer) Mitglied <strong>im</strong> RDB. Partei-Statistik,<br />

Bd. III, S. 58.<br />

444<br />

Ulrich von Hehl: „Keine Beamten, sondern fanatische Apostel“. Verwaltung und Beamtenschaft <strong>im</strong> Übergang<br />

vom autoritären zum nationalsozialistischen „Führerstaat“. In: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hg.): Staat<br />

und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945. München 2004, S. 11-37, hier S. 28.<br />

445<br />

BArch NS 25/240, S. 186 f. Das Amt für Kommunalpolitik hatte nämlich <strong>im</strong> August 1935 <strong>im</strong> Auftrag des<br />

Münchener Hauptamtes Nachforschungen angestellt, den Vordruck übersandt und großzügig erklärt, man sähe<br />

„keine Gefahr darin“, wenn das Amt für Beamte derartige Erkundigungen einzöge. Dazu gehörten neben den<br />

persönlichen Daten Angaben zur Mitgliedschaft in der NSDAP und sonstigen Gliederungen (auch der<br />

Angehörigen), frühere Parte<strong>im</strong>itgliedschaften und Aktivitäten gegen die NSDAP, die „Einstellung zur<br />

Volksgemeinschaft, insbesondere sein Verhalten den Berufskameraden gegenüber“, Tätigkeiten innerhalb der<br />

Politischen Organisation sowie zum Schluss das „Gesamturteil“. Der Fragebogen ist zwar in der dritten Person<br />

formuliert, das Amt für Kommunalpolitik gab jedoch an, das Amt für Beamte ließe ihn von den<br />

Kommunalbeamten selbst ausfüllen.<br />

446<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736, Petri vom 4.5.1946.<br />

447<br />

NB, 31.1.1939: Dr. Petri zum Professor ernannt. Schon 1937 war Petri vom Verein Deutscher<br />

Lebensmittelchemiker mit der Joseph-König-Gedenkmünze geehrt worden; NB, 7.7.1937: „Joseph-König-<br />

Gedenkmünze“ für Dr. Petri.<br />

448<br />

So hieß es 1941 unfreiwillig zynisch, weil <strong>im</strong> Wortlaut zutreffend, in der Aufforderung zur Besichtigung des<br />

Amtes für Beamte in der Moselweißer Straße 2 anlässlich der Reichsstraßensammlung; KVZ, 1./2.2.1941: Ein<br />

Besuch <strong>im</strong> Tresor der Reichsbank.


141<br />

Purrmann selbst, seit Juli 1933 Leiter des Amtes für Beamte und Gauwalter des RDB, entging<br />

<strong>im</strong> Oktober 1936 selbst nur knapp einem Parteiausschluss. Eine Revision hatte falsche und<br />

überhöhte Spesenabrechnungen des Vermessungsrats aufgedeckt. Außerdem hatte er häufige<br />

Privatfahrten mit dem ihm als Parteifunktionär zustehenden <strong>Die</strong>nstwagen nebst Fahrer nicht<br />

abgerechnet. Purrmann ließ sich ein, sie hätten ihm zugestanden, da er schon seit Jahren<br />

keinen Urlaub mehr gehabt hätte. Das Gaugericht urteilte jedoch, als Beamter hätte er sich<br />

über die Unkorrektheit seiner Handlungsweise <strong>im</strong> Klaren sein müssen und seine Ver-<br />

fehlungen grenzten an Veruntreuungen. Mit Rücksicht auf seine Absicht zum Schadensersatz<br />

und seine Verdienste für die Bewegung wolle man ihm aber die Gelegenheit geben, seine<br />

Verfehlungen „durch doppelten Eifer“ wieder gut zu machen. Das Gaugericht sprach <strong>im</strong><br />

Oktober 1936 eine Verwarnung bei gleichzeitiger Aberkennung der Fähigkeit zur Ausübung<br />

eines Parteiamtes für die Dauer eines Jahres aus. 449 Purrmann zog <strong>im</strong> November 1936 nach<br />

Mönchengladbach, 450 wo er 1937 aufgrund einer Gefängnisstrafe wegen Meineids aus der<br />

Partei ausgeschlossen wurde. 451<br />

Zu den gängigen Methoden der Umerziehung gehörte der sogenannte Gemeinschaftsempfang<br />

von Führerreden. Am 10. November 1933 versammelte sich die RDB-Fachschaft <strong>im</strong><br />

Stadttheater, wo man sich gemeinsam eine Rede Hitlers anhörte. <strong>Die</strong> Arbeiter mussten sich<br />

auf dem Clemensplatz einfinden, wo die Rede – wie auf allen größeren Plätzen der Stadt –<br />

durch Lautsprecher übertragen wurde. 452 Auch später zählte der Gemeinschaftsempfang zu<br />

den üblichen Ritualen. 453 Sparkassendirektor Plönissen begründete <strong>im</strong> Januar 1935 seinen<br />

Antrag auf Anschaffung eines Radioapparats mit Lautsprechern u. a. mit dem Gemeinschaftsempfang<br />

von Führerreden. 454<br />

<strong>Die</strong> Wochen nach den Märzwahlen 1933 waren gekennzeichnet von einer Eintrittswelle in die<br />

Partei. <strong>Die</strong> Spruchkammerakten zeugen von den zahlreichen „Märzgefallenen“ unter den<br />

städtischen Beamten und Angestellten, die parteiintern unter dem Generalverdacht des<br />

Opportunismus standen. 455 Beigeordneter Wirtz hatte aus „grundsätzlicher Abneigung“ vor<br />

Beginn der Mitgliedersperre am 1. Mai 1933 keine Aufnahme in die NSDAP beantragt.<br />

Dagegen waren Bürgermeister Binhold sowie die Beigeordneten Ochs und Dahm – die beiden<br />

449 LHAKo Best. 662,2 Nr. 1, S. 19-25, Zitate S. 23. Purrmann legte keine Beschwerde gegen das Urteil ein.<br />

450 Schriftliche Auskunft des Stadtarchivs Mönchengladbach v. 1.10.2008.<br />

451 BArch (ehem. BDC), PK, Purrmann, Richard, 16.6.1881. Der Parteiausschluss aufgrund der sechsmonatigen<br />

Gefängnisstrafe wegen Meineids erfolgte <strong>im</strong> November 1937. Zum 1.7.1940 wurde Purrmann wieder in die<br />

NSDAP aufgenommen, seiner Bitte auf Wiederzuteilung seiner alten Mitglieds-Nummer entsprach die<br />

Münchener Parteizentrale 1942 aber nicht. Purrmann wurde bereits ab 1.5.1940, nach Stellung seines<br />

Wiederaufnahmeantrags, als kommissarischer Blockleiter eingesetzt. Am 1.12.1941 wurde er mit der<br />

Wahrnehmung der Geschäfte der Ortsgruppe Mönchengladbach-Flieschermühle beauftragt.<br />

452 StAK 623 Nr. 9561, S. 159. Zur Übertragung einer Rede des Reichspräsidenten auf dem Clemensplatz am<br />

11.11.1933 erging lediglich eine Einladung; ebd., S. 161.<br />

453 Beispiele: Gemeinschaftsempfang einer Führerrede <strong>im</strong> Stadttheater am 30.1.1937; StAK 623 Nr. 6130, S. 440<br />

f., 443-445. Führerrede vom 6.10.1939; ebd. Nr. 9567, S. 172.<br />

454 StAK 623 Nr. 6197, S. 516 f.<br />

455 Weigel: „Märzgefallene“ und Aufnahmestopp, S. 102-105, 199.


142<br />

Letzteren nach Schwierigkeiten unbekannter Art mit dem zuständigen Ortsgruppenleiter 456 –<br />

der Partei bereits beigetreten. In seinem Wiedergutmachungsverfahren schilderte Wirtz 1959<br />

die Umstände, die ihn doch zum Eintritt veranlassten: „Nach einer Stadtverordnetensitzung<br />

am 5. oder 6. Mai 1933, die ich leitete, 457 ohne Parteigenosse oder Anwärter zu sein, kam der<br />

Gauleiterstellvertreter Christ 458 in mein <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Rathaus und stellte mir ein<br />

Ult<strong>im</strong>atum des Inhalts, dass er von mir als Beigeordneten den Aufnahmeantrag erwarte und<br />

dass er mein Z<strong>im</strong>mer ohne meinen schriftlichen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP nicht<br />

mehr verlassen würde. Ich versuchte mich diesem Verlangen in jeder Weise zu entziehen. <strong>Die</strong><br />

Verhandlung dauerte bis spät abends gegen 21 Uhr. Herr Christ versicherte mir, dass in<br />

Zukunft alle Angriffe der Partei auf meine Person und dass auch jeglicher Eingriff der Partei<br />

in meine amtliche Tätigkeit unterbleiben würde, wenn ich meinen Beitritt erklärte. Nach<br />

langen inneren Kämpfen entschloss ich mich, den mir von Herrn Christ vorgelegten<br />

Aufnahmeantrag zu unterschreiben aus der Erwägung heraus, die Stadt und die Bürgerschaft<br />

von <strong>Koblenz</strong> nicht des letzten leitenden Beamten zu berauben. […] Noch am Abend dieses<br />

Tages habe ich diese Angelegenheit in Abwesenheit des Zentrumsführers, des Herrn<br />

Rechtsanwalt Loenartz, mit dessen Stellvertreter Erxleben in dessen Wohnung besprochen<br />

und ihn eingehend hiervon unterrichtet. Herr Erxleben wie auch Herr Loenartz, der am<br />

folgenden Tage unterrichtet wurde, erkannten die Zwangslage an und haben mein Verhalten<br />

als politisch unvermeidlich gebilligt. <strong>Die</strong> gesamte Beamtenschaft wusste, in welcher<br />

Zwangslage ich mich bei meinem Entschluss befunden hatte. Den formularmässigen Antrag<br />

habe ich unter diesem Zwang nicht aus persönlichen Gründen, sondern aus dem Pflicht-<br />

bewusstsein des letzten massgebenden Vertreters des Oberbürgermeisters <strong>im</strong> Interesse und<br />

zum Schutze der mir anvertrauten städtischen Belange, insbesondere der finanziellen,<br />

lediglich unterschrieben.“ 459<br />

Oberbürgermeister Schnorbach, der Wirtz seit 1920 kannte, bescheinigte ihm 1947: „Seine<br />

streng pflichtgemäße und wirtschaftlich gesunde Einstellung brachte ihm [Wirtz] schon<br />

vor der Machtübernahme die scharfe Opposition der NSDAP in der Stadtverordneten-<br />

Versammlung ein. Er gab diese Einstellung und das dementsprechende Handeln aber auch<br />

nicht auf, als die NSDAP unter dem Druck ihrer 1933 erlangten Macht alles auf ihre Pläne<br />

umzustellen begann. Nach der Machtübernahme wurde der Kampf ein offener und brachte<br />

Herrn Dr. Wirtz dem Drängen des neuen nationalsozialistischen Oberbürgermeisters<br />

nachgebend, der sich die für die Verwaltung so wertvolle Arbeitskraft sichern wollte, und um<br />

456<br />

Der Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Vorstadt, Dönch, hatte am 31.7.1933 der Reichsleitung Abt. Kartothek<br />

mitgeteilt, dass die Aufnahmegesuche von Ochs und Dahm abgelehnt seien. Der Gauschatzmeister stellte<br />

dagegen 1935 klar, dass es sich nur um ein Schreiben eines Ortsgruppenleiters gehandelt habe und dass beide als<br />

ordnungsgemäße Mitglieder geführt würden. BArch (ehem. BDC), PK, Dahm, Ernst, 5.5.1875; ebd., Ochs,<br />

Kunibert, 17.7.1885.<br />

457<br />

Am 4.5.1933 tagte der Beschlussausschuss, Wirtz war anwesend, den Vorsitz führte aber Wittgen; StAK 623<br />

Nr. 7214, S. 240.<br />

458<br />

Christ war Gauschatzmeister.<br />

459<br />

StAK 623 Nr. 2619, S. 124 f. Das Mitgliedsbuch sei ihm erst 1937 ausgehändigt worden.


143<br />

die Erhaltung der Existenz ringend, in eine Zwangslage, die, wenigstens scheinbar, zunächst<br />

nur durch eine Mitgliedschaft bei der NSDAP abgewehrt werden konnte.“ 460 Während Wirtz<br />

selbst seine Anpassung als eine nur äußerliche, gut gemeinte hinstellte, die ihm die Basis für<br />

abmildernde Interventionen liefern sollte, ergänzte Schnorbach als weiteres Motiv die<br />

Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz.<br />

Wittgen und die NSDAP mussten ein erhebliches Interesse daran gehabt haben, sich eines<br />

Fachmanns auf dem komplizierten Gebiet des kommunalen Haushalts-, Finanz- und<br />

Steuerrechts wie Wirtz zu versichern. Ein reiner Parteibuchbeamter hätte hier ohne massive<br />

fachliche Hilfe Schiffbruch erleiden müssen. Außerdem wuchsen mit Wirtz’ Parte<strong>im</strong>it-<br />

gliedschaft die Chancen der Nationalsozialisten, einen bisher gegnerisch gesinnten Beamten<br />

stärker kontrollieren und disziplinieren zu können. Als politisch zuverlässiger Parteigenosse<br />

galt Wirtz aber nie. Regierungspräsident Mischke schrieb noch <strong>im</strong> April 1939, Wirtz sei zwar<br />

Parte<strong>im</strong>itglied, er werde aber von der NSDAP wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur<br />

Zentrumspartei politisch nicht voll anerkannt. 461 Auch für Mischkes Amtsvorgänger Turner<br />

blieb der Parteieintritt der beiden Beigeordneten Binhold und Wirtz erst nach dem 30. Januar<br />

1933 ein bleibender Makel. 462 Gauamtsleiter Struve lehnte <strong>im</strong> Juli 1934 sogar die Berufung<br />

Binholds in eine Arbeitsgemeinschaft der Düsseldorfer Provinzialdienststelle des DGT ab,<br />

was dort angesichts der Parte<strong>im</strong>itgliedschaft Binholds zu heftiger interner Kritik führte.<br />

Geschäftsführer Dr. Kurt Kottenberg, der die Verärgerung unentbehrlicher Fachleute<br />

befürchtete, vertrat die Ansicht, jeder nach Abwicklung des BBG <strong>im</strong> Amt verbliebene Beamte<br />

müsse für einen Arbeitsausschuss in Frage kommen können. 463 Dass die Nationalsozialisten<br />

einzelne, fachlich qualifizierte Berufsbeamte während des gesamten Dritten Reichs auch auf<br />

leitenden Posten beließen, ohne dass sie in die Partei eintreten mussten, belegt das Beispiel<br />

von Stadtrentmeister Matthias Scholz. Der Leiter der Stadtkasse, die 1934 acht Mitarbeiter<br />

zählte, blieb als Nicht-Parteigenosse bis zu seiner Pensionierung Ende 1944 <strong>im</strong> Amt. 464<br />

In Spruchkammerverfahren beriefen sich Betroffene oder Zeugen häufig auf den Druck,<br />

der auf sie mehr oder weniger stark und offen ausgeübt worden sei, der Partei oder einer<br />

ihrer Gliederungen beizutreten. <strong>Die</strong>se Aussagen haben auf der einen Seite apologetischen<br />

Charakter, doch bei Parteigrößen wie den Ortsgruppenleitern Stadtrat Fuhlrott oder<br />

Sparkassendirektor Plönissen erkannten die Kammern an, dass sie ihre Untergebenen<br />

bedrängten. Noch harmlos scheint dabei das selbstgefällige Auftreten der aufgestiegenen<br />

Alten Kämpfer, das Otto Braun am Beispiel einer Auseinandersetzung mit Plönissen<br />

460 StAK 623 Nr. 2619, S. 73 f., Zitat S. 73.<br />

461 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 107-110.<br />

462 LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 1-3.<br />

463 BArch R 36/906 (unpaginiert), Kottenberg vom 27.8.1934. Auch die anderen drei rheinischen Gauleitungen<br />

hatten abweichende Vorschläge gemacht oder gar nicht geantwortet. Kottenberg empfahl dem DGT-Präsidenten,<br />

auf Stellungnahmen der Partei bei der Bildung interner Fachausschüsse zu verzichten.<br />

464 StAK 623 Nr. 6651, S. 20; ebd. Nr. 6170, S. 164 f.; LHAKo Best. 856 Nr. 160147 (unpaginiert), Scholz vom<br />

5.4.1946.


144<br />

beschrieb: „Er trat mir dabei mit der ‚ganzen Würde’ des Naziaktivisten entgegen.“ 465<br />

Andere, wie der 1881 geborene Otto Hartig, empfanden Plönissens Schikanen als „wahres<br />

Martyrium“ und erlagen seinem „unaufhörlichen Druck“ zum Parteieintritt. 466 Im Gegensatz<br />

dazu nahm Stadtoberbaurat Neumann auf seine Bediensteten in der Bauabteilung keinen<br />

politischen Einfluss, 467 was eine relativ niedrige Quote an Parte<strong>im</strong>itgliedern zur Folge hatte.<br />

Für die meisten der „Märzlinge und Maiblümchen“ 468 dürfte das gelten, was der Unter-<br />

suchungsausschuss <strong>Koblenz</strong>-Stadt 1947 zu Stadtoberinspektor Wilhelm Jahn feststellte: Seine<br />

Motivation für den Eintritt in die Partei war „Furcht vor persönlichen und beruflichen<br />

Nachteilen“. 469<br />

Betrachtet man die Mitgliedschaft in der NSDAP als einen Gradmesser für die<br />

„Nazifizierung“ der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>, so ergibt sich aus einer Meldung vom Mai<br />

1935, dass zu diesem Zeitpunkt knapp 40 % der Beamten und Angestellten Parte<strong>im</strong>itglied<br />

waren. Da seit 1. Mai 1933 eine Mitgliedersperre galt, spiegelt diese Meldung gleichzeitig<br />

den Stand der Parteieintritte bis zu diesem Termin. Spitzenreiter unter den einzelnen Ämtern<br />

war das Hafen- und Verkehrsamt unter Lanters mit 71,4 % Parte<strong>im</strong>itgliedern unter den<br />

Bediensteten. <strong>Die</strong> Gewerbliche Berufsschule folgte dicht mit 70,6 %, Schlusslichter waren die<br />

Bauverwaltung unter dem ehemaligen Zentrumsmitglied Stadtoberinspektor Wilhelm van<br />

Rühden sowie die Feuerwehr. 470 Nach dem Urteil des Kreisleiters Claussen vom Dezember<br />

1935 war der „Beamtenapparat [der <strong>Stadtverwaltung</strong>] noch wenig nationalsozialistisch<br />

eingestellt“. Mit dieser Klage wollte er der Notwendigkeit der Besetzung einer Beige-<br />

ordnetenstelle mit dem Alten Kämpfer Fuhlrott Nachdruck verleihen. 471 Wie sich die<br />

Lockerung der Mitgliedersperre 1937, die den größten Ansturm auf die Parte<strong>im</strong>itgliedschaft<br />

in der Geschichte der NSDAP auslöste, bei den städtischen Beamten und Angestellten<br />

auswirkte, ist unbekannt. In Preußen waren 1937 86 % der Beamten Parte<strong>im</strong>itglieder. 472 Im<br />

Februar 1937 meldete das Nationalblatt, 61,9 % der Beamten des Gaues seien NSDAP- oder<br />

Opferring-Mitglied und 91,6 % Mitglied der NSV. 473 Es darf also als höchstwahrscheinlich<br />

gelten, dass der genannte Prozentsatz von ca. 40 % für 1935 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong><br />

noch deutlich anstieg. 474<br />

465<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Braun vom 28.11.1949.<br />

466<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Hartig vom 8.3.1949.<br />

467<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans, <strong>Koblenz</strong>, vom 7.10.2009.<br />

468<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 660.<br />

469<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 111937 (unpaginiert), 23.4.1947.<br />

470<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 68-126, 133-138. Vgl. Tabelle 9.<br />

471<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 5.<br />

472<br />

Christiane Kuller: „Kämpfende Verwaltung“. Bürokratie <strong>im</strong> NS-Staat. In: <strong>Die</strong>tmar Süß/Winfried Süß (Hg.):<br />

Das „Dritte Reich“. Eine Einführung. München 2008, S. 227-247, 363, hier S. 236.<br />

473<br />

NB, 13./14.2.1937: Unsere Gauämter an der Arbeit.<br />

474<br />

Vgl. Wetzel: <strong>Die</strong> NSDAP zwischen Öffnung und Mitgliedersperre, S. 76 f., 194; Ingo Haar: Zur<br />

Sozialstruktur und Mitgliederentwicklung der NSDAP. In: Benz: Wie wurde man Parteigenosse?, S. 60-73, 191-<br />

193, hier S. 72, 190.


145<br />

Tabelle 12: NSDAP-Mitgliedschaften der Beamten und Angestellten, Stand Mai 1935 475<br />

Abteilung bzw.<br />

<strong>Die</strong>nststelle<br />

Stadtvorstand<br />

Abt. I<br />

Allgemeine Verwaltung,<br />

Organisation, Personal<br />

Gehalts- und Lohnbüro<br />

Presseamt,<br />

Statistisches Amt<br />

Abt. II<br />

Schulangelegenheiten<br />

Kaiser-Wilhelm-<br />

Realgymnasium<br />

Kaufmännische<br />

Schulen<br />

Gewerbliche<br />

Berufsschule<br />

Abt. III<br />

Finanzverwaltung<br />

Abt. IV<br />

Rechnungsprüfungsamt<br />

Abt. V<br />

Städtische<br />

Polizeiverwaltung<br />

Feuerwehr<br />

Leiter<br />

Oberbürgermeister<br />

Otto Wittgen<br />

Stadtamtmann<br />

Karl Trampp<br />

Stadtinspektor<br />

Wilhelm Jahn<br />

Dauerangestellter<br />

Dr. Hans<br />

Bellinghausen<br />

Stadtinspektor<br />

Franz<br />

Meyendriesch<br />

Oberstudiendirektor<br />

Karl Jacobi<br />

Direktor<br />

Paul Altendorf<br />

Direktor<br />

Matthias Lentes<br />

Stadtamtmann<br />

Karl Theis<br />

Stadtamtmann<br />

Jakob Müller<br />

Stadtinspektor<br />

Wilhelm Meyer<br />

Brandoberingenieur<br />

Johann Buss<br />

NSDAP-<br />

Mitglied<br />

Bedienstete<br />

davon<br />

NSDAP-<br />

Mitglied<br />

in %<br />

ja 4 4 100,0<br />

ja 14 7 50,0<br />

ja 8 3 37,5<br />

ja 2 mind. 1 50,0<br />

ja 10 3 30,0<br />

ja 25 13 52,0<br />

nein 16 6 37,5<br />

ja 17 12 70,6<br />

nein 5 1 20,0<br />

ja 5 2 40,0<br />

ja 16 2 12,5<br />

ja 18 1 5,6<br />

475 StAK 623 Nr. 6643, S. 68-126, 133-138: Listen zur Mitgliedschaft in der NSDAP, SS, SA, HJ und<br />

Frauenschaft sowie NSV anlässlich einer Werbeaktion für die NSV. <strong>Die</strong> Gesamtliste für die Gauleitung vom<br />

9.5.1935 (S. 68-81) ist fehler- und lückenhaft. Durch einen Nummerierungsfehler auf S. 71 enthält die Liste nur<br />

436 und nicht wie angegeben 446 Namen. Gegenüber den ursprünglichen Listen der einzelnen <strong>Die</strong>nststellen<br />

fehlen acht Bedienstete der Vermessungs- und Liegenschaftsverwaltung (nur deren Leiter Breuer ist<br />

handschriftlich ergänzt; S. 81, 86) sowie der Straßenmeister Hamacher vom Tiefbauamt (S. 73, 109). Listen zum<br />

Wasserwerk (Direktor Stadtbaurat Einsmann) und Presseamt/Statistisches Amt (Dr. Bellinghausen) fehlen ganz.<br />

<strong>Die</strong> Angaben zum Presseamt/Statistisches Amt wurden ergänzt nach LHAKo Best. 856 Nr. 110118 und StAK<br />

623 Nr. 6170, S. 197-205.


Abt. VI<br />

Steueramt<br />

Abt. VII<br />

Forstverwaltung,<br />

Versicherungsamt,<br />

Museum,<br />

Stadtbibliothek<br />

Stadttheater<br />

Abt. VIII<br />

Chemisches<br />

Untersuchungsamt<br />

Abt. IX<br />

Wohlfahrtsamt<br />

Abt. XII<br />

Bau- und Liegenschaftsverwaltung<br />

(gesamt)<br />

Bauverwaltung<br />

Baupolizei<br />

Tiefbauamt<br />

Garten- und<br />

Friedhofsamt<br />

Hochbauamt,<br />

Badeanstalten<br />

Stadtinspektor<br />

Christian<br />

Schrupp 476<br />

Stadtoberinspektor<br />

Wilhelm Smits 477<br />

Intendant<br />

Dr. Hans Press /<br />

Geschäftsführer<br />

Willy Glindemann<br />

Direktor<br />

Dr. Walter Petri<br />

Stadtamtmann<br />

Johannes<br />

Schmitz 478<br />

146<br />

Stadtoberbaurat<br />

Friedrich Neumann<br />

Stadtoberinspektor<br />

Wilhelm<br />

van Rühden<br />

Techn. Stadtoberinspektor<br />

Josef Trum<br />

Stadtbaurat<br />

Hans Mohaupt<br />

Friedhofsoberinspektor<br />

Walter Frischling<br />

Stadtbaurat<br />

Wilhelm Bode<br />

nein 22 10 45,5<br />

nein 17 6 35,3<br />

ja<br />

ja<br />

8 2 25,0<br />

nein 11 3 27,3<br />

nein 57 23 40,4<br />

nein (62) (19) (30,6)<br />

nein 12 479 1 480 8,3<br />

nein 2 - -<br />

ja 10 5 50,0<br />

ja 3 1 33,3<br />

ja 16 6 37,5<br />

476 Schrupp trat der NSDAP am 1.8.1935 bei; StAK 623 Nr. 8918, S. 27.<br />

477 Smits trat der NSDAP am 1.1.1940 bei; StAK 623 Nr. 8918, S. 27.<br />

478 Schmitz trat der NSDAP 1940 bei; LHAKo Best. 860P Nr. 3136, Fragebogen vom 25.3.1946.<br />

479 Inkl. Stadtoberbaurat Friedrich Neumann.<br />

480 Das einzige NSDAP-Mitglied der Bauverwaltung war eine Frau, nämlich die Stadtsekretärin Gertrud Groos<br />

(* 1886) aus Urmitz-Bahnhof; StAK 623 Nr. 6643, S. 72, 101. Vgl. ebd. Nr. 9382, S. 20.


Brückenbauabteilung<br />

Liegenschaftsverwaltung<br />

(bebauter Besitz)<br />

Vermessungs- und<br />

Liegenschaftsverwaltung<br />

(unbebauter Besitz)<br />

Abt. XV<br />

Stadtkasse<br />

Abt. XVI<br />

Standesamt<br />

Abt. XVII<br />

Städtische<br />

Krankenanstalten<br />

Abt. XVIII<br />

Schlacht- und Viehhof,<br />

Nutzviehhof<br />

Abt. XIX<br />

Hafenamt, Werftbahnen,<br />

Verkehrsamt<br />

Abt. XXI<br />

Pfandamt<br />

Abt. XXII<br />

Sparkasse<br />

Stadtbaurat<br />

Alfons Bliemel<br />

Stadtamtmann<br />

Heinrich<br />

Geisemeyer 481<br />

Stadtvermessungsrat<br />

Oswald Breuer<br />

Stadtrentmeister<br />

Matthias Scholz<br />

Standesbeamter<br />

Clemens Henn<br />

Chefarzt Prof. Dr.<br />

Fritz Hohmeier /<br />

Stadtinspektor<br />

Konrad Z<strong>im</strong>mers<br />

Direktor<br />

Dr. Peter-Ernst<br />

Beyer<br />

Hafen- und<br />

Verkehrsdirektor<br />

Franz Lanters<br />

Stadtinspektor<br />

Wilhelm Bensiek<br />

Direktor<br />

Josef Plönissen<br />

147<br />

nein 5 2 40,0<br />

nein 5 1 20,0<br />

nein 9 3 33,3<br />

nein 37 19 51,4<br />

ja 4 1 25,0<br />

nein<br />

ja<br />

17 7 41,2<br />

ja 10 3 33,3<br />

ja 14 10 71,4<br />

ja 4 2 50,0<br />

ja 44 18 40,9<br />

Gesamt 447 178 39,8<br />

Von den Beamten erwartete man bei den häufigen, zu den verschiedensten Anlässen und<br />

Zwecken stattfindenden Sammlungen besondere Opferbereitschaft, die als Maßstab für<br />

politisches Wohlverhalten diente. Be<strong>im</strong> Aufruf des Führers zur „Freiwilligen Spende zur<br />

Förderung der Nationalen Arbeit“ 482 machte Wittgen zwar auf den freiwilligen Charakter<br />

der Spende aufmerksam, wies aber auf die moralische Verpflichtung hin. Es liefen<br />

Zeichnungslisten um, wobei der Oberbürgermeister <strong>im</strong> Juli 1933 als Richtschnur für den<br />

Gehaltsabzug ein halbes Prozent für die unteren und ein Prozent für die übrigen Gehalts-<br />

gruppen für die Dauer von sechs Monaten empfahl. 483 Geldsammlungen waren in den<br />

<strong>Die</strong>nstgebäuden ansonsten unzulässig, ausgenommen war nur die von Hitler ins Leben<br />

481 Geisemeyer trat der NSDAP am 1.5.1937 bei; StAK 623 Nr. 8918, S. 23.<br />

482 RGBl. I 1933, S. 324.<br />

483 StAK 623 Nr. 9561, S. 111.


148<br />

gerufene „Stiftung für die Opfer der Arbeit“. 484 Für das Winterhilfswerk des Deutschen<br />

Volkes (WHW) zirkulierten ebenfalls Zeichnungslisten. Gleichzeitig wurde klargestellt, dass<br />

der Gehaltsabzug nicht von der Spende am sogenannten Eintopfsonntag befreie. 485 Eine zu<br />

geringe Spendenbereitschaft selbst der Ehefrau konnte, wie <strong>im</strong> Fall des Beamtenanwärters<br />

Friedrich Posth, unangenehme Folgen nach sich ziehen. Auf die Denunziation der NSDAP-<br />

Ortsgruppe Rhein <strong>im</strong> Februar 1934 erhielt Posth, der sich bereits am Gehaltsabzug beteiligte,<br />

eine schriftliche Mahnung Wittgens, er erwarte in Zukunft seinen rückhaltlosen Einsatz für<br />

den nationalsozialistischen Staat. Auch seine Familienangehörigen sollten keinen Grund für<br />

die Annahme liefern, dass sie den Staat ablehnten, sonst müsse er ihn entlassen. 486 Auch das<br />

Amt für Beamte sah genau auf die Spendenfreudigkeit. Im Dezember 1934 erhielten mehrere<br />

Bedienstete ein Schreiben Wittgens, wonach das Gauamt festgestellt habe, dass sie ohne<br />

stichhaltige Begründung die empfohlenen Mindestbeiträge nicht leisteten. Wittgen forderte<br />

sie auf zu überdenken, ob sie ihrer Beamtenpflicht gerecht werden wollten. Selbst der<br />

zwangspensionierte Hütte wurde angeschrieben, doch er war nicht zu Abzügen bereit, „bis<br />

das an ihm begangene Unrecht wieder gutgemacht“ sei. 487 Als Wittgen <strong>im</strong> September 1935<br />

den Beamten und Angestellten seinen „Vorschlag“ zum automatischen Abzug des WHW-<br />

Mindestbeitrages mitteilte, mussten Ablehnungen schriftlich gegenüber Abteilung I erklärt<br />

werden. Kaum jemand wagte es, sich zu entziehen. Dem „Vorschlag“ wurde „fast<br />

ausnahmslos“ gefolgt. 488 Der Druck ließ auch in den Folgejahren nicht nach. Im November<br />

1936 wurde sogar ergebnislos nach einem städtischen Gärtner geforscht, der sich bei einer<br />

DAF-Straßensammlung grundsätzlich einer Spende verweigert hätte. 489<br />

Doch nicht nur finanzielle Opfer, sondern auch persönlicher Einsatz als Sammler war<br />

gefordert. Am 17. November 1934 teilte Wittgen den <strong>Die</strong>nststellenleitern mit, am<br />

morgigen (!) Sonntag werde die Eintopfspende eingesammelt. Auf Wunsch des Gauleiters<br />

sollten die Beamten mitwirken. <strong>Die</strong> Beteiligung sei, so Wittgen, für einen Beamten „eine<br />

selbstverständliche, ohne weiteres gegebene Verpflichtung“, persönliche Gründe könnten<br />

keine Entschuldigung sein und er erwarte restlosen Einsatz. <strong>Die</strong> Aufforderung des RDB-<br />

Fachschaftsleiters, Alfons S<strong>im</strong>on, an seine Berufskameraden fiel <strong>im</strong> Ton moderater aus: „Ich<br />

nehme an, dass auch Sie bei dieser guten Sache mit dabei sind.“ Mehrere Beamte<br />

entschuldigten sich aus gesundheitlichen oder familiären Gründen, die aber nicht alle<br />

akzeptiert wurden. Stadtamtmann Schmitz konnte es sich leisten, lapidar zu erklären, er habe<br />

über den Sonntag „anderweitig disponiert“ und könne der „Einladung“ deshalb nicht<br />

484<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 136.<br />

485<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 171, 175. <strong>Die</strong> eigentliche Rundverfügung Nr. 156 zum WHW fehlt.<br />

486<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 687-696.<br />

487<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 27 f., 38-53, Zitat S. 50.<br />

488<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 204-206, 218, 236 (Zitate). Der NSV-Beitrag wurde während der Dauer des WHW<br />

ermäßigt; ebd. S. 265.<br />

489 StAK 623 Nr. 6569, S. 365-369.


149<br />

folgen. 490 Bei der von der DAF <strong>im</strong> März 1937 organisierten WHW-Straßensammlung hakte<br />

Abteilung I Anfang April nach, warum sich einige Gefolgschaftsmitglieder ihrer Ehrenpflicht<br />

als Sammler entzogen hätten. Wieder mussten schriftliche Begründungen eingereicht werden,<br />

die von Fuhlrott aber als stichhaltig akzeptiert wurden. 491 Bei der WHW-Sammlung am<br />

16. Oktober 1937 gingen Wittgen und Fuhlrott nach einem Betriebsappell der Beamten und<br />

Angestellten persönlich mit den Sammelbüchsen rund. 492<br />

Sparkassendirektor Plönissen zeigte sich schon wenige Tage nach seiner Ernennung zum<br />

kommissarischen RDB-Kreisfachschaftsleiter als genauer Beobachter der Einsatzfreude seiner<br />

Kollegen. Mitte Juni 1935 meldete er dem Amt für Beamte mit Abschrift an Wittgen,<br />

Stadtinspektor Schnorbach sei für eine Sammlung für die HJ und die Jugendherbergen<br />

best<strong>im</strong>mt gewesen: „Sonderbarerweise lehnt Schnorbach in schroffem Tone das Sammeln ab<br />

mit Rücksicht auf seine kinderreiche Familie. Er gibt sich noch nicht einmal die Mühe, einen<br />

Ersatzmann zu beauftragen.“ Daraus zog Plönissen den Schluss, Schnorbach fehle es „am<br />

guten Willen und an der Volksverbundenheit […]. Nationalsozialistische Einsatzbereitschaft<br />

scheint ihm ein fremder Begriff zu sein.“ Wittgen zeichnete das Schreiben nur ab und ließ es<br />

in der Personalakte ablegen. 493 1936 und 1937 denunzierte Plönissen mehrere „Drückeberger“<br />

jeweils gleichzeitig bei Kreisleitung und Oberbürgermeister. <strong>Die</strong> Beschuldigten mussten<br />

Stellungnahmen abliefern und die Vorgänge wanderten in die Personalakten. Einem<br />

„Wiederholungstäter“ sprach Wittgen Anfang 1938 sein besonderes Missfallen aus, er werde<br />

vorerst von Beförderungen ausgeschlossen. 494 Ein Rundschreiben des RDB an die<br />

Behördenleiter vom September 1938 beklagte, dass es be<strong>im</strong> Einsammeln der Eintopfspenden<br />

in der Vergangenheit „Mängel bezügl. Beteiligung der Beamtenschaft“ gegeben habe. 495<br />

Als die Resonanz auf einen Aufruf Wittgens vom Juni 1934 zur „Hitlerfreiplatzspende“ sehr<br />

gering blieb, spannte Wittgen diesmal umgekehrt Purrmann sowie einige NSDAP-<br />

Ortsgruppenleiter ein und bat sie, auf die Beamten bzw. Parteigenossen einzuwirken. Be<strong>im</strong><br />

Dankopfer der Nation 1936 organisierte Wittgen <strong>im</strong> Mai die geschlossene Einzeichnung der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> in das „Kampfbuch“ der SA in der Einzeichnungsstelle Weißer Straße. Auch<br />

<strong>im</strong> April 1937 gab die <strong>Stadtverwaltung</strong> durch ihren gemeinsamen Marsch zur Einzeichnungs-<br />

stelle Thielenschule unter Begleitung von SA und einem Musikzug ein gutes Beispiel für die<br />

Bevölkerung. Ein weiterer Spendenaufruf Wittgens vom August 1936 betraf die aus Spanien<br />

vertriebenen deutschen Volksgenossen. Als er <strong>im</strong> Dezember 1936 bei den Nicht-Spendern<br />

nachhakte, behaupteten die meisten, sie hätten die Spendenliste nicht bekommen und zahlten<br />

490 StAK 623 Nr. 6643, S. 4-19, Zitate S. 4, 7-9.<br />

491 StAK 623 Nr. 6569, S. 420 f., 478-480, 484-489.<br />

492 StAK 623 Nr. 6026, S. 195; ebd. Nr. 6643, S. 317.<br />

493 StAK 623 Nr. 3805 (unpaginiert), Plönissen vom 14.6.1935.<br />

494 StAK 623 Nr. 6262, S. 50-53; ebd. Nr. 6627, S. 1-10.<br />

495 StAK 623 Nr. 6643, S. 318. Russell fragte 1946 besorgt bei Schnorbach nach, ob er in seinem politischen<br />

Fragebogen hätte angeben müssen, „dass die Partei etwa 1934 o. 1935 mich als ‚Prominenten’ zur Sammlung<br />

kommandiert hat u. dass ich diesem Befehl Folge geleistet habe.“ StAK 623 Nr. 9744, S. 425-428.


150<br />

daraufhin. Nur der Leiter des Maschinenamtes, Oberingenieur Wilhelm Gerke, hielt dem<br />

Druck stand, indem er sich weigerte, eine für ihn nutzlose Zahlung zu leisten, nachdem er<br />

jahrelang Gehaltskürzungen hätte hinnehmen müssen und sich seine Kinder in Ausbildung<br />

befänden. Als 1938 für erholungsbedürftige Kinder der Ostmark gesammelt bzw. ein<br />

Ferienplatz gesucht wurde, spendete auch Gerke. 496<br />

Der Druck zum Beitritt in die NSV war so stark, dass er fast einer Zwangsmitgliedschaft<br />

gleichkam. 497 Vom 24. April bis 8. Mai 1935 lief eine gezielte Werbeaktion innerhalb der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>. Wie verlangt, wurde eine Liste mit Angaben zur <strong>Die</strong>nststellung, zu<br />

Mitgliedschaften in der NSDAP, SA, SS, HJ, Frauenschaft sowie zur NSV zusammengestellt,<br />

die für den Gauleiter persönlich best<strong>im</strong>mt war. <strong>Die</strong> Liste, die Wittgen am 9. Mai dem Amt für<br />

Volkswohlfahrt einreichte, enthielt 436 Namen. 498 Knapp zwei Wochen später schickte das<br />

Gauamt eine Auflistung der Nichtmitglieder und bat den Oberbürgermeister, auf sie<br />

„einzuwirken“. Im Juni war „nunmehr der grösste Teil“ der Beamten und Angestellten<br />

Mitglied der NSV. Um die wenigen „Säumigen“ wollte sich die NSV selbst noch einmal<br />

kümmern. 499 Zu ihnen gehörte Vermessungsrat Breuer. RDB-Kreisfachschaftsleiter Plönissen<br />

informierte Ende 1935 das Amt für Beamte, Breuer habe sich „<strong>im</strong>mer noch nicht politisch<br />

umgestellt“. Den Eintritt in die NSV 500 lehne er mit der Begründung ab, er gehöre der Caritas<br />

an. Damit verhindere Breuer als einziges Nichtmitglied unter 340 Beamten die Meldung einer<br />

hundertprozentigen Beteiligung. Außerdem habe er den Werber des Nationalblatts „kurz und<br />

barsch abgefertigt“ und einen Fragebogen 501 des Gauamtes nicht beantwortet. Als<br />

<strong>Die</strong>nststellenleiter gebe Breuer „das denkbar schlechteste Beispiel“. Gauamtsleiter Purrmann<br />

forderte Wittgen zu Maßnahmen auf. Daraufhin hatte Breuer mehrere Gespräche mit seinem<br />

Vorgesetzten Neumann. Im Februar 1936 vermerkte Neumann, Breuer habe jetzt den<br />

Fragebogen bis auf wenige Fragen, die seine privaten Verhältnisse beträfen, ausgefüllt und er<br />

sei auch der NSV beigetreten. Neumann versuchte, sich schützend vor seinen Untergebenen<br />

zu stellen. Als „alter Vorkriegsbeamter“ vertrete Breuer die Ansicht, ein Beamter habe sich<br />

von der Politik fernzuhalten: „Deshalb kann man auch bei ihm von einer ‚politischen<br />

Umstellung’ füglich nicht sprechen.“ Breuer war aber keineswegs so unpolitisch, wie ihn<br />

496<br />

StAK 623 Nr. 6579, S. 11-173, 197-275, 278, 280, 304-330, 333-510. Wittgen nahm ein Kind aus Innsbruck<br />

auf.<br />

497<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 252 f. Am 1.1.1935 hatte die NSV <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-<br />

Trier 70.433 Mitglieder; Partei-Statistik, Bd. III, S. 59.<br />

498<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 68-126, 133-140; ebd. Nr. 9563, S. 105. <strong>Die</strong> Liste vom 9.5.1935 (S. 68-81) enthält<br />

wegen eines Nummerierungsfehlers (S. 71) nur 436 Namen und nicht wie angegeben 446 (S. 81). Ein ganz<br />

offensichtlich standardisiertes Schreiben von Gauamtsleiter Ackermann vom 13.5. feierte die Verdienste<br />

S<strong>im</strong>ons, der die NSV-Mitgliederwerbung derart vorangetrieben habe, dass der Gau in der Reichsstatistik vom<br />

März 1936 an zweiter Stelle stehe. Den Vorwurf, sein „Amtsbezirk“ liege „noch sehr weit zurück“, quittierte<br />

Wittgen <strong>im</strong> Juli kurz, die wenigen Ausnahmen unter seinen Bediensteten seien wegen großer Kinderzahl oder<br />

schlechter Einkommensverhältnisse von der NSV „als befreit anerkannt“ worden; StAK 623 Nr. 6643, S. 279-<br />

282, Zitat S. 282.<br />

499<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 141-143.<br />

500<br />

Auf der Meldeliste des Ergebnisses der NSV-Werbeaktion vom Mai 1935 ist Breuer als Letzter<br />

handschriftlich hinzugefügt; StAK 623 Nr. 6643, S. 81.<br />

501<br />

Wahrscheinlich derselbe Fragebogen wie bei Petri.


151<br />

Neumann darzustellen versuchte. Im Fragebogen zum BBG hatte er <strong>im</strong> Juni 1933 die Frage<br />

nach der Parteizugehörigkeit und deren Dauer mit „Der Zentrumspartei. Von 1905 bis heute!“<br />

beantwortet, was leicht als trotzige Provokation hätte gelten können. 502<br />

Im Januar 1937 mahnte der RDB nochmals zum Beitritt zur NSV, der eine moralische Pflicht<br />

jedes Beamten, seiner Ehefrau und erwachsenen Kinder darstelle. 503 Angesichts dieses<br />

ständigen Drucks ist es kaum verwunderlich, dass <strong>im</strong> Februar 91,6 % aller Beamten <strong>im</strong> Gau<br />

NSV-Mitglied waren. 504 Weitere Werbeaktionen folgten. 505 Wittgens Nachfolger S<strong>im</strong>mer<br />

erinnerte 1941 an die „innere Verpflichtung“ zur NSV-Mitgliedschaft, auf die bei<br />

Neueinstellungen nicht genug geachtet worden sei, und forderte nachdrücklich zum Beitritt<br />

auf. 506 Kamen Austritte aus der NSV oder Beitragsrückstände vor, informierte die NSV oder<br />

die NSDAP-Ortsgruppe den Arbeitgeber <strong>Stadtverwaltung</strong>. <strong>Die</strong> Betreffenden mussten dann<br />

ihre Gründe darlegen, wobei sie daran erinnert wurden, dass sie bei Ablehnung der<br />

Mitgliedschaft auf die Dauer <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst untragbar seien. 507 <strong>Die</strong>se Ein-<br />

schüchterungen führten zum gewünschten Ergebnis. So konnte Stadtrat Fuhlrott <strong>im</strong> Juli 1938<br />

dem Ortsgruppenleiter <strong>im</strong> Fall eines Arbeiters und Familienvaters, der wegen finanzieller<br />

Probleme der NSV nicht hatte beitreten wollen, verkünden: „Er wird jetzt keine Schwierig-<br />

keiten mehr machen.“ 508 Neben dem Beitritt zur NSV bot sich auch der Beitritt zum<br />

Volksbund für das Deutschtum <strong>im</strong> Ausland (VDA) an, um eine gewisse Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

mit dem Reg<strong>im</strong>e zu demonstrieren, ohne der NSDAP beizutreten. <strong>Die</strong> Fachgruppe<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> war Mitte 1940 mit 500 Mitgliedern die größte Fachgruppe innerhalb des<br />

gesamten Gaues. 509<br />

Ein weiteres Beispiel für den nicht nachlassenden Anpassungsdruck war Mitte 1934 die<br />

erwartete Anmeldung der schulpflichtigen Beamtenkinder zur HJ bzw. zum BDM. HJ-<br />

Gebietsführer Rolf Karbach rief eine zweiwöchige Werbeaktion für den HJ-Beitritt aus und<br />

stellte klar, dass man daneben keine anderen Jugendorganisationen dulde. 510 Das Amt für<br />

Beamte forderte gleichzeitig seine Vertrauensleute auf festzustellen, „wer von den Beamten<br />

absichtlich seine Kinder vom Eintritt in die Hitler-Jugend fernhält“, was „untragbar“ sei. 511<br />

Gauamtsleiter Struve veröffentlichte <strong>im</strong> kommunalpolitischen Mitteilungsblatt „Das<br />

502<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 7 (unpaginiert).<br />

503<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 31.<br />

504<br />

NB, 13./14.2.1937: Unsere Gauämter an der Arbeit. Zum Vergleich: Zwei Jahre später waren <strong>im</strong><br />

Hoheitsgebiet der Kreisleitung <strong>Koblenz</strong> 21,5 % der Einwohner Mitglied der NSV; NB, 14.2.1939:<br />

Großleistungen der NSV-Volkswohlfahrt.<br />

505<br />

Beispielsweise 1939; StAK 623 Nr. 9567, S. 23.<br />

506<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 27.<br />

507<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 287-290.<br />

508<br />

StAK 623 Nr. 6627, S. 53-56, Zitat S. 56.<br />

509<br />

StAK 623 Nr. 7296; vgl. ebd. Nr. 9563, S. 190-192. Fachgruppenleiter war Dr. Hans Bellinghausen.<br />

510<br />

NB, 20.6.1934: Aufruf des Gebietsführers zur HJ-Werbezeit!<br />

511<br />

StAK 623 Nr. 6779, S. 339-341, Zitate S. 340. Das Rundschreiben Nr. 62/34 trägt die Aufschrift „Pg. v. d.<br />

Heyden“, der also offensichtlich als Vertrauensmann <strong>im</strong> Hafenamt fungierte.


152<br />

nationalsozialistische Rathaus“ vom 25. Juli einen entsprechenden Aufruf an alle<br />

Gemeindebediensteten. 512 <strong>Die</strong> Bürgermeister forderte er auf, „auf ihre Beamten entsprechend<br />

einzuwirken“. 513 Wittgen ließ sich <strong>im</strong> Juli auflisten, welche Beamtenkinder angemeldet<br />

worden waren. Der negative Fall war in einer gesonderten Rubrik zu begründen. <strong>Die</strong>ses<br />

Meldeverfahren wurde wenige Wochen später auf die Angestellten- und Arbeiterkinder<br />

ausgedehnt. 514 Trotzdem gab es Beamte, die diesem Druck widerstanden, denn <strong>im</strong> Mai 1935<br />

forderte sie Gauamtsleiter Purrmann diesmal in einem Presseaufruf zur Anmeldung der<br />

Kinder auf. 515 Der nächste Schritt war ein Erlass des Innenministers vom 17. November 1935,<br />

wonach alle Beamtenkinder der HJ beitreten sollten. 516 Damit wurde der gesetzlichen<br />

Regelung zur Staatsjugend durch das Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936 517<br />

um über ein Jahr vorgegriffen, die Beamten sollten also eine Vorreiterrolle innerhalb der<br />

Volksgemeinschaft übernehmen. Wittgen selbst schickte seine Tochter aber erst zum BDM,<br />

als ihre Nicht-Mitgliedschaft in der Hilda-Schule aufgefallen war. Noch am selben<br />

Nachmittag erhielt Wittgen Telefonanrufe verschiedener Parteidienststellen, die ihn zur<br />

Anmeldung aufforderten. Er hatte dies hinausgezögert, weil er verhindern wollte, dass seine<br />

Tochter von „irgendeiner Göre verzogen würde“. 518<br />

Besonders die Mitgliedschaft in den konfessionellen Jugendvereinen wurde misstrauisch<br />

beobachtet. So berichtete der Direktor der EVM Wittgen <strong>im</strong> Oktober 1935 erleichtert, dass<br />

der 13-jährige Sohn des Boten „seit September Mitglied des Jungvolks [ist]; aus dem<br />

konfessionellen Jugendverein ist er ausgeschieden.“ 519 Das NS-Mitteilungsblatt des Amtes für<br />

Kommunalpolitik wies <strong>im</strong> November 1936 auf das Kündigungsrecht der Gemeinde hin bei<br />

Fällen hartnäckiger Weigerung, die Kinder zur HJ zu schicken und stattdessen in katholischen<br />

Jugendverbänden zu belassen. 520<br />

Der durch das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 521 eingeführten Arbeitsdienst-<br />

pflicht griff die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> faktisch wie verschiedene andere Kommunen vor,<br />

indem sie die Ableistung des noch freiwilligen Arbeitsdienstes zur Einstellungsvoraussetzung<br />

für Beamte machte. Schon <strong>im</strong> Mai 1934 hatte der DGT über eine Initiative des Potsdamer<br />

Oberbürgermeisters berichtet, dass er zum öffentlichen <strong>Die</strong>nst nur noch zulasse, wer dieser<br />

512<br />

LHAKo Best. 714 Nr. 1275, H. 14, Jg. 2, S. 262.<br />

513<br />

BArch NS 25/240, S. 70.<br />

514<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 144, 168 f.<br />

515<br />

NB, 25./26.5.1935: An die Beamten des Gaues!<br />

516<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 201 f.; ebd. Nr. 9563, S. 254; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S.<br />

253.<br />

517<br />

RGBl. I, S. 993.<br />

518<br />

Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009.<br />

519<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 205.<br />

520<br />

LHAKo Best. 714 Nr. 1270, S. 509.<br />

521 RGBl. I, S. 769.


153<br />

„Ehrenpflicht“ genügt habe. 522 Wenig später bat der DGT, nach dem Vorbild mehrerer<br />

Gemeinden diesen sechsmonatigen „Ehrendienst am deutschen Volke“ von Beamten-<br />

anwärtern ab Jahrgang 1914 zu verlangen. Wittgen setzte diese Forderung, die noch jeder<br />

Rechtsgrundlage entbehrte, durch seine Verfügung vom 27. Juni 1934 sofort um. 523 <strong>Die</strong> in<br />

Frage kommenden Anwärter 524 erhielten von Abteilung I ein Schreiben, in dem der<br />

Arbeitsdienst als Vorbedingung für ihre spätere Anstellung dargestellt wurde. Angesichts der<br />

fehlenden Rechtsgrundlage hieß es recht schwammig: „Ich ersuche, mir bis zum 1.11.1934<br />

eine Erklärung abzugeben, ob Sie zur Teilnahme am Nationalsozialistischen Arbeitsdienst auf<br />

die Dauer eines halben Jahres bereit sind.“ Sämtliche Anwärter außer Oswald Opp gaben die<br />

geforderte Erklärung binnen weniger Tage ab. Ratsherr und Ortsgruppenleiter Krings bat<br />

Wittgen <strong>im</strong> Januar 1935 um die Befreiung seines Kassenleiters Opp, den er nur schwer<br />

ersetzen könne 525 und legte über dessen Verdienste u. a. eine Bescheinigung des Amtes für<br />

Beamte vor. Doch auch Parteigenossen gegenüber zeigte sich Wittgen in dieser Frage<br />

unnachgiebig. Er räumte ein, eine rechtliche Verpflichtung bestehe zwar nicht, aber<br />

„<strong>im</strong>merhin für jeden gesunden Deutschen unter 25 Jahren die moralische Verpflichtung“. Der<br />

Eintritt in den Arbeitsdienst diene schließlich Opps beruflichem Fortkommen und seiner<br />

Charakterschulung: „Ich stehe daher auf dem Standpunkt, dass Opp am 1.4.35 (letzter<br />

Termin) in den NS-Arbeitsdienst eintritt.“ 526<br />

Intensiv unterstützte Wittgen die Mitgliederwerbung für die Ortsgruppe des Reichsluft-<br />

schutzbundes, den Göring <strong>im</strong> April 1933 ins Leben gerufen hatte. Mitte Oktober 1933 setzte<br />

er eine Anmeldeliste in Umlauf. 527 <strong>Die</strong> Resonanz war nicht sonderlich groß. Der Leiter des<br />

Steueramtes entschuldigte die wenigen Meldungen mit dem Zusatz: „Man erklärte mir, die<br />

Entwicklung der Angelegenheit noch abwarten zu wollen.“ Oberstudiendirektor Karl Jacobi<br />

vom Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium, der selbst schon bei der Gründungsversammlung der<br />

Ortsgruppe am 4. Oktober eingetreten war, konnte nur eine einzige Anmeldung vorweisen:<br />

„Der Erfolg war nur gering, weil wir alle mit Beiträgen überlastet sind.“ 528 Im August und<br />

Dezember 1934 wies Wittgen erneut auf den Eintritt hin, <strong>im</strong> Januar 1935 verwies er auf den<br />

niedrigen Jahresbeitrag von 1 RM. Bis zum 1. Februar 1935 hatten alle Abteilungen über<br />

522 StAK 623 Nr. 6640, S. 97. Dabei argumentierte er u. a. mit der seit 1934 bestehenden Arbeitsdienstpflicht als<br />

Voraussetzung für die Zulassung zu einem Hochschulstudium.<br />

523 StAK 623 Nr. 9562, S. 140 f.<br />

524 StAK 623 Nr. 6640, S. 96.<br />

525 Krings gab den Zeitaufwand für die Kassenleitertätigkeit Opps an anderer Stelle mit täglich 2 Stunden an;<br />

StAK 623 Nr. 6222, S. 154.<br />

526 StAK 623 Nr. 6640, S. 9-12, Zitate S. 12. Opp war schon am 20.10.1934 durch Abteilung I aufgefordert<br />

worden, sich be<strong>im</strong> Arbeitsdienst zu melden. Er gab dann am 14.1.1935 seine Bewerbung zum 1.4. ab, wurde<br />

wegen Krankheit aber bis 1.10. zurückgestellt; ebd. S. 34, 41, 45. Opp war 1936, wahrscheinlich als<br />

Führeranwärter, in der Ordensburg Vogelsang; NB, 7.8.1936: Heiratsanzeige.<br />

527 StAK 623 Nr. 9561, S. 155 f.<br />

528 StAK 623 Nr. 6240, S. 558-576, Zitate S. 563, 575 f.; ebd. Nr. 6556, S. 278-290, 327 f. Vgl. ebd. Nr. 7967, S.<br />

194-196; NB, 15.11.1933: Luftschutz tut not!


154<br />

Nichtbeitritte mit Begründung zu berichten. Unter diesem Druck kamen schließlich<br />

274 Anmeldungen zustande. 529<br />

Als „größter Arbeitgeber von <strong>Koblenz</strong>“ hatte Wittgen schon <strong>im</strong> Dezember 1933 seinen<br />

Beitritt zur DAF erklärt. 530 Im Oktober 1935 zeigte er den Ehrgeiz, als Betriebsführer<br />

„baldigst“ verkünden zu können, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> geschlossen der DAF angehöre.<br />

<strong>Die</strong> Zugehörigkeit wurde zur Ehrenpflicht erklärt und alle <strong>Die</strong>nststellenleiter mussten<br />

Betriebsappelle veranstalten. Anmeldungen nahm der Betriebszellenobmann, der<br />

Hilfsangestellte be<strong>im</strong> Steueramt und Parteigenosse Emil Pokorny, entgegen, der Wittgen<br />

melden musste, wer dem Aufruf nicht folgte. Auch <strong>im</strong> Fall des DAF-Beitritts wurde mit der<br />

Infragestellung des sicheren Arbeitsplatzes operiert: „Wer sich vorsätzlich der DAF versagt,<br />

kann in einem öffentlichen Betrieb auf die Dauer nicht gehalten werden.“ 531 Mitte November<br />

konnte Wittgen „erfreut“ mitteilen, dass die Angestellten und Arbeiter des Verkehrsamtes,<br />

des Hafenamtes und der Werftbahnen seiner Aufforderung gefolgt seien. Anerkennend meinte<br />

er, dass „die Gefolgschaftsmitglieder dieser Betriebe den Geist des neuen Staates verstanden“<br />

hätten. 532 <strong>Die</strong> drei Betriebe wurden von Lanters geleitet. Er war seit 1. August 1935<br />

Parte<strong>im</strong>itglied, 533 was bedeutete, dass man für ihn eine der in besonderen Fällen möglichen<br />

Ausnahmen während der Mitgliedersperre gemacht hatte.<br />

Auf Anregung der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude kam am 14. Dezember 1935 der<br />

erste Kameradschaftsabend der Gefolgschaft zustande, der die Geselligkeit fördern und den<br />

Korpsgeist festigen sollte. Vollzähliges Erscheinen in der Stadthalle machte Wittgen zur<br />

Pflicht. Für die Verköstigung (pro Gefolgschaftsmitglied eine Flasche Wein, für die<br />

Lohnempfänger zusätzlich ein „Schnittchen“) erhob er mit Rücksicht auf die Finanzlage der<br />

Stadt bei den Beamten ab der mittleren Gehaltsklasse einen Unkostenbeitrag in Erwartung<br />

ihrer „freudig[en]“ Zust<strong>im</strong>mung. Zum teils ernsten, teils geselligen Programm des Abends, zu<br />

dem auch Parteiprominenz und die Ratsherren eingeladen wurden, trugen die Musikkapelle<br />

der Landespolizei und das Ensemble des Stadttheaters bei. Einen Verlosungsgewinn, der<br />

Wittgen zufiel, stiftete er der NSV. 534 Im Juni 1936 bestand der Kameradschafts„abend“<br />

aus einem Ausflug in den Stadtwald, wo die SA-Kapelle aufspielte. 535 Am letzten<br />

Kameradschaftsabend unter Oberbürgermeister Wittgen am 14. Januar 1939 nahmen Claussen<br />

und mehrere Ratsherren teil, zur Unterhaltung spielte u. a. der Musikzug der Politischen<br />

529<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 285 f.; ebd. Nr. 6183, S. 1, 54, 64 f., 72-86, 91.<br />

530<br />

NB, 4.12.1933: Oberbürgermeister Wittgen der Deutschen Arbeitsfront beigetreten.<br />

531<br />

StAK 623 Nr. 6569, S. 426 f.; ebd. Nr. 9563, S. 228 f. (Zitate).<br />

532<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 242.<br />

533<br />

StAK 623 Nr. 8827, S. 160.<br />

534<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 249 f., 261, Zitat S. 250; ebd. Nr. 6569, S. 97-171, 177-256. <strong>Die</strong> Stadt musste nach<br />

Abzug des Eigenanteils der Beamten noch 782,75 RM aufbringen.<br />

535<br />

NB Nr. 149: 30.6.1936: Ein Tag in froher Kameradschaft.


155<br />

Leiter. 536 Auch bei diesen betrieblichen Feiern blieb das Verhalten der Unangepassten unter<br />

Beobachtung. So berichtete Anna Hans 1949, sie sei wegen des vorzeitigen Verlassens einer<br />

Betriebsfeier von Trampp zwar korrekt und ohne Folgen, aber in Gegenwart eines SS-Mannes<br />

verhört worden. 537 Neumann entschuldigte 1936 die Tatsache, dass Stadtvermessungsrat<br />

Breuer sich nie an kameradschaftlichen Veranstaltungen beteiligte, „mit seiner ganzen<br />

Wesensart“, sie habe also mit anderen Worten keine politischen Gründe. 538<br />

Nur einen Tag nach der Volksabst<strong>im</strong>mung über die Zusammenlegung der Ämter des<br />

Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in der Person Hitlers am 19. August 1934<br />

verpflichtete das Gesetz über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht<br />

die Angehörigen des Öffentlichen <strong>Die</strong>nstes und der Wehrmacht zum Treueschwur auf den<br />

Führer. 539 Als Termin für die Vereidigung seiner Beamten legte Wittgen den 25. August 1934<br />

fest. <strong>Die</strong> Beamten hatten sich um 7.30 Uhr in der feierlich geschmückten Stadthalle<br />

einzufinden. Dort wurden sie abteilungsweise vereidigt, anschließend wurde für jede<br />

Personalakte eine Vereidigungsniederschrift angefertigt. Wittgens Eid nahm Binhold ab. <strong>Die</strong><br />

Eidesformel lautete: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes,<br />

Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten<br />

gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ 540 Auch das Deutsche Beamtengesetz vom<br />

26. Januar 1937 schrieb den persönlichen Treueid auf Hitler fest. 541 Damit zählten<br />

Beamtenschaft und Militär neben der Partei zu den tragenden Säulen des national-<br />

sozialistischen Staates, die in einem besonderen, persönlichen Treueverhältnis zu Hitler<br />

standen. 542 Für ein zeitgenössisches Handbuch für Gemeindebeamte bot der Eid auf Hitler<br />

dem Beamten den klaren Vorteil, dass er ihn „vermöge der Gleichheit Partei-Staat-Führer-<br />

Reichskanzler jeden Zweifels“ in seiner Amtsausübung enthob und ihm <strong>im</strong> Vergleich zum<br />

früheren Parteienstaat Gewissenskonflikte ersparte. 543<br />

Für Angestellte galt zunächst weiterhin die Verpflichtung per Handschlag. Erst am 4. Februar<br />

1936 erteilte der Regierungspräsident als örtlicher Beauftragter des Sondertreuhänders für den<br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nst einer entsprechenden Ergänzung des Tarifvertrags seine Zust<strong>im</strong>mung.<br />

Angestellte mussten danach ein Treuegelöbnis auf den Führer ablegen, die Ablehnung<br />

536<br />

StAK 623 Nr. 6412, S. 71; ebd. Nr. 6553, S. 216-219; NB, 18.1.1939: Kameradschaftsabend der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>.<br />

537<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert), Hans vom 18.10.1949.<br />

538<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 7 (unpaginiert).<br />

539<br />

RGBl. I, S. 785; NB, 23.8.1934: Unverzügliche Vereidigung der Beamten auf den Führer.<br />

540<br />

StAK 623 Nr. 6634, S. 21-58, Zitat S. 41; ebd. Nr. 9562, S. 202; NB, 29.8.1934: Vereidigung der städtischen<br />

Beamten. An die Bedeutung des Beamteneids wurde <strong>im</strong> November 1936 auf einer Großkundgebung des RDB<br />

erinnert, Redner war Pg. Hannes Schneider, Hauptstellenleiter Schulung <strong>im</strong> Hauptamt für Beamte; NB,<br />

21.11.1936: „Unser Beamteneid ist höchste Verpflichtung“.<br />

541<br />

RGBl. I, S. 39.<br />

542<br />

Wunder: Geschichte der Bürokratie, S. 143; Uwe Lohalm: „… anständig und aufopferungsbereit“.<br />

Öffentlicher <strong>Die</strong>nst und <strong>Nationalsozialismus</strong> in Hamburg 1933 bis 1945. Hamburg 2001, S. 45-47.<br />

543<br />

Kurt Nischk: Der Gemeindebeamte <strong>im</strong> Dritten Reich (Juristische Handbibliothek 457). 5. Aufl. Leipzig 1938,<br />

S. 340.


156<br />

berechtigte zur fristlosen Entlassung. Daraufhin gelobten bis Ende Februar alle städtischen<br />

Angestellten einschließlich der Hilfs- und Fürsorgeangestellten ihre Treue mit den Worten:<br />

„Ich gelobe: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und<br />

gehorsam sein und meine <strong>Die</strong>nstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen.“ 544<br />

Mit der Ausweitung des Personenkreises auf die Arbeiter durch den Sondertreuhänder für<br />

Arbeit <strong>im</strong> Dezember 1936 waren dann restlos alle städtischen Bediensteten auf den Führer<br />

persönlich verpflichtet. 545 Eine Verweigerung des Eides oder des Treuegelöbnisses ist nicht<br />

aktenkundig geworden. Damit war eine psychologisch höchst bedeutsame Stufe der<br />

nationalsozialistischen Machtbefestigung erreicht. 546 Im Gegenzug wurde treue Pflicht-<br />

erfüllung öffentlich gewürdigt. Aus Anlass des fünften Jahrestages der Machtergreifung<br />

stiftete Hitler am 30. Januar 1938 verschiedene Treue- und <strong>Die</strong>nstauszeichnungen, darunter<br />

das „Treudienst-Ehrenzeichen“. Es wurde in zwei Stufen für 25- bzw. 40-jährige <strong>Die</strong>nstzeit<br />

<strong>im</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst verliehen. Über 165 städtische Bedienstete erhielten diese Treueauszeichnung.<br />

547<br />

Zur Schulung der Bürgermeister und Gemeinderäte plante der Gau die Einrichtung einer<br />

kommunalpolitischen Schule, die sich jedoch <strong>im</strong>mer wieder verzögerte. 548 <strong>Die</strong> Kommunen<br />

sollten sich mit Zust<strong>im</strong>mung des Regierungspräsidenten an den Kosten beteiligen. Eine<br />

Zahlungsaufforderung von Kreisleiter Claussen über einen Beitrag von 1.500 RM lehnte<br />

Wittgen <strong>im</strong> November 1937 ab, weil die Stadt kaum jemanden zur Schulung schicken werde.<br />

<strong>Die</strong> Gauleitung sei deswegen bereits um Verzicht auf die Zahlung gebeten worden. Das<br />

Innenministerium stellte dann <strong>im</strong> April 1938 klar, dass vorerst keine Verpflichtungen<br />

übernommen werden sollten. Das Schulprojekt wurde schließlich fallengelassen. 549<br />

Verwirklicht wurde aber eine Gauschule des Amtes für Beamte, die am 23. Februar 1938 von<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on und Reichsbeamtenführer Hermann Neef <strong>im</strong> Kautenbachtal bei Traben-<br />

Trabrach eröffnet wurde. 550 Auch Beamte der <strong>Koblenz</strong>er <strong>Stadtverwaltung</strong> wurden vom Amt<br />

für Beamte zu den dortigen weltanschaulichen Schulungen „einberufen“, für die sie vom<br />

<strong>Die</strong>nst freigestellt wurden (Abb. 22). 551 Kommunalpolitische Lehrgänge für Politische Leiter,<br />

544<br />

StAK 623 Nr. 6123, S. 588-601, 613-617, Zitat S. 613; ebd. Nr. 6204, S. 54; ebd. Nr. 6222, S. 213-216; ebd.<br />

Nr. 6655, S. 8-39.<br />

545<br />

StAK 623 Nr. 6123, S. 619-623, 625-645.<br />

546<br />

Vgl. dazu das Stufenmodell von Karl <strong>Die</strong>trich Bracher: Stufen totalitärer Gleichschaltung: <strong>Die</strong> Befestigung<br />

der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34. In: VfZ 4 (1956), S. 30-42.<br />

547<br />

RGBl. I, S. 48 (Abb. S. 87); StAK 623 Nr. 6551; NB, 26.9.1939: Ehrung für treue <strong>Die</strong>nste. Stadtoberbaurat<br />

Neumann bekam das Goldene Treudienst-Ehrenzeichen noch auf dem Sterbebett verliehen; NB, 19.9.1939:<br />

Stadtoberbaurat Neumann gestorben.<br />

548<br />

BArch NS 25/240, S. 126, 130, 134, 137.<br />

549<br />

StAK 623 Nr. 6171, S. 97-102; LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 461-463. Vgl. Matzerath: NS und<br />

kommunale Selbstverwaltung, S. 258 f.<br />

550<br />

NB, 20.4.1937: Gauschule des RDB <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier; NB, 19./20.2.1938: Beamtenschule <strong>im</strong><br />

Kautenbachtal; NB, 24.2.1938: <strong>Die</strong> Beamten-Schule eröffnet. Foto in StAK N 150 Nr. 6.<br />

551<br />

Beispiel: Stadtoberinspektor Wilhelm van Rühden; StAK 623 Nr. 3233 (unpaginiert), Amt für Beamte vom<br />

26.4.1938.


157<br />

Amtsträger usw. fanden in der Gauführerschule in Metternich 552 statt. Noch <strong>im</strong> Juli/August<br />

1944 wurde eine Schulung durchgeführt, bei der neun städtische Beamte als Referenten einen<br />

Großteil der Vorträge bestritten. Den Abschluss des dreiwöchigen Lehrgangs bildete die von<br />

Müller und Trampp geführte Besichtigung der <strong>Stadtverwaltung</strong>. 553<br />

4.2.4 Das neue Stadtamt für Leibesübungen<br />

<strong>Die</strong> Gleichschaltung der zahlreichen Sportvereine, die „straffer zusammengefasst und unter<br />

einheitliche Führung gestellt“ werden sollten, 554 erledigte das neue Stadtamt für Leibes-<br />

übungen. Es wurde am 15. Mai 1933 durch den Beschlussausschuss gebildet, indem<br />

Sportausschuss, Stadtausschuss für Jugendpflege, Stadtausschuss für Leibesübungen 555 ,<br />

Jugendpflegestelle und Lichtbildstelle aufgehoben, ihre Funktionen und Etats an das Stadtamt<br />

übertragen wurden. 556 Dessen Leitung übernahm Oberschullehrer Friedrich („Fritz“)<br />

Gerstung 557 vom städtischen Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium, den Wittgen spätestens <strong>im</strong><br />

April 1933 zum „Turn- und Sportkommissar“ bestellt hatte. 558 Für die Verwaltungsarbeiten<br />

wurde Stadtsekretär Rudolf Bode vom Wohlfahrtsamt zum neuen Stadtamt versetzt, das als<br />

<strong>Die</strong>nststelle dem Wohlfahrtsamt angegliedert wurde. Schon vor der offiziellen Bildung des<br />

Stadtamtes hatte Gerstung ohne vorherige Genehmigung Ausgaben getätigt. So hatte er z. B.<br />

vier Fahnen für das Stadion Oberwerth gekauft, deren Kosten Stadtkämmerer Wirtz „des<br />

Uebergangs wegen“ nachträglich genehmigte. 559<br />

Nach den Best<strong>im</strong>mungen des Stadtamtes mussten alle in der Jugendpflege tätigen Vereine<br />

ihre Loyalität zur Regierung Hitlers erklären. Politisch unzuverlässige Mitglieder waren von<br />

Ämtern ausgeschlossen. Es galt der völkische Grundsatz, was den Ausschluss aller jüdischen<br />

Mitglieder bedeutete. Außerdem mussten alle Sportvereine das Wehrturnen einführen. 560<br />

552 Zur „Gauschulungsburg“ vgl. Weiß: Metternich, S. 67 f.<br />

553 LHAKo Best. 856 Nr. 110984, „Lehrplan für den 3. kommunalpolitischen Lehrgang für Kriegsversehrte.<br />

Gauamt für Kommunalpolitik auf der Gauschulungsburg <strong>Koblenz</strong>-Metternich“, 24.7.1944-12.8.1944. <strong>Die</strong><br />

Referenten waren Müller, Trampp, Fuhlrott, Plönissen, Klose, Gerhards, Oehl, Meyer, Berg und Bellinghausen.<br />

554 VB 1933-1937, S. 83.<br />

555 Sportkommissar Gerstung hatte den Stadtausschuss für Leibesübungen, dessen Vorsitzender Beigeordneter<br />

Dahm war, bereits zuvor aufgelöst; StAK 623 Nr. 5788, S. 38.<br />

556 StAK 623 Nr. 7214, S. 250.<br />

557 * 7.3.1885 Rheydt, + 3.12.1965 München, von Carl <strong>Die</strong>m ausgebildeter Turn- und Sportlehrer, selbst<br />

national erfolgreicher Leichtathlet, Vereinstrainer, u. a. „Oberturn- und Sportwart“ der <strong>Koblenz</strong>er Turnerschaft<br />

e. V. und des Fußballclubs <strong>Koblenz</strong>, 1946 Entlassung ohne Pension. StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 13; ebd. Nr.<br />

3898, S. 492; ebd. Nr. 6651, S. 76; Hans Peter Volkert: Turn-, Sport-, Spielvereine in <strong>Koblenz</strong>. Von den<br />

Anfängen bis zur Entfaltung 1815 bis 1945. <strong>Koblenz</strong> 1985, S. 25; Thomas Schnitzler: Geschichte des Turnens<br />

am Mittelrhein. Bd. 2/3: Vom nationalen Körperkult zum modernen Sport. Bad Kreuznach o. J., S. 365;<br />

Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die Regierungen in <strong>Koblenz</strong> und<br />

Montabaur, Nr. 25, 1. Jg. (1946), S. 240. Zu seinem Verhalten gegenüber einem durch Kinderlähmung<br />

behinderten jüdischen Jungen, dessen Leistungsfähigkeit er durch sportliche Herausforderungen<br />

wiederherzustellen half, vgl. Hermann: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong>, S. 22.<br />

558 NB, 27.4.1933: Zum Tag der nationalen Arbeit.<br />

559 StAK 623 Nr. 5788, S. 38-54, Zitat S. 47; ebd. Nr. 6240, S. 288; ebd. Nr. 6869, S. 574 f.<br />

560 NB, 25.4.1933: Stadtamt für Leibesübungen; Hermann: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong>, S. 27.


158<br />

Gegen widerstrebende Vereine wie den Tennisverein <strong>Koblenz</strong> wurden nicht näher<br />

bezeichnete „Maßnahmen“ ergriffen. Eine Mitgliederversammlung unter dem Vorsitz<br />

Gerstungs sorgte dann für die Wahl eines neuen Vorstands. 561 Der Vereinswechsel Aktiver<br />

war von der Genehmigung des Stadtamtes abhängig, <strong>im</strong> Übrigen wurde der Beitritt in die HJ<br />

empfohlen. 562 Ansonsten trat das Stadtamt durch die Organisation der verschiedensten<br />

Sportfeste und sportlicher Programmpunkte bei Veranstaltungen häufig in Erscheinung. 563<br />

<strong>Die</strong> andernorts belegte Mitwirkung des Stadtamtes bei der Zerschlagung der Arbeiter-<br />

sportvereine 564 ist für <strong>Koblenz</strong> anzunehmen, aktenmäßig aber nicht überliefert.<br />

Am 2. August 1933 erklärte Wittgen die Tätigkeit Gerstungs als Sportkommissar für beendet<br />

und ernannte ihn zum Stadtsportführer. Auf Vorschlag Wittgens ernannte der Regierungs-<br />

präsident Gerstung am 12. August außerdem zum Stadtjugendpfleger sowie die Kinder-<br />

gärtnerin und BDM-Führerin Gertrud Disserré zur Stadtjugendpflegerin. Den bisherigen<br />

Amtsinhabern, Rektor Wilhelm Wittmann sowie der Volksschullehrerin und ehemaligen<br />

Zentrums-Stadtverordneten Helene Rothländer, sollte Wittgen Turners „besten Dank“<br />

übermitteln. 565<br />

4.3 <strong>Die</strong> Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung bis 1935<br />

4.3.1 Rechtliche Grundlagen<br />

<strong>Die</strong> Rheinische Städteordnung von 1856 hatte dem Oberbürgermeister bereits weit reichende<br />

Rechte eingeräumt. Das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933<br />

(GVG), das am 1. Januar 1934 in Kraft trat, führte das Führerprinzip ein und machte aus dem<br />

Gemeinderat ein nur noch beratendes Gremium, dessen Mitglieder nicht mehr gewählt<br />

wurden. <strong>Die</strong> Berufung der Gemeinderäte erfolgte auf Vorschlag des Gauleiters durch die<br />

Aufsichtsbehörde, wobei alle zwei Jahre jeweils ein Drittel ausscheiden sollte. Erstmals<br />

waren für eine Partei – die NSDAP – Mitwirkungsrechte und automatische Mandate<br />

vorgesehen. Kraft ihres Amtes waren der oberste örtliche NSDAP-Leiter sowie der<br />

rangälteste SA- oder SS-Führer Gemeinderäte. <strong>Die</strong> übrigen „Ratsherren“, wie die Gemeinde-<br />

räte jetzt hießen, sollten „verdiente Männer“ aus den Berufsständen sein, denen die Gemeinde<br />

ihr typisches Gepräge verdankte, wodurch ein pseudorepräsentativer Charakter geschaffen<br />

561 NB, 5.7.1933: <strong>Die</strong> Maßnahmen gegen den Tennisverein <strong>Koblenz</strong> aufgehoben; Thill: Lebensbilder, S. 51.<br />

562 NB, 15.7.1933: Stadtamt für Leibesübungen. Vereinswechsel Aktiver.<br />

563 Beispiele: NB, 7.7.1933: Stadtamt für Leibesübungen; NB, 5.9.1933: Im Geiste Jahns.<br />

564 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 62; Holger Garbs: Das Stadtamt für Leibesübungen und<br />

die Gleichschaltung des Sports. In: Schreibtischtäter? Einblicke in die <strong>Stadtverwaltung</strong> Hannover 1933 bis 1945<br />

(Kleine Schriften des Stadtarchivs Hannover 2). Bearb. v. Wolf-<strong>Die</strong>ter Mechler und Hans-<strong>Die</strong>ter Schmid.<br />

Hannover 2000, S. 17-22, hier S. 19 f.<br />

565 StAK 623 Nr. 6240, S. 355-359, Zitat S. 357; NB, 13.7.1933: Staatlich geförderte Jugendpflege.


159<br />

werden sollte. 566 <strong>Die</strong> anfängliche Unsicherheit bei der Umsetzung des neuen Gemeinderechts,<br />

das keinen Mehrheitsbeschluss mehr kannte, spiegeln die Protokolle. Während bei der<br />

Ratsherrensitzung vom 5. Dezember 1934 zu den Tagesordnungspunkten noch jeweils die<br />

zust<strong>im</strong>mende Kenntnisnahme der Ratsherren vermerkt ist, obwohl ihre Zust<strong>im</strong>mung gar nicht<br />

mehr erforderlich war, findet sich in der Niederschrift vom 31. Januar 1935 erstmals die neue<br />

Standardformulierung „Entschließung des Oberbürgermeisters“. 567<br />

Reichsweit vereinheitlichte dann die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935<br />

(DGO) mit ihrem Inkrafttreten am 1. April 1935 das zersplitterte Kommunalverfassungsrecht.<br />

Auch sie stellte gemäß dem Führerprinzip den Oberbürgermeister an die Spitze der<br />

Verwaltung. Er trug die alleinige Verantwortung, während ihm weisungsgebundene<br />

Beigeordnete für die einzelnen Fachressorts zur Seite standen. Das Gesetz sah die<br />

Verankerung der NSDAP als Staatspartei vor, die über den „Beauftragten der Partei“ wichtige<br />

Mitwirkungsrechte erhielt. 568 Doch schon vor diesen gesetzlichen Neuregelungen gelang es<br />

der NSDAP auch in <strong>Koblenz</strong>, die Rechte des am 12. März 1933 gewählten Selbstver-<br />

waltungsorgans, der Stadtverordnetenversammlung, entscheidend auszuhebeln.<br />

4.3.2 <strong>Die</strong> Entmachtung der Stadtverordnetenversammlung<br />

<strong>Die</strong> konstituierende Sitzung der neu gewählten Stadtverordnetenversammlung fand am<br />

29. März statt. Von den beiden Mandatsträgern der KPD war der Buchhändler Richard Christ<br />

auf Anweisung des preußischen Reichskommissars wegen generellen Hochverratsverdachts<br />

nicht geladen worden 569 und der Schneider Max Krause hatte sein Mandat erst gar nicht<br />

angenommen bzw. annehmen können, denn er befand sich „seit einiger Zeit“ in Schutzhaft. 570<br />

Der Einladung Wittgens in die festlich geschmückte Stadthalle waren auch Vertreter vieler<br />

566<br />

PrGS, S. 427; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 121-123; <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat,<br />

S. 135-142.<br />

567<br />

StAK 623 Nr. 7215, S. 5-24, Zitat S. 24.<br />

568<br />

RGBl. I, S. 49; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 132-164; <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat,<br />

S. 142-161. <strong>Die</strong> DGO wurde in Rheinland-Pfalz durch das Selbstverwaltungsgesetz vom 27.9.1948 aufgehoben;<br />

GVBl., S. 335.<br />

569<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 303. Christ wurde als Schutzhäftling <strong>im</strong> Juli 1933 u. a. durch den <strong>Koblenz</strong>er SS-Mann<br />

Emil Faust so schwer misshandelt, dass er 1935 <strong>im</strong> Alter von 38 Jahren an den Spätfolgen in<br />

Toulouse/Frankreich starb. Vgl. LHAKo Best. 584,1 Nr. 1085 (unpaginiert), Arthur Huwe vom 1.4.1949; Hans-<br />

Peter Klausch: Tätergeschichten. <strong>Die</strong> SS-Kommandanten der frühen Konzentrationslager <strong>im</strong> Emsland (DIZ-<br />

Schriften 13). Bremen 2005, S. 215-264, hier S. 220. Zu Faust vgl. Kapitel 7.2.12.<br />

570<br />

KGA, 28.3.1933: Weitere Maßnahmen gegen Kommunisten. Krause, * 17.5.1882 Steinau an der Oder, war<br />

<strong>im</strong> März/April 1933 acht Wochen in Schutzhaft, seine Bücher wurden von der Gestapo beschlagnahmt, einen<br />

Teil verbrannte er selbst aus Angst vor einer Hausdurchsuchung. Im August/September 1944 erneute Haft, am<br />

6.11.1944 ausgebombt. Krauses Frau Berta geb. Rutsch wurde 1933 ebenfalls verhaftet und wegen Hitlerfeindlicher<br />

Reden zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Dort zog sie sich ein Herzleiden zu, sie starb 1943 mit<br />

46 Jahren. Aufgrund von Drohungen, ihnen die beiden Söhne zu entziehen, gab Krause sie 1933/34 außerhalb in<br />

Pflege. Später hatten die Jungen Schwierigkeiten, Lehrstellen zu finden. LHAKo Best. 540,1 Nr. 1167.


160<br />

anderer <strong>Koblenz</strong>er Behörden gefolgt, 571 auch die Bevölkerung nahm sehr regen Anteil<br />

(Abb. 7). Das Sitzungsprotokoll berichtet: „Auf dem Podium des Saales saß an einem<br />

Quertisch die <strong>Stadtverwaltung</strong>. Vor diesem nahmen die Abgeordneten parteiweise Platz, die<br />

Mitglieder der N.S.D.A.P. in Braunhemden, die übrigen <strong>im</strong> dunklen Anzug. <strong>Die</strong> Sitzung, die<br />

einen feierlichen Akt darstellte, wie ihn die Stadt <strong>Koblenz</strong> noch nie zu verzeichnen hatte,<br />

wurde eingeleitet durch ein Orgelspiel aus der Fantasie G.-moll von Joh. Seb. Bach […].“<br />

Nach Eröffnung der Sitzung führte Wittgen aus, dass einige Stadtverordnete, nämlich Jean<br />

Elsner (SPD), Josef Kirsch, Edmund Lauth, Jean Stein (alle Zentrum) und Georg Sauerborn<br />

(Deutscher Block), ihr Mandat nicht annehmen dürften, da sie ein anderes öffentliches Amt<br />

bekleideten, was der neuen „Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen<br />

Verwaltung“ vom 22. März 572 widerspreche. Ersatzmänner seien so kurzfristig noch nicht<br />

bestellt worden. Nachdem Wittgen die neuen Stadtverordneten einzeln durch Handschlag<br />

verpflichtet hatte, wandte er sich an die anwesenden Volksgenossen. Der kommissarische<br />

Oberbürgermeister versprach ihnen ein „Vorwärts und Aufwärts durch die entschlossene Tat“<br />

und beschwor vor der Öffentlichkeit die Pflichttreue des Beamten: „<strong>Die</strong> Beamtenschaft hat<br />

noch nie versagt, wenn es galt, dem Vaterland zu dienen; sie darf auch jetzt nicht<br />

versagen. – Der Typ des Beamten, wie wir ihn brauchen, ist und muss bleiben, der<br />

hochwertige Berufsbeamte mit eingehender fachlicher Ausbildung, der Mann, der unbeirrbar<br />

gerecht jedem Bürger gegenübersteht, innerlich unabhängig und frei und nur durch seine<br />

Pflicht gebunden. Das ist unsere unbeugsame Forderung. Wo der Zustand nicht erreicht sein<br />

sollte, werden wir ihn herstellen.“ Alle Anwesenden st<strong>im</strong>mten danach „begeistert und<br />

andachtsvoll“ in das Deutschlandlied ein. 573<br />

Es folgte der ansonsten einzige Tagesordnungspunkt, dem ein Antrag der NSDAP-Fraktion<br />

zugrunde lag, nämlich die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Adolf Hitler. Als Wittgen<br />

den Antrag bekannt gab, erhob sich „ein ungemein lebhafter Sturm der Begeisterung und des<br />

Jubels, wie ihn die Stadthalle wohl nie erlebt haben dürfte“. 574 Wortmeldungen verzeichnete<br />

Wittgen keine, <strong>im</strong> Protokoll heißt es: „Sodann lässt der komm. Oberbürgermeister abst<strong>im</strong>men.<br />

<strong>Die</strong>ser stellt fest und teilt mit, daß der Antrag einst<strong>im</strong>mig angenommen ist. Unmittelbar nach<br />

der Abst<strong>im</strong>mung erheben sich die sozialdemokratischen Stadtverordneten Rummel 575 und<br />

Frau Detzel 576 und versuchten dadurch gegen die Annahme des Antrages zu st<strong>im</strong>men. <strong>Die</strong><br />

571<br />

StAK 623 Nr. 6187, S. 299-302, 305, 308-310. So antwortete z. B. der Präsident des Evangelischen<br />

Konsistoriums, seine Teilnahme sei zwar sonst nicht üblich, doch er werde „in Rücksicht auf die<br />

aussergewöhnliche Lage der Verhältnisse der Einladung Folge leisten“; ebd. S. 305.<br />

572<br />

PrGS, S. 67. <strong>Die</strong> VO bot den Nationalsozialisten die Handhabe, unliebsame Mandatsträger auszuschalten<br />

bzw. die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der NSDAP zu verschieben.<br />

573<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 198-201, Zitate S. 198 f. und Anlage 2 nach S. 199 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

574<br />

KGA, 30.3.1933: <strong>Die</strong> Ernennung Hitlers zum Ehrenbürger.<br />

575<br />

Veit Rummel, * 29.1.1871 Modelsmühle, Bezirksamt Scheinfeld, + 7.8.1937 <strong>Koblenz</strong>; StAK, Standesamt<br />

<strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 720/1937.<br />

576<br />

Maria Detzel geb. Rath, * 6.4.1892 Güls, + 5.7.1965 Güls (heute <strong>Koblenz</strong>), Kriegerwitwe, Handelsschule,<br />

1918-1924 Hauptversorgungsamt <strong>Koblenz</strong>, 1927-1933 Geschäftsführerin <strong>im</strong> Reichsbund der Kriegsopfer für den<br />

Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong>, 1938-1944 Sekretärin, 1944 Verhaftung, Juli 1945 Regierungsrätin bei der


161<br />

beiden sozialdem. Stadtverordneten wurden daraufhin unter anhaltenden Protestrufen der<br />

Anwesenden von S.S.-Leuten aus dem Saale geführt.“ 577 Das Abst<strong>im</strong>mungsverfahren<br />

beschreibt der General-Anzeiger etwas ausführlicher, wenn auch kaum weniger undurch-<br />

sichtig: „Auf die Frage des Vorsitzenden, wer zu diesem Antrag das Wort wünscht, werden<br />

keine Wortmeldungen angezeigt. Der Oberbürgermeister n<strong>im</strong>mt die Abst<strong>im</strong>mung vor, und als<br />

er die Feststellung trifft, daß niemand gegen die Ernennung st<strong>im</strong>me und die Ernennung<br />

Hitlers zum Ehrenbürger erfolgt sei, erhebt sich erneut ein ungewöhnlicher Begeisterungs-<br />

sturm, der das ganze Haus erfüllt und kein Ende nehmen will. […] Unmittelbar nach der<br />

Abst<strong>im</strong>mung erheben sich doch die sozialdemokratischen Stadtverordneten Rummel und Frau<br />

Detzel, worauf die Versammlung laut ihren Unwillen bekundet und mehrere National-<br />

sozialisten Veranlassung nehmen, die beiden sozialdemokratischen Stadtverordneten aus dem<br />

Saale zu entfernen.“ 578 Der Bericht der Volkszeitung bringt wichtige Nuancen, die auf einen<br />

massiveres physisches Vorgehen gegen Detzel und Rummel schließen lassen: „Es erfolgten<br />

keine Wortmeldungen und der Oberbürgermeister stellte fest, daß der Antrag angenommen<br />

worden ist. Da die beiden Vertreter der SPD, die Stadtverordneten Rummel und Frau Detzel,<br />

zunächst keinen Widerspruch erhoben, bei der Feststellung des Abst<strong>im</strong>mungsergebnisses, als<br />

die Entscheidung schon gefallen war, sich aber von ihren Plätzen erhoben, um damit ihre<br />

Ablehnung zum Ausdruck zu bringen, wurden sie aus dem Saal gedrängt.“ 579 Danach sieht es<br />

so aus, als habe Wittgen das Fehlen von Wortmeldungen schnell als die einst<strong>im</strong>mige<br />

Annahme des Antrags interpretiert. Das würde den verspäteten Protest von Maria Detzel und<br />

Veit Rummel erklären, die auf die – nicht kommende – Gelegenheit gewartet hatten, mit Nein<br />

st<strong>im</strong>men zu können.<br />

In seinem pathetischen Schlusswort feierte Wittgen den Tag, der in goldenen Lettern in die<br />

Geschichtsblätter der Stadt eingeschrieben werden müsste und an dem sich die „treudeutsche“<br />

Stadt durch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an „den Deutschesten der Deutschen, den<br />

Ritter ohne Furcht und Tadel“ selbst geehrt habe. Nach einem dreifachen „Sieg-Heil“ auf den<br />

ältesten lebenden Ehrenbürger, Reichspräsident von Hindenburg, und den jüngsten Ehren-<br />

bürger, Adolf Hitler, schloss Wittgen die Sitzung. Anschließend sang die Versammlung das<br />

Bezirksregierung <strong>Koblenz</strong>, 1946 kommissarische Leitung des Landesversorgungsamtes und Ernennung zur<br />

Oberregierungsrätin, 1954 Regierungsdirektorin, 1957 Pensionierung; 1929-1933 Stadtverordnete, 1945/46<br />

Bürgerratsmitglied, 1946-1962 Stadtratsmitglied; Trägerin der Freiherr-vom-Stein-Plakette und des<br />

Bundesverdienstkreuzes. Walter Rummel (Bearb.): <strong>Die</strong> Protokolle des Ministerrats von Rheinland-Pfalz.<br />

Provisorische Regierung Boden und Erste Regierung Altmeier. 1.-109. Ministerratssitzung (2.12.1946 -<br />

29.12.1948) (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Sonderreihe<br />

Ministerratsprotokolle 1; Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes<br />

Rheinland-Pfalz 27). <strong>Koblenz</strong> 2007, S. 649, Anm. 2.<br />

577 StAK 623 Nr. 7214, S. 200.<br />

578 KGA, 30.3.1933: <strong>Die</strong> Ernennung Hitlers zum Ehrenbürger.<br />

579 KVZ, 30.3.1933: Eröffnung des <strong>Koblenz</strong>er Stadtparlaments. Gottwald schreibt ohne Quellenangabe: „In<br />

Wirklichkeit wurden sie aus dem Saal geprügelt!“ Reinhold Gottwald: 80 Jahre SPD in Rat und Verwaltung der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> 1919 bis 1999. Eine Dokumentation. Hg. v. der SPD-Stadtratsfraktion <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1999, S.<br />

11.


162<br />

Horst-Wessel-Lied. Der Nebensatz des Protokolls, alle Anwesenden hätten begeistert<br />

eingest<strong>im</strong>mt, wurde später auf Antrag der Zentrumsfraktion gestrichen. 580<br />

Über die Verleihung der Ehrenbürgerrechte informierte Wittgen den Geehrten noch am selben<br />

Tag per Telegramm und versicherte, <strong>Koblenz</strong> werde „treue Wacht am Rhein halten, wie zu<br />

allen Zeiten.“ 581 Der vom Maler Hanns Sprung gestaltete Ehrenbürgerbrief wurde <strong>im</strong> April<br />

für einige Tage in einem Blumengeschäft in der Löhrstraße ausgestellt. In seinem Text hieß<br />

es, die Ehrenbürgerwürde sei „einmütig beschlossen“ worden. 582 Hitler übermittelte am<br />

27. April seinen „ergebensten Dank“ für die Ehrung, 583 die ihm in den ersten Monaten nach<br />

der Machtergreifung <strong>im</strong> ganzen Reich inflationsartig zuteil wurde. 584 Wittgen schlug dem<br />

Reichskanzler am 11. Mai die – noch außerhalb des Stadtgebiets gelegene – Festung<br />

Ehrenbreitstein als Standort für das geplante Reichsehrenmal 585 vor und lud ihn „herzlichst“<br />

zu einer persönlichen Besichtigung ein. 586 Wenige Wochen später, am 2. Juni, passierte der<br />

neue Ehrenbürger mit einer Wagenkolonne die Stadt. Er wurde am Deutschen Eck erkannt,<br />

setzte die Fahrt aber fort „ohne anzuhalten“. 587 <strong>Die</strong> Besichtigung des Ehrenbreitsteins fand<br />

zwar ohne Hitler, aber durch ranghohe Parteivertreter wie Reichsführer-SS Heinrich H<strong>im</strong>mler<br />

und SA-Stabschef Ernst Röhm schon am 21. August 1933 <strong>im</strong> Beisein Wittgens statt. 588<br />

<strong>Die</strong> zweite Stadtverordnetensitzung am 19. April 1933 fand wieder <strong>im</strong> gewohnten Rahmen<br />

des großen Rathaussaales statt. Sie bedeutete einen Meilenstein auf dem Weg zur Kaltstellung<br />

dieses Selbstverwaltungsgremiums und musste auch der Öffentlichkeit die Geringschätzung<br />

des Kommunalparlaments durch die NSDAP-Mandatsträger (Abb. 8) offenbaren. Be<strong>im</strong><br />

Zentrum hatte nach der Märzwahl ein Wechsel <strong>im</strong> Fraktionsvorsitz stattgefunden. Loenartz<br />

gehörte der Stadtverordnetenversammlung zwar noch an, konzentrierte sich jetzt aber auf<br />

580 StAK 623 Nr. 7214, S. 200 f., Zitate S. 200. Zentrums-Fraktionsführer Henrich wies am 12.5.1933 darauf hin,<br />

dass nicht alle mitgesungen hätten. Da die Sitzung bereits vor dem Lied geschlossen worden sei, gehöre das auch<br />

nicht ins Protokoll. Wittgen strich den betreffenden Nebensatz am 29.5.1933. Ebd., S. 207 f.<br />

581 KGA, 30.3.1933: Telegramm an Hitler. Auch zu seinem Geburtstag am 20.4.1933 erhielt Hitler ein<br />

Glückwunschtelegramm der Stadt; KVZ, 21.4.1933: Glückwunsch der Stadt.<br />

582 NB, 22.4.1933: Ausstellung des Ehrenbürgerbriefes für Adolf Hitler.<br />

583 StAK 623 Nr. 7100, Bl. 142 (Zitat); NB, 13.5.1933: Des Führers Dank an <strong>Koblenz</strong>.<br />

584 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 96. Trier verlieh Hitler am 19.4.1933 die<br />

Ehrenbürgerwürde. Der Abst<strong>im</strong>mung blieben zwei Stadtverordnete des Zentrums und einer der SPD fern.<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 527-529.<br />

585 Peter Bucher: <strong>Die</strong> Errichtung des Reichsehrenmals nach dem ersten Weltkrieg. In: JbwestdtLG 7 (1981), S.<br />

359-386. Der „Ausschuß für das Reichsehrenmal auf dem Ehrenbreitstein“ unter Vorsitz des Ehrenbreitsteiner<br />

Bürgermeisters Karl Wagner hatte schon Ostern 1928 eine Denkschrift „Der Ehrenbreitstein als<br />

Reichsehrenmal“ veröffentlicht. Vgl. auch StAK 623 Nr. 6762.<br />

586 BArch R 43-II/1288, Bl. 95. <strong>Die</strong> Reichskanzlei bestätigte <strong>im</strong> Auftrag des Reichskanzlers am 6.6.1933 den<br />

Eingang des Schreibens. Der Reichsinnenminister sei in Kenntnis gesetzt; ebd., Bl. 96. Vgl. NB, 7.6.1933: Der<br />

Oberbürgermeister für das Reichsehrenmal auf dem Ehrenbreitstein.<br />

587 KVZ, 6.6.1933: Der Reichskanzler in <strong>Koblenz</strong>; NB, 6.6.1933: Unser Führer in <strong>Koblenz</strong> (Zitat).<br />

588 Anwesend waren außerdem General Franz Ritter von Epp, Erhard Milch und Wilhelm List. Anschließend gab<br />

es einen Empfang mit Imbiss bei der Firma Deinhard; NB, 22.8.1933: <strong>Die</strong> Reichsführer der SA und SS auf dem<br />

Ehrenbreitstein. Das Projekt erledigte sich, nachdem Hitler am 2.10.1935 das Tannenbergdenkmal zum<br />

Reichsehrenmal erklärt hatte; BArch R 43-II/1288, Bl. 200.


163<br />

seine Arbeit als Landtagsabgeordneter und Staatsrat. 589 Fraktionschef wurde Rechtsanwalt<br />

Franz Henrich 590 , der dem äußersten rechten Parteiflügel angehört haben soll. 591 Henrich<br />

stammte aus den angesehenen Rechtsanwaltsfamilien Henrich und Adams, auch die Familien<br />

Henrich und Loenartz waren versippt. 592 Bisher hatte Henrich für das Zentrum kein<br />

öffentliches Amt bekleidet, offenbar mit Rücksicht auf die Tatsache, dass er ein Schwager<br />

des Erzberger-Attentäters Heinrich Tillessen 593 war. 594<br />

Nach Eröffnung der Sitzung durch Wittgen mit dem jetzt üblichen „Heil-Gruß“ teilte er mit,<br />

dass Detzel und Rummel ihre Mandate niedergelegt hätten, was „mit schallendem Gelächter<br />

entgegengenommen wurde“. 595 Darauf wurden Stein und Kirsch, die ihre Ämter bei der<br />

Ortskrankenkasse inzwischen niedergelegt hatten, als Stadtverordnete eingeführt. NSDAP-<br />

Fraktionsführer Christ stellte dann zwei Dringlichkeitsanträge außerhalb der Tagesordnung.<br />

Der erste lautete auf Entzug der Ehrenbürgerrechte Russells, der nach den laufenden<br />

Ermittlungen die Verantwortung für den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt die<br />

Verantwortung trage. Der zweite Antrag betraf die Umbenennung der Gustav-Stresemann-<br />

Straße in Gustav-S<strong>im</strong>on-Straße, die man be<strong>im</strong> zuständigen Polizeipräsidenten beantragen<br />

wolle. Wer die Persönlichkeit S<strong>im</strong>ons kenne, „der sich hervorragende Verdienste um die<br />

Wiederaufrichtung der deutschen Gesinnung <strong>im</strong> Gaugebiet erworben hat, wird diesen Antrag<br />

verständlich finden.“ Zentrums-Fraktionsführer Henrich äußerte Bedenken zur Dringlichkeit<br />

und beantragte Vertagung, insbesondere müsse man die Vorwürfe gegen Russell erst prüfen.<br />

Daraufhin fertigte Christ ihn ab, „diese Methoden sind überholt. […] Wenn Ihnen das nicht<br />

paßt, Herr Henrich, werden wir die Geschäftsordnung mit sofortiger Wirkung außer Kraft<br />

setzen und eine Beschlußfassung auch gegen Ihren Willen herbeiführen.“ <strong>Die</strong> Anträge wurden<br />

dann gegen die St<strong>im</strong>men des Zentrums angenommen. 596<br />

589<br />

Loenartz war 1933 Mitglied des Preußischen Landtags geworden, von April bis Juli 1933 war er Mitglied des<br />

Preußischen Staatsrats sowie stellvertretender Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Staatsrats. Lilla: Der<br />

Preußische Staatsrat, S. 99.<br />

590<br />

* 15.7.1880 <strong>Koblenz</strong> (Vater Justizrat Clemens Henrich, 1906-1920 Stadtverordneter, 1899/1900 Vorsitzender<br />

des Katholischen Lesevereins), + 3.7.1954 <strong>Koblenz</strong>, nach Jurastudium Eintritt in die Rechtsanwaltspraxis des<br />

Vaters, 1913 Heirat mit Hildegard Tillessen, Gründungs- und Vorstandsmitglied des am 12.12.1933 aufgelösten<br />

Vereins der Rechtsanwälte, Vorsitzender des Katholischen Frauenvereins St. Barbara (Trägerverein des<br />

Waisenhauses), zwei Söhne (beide gefallen), 1946-1951 Präsident des Katholischen Lesevereins, Mitbegründer<br />

der CDP (spätere CDU). Erich Klinge: <strong>Koblenz</strong> und seine Rechtsanwälte (Mittelrheinische Hefte 15). <strong>Koblenz</strong><br />

1988, S. 68-70; StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 677/1954.<br />

591<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Meyers vom 7.9.1933.<br />

592<br />

Ein Bruder von Georg und Anna Loenartz, Amtsgerichtsrat Viktor Loenartz (1873-1955), war mit Henrichs<br />

Schwester Elisabeth (1877-1955) verheiratet; StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunden Nr. 6/1955 und Nr.<br />

363/1955.<br />

593<br />

<strong>Die</strong> Identität der beiden flüchtigen Attentäter war seit 14.9.1921 bekannt. Tillessen starb am 12.11.1984 in<br />

<strong>Koblenz</strong>. Cord Gebhardt: Der Fall des Erzberger-Mörders Heinrich Tillessen. Ein Beitrag zur Justizgeschichte<br />

nach 1945 (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 14). Tübingen 1995; KVZ, 14.9.1921:<br />

Entdeckung der Mörder Erzbergers; StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1587/1984.<br />

594<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886: Meyers vom 7.9.1933. Solche Rücksichten waren<br />

jetzt nicht mehr nötig, da der Mord unter die Amnestie für politische Straftaten gemäß VO des Reichspräsidenten<br />

über die Gewährung von Straffreiheit vom 21.3.1933 fiel; RGBl. I, S. 134.<br />

595<br />

NB, 20.4.1933: Gustav-S<strong>im</strong>on-Straße.<br />

596<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 201-204, Zitate S. 204.


164<br />

Weiter ging es mit der Wahl der Ausschüsse. Neben den bisher üblichen Fachausschüssen<br />

sollte ein Beschlussausschuss gebildet werden, dem nahezu sämtliche Kompetenzen<br />

übertragen werden sollten: Bildung, Zusammensetzung und Zuständigkeitsregelung der<br />

städtischen Ausschüsse; Entscheidung über jegliche Wahlen, ausgenommen der Wahl des<br />

Oberbürgermeisters und der Beigeordneten; Festsetzung des Haushaltsplans; Prüfung und<br />

Feststellung der Jahresrechnung sowie Entlastung; Festsetzung und Erhebung von Abgaben,<br />

Gebühren und Benutzungstarifen; Personal- und Besoldungsangelegenheiten; Fürsorge-<br />

sowie Grundstücksangelegenheiten. 597 Henrich meldete rechtliche Bedenken an. Der<br />

Bildung dieses Ausschusses führe zur Ausschaltung der Stadtverordnetenversammlung bei<br />

allen Beschlüssen. Sein Hauptbedenken richte sich gegen die geplante gehe<strong>im</strong>e Tagung<br />

des Ausschusses, also den Ausschluss der Öffentlichkeit, was den Grundsätzen der<br />

Zentrumspartei widerspreche. Christ erklärte kurz und bündig, es könne weder rechtliche<br />

noch sachliche Bedenken geben, ein solcher Ausschuss könne wirkungsvollere Arbeit leisten<br />

als eine Versammlung von 44 Stadtverordneten. In diesem Zusammenhang gebrauchte er das<br />

abschätzige Wort vom „Quatschplenum“ bzw. „Quatschparlament“ 598 . Christ beantragte, den<br />

Beschlussausschuss aus den Mitgliedern des Finanz- und Verfassungsausschusses zu bilden.<br />

<strong>Die</strong> Zusammensetzung der einzelnen Fachausschüsse nach einem Parteienschlüssel wurde<br />

dann einst<strong>im</strong>mig gebilligt, be<strong>im</strong> Beschlussausschuss verweigerte das Zentrum seine<br />

St<strong>im</strong>men. <strong>Die</strong> Einsetzung des Beschlussausschusses bedeutete faktisch die fast voll-<br />

ständige Entmachtung des Kommunalparlaments, die auch andernorts – in Trier erst am<br />

20. September 599 – stattfand. Mit dreifachem Sieg-Heil auf Hindenburg und Hitler schloss<br />

Wittgen die Sitzung, die, wie das Nationalblatt zufrieden anmerkte, „in einer knappen halben<br />

Stunde erledigt“ war. 600 <strong>Die</strong>se Diskreditierung politischer Debatten und pluralistischer<br />

Vielfalt zugunsten eines vermeintlich entschlossenen Anpackens der Probleme konnte nach<br />

den Erfahrungen aus der Spätphase der We<strong>im</strong>arer Republik mit breiter Zust<strong>im</strong>mung<br />

rechnen. 601<br />

<strong>Die</strong> ihm angetragene Ehrung durch eine Straßenbenennung lehnte Gustav S<strong>im</strong>on in einem<br />

offenen Brief an Wittgen vom 28. April 1933 ab. Der Grund dafür dürfte weniger in seiner<br />

demonstrativen Bescheidenheit gelegen haben. S<strong>im</strong>on dürfte bekannt gewesen sein, dass der<br />

am 19. April neu eingeführte Polizeipräsident August Wetter 602 die Umbenennung aus<br />

597 StAK 623 Nr. 7214, S. 205. In der Auflistung der Zuständigkeiten des Beschlussausschusses in Anlage 2 zur<br />

am 4.8.1933 beschlossenen Geschäftsordnung fehlt der erstgenannte Punkt „Bildung, Zusammensetzung,<br />

Rechtszuständigkeit der städtischen Ausschüsse“; ebd. Nr. 6532, S. 473.<br />

598 Ausspruch <strong>im</strong> Protokoll nicht erwähnt, aber in den Zeitungsberichten. NB, 20.4.1933: Gustav-S<strong>im</strong>on-Straße;<br />

KVZ, 20.4.1933: Bildung der städtischen Ausschüsse.<br />

599 Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung, S. 125. In Augsburg wurde per Geschäftsordnung ein<br />

„Ferienausschuss“ einberufen, in Hannover wurden die Aufgaben des Gemeindeparlaments einem<br />

„Hauptausschuss“ übertragen; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 53.<br />

600 StAK 623 Nr. 7214, S. 204-209; NB, 20.4.1933: Gustav-S<strong>im</strong>on-Straße (Zitat).<br />

601 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 93.<br />

602 NB, 20.4.1933: Feierliche Einführung des neuen <strong>Koblenz</strong>er Polizeipräsidenten; KVZ, 20.4.1933: Der neue<br />

Polizeipräsident; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 501 f.


165<br />

rechtlichen Gründen 603 ohnehin hätte ablehnen müssen. Stattdessen bat S<strong>im</strong>on, die Straße<br />

wieder wie früher Kronprinzenstraße zu benennen oder nach dem ersten Märtyrer „dieses<br />

Kampfgebietes“, Wilhelm Wilhelmi, was dann auch geschah. 604 Der Entzug der Ehren-<br />

bürgerrechte Russells scheiterte erstaunlicherweise an Wittgen. Henrich hatte sich am<br />

20. April mit einer Eingabe an den Regierungspräsidenten gewandt und Russell selbst am<br />

26. April von seinem Alterswohnsitz Bad Godesberg aus an den Preußischen Innenminister.<br />

<strong>Die</strong>ser setzte sich sowohl mit der <strong>Koblenz</strong>er Regierung als auch der <strong>Stadtverwaltung</strong> in<br />

Verbindung und stellte am 17. Juli fest, dass der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung<br />

nach der Rheinischen Städteordnung unwirksam war, weil der kommissarische Oberbürgermeister<br />

ihm nicht beigetreten war. Russell blieb also Ehrenbürger von <strong>Koblenz</strong>. 605<br />

Wittgen bedachte Russell später mit Glück- und Segenswünschen zu den Jahreswechseln, sein<br />

Nachfolger S<strong>im</strong>mer schickte dem „verdienten Ehrenbürger“ <strong>im</strong> Januar 1940 zum<br />

70. Geburtstag 70 Flaschen Wein als Präsent der Stadt. 606<br />

Der Beschlussausschuss tagte zum ersten Mal am 4. Mai. Neben Wittgen, Bürgermeister<br />

Binhold, den Beigeordneten Wirtz, Dahm, Ochs und Stadtbaurat Neumann sowie<br />

Stadtinspektor Schroeder als Protokollführer nahmen die in das Gremium gewählten<br />

Stadtverordneten Born, Christ, Frischling, Hildebrandt, Loeven, Michels, Trapp, Bauer, Franz<br />

Henrich, Weber, Karl Henrich, Kirsch und Schütz an der Sitzung teil. Wichtigster<br />

Tagesordnungspunkt war <strong>im</strong> Rahmen des geplanten Umbaus der Pfaffendorfer Brücke der<br />

Erwerb der Rheinanschlusskaserne vom Reich für 110.000 RM. 607 Bereits am 15. Mai folgte<br />

die nächste Sitzung. In den Stadtausschuss wurden Christ und Trapp für die NSDAP, Franz<br />

Henrich für das Zentrum und Karl Bornemann für den Block Schwarz-Weiß-Rot gewählt,<br />

Letzterer jedoch nur unter der Voraussetzung, dass er seine arische Abstammung einwandfrei<br />

nachweise. Schon in der letzten Stadtverordnetensitzung hatte Christ für Wirbel gesorgt, 608 als<br />

er dem Deutschen Block bei der Nominierung Bornemanns als Ersatzmann für Sauerborn<br />

geraten hatte, erst einmal dessen Rassereinheit zu prüfen. Mit der anschließenden Änderung<br />

603 Göring hatte erlassen, dass Straßenbenennungen nur nach Hindenburg, Hitler oder Gefallenen der nationalen<br />

Bewegung erfolgen dürften, worauf die KVZ bereits in ihrer Berichterstattung zum Antrag verwiesen hatte;<br />

KVZ, 20.4.1933: Bildung der städtischen Ausschüsse. Vgl. auch StAK 623 Nr. 8116, S. 29.<br />

604 NB, 29.4.1933: Gauleiter S<strong>im</strong>on an Oberbürgermeister Wittgen. Als es 1930 um die Umbenennung der<br />

Kronprinzenstraße in Stresemannstraße gegangen war, hatte der Stadtverordnete S<strong>im</strong>on die politische Bedeutung<br />

Stresemanns angezweifelt, außerdem wäre es „überhaupt nicht empfehlenswert, daß Straßen nach<br />

Parteipolitikern benannt würden“; KGA, 31.7.1930: Straßenbau und Straßenbenennung. <strong>Die</strong> Straße hieß dann<br />

von 1945 bis 1948 wieder Kronprinzenstraße, auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 22.4.1948<br />

erfolgte die erneute Umbenennung in Stresemannstraße; StAK 623 Nr. 6037, S. 6.<br />

605 StAK 623 Nr. 6130, S. 245 f. Vgl. auch Einträge in den Adressbüchern, wo die Ehrenbürger <strong>im</strong><br />

Einwohnerverzeichnis stets an erster Stelle genannt werden; AB 1935/36, S. II 2; AB 1937/38, S. II 2.<br />

606 StAK 623 Nr. 6672, S. 275, 281-290. Bei Gries/Hennig heißt es fälschlich, Oberbürgermeister Dr. Wilhelm<br />

Guske habe 1946 für die Wiederherstellung der Ehrenbürgerrechte von Russell und Oberpräsident Fuchs<br />

gesorgt. <strong>Die</strong>s trifft aber nur für Fuchs zu. Renate Gries/Joach<strong>im</strong> Hennig: Kontinuität und Wandel <strong>im</strong> preußischen<br />

Beamtentum. Zur Erinnerung an Dr. Wilhelm Guske (1879-1957). In: JbwestdtLG 32 (2006), S. 397-468, hier S.<br />

461 f.<br />

607 StAK 623 Nr. 7214, S. 240-247.<br />

608 Wortmeldung <strong>im</strong> Protokoll nicht erwähnt, aber in den Zeitungsberichten. NB, 20.4.1933: Gustav-S<strong>im</strong>on-<br />

Straße; KVZ, 20.4.1933: Bildung der städtischen Ausschüsse.


166<br />

der Satzung des Wohlfahrtsamtes vom 1. September 1927 räumte der Beschlussausschuss der<br />

NSBO einen Sitz <strong>im</strong> Wohlfahrtsausschuss ein und damit erstmals der Gliederung einer Partei<br />

neben den Institutionen der konfessionellen und freien Wohlfahrtspflege. Dem Wohlfahrts-<br />

ausschuss gehörten jetzt je ein Vertreter der katholischen Caritas, des evangelischen Jugend-<br />

und Wohlfahrtsamtes, der NSBO und der Christlichen Arbeiterhilfe an. Auch die Satzung des<br />

Jugendamtes vom 16. März 1931 wurde geändert, das Jugendamtskollegium stark verkleinert.<br />

Mit einem wirtschaftspolitischen Antrag konnte die NSDAP-Fraktion einen einst<strong>im</strong>migen<br />

Erfolg verbuchen. Er richtete sich gegen den Bau von Tankstellen, die einem Konzern<br />

angehörten. 609<br />

Der Beschlussausschuss trat am 26. Mai 1933 wieder zusammen. Auf der Tagesordnung stand<br />

die Fortführung des Theaterbetriebs, die trotz des hohen Fehlbetrags aus der letzten Spielzeit<br />

mehrheitlich in der Erwartung beschlossen wurde, dass ein nennenswerter staatlicher<br />

Zuschuss gewährt werde. Als neuer Intendant wurden der bisherige Oberspielleiter des<br />

Schauspiels be<strong>im</strong> Stadttheater Dortmund, Dr. Hans Preß 610 , und als städtischer Musikdirektor<br />

und gleichzeitiger musikalischer Leiter des Musik-Instituts Kapellmeister Wolfgang Martin 611<br />

aus Düsseldorf bestätigt, die der Theaterausschuss bereits einst<strong>im</strong>mig gewählt hatte. Dann<br />

wurden die neuen Mitglieder des Stadtausschusses, darunter auch der inzwischen für<br />

„rasserein“ befundene Bornemann, in ihr Amt eingeführt. Als Neuerung wurde beschlossen,<br />

dass der Presse diejenigen Beschlüsse zukommen sollten, die dem Oberbürgermeister für eine<br />

Veröffentlichung geeignet erschienen. 612 <strong>Die</strong> Überlieferung zum Beschlussausschuss, der<br />

noch bis zur Einführung der Ratsherren 1934 – zuletzt als „vorläufiger Gemeinderat“ –<br />

tagte, 613 endet mit dieser Sitzung. 614 <strong>Die</strong> Presse meldete <strong>im</strong> September 1933 das Ausscheiden<br />

von Henrich, an dessen Stelle der Alte Kämpfer Rechtsanwalt Walter Hackenbroich trat. 615<br />

4.3.3 <strong>Die</strong> Beigeordnetenwahlen und die Wahl Otto Wittgens zum<br />

Oberbürgermeister<br />

Genau zwei Monate waren seit der letzten Sitzung vergangen, als die Stadtverordneten am<br />

19. Juni erneut zusammentraten. <strong>Die</strong> Verpflichtung der Ersatzleute für die ausgeschiedenen<br />

Detzel und Rummel, Fritz Feldhahn und Friedrich Leber, verhinderte Christ mit dem<br />

Argument, die SPD befinde sich <strong>im</strong> Ausland und hetze von dort gegen die Reichsregierung.<br />

609<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 247-255. Zum Jugendamtskollegium vgl. VB 1933-1937, S. 83.<br />

610<br />

Bockius: 1787-1987, S. 162-168; Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre Theater, S. 59, 62 f.<br />

611<br />

Bockius: 1787-1987, S. 163.<br />

612<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 255-264; ebd. Nr. 6182, S. 1-3.<br />

613<br />

StAK 623 Nr. 11473, 11476-11478 (jeweils unpaginiert); NB, 28.3.1934: Amtliches. In Trier gab es eine<br />

ähnliche Zwischenlösung; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 197.<br />

614<br />

Der letzte Eintrag <strong>im</strong> Protokollbuch lautet: „Fortsetzung der Beschlüsse bei der Finanz-Verwaltung.“ StAK<br />

623 Nr. 7214, S. 264 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Eine entsprechende Überlieferung konnte nicht ermittelt<br />

werden.<br />

615<br />

NB, 18.9.1933: Tagung des Beschluß-Ausschusses.


167<br />

Mitglieder solcher Parteien hätten kein Recht zur Mitwirkung <strong>im</strong> Gemeindeparlament.<br />

Wittgen stellte daraufhin die Einführung bis zur Klärung der Rechtslage zurück und bat die<br />

beiden SPD-Männer, den Saal zu verlassen. Feldhahn und Leber folgten dieser Aufforderung,<br />

Widerspruch gegen dieses Vorgehen Wittgens drei Tage vor dem reichsweiten Verbot der<br />

SPD regte sich von keiner Seite. Dass auch in <strong>Koblenz</strong> bereits SPD-Funktionäre in Schutzhaft<br />

saßen, 616 hatten alle Anwesenden der Presse entnehmen können. Neu eingeführt wurden für<br />

das Zentrum Josef Groebel und Jakob Ollig, für den Block Schwarz-Weiß-Rot Bornemann.<br />

Anschließend gab Wittgen einen Bericht über die finanzielle und wirtschaftliche Lage der<br />

Stadt ab. Er wolle die Gelegenheit nutzen und die Öffentlichkeit informieren, da die meiste<br />

Arbeit jetzt <strong>im</strong> Beschlussausschuss geleistet werde. Wittgens Vortrag dokumentierte wieder<br />

einmal die Notlage der Stadt. Steuersenkungen seien außer bei der Hundesteuer unmöglich,<br />

der Rückgang der Steuereinnahmen habe einen so „katastrophalen Umfang“ angenommen,<br />

dass selbst die Auszahlung der Gehälter in Achtelraten nicht zu leisten war und „zu<br />

begründeter Annahme einer Steuersabotage gewisser Kreise berechtigten Anlass gab“. Es<br />

werde aber noch lange dauern, bis „die Sünden der letzten 14 Jahre“ wieder gut gemacht<br />

werden könnten. <strong>Die</strong> Versammlung beschäftigte sich dann mit verschiedenen Themen, wobei<br />

dem Zentrum besonders die Aufrechterhaltung von Sitte und Ordnung <strong>im</strong> Badebetrieb am<br />

Herzen lag. Prälat Schmitt erhoffte sich dabei die Unterstützung der NSDAP, worauf Christ<br />

bekräftigte, die Partei sei stets gegen jede Unsitte eingetreten. 617<br />

Es folgte der gehe<strong>im</strong>e Sitzungsteil, in dem die Wahl von Christ zum unbesoldeten<br />

Beigeordneten auf der Tagesordnung stand. Henrich erklärte, dass „seine Partei grundsätzlich<br />

gegen die Wahl des Herrn Christ nichts einzuwenden hätte“, kündigte aber St<strong>im</strong>menent-<br />

haltung an, „da Herr Christ dem Zentrum stets feindlich gegenüber stehe.“ <strong>Die</strong>ser seltsame<br />

Spagat der Tolerierung eines der ärgsten Widersacher zielte wohl darauf ab, einen offenen<br />

Konflikt zu vermeiden und ein gewisses Good-Will-Signal für die Zukunft zu setzen. Henrich<br />

schloss nämlich den Antrag an, bei der nächsten Besetzung einer unbesoldeten Beige-<br />

ordnetenstelle das Zentrum als zweitstärkste Fraktion zu berücksichtigen. Von den<br />

abgegebenen 34 St<strong>im</strong>mzetteln lauteten 21 auf Ja. 13 waren unbeschriftet, was der Anzahl<br />

der anwesenden Zentrumsstadtverordneten entspricht. Der bisherige Kommissar und<br />

hauptamtliche Gauschatzmeister war damit zum – wenn auch unbesoldeten – Partei-<br />

buchbeamten aufgestiegen. Der hauptamtliche Beigeordnete Dahm wurde anschließend mit<br />

dem Tag seiner zum 22. Juni anstehenden Pensionierung zum unbesoldeten Beigeordneten<br />

gewählt. Der Beschlussausschuss hatte in seiner Sitzung vom 12. Juni beschlossen, sowohl<br />

ihn als auch den Beigeordneten Ochs, dessen Amtszeit am 12. Juli ablief, aufgrund § 6 BBG<br />

616 Bereits <strong>im</strong> Mai waren der Parteifunktionär Johann Dötsch sowie der Verlagsleiter und Geschäftsführer der<br />

RW, Paul Manschke, verhaftet worden; NB, 5.5.1933: Zwei <strong>Koblenz</strong>er SPD-Bonzen verhaftet.<br />

617 StAK 623 Nr. 7214, S. 209-225, Zitate Anlage 1 nach S. 211.


168<br />

und des Gesetzes zur Erzielung weiterer Ersparnisse in der gemeindlichen Verwaltung nach<br />

Ablauf ihrer Wahlperiode in den Ruhestand zu versetzen. 618<br />

Ochs war bis 1932 Zentrumsmitglied gewesen, in seinem Fragebogen zum BBG stilisierte er<br />

sich zum bloßen „Beitragszahler“. 619 Nach seiner Zwangspensionierung bemühte er sich<br />

zunächst be<strong>im</strong> Kölner Oberlandgerichtspräsidenten um eine Zulassung als Rechtsanwalt.<br />

Dessen Anfrage, ob irgendwelche Hinderungsgründe bekannt seien, beantwortete<br />

Beigeordneter Wirtz in Vertretung Wittgens negativ, was auf den scharfen Widerspruch der<br />

Kölner Rechtsanwaltskammer stieß, man habe das <strong>Die</strong>nststrafverfahren von 1926<br />

verschwiegen. Dazu hätten sich in der Personalakte keine Anhaltspunkte befunden,<br />

verteidigte sich Wirtz, der das damalige Verfahren aber hautnah miterlebt hatte. Offenbar<br />

wollte er seinem ehemaligen Beigeordnetenkollegen keine Steine in den Weg legen. Der<br />

Regierungspräsident stellte sich schließlich vor die <strong>Stadtverwaltung</strong>, da Ochs ja <strong>im</strong> Amt<br />

verblieben sei. Ochs ließ seinen Zulassungsantrag letztlich ruhen. Den Parteigenossen dürfte<br />

er aus ihrer „Kampfzeit“ noch in unangenehmer Erinnerung gewesen sein, da er als Dezernent<br />

für die Vermietung der städtischen Säle verantwortlich gewesen war. Wirtz charakterisierte<br />

ihn 1935 als eine „Gewaltnatur“, was gelegentlich zu Klagen über „mangelnde<br />

Verbindlichkeit“ geführt hätte. <strong>Die</strong> Stadt war jetzt zur Zahlung der Ruhegehälter für Ochs und<br />

Dahm verpflichtet, wobei Dahm allerdings ehrenamtlich für die Stadt tätig blieb. Der erst<br />

48-jährige Ochs nahm <strong>im</strong> Oktober 1933 eine Tätigkeit als Direktor des Rheinischen<br />

Verkehrsverbandes e. V. in Bad Godesberg 620 auf, wobei sein dortiges Einkommen knapp die<br />

Grenze unterschritt, die zu einer Kürzung seiner Pension geführt hätte. 621<br />

Angesichts der Redebeiträge der Zentrums-Stadtverordneten stellt sich die Frage, ob sie sich<br />

des Ernstes der eigenen Lage nicht bewusst waren, denn die Stadtverordnetensitzung vom<br />

19. Juni sollte ihre letzte gewesen sein. Auch wenn die CDP bzw. CDU in ihrer Selbst-<br />

darstellung nach 1945 häufig von einem stärkeren Widerstand gegen den <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

<strong>im</strong> Rheinland als anderswo sprach, 622 hatten Henrich und seine Parteigenossen trotz einzelner<br />

618<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 223 f., Zitate S. 223.<br />

619<br />

„Von 1928-1932 zahlte ich Beitrag an die Zentrumspartei, dann trat ich aus.“ StAK 623 Nr. 3401<br />

(unpaginiert), Fragebogen vom 17.6.1933.<br />

620<br />

Später „Landesfremdenverkehrsverband Rheinland“. Wahrscheinlich war es Ochs, der Heinz Bastians nach<br />

dessen Zwangspensionierung 1934 dort eine Stelle verschaffte.<br />

621<br />

StAK 623 Nr. 3401 (unpaginiert), Zitate Wirtz vom 5.3.1935. Mehrfach kritisierte das Gauamt für<br />

Kommunalpolitik 1934/35 gegenüber dem Hauptamt, dass die Möglichkeit der Versetzung leitender Beamter in<br />

nichtleitende Positionen anstelle der Pensionierung fehle. Es sei ein „Mißstand“, dass in den Ruhestand versetzte<br />

Bürgermeister, die die Gemeinden mit „erheblichen Ruhegeldzahlungen belasten“, eine neue Beschäftigung<br />

fänden und hinzuverdienen dürften. Es sei „untragbar“, dass ein nach § 6 BBG pensionierter Bürgermeister<br />

dadurch mehr verdiene als zu seiner aktiven Zeit. BArch NS 25/240, S. 2, 16, 99 (Zitate).<br />

622<br />

Anne Martin: <strong>Die</strong> Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der Kommission des<br />

Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 19). Mainz 1995, S. 17 f., 22 f. Der ehemalige<br />

Zentrums-Stadtverordnete Altmeier schrieb 1946: „Es ist bekannt, dass sich die ganze brutale Macht der<br />

damaligen Gauleitung unter dem Gauleiter S<strong>im</strong>on in erster Linie gegen die christlichen Bekenntnisse richtete.“<br />

<strong>Die</strong> von der CDP vertretenen Bevölkerungskreise seien „in erster Linie als antifaschistisch zu betrachten“.<br />

LHAKo Best. 860 Nr. 4327, S. 1, 3 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original).


169<br />

Akte der Gegenwehr wie bei der Bildung des Beschlussausschusses und dem Entzug der<br />

Ehrenbürgerwürde Russells keinen harten Konfrontationskurs gefahren. Sie waren stattdessen<br />

auf vorsichtige Annäherung an die NSDAP um des Überlebens willen bedacht gewesen. <strong>Die</strong>s<br />

musste ihnen umso leichter gefallen sein, als die katholische Kirche versöhnlichere Töne<br />

gegenüber dem NS-Reg<strong>im</strong>e anschlug und Verständigungsbereitschaft signalisierte. 623<br />

Letztlich erwies sich die Parole der nationalen Sammlung als Sackgasse und alle Vor-<br />

leistungen der Zentrumspartei waren vergeblich: Mit ihrer Zwangsauflösung am 5. Juli 1933<br />

verschwand sie sang- und klanglos von der politischen Bühne. 624 Damit hatte sie die DNVP<br />

nur um wenige Tage überdauert, die diesen Schritt schon am 27. Juni vollzogen hatte. Vier<br />

Stadtverordnete des Zentrums – Josef Groebel, Peter Schütz, Jean Stein und Wilhelm<br />

Weber – entschieden sich, der NSDAP-Fraktion als „Hospitanten“ beizutreten. 625<br />

Mit dem Eintritt des Beigeordneten Ochs in den Ruhestand am 13. Juli 1933 fanden die<br />

personellen Veränderungen in der Stadtspitze ihren vorläufigen Abschluss. Wittgen verfügte<br />

noch am selben Tag eine neue Dezernatsverteilung.<br />

Tabelle 13: Dezernatsverteilung vom 13. Juli 1933 626<br />

Dezernent Arbeitsgebiete<br />

Oberbürgermeister Wittgen Referent / Leiter der Abteilung I<br />

Allgemeine Verwaltung<br />

Personal<br />

Wahlen<br />

Statistisches Amt<br />

Presseamt<br />

Eingemeindungen<br />

Finanzen, Kassen- und Rechnungswesen<br />

Sparkasse<br />

Bürgermeister Binhold Theater und Orchester<br />

Kunst und Wissenschaft<br />

Steueramt<br />

Konzessionen<br />

Schul- und Kultusangelegenheiten<br />

Handwerks- und Innungssachen<br />

Versicherungsamt<br />

Forstwesen<br />

Hafen- und Werftbahnamt<br />

623 Beispiele: <strong>Die</strong> „Vertrauenserklärung“ der Fuldaer Bischofskonferenz vom 28.3.1933, die die Beitrittsverbote<br />

und Warnungen vor dem <strong>Nationalsozialismus</strong> aufhob, sowie der Abschluss des Reichskonkordats am 20.7.1933.<br />

624 Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus, S. 183-214; ders.: <strong>Die</strong> katholische Volksminderheit<br />

und der Aufstieg des <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Von Windthorst bis Adenauer. Ausgewählte Aufsätze zu Politik,<br />

Verwaltung und politischem Katholizismus <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhundert (Rechts- und Staatswissenschaftliche<br />

Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft NF 80). Paderborn 1997, S. 201-211.<br />

625 StAK 623 Nr. 6182, S. 112; ebd. Nr. 7214, S. 225, 228.<br />

626 StAK 623 Nr. 9561, S. 118-120; NB, 17.8.1993: Neueinteilung der Arbeitsgebiete.


Beigeordneter Dr. Wirtz<br />

Kodezernent für Finanzen<br />

„Aufgabenkreis best<strong>im</strong>me ich [Wittgen]<br />

besonders.“<br />

170<br />

Verkehrsamt<br />

Prozess- und Rechtsabteilung<br />

Straßenbahn<br />

Stadtausschuss<br />

Mieteinigungsamt<br />

Standesamt<br />

Schlachthof<br />

Pfandamt<br />

Märkte und Messen<br />

Gas- und Wasserwerk<br />

Säle und Gastwirtschaften, Stadtkellerei<br />

Ehrenamtlicher Beigeordneter Dr. Dahm Polizei<br />

Gesundheitsamt, -behörde, -polizei<br />

Jugendamt<br />

Ortskrankenkasse<br />

Krankenanstalten, Wöchnerinnenhe<strong>im</strong><br />

Kreishebammenstelle<br />

Chemisches Untersuchungsamt<br />

Vertrauensarzt für städtische Beamte<br />

Technischer Dezernent<br />

Oberbürgermeister Wittgen<br />

[an Stelle des beurlaubten<br />

Beigeordneten Rogg],<br />

Referent und Kodezernent<br />

Oberbaurat Neumann<br />

Hochbauamt, Tiefbauamt<br />

Liegenschaftsamt<br />

Vermessungsamt<br />

Baupolizei<br />

Wohnungsamt, Wohnungsfürsorge<br />

Feuer- und Wasserwehr<br />

Anlagen- und Friedhofsamt, Stadtgärtnerei<br />

Fuhrpark<br />

Straßenreinigung, Müllabfuhr<br />

Kanalisation<br />

Badeanstalten<br />

Ziegelei<br />

Ehrenamtlicher Beigeordneter Christ Wohlfahrtsamt:<br />

Abteilung Armenstamm<br />

Abteilung Wohlfahrtserwerbslose<br />

Stadtamt für Leibesübungen<br />

<strong>Die</strong> Wahl von Christ zum Beigeordneten wirft ein Schlaglicht auf die Personalprobleme der<br />

örtlichen NSDAP. Schon am 20. Juni beantragte Wittgen be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten, dass<br />

Christ weiterhin sein Stadtverordnetenmandat ausüben dürfe und damit Fraktionsführer<br />

bleiben könne. Gemäß der Verordnung vom 22. März, auf deren Umsetzung gerade Christ<br />

besonderes gepocht hatte, hätte er als Ehrenbeamter sein Mandat niederlegen müssen. Wittgen<br />

begründete seinen Antrag mit dem Ausscheiden von drei besoldeten Beigeordneten (Rogg,<br />

Dahm, Ochs). Bei der dadurch notwendigen Wahl eines unbesoldeten Beigeordneten habe<br />

„grösster Wert“ auf einen nationalsozialistischen Beigeordneten gelegt werden müssen. Christ<br />

sei aber als Fraktionsführer <strong>im</strong> Augenblick nicht zu ersetzen. <strong>Die</strong> Fraktion argumentierte


171<br />

zusätzlich, nach Auflösung von DNVP und Zentrum sei Christs jahrelange kommunal-<br />

politische Erfahrung für ihre Arbeit „unentbehrlich“ und „von ausschlaggebender<br />

Bedeutung“. Am 12. August lehnte der Preußische Innenminister den Antrag als unbegründet<br />

ab. Christ müsse sich sofort zwischen dem Beigeordnetenamt und dem Mandat entscheiden.<br />

<strong>Die</strong>se eindeutige Anweisung wurde nicht befolgt. Nach Rücksprache mit Gauleiter S<strong>im</strong>on<br />

bat Abteilung I den Regierungspräsidenten am 28. August, nochmals in Berlin zu inter-<br />

venieren. 627 Einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung hatte Fraktionsführer Christ zuvor<br />

schon für Wittgen und den Fraktionsschriftführer Frischling gestellt. Der Minister hatte<br />

jedoch am 26. Mai die Niederlegung des Mandats von Wittgen verfügt, während Frischling<br />

als Gemeindebeamter Stadtverordneter bleiben durfte. 628<br />

In der Stadtverordnetensitzung vom 4. August 1933 wurden für Wittgen der Sprachlehrer<br />

Hermann Lübbe und für Carius, der inzwischen in <strong>Die</strong>nsten der Deutschen Arbeitsfront stand<br />

und nach Hannover versetzt worden war, der Lützeler Ortsgruppenleiter Wilhelm Heß als<br />

neue Stadtverordnete in ihr Amt eingeführt. Vor Eintritt in die Tagesordnung dankte Wittgen<br />

den städtischen Beamten für die von ihnen gestifteten Bilder von Hindenburg und Hitler<br />

sowie eine schwarz-weiß-rote Fahne und eine Hakenkreuzfahne. Dadurch habe der<br />

Sitzungssaal eine „wertvolle Bereicherung“ erfahren. Dann übernahm Bürgermeister Binhold<br />

den Vorsitz der Versammlung für die anstehende Wahl des Oberbürgermeisters und gab<br />

vorab die Versetzung Rosendahls in den Ruhestand bekannt. Wittgen wurde mit 25 Ja-<br />

St<strong>im</strong>men einst<strong>im</strong>mig gewählt. Binhold sprach Wittgen seine Glückwünsche aus, hob in einer<br />

kurzen Ansprache das gute Einvernehmen, Wittgens Pflichtbewusstsein und Fleiß hervor und<br />

versicherte ihm die „treue Mitarbeit der Beamtenschaft“. Danach gratulierte Christ <strong>im</strong> Namen<br />

der Fraktion, ihrer Hospitanten sowie des Gauleiters. Er versprach Wittgen Unterstützung und<br />

erinnerte daran, dass dieser sich schon zur Bewegung bekannt hätte, als ihn das noch um<br />

„Brot und Einkommen“ hätte bringen können – was angesichts des Beitrittsdatums 1. August<br />

1932 eine schmeichelhafte Übertreibung war. Wittgen dankte für die Glückwünsche und das<br />

ihm geschenkte Vertrauen. Besonderen Dank richtete er an seine ehrenamtlichen<br />

Kommissare, mit deren Hilfe es ihm gelungen sei, den Geist Hitlers bis in den letzten Winkel<br />

des Rathauses zu verbreiten. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit Christ sei ihm eine Freude gewesen.<br />

Das Treuebekenntnis Binholds namens der Beamtenschaft habe ihn besonders gefreut. <strong>Die</strong><br />

städtische Beamtenschaft habe „sich restlos freudig und opfermutig hinter die Bewegung<br />

gestellt“, sodass „der Umbau der Verwaltung so schnell und zielsicher möglich war […].“ Er<br />

selbst sei stolz darauf, „als brauner Soldat unseres Führers“ an vorderster Front be<strong>im</strong> Aufbau<br />

des neuen Reiches mithelfen zu können. 629 <strong>Die</strong> Volkszeitung erlaubte sich zum „äußere[n]<br />

627 StAK 623 Nr. 6182, S. 21-30, Zitate S. 21, 25.<br />

628 StAK 623 Nr. 6161, S. 199-201, 211-214. Auch das DNVP-Mitglied Petri erhielt als städtischer Beamter eine<br />

Ausnahmegenehmigung und durfte sein Mandat behalten; ebd. S. 202, 204 f., 216-219.<br />

629 StAK 623 Nr. 7214, S. 225-233, Zitate S. 225, 228 f. und Anlage 1 nach S. 229; ebd. Nr. 6161, S. 208 f., 220-<br />

228; NB, 5.8.1933: Pg. Wittgen Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong>.


172<br />

Bild der Sitzung“ den Hinweis, dass die Reihen der ursprünglich am 12. März gewählten<br />

Volksvertreter „auf Grund der geänderten Verhältnisse“ stark gelichtet waren. 630<br />

Binhold bat den Regierungspräsidenten um die baldige Einweisung des gewählten Ober-<br />

bürgermeisters. Der Beschlussausschuss hatte bereits am 31. Juli die Besoldung Wittgens mit<br />

einem Grundgehalt von 14.000 RM und einer gegenüber Rosendahl um 1.000 RM ermäßigten<br />

<strong>Die</strong>nstaufwandsentschädigung von 3.000 RM 631 festgelegt, dazu eine <strong>Die</strong>nstwohnung mit<br />

freier Heizung. <strong>Die</strong> Angelegenheit zog sich hin, da das preußische Innenministerium noch<br />

Fragen wie z. B. zur juristischen Vorbildung der Beigeordneten geklärt haben wollte. Für den<br />

18. Oktober wurde dann die feierliche Amtseinführung angesetzt, die aber aus unbekannten<br />

Gründen verschoben wurde. Am 20. Oktober teilte Wittgen Turner mit, dass „auf Ver-<br />

anlassung der Gauleitung“ am 24. Oktober um 16 Uhr eine Stadtverordnetensitzung<br />

stattfinde, anschließend sei in der Stadthalle eine Kundgebung mit seiner Einweisung geplant.<br />

<strong>Die</strong> Presse kündigte die Einweisung nicht nur durch den staatlichen Repräsentanten, den<br />

Regierungspräsidenten an, sondern gleichzeitig wie selbstverständlich auch durch den<br />

Gauleiter. Doch Turner musste kurzfristig absagen, und Wittgen erhielt am Vormittag des<br />

Sitzungstages seine Einweisungsurkunde zugestellt, verbunden mit den Glückwünschen<br />

Turners und der „zuversichtlichen Erwartung auf eine gedeihliche Zusammenarbeit“. Ende<br />

November bestätigte Wittgen auf Wunsch Turners den Empfang der Urkunde, und der<br />

24. Oktober wurde als Beginn seiner Amtszeit festgelegt. Ein neuer Termin für den Besuch<br />

des Regierungspräsidenten bei den Stadtverordneten kam nicht mehr zustande. Am 5. Februar<br />

1934 legte Wittgen vor Turner seinen Eid ab. 632<br />

<strong>Die</strong> Stadtverordnetensitzung vom 24. Oktober 1933 – es sollte die letzte überhaupt sein – fand<br />

unter nur schwacher Beteiligung der Öffentlichkeit statt. Zunächst stand die Verabschiedung<br />

des Beigeordneten Christ an, der am folgenden Tag in sein neues Amt als kommissarischer<br />

Oberbürgermeister der Stadt Trier 633 eingeführt werden sollte. Wittgen, der mit der Anrede<br />

„mein lieber Freund“ nochmals seine „innere Verbundenheit“ mit Christ bekundete, ging in<br />

seinen Abschiedsworten auf ihre gute Zusammenarbeit und Christs Kommissarstätigkeit<br />

ein. 634 Erst jetzt legte Christ sein Mandat als Stadtverordneter nieder 635 und setzte damit den<br />

630<br />

KVZ, 5./6.8.1933: Der neue <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeister. Dabei sprach sie irrtümlich von 41 statt 44<br />

gewählten Stadtverordneten.<br />

631<br />

<strong>Die</strong> Aufsichtsbehörde reduzierte die <strong>Die</strong>nstaufwandsentschädigung nochmals auf 2.000 RM. Am 9.3.1937<br />

bewilligte der Regierungspräsident Wittgen auf dessen Antrag „mit Rücksicht auf die bevorstehende<br />

Stadterweiterung und die durch die Garnison bedingten größeren Aufwandsverpflichtungen“ eine Erhöhung auf<br />

2.500 RM. LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 21-24, 85-90, Zitat S. 90.<br />

632<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 21-71, Zitate S. 63, 65; NB, 21.10.1933: Feierliche Einführung unsers<br />

Oberbürgermeisters, Pg. Wittgen; KGA, 23.10.1933: Morgen Stadtverordnetensitzung; KVZ, 23.10.1933:<br />

Morgen Stadtrat; NB, 25.10.1933: Beigeordneter Christ n<strong>im</strong>mt Abschied von <strong>Koblenz</strong>.<br />

633<br />

NB, 24.10.1933: Pg. Christ k.[ommissarischer] Oberbürgermeister von Trier.<br />

634<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 233-236 nebst Anlagen, Zitate S. 235; NB, 25.10.1933: Beigeordneter Christ n<strong>im</strong>mt<br />

Abschied von <strong>Koblenz</strong>; KVZ, 25.10.1933: Halbjahresbilanz der <strong>Stadtverwaltung</strong>.<br />

635<br />

StAK 623 Nr. 6161, S. 230.


173<br />

über zwei Monate alten Erlass aus Berlin um. Christ war kein langes Leben beschieden: Er<br />

starb am 13. März 1938 <strong>im</strong> Alter von 37 Jahren an Leukämie und wurde mit dem ganzen<br />

Pomp des nationalsozialistischen Totenkults in <strong>Koblenz</strong> bestattet. 636<br />

An seine Stelle sollte nach dem Willen der NSDAP-Fraktion der 1889 in Halle an der Saale<br />

geborene Rudolf Klaeber 637 treten. Den Antrag dazu stellte der neue Fraktionsgeschäfts-<br />

führer Frischling. Klaeber, einer alten Offiziersfamilie entstammend, befand sich als<br />

Registraturbeamter des Evangelischen Konsistoriums der Rheinprovinz in ungekündigter<br />

Stellung. Seit 1929 Parte<strong>im</strong>itglied, war er seit Januar 1932 Leiter der Ortsgruppe Altstadt.<br />

Klaeber wurde am 24. Oktober für die Dauer der laufenden Wahlperiode einst<strong>im</strong>mig zum<br />

ehrenamtlichen Beigeordneten gewählt – eine reine Formsache, denn das Nationalblatt hatte<br />

bereits am Wahltag ein Porträt des neuen Beigeordneten veröffentlicht. <strong>Die</strong> Berufung durch<br />

den Regierungspräsidenten erfolgte zum 1. Januar 1934, 638 worauf Klaeber seinen<br />

Arbeitsplatz bei der Kirche aufgab. Sein Parteiamt als Ortsgruppenleiter Altstadt behielt er<br />

noch bis 4. Dezember 1933, einen Tag später wurde Klaeber Kreisleiter <strong>Koblenz</strong>-Stadt. 639<br />

Damit löste er den Stellvertretenden Gauleiter Reckmann ab, der dieses Amt seit dem<br />

Weggang von Albert Müller Ende April nach Trier in Personalunion ausgeübt hatte. 640<br />

Für den wegen Umzugs ausgeschiedenen Stadtverordneten Greven rückte der Glasermeister<br />

Heinrich Gies nach, Leiter der NSDAP-Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>-Mitte. Weiterer Tages-<br />

ordnungspunkt der Sitzung vom 24. Oktober war die Verabschiedung einer neuen Ortssatzung<br />

über eine Pauschalentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten, die gegen die St<strong>im</strong>men des<br />

Deutschen Blocks angenommen wurde. Für ehrenamtliche Beigeordnete waren bis zu<br />

300 RM monatlich vorgesehen, der Kustos der Kunstsammlung des städtischen<br />

Schlossmuseums sollte bis zu 200 RM monatlich erhalten. Zweck der Satzung war die<br />

wirtschaftliche Versorgung zweier Alter Kämpfer, nämlich Klaebers und des Kunstmalers<br />

und Stadtverordneten Hanns Sprung, der einst<strong>im</strong>mig zum neuen Museumskustos ernannt<br />

wurde. 641 <strong>Die</strong> Ortssatzung wurde dem Regierungspräsidenten zur Genehmigung vorgelegt,<br />

doch Turner verweigerte <strong>im</strong> November seine Zust<strong>im</strong>mung mit dem Argument, eine<br />

Entschädigung für „ehrenamtliche Beigeordnete“ solle ihnen die Übernahme ihrer Tätigkeit<br />

636<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 176-182, 186, 194, 202, 234, 330, 332 f., 343; StAK 623 Nr. 6642, S.<br />

136; NB, 14.3.1938: Todesanzeigen; NB, 15.3.1938: <strong>Koblenz</strong> ehrt den toten Kämpfer; NB, 16.3.1938: Pg.<br />

Ludwig Christ zum letzten Geleit!; NB, 17.3.1938: Des alten Kämpfers letzte Fahrt.<br />

637<br />

* 27.10.1889 Halle/Saale, + 30.1.1966 Mainz, evangelisch, verheiratet, 1944 geschieden, ein Sohn (gefallen).<br />

StAK 623 Nr. 3858; LHAKo Best. 856 Nr. 220499.<br />

638<br />

Ebenso die von Dahm; die Vertretung von Oberbürgermeister Wittgen legte Turner in der Reihenfolge<br />

Binhold, Wirtz, Dahm, Klaeber fest. StAK 623 Nr. 3858, S. 3, 31.<br />

639<br />

StAK 623 Nr. 3858; ebd. Nr. 7214, S. 234 f.; LHAKo Best. 856 Nr. 220499; NB, 24.10.1933: Pg. Rudolf<br />

Klaeber der neue unbesoldete Beigeordnete der Stadt <strong>Koblenz</strong>; KGA, 25.10.1933: Der neue ehrenamtliche<br />

Beigeordnete Klaeber.<br />

640<br />

NB, 1.7.1933: Pg. Reckmann, der neue Kreisleiter von <strong>Koblenz</strong>; NB, 6./7.10.1934: Staatsträger von heute –<br />

Schicksalsgestalter von morgen.<br />

641<br />

StAK 623 Nr. 7214, S. 236 und Anlage 3 (Ortssatzung). Zu Sprung vgl. Kapitel 6.3.5.


174<br />

lediglich „erleichtern“. Deshalb ermäßigte er die Beträge auf 200 bzw. 100 RM. <strong>Die</strong><br />

städtischen Gremien änderten die Ortssatzung entsprechend, worauf sie <strong>im</strong> April 1934<br />

genehmigt wurde. 642 Zusätzliche Bezüge verschaffte Wittgen Klaeber ab dem 1. Juni<br />

durch eine Verfügung, wonach Klaeber für die Geschäftsführung der Provinzial-<br />

Feuerversicherungsanstalt 643 eine monatliche Vergütung von 50 RM erhielt. 644<br />

Mit Inkrafttreten des GVG am 1. Januar 1934 wurde die Stadtverordnetenversammlung<br />

aufgelöst. Damit erübrigte sich die Einführung der vorgesehenen Ersatzleute für Christ,<br />

Klaeber und den wegen Versetzung ausgeschiedenen Lübbe ebenso wie für die vier<br />

Hospitanten aus den Reihen des ehemaligen Zentrums, die <strong>im</strong> November zurücktraten – ob<br />

freiwillig, oder wie in Trier auf Druck des Kreisleiters, 645 ist unbekannt. 646 Ebenso wurde ein<br />

Ersatzmann für Hildebrandt überflüssig, der sein Mandat aufgab, nachdem er <strong>im</strong> November<br />

1933 Amtsbürgermeister in Münstermaifeld geworden war. Er starb wie sein Kommissar-<br />

kollege Christ in jungen Jahren, nämlich am 28. August 1937 <strong>im</strong> Alter von nur 35 Jahren an<br />

einem Gehirnschlag. 647<br />

4.3.4 <strong>Die</strong> neuen Ratsherren und Wittgens Bestätigung <strong>im</strong> Amt<br />

Bis am 15. November 1934 erstmals die neuen „Ratsherren“ tagen konnten, zog sich eine<br />

zähe, monatelange Suche nach geeigneten Kandidaten hin, die zum wiederholten Male die<br />

Personalnöte der örtlichen Partei offenlegte. <strong>Die</strong> Gauleitung, bei der das Vorschlagsrecht lag,<br />

hatte nämlich alle Mühe, 20 Namen zusammenzubekommen. Schnell fest standen lediglich<br />

Gauinspekteur und Kreisleiter Robert Claussen als der oberste örtliche NSDAP-Führer sowie<br />

Wilhelm Ocklenburg, Diplom-Kaufmann und Vorsitzender der Handelskammer, als der<br />

dienstrangälteste örtliche SA-Führer, die das GVG kraft ihres Amtes als Ratsherren vorsah.<br />

Hatte die Gauleitung noch am 20. Januar 1934 ihre Vorschläge für die nächste Woche<br />

angekündigt, musste das Amt für Kommunalpolitik am 23. Februar zugeben, dass „die<br />

umfangreichen Vorarbeiten noch nicht ganz abgeschlossen“ seien, was Wittgen zu der<br />

Bemerkung veranlasste, die Gauleitung habe die „zeitige Rechtslage nicht richtig erkannt“.<br />

642 StAK 623 Nr. 6148, S. 4-23, Zitate S. 11 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

643 Zu dieser Versicherungsanstalt der Rheinprovinz vgl. Hundert Jahre Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der<br />

Rheinprovinz. Düsseldorf 1936. Generaldirektor war seit 1933 Hans Goebbels, Bruder von Joseph Goebbels.<br />

644 StAK 623 Nr. 3858, S. 46-49. Ursprünglich hatte Wittgen 100 RM vorgesehen, der Betrag musste aber<br />

halbiert werden, da gesetzliche Best<strong>im</strong>mungen nur einen Höchstbetrag von 600 RM jährlich für<br />

Nebentätigkeiten <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst vorsahen. Klaeber selbst machte in seinem Spruchkammerverfahren geltend, dass er<br />

sich finanziell <strong>im</strong> Vergleich zu seiner bisherigen Tätigkeit bei der Evangelischen Kirche nicht verbessert hätte;<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 220499 (unpaginiert), Klaeber vom 17.5.1949. Zum Einkommen hauptamtlicher<br />

Kreisleiter vgl. Dorfey: „Goldfasane“, S. 309 f.; Düwell: Gauleiter und Kreisleiter, S. 164 f.<br />

645 Kreisleiter Müller forderte die Stadtverordneten des ehemaligen Zentrums ult<strong>im</strong>ativ zur Niederlegung ihres<br />

Mandats auf; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, Abb. 17 nach S. 192.<br />

646 StAK 623 Nr. 6161, S. 229; ebd. Nr. 6182, S. 8-20, 113-121.<br />

647 StAK 623 Nr. 6182, S. 5 f.; Bernhard Koll: Münstermaifeld 1914-1945. In: Ders. (Hg.): Münstermaifeld – die<br />

Stadt auf dem Berge. Münstermaifeld 2003, S. 275-300, hier S. 290; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 264 f.; Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 222; NB, 30.8.1937: Wir trauern<br />

um einen guten Kameraden; NB, 31.8.1937: Gelöbnis in der Abschiedsstunde: weiterkämpfen.


175<br />

Erst am 15. Juni erhielt Wittgen vom Regierungspräsidenten eine Liste mit 17 Namen, die<br />

weiteren Vorschläge des Gauleiters erwarte man noch. Wittgen wies die Regierung darauf<br />

hin, dass vier der Kandidaten durch ihren Zuzug nach <strong>Koblenz</strong> noch gar kein Bürgerrecht<br />

besaßen. Der in Aussicht genommene HJ-Gebietsführer Jakob (später: Rolf) Karbach 648 war<br />

überhaupt nicht in <strong>Koblenz</strong>, sondern in Niederberg gemeldet, ein Problem, das durch seinen<br />

Umzug an den Sitz der Gebietsführung, die Alte Burg, gelöst wurde. Andere Kandidaten<br />

fielen dafür durch neue Ämter wieder aus. Erst am 25. Oktober 1934 konnte der<br />

Regierungspräsident seine Berufungsliste vorlegen. Darin tauchten z. B. Reichsbahn-<br />

oberinspektor Hubert Fuhlrott sowie Oberzollinspektor Max Berwald auf, die beide aufgrund<br />

ihrer beruflichen Versetzung erst seit Mitte 1934 in <strong>Koblenz</strong> wohnten und außerdem bald mit<br />

der Leitung einer NSDAP-Ortsgruppe betraut wurden. Noch einen Tag vor der ersten Sitzung<br />

musste Trampp die zwingend vorgeschriebenen Ariernachweise für fünf Ratsherren<br />

anfordern, während für die Amtswalter der Partei Ausnahmeregelungen galten. Der früh<br />

verwaiste städtische Arbeiter Hans Gassdorf war sogar überhaupt nicht in der Lage, seine<br />

arische Abstammung nachzuweisen, außerdem hätte er als Gemeindearbeiter nicht Ratsherr<br />

werden dürfen. Für beides erteilte der Regierungspräsident eine Ausnahmegenehmigung. Erst<br />

am 16. September 1936 (!) konnte Wittgen vermerken, dass jetzt alle Ariernachweise – auch<br />

für die inzwischen nach der DGO zusätzlich berufenen Ratsherren – erbracht seien. 649<br />

Wie nicht anders zu erwarten, waren alle Ratsherren Mitglied der NSDAP, 650 obwohl dies<br />

weder das GVG noch später die DGO zwingend vorschrieben. 651 Im „schwarzen“ Trier hatte<br />

die Gauleitung Wert darauf gelegt hatte, auch angesehene Nicht-Parte<strong>im</strong>itglieder aus der<br />

Bürgerschaft einzubinden. 652 Immerhin die Hälfte der <strong>Koblenz</strong>er Sitze war sogar mit<br />

Parteiprominenz besetzt, was die Ratsherrenversammlung als das „hauptsächliche Einfallstor<br />

für den Parteieinfluss“ 653 prädestinierte: Vier der 20 Ratsherren gehörten der Gauleitung an<br />

(Ackermann, Claussen, Dörner, Michels), vier waren Ortsgruppenleiter (Berwald,<br />

Bruckmann, Fuhlrott, Heß), einer SA-Führer (Ocklenburg) und einer HJ-Gebietsführer<br />

(Karbach). 654<br />

648<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 291, 591. Änderung des Vornamens am 18.4.1936 (d. h.<br />

kurz vor seiner Heirat am 17.6.1936) mit Genehmigung des Regierungspräsidenten von „Jakob“ in „Rolf“; StAK<br />

Passive Meldekartei. Zu der von Karbach systematisch betriebenen Änderung seines Vornamens vgl. StAK 623<br />

Nr. 6222, S. 156 (Briefkopf noch mit „Jakob“); ebd. Nr. 6182, S. 205 (handschriftlicher Zusatz „Rolf“ vor<br />

maschinenschriftlich „Jakob“), 298 f. (Fragebogen von „Rolf Jakob Karbach“, Unterschrift „J. Rolf Karbach“);<br />

ebd., M 83, Hausblatt Moselweißer Str. 16; Standesamt Bad Ems, Geburtsurkunde Nr. 40/1908.<br />

649<br />

StAK 623 Nr. 6182, S. 31, 36-40, 51-53, 99-362, Zitate S. 101 f. Vgl. Tabelle 27 <strong>im</strong> Anhang.<br />

650<br />

StAK 623 Nr. 3260, S. 4, 6.<br />

651<br />

Laut § 51 Abs. 1 DGO war bei der Berufung auf „nationale Zuverlässigkeit, Eignung und Leumund“ zu<br />

achten. Der Regierungspräsident informierte in seinem Lagebericht für die Monate Dezember 1934/Januar 1935<br />

über eine „Verst<strong>im</strong>mung“ in Teilen der Bevölkerung, dass zu öffentlichen Ämtern „in erster Linie <strong>im</strong>mer nur<br />

Parteigenossen herangezogen werden.“ LHAKo Best. 441 Nr. 28263, S. 394, veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong><br />

Alltag, S. 286.<br />

652<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 197. In Trier fand die erste Ratsherrensitzung am 20.12.1934 statt.<br />

653<br />

Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 56.<br />

654 StAK 623 Nr. 3260, S. 2-6.


176<br />

Da das GVG auch die Bildung von Beiräten vorsah, ließ Wittgen <strong>im</strong> November 1934 auch<br />

überprüfen, inwieweit die bisherigen Ausschüsse zur Vereinfachung der Verwaltung<br />

zusammengelegt oder aufgehoben werden könnten. Wirtz arbeitete auf der Grundlage der<br />

Stellungnahmen der einzelnen Abteilungen Vorschläge aus. <strong>Die</strong> Reduzierung der<br />

vorhandenen Vielzahl von Ausschüssen, Deputationen und Kommissionen kam der<br />

Verwaltung nicht ungelegen. Bereits in der We<strong>im</strong>arer Zeit hatten die Einladungen und<br />

Niederschriften, die Besetzung der Ausschüsse, das Nachrücken von Ersatzleuten usw. zu<br />

nicht unbeträchtlichem Arbeitsaufwand in der Verwaltung, den Fraktionen und der<br />

Stadtverordnetenversammlung geführt, gelegentlich hatte es auch Ärger um die Anzahl der<br />

den Fraktionen zustehenden Sitze gegeben. Abteilung I vermerkte Ende des Monats, dass die<br />

Aufgaben der 59 (!) Ausschüsse 655 auf fünf Beiräte übertragen werden könnten: 1. Beirat zur<br />

Beratung in finanziellen Angelegenheiten, 2. Beirat zur Beratung in Angelegenheiten des<br />

Bauwesens, 3. Beirat zur Beratung in Angelegenheiten der Kunst und Wissenschaft, 4. Beirat<br />

zur Beratung in Angelegenheiten des Wohlfahrtswesens und 5. Beirat zur Beratung in<br />

Angelegenheiten der körperlichen Ertüchtigung der Bevölkerung. Verkehrs- und Schlacht-<br />

hofausschuss sollten bestehen bleiben; Stadtschuldeputation, Sparkassenvorstand und<br />

Pfandhausvorstand waren gesetzlich bzw. satzungsgemäß vorgeschrieben. 656<br />

<strong>Die</strong> feierliche erste Sitzung der neuen Ratsherren konnte endlich am 15. November 1934<br />

stattfinden. Sowohl Regierungspräsident Turner, der sich durch Oberregierungsrat Flach<br />

vertreten ließ, als auch Oberpräsident von Lüninck sagten ab, sicher zur Enttäuschung<br />

Wittgens, der die Sitzung sogar noch einmal um eine Woche verschoben hatte. Auch<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on entschuldigte sich, nachdem er zunächst zugesagt und eine Rede<br />

angekündigt hatte. 657 Der große Sitzungssaal war mit Lorbeerbäumen und Fahnen<br />

geschmückt, die Ratsherren fast alle in Uniform erschienen. Vor ihrer Vereidigung erklärte<br />

Wittgen mit Bezug auf die Reformen des Freiherrn vom Stein, der <strong>Nationalsozialismus</strong> habe<br />

den Staat vor dem drohenden Verfall gerettet. Er erinnerte die neuen Ehrenbeamten an ihre<br />

Schweigepflicht und den Grundsatz, dass es <strong>im</strong> nationalsozialistischen Staat weder<br />

Vetternwirtschaft noch Eigennutz gebe. Dann legten die Ratsherren ihren Eid ab: „Ich<br />

schwöre: Ich werde dem Führer des deutschen Reiches, Adolf Hitler, treu und gehorsam sei,<br />

die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott<br />

helfe.“ Danach versprach Gauinspekteur und Kreisleiter Claussen als „Führer der<br />

Ratsherren“, dem Oberbürgermeister mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wo früher<br />

Parteienvertreter gewesen wären, hätten jetzt „echte Deutsche“ aus den Reihen der NSDAP<br />

und ihrer Gliederungen nur das Allgemeinwohl <strong>im</strong> Auge. <strong>Die</strong> Öffentlichkeit der Sitzung<br />

nutzte Wittgen dann als seltene Gelegenheit, um über die Arbeit der <strong>Stadtverwaltung</strong> in den<br />

655<br />

„Verzeichnis der Fachausschüsse“; StAK 623 Nr. 6544, S. 643-661. <strong>Die</strong> Vielzahl von Ausschüssen und<br />

Kommissionen war keine <strong>Koblenz</strong>er Spezialität; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 84.<br />

656<br />

StAK 623 Nr. 6544.<br />

657<br />

StAK 623 Nr. 6182, S. 31, 186 f., 193-195.


177<br />

vergangenen 20 Monaten zu informieren. Vor allem <strong>im</strong> Personalbereich habe eine rigorose<br />

Sparpolitik geherrscht, trotzdem sei es gelungen, 95 Alte Kämpfer sowie sechs Ver-<br />

sorgungsanwärter dauerhaft einzustellen. Vom vorhandenen Opferwillen zeugten die<br />

13.000 RM Spende zur Förderung der nationalen Arbeit und 10.800 RM für das WHW. <strong>Die</strong><br />

Kassenlage habe sich verbessert, „wobei zugegeben werden muss, dass die Schuldner<br />

zuweilen etwas unsanft angepackt werden mussten“. <strong>Die</strong> Entwicklung be<strong>im</strong> Wohlfahrtsetat<br />

sei „nicht ungünstig“. Zum 1. Oktober 1934 sei die Zahl der Unterstützungsempfänger<br />

gegenüber dem 1. April 1933 um 27 % zurückgegangen (von 7.374 auf 5.689). Wittgen zeigte<br />

sich <strong>im</strong> Hinblick auf die zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse vorsichtig opt<strong>im</strong>istisch,<br />

bevor er seinen Bericht mit einem dreifachem „Sieg Heil“ auf den Führer und Ehrenbürger<br />

schloss. Dann teilte er noch eine Personalie in eigener Sache mit: Der Preußische<br />

Innenminister habe von seinem Recht auf Zurücknahme seiner Berufung zum Ober-<br />

bürgermeister keinen Gebrauch gemacht, „was mit großem Beifall aufgenommen wurde“.<br />

Damit seien „alle[n] Verleumder[n], die in letzter Zeit die tollsten Gerüchte seiner<br />

Zwangsbeurlaubung verbreiteten“, belehrt und er hoffe, dass jetzt die „Schwätzereien<br />

endgültig verstummen würden.“ 658<br />

<strong>Die</strong>se Bemerkungen spielten darauf an, dass es hinter den Kulissen eine Zeitlang höchst<br />

fraglich war, ob Wittgen das sogenannte Probejahr als Oberbürgermeister überstehen würde.<br />

Schon Ende Februar 1934 hatte Turner die Gauleitung um ihre Stellungnahme gebeten, ob die<br />

Berufung Wittgens mit Ablauf des ersten Amtsjahres zurückgenommen werden solle. Turner,<br />

privat mit Wittgen befreundet, 659 plante, seine Bestätigung schon vorher be<strong>im</strong> Minister zu<br />

beantragen. Struve antwortete als Leiter des Amtes für Kommunalpolitik <strong>im</strong> März, man wolle<br />

„die Angelegenheit bis zum letztmöglichen Termin ruhen […] lassen“. 660 So hatte es<br />

beispielsweise eine kritische Bemerkung der alten Parteigenossin Maria Eichert 661 gegeben,<br />

Frauenschaftsleiterin der Ortsgruppe Roon, der das Ehepaar Wittgen angehörte: Wittgen sei<br />

zwar ein guter Beamter, aber als Oberbürgermeister ungeeignet. <strong>Die</strong> Äußerung wurde<br />

denunziert, worauf Wittgen den Oberstaatsanwalt zum Einschreiten wegen Miesmachertums<br />

aufforderte, weil „die Redereien Unruhen [sic] und erhebliche Verärgerung“ erzeugt hätten.<br />

Der Oberstaatsanwalt antwortete <strong>im</strong> Januar 1934, in Frage käme höchstens eine Anzeige<br />

Wittgens wegen Beleidigung, „die jedoch bei der ganzen Sachlage zum mindesten sehr<br />

zweifelhaft ist.“ Nach dieser zweideutigen Einschätzung legte Wittgen den Fall zu den<br />

Akten. 662<br />

658 StAK 623 Nr. 7215, S. 2-5 und Anlagen 1 und 2 nach S. 3, Zitate S. 3-5 und Anlage 2.<br />

659 Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009. Als Wittgen starb, kondolierte das Ehepaar Turner<br />

seiner Witwe brieflich.<br />

660 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 73-75, Zitat S. 75.<br />

661 Von-Werth-Straße 7 (Hofjuweliere Gebrüder Eichert); NB, 21.12.1933: Aus dem Leben der Bewegung,<br />

Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>-Roon.<br />

662 StAK Best. Nr. 6627, S. 165-183, Zitate S. 182 f.; ebd. Nr. 6556, S. 409 f. Eichert war sowohl von Klaeber in<br />

seiner Eigenschaft als Kreisleiter als auch von Trampp vernommen worden.


178<br />

Viel schwerer aber wog die Tatsache, dass Gauleiter S<strong>im</strong>on am 23. April 1934 ein<br />

Voruntersuchungsverfahren gegen Wittgen und Christ be<strong>im</strong> Gaugericht beantragte. Das<br />

Gaugericht hatte <strong>im</strong> Juni 1933 gegen Rechtsanwalt Meyers ein Verfahren wegen<br />

parteischädigenden Verhaltens eingeleitet, weil er den ehemaligen Geschäftsführer der<br />

sozialdemokratischen Rheinischen Warte, Paul Manschke, vor Gericht wegen eines<br />

angeblichen Konkursvergehens verteidigt hatte. Dabei war auch die schwere Misshandlung<br />

Manschkes durch einen SS-Mann zur Sprache gekommen. Zusätzlich musste sich Meyers ab<br />

Dezember 1933 wegen Verächtlichmachung Wittgens und Christs sowie Beleidigung<br />

Frischlings verantworten. In seiner Rechtfertigung erhob Meyers wiederum gegen das Trio<br />

schwere Anschuldigungen, die Gauleiter und Gaugericht <strong>im</strong>merhin für stichhaltig genug<br />

hielten, dass sie untersucht werden sollten. 663<br />

Gegenüber dem Gaugericht entwarf Meyers am 5. Januar 1934 von Wittgen das Bild eines<br />

kleinlichen Pedanten, der sich um jedes Detail persönlich kümmerte. Schweres Geschütz fuhr<br />

Meyers mit der Behauptung auf, Wittgen sei kein echter Nationalsozialist, sondern er<br />

entpuppe sich schnell als Deutschnationaler. Wittgen habe „Ohrenbläser und Denunzianten<br />

ihr Unwesen“ treiben lassen. Außerdem sei er keine Führerpersönlichkeit, der eigentliche<br />

Führer sei Christ gewesen, und gemeinsam mit Frischling hätten die drei eine „einfluss-<br />

reiche[n] Klique“ gebildet. Letztlich trage aber Wittgen die Verantwortung für die vielen<br />

Beurlaubungen und Entlassungen. Der durch Vergleichszahlungen und Ruhegehälter<br />

entstandene große finanzielle Schaden stünde in keinem Verhältnis zu den 75 RM für<br />

Rosendahls Tintenfass, über das man sich wochenlang aufgeregt habe. Wittgen habe<br />

schl<strong>im</strong>mste Korruption, Vetternwirtschaft und Postenjägerei zugelassen, als Beispiele führte<br />

Meyers u. a. die Fälle der Tante Christs und des Fräulein Müller an, der ehemaligen<br />

Angestellten und Geliebten des Lesevereins-Vorsitzenden Hirtz, die nun in Christs<br />

Vorz<strong>im</strong>mer sitze. Als die Stadt neue Prozessvertreter suchte, sei er, Meyers, als ältester<br />

nationalsozialistischer Rechtsanwalt übergangen worden, weil er gerade Geisemeyer<br />

verteidigte. 664<br />

<strong>Die</strong> Entgegnung Wittgens vom 12. Februar auf die „haltlos[en]“ Vorwürfe war taktisch<br />

geschickt. Er bestritt seine Vorgehensweise keineswegs, sondern begründete ihre politisch<br />

663 BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886. Gaupropagandaleiter Michels enthob Meyers am<br />

21.6.1933 seines Amtes als „Leiter der Lügenabwehrstelle“. Für den Gauobmann <strong>im</strong> Bund<br />

Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, den späteren Landgerichtsdirektor Dr. Viktor Bartman, stellte sich die<br />

„Kernfrage: […] Ist der freie Anwaltberuf wirklich weiterhin ein freier Beruf, oder unterliegt er Hemmungen,<br />

welche durch Rücksichtnahme auf Parteizugehörigkeit des Mandanten oder seines Gegners bedingt sind? <strong>Die</strong>se<br />

Frage ist eine ernste Sorge [...].“ Ebd. (unpaginiert), Bartman an Gauleiter S<strong>im</strong>on vom 26.6.1933. Im Juli 1933<br />

wurde ein weiteres Verfahren gegen Meyers eröffnet, weil er angeblich versucht hatte, Christs Wahl zum<br />

Beigeordneten zu sabotieren. Dabei ging es um ein Gespräch Meyers mit Zentrums-Fraktionsführer Henrich.<br />

Noch ein weiteres Verfahren wegen Beleidigung der Gauleitung kam <strong>im</strong> März 1934 dazu, als Meyers den<br />

Vorwurf des Meineids zugunsten des Gauleiters erhob. Gerade mit diesem Fall scheint er sich die Sympathien<br />

S<strong>im</strong>ons verscherzt zu haben. Ebd.<br />

664 StAK 623 Nr. 3833, S. 1-20, Zitate S. 1, 10.


179<br />

unumgängliche Notwendigkeit mit der Ausnahmesituation bei der Machtübernahme, an die<br />

man nicht die hergebrachten Maßstäbe anlegen könne. Ausdrücklich erinnerte Wittgen daran,<br />

dass sich „diese St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> März 1933 in einer Weise [steigerte], dass man Tätlichkeiten<br />

gegen leitende Personen nur schwer verhindern konnte“, z. B. als bei der Flaggenhissung<br />

„Bürger“ in das Rathaus eingedrungen seien, um Rosendahl aus seinem <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer zu<br />

holen. <strong>Die</strong> Disziplinarverfahren und Beurlaubungen stellte er als eine „strikte und berechtigte<br />

Forderung der Bürgerschaft“ nach Aufklärung dar, also einer Art revolutionären volonté<br />

générale, 665 dem er sich lediglich gebeugt hätte. Meyers könne sich als Außenstehender kein<br />

Urteil erlauben: „Wenn der Umbruch des Staates durch die nat.soz. Revolution zum Siege<br />

geführt werden sollte, so galt es, sofort zu handeln. Was notwendig erschien, musste über eine<br />

falsche Humanität hinweg sofort erfolgen.“ Wittgen unterstellte Meyers dagegen egoistische<br />

und geschäftliche Motive. Mehrfach unterstrich Wittgen, dass man die nationale Erhebung<br />

mit ihren revolutionären Zügen nicht mit juristischen Maßstäben messen könne: „Alle diese<br />

Fragen können nur aus dem Gesichtswinkel notwendiger Massnahmen zur Festigung des<br />

nat.soz. Reiches gesehen werden. Wer in der Beurteilung einen anderen Masstab [sic] anlegt,<br />

übt eine nicht vertretbare Kritik und entkleidet diese Massnahmen unberechtigterweise ihres<br />

Wertes. […] Man kann eben politische Massnahmen <strong>im</strong> Zuge der nat.soz. Revolution nicht<br />

nach geraumer Zeit in eine Rechtsformel kleiden, ohne dabei die Tatsache vollkommen<br />

abwegig darzustellen.“ Entlassungen wie die von Sibert und Doppelgatz wären gerechtfertigt<br />

gewesen, weil der energische Neuaufbau des <strong>Die</strong>nstbetriebs „von Nörglern und Kritikern 666<br />

nicht beeinflusst werden durfte.“ Fräulein Müller ihre früheren Entgleisungen vorzuhalten, sei<br />

unangebracht. Der „Gipfel der Niedertracht“ sei aber die Behauptung, er sei ein „verkappter<br />

Deutsch-Nationaler“, was Wittgen entrüstet von sich wies. Im Übrigen stehe Meyers kein<br />

Urteil über seine Befähigung zu. 667<br />

Am 30. April 1934 wurde Meyers’ Parteiausschluss beschlossen. Das Oberste Parteigericht<br />

gab aber seiner Beschwerde statt, erst müsse der Ausgang der inzwischen eingeleiteten<br />

Verfahren gegen Wittgen und Christ abgewartet werden. Wittgen äußerte sich noch zwe<strong>im</strong>al<br />

schriftlich, am 7. März zur Nähstube und am 5. Juli erneut zu den Prüfungen der angeblichen<br />

Korruptionsfälle, den Beurlaubungen, Zwangspensionierungen und Entlassungen. Wieder<br />

gelang es Wittgen, Meyers als Netzbeschmutzer hinzustellen und die Betroffenen in ein<br />

dubioses Licht zu rücken. Zum Beispiel habe man bei Geisemeyer annehmen müssen, dass er<br />

wegen „sichtlich zur Schau gestellte[r] Zweifel“ an der Kommissarstätigkeit die Aufklärungs-<br />

arbeit nicht genug unterstützen werde, außerdem habe er sich „über Gebühr empfindlich<br />

gezeigt“. Es kam zu Vernehmungen durch das Gaugericht, auch die städtischen Bediensteten<br />

Trampp, Lanters, Rogg, Geisemeyer, Plönissen, Haupt und Hütte wurden vorgeladen. Trampp<br />

attestierte Wittgen und Christ „Gerechtigkeit und Milde“. Geisemeyer sagte zugunsten<br />

665 Vgl. Hüttenberger: <strong>Die</strong> Gauleiter, S. 91.<br />

666 Vgl. NB, 22.5.1934: Kampf gegen Miesmacher und Kritikaster.<br />

667 StAK 623 Nr. 3833, S. 21-32, Zitate S. 21 f., 24-27, 31.


180<br />

Wittgens aus, er habe sich „<strong>im</strong>mer freundlich und korrekt“ verhalten, dagegen habe ihn Christ<br />

„ausgesprochen barsch behandelt.“ Seine Beurlaubung habe ihn so tief gekränkt, dass er<br />

deswegen erkrankt sei, er habe aus „Beamten- und Bürgerkreisen“ aber auch „Beweise der<br />

Genugtuung und Anteilnahme“ erfahren. Letztlich wagte es vor dem Gaugericht einzig und<br />

allein der <strong>im</strong>mer noch beurlaubte Sparkassendirektor Hütte, der nichts zu verlieren hatte, sich<br />

über das Verhalten Wittgens zu beschweren. Schließlich war es Gauleiter S<strong>im</strong>on persönlich,<br />

der die Oberbürgermeister der beiden größten Städte seines Gaues entscheidend entlastete:<br />

„Ich selbst habe Christ und Wittgen ganz eindeutig zu scharfem Vorgehen veranlasst. Wo<br />

dabei Irrtümer unterlaufen sind, muss man diese aus der damaligen politischen Atmosphäre<br />

verstehen.“ 668 Am 25. Oktober 1934 fasste das Gaugericht seine Beschlüsse. Das Verfahren<br />

gegen Wittgen wurde eingestellt. Christ wurde in fast allen Punkten freigesprochen, nur <strong>im</strong><br />

Fall der Einstellung des Fräulein Müller erhielt er einen Verweis für fahrlässiges,<br />

parteischädigendes Verhalten. 669 Meyers wurde aus der Partei ausgeschlossen, weil er zwar<br />

Manschke, nicht aber einen Parteigenossen gegen ein ehemaliges Zentrumsmitglied verteidigt<br />

hatte. Das Oberste Parteigericht bestätigte den Ausschluss <strong>im</strong> Januar 1935 wegen Meyers’<br />

Auffassung, dass er jedem zu seinem Recht verhelfen müsse, auch gegen die NSDAP. 670 Für<br />

die Gestapo galt Meyers fortan als „gefährlicher Staatsfeind“. 671<br />

Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass Wittgen, Kommissar Christ und Fraktions-<br />

geschäftsführer Frischling in den ersten Monaten nach der Machtergreifung tatsächlich eine,<br />

wie Meyers es nannte, „Klique“ gebildet hatten. Wittgen hat mehrfach öffentlich seine<br />

freundschaftlichen Beziehungen zu Christ und seine Dankbarkeit für die gute Zusammen-<br />

arbeit bezeugt. <strong>Die</strong> Verbindung zwischen ihm und Christ funktionierte, wenn man so will,<br />

sogar noch über ihren Tod hinaus: Im Rechtsstreit zwischen der Stadt <strong>Koblenz</strong> und Constanze<br />

Wittgen um die Höhe ihrer Witwenbezüge bezeugte u. a. Christs Witwe, Wittgen sei erst nach<br />

seiner Ernennung zum Oberbürgermeister ehrenhalber in die Partei aufgenommen worden. 672<br />

Frischling wurde von Wittgen – wie noch gezeigt wird – weiterhin protegiert. Im<br />

668 BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886 (unpaginiert): Wittgen vom 5.7.1934, Trampp vom<br />

17.7.1934, Geisemeyer vom 4.8.1934, S<strong>im</strong>on vom 15.8.1934. Über Hütte hieß es: „Lediglich der ehemalige<br />

Sparkassendirektor Hütte glaubt Beschwerden über die Art und Weise der Untersuchungen führen zu müssen.“<br />

Ebd., Beschluss des Gaugerichts vom 25.10.1934.<br />

669 Christ erhob am 5.11.1934 Einspruch, das Gaugericht teilte ihm am 6.11.1934 mit, es stehe ihm kein<br />

Beschwerderecht zu. Christ hatte Fräulein Müller als tüchtige Kraft beschrieben, die erst bei Ochs, dann bei ihm<br />

und jetzt bei Klaeber <strong>im</strong> Vorz<strong>im</strong>mer saß. In den letzten Jahren sei ihr Lebenswandel einwandfrei gewesen,<br />

politisch sei sie sehr zuverlässig. BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886. Klaeber gab in<br />

seinem Spruchkammerverfahren an, er habe sich dem Wunsch der Gauleitung nach Entlassung von Fräulein<br />

Müller widersetzt; LHAKo Best. 856 Nr. 220499, Klaeber vom 17.5.1949.<br />

670 BArch (ehem. BDC), OPG, Meyers, Wilhelm, 28.10.1886.<br />

671 LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img_53012_0 und 53012_1. Am 3.4.1935 wurde Meyers in Mayen be<strong>im</strong> Verlassen<br />

des Amtsgerichts sogar von SA-Leuten tätlich angegriffen und vorübergehend in Schutzhaft genommen,<br />

nachdem er eine Mandantin wegen Beleidigung des dortigen Kreisleiters verteidigt hatte; Wolfgang Hans Stein:<br />

Von rheinischen Richtern. <strong>Die</strong> Justizjuristen der Landgerichtsbezirke <strong>Koblenz</strong> und Trier <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>.<br />

In: Justiz <strong>im</strong> Dritten Reich. Justizverwaltung, Rechtssprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen<br />

Landes Rheinland-Pfalz, Teil 1 (Schriftenreihe des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz 3). Mainz 1995, S.<br />

195-336, hier S. 263 f. Anm. 152.<br />

672 StAK 623 Nr. 2615, S. 63. Als weiterer Zeuge trat Dr. Ruttkowsky auf.


181<br />

Spruchkammerverfahren von Trampp führte Oberbürgermeister Schnorbach dessen<br />

Beförderung auf seine „besonderen Beziehungen zu damals maßgebenden Personen der<br />

NSDAP, insbesondere […] Christ und […] Frischling“, zurück. 673<br />

In der Frage der Bestätigung Wittgens als Oberbürgermeister drängte Regierungspräsident<br />

Turner am 6. Oktober 1934 den Gauleiter persönlich zu einer Äußerung. Falls die Berufung<br />

nicht bis zum 24. zurückgenommen werde, sei sie endgültig. S<strong>im</strong>on gab drei Tage später sein<br />

Einverständnis, was Turner erst am 19. nach Berlin weitergab. Dort konnte man nur noch<br />

feststellen, dass das Recht auf Zurücknahme durch Fristablauf erloschen sei. In Zukunft<br />

werde man aber in angemessener Frist vor Ablauf des Probejahres einen Bericht über die<br />

Amtsführung des Betreffenden anfordern. 674<br />

In der zweiten Ratsherrensitzung vom 5. Dezember 1934 wurden die fünf von der Verwaltung<br />

vorgeschlagenen Beiräte sowie an Stelle des Verkehrsausschusses zusätzlich ein sechster<br />

Beirat für Angelegenheiten des Verkehrswesens gebildet. <strong>Die</strong> Beiräte setzten sich aus<br />

Ratsherren und sachverständigen Bürgern zusammen, die alle Mitglieder der Partei oder einer<br />

ihrer Organisationen waren. 675 Eine Ausnahme bildete zumindest vorerst der Beirat zur<br />

Beratung in Angelegenheiten des Wohlfahrtswesens, kurz „Fürsorgebeirat“ genannt, der<br />

ungefähr alle zwei Wochen tagte. Auf Vorschlag des Beigeordneten Klaeber wurden neben<br />

den Ratsherren Karbach, Bruckmann, Koch, Ackermann und Born Regierungs-Diätar<br />

Theodor Bühl für die NSKOV, Rektor Dr. Otto Hirtz 676 für die Caritas, Pfarrer Friedrich<br />

Hennes für die Innere Mission, Rentner Peter Oster-Schmalz für den Reichsbund deutscher<br />

Kapital- und Kleinrentner sowie der Geschäftsführer Hans Schuchmann für den Gesamt-<br />

verband deutscher Arbeitsopfer berufen. 677 <strong>Die</strong> nach Einführung der DGO geänderte<br />

Hauptsatzung vom 30. August 1935 erweiterte die Zuständigkeit des Verkehrsbeirats um<br />

Handel und Gewerbe und führte einen siebten Beirat für Angelegenheiten der städtischen<br />

Betriebe auf. Mindestens die Hälfte der Beiratsmitglieder mussten Ratsherren sein. 678<br />

673 LHAKo Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert), Schnorbach vom 15.10.1949.<br />

674 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 77-83.<br />

675 StAK 623 Nr. 7216, S. 6-8; ebd. Nr. 9562, S. 298-301.<br />

676 * 15.1.1895 Differten (heute Wadgassen), + 27.11.1963 Bombogen (Kreis Wittlich-Land), katholisch, 1923<br />

Priesterweihe in Rom, 1925 Kaplan in Mayen, 1931 Caritasrektor und Rektor des Bürgerhospitals in <strong>Koblenz</strong>,<br />

1932 Rektor des Dominikanerinnenklosters in Moselweiß, wegen Tätigkeit <strong>im</strong> Caritasverband Strafverfahren,<br />

1936 eingestellt, 1936 Pfarrer in Saarbrücken. Trotz der Namensgleichheit nicht verwandt mit dem Lesevereins-<br />

Vorsitzenden Wilhelm Hirtz. Der Weltklerus der Diözese Trier seit 1800. Hg. v. Diözesanarchiv Trier. Trier<br />

1941, S. 156 f. [1937]; Ulrich von Hehl: Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische<br />

Erhebung. Bd. 2. 2. Aufl. Mainz 1985, S. 1455; schriftliche Auskunft des Standesamtes Wadgassen vom<br />

27.10.2009.<br />

677 StAK 623 Nr. 6544, S. 620-625.<br />

678 StAK 623 Nr. 7216, S. 65 und Anlage 3 nach S. 72. In Trier waren elf Beiräte gebildet worden; Zenz: <strong>Die</strong><br />

kommunale Selbstverwaltung, S. 129.


182<br />

4.3.5 <strong>Die</strong> Besetzung der dritten hauptamtlichen Beigeordnetenstelle<br />

Regierungspräsident Turner hatte am 24. Januar 1934 die Wahl von Dahm und Klaeber zu<br />

unbesoldeten Beigeordneten der Stadt bestätigt, indem er sie mit Wirkung vom 1. Januar für<br />

die Dauer von zwölf Jahren berief. 679 Klaeber sah sich als Wohlfahrtsdezernent bald mit den<br />

Forderungen der Partei nach dauerhafter Beschäftigung erwerbsloser Alter Kämpfer<br />

konfrontiert, die außerdem selbst bei mangelnder Qualifikation nicht in „unwürdigen“<br />

Positionen beschäftigt werden sollten. 680 War die Streichung der hauptamtlichen dritten<br />

Beigeordnetenstelle 1933 mit dem Ablauf der Wahlzeit von Ochs mit Sparmaßnahmen<br />

begründet worden, vermerkte Wittgen <strong>im</strong> Oktober 1934, Klaeber habe sich bewährt und er<br />

empfehle ihn dem vorläufigen Gemeinderat zur Wiederbesetzung der dritten Beigeordneten-<br />

stelle. Nach dessen Einverständnis fasste Wittgen am 29. Oktober 1934 als Leiter der<br />

Verwaltung den Beschluss, die Stelle schnellstmöglich mit Klaeber neu zu besetzen. Einen<br />

Tag später ging ein entsprechender Antrag an die Regierung. Auf eine Stellenausschreibung<br />

war verzichtet worden und als „Härteausgleich“ für die bereits ehrenamtlich verbrachte<br />

<strong>Die</strong>nstzeit war eine Zulage von 800 RM vorgesehen. 681<br />

Anfang November 1934 tauchten zwischen Wittgen und S<strong>im</strong>on aber Differenzen in der<br />

Beurteilung der bisherigen Tätigkeit Klaebers auf, die der Oberbürgermeister in einem<br />

ausführlichen Bericht für den Gauleiter auszuräumen versuchte. Er bescheinigte Klaeber, sein<br />

Amt „sachlich, umsichtig und fleissig“ geführt zu haben. Während er selbst eine eiserne<br />

Sparpolitik hätte betreiben müssen, habe Klaeber bei der Leitung des Wohlfahrtsdezernats<br />

trotz der finanziellen Notlage der Stadt die größten Härten für Familien beseitigt. Detailliert<br />

nahm Wittgen zur Beschäftigungslage bei der Stadt Stellung. Dort habe es große<br />

Einsparungen geben müssen, trotzdem habe man Alte Kämpfer unterbringen können. Alle<br />

erwerbslosen Kämpfer einzustellen, liege vollkommen außerhalb der städtischen Möglich-<br />

keiten. Daraus könne Klaeber nicht der Vorwurf gemacht werden, ihm mangele es an dem<br />

„nötigen Eifer oder Entschlusskraft oder nationalsozialistischer Auffassung“. Er habe „<strong>im</strong><br />

Rahmen des Möglichen“ alles getan. „Darüber hinaus wäre das Gemeinwohl der Stadt<br />

zweifellos geschädigt worden.“ 682<br />

Während Abteilung I den Vorgang der Berufung Klaebers mehrfach auf Wiedervorlage legte,<br />

wurde Wittgen am 6. November 1934 von S<strong>im</strong>on in einem streng vertraulichen Schreiben<br />

ohne weitere Begründung informiert, „dass ich von mir aus eine hauptamtliche Anstellung<br />

679<br />

StAK 623 Nr. 3858, S. 3, 31. Ihre Vereidigung erfolgte in der Sitzung des Beschlussausschusses vom<br />

8.2.1934; ebd. S. 5, 8.<br />

680<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 3873, S. 1-3, 53, 81-87.<br />

681<br />

StAK 623 Nr. 3858, S. 50-55.<br />

682<br />

StAK 623 Nr. 6125, S. 338-341, Zitate S. 338, 340 f. Es folgt eine vierseitige Liste Alter Kämpfer, die<br />

dauerhaft bei der Stadt untergebracht werden konnten; ebd. S. 342-345. Der Regierungspräsident erhielt am<br />

8.11.1934 eine Abschrift von Wittgens Schreiben; ebd. S. 346.


183<br />

des Pg. Kläber versagen muss.“ Zehn Tage später teilte der Regierungspräsident Wittgen mit,<br />

dass er derzeit seinem Vorschlag nicht folgen könne und begründete dies ausdrücklich mit<br />

einer Bitte S<strong>im</strong>ons. Damit ruhte die Angelegenheit zunächst, bis der Regierungspräsident am<br />

23. Januar 1935 die am 24. Januar 1934 ausgesprochene Berufung Klaebers zum ehren-<br />

amtlichen Beigeordneten widerrief – also am letztmöglichen Termin vor Ablauf des<br />

Probejahres. Dabei berief sich Turner wieder auf die Gauleitung. 683<br />

Details zur Absetzung Klaebers liefert seine Spruchkammerakte. Klaeber war schon am<br />

23. Juni 1934 seines Postens als Kreisleiter enthoben worden, den er erst <strong>im</strong> Dezember 1933<br />

angetreten hatte. Nach Aussage des ihm unterstellten Wohlfahrtsamtsleiters Schmitz stand er<br />

bei der Gauleitung „wegen angeblicher Schlappheit in Verruf […]. Ich kann mich noch gut<br />

erinnern, dass massgebende Parteigrössen abfällige Werturteile über ihn abgegeben haben.<br />

Ich selbst hielt ihn für beruflich wenig begabt und politisch harmlos.“ Der damalige<br />

Stadtsekretär Otto Braun sagte aus, Klaeber habe seine politische Einstellung als<br />

Sozialdemokrat gekannt, ohne dass dies für ihn negative Konsequenzen gehabt habe. Als<br />

Klaeber seine beiden Ämter verlor, „hieß es bei uns, dies sei geschehen, weil er für beide<br />

Posten zu anständig sei“. An seinem letzten Arbeitstag hätten sich alle Beamten und<br />

Angestellten persönlich von ihm verabschiedet: „Sein Weggang wurde allgemein bedauert,<br />

einmal, weil er ein vernünftiger und anständiger Vorgesetzter war und dann auch weil er viel<br />

Verständnis für soziale Nöte der Bevölkerung hatte.“ 684<br />

Klaeber selbst erklärte den Verlust seiner Ämter mit seinem Widerstand gegen Anweisungen<br />

der Gauleitung. So sollte er das Gehalt von Schmitz kürzen, weil es nicht angehe, dass ein<br />

Amtmann mehr verdiene als der stellvertretende Gauleiter. Außerdem habe er sich der<br />

Entlassung Brauns widersetzt. Der Gauleiter habe von ihm verlangt, „in erster Linie Pgg. zu<br />

unterstützen“, entweder durch Geld oder Arbeitsvermittlung. 685 <strong>Die</strong> Arbeitslosigkeit unter den<br />

Parteigenossen war <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier vergleichsweise hoch. Mit einem Anteil von<br />

17,0 % erwerbsloser Parte<strong>im</strong>itglieder bildete der Gau noch Anfang 1935 das Schlusslicht<br />

unter allen Gauen, 686 zweifellos ein wunder Punkt <strong>im</strong> Image des Gauleiters, der in der<br />

Kampfzeit große Hoffnungen geschürt hatte.<br />

Klaeber befand sich schließlich noch bis 31. März 1935 in städtischen <strong>Die</strong>nsten. Nachdem<br />

sich eine neue Tätigkeit als kommissarischer Amtsbürgermeister von Daaden zerschlagen<br />

hatte, suchte die Gauleitung eine andere Lösung für ihn. 687 Damit hielt man sich an die<br />

parteiinterne Vorgabe, bei Amtsenthebungen von Politischen Leitern <strong>im</strong> gegenseitigen<br />

683 StAK 623 Nr. 3858, S. 41 f., 56 f., Zitat S. 41.<br />

684 LHAKo Best. 856 Nr. 220499 (unpaginiert), Schmitz vom 13.10.1948, Braun vom 21.12.1949.<br />

685 LHAKo Best. 856 Nr. 220499 (unpaginiert), Klaeber vom 17.5.1949.<br />

686 Partei-Statistik, Bd. I, S. 305. Absolut 9.007 Parteigenossen am 1.1.1935, die Quote <strong>im</strong> Reich betrug 8,2 %.<br />

687 StAK 623 Nr. 3858, S. 57 f.


184<br />

Interesse einen Prestigeverlust zu vermeiden. 688 Klaebers Amtsvorgänger, der Trierer<br />

Oberbürgermeister Christ, verhandelte Ende April <strong>im</strong> Auftrag S<strong>im</strong>ons und in Gegenwart<br />

Reckmanns mit Klaeber über einen Wechsel zur <strong>Stadtverwaltung</strong> Trier. Man gestand ihm<br />

sogar eine Bedenkzeit zu. Schließlich wechselte Klaeber zum 15. Mai 1935 als Stadtinspektor<br />

zum Trierer Wohlfahrtsamt. Später wurde er <strong>im</strong> Rechnungsprüfungsamt eingesetzt und zum<br />

Stadtoberinspektor befördert. 1940 meldete er sich freiwillig zur Front, kehrte aber 1942 nach<br />

der Entlassung aus der Wehrmacht infolge eines Unfalls zurück. Nach der Evakuierung<br />

Triers Ende Oktober 1944 war Klaeber bis zu seinem Volkssturmeinsatz 1945 Stadtober-<br />

inspektor bei den Münchner Verkehrsbetrieben. Es folgten 42 Monate Internierungshaft,<br />

zuletzt in Trier-Petrisberg, wo auch das Spruchkammerverfahren durchgeführt wurde. Der<br />

Säuberungsspruch vom August 1949 lautete auf Einstufung in die Gruppe der Minder-<br />

belasteten, da er politisch trotz seines hohen Amtes als Kreisleiter nie sonderlich und <strong>im</strong> üblen<br />

Sinne in Erscheinung getreten sei. <strong>Die</strong> lange Internierung gelte als ausreichende Sühne,<br />

zugleich lautete der Spruch aber auf Entlassung aus dem Amt ohne Pension. Sowohl Klaeber<br />

als auch der Landeskommissar legten Widerspruch ein, worauf die Berufungsverhandlung in<br />

<strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> März 1950 mit der Einstufung in die Gruppe der Belasteten endete, weil die<br />

Beförderung zum Stadtoberinspektor Klaeber als Nutznießer des NS-Reg<strong>im</strong>es auswies. Seine<br />

Rechte aus seinem Beamtenverhältnis verlor Klaeber, es wurde ihm jedoch die Möglichkeit<br />

geschaffen, seine alte Anwartschaft auf eine Angestelltenrente wiederherzustellen. Ein<br />

Gnadengesuch lehnte Ministerpräsident Altmeier 1951 ab. 689<br />

Nachfolger Klaebers auf dem Posten des Kreisleiters wurde am 1. Juli 1934 der fast 20 Jahre<br />

jüngere Kaufmann Robert Claussen (Abb. 25). Mit seinen 25 Jahren war er der jüngste 690<br />

Kreisleiter <strong>im</strong> Gau. Trotz dieses jugendlichen Alters war Claussen schon seit Oktober 1933<br />

hauptamtlich als Gauinspekteur Nord tätig, 691 was seine besondere Vertrauensstellung bei<br />

S<strong>im</strong>on belegt. Von diesem Amt trat er <strong>im</strong> Juni 1936 zurück, als die Personalunion aufgegeben<br />

688 Partei-Statistik, Bd. II, S. 281 f. In dem bisher einzigen bekannten Fall <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier, in dem ein<br />

Kreisleiter wegen mangelnder Aktivitäten aus dem Amt entfernt wurde, nämlich <strong>im</strong> Fall des Kreisleiters von<br />

Wittlich 1937, erhielt der Betreffende den Titel eines Kreisleiters ehrenhalber und die Erlaubnis zum Tragen der<br />

Uniform eines ehemaligen Kreisleiters verliehen. Dorfey: „Goldfasane“, S. 313 f.<br />

689 StAK 623 Nr. 3858, S. 59-62; LHAKo Best. 856 Nr. 220449 (unpaginiert). In der Berufungsverhandlung war<br />

Stadtinspektor Ignaz Altenvoerde als weiterer Entlastungszeuge aufgetreten: Klaeber habe seine von Christ<br />

ausgesprochene Versetzung rückgängig gemacht und ihn bei Bekanntwerden seiner Judenfreundlichkeit vor der<br />

Gestapo geschützt; ebd., Altenvoerde vom 9.3.1950. Klaeber starb am 30.1.1966 in Mainz; Standesamt Mainz,<br />

Sterbeurkunde Nr. 162/1966.<br />

690 Willi Mühlenbach, der 1930 <strong>im</strong> Alter von nur 21 Jahren Kreisleiter von Zell geworden war, seit 1933 sogar<br />

hauptamtlich, war wenige Wochen älter. Jünger als Claussen war nur der 1911 geborene Ewald Schlieker, der<br />

allerdings erst 1941, also <strong>im</strong> Alter von 30 Jahren, kommissarischer Kreisleiter von Trier-Land-Ost wurde.<br />

Dorfey: „Goldfasane“, S. 366, 406, 413.<br />

691 Bei Claussens polizeilicher Anmeldung in <strong>Koblenz</strong> am 9.4.1934 wurde als Beruf „Gauinspekteur“ vermerkt;<br />

StAK M 146, Hausblatt Roonstraße 47 (Hotel National). <strong>Die</strong> Schreibweise des Familiennamens lautete dabei<br />

wie auch in der Heirats- und Sterbeurkunde „Clausen“; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 225/1936;<br />

ebd., Sterbeurkunde Nr. 1455/1941. Eine hauptamtliche Beschäftigung der Kreisleiter war zu diesem frühen<br />

Zeitpunkt <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Gauen noch keineswegs selbstverständlich; vgl. dazu und zum Ausbau der<br />

Kreisleitungen Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 74-86.


185<br />

werden sollte und er sich für einen der Posten entscheiden musste. 692 Der gebürtige Bopparder<br />

war 1928 der NSDAP beigetreten und hatte innerparteilich schnell Karriere gemacht: Mai<br />

1930 Ortsgruppenleiter Boppard, Mai 1931 Kreisleiter St. Goar, Dezember 1931 bis Juni<br />

1932 Gauschatzmeister, kurz darauf Gaugeschäftsführer. Seit 1936 war er Mitglied des<br />

Reichstages, am 30. Januar 1938 verlieh ihm Hitler das Goldene Parteiabzeichen ehren-<br />

halber. 693 Der rasche organisatorische Ausbau der Kreisleitung unter Claussen fand seinen<br />

Ausdruck in der Einweihung des ersten „Kreishauses“ am 24. März 1935 in der Mainzer<br />

Straße. 694 Bereits <strong>im</strong> Mai wurde ein Mietvertrag für ein größeres Gebäude in der Bahnhofstraße<br />

38, ganz in der Nähe der Gauleitung, unterzeichnet. 695<br />

Als Kreisleiter hatte Claussen automatisch das in der DGO vorgesehene Amt des<br />

Beauftragten der Partei inne. Der Parteibeauftragte wurde vom Gauleiter berufen, der ihn<br />

mit bindenden Anweisungen versehen konnte, der <strong>im</strong> Hintergrund insbesondere bei<br />

Personalfragen die Entscheidungen traf und dem er ohnehin disziplinarisch unterstand. 696<br />

„Zur Sicherung des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit der Partei“ räumte ihm die DGO<br />

wichtige Mitwirkungsrechte ein. 697 Claussen war nunmehr der offizielle Verbindungsmann<br />

Wittgens zur NSDAP und dafür verantwortlich, dass die „unbedingt notwendige<br />

Einflußnahme [der Partei] auf die Gemeinde gesichert blieb.“ 698 Der selbstbewusste Claussen<br />

war fast 28 Jahre jünger als Wittgen. Wie wenig er mit Verwaltungsdingen vertraut war bzw.<br />

sich an formal-bürokratische Abläufe hielt, sollte sich <strong>im</strong>mer wieder zeigen. Konflikte mit<br />

Wittgen waren aber nicht nur deswegen und wegen des großen Altersunterschieds fast<br />

vorprogrammiert. Sie hatten auch ideologische und institutionelle Gründe. In der<br />

692 S<strong>im</strong>on sträubte sich gegenüber Reichsorganisationsleiter Ley zunächst gegen die Umsetzung einer<br />

entsprechenden Verfügung des StdF und argumentierte unter Hinweis auf seinen Personalmangel, er brauchte<br />

gerade in <strong>Koblenz</strong> und Trier (wo Müller in Personalunion Gauinspekteur West und Kreisleiter war) „durchaus<br />

tüchtige Kreisleiter“. Schließlich wurde Josef Ackermann anstelle der bisherigen drei Gauinspekteure (Nord,<br />

Süd und West) bis 1945 alleiniger Gauinspekteur für den gesamten Gau. BArch NS 22/715 (unpaginiert). Vgl.<br />

Dorfey: „Goldfasane“, S. 328 f.; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 45.<br />

693 Dorfey: „Goldfasane“, S. 328-330, 385; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 171 f.; Bruno<br />

Korn: Boppard. Geschichte einer Stadt am Mittelrhein. Bd. 2. Hg. v. Heinz E. Mißling, Boppard 1994, S. 200,<br />

213; NB, 31.10.1933: Personalveränderungen in der Gauleitung; NB, 16./17.8.1941: Nachruf, Todesanzeige.<br />

694 NB, 25.3.1935: Kein „Büro“ – sondern eine Trutzburg der Bewegung.<br />

695 StAK 623 Nr. 9686, S. 468-496. Eigentümerin des 1906/07 errichteten Gebäudes war die Kreissparkasse.<br />

Den Mietvertrag unterzeichnete als Vorsitzender Landrat Wilhelm Struve. 1943 bezeichnete die städtische<br />

Preisbehörde die außerordentlich niedrige Miete für 1.260 qm Nutzfläche als „Gefälligkeitsmiete“. Ebd., S. 492.<br />

696 RGBl. I 1935, S. 470; <strong>Die</strong> Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935. Textausgabe mit der<br />

vollständigen Amtlichen Begründung und einer Einleitung von Dr. Harry Goetz. 5. Aufl. mit Nachtrag<br />

Stuttgart/Berlin 1936, S. 208 f., Nachtrag S. 14 f.; <strong>Die</strong>ter Rebentisch: <strong>Die</strong> politische Stellung der<br />

Oberbürgermeister <strong>im</strong> Dritten Reich. In: Klaus Schwabe (Hg.): Oberbürgermeister (Deutsche Führungsschichten<br />

in der Neuzeit 13). Boppard 1981, S. 125-155, hier S. 141; Matzerath: Oberbürgermeister <strong>im</strong> Dritten Reich.<br />

Auswertung einer quantitativen Analyse, S. 189. Zu den Tätigkeiten des Parteibeauftragten vgl. Roth: Parteikreis<br />

und Kreisleiter, S. 204-220.<br />

697 § 6 Abs. 2 sowie § 33 Abs. 1 DGO. Der Beauftragte der Partei wirkte bei der Berufung und Abberufung des<br />

Bürgermeisters und der Beigeordneten mit. <strong>Die</strong> Ernennung und Abberufung der Gemeinderäte erfolgte durch<br />

den Parteibeauftragten <strong>im</strong> Benehmen mit dem Bürgermeister. Der Erlass der Hauptsatzung bedurfte ebenso der<br />

Zust<strong>im</strong>mung des Parteibeauftragten wie die Verleihung oder Aberkennung des Ehrenbürgerrechts.<br />

698 Walter Sommer: <strong>Die</strong> NSDAP und die Gemeinde. München 1935, S. 19. Vgl. Roth: Parteikreis und<br />

Kreisleiter, S. 208.


186<br />

Zusammenarbeit mit einem Verwaltungschef musste sich das Selbstverständnis eines<br />

Politischen Leiters als problematisch erweisen, der sich als Verantwortlicher für die<br />

„Menschenführung“ geradezu <strong>im</strong> Kontrast zum Bürokraten definierte: „Der Politische Leiter<br />

ist kein Beamter, sondern <strong>im</strong>mer der politische Beauftragte des Führers. […] Nie darf er<br />

Bürokrat werden, <strong>im</strong>mer muß er <strong>im</strong> Volk und für das Volk tätig sein.“ 699 Bezeichnend dafür,<br />

wem sich die Ratsherren verpflichtet zu fühlen hatten, ist die Erklärung, deren Unter-<br />

zeichnung der Parteibeauftragte verlangte. Darin unterwarfen sich die Ratsherren<br />

„ehrenwörtlich unter Entsagung jeder Einrede“ der Parteidisziplin und verpflichteten sich,<br />

ihr Amt jederzeit auf Verlangen niederzulegen. 700<br />

Zu den zentralen Befugnissen des Parteibeauftragten gehörte die Vorauswahl der Bewerber<br />

bei der Berufung von Bürgermeistern und Beigeordneten, denn die NSDAP wollte „die<br />

entscheidende St<strong>im</strong>me da haben, wo Personalpolitik gemacht wird“. 701 Für die <strong>im</strong> Mai 1935<br />

ausgeschriebene Neubesetzung der dritten Beigeordnetenstelle endete die Bewerbungsfrist am<br />

1. Juli. 702 Es gingen 101 Bewerbungen ein, wobei der SA-Führer der Gruppe Westmark<br />

Wittgen bat, die Stelle „für einen SA-Führer freizuhalten“. Aus einer von Abteilung I<br />

zusammengestellten Übersicht der Bewerber wählte Claussen zehn aus, deren Unterlagen er<br />

sich vorlegen ließ. Ende Juli schickte ihm Abteilung I auf „Anordnung der Gauleitung<br />

(Kommunalpolitisches Amt)“ die von zwei weiteren Bewerbern. Das lässt einerseits auf den<br />

befehlsmäßigen Umgangston der Gauleitung gegenüber der Stadt schließen und belegt<br />

andererseits, dass der Parteibeauftragte keineswegs selbständig agieren konnte. 703 Unter den<br />

Kandidaten fand sich keiner, der Claussens hohen Ansprüchen genügte. Im Dezember 1935<br />

erklärte der 26-jährige Parteibeauftragte Regierungspräsident Turner, die drei zu einem<br />

Vorstellungsgespräch geladenen Bewerber wären entweder zu alt 704 oder ohne „jede<br />

Fachkenntnis“ gewesen: „Ich glaube, dass Sie ebenfalls der Meinung sind, dass für die Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>, deren Beamtenapparat noch wenig nationalsozialistisch eingestellt ist, nur ein<br />

Stadtrat in Frage kommt, der Nationalsozialist vor dem 30. Januar 1933 war.“ Das Amt<br />

verlange „ungeheure Energie und ein großes Verantwortungsbewusstsein“, weshalb er den<br />

Reichsbahnsekretär Hubert Fuhlrott vorschlage, der demnächst angeblich Reichsbahnrat<br />

werden solle – womit Claussen nebenbei verriet, dass er keine Kenntnisse über die<br />

699<br />

Organisationsbuch der NSDAP, S. 15. Zu dieser Problematik vgl. Rebentisch/Teppe: Einleitung; Mommsen:<br />

Beamtentum, S. 23.<br />

700<br />

BArch NS 25/240, S. 102-104, Zitat S. 104. <strong>Die</strong> Erklärung kam zu den Akten der Kreisleitung des Amtes für<br />

Kommunalpolitik.<br />

701<br />

Sommer: <strong>Die</strong> NSDAP und die Gemeinde, S. 19.<br />

702<br />

<strong>Die</strong> Stellenausschreibung erfolgte u. a. kostenlos <strong>im</strong> Mitteilungsblatt „Das nationalsozialistische Rathaus“ des<br />

Gauamtes für Kommunalpolitik (Heft 10 vom 25.5.1935), eine Anzeige <strong>im</strong> WB lehnte Wittgen ab. LHAKo Best.<br />

714 Nr. 1275, S. 168; StAK 623 Nr. 6125, S. 396-400, 564-566.<br />

703<br />

StAK 623 Nr. 6125, S. 408 f., 414-416, 494, 502-512, 539-549, 569, Zitate S. 416, 494. Unter den Bewerbern<br />

befand sich auch der spätere <strong>Koblenz</strong>er Bürgermeister und Stadtkämmerer Dr. Wilhelm Hüster; ebd. S. 502, 539.<br />

704<br />

Es hatte sich z. B. der 45-jährige Hermann Trennert vorgestellt, seit 1929 NSDAP-Mitglied, promovierter<br />

Staatswissenschaftler, von 1908 bis 1920 Kommunalbeamter, zuletzt als Leiter des Wohlfahrtsamtes des Kreises<br />

Biedenkopf, 1935 Presse- und Propagandaleiter in Frankfurt am Main; StAK 623 Nr. 6125, S. 502, 529 f.


187<br />

Beamtenlaufbahn besaß. Fuhlrott sei ein „energischer Mann mit überdurchschnittlichen<br />

Fähigkeiten“, der schon kommissarischer Kreisleiter von Cochem gewesen sei. Kommunal-<br />

politische Erfahrungen habe er als Beigeordneter der Stadt Uerdingen und als Ratsherr der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> gesammelt. <strong>Die</strong> Ratsherren hätten sich gemäß DGO bereits einverstanden<br />

erklärt. Fuhlrotts Bewerbung hatte aber einen wesentlichen Schönheitsfehler: Datiert vom<br />

12. November 1935, war sie erst lange nach Ablauf der Bewerbungsfrist eingegangen.<br />

Claussen musste Turner daher bitten, be<strong>im</strong> Oberpräsidenten eine Ausnahmegenehmigung zu<br />

erwirken. Dabei sparte Claussen, der den Wunschkandidaten Fuhlrott offensichtlich<br />

durchboxen wollte, nicht mit dem Hinweis, dass sonst eine zeitraubende Neuausschreibung<br />

erfolgen müsse. 705<br />

Hubert Fuhlrott 706 (Abb. 19) war schon bald nach seinem Umzug nach <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Mai 1934<br />

für die örtliche NSDAP aktiv geworden. Der ehemalige Kriegsteilnehmer war 1927<br />

kurzfristig Stahlhelm-Mitglied gewesen. Am 1. Dezember 1930 trat er in die Partei ein, ein<br />

Jahr später auch in die SA. Beruflich hatte er nach der Mittleren Reife eine Laufbahn bei der<br />

Reichsbahn eingeschlagen. 1932 war Fuhlrott Reichsbahninspektor be<strong>im</strong> Reichsbahn-<br />

verkehrsamt Krefeld, seiner Versetzung nach <strong>Koblenz</strong> folgte am 1. Juli 1934 die Beförderung<br />

zum Reichsbahnoberinspektor. Vom Juli 1933 bis zum 1. Mai 1934 leitete er die NSDAP-<br />

Ortsgruppe Uerdingen-Rheinhafen. Nach der Machtergreifung wurde Fuhlrott <strong>im</strong> Mai 1933<br />

zum ehrenamtlichen Beigeordneten des Stadtteils Uerdingen gewählt, <strong>im</strong> Juni folgte seine<br />

Einführung als kommissarischer Beigeordneter. Im Dezember 1933 best<strong>im</strong>mte ihn die<br />

Bezirksverordnetenversammlung zum Ersten Beigeordneten. Seine Beauftragung durch den<br />

Düsseldorfer Regierungspräsidenten scheiterte aber am neuen GVG, demnach er als Beamter<br />

nicht gleichzeitig Beigeordneter sein konnte. Fuhlrott legte das Amt daraufhin <strong>im</strong> Januar 1934<br />

wegen seiner Beanspruchung als Ortsgruppenleiter und NSV-Gruppenwart nieder. 707 Als<br />

Alter Kämpfer, Ortsgruppenleiter und Kommunalpolitiker war Fuhlrott der Partei in <strong>Koblenz</strong><br />

angesichts ihrer Personalnöte höchst willkommen. Fuhlrott behauptete in seinem Spruch-<br />

kammerverfahren, er hätte gehofft, durch den Umzug die ihm „lästig gewordene Parteiarbeit“<br />

loszuwerden. Doch schon <strong>im</strong> Spätsommer sei der Gauleiter an ihn herangetreten, die<br />

Ortsgruppe <strong>Koblenz</strong>-Mosel zu übernehmen. Deren bisheriger Leiter Christian Ackermann,<br />

gleichzeitig Leiter des Amtes für Volkswohlfahrt, wurde wegen Vernachlässigung der<br />

Ortsgruppe abgesetzt. 708<br />

705<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 5 (Zitate), 9.<br />

706<br />

* 26.3.1896 Kofferen, + 14.2.1985 Buxtehude, altkatholisch, verheiratet, Kirchenaustritt 1936. LHAKo Best.<br />

856 Nr. 110736; StAK Passive Meldekartei.<br />

707<br />

Joach<strong>im</strong> Lilla: <strong>Die</strong> Verwaltung des Stadtteils Uerdingen von 1929 bis 1940. In: <strong>Die</strong> He<strong>im</strong>at 65 (1994), S. 60-<br />

86, hier S. 71, 73 (mit Abb.), 83 f. Anm. 166; ders.: Entwicklung und Organisation der NSDAP in Krefeld<br />

(1920)/1932/33 – 1945. In: <strong>Die</strong> He<strong>im</strong>at 70 (1999), S. 143-169, hier S. 155, 161.<br />

708<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Fuhlrott vom 3.3.1948; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 113.


188<br />

Turner informierte Oberpräsident Terboven über die verspätete Bewerbung Fuhlrotts, st<strong>im</strong>mte<br />

aber Claussen zu, die Stelle müsse mit einem Alten Kämpfer besetzt werden. Der städtische<br />

Verwaltungsapparat genüge noch nicht den nationalsozialistischen Anforderungen und die<br />

jetzigen zwei hauptamtlichen Beigeordneten seien erst nach dem 30. Januar 1933 der Partei<br />

beigetreten. Fuhlrott sei besonders tatkräftig und überdurchschnittlich begabt. Turner machte<br />

zwar noch darauf aufmerksam, dass es unter den Bewerbern weitere qualifizierte und politisch<br />

unbelastete Kandidaten gebe, doch Terboven erklärte sich Ende Januar 1936 mit der Berufung<br />

Fuhlrotts einverstanden, der dann am 1. März seinen <strong>Die</strong>nst antrat. Gemäß § 34 Abs. 2 DGO<br />

führte er die Amtsbezeichnung „Stadtrat“. 709 In der Ratsherrensitzung vom 5. März 1936<br />

führte Wittgen ihn in sein Amt ein. In seiner Ansprache betonte er, Fuhlrott übernehme kein<br />

leichtes Amt, denn seine Arbeitsgebiete seien ihm überwiegend fremd: „Ich habe aber die<br />

feste Überzeugung, dass es Ihnen in kurzer Zeit gelingen wird, sich so einzuarbeiten, dass Sie<br />

dem Amt ein richtiger und verantwortlicher Führer und mir ein wertvoller Mitarbeiter sind.“<br />

Fuhlrott werde mehr als andere direkt mit den Volksgenossen in Berührung kommen, aber es<br />

werde ihm als Rheinländer und Ortsgruppenleiter gelingen, als Wohlfahrtsdezernent „die<br />

richtige Einstellung“ zu den <strong>Koblenz</strong>ern zu finden und ihr Vertrauen zu gewinnen. 710 <strong>Die</strong> in<br />

Trier geltende Max<strong>im</strong>e, als Spitzenbeamte möglichst weder Rheinländer noch Katholiken<br />

zuzulassen, 711 galt in <strong>Koblenz</strong> also offensichtlich nicht. Mit dem Amtsantritt Fuhlrotts, der <strong>im</strong><br />

<strong>Die</strong>nst stets Parteiuniform trug, 712 änderte sich die seit 1933 geltende Dezernatsverteilung.<br />

709<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 1-3, 19.<br />

710<br />

StAK 623 Nr. 7216, Zitate Anlage 2 nach S. 72. Ebd. als Anlage 3 die entsprechend geänderte Hauptsatzung.<br />

Danach standen dem Oberbürgermeister der Bürgermeister (Binhold), der Stadtkämmerer (Wirtz), ein<br />

hauptamtlicher Beigeordneter (Fuhlrott) und zwei ehrenamtliche Beigeordnete (nur ein Posten mit Dahm<br />

besetzt) zur Seite.<br />

711<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 186. Fuhlrott war Altkatholik, trat aber <strong>im</strong> Dezember 1936 aus der<br />

Kirche aus; StAK Passive Meldekartei.<br />

712<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 11.7.2011.


189<br />

Tabelle 14: Dezernatsverteilung vom 2. März 1936 713<br />

Dezernent Arbeitsgebiete<br />

Oberbürgermeister Wittgen Allgemeine Verwaltung<br />

Personal<br />

Wahlen<br />

Verwaltungsschule<br />

Statistisches Amt<br />

Presseamt<br />

Eingemeindungen<br />

Kassen-, Rechnungs- und Revisionswesen<br />

Sparkasse<br />

Standesamt<br />

Bürgermeister Binhold Kunst und Wissenschaft<br />

a) Theater und Orchester<br />

b) Volksbücherei<br />

c) Museum und Gemäldesammlung<br />

Schul- und Kultusangelegenheiten<br />

Konzessionen<br />

Handwerks- und Innungssachen<br />

Versicherungsamt<br />

Provinzial-Feuerversicherung<br />

Hafen- und Werftbahnamt<br />

Schlachthof<br />

Pfandamt<br />

Forstamt<br />

Stadtkämmerer Dr. Wirtz<br />

Bevollmächtigter Referent Dr. Fischbach 714<br />

Kämmereiverwaltung<br />

a) Finanzverwaltung<br />

b) Kassenverwaltung<br />

c) Steuerverwaltung<br />

Versorgungsbetriebe Gas, Wasser,<br />

Elektrizität<br />

Verkehrsamt<br />

Säle und Gastwirtschaften, Stadtkellerei<br />

Prozess- und Rechtsabteilung<br />

Stadtrat Fuhlrott Fürsorgewesen<br />

a) Wohlfahrtsamt<br />

b) Jugendamt<br />

c) Armenstamm<br />

d) Wohlfahrtserwerbslose<br />

e) Stadtamt für Leibesübungen<br />

Polizei<br />

Feuerwehr<br />

Märkte und Messen<br />

713 StAK 623 Nr. 6025, S. 12-14; ebd. Nr. 9565, S. 68-70.<br />

714 Vgl. Kapitel 5.1.3.


190<br />

Oberbürgermeister Wittgen<br />

Hochbauamt ,Tiefbauamt<br />

Liegenschaftsamt<br />

Hilfsdezernent Oberbaurat Neumann Vermessungsamt<br />

Baupolizei<br />

Wohnungsamt, Wohnungsfürsorge<br />

Anlagen- und Friedhofsamt, Stadtgärtnerei<br />

Fuhrpark<br />

Straßenreinigung, Müllabfuhr<br />

Kanalisation<br />

Badeanstalten<br />

Ziegelei<br />

Wasserwehr<br />

Ehrenamtlicher Stadtrat Dr. Dahm Krankenanstalten, Wöchnerinnenhe<strong>im</strong><br />

Kreishebammenstelle<br />

Chemisches Untersuchungsamt<br />

Vertrauensarzt für städtische Beamte<br />

Im Februar 1937 schlug der Regierungspräsident dem Oberpräsidenten vor, von seinem<br />

Abberufungsrecht keinen Gebrauch zu machen, man war mit Fuhlrott zufrieden. 715 Fuhlrott<br />

stieg als fanatischer Nationalsozialist bald zu dem am meisten gefürchteten Mitglied des<br />

Stadtvorstands auf, der als „allgewaltig bei der Stadt“ 716 galt. Sowohl Kreisleiter Claussen als<br />

auch sein Nachfolger Cattepoel lobten den Ortsgruppenleiter als hervorragenden Organisator,<br />

der ebenso ehrgeizig wie energisch <strong>im</strong> „ehemals zentrümlichen Moselweiss“ eine muster-<br />

gültige Ortsgruppe aufgebaut hatte. 717 Während des Krieges avancierte Fuhlrott sogar zum<br />

engsten Mitarbeiter und Stellvertreter von Kreisleiter Cattepoel. 718 In seinem Spruch-<br />

kammerverfahren in Darmstadt, wo er von Januar 1947 bis April 1948 interniert war, wurden<br />

besonders seine antikonfessionelle Haltung und seine rücksichtlose Vorgehensweise<br />

hervorgehoben. Fuhlrott selbst charakterisierte sich als „Arbeitstier“ und jemanden, der seine<br />

Gedanken nicht hinter einer freundlichen Maske verbergen könne: „Eine solche Art liebt der<br />

<strong>Koblenz</strong>er nicht.“ 719 In seinem <strong>Die</strong>nstzeugnis, um das Fuhlrott selbst zu seiner Entlastung<br />

gebeten hatte, bescheinigte ihm Oberbürgermeister Schnorbach Ende 1947, er habe „sich in<br />

sein umfangreiches Arbeitsgebiet sehr gut eingearbeitet. <strong>Die</strong> ihm zufallenden Aufgaben hat er<br />

mit Ernst und Eifer wahrgenommen. Dabei war er stets auf die Wahrung der Interessen der<br />

Stadt bedacht. In seiner dienstlichen Tätigkeit war er beweglich und in den Verhandlungen<br />

mit anderen Behörden ein geschickter Verhandlungsleiter.“ 720<br />

715 LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 21, 27.<br />

716 Hugo Hinkel 1947 an Oberbürgermeister Schnorbach; StAK 623 Nr. 9744, S. 323.<br />

717 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Z<strong>im</strong>och vom 9.9.1947. <strong>Die</strong> vorbildliche Ortsgruppenarbeit<br />

Fuhlrotts kommt auch <strong>im</strong>mer wieder in vielen Berichten des NB zum Ausdruck. Beispiele: NB, 25.10.1940:<br />

Gerechte Ordnung ist unser Ziel; NB, 19.5.1943: Parteidienst ist wahrer Volksdienst.<br />

718 BArch (ehem. BDC), PK, Fuhlrott, Hubert, 26.3.1896.<br />

719 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Fuhlrott vom 3.3.1948 und 6.4.1948.<br />

720 StAK 623 Nr. 9744, S. 163-169, Zitat S. 164. Gestrichen hatte Schnorbach den Satz des Entwurfs „Über seine<br />

sachliche Amtsführung und über sein Privatleben ist Nachteiliges nicht bekannt geworden.“; ebd. S. 165. Vgl.<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Schnorbach vom 29.12.1947.


191<br />

In derselben Ratsherrensitzung vom 5. März 1936, in der Fuhlrott in sein Amt eingeführt<br />

wurde, nahm Claussen erstmals nicht als Ratsherr teil, sondern Wittgen begrüßte ihn<br />

ausdrücklich als Beauftragten der Partei. 721 Claussen hatte diese Funktion aber bereits <strong>im</strong><br />

Sommer 1935 <strong>im</strong> Bewerbungsverfahren Fuhlrott und bei der Verleihung des Ehrenbürger-<br />

rechts an Hierl (siehe unten) ausgeübt, gleichzeitig aber einen Ratsherrensitz innegehabt, was<br />

eindeutig § 50 DGO widersprach. <strong>Die</strong> Einführung der DGO hatte auch eine Neuregelung der<br />

Ratsherrenzahl zur Folge. <strong>Die</strong> neue Hauptsatzung vom 30. August 1935 722 sah jetzt<br />

25 Ratsherren vor. Da außer Fuhlrott und Claussen noch weitere ausgeschiedene Ratsherren<br />

ersetzt werden mussten, wurden am 5. März neun neue Gemeinderäte vereidigt. 723 Schon in<br />

deren Berufungsverfahren hatte es zwischen Wittgen und Claussen erste Unst<strong>im</strong>migkeiten<br />

gegeben. Claussen hatte Wittgen <strong>im</strong> Dezember 1935 eine Liste der Kandidaten geschickt und<br />

um die baldige Zustellung ihrer Anstellungsurkunden gebeten. Wittgen belehrte ihn, dieses<br />

Verfahren entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften, wobei er ausführlich aus einem<br />

einschlägigen Kommentar zitierte. Nach § 51 DGO habe die Berufung „<strong>im</strong> Benehmen“ mit<br />

ihm zu erfolgen. Er müsse aber feststellen, dass er weder informiert worden sei noch zu<br />

einzelnen Kandidaten Bedenken habe anmelden können, die Berufungen seien sogar schon in<br />

der Presse veröffentlicht gewesen. Außerdem fehlten wieder Ariernachweise, und zwei der<br />

künftigen Ratsherren waren noch nicht einmal in <strong>Koblenz</strong> gemeldet. Claussen reagierte auf<br />

diese Vorhaltungen nicht. 724<br />

<strong>Die</strong> Sitzungen der <strong>Koblenz</strong>er Ratsherren fanden grundsätzlich unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit statt, lediglich zu besonderen Anlässen war Publikum zugelassen. Dabei<br />

schloss § 56 DGO öffentliche Sitzungen keineswegs aus, in der Praxis aber wurde die<br />

Nichtöffentlichkeit in den meisten Kommunen zur Regel. 725<br />

4.3.6 Ein alter und ein neuer Ehrenbürger<br />

Zu einer propagandistischen Schlappe entwickelte sich für Wittgen der Entzug der<br />

Ehrenbürgerrechte des abgesetzten Oberpräsidenten Fuchs. <strong>Die</strong> Kölner Staatsanwaltschaft<br />

hatte gegen Fuchs ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Amtsvergehen eingeleitet.<br />

Wittgen forderte <strong>im</strong> Januar 1935 die Akten an. Der ausdrückliche Hinweis des Ober-<br />

staatsanwalts, dass das Verfahren bereits mangels Beweisen eingestellt worden sei, hinderte<br />

Wittgen nicht daran, die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde einzuleiten. Er begründete <strong>im</strong><br />

Februar einen ersten Antrag be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten mit Fuchs’ „unrühmliche[r] Rolle“<br />

721<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 63 f.<br />

722<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 65 und Anlage 3 nach S. 72. Der Regierungspräsident hatte die Hauptsatzung am<br />

11.9.1935 genehmigt.<br />

723<br />

Karl Ackermann, Karl vom Hövel, Wilhelm Koenig, Wilhelm Krings, Hubert Nörtershäuser, Willy Rohe,<br />

Horst Schmischke, Jakob Trapp und Alfred Weichelt; StAK 623 Nr. 7216, S. 64.<br />

724<br />

StAK 623 Nr. 6182, S. 350-362.<br />

725<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 298.


192<br />

als Zeuge in einem Kölner Verfahren gegen einen Bankdirektor und Zentrumspolitiker. <strong>Die</strong>se<br />

verwerflichen Beziehungen seien eines Ehrenbürgers unwürdig und hätten Fuchs’ Ansehen in<br />

der Öffentlichkeit schwer beschädigt. Am 13. März fasste Wittgen als Leiter der Gemeinde<br />

nach Anhörung der Ratsherren den Beschluss auf Entzug der Ehrenbürgerrechte und stellte<br />

be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten einen erneuten Antrag, wie es dem <strong>im</strong> GVG vorgesehenen<br />

Verfahren entsprach. 726<br />

Mitte April stellte sich zum Ärger Wittgens heraus, dass die vertraulichen Beratungen<br />

durchgesickert waren. Unter Hinweis auf ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gemäß<br />

§ 24 DGO führte Wittgen am 30. April eine dienstliche Vernehmung u. a. der Beigeordneten<br />

und der Ratsherren durch, ob sie außerdienstlich über die Angelegenheit gesprochen hätten.<br />

Ratsherr Dr. Otto Scheiger 727 , Syndikus der Handwerkskammer, gab zu, Ende März mit dem<br />

Beiratsmitglied der Kammer Gerhard Wegeler darüber gesprochen zu haben. Angesichts der<br />

bekannten Vergehen von Fuchs habe er deswegen keine Bedenken gehabt. Nach diesem<br />

Eingeständnis ließ Wittgen die Angelegenheit auf sich beruhen. 728<br />

Im Juni teilte das Innenministerium mit, seine Genehmigung sei nach der inzwischen in Kraft<br />

getretenen DGO nicht mehr erforderlich. Obwohl Regierungspräsident Turner sein<br />

Einverständnis gab, ist unklar, warum sich die Angelegenheit dann verzögerte. Vermutlich<br />

wollte man ein gemeinsames Vorgehen mit Trier abst<strong>im</strong>men, denn dort war der Entzug der<br />

Ehrenbürgerwürde ebenfalls geplant. Wittgen erkundigte sich Ende August bei Christ nach<br />

dem Stand der Dinge. Christs Antrag lag noch be<strong>im</strong> Trierer Regierungspräsidenten. Erst spät,<br />

nämlich Ende September, bat Wittgen den Parteibeauftragten Claussen um sein nach<br />

§ 33 DGO nötiges Einverständnis, das dieser am 2. Oktober gab. Am selben Tag war Fuchs<br />

von Christ über den Entzug der Trierer Ehrenbürgerrechte informiert und aufgefordert<br />

worden, seinen Ehrenbürgerbrief zurückzusenden, ohne dass Christ sein Vorpreschen mit<br />

Wittgen abgest<strong>im</strong>mt hatte. Der absehbaren Post gleichen Inhalts aus <strong>Koblenz</strong> kam Fuchs<br />

zuvor, indem er Wittgen am 7. Oktober mit einem knappen Begleitschreiben den Ehren-<br />

bürgerbrief der Stadt <strong>Koblenz</strong> zurückschickte. Dass Wittgen ihm am 15. November den<br />

Entzug seiner Ehrenbürgerrechte mitteilte, war nur noch der Form geschuldet, die Wirkung<br />

aber längst verpufft. 729<br />

Noch während das Verfahren Fuchs lief, bekam die Stadt einen neuen Ehrenbürger. Schon<br />

seit Mai 1935 plante Wittgen diese Ehrung für Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl.<br />

Der NS-Arbeitsdienst hätte sich insbesondere bei der „Ordnung der Verhältnisse auf der<br />

726<br />

StAK 623 Nr. 6692, S. 1-21, Zitat S. 2; ebd. Nr. 7215, S. 43 und Anlage 3 nach S. 43. Vgl. § 21 Abs. 2 DGO.<br />

727<br />

Zu Scheiger vgl. NB, 27.4.1933: Dr. Scheiger.<br />

728<br />

StAK 623 Nr. 6672, S. 233-273. Binhold berichtete, Fräulein Loenartz habe ihn wegen Fuchs sprechen<br />

wollen, was er abgelehnt habe.<br />

729<br />

StAK 623 Nr. 6692, S. 22-38. In der Bürgerratssitzung vom 21.6.1946 wurde das Ehrenbürgerrecht<br />

einst<strong>im</strong>mig wiederhergestellt, worauf Fuchs Wert gelegt hatte; StAK 623 Nr. 6692, S. 42; ebd. Nr. 7218, S. 23.


193<br />

Karthause“ – es hatte sich um die handstreichartige Übernahme von Gebäuden der<br />

ehemaligen Feste Alexander gehandelt 730 – und be<strong>im</strong> Bau der Thingstätte 731 als Segen für die<br />

Stadt erwiesen. Für Wittgen bot sich gleichzeitig eine willkommene Gelegenheit, indirekt auf<br />

seine eigenen Verdienste be<strong>im</strong> Aufbau des Arbeitsdienstes zu verweisen. <strong>Die</strong> Ehrenbürger-<br />

würde Hierls wurde in der Ratsherrensitzung vom 26. September 1935 einvernehmlich und<br />

mit der Zust<strong>im</strong>mung des Parteibeauftragten Claussen beschlossen. 732 Zur feierlichen<br />

Überreichung des Ehrenbürgerbriefs an Hierl am 17. Oktober konnte Wittgen als Gäste neben<br />

Regierungspräsident Turner und Polizeipräsident Wetter auch Gauleiter S<strong>im</strong>on begrüßen, der<br />

bei dieser Gelegenheit das erste Mal wieder den Sitzungssaal betrat. <strong>Die</strong> Parte<strong>im</strong>itglieder<br />

unter den städtischen Bediensteten hatte Wittgen gebeten, in Uniform zum <strong>Die</strong>nst zu<br />

erscheinen. Der frisch gebackene Ehrenbürger Hierl bekundete seinen Stolz über seine neue,<br />

enge Verbindung zur Stadt <strong>Koblenz</strong>, die er am 24. Juni 1936 und 27./28. April 1938 nochmals<br />

besuchte. Beide Male richtete ihm die Stadt einen großen Empfang 733 aus. <strong>Die</strong> Glückwünsche<br />

und Weinpräsente von Wittgen bzw. seinem Nachfolger S<strong>im</strong>mer zum Jahreswechsel und zu<br />

Hierls Geburtstagen blieben jedoch stets ohne Antwort, worauf sie 1942 offensichtlich<br />

eingestellt wurden. 734<br />

4.4 Zwischenergebnis<br />

Insgesamt gesehen hatte sich 1935 die nationalsozialistische Macht in <strong>Koblenz</strong> und der<br />

Mittelrheinregion etabliert. 735 Das Reich und Preußen waren fest in Händen des NS-Reg<strong>im</strong>es,<br />

die <strong>Koblenz</strong>er Mittelinstanzen standen unter der Führung der Parteigenossen Terboven und<br />

Turner. Das Kernstück der kommunalen Selbstverwaltung, der Gemeinderat als Beschluss-<br />

organ, war bereits vor Einführung des GVG bzw. der DGO weitgehend entmachtet. 736 <strong>Die</strong><br />

Gegenwehr des Zentrums war zu kraftlos geblieben und hätte auf lokaler Ebene ohnehin keine<br />

Aussicht auf Erfolg gehabt.<br />

Trotz der unruhigen ersten Monate nach der Machtergreifung <strong>im</strong> Rathaus mit Kommissaren,<br />

Zwangsbeurlaubungen und -pensionierungen deutet nichts darauf hin, dass sich an der<br />

730 NB, 1.4.1933: Säuberungsaktion in den Arbeitslägern.<br />

731 Vgl. Kapitel 6.2.1. Zur besonderen Verbindung von Arbeitsdienst und Thingstättenbau vgl. Rainer Sommer:<br />

„Da oben versinkt einem der Alltag …“. Thingstätten <strong>im</strong> Dritten Reich als Demonstration der<br />

Volksgemeinschaftsideologie. In: Peukert/Reulecke: <strong>Die</strong> Reihen fast geschlossen, S. 149-173.<br />

732 StAK 623 Nr. 6239, S. 1-7, Zitat S. 1; StAK 623 Nr. 7216, S. 43 f. Fuchs’ Name wurde auf Anordnung<br />

Trampps vom 12.10. von der Ehrenbürgertafel <strong>im</strong> Rathaus getilgt und der Hierls dazugesetzt; ebd. Nr. 6239, S.<br />

27.<br />

733 NB, 25.6.1936: So empfing <strong>Koblenz</strong> seinen Ehrenbürger; VB 1938/39, S. 1. Der Empfang am 28.4.1938 <strong>im</strong><br />

Rhein-Hotel kostete die Stadt 553,78 RM; StAK 623 Nr. 6553, S. 169 f.<br />

734 StAK 623 Nr. 6239, S. 8-51; ebd. Nr. 9563, S. 220; NB, 18.10.1935: <strong>Die</strong> Westmark ehrt den<br />

Reichsarbeitsführer. Vgl. Peter Brommer: Etablierung nationalsozialistischer Macht. <strong>Koblenz</strong> und der<br />

Mittelrhein <strong>im</strong> Jahr 1935. In: JbwestdtLG 25 (1999), S. 513-550, hier S. 529.<br />

735 Brommer: Etablierung nationalsozialistischer Macht.<br />

736 Vgl. Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 82 f.


194<br />

alltäglichen bürokratischen Routine und der „administrativen Normalität“ der Stadtver-<br />

waltung gegenüber dem Bürger Entscheidendes verändert hätte. Aber das Stadtamt für<br />

Leibesübungen lieferte ein erstes Beispiel dafür, dass sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> aktiv an der<br />

Umsetzung der neuen politischen Ideologie beteiligte. Der „Stabwechsel“ von Rosendahl auf<br />

Wittgen vollzog sich äußerlich völlig reibungslos, indem die Bediensteten dem neuen<br />

Stadtoberhaupt ihre Loyalität bekundeten. Jetzt stellte sich heraus, dass einzelne Beamte der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> (z. B. Plönissen, Nilles, Haupt) das bis August 1932 geltende Beitrittsverbot<br />

zur NSDAP missachtet hatten. Formal wahrten die personellen Säuberungen als Disziplinar-<br />

verfahren bzw. Maßnahmen aufgrund des BBG den Anschein der Legalität, wogegen Wittgen<br />

intern darauf verwies, dass der revolutionäre Umbruch nicht mit den üblichen Rechtsmaß-<br />

stäben gemessen werden dürfe. Während er die Verfahren gegen missliebige Beamte meist<br />

auf lächerlichen oder konstruierten Delikten aufbauen musste und er selbst Freisprüche<br />

(Rogg, Hütte, Bastians) nicht als Rehabilitierung wertete, ließ Wittgen gegenüber dem<br />

belasteten Frischling Milde walten. <strong>Die</strong> Einschüchterungsmaßnahmen zeigten bei einigen<br />

Zwangsbeurlaubten und Entlassenen insofern Wirkung, als sie sich schnell mit den<br />

politischen Verhältnissen arrangierten (Schwalge, Bastians) bzw. zumindest der Partei<br />

beitraten (Lanters). <strong>Die</strong> von den Säuberungen betroffenen Bediensteten waren ohnehin<br />

ausnahmslos bemüht, <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst verbleiben zu können. Keiner wollte sich den<br />

neuen Machthabern prinzipiell verweigern. War die Beigeordnetenebene bis 1933 stets nur<br />

mit Akademikern, meist Volljuristen, besetzt gewesen, wurde die Erfüllung formaler,<br />

beamtenrechtlicher Laufbahnkriterien bei Christ, Klaeber und Fuhlrott <strong>im</strong> Vergleich zu deren<br />

politischer „Qualifikation“ zweitrangig. 737<br />

<strong>Die</strong> Gleichschaltung und Disziplinierung der Bediensteten setzte Wittgen, unter tatkräftiger<br />

Mithilfe des Amtes für Beamte, des RDB und von deren Vertretern innerhalb der Stadt-<br />

verwaltung (Plönissen, Müller, Vertrauensleute), energisch und unnachgiebig durch. Dabei<br />

dehnte er mehrfach Regelungen, die (zunächst) nur für Beamte galten, auf Angestellte und<br />

Arbeiter aus. <strong>Die</strong> von Wittgen regelmäßig angeforderte Stellungnahme der Partei zur<br />

politischen Zuverlässigkeit des Personals und die von den Beamtenanwärtern verlangte<br />

Ableistung eines Arbeitsdienstes sind Beispiele dafür, wie sich neue Normen aus der<br />

täglichen Praxis heraus entwickelten. Unter dem Strich wirkte die städtische Personalpolitik,<br />

die ein Kl<strong>im</strong>a der permanenten Einschüchterung erzeugte, aber bei entsprechender Anpassung<br />

auch Aufstiegschancen eröffnete, aufgrund ihrer Schlüsselfunktion an der Basis als<br />

„Stabilisierung von unten“ 738 . Forderungen der Partei, wie z. B. bei der Einstellung Alter<br />

Kämpfer, kam Wittgen weitgehend nach, während er selbst bei Gauleiter S<strong>im</strong>on seinen<br />

Personalwunsch Klaeber nicht durchsetzen konnte. Gerade der Fall Klaeber macht deutlich,<br />

737 Was nicht heißt, vor 1933 habe es noch keine „Parteibuchbeamten“ gegeben. Vgl. Tigges: Das<br />

Stadtoberhaupt, S. 359 f., 364; Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 192 f.<br />

738 Bernhard Gotto: Stabilisierung von unten. <strong>Die</strong> Personalpolitik der <strong>Stadtverwaltung</strong> Augsburg 1933-1939. In:<br />

Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 23-49.


195<br />

wie abhängig Personalentscheidungen bei leitenden Positionen von den Wünschen des<br />

Gauleiters waren, zumindest wenn sich ihnen – wie hier – der Regierungspräsident anschloss.<br />

Be<strong>im</strong> Entzug der Ehrenbürgerwürde Russells wich Wittgen von der Parteilinie ab und mit<br />

Kreisleiter Claussen kam es be<strong>im</strong> Berufungsverfahren der Ratsherren zu ersten Kontroversen.<br />

Gegen innerparteiliche Gegner konnte sich Wittgen erfolgreich zur Wehr setzen und wurde<br />

letztlich <strong>im</strong> Amt bestätigt.<br />

Alles lief soweit in geordneten Bahnen. Da schlitterte Wittgen <strong>im</strong> Juli 1935 durch eine<br />

Unachtsamkeit seiner Frau in eine Affäre, die ihm beträchtliche Probleme bereitete, ihn aber<br />

letztlich nicht den Kopf kostete.


196<br />

5 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> und ihre „Führer“<br />

Schon das GVG verankerte das Führerprinzip und die DGO festigte die Stellung des<br />

Oberbürgermeisters als „Führer der Gemeinde“, der „die grundsätzlich volle und<br />

ausschließliche Verantwortung“ für alle Entscheidungen und deren Ausführung trug. 1 Der<br />

neue Gemeinderat, die Ratsherren, ersetzten als rein beratendes Gremium die frühere<br />

Stadtverordnetenversammlung, die einerseits als Beschlussorgan der gemeindlichen<br />

Selbstverwaltung und als Korrektiv zum Verwaltungsleiter fungiert hatte, andererseits dem<br />

Oberbürgermeister gegenüber Aufsichtsbehörden und Bürgerschaft den Rücken hatte stärken<br />

können. 2 <strong>Die</strong> herausgehobene Position des Oberbürgermeisters entsprach den stark<br />

personalisierten Herrschaftsbeziehungen des NS-Staates und einer Ideologie, die auf ein<br />

sozialdarwinistisches System der Führerauslese vertraute. Dementsprechend hohe Bedeutung<br />

ist den Männern an der Spitze der <strong>Stadtverwaltung</strong> beizumessen. Ihre Persönlichkeit und ihr<br />

Verhältnis zu den Protagonisten von Staat und Partei stehen daher <strong>im</strong> Mittelpunkt dieses<br />

Kapitels.<br />

5.1 <strong>Die</strong> Ära Otto Wittgen 1933 bis 1939<br />

5.1.1 Wittgen – kleinlicher Pedant oder Mann von Format?<br />

Am 29. März 1933 erschien <strong>im</strong> General-Anzeiger ein Bericht über einen Besuch be<strong>im</strong><br />

kommissarischen Oberbürgermeister, der zu einem einzigen Loblied auf Wittgen geriet –<br />

überhaupt hatte das Blatt schon bald nach der Machtergreifung eine eindeutige Tendenz zur<br />

Selbstgleichschaltung 3 gezeigt. Wittgen sei ein Mann, „dem eiserne Pflichterfüllung,<br />

soldatische Sachlichkeit und Selbstdisziplin unverrückbar in Hirn und Herz gegeben“ seien,<br />

und dem man zutraue, „das Trümmerfeld der einstmals blühenden Selbstverwaltung wieder<br />

zu ordnen“. Auf die Frage, wie er die Verwaltung zu führen gedenke, glitt „Wittgens rechte<br />

Hand energiegeladen scharf schneidend in die Quere: ‚Vor allem eins! Sauberkeit und<br />

Ordnung in allen Dingen!’“ Wittgen fühle sich keinesfalls als Parte<strong>im</strong>ann, sondern als<br />

Beamter und Wegbereiter der Gleichschaltung der <strong>Stadtverwaltung</strong> mit den neuen<br />

1 Erste Ausführungsanweisung zur DGO vom 22.3.1935 (hier zu § 32 DGO); zit. n. <strong>Die</strong> Deutsche<br />

Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935. Textausgabe mit der vollständigen Amtlichen Begründung und einer<br />

Einleitung von Dr. Harry Goetz. 5. Aufl. mit Nachtrag Stuttgart/Berlin 1936, S. 64 f.<br />

2 Vgl. Rebentisch, der den Oberbürgermeister deshalb letztlich für geschwächt und sogar „schutzlos“ hält;<br />

Rebentisch: <strong>Die</strong> politische Stellung der Oberbürgermeister, S. 139.<br />

3 Das Schriftleitergesetz vom 4.10.1933 zur Gleichschaltung und Kontrolle der Presse trat erst am 1.1.1934 in<br />

Kraft; RGBl. I, S. 713. <strong>Die</strong> kommunistische „Volksst<strong>im</strong>me“ hatte den KGA schon 1930 <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

der Berichterstattung über ein von dem Alten Kämpfer Erich Liese begangenes Tötungsdelikt, das lediglich als<br />

Notwehr geahndet wurde, als „Faschistenblatt“ bezeichnet; Volksst<strong>im</strong>me Nr. 168, 19.3.1930: Wieder ein Nazi-<br />

Meuchelmord, überliefert in: BArch (ehem. BDC), OPG, Liese, Erich, 4.5.1902.


197<br />

Machtverhältnissen. Zusammenfassend schien er dem Blatt als „ein Mann von dem Format<br />

[…] wie sich die Mehrheit der Bevölkerung einen Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong> wünscht.“ 4<br />

Ein anderes Bild von Wittgen zeichnete Rechtsanwalt Wilhelm Meyers, Verteidiger von<br />

Geisemeyer und Hütte. Er stellte Wittgen als einen Kleinigkeitskrämer dar, der sich <strong>im</strong><br />

<strong>Koblenz</strong>er Hof öffentlich damit gebrüstet habe, jeder Bestellzettel bei der Stadt für Leinöl<br />

oder Bohnerwachs gehe über seinen Schreibtisch, nichts werde beschafft ohne seine<br />

Unterschrift. 5 Tatsächlich gibt es kaum eine Akte aus seiner Amtszeit, in der nicht wenigstens<br />

Handzeichen Wittgens zu finden sind. Schon in seiner zweiten Rundverfügung legte Wittgen<br />

fest, dass er die Antwort auf die mit einem violetten Kreuz gekennzeichneten Posteingänge<br />

selbst zu unterschreiben wünsche, 6 wovon er in unzähligen Fällen regen Gebrauch machte.<br />

Mit seinen mehrfachen Appellen zu äußerster Kostendisziplin folgte er einem Sparerlass des<br />

Ministerpräsidenten Göring vom 20. Juni 1933, in dem an die Tugend „altpreussischer<br />

Sparsamkeit“ erinnert wurde. 7 Dabei ging Wittgen selbst mit gutem Beispiel voran. Bei<br />

seinem Amtsantritt schickte er seine Sekretärin mit Rosendahls Tintenfass zu einem Juwelier,<br />

ließ es von ihm ankaufen und ersetzte es durch ein ganz einfaches. 8 Im September wies<br />

Wittgen darauf hin, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Gegensatz zu anderen Behörden ihre<br />

Beamten noch nicht verpflichtet hätte, Schreibgerät auf eigene Kosten anzuschaffen. Er<br />

vermisse aber die notwendige Sparsamkeit, der Verbrauch von Schreibmaterial sei strengstens<br />

zu überwachen: „Ich ersuche die Beamten, die einfachen Blei- und Tintenstifte möglichst<br />

selbst zu beschaffen, und <strong>im</strong> allgemeinen nur besonders geartetes Material anzufordern.“ 9 Der<br />

Versand interner <strong>Die</strong>nstsachen in Umschlägen wurde für „überflüssig“ erklärt, für<br />

Ausnahmefälle waren bei Abteilung I gebrauchte Umschläge erhältlich. 10 Wittgens Eifer ging<br />

sogar so weit, dass er <strong>im</strong> Dezember 1933 in einer Rundverfügung monierte, dass sich „in<br />

einer Handakte […] neun leere, unbeschriebene Blätter befanden.“ Er ordnete an, dass solche<br />

Blätter herauszunehmen und zu verwenden seien. 11 <strong>Die</strong> Senkung der Telefonkosten und die<br />

Abrechnung von Privatgesprächen war Wittgen ein besonderes Anliegen, mit dem sich 1933<br />

gleich sechs Rundverfügungen beschäftigten. <strong>Die</strong> Kosten für Nebenanschlüsse in<br />

Privatwohnungen waren von den Betroffenen selbst zu übernehmen. <strong>Die</strong> Beigeordneten und<br />

Amtsvorsteher wurden angehalten, „nur noch in unvermeidbaren Fällen“ zu telefonieren. 12<br />

Bis 1939 kam Wittgen <strong>im</strong>mer wieder auf das Thema zurück. Mehrere Beamte mussten sich<br />

4<br />

KGA, 29.3.1933: Ein Besuch be<strong>im</strong> komm. Oberbürgermeister.<br />

5<br />

StAK 623 Nr. 3833, S. 9.<br />

6<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 20.<br />

7<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 139 f.<br />

8<br />

Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 31.3.2009.<br />

9<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 147.<br />

10<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 6.<br />

11<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 177.<br />

12<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 103 (Zitat), 114, 128, 147, 159 f., 169.


198<br />

wegen angeblicher Privatgespräche rechtfertigen, einem erlegte er eine Geldstrafe auf. 13 Im<br />

Oktober 1938 schärfte Baudezernent Hanns Klose seinen Beamten ein, Überschreitungen von<br />

Kostenanschlägen seien unter allen Umständen zu vermeiden. Wittgen habe ihm eindeutig zu<br />

verstehen gegeben, dass er in diesen Fällen den betreffenden Beamten schadenersatzpflichtig<br />

machen wolle. 14 Bei aller Sparsamkeit verzichtete Wittgen selbst auf Vorteile, die er sich in<br />

seinem Amt leicht hätte verschaffen können. So schlug er <strong>im</strong> September 1937 die ihm als<br />

Betriebsführer vertraulich zugegangene Einladung zu einer der begehrten und preisgünstigen<br />

KdF-Schiffsreisen nach Madeira wegen dienstlicher Belange aus. 15<br />

Von Anfang an hatte sich Wittgen die stärkere Verinnerlichung des <strong>Die</strong>nstleistungsgedankens<br />

bei seinen Beamten, die Einführung einer systematischeren und rationelleren Arbeitsweise<br />

und die Verbesserung der Außenwirkung seiner Verwaltung auf die Fahnen geschrieben.<br />

Anlässlich der Beschwerde eines Wohlfahrtsempfängers schrieb er Amtsleiter Schmitz <strong>im</strong><br />

September 1933, „die geschilderte Art der <strong>Die</strong>nsterledigung entspricht nicht meinem<br />

Verlangen, dass die Beamtenschaft in jeder Weise sich den Bürgern gegenüber in taktvoller<br />

und entgegenkommender Weise ben<strong>im</strong>mt.“ 16 Im März 1935 beanstandete er in einer<br />

Rundverfügung den ungehörigen Umgangston der Beamten. 17 Er forderte eine gute, bündige<br />

Schriftsprache, bei der Fremdwörter zu vermeiden und „aus dem reichen Wortschatz unseres<br />

Sprachguts“ zu ersetzen waren. 18 Am Telefon sollte sich jeder Bedienstete mit seinem Namen<br />

und seiner Abteilung melden. 19 Wiederholt mahnte Wittgen zur schnelleren Erledigung des<br />

Posteingangs und des gesamten Schriftverkehrs. Bei längeren Bearbeitungszeiten von<br />

Anträgen und Gesuchen seien Zwischenbescheide zu erteilen. 20 1935 bemängelte er, es fehle<br />

„<strong>im</strong>mer noch an der umsichtigen und praktischen Art“. Aktennotizen sollten kurz gefasst<br />

werden, kleinere und unwichtige Mitteilungen könnten auch durch Postkarten erfolgen. 21<br />

Das umständliche Brieftagebuch wurde abgeschafft. 22 Mehrfach musste Wittgen an<br />

Selbstverständlichkeiten erinnern, von der schnellen Weitergabe der Umlaufmappen bis<br />

hin zur Gehe<strong>im</strong>haltungspflicht bei wirtschaftlichen Angelegenheiten, insbesondere<br />

Submissionen. 23<br />

Dabei trat er besonders zu Anfang seiner Amtszeit als strenger Vorgesetzter auf, der z. B. die<br />

offenbar gängigen halbtägigen Beurlaubungen verbot. Kurze Beurlaubungen während der<br />

13<br />

StAK 623 Nr. 3576, S. 77; ebd. Nr. 6560, S. 673-676; ebd. Nr. 6564, S. 511-513; ebd. Nr. 6688, S. 315 f.; ebd.<br />

Nr. 9563, S. 111.<br />

14<br />

StAK 623 Nr. 3576, S. 47.<br />

15<br />

StAK 623 Nr. 6211, S. 68-70.<br />

16<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 366.<br />

17<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 59.<br />

18<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 42 f., 134 (Zitat).<br />

19<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 185.<br />

20<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 65, 67, 80, 106, 151.<br />

21<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 37, 53, 113, 129, 238, Zitat S. 35.<br />

22<br />

StAK 623 Nr. 6688, S. 329-331.<br />

23<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 112.


199<br />

<strong>Die</strong>nstzeiten – <strong>im</strong> März 1934 galt die 48-Stunden-Woche – seien nur bei wichtigen und<br />

unaufschiebbaren Angelegenheiten möglich. 24 An das von ihm <strong>im</strong> April 1933 ausgesprochene<br />

Rauchverbot in den <strong>Die</strong>nsträumen musste Wittgen mehrfach erinnern. Selbst Zigarren-<br />

raucher 25 , war Wittgen kein Gegner des Rauchens an sich, doch nach seiner Auffassung<br />

vertrug sich das „nicht mit der <strong>Die</strong>nstauffassung und mit der Würde des Beamten dem<br />

Publikum gegenüber“. Das Übertreten des Verbots wurde streng gerügt. 26 Unter Hinweis auf<br />

die Wirtschaftsnot wurde auch der offenbar übliche Handel bzw. Sammelbezug von Waren in<br />

den <strong>Die</strong>nsträumen <strong>im</strong> Mai 1933 von Wittgen verboten. Im Dezember musste er auch an dieses<br />

Verbot erinnern, nachdem die NS-Hago die Beschwerde eines Lützeler Bäckers über den<br />

Verkauf von Backwaren durch den Hausmeister <strong>im</strong> Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium<br />

vorgebracht hatte. 27<br />

Zwar stellte Wittgen den <strong>Die</strong>nstleistungsgedanken gegenüber dem Bürger in den<br />

Vordergrund, gleichzeitig war er aber darauf bedacht, die Autorität der <strong>Stadtverwaltung</strong> als<br />

Behörde und das Ansehen ihrer Beamten nicht antasten zu lassen. Damit vertrat Wittgen eine<br />

Linie, die schon seine Amtsvorgänger verfolgt hatten. 28 Als eine Empfängerin von<br />

Wohlfahrtsunterstützung Stadtobersekretär Karl Scherer Anfang 1934 in Gegenwart Dritter<br />

besch<strong>im</strong>pfte, zeigte Wittgen sie <strong>im</strong> Februar wegen öffentlicher Beamtenbeleidigung zum<br />

Schutz der Autorität der Wohlfahrtsbeamten an. <strong>Die</strong> Frau wurde zu einer Geldstrafe von<br />

20 RM ersatzweise vier Tagen Gefängnis verurteilt. 29 Über das anmaßende Auftreten eines<br />

SS-Rottenführers gegenüber einem Beamten bei der Volksabst<strong>im</strong>mung vom 19. August 1934<br />

informierte Wittgen SS-Gruppenführer August Heißmeyer. Der SS-Mann, dem zu Recht ein<br />

St<strong>im</strong>mschein verweigert worden war, kassierte daraufhin für sein undiszipliniertes Verhalten<br />

einen Verweis. 30 Wittgen scheute sich auch nicht, den gerade in der ersten Zeit nach der<br />

Machtergreifung bisweilen rüden und fordernden Ton, den Amtswalter von NSDAP-<br />

Gliederungen ihm gegenüber anschlugen, zurückzuweisen und sich „künftig [Schreiben] in<br />

einer angemessener Form“ auszubitten. 31 Er war ausgesprochen geprägt vom Standes-<br />

bewusstsein des preußischen Beamten und dem Rang seines Amtes, dem der entsprechende<br />

Respekt gezollt werden sollte. Bezeichnend dafür ist folgende Episode: Als Wittgens<br />

Sekretärin ihm einen Anruf des Gauleiters ausrichtete, er solle zu ihm kommen, gab er ihr<br />

den Auftrag, S<strong>im</strong>on zurückzurufen. Sie solle ihm mitteilen, wenn der Gauleiter den<br />

Oberbürgermeister zu sprechen wünsche, möge er sich ins Rathaus begeben, wenn er den<br />

24<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 67, 127.<br />

25<br />

Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009.<br />

26<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 42 f., 134 (Zitat); ebd. Nr. 9562, S. 54 f., 226; ebd. Nr. 6568, S. 365-367. Im März<br />

1936 vermerkte Lanters, Wittgen habe einen Beamten be<strong>im</strong> Rauchen einer Zigarre überrascht und ihm „schärfste<br />

Vorhaltungen gemacht“; ebd. Nr. 9565, S. 66.<br />

27<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 80, 188 f.; ebd. Nr. 6560, S. 607-611.<br />

28<br />

Beispiel: Strafanzeigen <strong>im</strong> Fall Finkler wegen Beamtenbeleidigung, s. Kapitel 4.1.6.<br />

29<br />

StAK 623 Nr. 6564, S. 576-587.<br />

30<br />

StAK 623 Nr. 6133, S. 520-522.<br />

31<br />

StAK 623 Nr. 6132, S. 250 f. (Zitat); ebd. Nr. 6588, S. 260.


200<br />

Privatmann sprechen wolle, solle er ihn zu Hause besuchen. Kurz darauf erschien S<strong>im</strong>on<br />

zusammen mit zwei bewaffneten Begleitern. Wittgen bat die Herren be<strong>im</strong> Eintreten, ihre<br />

Waffen abzulegen, er sei ebenfalls unbewaffnet. 32<br />

Wittgen war strikter Verfechter des Führerprinzips. Als ein Fuhrparkarbeiter, Alter Kämpfer<br />

und SA-Mitglied, <strong>im</strong> Mai 1934 einen höherwertigen Arbeitsplatz verlangte und mit der<br />

Einschaltung des Gauleiters und des SA-Gruppenführers drohte, ließ sich Wittgen davon nicht<br />

beeindrucken. Er vermerkte, nach Rücksprache mit der Gauleitung herrsche Einigkeit<br />

darüber, dass „die Drohung dem Führergrundsatz widerspricht“ und legte den Vorgang<br />

unbeantwortet zu den Akten. 33 Als Repräsentant der Stadt vertrat Wittgen auch nach außen<br />

die nationalsozialistische Ideologie. In seiner Rede auf dem alljährlichen Stiftungsfest der<br />

Casino-Gesellschaft <strong>im</strong> Januar 1934 stellte er den „Begriff ‚Volksgemeinschaft’ als passende<br />

Deutung des <strong>im</strong> Wahlspruch des Casinos enthaltenen Wortes ‚Urbanität’“ hin. 34 Im Juli 1936<br />

wandte sich Wittgen in einem Presseaufruf an die <strong>Koblenz</strong>er Bürger, ausschließlich die<br />

Hakenkreuzfahne als Reichsflagge zu hissen und nicht die bisherigen Landesfarben oder<br />

Kirchenfahnen, was „dem Geist des Reichsflaggengesetzes und dem Wesen der Volks-<br />

gemeinschaft“ widerspreche. 35 Das neue Kommunalverfassungsrecht behandelte Wittgen <strong>im</strong><br />

April 1937 in einem Referat in der Volksbildungsstätte der DAF. Das Wesen der<br />

nationalsozialistischen Gemeindepolitik garantiere einerseits die „enge Bindung an die<br />

Staatsziele“, andererseits die „enge Volksverbundenheit“. 36 In seinem in der Presse<br />

veröffentlichten Neujahrsgruß für 1938 schrieb Wittgen, jeder „pflichtbewußte deutsche<br />

Mensch hat in der großen Volksgemeinschaft“ Platz und Aufgabe gefunden und die Bürger<br />

von <strong>Koblenz</strong> seien „treue Gefolgschaftsmänner des Führers“. 37<br />

5.1.2 Der Wirtschaftsboykott gegen die Juden und die „Stürmer-Affäre“<br />

„<strong>Koblenz</strong>: Es ist Tatsache, daß die Frau des O b e r b ü r g e r m e i s t e r s W. vom<br />

Parteigericht aus der NSDAP a u s g e s c h l o s s e n wurde, weil sie in einem<br />

j ü d i s c h e n Kaufhaus Einkäufe getätigt hat. Bemerkenswert ist, daß der besagte<br />

Oberbürgermeister in einem Rundschreiben seine Beamtenschaft vor dem Einkauf bei Juden<br />

gewarnt hat. Er gab in diesem Rundschreiben zur Kenntnis, daß er jeden Beamten, dessen<br />

Frau be<strong>im</strong> Juden kaufe, e n t l a s s e . Man sieht daraus, in welch u n a n g e n e h m e<br />

Lage ein Amtsträger der Partei geraten kann, der eine Frau sein eigen nennt, welche von der<br />

nationalsozialistischen Weltanschauung keine Ahnung hat.“ 38 <strong>Die</strong>se Notiz veröffentlichte das<br />

32 Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009.<br />

33 StAK 623 Nr. 3873, S. 86 f.<br />

34 Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 34.<br />

35 NB, 5.7.1936: <strong>Koblenz</strong>er zeigt nur die Reichsflagge.<br />

36 NB, 14.4.1937: Das Wesen nationalsozialistischer Gemeindepolitik.<br />

37 NB, 31.12.1937: Neujahrsaufruf des Oberbürgermeisters.<br />

38 Der Stürmer Nr. 28, Juli 1935, S. 9 (Hervorhebungen <strong>im</strong> Original).


201<br />

antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ unter der Rubrik „Briefkasten“ in seiner Ausgabe<br />

Nr. 28 vom Juli 1935.<br />

Am Mittag des 12. Juli 1935 erfuhr Wittgen, dass ein Stürmer-Verkäufer sein Blatt vor der<br />

Kaufhof-Filiale in der Löhrstraße, der stets belebten Hauptgeschäftsstraße, lautstark unter<br />

Hinweis auf eine Notiz zum Parteiausschluss der Frau des Oberbürgermeisters anpreise.<br />

Wittgen rief sofort S<strong>im</strong>on an und bat ihn, den Weiterverkauf der Zeitung zu verhindern, die<br />

Angaben seien unrichtig. S<strong>im</strong>on erklärte ihm, dazu habe er keine Handhabe, er missbillige<br />

aber die Veröffentlichung und wolle wenigstens das laute Ausrufen unterbinden. Am<br />

Nachmittag besprach sich Wittgen auch mit Kreisleiter Claussen, trotzdem ging der Verkauf<br />

wie gehabt weiter. HJ-Gebietsführer Karbach schrieb noch am selben Tag Gauleiter S<strong>im</strong>on<br />

einen empörten Brief, von dem Claussen und Wittgen eine Durchschrift erhielten und der ihn<br />

einmal mehr als einen fanatischen Nationalsozialisten 39 auswies. Wittgen habe die Entfernung<br />

eines Stürmerkastens der HJ-Gebietsführung verlangt, obwohl die Zeitungsmeldung nach<br />

Claussens Auskunft richtig sei. Wittgen habe dem entgegen gehandelt, wozu er den „letzten<br />

städtischen Beamten und Strassenkehrer gezwungen hätte“, außerdem sei sein Vorgehen<br />

gegen die Zeitung Amtsmissbrauch. Der Oberbürgermeister müsse, so folgerte Karbach, sein<br />

Amt sofort <strong>im</strong> Interesse der Partei niederlegen. Andernfalls bat er den Gauleiter, sein Amt als<br />

Ratsherr niederlegen zu dürfen. <strong>Die</strong> „Erregung der Bevölkerung“ sei eine so schwere<br />

Belastung, „zu der die bei kompromissloser Lösung entstehenden Prestigeverluste und<br />

finanziellen Schwierigkeiten in keinem Verhältnis stehen dürften.“ 40<br />

Am nächsten Morgen wies Wittgen die Bauabteilung an, der HJ und der NS-Hago<br />

aufzugeben, die Aushänge aus ihren auf städtischem Boden stehenden Stürmerkästen<br />

innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. Es könne nicht zugelassen werden, dass dort die Frau<br />

des Oberbürgermeisters verleumdet werde. Daraufhin schaltete sich mittags Claussen ein, und<br />

man einigte sich auf dessen Vorschlag, nur die betreffende Notiz zu entfernen. Der Ausrufer<br />

sprach inzwischen von der „Frau eines städtischen Beamten“ – wer gemeint war, dürfte<br />

inzwischen sowieso stadtbekannt gewesen sein –, und erst gegen Abend waren die fraglichen<br />

Blätter aus den Kästen verschwunden. 41<br />

Am 17. Juli sah sich Wittgen gezwungen, in einer Rundverfügung zum Einkauf seiner Frau<br />

Stellung zu nehmen. Offensichtlich hatte ihn die Angelegenheit in beträchtliche Aufregung<br />

versetzt, denn er vergaß darin die entscheidende Klarstellung, dass die <strong>im</strong> Stürmer<br />

erschienene Briefkasten-Notiz unzutreffend sei. Er musste deshalb eine zweite, ergänzende<br />

39 Davon zeugen nicht nur die Presseberichte über seine Reden als HJ-Gebietsführer und seine Wortmeldungen<br />

als Ratsherr, sondern auch sein 16-seitiger Brief an Hitler und mehrere Reichsleiter vom 5.10.1944 mit scharfen<br />

Angriffe gegen Gauleiter S<strong>im</strong>on; BArch (ehem. BDC), PK, Karbach, Rolf, 9.4.1908 (unpaginiert).<br />

40 BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881 (unpaginiert).<br />

41 BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881 (unpaginiert).


202<br />

Rundverfügung herausgeben. 42 <strong>Die</strong> Stürmer-Notiz entsprach aber, abgesehen von der<br />

Entlassungsdrohung Wittgens an seine Bediensteten, den Tatsachen. Constanze Wittgen war<br />

schon am 27. Mai durch das Kreisgericht wegen eines Einkaufs <strong>im</strong> Kaufhof am 1. März aus<br />

der Partei ausgeschlossen worden. Erst am 17. Juli legte sie be<strong>im</strong> Gaugericht Beschwerde ein.<br />

Am selben Tag wandte sich Wittgen an das Oberste Parteigericht zur Klärung der Frage, ob<br />

die Westdeutsche Kaufhof AG als getarntes jüdisches Unternehmen gelte. <strong>Die</strong> Werbung für<br />

den Stürmer habe „künstlich“ für eine gewisse Erregung in der Bevölkerung gesorgt, darüber<br />

könne die Gestapo – die den Vorfall tatsächlich registriert hatte 43 – noch mehr Auskünfte<br />

geben. Der HJ-Gebietsführer habe schon seine Amtsniederlegung gefordert und nach einem<br />

Kameradschaftsabend des ehemaligen Infanterie-Reg<strong>im</strong>ents Nr. 68 44 sei er von einem<br />

Betrunkenen besch<strong>im</strong>pft worden. Wittgen fügte den Bericht bei, den der Angestellte<br />

Dr. rer. pol. Hans Roth 45 vom Verkehrsamt über eine Szene <strong>im</strong> Weindorf am späten Abend<br />

des 13. Juli verfasst hatte. Roth hatte einen Tumult bemerkt, darin den Oberbürgermeister, der<br />

von einem <strong>im</strong> Gesicht blutenden Verletzten unflätig besch<strong>im</strong>pft wurde. Um die peinliche<br />

Situation zu beenden, beförderte Roth „den Krakeler“ mit Gewalt aus dem Weindorf: „Als der<br />

Kerl draussen weiter randalierte, haute ihm Standortsführer Ocklenburg […] einige hinein.“<br />

Es stellte sich heraus, dass es sich um den SA-Obertruppführer und Parteigenossen Wilhelm<br />

Leins 46 handelte. 47 Zumindest ein städtischer Angestellter und ein Ratsherr wollten also<br />

verhindern, dass der öffentliche Skandal um den Oberbürgermeister sich ausweitete.<br />

Nebenbei zeigt die Episode, dass auch ein Jahr nach dem sogenannten Röhm-Putsch die<br />

Rauflust der SA noch nicht völlig gebremst war, und dass sich sogar eine prominente<br />

Persönlichkeit wie Wilhelm Ocklenburg als Vorsitzender der Handelskammer und Ratsherr<br />

nicht scheute, öffentlich Schläge auszuteilen.<br />

Wittgen stilisierte sich zum Opfer einer Intrige. Gegenüber dem Obersten Parteigericht<br />

äußerte er die Vermutung, dass „Drahtzieher“ versuchten, seine „Stellung als Oberbürger-<br />

meister und Leiter der <strong>Stadtverwaltung</strong> zu untergraben.“ Den Stürmer habe er um<br />

Richtigstellung gebeten, zumal er ein Einkaufsverbot bei Juden in der Form nie erlassen habe.<br />

42 StAK 623 Nr. 9563, S. 137, 140.<br />

43 Er taucht in einem Bericht der Staatspolizei vom 12.7.1935 auf; LHAKo Best. 441 Nr. 28139, S. 309. Vgl.<br />

Brommer: Etablierung nationalsozialistischer Macht, S. 539 Anm. 138. Vgl. auch Gestapo-Karteikarte von<br />

„Wittgen, Konstanze“; LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img_29821_0.<br />

44 NB, 15.7.1935: <strong>Die</strong> große Gründungs-Gedenkfeier der 68er; KGA, 15.7.1935: <strong>Die</strong> große Jubelfeier der 68er.<br />

Wittgen hatte den Festteilnehmern den Willkommensgruß der Stadt überbracht.<br />

45 * 17.2.1902 Bad Ems, + 4.10.1962 Bad Ems; In memoriam: Dr. Hans Roth. In: Rhein-Lahnfreund 12 (1963),<br />

S. 253. Roth verfasste 1939 für das Verkehrsamt eine Stadtchronik, in der die Verdienste der NSDAP und ihres<br />

Gauleiters um das Wohl der Stadt gebührende Würdigung fanden. Hans Roth: Chronik der Stadt <strong>Koblenz</strong> an<br />

Mosel und Rhein. Berlin 1939, S. 75-80; StAK 623 Nr. 9567, S. 114.<br />

46 Wittgen zog eine Anzeige wegen Beleidigung auf Bitten des Gaugerichtsvorsitzenden Rudolf Schultz später<br />

zurück, Leins musste sich aber vor dem Parteigericht verantworten. Über die Klagen wegen mangelnder<br />

Disziplin der SA vgl. Brommer: Etablierung nationalsozialistischer Macht, S. 526, zu Leins ebd. Anm. 61.<br />

47 BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881 (unpaginiert).


203<br />

Als Ehrenoberstfeldmeister des RAD 48 unterstehe er direkt der höchsten Parteiinstanz und er<br />

bitte um Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung, ob er gegen nationalsozialistische<br />

Grundsätze verstoßen habe. Das Gaugericht erklärte dazu unter Beifügung eines Schreibens<br />

des Gauleiters, dass man keine ausreichenden Gründe für ein Verfahren zum Schutz der Ehre<br />

Wittgens sehe. Auch ein Parteiausschlussverfahren 49 komme nicht in Frage, da es sich um<br />

einen einmaligen Einkauf der Ehefrau ohne seine Zust<strong>im</strong>mung gehandelt habe. <strong>Die</strong>ser<br />

Meinung schloss sich das Oberste Parteigericht am 25. Oktober an. Dagegen lehnte es sechs<br />

Tage später die Beschwerde von Constanze Wittgen gegen den Beschluss des Gaugerichts aus<br />

formellen Gründen ab. Damit war ihr Parteiausschluss endgültig besiegelt. Der Neffe<br />

Wittgens, Alfred Wittgen, Parte<strong>im</strong>itglied seit 1931, der seine Tante begleitet und einen<br />

Fastnachtshut <strong>im</strong> Kaufhof gekauft hatte, kam mit einer Verwarnung davon. Das Kreisgericht<br />

beließ es bei dieser Strafe, da er völlig ortsfremd war und sich in seiner Eile auf seine Tante<br />

verlassen hatte. <strong>Die</strong> Frage, ob der Kaufhof als arisches oder als getarntes jüdisches<br />

Unternehmen anzusehen war, blieb aber letztlich unbeantwortet. 50<br />

Wenn auch ein Parteiausschluss von Wittgen selbst, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den<br />

Verlust seines Amtes nach sich gezogen hätte, 51 keine Befürwortung von der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Parteiinstanz fand, so schadete die ganze Affäre seinem Ansehen in Öffentlichkeit, Partei und<br />

Verwaltung doch erheblich. Am 7. Oktober hatte Wittgen das Oberste Parteigericht um<br />

baldige Entscheidung gedrängt, weil sich aus der „Ungeklärtheit der Lage“ nicht nur für seine<br />

Frau, sondern auch für ihn „als Leiter der Verwaltung erhebliche Unzuträglichkeiten“<br />

ergäben. Ob seine Verschwörungstheorie zutrifft, ließ sich nicht nachprüfen. Angesichts der<br />

<strong>im</strong> Grunde zutreffenden Stürmer-Notiz hatten sich Gau- und Kreisleiter nur halbherzig dafür<br />

eingesetzt, die kompromittierenden Ausrufe und Aushänge zu unterbinden, und der HJ-<br />

Gebietsführer hatte sich sofort offen gegen Wittgen gestellt. Der Vorsitzende des Gaugerichts,<br />

Dr. Paul Brauer 52 , bemerkte gegenüber dem Obersten Parteigericht, das vom Ehemann<br />

verfasste Beschwerdeschreiben der Parteigenossin Wittgen sei allein schon ein<br />

Ausschlussgrund. <strong>Die</strong>s sind deutliche Anzeichen dafür, dass Wittgen innerhalb der örtlichen<br />

Partei keine Hausmacht besaß, die bereit gewesen wäre, in einer solchen Situation ihre<br />

48<br />

Hierl hatte ihm diesen Rang zwischen dem 11.12.1933 (Foto Wittgens in Parteiuniform) und dem 26.8.1934<br />

(Foto in RAD-Uniform) verliehen; StAK FA1.<br />

49<br />

Ende 1935 endete ein Parteigerichtsverfahren gegen den Berliner Oberbürgermeister Dr. Heinrich Sahm<br />

wegen Einkaufens in einem jüdischen Geschäft mit dem Parteiausschluss, der auf ausdrücklichen Wunsch<br />

Hitlers wegen der Olympiade aufgehoben wurde. Matzerath: Oberbürgermeister, S. 188.<br />

50<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881 (unpaginiert). So hielt der Gaugerichtsvorsitzende Dr.<br />

Brauer den Kaufhof am 27.7.1935 für ein getarntes jüdisches Unternehmen und berief sich auf die NS-Hago,<br />

während der m.d.V.b. Gaugerichtsvorsitzende Schultz am 5.9.1935 unter Berufung auf den<br />

Reichswirtschaftsminister schrieb, der Kaufhof sei kein jüdisches Kaufhaus. Zur schwankenden Politik der<br />

Partei gegenüber dem Kaufhof, der sich heftig gegen die Etikettierung als jüdisches Kaufhaus wehrte, aber<br />

<strong>im</strong>mer wieder Ziel antijüdischer Demonstrationen wurde, vgl. Brommer: Etablierung nationalsozialistischer<br />

Macht, S. 538 f.<br />

51<br />

Vgl. dazu <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat, S. 55-60; Donald M. McKale: Der öffentliche <strong>Die</strong>nst und die<br />

Parteigerichtsbarkeit der NSDAP. In: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S. 237-<br />

254, hier S. 247-251.<br />

52<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 156-158.


204<br />

schützende Hand über ihn zu halten. Dass Wittgen es aber schaffte, sich dennoch <strong>im</strong> Amt zu<br />

halten, spricht für sein Stehvermögen und seine Hartnäckigkeit, die er später noch<br />

eindrucksvoller unter Beweis stellen sollte. 53<br />

Gaupropagandaleiter Andreas Bang hatte schon Mitte 1933 auf die nationale Pflicht der<br />

Beamten und ihrer Angehörigen hingewiesen, nicht in jüdischen Geschäften einzukaufen, bei<br />

Parte<strong>im</strong>itgliedern führe ein solches Verhalten zum Ausschluss. 54 Doch offenbar nahmen es<br />

selbst die Parteigenossen mit der praktischen Umsetzung des Antisemitismus nicht so genau,<br />

denn Gauleiter S<strong>im</strong>on musste noch Anfang 1934 den Einkauf bei Juden ausdrücklich<br />

verbieten. 55 Das Nationalblatt startete <strong>im</strong> Sommer 1935 einen Propagandafeldzug zum<br />

Einkaufsboykott, 56 und die NS-Hago stellte <strong>im</strong> September zusätzliche Stürmerkästen auf,<br />

einen direkt am Rathaus. 57 Unrichtig war allerdings die Behauptung des Leserbriefschreibers<br />

gewesen, Wittgen habe seine Bediensteten <strong>im</strong> Falle des Einkaufs bei Juden mit Entlassung<br />

bedroht. Am 31. März 1933 hatte er dem Boykottaufruf des Gauaktionsausschusses zum<br />

1. April lediglich hinzugefügt, dass er auf dessen Befolgung durch seine Beamten und<br />

Angestellten vertraue. 58 <strong>Die</strong> Belieferung der Stadt durch jüdische und marxistische Geschäfte<br />

verbot Wittgen mit Rundverfügung vom 6. April. Er fügte die Bitte an die städtischen<br />

Bediensteten hinzu, „auch bei ihren Privateinkäufen diesem Grundsatz entsprechen zu<br />

wollen.“ 59 Ein offizielles Verbot des privaten Einkaufs bei Juden, wie es eine Reihe anderer<br />

Städte aussprach, 60 gab es aber nicht. Auch von außen wurde versucht, Druck auszuüben. <strong>Die</strong><br />

Innung für das Herrenschneiderhandwerk beschwerte sich <strong>im</strong> August 1935, die Beamten<br />

kauften entweder <strong>im</strong> Umland oder „in den hiesigen zum Teil einmal nicht [sic] arischen<br />

Konfektionsgeschäften“. Bürgermeister Binhold ging auf diesen Vorwurf nicht ein, sondern<br />

verwies nur darauf, dass sich die meisten Beamten keine Maßarbeit leisten könnten. 61<br />

53<br />

BArch (ehem. BDC), OPG, Wittgen, Otto, 6.8.1881 (unpaginiert). Vgl. Brommer: Etablierung<br />

nationalsozialistischer Macht, S. 538 f.<br />

54<br />

NB, 2.6.1933: Eine Anordnung des Gau-Propagandaleiters.<br />

55<br />

S<strong>im</strong>on forderte ein „rücksichtsloses Bekennen zum Antisemitismus und verbot allen Mitgliedern der<br />

Bewegung, bei Juden zu kaufen“; NB, 11.1.1934: Zwei Jahre Ortsgruppe Altstadt. Eine ähnliche Ermahnung<br />

hatte S<strong>im</strong>on bereits bei der Einführung von Kreisleiter Klaeber ausgesprochen; NB, 30.11.1933: Gauleiter<br />

Staatsrat Pg. G. S<strong>im</strong>on spricht in der Mitglieder-Versammlung des Kreises <strong>Koblenz</strong>-Stadt. Zum Einkauf der SAund<br />

NSDAP-Mitglieder in jüdischen Geschäften vgl. auch Hermann: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong>, S. 29, 42.<br />

Rudolf Heß verbot den NSDAP-Mitgliedern am 16.8.1934 den privaten und geschäftlichen Verkehr mit Juden;<br />

Wolf Gruner: <strong>Die</strong> NS-Judenverfolgung und die Kommunen. Zur wechselseitigen Dynamisierung von zentraler<br />

und lokaler Politik 1933-1941. In: VfZ 48 (2000), S. 75-126, hier S. 83. Vgl. auch die Verhaltensrichtlinien für<br />

Parteigenossen in Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 153.<br />

56<br />

NB, 1.5.1935: <strong>Die</strong> Bewegung lehnt den Juden ab! Was tust du? NB, 23.7.1935: Freund oder Feind der Juden;<br />

NB, 10./11.8.1935: He<strong>im</strong>atfest und Judentum; NB, 23.8.1935: Der Jude als Staatsfeind Nr. 1; NB, 7./8.9.1935:<br />

Kauft nichts bei Judenknechten! NB, 18.9.1935: <strong>Die</strong> Judenliste von <strong>Koblenz</strong> [zum Ausschneiden und<br />

Mitnehmen be<strong>im</strong> Einkauf, Kaufhof ist aufgeführt]; NB, 19.9.1935: Ein Nachtrag zur „Judenliste in <strong>Koblenz</strong>“.<br />

57<br />

NB, 16.9.1935: Aufklärung in der Judenfrage tut weiter not. <strong>Die</strong>ser Kasten musste später für den Schängel-<br />

Brunnen weichen; vgl. Kapitel 6.3.13.<br />

58<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 128 f.; ebd. Nr. 9561, S. 39.<br />

59<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 42 f., Zitat S. 43.<br />

60<br />

Gruner: <strong>Die</strong> NS-Judenverfolgung und die Kommunen, S. 85, 98.<br />

61<br />

StAK 623 Nr. 6604, S. 448 f.


205<br />

Das Amt für Beamte und der RDB erwiesen sich auch be<strong>im</strong> privaten Einkauf als<br />

wirkungsvolle Kontrollinstanz. Jakob Müller verlangte <strong>im</strong> Juni 1935 in seiner Funktion als<br />

kommissarischer RDB-Kreisfachschaftsleiter von seinem Kollegen Stadtoberinspektor<br />

Wilhelm Smits, dem Leiter der Abteilung VII, eine Stellungnahme zu einem Besuch von<br />

Smits’ Frau <strong>im</strong> Kaufhof <strong>im</strong> März (also etwa zeitgleich mit dem Einkauf von Frau Wittgen).<br />

Dabei erinnerte Müller an seine Ausführungen in der Fachschaftsversammlung zu den für die<br />

Beamten maßgebenden nationalsozialistischen Grundsätzen. Müller gab eine Abschrift an<br />

Abteilung I, wo man den Vorgang aber nur in der Personalakte ablegte. Auch Gauamtsleiter<br />

Purrmann verlangte von Smits eine Erklärung. Smits erlaubte sich in seiner Antwort den<br />

Hinweis, dass sich <strong>im</strong> Kaufhof-Gebäude die Zweigstelle der Reichspost- und Telegrafen-<br />

verwaltung befinde, wodurch ein Besuch des Hauses nötig sein könne. Es habe sich auch nur<br />

um einen „Besuch“ und nicht einen Einkauf gehandelt. Mit dem abschließenden Satz, für ihn<br />

als preußischen Beamten alter Schule sei die Erfüllung von Weisungen seines Vorgesetzten<br />

selbstverständlich, spielte Smits darauf an, dass der RDB für ihn unmaßgeblich war.<br />

Gauamtsleiter Purrmann war hell empört über Smits’ Belehrungen und Ton: Seine Einwände<br />

betrachte er „als eine Auflehnung eines Preussischen Beamten gegenüber den Anordnungen<br />

und Wünschen des Führers und Reichskanzlers“ und sein Schreiben an ihn als Politischen<br />

Leiter beweise seine „gegnerische Einstellung dem nat. soz. Staate gegenüber genügend“. Da<br />

Smits untragbar sei, bat Purrmann Wittgen, be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten eventuelle<br />

disziplinarische Maßnahmen zu beantragen. Rechtlich betrachtet konnten die Vorwürfe des<br />

Ungehorsams gegenüber den „Wünschen“ Hitlers und der Unbotmäßigkeit gegenüber einem<br />

NSDAP-Amtsträger zumindest als Beleg für die fehlende nationale Zuverlässigkeit Smits’ <strong>im</strong><br />

Sinne des BBG gelten. <strong>Die</strong>s war jedenfalls Grund genug, dass Smits sich nun beeilte, bei<br />

Purrmann den Eindruck seines ersten Schreibens zu korrigieren. Er habe nur theoretische<br />

Überlegungen zum Kaufhof-Gebäude angestellt, und es habe sich ja nicht um ihn selbst,<br />

sondern um seine Frau gehandelt. Seine Beamtenpflichten befolge er genauestens. Eine<br />

gegnerische Einstellung zur Partei wies Smits zurück und behauptete sogar, 1932 Umgang<br />

mit „führenden Nationalsozialisten“ gepflegt zu habe, was ihn in der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

verdächtig gemacht habe. Anfang Oktober einigte sich Wittgen mit Purrmann schließlich auf<br />

den Kompromiss, die Sache als erledigt zu betrachten, den gesamten Vorgang aber in die<br />

Personalakte aufzunehmen. 62<br />

Obwohl der Boykott selbst von Parteigenossen zunächst also nur halbherzig befolgt wurde,<br />

bekamen ihn die jüdischen Geschäftsinhaber dennoch zu spüren. Der Metzger Louis<br />

Kaufmann 63 schilderte Wittgen am 28. September 1933 mit eindringlichen Worten seine<br />

Sorgen um die wirtschaftliche Existenz seiner kinderreichen Familie: „Der grösste Teil<br />

62 StAK 623 Nr. 3915, S. 394-408, Zitate S. 398, 407; ebd. N 150 Nr. 5.<br />

63 Louis (Levy) Kaufmann, geb. 5.3.1877 Krefeld-Uerdingen, und seine Frau Johanna (Hanna) geb.<br />

Gottschalk, geb. 29.4.1874 Kottenhe<strong>im</strong>, wurden am 22.3.1942 von <strong>Koblenz</strong> aus nach Izbica deportiert. Das<br />

Ehepaar hatte sechs Kinder. Thill: Lebensbilder, S. 284, 341; StAK M 6, Hausblatt Balduinstraße 16/18.


206<br />

meiner Kunden in der Gegend meines Geschäfts [Moselweißer Straße 27] bestand aus<br />

Beamtenkreisen, welche sich nunmehr fürchteten, bei mir weiter ihre kleinen Fleischwaren zu<br />

beziehen, weil dieselben sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, dass die Ehemänner ihre<br />

Stellung verlieren, indem in dieser Beziehung nicht nur allein unter den Beamtenkreisen<br />

selbst, sondern auch von meiner Konkurrenz in der Nachbarschafr [sic] entsprechende<br />

Propaganda gemacht wird.“ Demnach hatten die Einschüchterungen bei der Beamten-<br />

kundschaft ihre Wirkung entfaltet, und sie befolgte das Einkaufsverbot ernsthafter als andere<br />

Bevölkerungskreise. Jedenfalls bat der ehemalige Frontkämpfer 64 Kaufmann den<br />

Oberbürgermeister, ihm die Anbringung einer Tafel zu erlauben, dass in seinem Geschäft<br />

eingekauft werden dürfe. Wittgen persönlich lehnte mit knappen Worten ab. Nach den<br />

geltenden Richtlinien sollten Geschäfte nicht besonders hervorgehoben werden. „<strong>Die</strong><br />

Entwicklung von Handel, Wandel und Gewerbe soll sich auf dem Boden vernunftgemässer<br />

Volkswirtschaft entwickeln und wird deshalb behördlicherseits in keiner Weise beeinflusst<br />

werden.“ 65 Dass diese Aussage nicht der Praxis der <strong>Stadtverwaltung</strong> entsprach, bewies schon<br />

Wittgens Lieferverbot vom 6. April 1933. Der neu konstituierte Wohlfahrtsausschuss<br />

beschloss am 23. Mai unter Vorsitz des Beigeordneten Dahm, dass das Wohlfahrtsamt von<br />

jüdischen Lieferanten keine Schuhe mehr beziehen sollte. 66<br />

<strong>Die</strong>sem Boykott stand die Bevorzugung national zuverlässiger Firmen gegenüber. Mitte<br />

Oktober 1933 gab Wittgen den <strong>Die</strong>nststellen das „Bezugsquellen-Verzeichnis von <strong>Koblenz</strong><br />

und Umgebung des NS-Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes“ zur Kenntnis und<br />

„Verwendung“. 67 Der Händler Willy Markus beklagte sich <strong>im</strong> August 1933 bei Binhold, die<br />

städtischen <strong>Die</strong>nststellen bestellten wegen seiner nicht-arischen Herkunft keine technischen<br />

Öle und Fette mehr. Als Beleg für seine Kriegsteilnahme und -auszeichnung legte er seinen<br />

Militärausweis vor. Abteilung I beschied Markus, dass die Entscheidung über seine<br />

Berücksichtigung „nur von Fall zu Fall je nach Vorlage Ihrer Angebote erfolgen kann.“ 68<br />

<strong>Die</strong>se Auskunft widersprach Wittgens Verfügung und musste Markus ermuntern, weiterhin<br />

Angebote abzugeben. So erhielt Wittgen <strong>im</strong> März 1934 eine Notiz des Hochbauamtes zur<br />

Entscheidung vorgelegt. Für die Belieferung mit Fetten und Ölen habe sich neben<br />

„christlichen“ Firmen auch die Firma Markus beworben, deren nicht-arischer Inhaber sich<br />

darauf berufe, der Oberbürgermeister habe ihm anhe<strong>im</strong> gestellt, sich zu bewerben, da er ein<br />

besonders bewährter Frontkämpfer sei. Wittgens eigenhändiger Vermerk vom 9. April 1934<br />

64 Während des Ersten Weltkrieges konnte kein Vorstand der jüdischen Synagogengemeinde gewählt werden,<br />

weil 50 Wahlberechtigte eingezogen waren. 1920 errichtete die Gemeinde auf ihrem Friedhof ein<br />

Kriegerdenkmal für ihre Gefallenen, 1923 wurde eine Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten<br />

gegründet. Edith Schwalbach-Kulla: <strong>Die</strong> jüdische Gemeinde. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 302-318, 582-<br />

586, hier S. 311-313, 584. Vgl. Mitgliederliste des Reichsbundes in StAK 623 Nr. 9577, S. 599-603.<br />

65 StAK 623 Nr. 6556, S. 120-123, Zitate S. 120 f, 123.<br />

66 StAK 623 Nr. 5902, S. 144. Anwesend waren auch Wittgen und Stadtamtmann Schmitz, als Mitglieder u. a.<br />

Lehrerin Helene Rothländer und Pfarrer Paul Coerper. Das Wohlfahrtsamt bezog <strong>im</strong> Rechnungsjahr 1933 für<br />

40.245 RM Schuhe und Kleider zur Verteilung als Sachleistungen; Haushaltsplan 1935, S. 42, 44.<br />

67 StAK 623 Nr. 6556, S. 157-236.<br />

68 StAK 623 Nr. 6560, S. 355 f.


207<br />

stand jedenfalls <strong>im</strong> Widerspruch zu seiner eigenen, fast genau ein Jahr alten Anweisung:<br />

„Sofern M. billiger und besser als andere Firmen liefert, steht seiner Berücksichtigung nichts<br />

<strong>im</strong> Wege.“ Als <strong>im</strong> September 1935 – mitten in der Stürmer-Affäre – eine Rechnung von<br />

Markus mit dem Vermerk Mohaupts, der Oberbürgermeister habe zugest<strong>im</strong>mt, beglichen<br />

wurde, verlangte Wittgen von Neumann Aufklärung. Gerade <strong>im</strong> letzten Halbjahr hätten<br />

staatliche Stellen und die Presse darauf hingewiesen, dass die Unterstützung der<br />

„rassefremden Juden“ nicht mit den Zielen des <strong>Nationalsozialismus</strong> vereinbar und ihr<br />

Frontdienst unerheblich sei. Es sei streng darauf zu achten und alle Beamten darauf<br />

hinzuweisen, dass die „in der jüdischen Frage ergangenen staatlichen Richtlinien in jedem<br />

Falle Beachtung finden.“ Mohaupt rechtfertigte sich mit Wittgens Vorjahresvermerk,<br />

außerdem habe seine Bestellung <strong>im</strong> Bauausschuss die Zust<strong>im</strong>mung der Ratsherren<br />

gefunden. 69 Wittgen erneuerte aus diesem Anlass in einer Rundverfügung vom 9. September<br />

1935 das Bezugsverbot vom April 1933. Jede Auftragserteilung an jüdische Firmen wurde<br />

grundsätzlich untersagt, falls „irgend ein Umstand den Verkehr mit einer jüdischen Firma<br />

fordert, ist mir vorher unter Klarstellung der Sachlage Vorlage zu machen und meine<br />

persönliche Entscheidung einzuholen.“ 70 Auf Geschäfte mit Juden bzw. jüdischen Firmen<br />

achtete auch das von Müller geleitete Rechnungsprüfungsamt. Es monierte <strong>im</strong> Oktober 1935<br />

die Miete von Geräten für den NS-Arbeitsdienst <strong>im</strong> Stadtwald bei der Kölner Firma Orenstein<br />

& Koppel als Vertrag mit einer nicht-arischen Firma. 71<br />

Während das Parteigerichtsverfahren in München noch anhängig war, feierten die Eheleute<br />

Wittgen am 19. September 1935 ihre Silberhochzeit. Stadtdirektor Trampp und Stadt-<br />

oberinspektor Nilles organisierten unter der Gefolgschaft eine Sammlung für ein Geschenk,<br />

bei der 456 RM zusammenkamen. Davon wurde für 126 RM eine silberne Schale mit einer<br />

nicht überlieferten Gravur gekauft, der Restbetrag wurde an die NSV als Stiftung des<br />

Oberbürgermeisters abgeführt. 72 Wittgen bedankte sich in einer Rundverfügung für die<br />

Glückwünsche und die „überreichte sinnvolle Spende“, die ihm eine besondere Freude<br />

gewesen seien. 73 <strong>Die</strong>se Geste der Bediensteten kann, wenn nicht als Sympathie-, so doch als<br />

69 StAK 623 Nr. 6130, S. 424-427, Zitate S. 424 f.<br />

70 StAK 623 Nr. 9563, S. 189. An die Bauverwaltung schrieb Wittgen, seine damalige Entscheidung habe nur<br />

diese best<strong>im</strong>mte Lieferung betroffen und bedeute keine ständige Zulassung von Markus zu Geschäften mit Stadt;<br />

ebd. Nr. 6130, S. 427. Bode wiederum wies die <strong>Die</strong>nststellen der Bau- und Liegenschaftsverwaltung nochmals<br />

gesondert zur Einhaltung der neuen Rundverfügung an; StAK 623 Nr. 8145, S. 465.<br />

71 StAK 623 Nr. 5813, S. 612. Forstassessor Wilhelm Demmer entgegnete, die Firma sei laut Gaufachberater für<br />

den Gau Groß-Berlin vorläufig zur Belieferung von Firmen zugelassen, laut Firmenvertreter mittlerweile rein<br />

arisch und habe große Aufträge z. B. für die Reichsbahn erhalten. Jetzt sei aber noch eine schriftliche<br />

Bestätigung erbeten worden. Ebd., S. 624.<br />

72 StAK 623 Nr. 6643, S. 146-183. <strong>Die</strong> höchste Spende machte das Nicht-Parte<strong>im</strong>itglied Chefarzt Prof. Dr. Fritz<br />

Hohmeier mit 10 RM. Binhold und Wirtz gaben je 5 RM, die meisten Amtsleiter 2 bis 3 RM, Frischling und<br />

Plönissen je 2 RM, der katholische Hausgeistliche der Städtischen Krankenanstalten, Dr. Georg Reitz, spendete<br />

3 RM, die Beamten und Angestellten meist 0,50 bis 1,50 RM, die Arbeiter und Lehrlinge 0,20 bis 0,50 RM.<br />

Ausdrücklich wurde die Verweigerung einer Spende durch die Gewerbeoberlehrerin Valeria Schütte vermerkt.<br />

Zum Vergleich: Ein Hilfsarbeiter bekam einen Stundenlohn von ca. 0,70 RM; ebd., S. 25 f.<br />

73 StAK 623 Nr. 9563, S. 198. <strong>Die</strong> Förderung der NSV war Wittgen ein Anliegen, wie nicht nur sein<br />

Spendenwunsch anlässlich seiner Silberhochzeit zeigt. Als das Sparbuch der Selbsthilfeeinrichtung der


208<br />

eine Art Loyalitätskundgebung für das Ehepaar gewertet werden, während die Presse das<br />

private Jubiläum überging.<br />

Dass zumindest offiziell die Wogen einige Wochen später wieder geglättet waren, hing mit<br />

dem Besuch von Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl zusammen, der am 17. Oktober<br />

aus der Hand Wittgens den Ehrenbürgerbrief erhielt. Ein mit den lokalen Parteigrößen<br />

zerstrittener oder gar aus der Partei ausgeschlossener Oberbürgermeister hätte kein gutes<br />

Licht auf die Verhältnisse in der Gauhauptstadt geworfen. Wittgen lud Vertreter von Staat,<br />

Partei und Gesellschaft als Ehrengäste ins Rathaus ein. Ratsherr Karbach sagte zwar aus<br />

dienstlichen Gründen ab, sein Schreiben war aber in freundlichem Ton abgefasst. 74 Ein<br />

knappes Jahr nach seiner Rücktrittsforderung feierte der HJ-Gebietsführer mit großem<br />

Aufwand seine Hochzeit in der Stadthalle. Als Standesbeamter fungierte Oberbürgermeister<br />

Wittgen. 75 Wenige Tage zuvor hatte Kreisleiter Claussen <strong>im</strong> großen Rathaussaal ebenfalls vor<br />

Wittgen sein Ja-Wort gegeben. 76<br />

Parteigerichtsverfahren wegen Geschäften mit Juden waren keine Seltenheit. 77 Der Chef<br />

der Berufsfeuerwehr, Brandoberingenieur Johann Buss, wurde 1937 aus der Partei<br />

ausgeschlossen, weil seine Familie bei Juden einkaufte. 78 Auch den Ratsherrn, Ehren-<br />

zeichenträger und Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Schenkendorf Max Berwald brachten<br />

Einkäufe bei einem Juden in Bedrängnis. Im Januar 1937 beschloss das Gaugericht eine<br />

Verwarnung, weil er u. a. bis März 1935 be<strong>im</strong> Weinhändler Benno Günther 79 mehrfach<br />

Spirituosen bezogen hatte. Berwald brachte zu seiner Entlastung vor, dass Günther sich nicht<br />

durch jüdische Rassenmerkmale verraten habe. Das Parteigericht bewertete seine<br />

Handlungsweise als äußerst fahrlässig. Als Ortsgruppenleiter sei er besonders verpflichtet,<br />

den unter allen Umständen verbotenen Verkehr mit Juden zu unterlassen. Berwald legte mit<br />

Erfolg Berufung ein. Das Oberste Parteigericht hob den Beschluss <strong>im</strong> Oktober 1937 auf und<br />

sprach ihn frei. Es sei zwar richtig, dass jeder Parteigenosse vorsichtig sein müsse, um nicht<br />

städtischen Beamten und Angestellten <strong>im</strong> Sterbefall nach den Best<strong>im</strong>mungen des Gemeindefinanzgesetzes<br />

aufgelöst werden musste, schlug Polizeiinspektor Meyer als bisheriger Geschäftsführer vor, den Restbetrag für<br />

Kranzspenden bei Todesfällen aufzubrauchen. Wittgen entschied dagegen <strong>im</strong> Juni 1938, dass der Betrag von<br />

324,29 RM als Spende an die NSV für erholungsbedürftige Kinder der Ostmark ging. Ebd. Nr. 6651, S. 113-119,<br />

122-127.<br />

74 StAK 623 Nr. 6239, S. 8-13, 21.<br />

75 Karbach heiratete die BDM-Untergauführerin Elisabeth („Elly“) Tenhaeff aus Ellern (Kreis S<strong>im</strong>mern),<br />

Trauzeugen waren Gauleiter S<strong>im</strong>on sowie Gauverlagsleiter und Gauamtsleiter Georg Schmidt. NB, 17.6.1936:<br />

Hochzeitsanzeige; NB, 18.6.1936: Trauung des Gebietsführers der Westmark (mit Abb.); StAK, Standesamt<br />

<strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 246/1936.<br />

76 Claussen heiratete am 30.5.1936 die Stenotypistin Hildegard Heilhecker, Trauzeugen waren Gauleiter S<strong>im</strong>on<br />

und Gaupresseleiter Albert Urmes. NB, Pfingsten 1936: Hochzeitsanzeige; NB, 2.6.1936: <strong>Die</strong> Trauung unseres<br />

Kreisleiters (mit Abb.); StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 225/1936 (Schreibweise: Clausen).<br />

77 Beispiele aus Akten des LHAKo veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 154-163.<br />

78 StAK 623 Nr. 9744, S. 318. Er wurde später wieder in die NSDAP aufgenommen.<br />

79 Benno Günther, geb. 23.12.1875 <strong>Koblenz</strong>, und seine Frau Alice Johanna geb. Dreifus, geb. 15.6.1885 Worms,<br />

begingen am 17.11.1941 in <strong>Koblenz</strong> gemeinschaftlich Selbstmord durch Vergiftung. Thill: Lebensbilder, S. 369<br />

f.; StAK M 24, Familienblatt <strong>im</strong> Hausblatt Kastorpfaffenstraße 12.


209<br />

durch Leichtsinn in ein jüdisches Geschäft zu laufen. Doch es gehe zu weit, wenn sich jeder<br />

Parteigenosse vor jedem Einkauf ohne Verdachtsmomente erst über das Geschäft erkundigen<br />

müsse. 80 Der Zollbeamte Berwald verließ <strong>Koblenz</strong>, als zum 1. Oktober 1937 seine von ihm<br />

selbst angestrebte Versetzung nach Bremen erfolgte. 81<br />

5.1.3 Das Personal<br />

Zur Unterstützung von Stadtkämmerer Wirtz wurde am 28. Juni 1934 der 1902 in Pfaffendorf<br />

geborene Gerichtsassessor Dr. jur. Georg Fischbach angestellt, der vor seinem Studium von<br />

1921 bis 1923 Verwaltungsanwärter bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> gewesen war. 82 Während seines<br />

Referendariats war er am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Fischbachs Studium war zum<br />

Teil durch ein Darlehen des Albertus-Magnus-Vereins der Diözese Trier und des<br />

Cartellverbands finanziert worden. Er blieb treuer Kirchgänger der Pfarrgemeinde St. Josef.<br />

In seinem Spruchkammerverfahren erklärte Fischbach, dies und seine kirchliche Heirat hätten<br />

ihm bei der Partei den Vorwurf der „konfessionellen Bindung“ eingebracht. Wirtz, der „selbst<br />

politisch grösste Schwierigkeiten hatte“, sei mehrfach bei Wittgen wegen seiner endgültigen<br />

Übernahme von der Justizverwaltung vorstellig geworden. Anfang 1937 habe man ihm in der<br />

NSDAP-Ortsgruppe eröffnet, er müsse ein Amt übernehmen, sonst werde man seinen<br />

Parteiausschluss betreiben, was den Verlust seines Beamtenpostens bedeute. Auf diese Weise<br />

sei er Blockleiter geworden. Trotzdem habe ihn der Geschäftsführer der Ortsgruppe meist mit<br />

„Gelobt sei Jesus Christus“ begrüßt und „Karteigenosse“ genannt. Als Fischbach, der <strong>im</strong><br />

März 1936 mittlerweile die Stellung eines Hilfsdezernenten 83 innehatte, Stadtassessor<br />

werden sollte, habe dies Stadtsekretär Erich Legner durch – nicht näher beschriebene –<br />

Beschuldigungen verhindern können. 84<br />

Im Februar 1938 wurde das Rechtsamt aus Abteilung VII gelöst und selbständige <strong>Die</strong>nststelle<br />

(Abteilung XI) unter der Leitung Fischbachs und mit Wirtz als Dezernenten. 85 Seine<br />

politische Beurteilung, so Fischbach, habe sich dann <strong>im</strong> November 1938 verschlechtert, weil<br />

er die Beteiligung an der „Judenaktion“ abgelehnt hätte. Auch <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst habe er als politisch<br />

unzuverlässig gegolten aufgrund seiner Weigerung zur Beteiligung am Thingstättenbau und<br />

seiner Klage gegen Gauarbeitsführer Etterich wegen dessen Theaterabonnementsschulden.<br />

Dagegen habe er es „abgelehnt, die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes der Juden Wolff<br />

80 LHAKo Best. 662,2 Nr. 2, S. 945-961.<br />

81 StAK 623 Nr. 6583, S. 226 f. Schon seit der Sitzung vom 10.6.1937 fehlte Berwald entschuldigt bei den<br />

Ratsherrensitzungen; StAK 623 Nr. 7216. Das Hausblatt Poststraße 1 vermerkt erst <strong>im</strong> März 1939 einen Umzug<br />

nach Potsdam; StAK M 38.<br />

82 * 5.4.1902 Pfaffendorf (heute <strong>Koblenz</strong>), + 4.11.1957 Frankfurt am Main, katholisch, verheiratet. StAK N 123;<br />

ebd. 623 Nr. 3876; ebd. Nr. 6490, S. 101-103, 107-128; ebd. Nr. 6556, S. 654 f.; LHAKo Best. 856 Nr. 210925.<br />

83 Vgl. Tabelle 11 in Kapitel 4.3.5 sowie die spätere Vertretung von Wirtz während dessen Beurlaubung infolge<br />

des John-Prozesses ab 1.1.1938; StAK 623 Nr. 6026, S. 245.<br />

84 LHAKo Best. 856 Nr. 210925 (unpaginiert), Anlage 4 zum Fragebogen.<br />

85 StAK 623 Nr. 6027, S. 38.


210<br />

und Witwe Süssmann 86 durchzuführen, die der Leiter des städt. Rechnungs[prüfungs]amtes<br />

[Müller], der gleichzeitig stellvertretender Leiter des Amtes für Beamte war, verlangt hatte.<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, dass ich mit beiden Schuldnern wegen der Zahlung von Raten zur Abwendung<br />

der Zwangsversteigerung sowie mit dem jüdischen Kaufmann Günther wegen Zahlung seiner<br />

Steuerschulden in meinem <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer verhandelte, dass ich der Jüdin Süssmann in einem<br />

Mietstreit gegen einen von der DAF vertretenen und stark protegierten alten Kämpfer<br />

durch ständige Raterteilung half, wurde als schwerer Verstoss gegen die Parteidisziplin<br />

angesehen.“ 87 Als Fischbach <strong>im</strong> April 1939 Stadtrechtsrat werden sollte, ging Legner erneut<br />

erfolgreich dagegen vor. <strong>Die</strong>smal bezichtigte er Fischbach be<strong>im</strong> Amt für Beamte einer<br />

Unterschlagung <strong>im</strong> Jahre 1926. 88 Am 1. November 1940 wurde Fischbach zum<br />

Regierungspräsidenten in Wiesbaden als Bevollmächtigter für den Nahverkehr abgeordnet,<br />

zum 1. April 1941 erfolgte seine Versetzung unter gleichzeitiger Ernennung zum<br />

Regierungsrat. 89<br />

Dass man sich mit der Entlassung Alter Kämpfer ungleich schwerer tat als mit ihrer<br />

Bevorzugung, zeigt der Fall des Stadtsekretärs Alfons S<strong>im</strong>on. Der Alte Kämpfer S<strong>im</strong>on war<br />

seit 1923 bei der Stadt und Sachbearbeiter be<strong>im</strong> Steueramt. Bis März 1933 war er Leiter der<br />

NS-Beamtenabteilung des Kreises <strong>Koblenz</strong>-Stadt und 1934 Kreisfachschaftsleiter des RDB. 90<br />

Im Februar 1934 wurden S<strong>im</strong>on und der Alte Kämpfer Stadtsekretär Heinrich Dörrer 91<br />

höhergruppiert, <strong>im</strong>merhin hatten beide bereits <strong>im</strong> Frühjahr 1926 die zweite Verwaltungs-<br />

prüfung abgelegt. 92 Von seinem „ruhigen Posten“ 93 wurde S<strong>im</strong>on 1933 zum Wohlfahrtsamt<br />

versetzt, wo ihm bald vorgeworfen wurde, Urkunden aus Akten entfernt zu haben. Nach<br />

seiner Versetzung zur städtischen Polizei 1934 gab es auch dort Klagen wegen<br />

86 Johanna Süßmann geb. Levy, Witwe von Rudolf Süßmann; vgl. Kapitel 4.1.6.<br />

87 LHAKo Best. 856 Nr. 210925 (unpaginiert), Anlage 4 zum Fragebogen (Zitate); ebd., Emmy Feser vom<br />

1.4.1948. <strong>Die</strong> Gestapo vermerkte allerdings noch <strong>im</strong> Februar 1939 auf eine Leumundsanfrage des Gehe<strong>im</strong>en<br />

Staatspolizeiamtes hin, Nachteiliges über Fischbach sei nicht bekannt. LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 17377_0.<br />

88 StAK 623 Nr. 8944, S. 77-83. <strong>Die</strong> Angaben Legners, die er dazu am 4.3.1940 schriftlich aus Lodz machte,<br />

sind undurchsichtig. Offenbar spielten persönliche An<strong>im</strong>ositäten eine Rolle, auch werden ein Parteigerichts- und<br />

ein Strafverfahren erwähnt.<br />

89 StAK 623 Nr. 3876, S. 8, 10. Seine Nachfolge übernahmen zunächst Assessor Habbel und ab 1.2.1941<br />

Heinrich Hansmeyer; ebd. Nr. 9569, S. 19. Vom 1.4.1943 bis zu seiner Absetzung durch den Gauleiter in seiner<br />

Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar am 6.2.1945 war Fischbach als Oberregierungsrat<br />

Bevollmächtigter für den Nahverkehr für die Regierungsbezirke <strong>Koblenz</strong> und Trier. Er wurde 1948 als Mitläufer<br />

eingestuft, versuchte aber noch, seine Einstufung in die Gruppe der Entlasteten zu erreichen. Er habe z. B. als<br />

Blockleiter Schulungsbriefe und Eintrittskarten zu Parteiveranstaltungen nicht verkauft, sondern vernichtet, aus<br />

eigener Tasche bezahlt und den angeblichen Erlös in die Ortsparteikasse eingezahlt. LHAKo Best. 856 Nr.<br />

210925.<br />

90 NB, 3.4.1933: Wechsel in der Leitung der Beamtenabteilung; StAK 623 Nr. 6643, S. 7-18.<br />

91 Verwaltungsbeamter bei der Brückenbauabteilung, wo ihm vier Mitarbeiter unterstanden. 1919 bei der Stadt<br />

eingetreten, 1931 NSDAP-Mitglied, <strong>im</strong> November 1933 als Kreisfachschaftsleiter der NS-Beamtenabteilung<br />

genannt; StAK 623 Nr. 6262, S. 14; ebd. Nr. 6170, S. 134-142.<br />

92 StAK 623 Nr. 6143, S. 342-349. <strong>Die</strong> höher dotierten Stellen waren durch die Berufung der Stadtsekretäre<br />

Junior und Paff auf Bürgermeisterstellen frei geworden.<br />

93 So der NSKOV-Kreisobmann Albert Pehl an Wittgen am 11.5.1933, die neue Stelle sei für S<strong>im</strong>on „alles<br />

andere wie [sic] angenehm“, er habe sie „nur aus Parteidisziplin“ angenommen; StAK 623 Nr. 6588, S. 257.


211<br />

unsachgemäßer Bearbeitung und pflichtwidriger Amtsführung. Sowohl das Gauamt 94 als auch<br />

das Kreisamt für Beamte schalteten sich ein und prüften die Vorgänge. Daraufhin wurde<br />

S<strong>im</strong>on als Kreisfachschaftsleiter abgesetzt und Wittgen die Einleitung eines Disziplinar-<br />

verfahrens empfohlen. Der Versuch einer vorherigen gütlichen Einigung mit S<strong>im</strong>on, den<br />

Wittgen und Fischbach zusammen mit Gauamtsleiter Purrmann unternahmen, scheiterte <strong>im</strong><br />

März 1935 nach stundenlanger Verhandlung am Starrsinn S<strong>im</strong>ons. Alle ihm wohlwollend<br />

gemachten Vorschläge (Übertritt zur Reichswehr, 95 freiwilliges Ausscheiden aus dem <strong>Die</strong>nst<br />

mit Pension oder amtsärztliche Feststellung der <strong>Die</strong>nstunfähigkeit) lehnte S<strong>im</strong>on uneinsichtig<br />

als Nötigung ab. Im Laufe des dann mit dem Ziel der <strong>Die</strong>nstentlassung eingeleiteten<br />

Disziplinarverfahrens 96 teilte S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> November 1935 mit, er sei nicht mehr abgeneigt, ein<br />

Pensionierungsgesuch zu stellen. Gleichzeitig forderte er aber zur Erhöhung seiner Pension<br />

die ihm als Altem Kämpfer noch zustehende, bisher verweigerte Beförderung zum<br />

Stadtinspektor. Wittgen lehnte dies strikt ab. Dem Regierungspräsidenten erklärte er <strong>im</strong> März<br />

1936, S<strong>im</strong>on werde „nie ein brauchbarer Beamter“ und zeige „starke Widersetzlichkeit“. Der<br />

Pensionierungsvorschlag sei mit Rücksicht darauf erfolgt, dass S<strong>im</strong>on Alter Kämpfer sei und<br />

man geglaubt habe, ihm dadurch „besonders nützlich zu sein.“ Wittgen schaltete in dieser<br />

internen Personalangelegenheit sogar die Partei ein, indem auf seinen Wunsch hin Jakob<br />

Müller, Leiter des Rechnungsprüfungsamtes und Gausachbearbeiter <strong>im</strong> Amt für Beamte, <strong>im</strong><br />

Mai 1937 den Fall noch einmal unter die Lupe nahm. Müller wies alle Vorwürfe S<strong>im</strong>ons als<br />

unbegründet zurück. Er kam ebenso wie Kreisleiter Claussen zu dem Schluss, dass allein die<br />

vielen Eingaben S<strong>im</strong>ons von mangelnder Parteidisziplin und Postenjägerei zeugten.<br />

Schließlich wurde S<strong>im</strong>on am 1. Juli 1937 mit Wirkung vom 30. September 1937 wegen<br />

dauernder <strong>Die</strong>nstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Seit 1. Juni 1942 war er be<strong>im</strong><br />

Deutschen Propaganda-Atelier, einer technischen Außenstelle des Ministeriums für<br />

Volksaufklärung und Propaganda in Rüdersdorf bei Berlin, und damit wieder <strong>im</strong> öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nst beschäftigt. 97<br />

<strong>Die</strong> Beförderung des Stadtrevierförsters Jakob Vogt zum Oberförster regte das Amt für<br />

Beamte <strong>im</strong> Mai 1936 an, wenige Wochen nachdem Vogt zusammen mit anderen Alten<br />

Kämpfern des Gaues von Hitler empfangen worden war. Als Begründung hieß es, dass sich<br />

außer Vogt „wohl nicht mehr ein einziger alter Parteigenosse <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nste der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

befinden dürfte, dem nicht wenigstens eine kleine Beförderung zuteil wurde.“ Wittgen<br />

94<br />

Das Gauamt bat am 28.8.1934 um Überlassung verschiedener Personalakten <strong>im</strong> Fall S<strong>im</strong>on; StAK 623 Nr.<br />

6651, S. 83.<br />

95<br />

Eine vertrauliche Anfrage des Wehrmeldeamtes <strong>Koblenz</strong> vom 27.4.1937 über Eignung und Charakter S<strong>im</strong>ons<br />

beantwortete Wittgen mit dem Hinweis auf den ungewissen Ausgang eines laufenden <strong>Die</strong>nststrafverfahrens;<br />

StAK 623 Nr. 6094, 86 f.<br />

96<br />

Vgl. Aussagegenehmigung für Generaldirektor Schwalge vom Juni 1937; StAK 623 Nr. 3234.<br />

97<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 34-36, Zitate MF Nr. 34 (unpaginiert); BArch (ehem. BDC), PK, S<strong>im</strong>on, Alfons,<br />

31.7.1888. Nach Kriegsende betätigte sich der ausgebildete Feuerwerker S<strong>im</strong>on bis ins hohe Alter erfolgreich als<br />

Sprengmeister. Ende der 1970er Jahre führte er einen längeren Streit mit der Stadt <strong>Koblenz</strong>, der er<br />

Aktenunterschlagung seiner Personalakten vorwarf, eine Klage vor dem Verwaltungsgericht zog S<strong>im</strong>on 1979<br />

zurück. Er starb 1981 in Rastatt <strong>im</strong> Alter von fast 93 Jahren.


212<br />

befürwortete be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten die Beförderung Vogts, der <strong>im</strong> Oktober 1935 sein<br />

40-jähriges <strong>Die</strong>nstjubiläum gefeiert hatte, mit Rücksicht auf dessen Verdienste um die<br />

Bewegung. Doch der Regierungspräsident lehnte mit Hinweis auf die Rechtslage ab und<br />

empfahl, Vogt anderweitig zu würdigen. Gauamtsleiter Purrmann ließ jedoch nicht locker,<br />

worauf Wittgen gemeinsam mit der Regierung versuchte, die Beförderung durch eine<br />

Erweiterung von Vogts Aufgabenbereich zu rechtfertigen. Schließlich konnte der<br />

Regierungspräsident <strong>im</strong> Dezember 1936 mitteilen, dass der „Herr Reichsforstmeister und<br />

Preußische Landesforstmeister [Göring]“ seine bisherigen grundsätzlichen Bedenken<br />

gegen die Beförderung mit Rücksicht auf Vogts besondere Verdienste um die Partei<br />

„ausnahmsweise zurückgestellt“ habe. 98<br />

Auf die Kirchentreue der Beamten richtete der RDB ein besonderes Augenmerk, galt doch in<br />

der Partei allgemein der Grundsatz, dass praktizierende Katholiken kirchlich gebunden seien<br />

und damit keine wahren Nationalsozialisten sein könnten. <strong>Die</strong> frühere Parteizugehörigkeit<br />

zum Zentrum galt als Indiz für eine latente Reg<strong>im</strong>efeindlichkeit. Antworten zur<br />

Parteizugehörigkeit und deren Dauer <strong>im</strong> Fragebogen zum BBG, wie sie Oswald Breuer („Der<br />

Zentrumspartei. Von 1905 bis heute!“), Wilhelm van Rühden („Der Zentrumspartei seit<br />

meiner Wahlmündigkeit“) und Josef Schnorbach („Stets der Zentrumspartei, der ich auch<br />

heute noch angehöre“) noch <strong>im</strong> Juni 1933 abgaben, konnten als Provokation aufgefasst<br />

werden. 99 Das Amt für Kommunalpolitik beobachtete nach dem von den katholischen<br />

Gläubigen überaus gefeierten Besuch von Bischof Rudolf Bornewasser am 25. November<br />

1934 100 ein Wiedererstarken des ehemaligen Zentrums: „Der schwarze Einfluss in den<br />

Kommunalverwaltungen muss endlich gebrochen werden. Auch lässt das Verhältnis der<br />

Verwaltungsorgane zur pol. Leitung vielenortes [sic] zu wünschen übrig. <strong>Die</strong> wenigen NS-<br />

Beamten in der Verwaltung haben heute schon wieder einen schweren Stand, da<br />

Liebedienerei der anderen Beamten mit den nicht NS-Vorgesetzten an der Tagesordnung<br />

sind.“ 101<br />

Im Juli 1938 meldete RDB-Kreisfachschaftsleiter Plönissen dem Oberbürgermeister die<br />

Beamten, die an der Fronleichnamsprozession teilgenommen hatten, nämlich Sparkassen-<br />

rendant Philipp, die Stadtinspektoren Humm, Schnorbach und Willi Müller sowie<br />

Stadtsekretär Kasteleiner. Auf Wunsch Plönissens kam <strong>im</strong> Hinblick auf spätere Beurteilungen<br />

98<br />

StAK 623 Nr. 6206, S. 131-158, Zitate S. 131 f., 147; NB, 28./29.3.1936: Westmark-Vertreter heute be<strong>im</strong><br />

Führer.<br />

99<br />

StAK 623 Nr. 3805 (unpaginiert), Schnorbach vom 26.6.1933; ebd. Nr. 3233 (unpaginiert), van Rühden vom<br />

16.6.1933; ebd. Nr. 3222, MF Nr. 7 (unpaginiert), Breuer vom 15.6.1933.<br />

100<br />

Bornewasser hatte zum Christkönigsfest in der überfüllten Stadthalle gesprochen. Seine Rede, die vor allem<br />

gegen den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates auf die Erziehung der Jugend zielte, wurde<br />

zusätzlich in den Saal des Lesevereins übertragen; KVZ, 26.11.1934: Christkönigsfeier der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Katholiken. <strong>Die</strong> KVZ sprach von „einer nach außen und nach innen gleich gewaltigen Kundgebung der Treue<br />

und des Glaubens“; ebd.: Vieltausende umjubeln den Bischof.<br />

101<br />

BArch NS 25/240, S. 85.


213<br />

ein entsprechender Vermerk in die Personalakten. 102 Darüber hinaus ging die Teilnahme an<br />

der Prozession auch in die Akten der Gestapo ein. 103 Stadtinspektor Josef Mohr sagte <strong>im</strong><br />

Spruchkammerverfahren gegen Plönissen aus, er habe 1938 den Betriebsausflug auf den<br />

Fronleichnamstag gelegt und der Belegschaft dann „laut und höhnisch“ erklärt: „So, jetzt<br />

gegen [sic] wir geschlossen mit der Prozession“. Beurlaubungen zur Teilnahme an<br />

kirchlichen Veranstaltungen oder Familienfeiern habe Plönissen versagt. 104<br />

Ein Runderlass des Reichsinnenministers vom 9. September 1937 verbot den Beamten, ihre<br />

Kinder auf eine Privatschule, d. h. in der Regel eine konfessionelle Schule, zu schicken, wenn<br />

am Wohnort eine staatliche Schule vorhanden war. 105 Schon <strong>im</strong> Juni 1936 hatte Oberpräsident<br />

Terboven in einem Rundschreiben missbilligt, dass Beamte ihre Kinder noch an Privatschulen<br />

angemeldet hätten, 106 und <strong>im</strong> August 1937 hatte der SD-Unterabschnitt <strong>Koblenz</strong> seine<br />

Außenstellen angewiesen, Listen mit den Namen der betreffenden Beamten anzulegen. 107<br />

Während staatliche Überprüfungen des Schulbesuchs nicht überliefert sind, fragte das Amt für<br />

Beamte <strong>im</strong> November 1938 bei Wittgen an, ob er der Tochter Schnorbachs den Besuch der<br />

Ursulinenschule 108 , einer von katholischen Ordensschwestern geführten Privatschule,<br />

genehmigt habe. <strong>Die</strong>s war nicht der Fall. Schnorbach erklärte Abteilung I, zwei seiner Töchter<br />

besuchten die Hildaschule, eine Tochter die Ursulinenschule, die er dort belassen habe, weil<br />

sie die Schule sowieso Ostern 1939 verlasse. Ein Schulwechsel sei nachteilig und verursache<br />

bei einer Familie von sieben Kindern nur unnötige Kosten. Schnorbachs Bitte, das Kind auf<br />

der Schule belassen zu dürfen, wurde stillschweigend geduldet, indem Stadtrat Fuhlrott dem<br />

Gauamt knapp mitteilte, er werde die Abmeldung zu Ostern überwachen. 109 Wittgen nahm<br />

den Fall zum Anlass, <strong>im</strong> Dezember 1938 an den Runderlass von 1937 zu erinnern.<br />

Gleichzeitig verlangte er nicht nur von den betroffenen Beamten, sondern von allen<br />

Bediensteten eine Meldung an Abteilung I über den Schulbesuch ihrer Kinder. 110 Als der<br />

Technische Stadtinspektor Jakob Deboeser 111 noch <strong>im</strong> Dezember 1939 angab, seine Kinder<br />

besuchten öffentliche Schulen, forderte ihn Abteilung I zu einer Stellungnahme auf, da seine<br />

Tochter die Ursulinenschule besuche. Das ehemalige Zentrumsmitglied beharrte zunächst auf<br />

102<br />

StAK 623 Nr. 6651, S. 120 f. Das Schreiben zählte in Plönissens Spruchkammerverfahren zum<br />

Belastungsmaterial; LHAKo Best. 856 Nr. 110984.<br />

103<br />

In der Gestapo-Karteikarte zu Schnorbach heißt es: „21.11.1939: Sch. hat an der Fronleichnamsprozession<br />

1938 teilgenommen.“ LHAKo Best. 727,2 Img 10235_0.<br />

104<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Mohr (undatiert).<br />

105<br />

StAK 623 Nr. 6026, S. 164; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 253 Anm. 118.<br />

106<br />

StAK 623 Nr. 9565, S. 130, 152.<br />

107<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 377.<br />

108<br />

Ella Volkers: Ursulinenschule und Bischöfliches Gymnasium <strong>Koblenz</strong>. Eine katholische Schule <strong>im</strong> 20.<br />

Jahrhundert 1902 bis 1992. Hg. v. Bischöflichen Cusanus-Gymnasium <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1992; Bischöfliches<br />

Cusanus-Gymnasium <strong>Koblenz</strong> (Hg.): 1902-2002 Bischöfliches Cusanus-Gymnasium <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 2002.<br />

109<br />

StAK 623 Nr. 3805 (unpaginiert), Amt für Beamte vom 21.11.1938, Abt. I vom 25.11.1938 und 27.4.1939.<br />

Ende April 1939 verließ das Mädchen die Schule.<br />

110<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 236.<br />

111<br />

* 7.7.1892 Köln, + 20.4.1958 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet, 1945 rückwirkende Beförderung zum<br />

Stadtoberinspektor ab 1939 sowie zum Stadtamtmann ab 1945, 1957 Pensionierung. StAK 623 Nr. 3242; RZ,<br />

3.8.1957: Abschiedswünsche auch von der Polizeidirektion.


214<br />

seinem Standpunkt, dass die Schule keine Privatschule sei, denn es heiße in dem Erlass, von<br />

der Gemeinde bezuschusste Schulen fielen nicht unter diesen Begriff. Dazu verwies er auf die<br />

<strong>im</strong> Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel. Doch Deboeser lenkte ein: „Trotzdem bin ich aber<br />

bereit, ab Ostern meine Tochter in eine andere Schule zu schicken.“ 112<br />

Als am 7. August 1937 der frühere SPD-Stadtverordnete und Gewerkschaftssekretär Veit<br />

Rummel verstarb, hatte die Gestapo die Beerdigungsteilnehmer <strong>im</strong> Visier. Ende August<br />

erhielt Wittgen die an ihn persönlich adressierte Nachricht der Gestapo, dass der<br />

Marktmeister Wilhelm Rüth, der ehemalige Sparkassendirektor Wilhelm Hütte und die<br />

Stadtsekretärin Anna Hans teilgenommen hätten, was den Eindruck der politischen<br />

Verbundenheit mit dem Verstorbenen erwecke. Wittgen ließ Rüth und Hans durch Trampp<br />

vernehmen. Rüth erklärte, er habe Rummel persönlich gar nicht gekannt, sondern er sei aus<br />

Anstand und Mitleid als langjähriger Nachbar von Rummels Sohn mitgegangen. Hans<br />

begründete ihre Teilnahme mit Pietät und rein menschlichen Gefühlen. Sie habe Rummel als<br />

korrekten und hilfsbereiten Menschen schätzen gelernt, aber seit 1933 keinen Kontakt mehr<br />

zu ihm gehabt. Wittgen reichte der Gestapo die Vernehmungsprotokolle ein und fügte hinzu,<br />

über den Ruhestandsbeamten Hütte habe er keine Disziplinargewalt mehr. <strong>Die</strong> Gestapo fand<br />

Rüths Gründe zwar nachvollziehbar, meinte aber, er hätte als Beamter auf die Teilnahme<br />

verzichten müssen, weil sie „als eine Demonstration gegen den nationalsozialistischen Staat<br />

aufgefasst werden konnte“. <strong>Die</strong> Ausführungen von Hans wurden dagegen als „sehr gesucht“<br />

bewertet und nicht als Entschuldigung akzeptiert, weil Rummel ihr als „führender Marxist“<br />

bekannt gewesen sei. Disziplinarisch sei das Weitere zu veranlassen. Wittgen antwortete <strong>im</strong><br />

Oktober, Rüth sei schon bei seiner Vernehmung zu größerer Umsicht gemahnt worden. Hans<br />

werde mit einem Verweis gemäß Reichsdienststrafordnung bestraft. Sie müsse ihr<br />

außerdienstliches Verhalten so einrichten, wie es von einem Beamten gefordert werden<br />

müsse. Wittgen versicherte, dass er Hans’ politische Einstellung in Zukunft „besonders<br />

beobachten“ werde. Ihr Vorgesetzter Schmitz wurde über den Vorgang informiert. 113<br />

Mit der Versetzung Roggs in den Ruhestand war 1934 die Stelle eines Technischen<br />

Beigeordneten eingespart worden. In der Ratsherrensitzung vom 8. Juli 1937 teilte Wittgen<br />

mit, dass der Innenminister und der Regierungspräsident „angeregt bzw. angeordnet“ hätten,<br />

dass die Stadt in ihre Hauptsatzung wieder die Stelle eines hauptamtlichen Technischen<br />

Beigeordneten aufnehmen solle. <strong>Die</strong>se Maßnahme werde mit den zukünftigen großen<br />

technischen Aufgaben der Stadt und ihrer städtebaulichen Neuentwicklung begründet,<br />

außerdem gehe Neumann bald in Pension. § 2 der Hauptsatzung wurde durch Entschließung<br />

des Oberbürgermeisters mit Einverständnis des Parteibeauftragten Claussen entsprechend<br />

geändert. Dem Oberbürgermeister sollten in Zukunft zur Seite stehen:<br />

112 StAK 623 Nr. 3242 (unpaginiert), Deboeser vom 20.12.1939. Seine Tochter wechselte zur Hildaschule.<br />

113 LHAKo Best. 662,6 Nr. 456 (unpaginiert).


1. der hauptamtliche Bürgermeister,<br />

2. der hauptamtliche Stadtkämmerer,<br />

215<br />

3. der hauptamtliche Technische Beigeordnete – Stadtoberbaurat,<br />

4. ein hauptamtlicher Beigeordneter – Stadtrat,<br />

5. zwei ehrenamtliche Beigeordnete. 114<br />

Dass die Aufsichtsbehörden die Wiederbesetzung der Technischen Beigeordnetenstelle<br />

anordneten, zeugt von ihrer deutlichen Unzufriedenheit mit der aktuellen Bearbeitung der<br />

(städte)baulichen Aufgaben und ihrem geringen Vertrauen in deren zukünftige Handhabung.<br />

<strong>Die</strong> Anordnung stellte einen massiven staatlichen Eingriff in die kommunale Selbst-<br />

verwaltung dar. <strong>Die</strong> Möglichkeit dazu eröffnete § 110 DGO. In den Fällen, in denen der<br />

Bürgermeister eine Entschließung „zur Erfüllung einer der Gemeinde gesetzlich obliegenden<br />

Verpflichtung“ unterließ, gab die DGO der Kommunalaufsicht das Recht, eine solche<br />

Entschließung zu verlangen und ihren Inhalt vorzuschreiben. 115 Mit seiner Wortwahl<br />

„angeregt bzw. angeordnet“ beschönigte Wittgen, dass es sich in Wirklichkeit um ein<br />

Misstrauensvotum gegen seine Amtsführung handelte, zumal er selbst das technische<br />

Dezernat übernommen hatte.<br />

Auf die Stellenausschreibung 116 bewarb sich der 1895 in Bad Warmbrunn geborene Leiter des<br />

Stadtbauamtes Wesel, Johannes („Hanns“) Klose 117 (Abb. 17). Dabei beließ er es nicht,<br />

sondern zusätzlich wandte er sich am 26. August 1937 in seiner Funktion als NSDAP-<br />

Kreisamtsleiter an Gauleiter Terboven und bat diesen um seine Intervention als<br />

Oberpräsident. Er beschrieb Terboven seinen beruflichen Werdegang (Staatsexamen an der<br />

TH Hannover, 13 Jahre bei Firmen <strong>im</strong> Hoch- und Tiefbau und seit 1933 Leiter des<br />

Stadtbauamtes), gab als Referenz u. a. seinen Kreisleiter an und bat, zu einem Vorstellungs-<br />

gespräch geladen zu werden. Es wurde vereinbart, dass Klose sich in <strong>Koblenz</strong> be<strong>im</strong><br />

Regierungspräsidenten und bei der Gauleitung vorstellen solle. Im Februar 1938 meldete<br />

Mischke dem Oberpräsidenten Vollzug: Claussen hatte als Parteibeauftragter Klose<br />

vorgeschlagen und die Ratsherren waren am 25. Januar 1938 gehört worden. Doch das<br />

Oberpräsidium meldete Mitte des Monats plötzlich Bedenken an. Klose habe nicht die<br />

vorgeschriebene Befähigung zum höheren technischen Verwaltungsdienst und die von ihm<br />

vorgelegten Arbeiten ließen „erhebliche Zweifel aufkommen“, ob Kloses Fähigkeiten für die<br />

Stelle ausreichten. Claussen hielt trotzdem an seinem Vorschlag fest und verband ihn mit<br />

einer äußerst naiven Aufzählung der Aufgaben, die Klose in <strong>Koblenz</strong> erwarteten:<br />

„Entschandelung alter, guter Bauwerke und Plätze, Beseitigung der wilden Kleingärten, die<br />

auch hier unser Stadtgebiet verschandeln und Ersetzung durch Dauerkleingärten.“ Mischke<br />

114 StAK 623 Nr. 7216, S. 190 f.<br />

115 RGBl. I, S. 49.<br />

116 LHAKo Best. 714 Nr. 1270, Folge 14, 20.7.1937.<br />

117 * 14.11.1893 Bad Warmbrunn (Schlesien), + 10. 3.1960 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch, 1938 Kirchenaustritt. LHAKo<br />

Best. 856 Nr. 110010; StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 24 und 25.


216<br />

holte be<strong>im</strong> Essener Präsidenten des Ruhrsiedlungsverbands eine Auskunft über Klose ein. Sie<br />

fiel zwar <strong>im</strong> Tenor positiv aus, war aber mit einigen Einschränkungen und Vorbehalten<br />

versehen. Anfang April beantragte der Regierungspräsident bei Terboven, in Berlin eine<br />

Ausnahme zu erwirken, wobei er die Antwort aus Essen als günstig hinstellte und die Sache<br />

dringend machte. Berlin gab schließlich am 30. April grünes Licht unter der Voraussetzung,<br />

dass dem künftigen Stadtbaurat „für rein baukünstlerische Aufgaben geeignete, ihm<br />

unterstellte Kräfte 118 “ zur Verfügung stünden. Daraufhin erfolgte die Ernennung Kloses, der<br />

in der Ratsherrensitzung vom 12. Mai 1938 in sein Amt eingeführt wurde. 119<br />

Was Klose an Fähigkeiten fehlte, kompensierte er mit forschem Auftreten. Kaum <strong>im</strong> Amt,<br />

verlangte er unter Hinweis auf die ihm von Mischke gemachten Zusagen von Wittgen die<br />

Einstellung zusätzlichen Personals und beschwerte sich, dass ohne seine Einschaltung<br />

Personalveränderungen vorgenommen worden seien, was dem Führerprinzip widerspreche.<br />

Als ein Stadtobersekretär der Baupolizei ein Schreiben der Regierung verspätet bearbeitete,<br />

forderte Klose von Abteilung I disziplinarische Maßnahmen, um ein Exempel zu statuieren.<br />

Am 7. Juni 1938 erklärte er Wittgen vollmundig: „Das gesamte Amt muss produktiver,<br />

technisch und künstlerisch flüssiger arbeiten, alle ausgerichtet auf den Willen des<br />

Dezernenten.“ Das Personal kritisierte er als „verhältnismässig alt“, Nachwuchs fehle und bei<br />

Einstellungen und Einstufungen dürfe man „nicht zu engherzig vorgehen“. 120<br />

Im Hinblick auf das <strong>im</strong> Mai 1939 ablaufende Probejahr Kloses sah sich ein Beamter <strong>im</strong><br />

Oberpräsidium <strong>im</strong> Oktober 1938 zu einer warnenden Notiz für den Vize-Oberpräsidenten<br />

veranlasst: „In letzter Zeit habe ich von gut unterrichteter Seite gehört, daß Klose in starker<br />

Abhängigkeit von der hies. Gauleitung steht u. daß er allem Anschein nicht über die<br />

erforderlichen Fähigkeiten für die Stelle des Stadtbaurats verfügt.“ 121 Tatsächlich hatte Klose<br />

für die Wünsche des Gauleiters stets ein offenes Ohr. Seine Protokolle von zwei<br />

Besprechungen mit S<strong>im</strong>on und Claussen zu städtebaulichen Themen <strong>im</strong> Mai und Juni 1938<br />

lesen sich eher wie bereitwillig entgegen genommene Auftragslisten des Gauleiters; die erste<br />

Niederschrift beginnt sogar mit den Worten: „Der Gauleiter best<strong>im</strong>mte […]“. 122 In der<br />

Ratsherrensitzung vom 7. Juli 1938 berichtete Klose von einer Besichtigungsfahrt mit S<strong>im</strong>on<br />

und Claussen durch die Stadt und stellte den interessierten Ratsherren die Pläne des<br />

118<br />

Dazu zählte der Architekt Ludwig Scheurer (* 20.2.1896 Mainz), der hervorragende Zeugnisse aufweisen<br />

konnte und seit 1938 be<strong>im</strong> Stadtgestaltungsamt beschäftigt war. Er hatte sich 1925 am sog. Linden-Wettbewerb<br />

in Berlin beteiligt. Seine futuristischen Entwürfe, die zu den „spektakulärsten Wettbewerbsbeiträgen“ zählten,<br />

befinden sich noch heute <strong>im</strong> Architekturmuseum der UB der Technischen Universität Berlin. StAK 623 Nr.<br />

3893; Matthias Pabsch: Pariser Platz - Architektur und Technik. Vom manuellen zum digitalen Zeitalter. Berlin<br />

2002, S. 82-85 (mit Abb.), Zitat S. 83.<br />

119<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 30, 61-94, Zitate S. 66 f., 77-79, 93; StAK 623 Nr. 7216, S. 249, 269 f.; NB,<br />

14./15.5.1938: Viele wichtige Aufgaben warten.<br />

120<br />

StAK 623 Nr. 8140, S. 688-709, Zitate S. 707 f.<br />

121<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 95.<br />

122<br />

StAK 623 Nr. 10740 (unpaginiert), Klose vom 23.5.1938 (Zitat); ebd. Nr. 9593, S. 39-43. An der zweiten<br />

Besprechung am 27.6.1938 nahm auch Gauleiter-Stellvertreter Reckmann teil.


217<br />

Gauleiters für verschiedene Projekte vor. Zwar räumte er ein, deren sofortige Verwirklichung<br />

sei mangels Mitteln nicht möglich, doch solle sie „auf Anordnung Gauleiters abschnittsweise<br />

erfolgen“. 123 Mehrfach folgte Klose bei Bauprojekten beflissen dem „Wunsch des<br />

Gauleiters“, den er intern ausdrücklich zur Begründung festhielt. 124 Im Oktober 1938 fühlte<br />

Klose sich berufen, dem preußischen Hochbauamt mitzuteilen, dass er erfahren habe, der<br />

Gauleiter missbillige den geplanten Neubau des Staatsarchivs auf dem Oberwerth. Ein<br />

städtisches Grundstück war zu diesem Zweck erst <strong>im</strong> Juni mit ministerieller Genehmigung an<br />

den preußischen Staat verkauft worden. Der Regierungsvizepräsident, auf dessen Schreibtisch<br />

Kloses Brief landete, antwortete sehr kühl, andere Bauplätze seien nach eingehender Prüfung<br />

ausgeschieden und der Baukörper werde der Umgebung angepasst. 125 Aber auch nach außen<br />

argumentierte Klose ausdrücklich mit dem „Wunsch des Gauleiters“ als er <strong>im</strong> Februar 1939<br />

eine Baugenehmigung verweigerte, weil S<strong>im</strong>on mit dem Bauplatz andere Pläne verfolgte. 126<br />

Kloses Verhalten entsprach ganz dem Prinzip „dem Gauleiter entgegenarbeiten“ 127 . Ebenso<br />

schnell beugte er sich den Vorstellungen des Kreisleiters. 128<br />

Doch Oberpräsident Terboven, dem man nachsagte, dass er „nicht nur in Parteivorstellungen<br />

lebte, sondern auch in staatlichen Begriffen denken konnte“, 129 war daran gelegen, den<br />

ausufernden Einfluss der Gauleitung einzudämmen. Es war ein offenes Gehe<strong>im</strong>nis, dass das<br />

Verhältnis zwischen ihm und Gauleiter S<strong>im</strong>on gespannt war. Schon kurz nach seiner<br />

Amtseinführung hatte Terboven seinen nachgeordneten <strong>Die</strong>nststellen <strong>im</strong> August 1935 in<br />

einem dreiseitigen Grundsatzpapier u. a. mitgeteilt, dass er <strong>im</strong> Einklang mit der Parteiführung<br />

Eingriffe von Parteidienststellen in den Behördenbetrieb ablehne und der Beamte<br />

ausschließlich seiner <strong>Die</strong>nststelle gegenüber verantwortlich sei. 130 Folgerichtig forderte das<br />

Oberpräsidium <strong>im</strong> Januar 1939 be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten einen Bericht an, inwieweit sich<br />

Klose seinen Aufgaben gewachsen gezeigt habe, wobei auch das Ergebnis einer schon länger<br />

123<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 286 f.<br />

124<br />

StAK 623 Nr. 3607, S. 5; ebd. Nr. 7311, S. 24; ebd. Nr. 9063, S. 464; ebd. Nr. 9846, S. 20.<br />

125<br />

StAK 623 Nr. 11648 (unpaginiert), Zitat Klose vom 4.10.1938.<br />

126<br />

StAK 623 Nr. 10747 (unpaginiert).<br />

127<br />

Zur Übertragung der bekannten These von Ian Kershaw (dem Führer entgegenarbeiten) auf die Ebene der<br />

Gauleiter vgl. Bernhard Gotto: Dem Gauleiter entgegen arbeiten? Überlegungen zur Reichweite eines<br />

Deutungsmusters. In: Jürgen John u. a. (Hg.): <strong>Die</strong> NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen <strong>im</strong> zentralistischen<br />

„Führerstaat“ (Schriftenreihe der VfZ Sondernummer). München 2007, S. 80-99.<br />

128<br />

Beispiel: StAK 623 Nr. 9063, S. 468.<br />

129<br />

Loock: Quisling, Rosenberg und Terboven, S. 338 f. Vgl. Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 261-263.<br />

130<br />

StAK 623 Nr. 9563, S. 199-201. Den Angehörigen der Allgemeinen Abteilung des Oberpräsidiums war<br />

jeglicher Verkehr mit der Gauleitung untersagt; Becker: Vom Oberpräsidium der Rheinprovinz, S. 464, 544.<br />

Vgl. Schreiben des SD-Unterabschnitts Trier vom 14.2.1939, das die „bekannte[n] Gegensätzlichkeit<br />

[Terbovens] zu Gauleiter S<strong>im</strong>on“ erwähnt; LHAKo Best. 662,6 Nr. 458 (unpaginiert). Reichsleiter Alfred<br />

Rosenberg notierte am 7.5.1940 in sein Tagebuch, Terboven habe „als Oberpräsident der Rheinprovinz [...] die<br />

dortigen Gauleiter schikaniert“, zit. n. <strong>Die</strong>hl-Thiele: Partei und Staat, S. 118 Anm. 18. Vgl. auch Horst Romeyk:<br />

Der Gau Moselland in der nationalsozialistischen Reichsreform. In: JbwestdtLG 11 (1985), S. 247-269, hier S.<br />

249-251. <strong>Die</strong> Reibereien zwischen Terboven und den drei anderen rheinischen Gauleitern führten 1940 zu seiner<br />

Abberufung nach Norwegen; Horst Romeyk: Der preußische Regierungspräsident <strong>im</strong> NS-Herrschaftssystem.<br />

Am Beispiel der Regierung Düsseldorf. In: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S.<br />

121-140, hier S. 124.


218<br />

geplanten Revision des Bauamtes einfließen sollte. Unter dem 12. April 1939 erstatteten<br />

sowohl der Regierungspräsident als auch Wittgen Bericht. Oberregierungsrat Dr. Otto<br />

Hoevermann und Oberregierungs- und -baurat Hanns Le Blanc kamen unter Berücksichtigung<br />

eines Berichts des Gemeindeprüfungsamtes Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass die Aufgaben<br />

<strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Bauamt außerordentlich vielseitig seien, die finanziellen Mittel aber sehr<br />

begrenzt und das Personal nur zum Teil befähigt. Klose habe sich zwar mit „Eifer, allerdings<br />

nicht <strong>im</strong>mer mit der wünschenswerten Selbständigkeit und Beharrlichkeit“ seinen Aufgaben<br />

unterzogen. Andererseits sei er „jung und beweglich genug, um sich noch zu entwickeln. Er<br />

verfügt über ausreichende Kenntnisse. Freilich ist er kein Mann von Format.“ Angesichts der<br />

Dotierung der Stelle sei aber bei seiner Abberufung nicht damit zu rechnen, einen besseren<br />

Ersatz zu finden. Auch Wittgen, selbst Techniker, zeigte sich nur mäßig zufrieden. Trotz<br />

beachtlichen Eifers könnten Kloses Leistungen „nicht voll befriedigen“, es fehle ihm „das<br />

unbedingt notwendige allumfassende technische Wissen und vor allem die Erfahrung“ als<br />

Leiter eines umfangreichen Bauamtes. Er sei sprunghaft, neige zum Verzetteln, und ob er<br />

seinen Posten je ganz auszufüllen könne, ließe sich „nicht unbedingt bejahen“. Aber Wittgen<br />

bezweifelte ebenfalls, ob eine bessere Kraft zu finden sei. Es wurde noch die Idee einer<br />

künstlichen „Verlängerung“ der Probezeit Kloses durch seine Abberufung und sofortige<br />

Wiederberufung diskutiert, aber schließlich verworfen. Der Vize-Oberpräsident verfügte, dass<br />

angesichts der „starken Anteilnahme des Gaues an Person und Stelle“ Kloses dort<br />

„zweckmäßigerweise das vorherige Einverständnis 131 “ eingeholt werden solle. Claussen hatte<br />

schon erklärt, er sähe in der Zurücknahme der Berufung eine große Härte für Klose. Ergebnis<br />

war, dass Klose nicht abberufen wurde und auf seinem Posten blieb. 132<br />

Öffentliche Bekundungen der Loyalität zum Führer und seiner Politik gehörten weiterhin zum<br />

Pflichtprogramm der Bediensteten. Zur Schlusskundgebung vor der Volksabst<strong>im</strong>mung über<br />

den Anschluss Österreichs, die am Abend des 8. April 1938 in der Stadthalle mit Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on stattfand, ordnete Wittgen die Teilnahme aller Bediensteten an, die er geschlossen in<br />

den Saal führte. 133 Der RDB hatte drei Tage zuvor einen Propagandamarsch der Beamten<br />

organisiert, der die Dankbarkeit gegenüber Hitler als dem Gründer des Großdeutschen<br />

Reiches demonstrieren sollte. 3.000 Beamte, darunter auch Gemeindebeamte, marschierten<br />

am Gauhaus an Regierungspräsident Mischke, Polizeipräsident Wetter und Kreisleiter<br />

Claussen vorbei. 134<br />

131<br />

Schon seit Mai 1933 war die Zusammenarbeit zwischen Oberpräsident bzw. Regierungspräsident und dem<br />

Gauleiter vorgeschrieben: Erstere mussten vor wichtigen Maßnahmen mit dem Gauleiter in Verbindung treten.<br />

Romeyk: Der preußische Regierungspräsident, S. 131.<br />

132<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 95-116, 137, Zitate S. 99, 101 f., 113 f.; ebd. Best. 441 Nr. 43530, S. 1009-<br />

1011.<br />

133<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 98 f. Claussen hatte trotz der Erhebung von Eintrittsgeld die kostenfreie Überlassung<br />

von Stadt- und Rheinhalle für diverse Wahlveranstaltungen beantragt. <strong>Die</strong> Selbstkosten der Stadt von 238 RM<br />

wurden schließlich auf Vorschlag von Wirtz aus dem Wahletat übernommen. Ebd. Nr. 7216, S. 273.<br />

134<br />

NB, 4.4.1938: Propagandamarsch der Beamtenschaft; NB, 5.4.1938: Und heute die Beamten!; NB, 6.4.1938:<br />

Dreitausend Beamte marschierten geschlossen.


219<br />

Der Kreisfachschaftsleiter des RDB, Plönissen, verfasste <strong>im</strong> April 1938 eine Eingabe an das<br />

Amt für Beamte, die in seinem Spruchkammerverfahren 1950 als „Beweis politischer<br />

Denunziation in übelster Form“ gewertet werden sollte: Der zwangspensionierte<br />

Sparkassendirektor Hütte zeige <strong>im</strong>mer noch die frühere Gesinnung, spende nur wenig be<strong>im</strong><br />

Eintopfsammeln und solle wegen Beitragsrückstands aus der NSV ausgeschlossen werden.<br />

Sein Haus in der Eduard-Müller-Straße sei <strong>im</strong>mer noch ohne Hakenkreuzfahne und anlässlich<br />

der Volksabst<strong>im</strong>mung am 10. April habe er erneut provoziert, indem er es trotz Aufforderung<br />

ungeschmückt gelassen habe. <strong>Die</strong> HJ sei daraufhin mit Fanfaren und Trommeln vor sein Haus<br />

gezogen und habe unter großer Zuschauerbeteiligung ein Plakat „Wir gehören nicht zur<br />

Volksgemeinschaft“ befestigt. Hütte habe die Polizei alarmiert. Doch wer als Beamter sein<br />

Geld vom Dritten Reich beziehe und ständig provoziere, müsse, schloss Plönissen, die Folgen<br />

seiner staatsfeindlichen Einstellung tragen. Hütte verstoße gegen die Satzung des RDB und er<br />

bitte das Gauamt, dessen Ausschluss zu beantragen. 135<br />

Frischling, der alte Günstling Wittgens, wurde am 20. April 1938 mit Wirkung vom 1. April<br />

zum Technischen Stadtamtmann ernannt. Am 5. Mai 1939 rügte Wittgen ihn schriftlich<br />

wegen einer „<strong>Die</strong>nstwidrigkeit“, stellte sich aber gleichzeitig schützend vor ihn, indem er<br />

ausnahmsweise von einer Bestrafung absah. Frischling hatte eigenmächtig zwei<br />

Brunnenfiguren ohne vorherige Genehmigung in Auftrag gegeben. Außerdem hatte es von<br />

unbekannter Stelle <strong>im</strong> März eine Anzeige wegen Unterschlagung und Untreue gegeben. Doch<br />

Frischling hatte Glück, denn das Verfahren fiel <strong>im</strong> September 1939 unter einen Gnadenerlass<br />

des Führers und wurde eingestellt. 136 Trotz seines wesentlich größeren Aufgaben- und<br />

Verantwortungsbereichs hatte dagegen Stadtoberinspektor Wilhelm van Rühden keine<br />

Aussicht auf die von ihm <strong>im</strong> Februar 1939 beantragte Beförderung zum Stadtamtmann. Der<br />

seit 1909 bei der Stadt tätige Beamte leitete die Verwaltung des gesamten Baubereichs. Zwar<br />

befürwortete Klose den Antrag, doch die politische Beurteilung der Kreisleitung fiel negativ<br />

aus. Sie erinnerte an Van Rühdens frühere Tätigkeit als Zentrums-Stadtverordneter und<br />

Mitglied des Kirchenvorstands Ehrenbreitstein: „Er ist heute noch stark kirchlich gebunden<br />

und beteiligt sich an jeder Prozession. (Einfluss der Frau.) Trotz mehrfacher Aufforderung hat<br />

es van Rühden noch nicht für notwendig gefunden, dem Opfer- bezw. dem Patenring<br />

beizutreten.“ 137<br />

135<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Öffentlicher Kläger vom 8.3.1950 (Zitat), Plönissen vom<br />

19.4.1938.<br />

136<br />

StAK 623 Nr. 3869, S. 323 f., 339 f. (Zitat), 349; ebd. Nr. 9858, S. 290.<br />

137<br />

StAK 623 Nr. 3233 (unpaginiert), Kreisleitung vom 28.3.1939. Van Rühden war verantwortlich für die<br />

Verwaltung der Bereiche Bau-, Wohnungs-, Siedlungswesen, Baukostenzuschüsse, Instandsetzungsdarlehen,<br />

Hauszinssteuerhypotheken, Bürgschaftsdarlehen, Hoch- und Tiefbauamt, (Bau-)Personal,<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Straßenabrechnungen und Anliegerbeiträge.


220<br />

1936 deckte das Rechnungsprüfungsamt einen Korruptionsfall aus der We<strong>im</strong>arer Zeit auf, 138<br />

der zu einem Aufsehen erregenden Prozess, dem sogenannten John-Prozess, führte. Seinen<br />

Namen erhielt das Verfahren nach dem Hauptangeklagten, Stadtoberinspektor Friedrich John,<br />

Leiter der Einziehungsstelle und früherer Leiter des Besatzungsamtes. Besondere Brisanz<br />

bekam der Fall dadurch, dass zwei weitere Hauptbeschuldigte ein Jude und ein früherer<br />

Stuhlmeister der <strong>Koblenz</strong>er Fre<strong>im</strong>aurerloge Friedrich zur Vaterlandsliebe waren und damit<br />

gängige Feindbilder bedient werden konnten. Mit Ernst Josef Meyer wurde der jüdische<br />

Inhaber des Hotels Continental am Bahnhofplatz angeklagt. Der ehemalige Stuhlmeister<br />

Adolf Duckwitz, von 1912 bis Juni 1936 Verlagsdirektor und Geschäftsführer der<br />

Krabbenschen Buchdruckerei, 139 hatte am 12. Oktober 1936 in der Untersuchungshaft<br />

Selbstmord begangen, 140 was von nationalsozialistischer Seite ohne Weiteres als<br />

Schuldeingeständnis gewertet wurde. <strong>Die</strong> 231 Seiten umfassende Anklageschrift vom<br />

23. Dezember 1936 klagte insgesamt zwölf Personen der Bestechung bzw. Bestechlichkeit,<br />

des Betrugs, der Aktenunterdrückung und Urkundenfälschung an. John wurde vorgeworfen,<br />

vor allem Meyer und Duckwitz gegen Vorteilsannahme zu völlig überzogenen<br />

Entschädigungen für angebliche Besatzungsschäden verholfen zu haben. Der Staatsanwalt<br />

sprach von einem „Korruptionssystem grössten Stils“, bei dem John ca. 20.000 RM<br />

Bestechungsgelder angenommen habe. Der Prozess vor der Großen Strafkammer des<br />

Landgerichts begann am 15. Dezember 1937 unter dem Vorsitz von Landgerichtsrat Dr.<br />

Gerhard („Gerd“) Lenhardt. Alle drei <strong>Koblenz</strong>er Tageszeitungen berichteten ausführlich über<br />

die 44 Verhandlungstage. Zum Prozessauftakt bekannten sich John und Meyer schuldig. 141<br />

Am 21. Dezember 1937 richtete sich die Aufmerksamkeit jedoch plötzlich auf jemanden, der<br />

gar nicht auf der Anklagebank saß. Der Technische Stadtinspektor Otto Rausch erhob als<br />

Zeuge schwere Vorwürfe gegen den Beigeordneten Wirtz, den damaligen Dezernenten des<br />

Besatzungsamtes. <strong>Die</strong> von ihm, Rausch, als Sachverständiger geschätzten Summen der<br />

Besatzungsschäden seien Wirtz zu niedrig gewesen. Wirtz habe ihm erklärt, dass er diese<br />

Zahlen nicht gebrauchen könne, weil er sich sonst „nicht mehr <strong>im</strong> Casino sehen lassen dürfe.“<br />

John sah seine Chance, Verantwortung von sich abzuwälzen, und bestätigte, dass Wirtz<br />

niedrige Zahlen nicht passten, weil man so die Bürger der Stadt schädige. 142 Auf diese<br />

Aussagen hin verfügte Claussen noch am selben Tag den Parteiausschluss von Wirtz. Am<br />

nächsten Tag bat Wirtz den Oberbürgermeister um seine Beurlaubung und beantragte gegen<br />

138 Bei der Aufdeckung und Klärung des Falls hatte sich das Rechnungsprüfungsamt laut Gemeindeprüfungsamt<br />

der Regierung besondere Verdienste erworben. Längere Zeit waren zwei seiner sechs Beamten nur mit diesem<br />

Fall beschäftigt. LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 697, 739.<br />

139 Kampmann: <strong>Koblenz</strong>er Presse-Chronik, S. 155, 187, 253 f. <strong>Die</strong> Reichskulturkammer hatte Duckwitz als<br />

Verleger schon 1935 die Mitgliedschaft in der Reichspressekammer wegen politischer und moralischer<br />

Unzuverlässigkeit versagt; ebd., S. 187.<br />

140 StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 856/1936; NB, 13.10.1936: Duckwitz beging Selbstmord.<br />

141 StAK 623 Nr. 3802 (Zeitungsausschnittsammlung); ebd. Nr. 3909 (unpaginiert), Zitat S. 14 der Klageschrift.<br />

142 NB 22.12.1937: Schwere Anschuldigungen gegen einen <strong>Koblenz</strong>er Beigeordneten (Zitat); KGA 22.12.1937:<br />

Wie der Jude Meyer sein Hotel sanierte; KVZ 22.12.1937: Wie Conti-Meyer sein Hotel sanierte; StAK 623 Nr.<br />

3802, S. 26 f.


221<br />

sich selbst die Einleitung eines Disziplinarverfahren, gleichzeitig legte er gegen die<br />

Entscheidung des Kreisleiters Beschwerde ein. Wittgen kam dem Urlaubsgesuch nach. 143<br />

Am 30. Dezember 1937 trat Wirtz erstmals als Zeuge <strong>im</strong> Prozess auf. <strong>Die</strong> Beschuldigungen<br />

Johns 144 und Rauschs entkräftete er als Ablenkungs- und Beschönigungsmanöver.<br />

Vernommen wurde an diesem Tag auch der frühere Beamte <strong>im</strong> Besatzungsamt Heinrich<br />

Junior, der gerade seine Zuchthausstrafe wegen Amtsunterschlagung verbüßte. Gegen Wirtz<br />

wurde jedenfalls keine Anklage erhoben. <strong>Die</strong> Urteilsverkündung <strong>im</strong> John-Prozess fand am<br />

13. April 1938 statt. John wurde wegen fortgesetzter passiver Bestechung in Tateinheit mit<br />

Untreue und Betrug zu fünf Jahren Zuchthaus, 500 RM Geldstrafe und fünf Jahren Ehrverlust<br />

verurteilt. <strong>Die</strong> bei seiner Verhaftung beschlagnahmten 17.700 RM verfielen dem Reich. Der<br />

„Jude Meyer“ wurde wegen fortgesetzter aktiver Bestechung und Betrug zu zweieinhalb<br />

Jahren Gefängnis und 1.000 RM Geldstrafe verurteilt. 145<br />

Den von Claussen verfügten Parteiausschluss von Wirtz hob Gauleiter S<strong>im</strong>on am 22. Januar<br />

1938 auf, weil er rechtlich ungültig war. Es hatte sich herausgestellt, dass für den<br />

Parteiausschluss höherer Beamter das Gaugericht und nicht das Kreisgericht zuständig war.<br />

Seit 24. Februar 1938 war Wirtz wieder <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst. Das Disziplinarverfahren gegen Wirtz<br />

wurde zwar <strong>im</strong> März 1939 nochmals aufgenommen, doch es endete <strong>im</strong> Juli 1939 mit seiner<br />

vollständigen Rehabilitierung. Kreisleiter Claussen aber hatte nach Aufhebung des von ihm<br />

verfügten Parteiausschlusses angekündigt, dass er ein Ausschlussverfahren nach § 71 DBG<br />

anstreben wolle. 146 Dazu kam es zwar nicht, aber die Spannungen zwischen Claussen und<br />

Wirtz hielten an und machten sich auch in den Ratsherrensitzungen bemerkbar. 147<br />

Dass der schwerkriegsbeschädigte Sozialdemokrat Otto Braun 148 als Stadtsekretär <strong>im</strong><br />

Wohlfahrtsamt 1933 von den Säuberungen nicht betroffen gewesen war, war Parteidienst-<br />

stellen schon damals ein Dorn <strong>im</strong> Auge gewesen. 149 Braun selbst war sich seit dem<br />

<strong>Die</strong>nstantritts Fuhlrotts bewusst, dass er sich „in einer ständigen Gefahr befand“, wenn es<br />

auch in dienstlichen Dingen nie zu Meinungsverschiedenheiten kam. 150 <strong>Die</strong> Gestapo hatte<br />

Braun bereits <strong>im</strong> Februar 1936 <strong>im</strong> Visier. 151 Eines Tages stellte ihn Fuhlrott zur Rede, der<br />

143<br />

StAK 623 Nr. 2619, S. 125; ebd. Nr. 6026, S. 245. Vgl. ebd. Nr. 7216, S. 246.<br />

144<br />

In der Klageschrift hatte der Staatsanwalt bereits festgestellt, dass Wirtz sich von John habe „breitschlagen<br />

[lassen], alles mit seiner Unterschrift zu decken, obwohl ihm der grösste Teil der gesamten Ausführungen<br />

persönlich vollkommen unbekannt sein musste.“ StAK 623 Nr. 3909 (unpaginiert), S. 143 der Klageschrift.<br />

145<br />

StAK 623 Nr. 3802, S. 26-209.<br />

146<br />

StAK 623 Nr. 2619, S. 105, 126; ebd. Nr. 6027, S. 53.<br />

147<br />

Beispiel: StAK 623 Nr. 7216, S. 299.<br />

148<br />

* 10.12.1893 Blezig (Kreis S<strong>im</strong>mern), + 18.8.1966 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, geschieden. Braun, ursprünglich<br />

Schreiner, hatte <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg die rechte Hand und das rechte Bein verloren. Er war seit 1927 SPD-<br />

Mitglied. StAK 623 Nr. 6623, S. 241; ebd. Nr. 6654, S. 128; ebd. Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr.<br />

1088/1966.<br />

149<br />

StAK 623 Nr. 6588, S. 257 f.<br />

150<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Braun vom 10.3.1948.<br />

151<br />

Eintrag in der Karteikarte vom 4.2.1936: „B. steht in Verdacht, sich <strong>im</strong> marxistischem Sinne zu betätigen“<br />

sowie ein Querverweis auf die Akte von Veit Rummel; LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 10312_0.


222<br />

Angestellte Alfred Wolf habe schwerwiegende Vorwürfe gegen ihn erhoben: Braun habe<br />

erklärt, die Marxisten aller Länder müssten sich vereinigen, um den Faschismus in Spanien zu<br />

vernichten und dem in Europa Einhalt zu gebieten. Das sei kommunistische Propaganda und<br />

ein Verstoß gegen das He<strong>im</strong>tückegesetz, den er der Kreisleitung melden müsse. Wenige Tage<br />

später wurde Braun zur Gestapo vorgeladen und am 23. Oktober 1936 als „Hetzapostel“ 152<br />

verhaftet. Bei der Gerichtsverhandlung am 24. November blieb dank des Geschicks seines<br />

Rechtsanwaltes Johann Christoph Thalwitzer von der Anklage nicht viel übrig, sodass Braun<br />

freigesprochen wurde. Wolf gab als Zeuge unter Eid zu, 153 die Beamten und Angestellten für<br />

Fuhlrott zu bespitzeln. Karl Hinkel trat als Brauns Abteilungsleiter „sehr mutig“ für ihn ein,<br />

wodurch er bei Fuhlrott in Ungnade fiel. Parteiführung, Presse und Gestapo waren über den<br />

Freispruch erbost. Kreisleiter Claussen erklärte Braun, seine Einlieferung ins KZ werde<br />

erwogen. Fuhlrott leitete ein <strong>Die</strong>nststrafverfahren gegen Braun ein, die Untersuchungen führte<br />

Stadtdirektor Trampp 154 . Braun erklärte sich indessen bereit, „freiwillig“ aus dem <strong>Die</strong>nst<br />

auszuscheiden. Zum 1. August 1937 wurde er in den Ruhestand versetzt. Trotz aller<br />

Überwachung konnte er danach Konflikte mit Partei und Gestapo vermeiden. 155<br />

Um das vorbildliche Verhalten der <strong>Stadtverwaltung</strong> zu demonstrieren, schickte Stadtrat<br />

Fuhlrott zur Beseitigung von „Unklarheit“ und zum Vergleich „mit der Fürsorge anderer<br />

Behörden“ <strong>im</strong> März 1938 ein Verzeichnis der bei der Stadt beschäftigten Alten Kämpfer an<br />

die Kreisleitung. Von den 204 Alten Kämpfern (18,4 % von 1.107 Bediensteten inkl.<br />

Lehrpersonal 156 ) waren 26 Beamte (8,5 % von 304), 67 Angestellte (22,7 % von 295) und<br />

111 Arbeiter (21,8 % von 508), wobei die bereits wieder ausgeschiedenen unberücksichtigt<br />

blieben. Am 30. Januar 1933 waren bereits 45 Alte Kämpfer bei der Stadt beschäftigt<br />

gewesen (15 Beamte, 13 Angestellte, 17 Arbeiter). Fuhlrott machte besonders darauf<br />

aufmerksam, dass allein 1937 17 Parteigenossen aus Arbeiterstellen in Beamten- oder<br />

Angestelltenstellen versetzt worden waren. Jeder der 204 Alten Kämpfer war zwischen 1933<br />

152<br />

NB, 28.10.1936: Ein Volksverräter in <strong>Koblenz</strong> gefaßt. Heinz Bastians kommentierte am 11.11.1936 von<br />

Berlin aus die „Sache Braun“ in einem privaten Brief: „Er war ein unverbesserlicher Erz-Sozialist. Leute wie er,<br />

die vom Staat – wenn auch für ihre zerschossenen Knochen – eine hohe Rente beziehen und noch <strong>im</strong><br />

öffentlichen Betrieb angestellt sind und alsdann gegen die heutigen Staatseinrichtungen hetzen, sind kein anderes<br />

Schicksal wert, als das, welches Herrn Braun treffen wird. Sie werden sich wohl noch der Zeiten erinnern, in<br />

denen Herr Braun in dem sozialistischen Revolverblatt ‚Rheinische Warte’ in der übelsten Weise auf uns<br />

sch<strong>im</strong>pfte. Man sieht, dass <strong>im</strong> Laufe der Zeit allen diesen Leuten ihr verdientes Schicksal zuteil wird.“ BArch R<br />

55/24116. <strong>Die</strong> Gestapo vermerkte am 23.10.1936 die Verhaftung Brauns, weil er „während der <strong>Die</strong>nstzeit <strong>im</strong><br />

Stadthaus andern gegenüber staatszersetzende Reden geführt habe“; LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 10312_0 und<br />

Img 10312_1.<br />

153<br />

In seinem Spruchkammerverfahren bezichtigte Fuhlrott Wolf des Meineids; LHAKo Best. 856 Nr. 110736<br />

(unpaginiert), Fuhlrott vom 6.4.1948.<br />

154<br />

Braun sagte zugunsten Trampps in dessen Spruchkammerverfahren aus, er habe sich ihm gegenüber „sehr<br />

anständig benommen“ und in einem Gespräch „offene Anteilnahme an meinem Schicksal“ gezeigt; LHAKo<br />

Best. 856 Nr. 200461 (unpaginiert), Braun vom 26.9.1949.<br />

155<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Zitate Braun vom 10.3.1948; StAK 623 Nr. 6398, S. 211. Otto<br />

Braun ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Straßenwärter, einem Alten Kämpfer, der 1945 entlassen<br />

wurde; StAK 623 Nr. 6235, S. 95.<br />

156<br />

Zum Vergleich: Bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> Köln waren <strong>im</strong> März 1936 ca. 8,0 - 8,5 % der Bediensteten Alte<br />

Kämpfer; Hilpert: <strong>Nationalsozialismus</strong> und Stadt(Verwaltung), S. 263.


223<br />

und 1937 mindestens einmal befördert oder höher gestuft worden, einzelne sogar mehrfach.<br />

Zum 1. April 1937 war vorgesehen, sämtliche 52 Alten Kämpfer mit Parte<strong>im</strong>itgliedschaften<br />

vor dem 14. September 1930 ins Beamtenverhältnis zu überführen. 157<br />

5.1.4 Ausgewählte Ereignisse<br />

Von den zahlreichen Ereignissen der Amtszeit Wittgens sollen einige beispielhaft vorgestellt<br />

werden, die ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen <strong>Stadtverwaltung</strong>, Partei und<br />

Staat werfen.<br />

Für den 22. April 1934 rechnete man anlässlich der Einweihung der zweiten festen<br />

Moselbrücke mit einem Besuch Hitlers. Im September 1933 hatte Christ erfahren, dass die<br />

Stadt Neuwied ihrer <strong>im</strong> Bau befindlichen Rheinbrücke den Namen des Führers 158 geben<br />

wolle. Eilig fühlte Wittgen bei Röhm vor und schickte am 29. September über Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on ein Gesuch an Hitler, dem <strong>Koblenz</strong>er „Meisterstück der Technik“ seinen Namen geben<br />

zu dürfen und mit seiner Gegenwart bei der Einweihung „dem schwergeprüften<br />

Grenzlandvolk die grösste Freude zu bereiten.“ Hitler gab seine Zust<strong>im</strong>mung und noch<br />

Anfang April ging man von seiner Teilnahme aus, doch dann übergab stellvertretend der<br />

Preußische Justizminister Hanns Kerrl die neue „Adolf-Hitler-Brücke“ dem Verkehr. Als<br />

Veranstalter fungierte die „<strong>Stadtverwaltung</strong> mit Unterstützung der Kreisleitung“,<br />

Beigeordneter Klaeber eröffnete deshalb als Kreisleiter die Feierlichkeiten. Wittgen erinnerte<br />

in seiner Festansprache an die provokanten Worte des damaligen Stadtverordneten Christ<br />

be<strong>im</strong> Spatenstich 1932. <strong>Die</strong> Partei, die das jetzt einhellig als technisches Meisterwerk<br />

gefeierte Bauwerk in dieser Ausführung seinerzeit in der Stadtverordnetenversammlung<br />

abgelehnt hatte, 159 war mit Führern und Formationen zahlreich vertreten. 160 In der von der<br />

Stadt herausgegebenen Festschrift wurde Roggs Name verschwiegen. 161 <strong>Die</strong> Bewirtung der<br />

Ehrengäste sprengte den Kostenrahmen derart, dass der sonst so sparsame Wittgen<br />

Regierungspräsident Turner eine Erklärung abgeben musste. Turner gab zwar zu, es hätten<br />

sich ungeladene Gäste eingeschlichen, forderte den Oberbürgermeister aber auf, in Zukunft<br />

157<br />

StAK 623 Nr. 9383, S. 1-3, Zitate S. 1.<br />

158<br />

<strong>Die</strong> Brücke erhielt 1935 den Namen “Hermann-Göring-Brücke”; NB, 2./3.11.1935: <strong>Die</strong> Brücke als<br />

Wirtschafts- und Friedensweg.<br />

159<br />

Vgl. Kapitel 3.5. Auch die Parteipresse erwähnte das ablehnende Votum der NSDAP-Fraktion in ihrem<br />

Rückblick zur Baugeschichte mit keinem Wort; NB, 21./22.4.1935: Vorgeschichte und Finanzierung der Brücke.<br />

160<br />

StAK 623 Nr. 6580, Zitate S. 3 f.; NB, 18.10.1933: Adolf-Hitler-Brücke; NB Nr. 93: 23.4.1934: <strong>Die</strong> Weihe<br />

der Adolf-Hitler-Brücke in <strong>Koblenz</strong>; KVZ Nr. 93: <strong>Die</strong> Brücke in die deutsche Zukunft; KGA, 23.4.1935: <strong>Die</strong><br />

Weihe der Adolf-Hitler-Brücke.<br />

161<br />

<strong>Koblenz</strong>, die Stadt der Rhein- und Moselbrücken. Festschrift herausgegeben von der Stadt <strong>Koblenz</strong> anläßlich<br />

der Fertigstellung der Adolf-Hitler-Brücke und des Umbaues der Pfaffendorfer Brücke 1934. <strong>Koblenz</strong> 1934.<br />

Vgl. Hans Bellinghausen: Aufzeichnungen aus dem Kriegsjahr 1944. Eingeleitet von Helmut Schnatz. In:<br />

Jahrbuch für Geschichte und Kunst des Mittelrheins und seiner Nachbargebiete 22/23 (1970/71), S. 161-184,<br />

hier S. 178.


224<br />

nur einen sehr beschränkten Kreis einzuladen und „wenn überhaupt eine bescheidene<br />

Bewirtung“ anzubieten. 162<br />

Be<strong>im</strong> Tod des Ehrenbürgers Hindenburg am 2. August 1934 einigte sich Binhold mit der<br />

Gauleitung, die Trauerfeierlichkeiten allein der Partei zu überlassen. Am Tag der Beisetzung<br />

wurde dann der nationalsozialistische Totenkult mit allem erdenklichen Aufwand zelebriert<br />

und der allseits verehrte Verstorbene ganz für Propagandazwecke vereinnahmt. <strong>Die</strong> Rolle der<br />

Stadt beschränkte sich auf die unentgeltliche Überlassung der Stadthalle und deren<br />

Ausschmückung. 163<br />

Zur Volksabst<strong>im</strong>mung über die Zusammenlegung der Ämter des Reichspräsidenten und<br />

Reichskanzlers am 19. August 1934 rief Gauamtsleiter Struve die Gemeindeführer auf, eine<br />

hundertprozentige Wahlbeteiligung mit einem hundertprozentigem Ja zu erreichen. Nebenbei<br />

lasse sich auf diese Weise „erkennen, dass der richtige Mann an der Spitze der Gemeinde<br />

steht“. 164 Wittgen informierte am 15. August die Ortsgruppenleitungen, dass 2.000<br />

Wahlbenachrichtigungszettel noch nicht zugestellt werden konnten. Der Gauleiter habe<br />

angeordnet, dass die Blockleiter unverzüglich durch Hausbesuche den Besitz der Zettel<br />

kontrollieren sollten. Wahllisten sollten z. B. um Verstorbene bereinigt werden, damit das<br />

Ergebnis nicht „ungünstig beeinflusst“ werde. 165 Der Preußische Innenminister hatte verfügt,<br />

dass den „Wahlhelfern“ der NSDAP „jede nur mögliche Unterstützung zu gewähren“ sei. 166<br />

Trotz aller Bemühungen endete die Volksabst<strong>im</strong>mung in <strong>Koblenz</strong> genau wie in Trier mit<br />

einem relativ mageren Ergebnis: Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 95 % votierten nur<br />

81,7 % der abgegebenen St<strong>im</strong>men mit Ja (Reich 89,9 %, Trier 82,2 %). 167 Nach Einschätzung<br />

des Amtes für Kommunalpolitik resultierte die Zahl der Nein-St<strong>im</strong>men in erster Linie aus<br />

„dem mehr oder weniger starken Einfluss der kath. Geistlichkeit.“ 168<br />

Auf einen Besuch des Ehrenbürgers Hitler hoffte man in <strong>Koblenz</strong> nun für den 26. August<br />

1934, den Tag der mit gewaltigem propagandistischem und organisatorischem Aufwand<br />

inszenierten Saartreuekundgebung auf der Festung Ehrenbreitstein, bei der das neue<br />

Staatsoberhaupt eine Rede hielt. Wittgen durfte dem Führer eine Sonderanfertigung der<br />

162<br />

StAK 623 Nr. 6093, S. 23.<br />

163<br />

StAK 623 Nr. 6672, S. 231 f.; NB, 8.8.1934: <strong>Koblenz</strong> in Trauer um Hindenburg; KVZ, 8.8.1934: <strong>Koblenz</strong><br />

trauert mit der ganzen Nation.<br />

164<br />

StAK 623 Nr. 6133, S. 392 (Zitat), 554.<br />

165<br />

StAK 623 Nr. 6133, S. 396.<br />

166<br />

StAK 623 Nr. 6133, S. 401. Zu den Einsätzen der NS-Funktionäre als „Wahlhelfer“ bei Wahlen und<br />

Volksabst<strong>im</strong>mungen vgl. Reibel: Das Fundament der Diktatur, S. 286-288.<br />

167<br />

StAK 623 Nr. 6133, S. 418-474, 529; KGA, 20.8.1934: Das Reichsergebnis; ebd.: Das Ergebnis in <strong>Koblenz</strong>;<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 575. Der zwangspensionierte Stadtinspektor Heinz Bastians teilte Wittgen aus<br />

Berlin ganz beflissen mit, er habe dort gewählt. Er wolle nicht in den Verdacht kommen, seine Wahlpflicht<br />

versäumt zu haben. Ein Lehrer der Thielenschule legte Wittgen noch <strong>im</strong> Oktober eine Bescheinigung vor, dass er<br />

und seine Frau in einer anderen Gemeinde zur Wahl gegangen waren. StAK 623 Nr. 6133, S. 528, 538 f.<br />

168<br />

BArch NS 25/240, S. 74.


225<br />

druckfrischen Festschrift „<strong>Koblenz</strong>, die Stadt der Rhein- und Moselbrücken“ überreichen,<br />

wofür Hitler „mit sichtlicher Freude“ und „mehrmaligem Händedruck“ dankte. 169 An der<br />

rechtzeitigen Fertigstellung der Pfaffendorfer Brücke war mit Hochdruck gearbeitet worden,<br />

wozu Gauleiter S<strong>im</strong>on Wittgen schon seit September 1933 gedrängt hatte. 170 Mit dem Ablauf<br />

der Massenveranstaltung waren jedoch viele Einhe<strong>im</strong>ische und Gäste höchst unzufrieden, was<br />

die Presseberichte selbstverständlich verschwiegen. 171 In seinem Entwurf des politischen<br />

Lageberichts für den Monat August 1934 sprach Wittgen die „tiefe Enttäuschung“ der<br />

<strong>Koblenz</strong>er an, deren „inneres Bedürfnis, den Führer zu sehen“, nicht erfüllt worden sei. Es<br />

werde <strong>im</strong>mer noch diskutiert, warum Hitler „<strong>Koblenz</strong>er Boden“ nicht betreten habe. Hier sei<br />

„innenpolitisch etwas gutzumachen“. <strong>Die</strong>se höchst kritischen Töne fehlen in der endgültigen<br />

Fassung völlig – möglicherweise in Absprache mit dem Regierungspräsidenten, der das<br />

Thema in seinem Lagebericht 172 selbst aufgriff. 173 Scharfe Kritik an der Organisation der<br />

Veranstaltung trug auch Oberpräsident von Lüninck in Berlin vor. Seine Behörde sei genau<br />

wie die Regierungspräsidenten in <strong>Koblenz</strong> und Trier „fast völlig ausgeschaltet gewesen“,<br />

ebenso der Gauleiter. <strong>Die</strong>s habe u. a. die falsche Wegführung 174 verursacht, sodass Hitler zu<br />

seiner „sehr begreiflichen ernsten Verst<strong>im</strong>mung […] durch wenig belebte Feldwege gefahren<br />

wurde“, während die Menschenmassen in den geschmückten Straßen von <strong>Koblenz</strong> und<br />

Ehrenbreitstein vergeblich gewartet hätten. 175 Tatsächlich war die Veranstaltung zu einem<br />

Staatsakt der Reichsregierung erklärt worden, dessen Organisation und Durchführung in den<br />

Händen des Reichspropagandaministeriums gelegen hatte. Bei einer Besprechung in der<br />

Gauleitung am 2. Juli, an der u. a. auch Albert Speer teilnahm, war die Stadt durch Wirtz<br />

vertreten gewesen. Sein Part hatte sich auf die Mitteilung beschränkt, dass die Stadt keine<br />

Zuschüsse leisten könne. 176<br />

Wittgen nahm die verpasste Gelegenheit zum Anlass, am 31. August eine handschriftliche<br />

Einladung an Hitler zu richten. Er scheute sich dabei nicht, das teilweise Misslingen der<br />

Veranstaltung und die „unbändige“, aber schließlich enttäuschte Vorfreude der <strong>Koblenz</strong>er auf<br />

169 NB, 29.8.1934 [ohne Titel]. Es handelte sich um eine Sonderanfertigung (Ledereinband, Wappenprägung,<br />

Widmung) von „<strong>Koblenz</strong>, die Stadt der Rhein- und Moselbrücken. Festschrift herausgegeben von der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> anläßlich der Fertigstellung der Adolf-Hitler-Brücke und des Umbaues der Pfaffendorfer Brücke 1934“,<br />

<strong>Koblenz</strong> 1934, gedruckt <strong>im</strong> Verlag des Nationalblatts. <strong>Die</strong> Normalausführung kostete bereits 35 RM, bis März<br />

1935 hatte das Verkehrsamt erst sieben von 50 Exemplaren verkauft; StAK 623 Nr. 6580, S. 256.<br />

170 StAK 623 Nr. 6194, S. 1-8. Der verantwortliche Oberbaurat Max Woltmann musste den Fertigstellungstermin<br />

schriftlich dem Gauleiter, dem Gaupropagandaleiter, dem Oberpräsidenten, dem Polizeipräsidenten sowie<br />

Wittgen bestätigen; ebd. Nr. 3910, S. 178 f.<br />

171 NB, 27.8.1934: Historische Stätte[.] Historische Stunde. Weitere ausführliche Presseberichte in StAK 623 Nr.<br />

5707 und 5708.<br />

172 BArch R 1501/1564, S. 150.<br />

173 StAK 623 Nr. 6098, S. 8-11, Zitate S. 10 f. Es sind nur drei Lageberichte für die Monate Juli, August und<br />

November 1934 überliefert.<br />

174 Hitler kam mit einem Motorboot von Köln und legte in Vallendar an, wo man einigermaßen überrascht war.<br />

175 BArch R 43-I/255, Bl. 149 f. Der Oberpräsident schickte seine „Beobachtung“ über den Preußischen<br />

Ministerpräsidenten an Staatssekretär Hans Heinrich Lammers, den Chef der Reichskanzlei.<br />

176 StAK 623 Nr. 6194. <strong>Die</strong> Sitzung wurde von Regierungsrat Leopold Gutterer vom<br />

Reichspropagandaministerium geleitet.


226<br />

das Kommen des Ehrenbürgers anzusprechen. Wittgen bedauerte die Unkenntnis der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> über den Programmablauf, sonst hätte er ihn, Hitler, bei der Überreichung<br />

der Festschrift gebeten, den „lang gehegten, brennenden Wunsch“ seiner Mitbürger zu<br />

erfüllen. Er lud Hitler zu einem baldigen Besuch ein und schloss: „<strong>Die</strong>ser Tag wird der<br />

schönste sein in der nahezu 2000-jährigen Geschichte unserer Stadt. Heil mein Führer!“<br />

Abschriften von Wittgens Schreiben gingen als weitere „Klage über die nicht ausreichende<br />

Heranziehung der Behörden“ bei der Saarkundgebung an den Reichspropagandaminister und<br />

den Stellvertreter des Führers. Hitler ließ am 6. September antworten, er werde einen Besuch<br />

„gern <strong>im</strong> Auge behalten“. 177 Am 22. Januar 1936 wiederholte Wittgen in Berlin gegenüber<br />

Ministerialrat Dr. Willy Meerwald, dem persönlichen Referenten Hitlers, den Besuchs-<br />

wunsch. Meerwald notierte, der Führer und Reichskanzler wolle <strong>Koblenz</strong> „gelegentlich“<br />

besuchen. 178 Es blieb bei diesen Absichtserklärungen. Hitler, der an Besuchen in<br />

Rathäusern 179 ebenso wie an kommunalpolitischen Fragen mit Ausnahme von Städtebau und<br />

Verkehr kaum interessiert war, 180 berührte die Stadt nur bei zwei Rheinreisen und einer<br />

Zugdurchfahrt, 181 betrat sie aber nach seinen Wahlkampfauftritten von 1930 und 1932 nie<br />

mehr. Trier erlebte Ähnliches mit seinem Ehrenbürger. 182<br />

Der Umbau des Stadions Oberwerth zur „Hermann-Göring-Kampfbahn“ liefert ein Beispiel<br />

für die Verquickung der Interessen von Stadt, Partei und „Volk“. Schon seit 1929 gab es<br />

Pläne zur Erweiterung der 1920 errichteten Sportanlagen, doch noch 1933 hatte sich der<br />

Regierungspräsident mehrfach erfolglos um Zuschüsse aus Berlin bemüht. 1934 konnte<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on die Bewilligung von Mitteln durch die Reichsanstalt für Arbeit und das<br />

preußische Finanzministerium als seinen persönlichen Verhandlungserfolg verbuchen. Turner<br />

wurde ebenso informiert wie Wittgen, der <strong>im</strong> November die erforderlichen Anträge stellte.<br />

<strong>Die</strong> Finanzierung der Notstandsmaßnahme, die ca. 14.000 Tagwerke für durchschnittlich<br />

100 Arbeitslose in sechs Monaten umfasste, sollte durch 42.000 RM Grundförderung durch<br />

die Reichsanstalt, 65.000 RM staatlichen Zuschuss und 33.000 RM städtische Mittel erfolgen.<br />

<strong>Die</strong> Notwendigkeit des Stadionumbaus begründete Wittgen mit den Anforderungen an eine<br />

zeitgemäße Kampfstätte, die nicht nur dem Sport, sondern dem ganzen Volk diene. <strong>Die</strong><br />

Anlage werde nämlich nicht nur für die verschiedenen Sportarten genutzt, sondern auch für<br />

177<br />

BArch R 43-I/255, Bl. 153-155.<br />

178<br />

BArch R 43-II/1131, Bl. 6. Wittgen hatte bereits 1934 seine schriftliche Einladung an Meerwald mit der Bitte<br />

um weitere Veranlassung gesandt, da er „Wert darauf lege, dass der Führer von anliegendem Briefe persönlich<br />

Kenntnis erhält.“ Ebd. R 43-I/255, Bl. 152.<br />

179<br />

Von wenigen Ausnahmen wie z. B. München, Nürnberg, We<strong>im</strong>ar abgesehen; Rebentisch: <strong>Die</strong> politische<br />

Stellung der Oberbürgermeister, S. 150 Anm. 75.<br />

180<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 205.<br />

181<br />

Rheinreise am 11.4.1936; VB 1933-1937, S. 13; StAK FA2 Nr. 1926-1929. Zugdurchfahrt am 31.3.1938;<br />

NB, 1.4.1938: Der Westmarkgau grüßte Adolf Hitler. Rheinreise am 13.10.1938; KGA, 14.10.1938: Der<br />

Führer in Westdeutschland; StAK FA2 1924-1925.<br />

182<br />

Auch in Trier war Hitler nur 1932 anlässlich einer Wahlkampfrede gewesen. Im Mai 1939 streifte er die<br />

Stadt vom Westwall kommend, betrat aber nicht die Innenstadt. Bollmus: Trier und der NS, S. 579; Zuche<br />

(Hg.): StattFührer, S. 21 f., 94.


227<br />

Veranstaltungen und Aufmärsche, „die als eine notwendige und stets wiederkehrende<br />

Einrichtung <strong>im</strong> Rahmen des Programms der N.S.D.A.P. gedacht sind.“ Erwähnt wurden das<br />

Arbeitsprogramm der HJ, das Stadt-Turn- und Sportfest am Tag der Leibesübungen, die SA<br />

und der Arbeitsdienst: „Aus propagandistischen Gründen sind grosse Aufmärsche mit<br />

entsprechendem sportlichem Programm unentbehrlich, wozu aber wiederum eine geeignete<br />

Stätte gehört […].“ Was „hier für die Ertüchtigung unserer deutschen Jugend getan wird, trägt<br />

besonders auch politisch gesehen seine guten Früchte.“ <strong>Die</strong> städtische Pressemitteilung, die<br />

ausschließlich für das Nationalblatt best<strong>im</strong>mt war, hob die Verdienste S<strong>im</strong>ons um die<br />

Finanzierung schon <strong>im</strong> ersten Satz gebührend hervor. 183 Das Richtfest konnte Oberbürger-<br />

meister Wittgen als Bauherr am 27. Mai 1935 feiern. 184 <strong>Die</strong> Einweihung und Eröffnung der<br />

Kampfbahn, die den Namen des Preußischen Ministerpräsidenten Göring erhielt, nahmen am<br />

15. Juni 1935 Wittgen und Claussen gemeinsam vor. Claussen wandte sich in seiner Rede<br />

gegen die frühere „geistige Verbildung“ und erinnerte daran, dass „Kriege nicht mit der<br />

Feder, sondern auf Schlachtfeldern ausgetragen werden“. Das Stadion und der Sport sollten<br />

der Schaffung eines gesunden, wehrfähigen deutschen Volkes dienen. 185<br />

Das Personenstandswesen ist ein klassisches Beispiel für die Erledigung staatlicher<br />

Auftragsangelegenheiten durch die Kommune. Aufgrund der nationalsozialistischen<br />

Rassenideologie wuchsen Bedeutung und Aufgabenstellung des Standesamtes. Allein der<br />

Nachweis der arischen Abstammung („Ariernachweis“), den die Bürger nun bei allen<br />

möglichen Gelegenheiten vorzuweisen hatten, verursachte den drei (1934 vier)<br />

Bediensteten 186 eine enorme Mehrarbeit. 187 Nach Erlass der Nürnberger Gesetze am<br />

15. September 1935 stieg die Arbeitsbelastung der Standesbeamten ebenso wie der<br />

Beratungsbedarf der Bürger nochmals an. Auf Anregung des Hauptstandesbeamten Clemens<br />

Henn wurde am 22. November 1935 eine Beratungsstelle für Familien- und Sippenforschung<br />

eingerichtet, die dem Standesamt angegliedert war. Aufgaben der Beratungsstelle waren die<br />

Belehrung und Beratung der Volksgenossen vor der Eheschließung, die Anlage von<br />

Ahnenpässen, Sippentafeln und Stammlisten, die Anfertigung von Urkunden und die<br />

Ausstellung der Ariernachweise. 188 Im Februar 1936 beantragte die <strong>Stadtverwaltung</strong> be<strong>im</strong><br />

Regierungspräsidenten die Schaffung von fünf zusätzlichen Stellen, weil der Arbeitsanfall<br />

– täglich ca. 150 neue Vorgänge – auch mit Hilfe von Fürsorgeangestellten nicht mehr zu<br />

bewältigen war. Zunächst wurden nur drei neue Stellen genehmigt. Doch Henn beklagte<br />

183<br />

StAK 623 Nr. 8077, Zitate S. 65, 67 f. Regierungspräsident Turner konnte es sich nicht verkneifen, den<br />

Preußischen Finanzminister auf seine eigenen ablehnenden Bescheide der jüngsten Vergangenheit hinzuweisen;<br />

ebd. S. 94-96. Vgl. auch Hanns Klose: Neue Bauten in <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 4 (1939), S.<br />

77-80, hier S. 77 f.<br />

184<br />

NB, 28.5.1935: Fröhliche Richtfeier <strong>im</strong> „Hermann-Göring-Stadion“. Anwesend waren Gauleiter S<strong>im</strong>on und<br />

Kreisleiter Claussen, Wittgen kam in Zivilkleidung.<br />

185<br />

NB, 17.6.1935: Weihestunde <strong>im</strong> „Westmarkstadion Hermann Göring“.<br />

186<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 173 f.; ebd. Nr. 6651, S. 44; ebd. Nr. 9660, S. 5-8.<br />

187<br />

StAK 623 Nr. 9672, S. 255.<br />

188<br />

StAK 623 Nr. 6130, S. 429-433; ebd. Nr. 9662; NB, 26.11.1935: Beratungsstelle für Sippenforschung be<strong>im</strong><br />

Standesamt <strong>Koblenz</strong> eröffnet; VB 1933-1937, S. 32.


228<br />

weiter die Überlastung des Standesamtes mit zeitraubenden „Massenanfragen“, sodass<br />

Wittgen Ende 1936 nochmals be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten vorstellig wurde, der <strong>im</strong> Januar<br />

1937 schließlich der Einstellung zweier Hilfsangestellter zust<strong>im</strong>mte. 189<br />

Bei den zwei für die weitere Stadtentwicklung bedeutsamsten Ereignissen fiel der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> und ihrem Oberhaupt nur die Rolle eines Statisten bzw. eines Erfüllungs-<br />

gehilfen zu. Der nicht nur in seinen praktischen Auswirkungen z. B. auf den Arbeits- und<br />

Wohnungsmarkt, sondern vor allem in seinem psychologischen Effekt wichtigste Einschnitt<br />

der Vorkriegsjahre war am 7. März 1936 die Remilitarisierung des Rheinlandes. 190 Der<br />

Jubel der Bevölkerung be<strong>im</strong> geschickt inszenierten Einmarsch der Truppen 191 und die<br />

Gratulationen, die bei Wittgen u. a. von Russell zur Wiedererlangung des Garnisonstatus<br />

eingingen, 192 belegen die nicht zu unterschätzende Wirkung der völkerrechtswidrigen Aktion<br />

und markieren einen regionalen Höhepunkt der „Zust<strong>im</strong>mungsdiktatur“ 193 . In Trier hatte<br />

Bischof Bornewasser die Wiederherstellung der Garnison ebenfalls sehr begrüßt, die Trierer<br />

waren wie die <strong>Koblenz</strong>er <strong>im</strong> Freudentaumel. 194 Wittgen schickte Hitler eine Dankadresse, 195<br />

während sich der Standortälteste be<strong>im</strong> Oberbürgermeister für die „begeisterte Aufnahme“<br />

seiner Männer bedankte. 196 Göring wurde wenige Tage später bei einer Rheinfahrt stürmisch<br />

gefeiert. Goebbels schrieb anlässlich einer Wahlkundgebung auf dem Oberwerth am 26. März<br />

in sein Tagebuch: „Von Godesberg ab Triumphfahrt. Unbeschreiblich. In Coblenz selbst<br />

majestätischer Einzug. <strong>Die</strong> Stadt prangt in Fahnen.“ 197 Ein Jahr später schenkte die Stadt dem<br />

189<br />

StAK 623 Nr. 9660, S. 17-41, Zitat S. 35.<br />

190<br />

Vgl. Anfragen an die Stadt über Zustand und Belegung von Kasernen; StAK 623 Nr. 6092.<br />

191<br />

NB, 9.3.1936: Das Rheinland endlich frei!; ebd.: <strong>Die</strong> junge Wehrmacht in der alten Garnison; NB, 11.3.1936:<br />

Klingendes Spiel – jubelnde Stadt; ebd.: Freiheit der Westmark, Wacht am Rhein! Zur propagandistischen<br />

Lenkung der Aktion vgl. Helmut-<strong>Die</strong>ter Giro: <strong>Die</strong> Remilitarisierung des Rheinlandes. Hitlers Weg in den Krieg?<br />

(Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 76). Essen<br />

2006, S. 69-75.<br />

192<br />

StAK 623 Nr. 6567, S. 419-439. Russell telegrafierte: „Der wiedergeborenen alten Garnisonstadt am<br />

Deutschen Eck sendet in tiefbewegter stolzer Mitfreude herzlichste Glückwünsche zu neuen Ehren und zu neuer<br />

Blüte. Russell, Ehrenbürger der Stadt <strong>Koblenz</strong>“; ebd. S. 420.<br />

193<br />

Begriff von Aly (Götz Aly: Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen. Frankfurt am Main<br />

2003, S. 76, 246), den Bajohr in seiner Studie zur NS-Zeit in Hamburg aufgriff. Danach „entwickelte sich nach<br />

1933 schrittweise eine Zust<strong>im</strong>mungsdiktatur, die sowohl auf diktatorialen Elementen als auch auf einer<br />

wachsenden gesellschaftlichen Konsensbereitschaft aufbaute. <strong>Die</strong> Unterstützung des NS-Reg<strong>im</strong>es durch die<br />

Bevölkerung erreichte um 1940 einen Höhepunkt“, um dann langsam und ab 1943 rapide abzunehmen. Frank<br />

Bajohr: <strong>Die</strong> Zust<strong>im</strong>mungsdiktatur. Grundzüge nationalsozialistischer Herrschaft in Hamburg. In:<br />

Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (Hg.): Hamburg <strong>im</strong> „Dritten Reich“. Göttingen 2005, S. 69-121,<br />

700-706, Zitat S. 121.<br />

194<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 575; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 89-92.<br />

195<br />

NB, 9.3.1936: Dank und Gruß an den Führer.<br />

196<br />

NB, 18.3.1936: Der Dank der jungen Garnison.<br />

197<br />

NB, 18.3.1936: Triumphfahrt Görings auf dem Rhein; ebd.: Jubelndes <strong>Koblenz</strong> grüßt Hermann Göring; NB,<br />

27.3.1936: 50.000 hören Dr. Goebbels; ebd.: Jubelndes <strong>Koblenz</strong> zum Treueid bereit; Elke Fröhlich (Hg.): Joseph<br />

Goebbels. <strong>Die</strong> Tagebücher. Bd. 2, Teil I. München 1987, S. 592 (Zitat).


229<br />

Musikkorps des Infanterie-Reg<strong>im</strong>ents Nr. 80 zwei Paukenbehänge als Zeichen ihrer<br />

Verbundenheit. 198<br />

Ein hoheitlicher Verwaltungsakt war das zweite einschneidende Ereignis während Wittgens<br />

Amtszeit, nämlich die Eingemeindung der Stadt Ehrenbreitstein, der Gemeinden Metternich,<br />

Pfaffendorf, Horchhe<strong>im</strong>, Neudorf und Niederberg sowie von Teilen von Urbar und Arzhe<strong>im</strong><br />

zum 1. Juli 1937. „Im Einvernehmen mit dem Gauleiter“ hatte Regierungspräsident Turner<br />

Ende März 1935 Wittgen und Landrat Struve mit den Vorbereitungen zur Vergrößerung des<br />

Stadtkreises beauftragt. Dem Geltungsdrang und Prestigedenken S<strong>im</strong>ons widerstrebte es<br />

nämlich auf Dauer, dass die Hauptstadt seines Gaues weniger Einwohner zählte als Trier.<br />

<strong>Die</strong>sem Missstand halfen die Eingemeindungen ab, die für einen Bevölkerungszuwachs von<br />

knapp 18.000 Einwohnern sorgten, sodass <strong>Koblenz</strong> am 1. Juli 1937 85.983 Einwohner zählte<br />

(Trier 1938: 80.329 199 ). Für die Erweiterung insbesondere des rechtsrheinischen Stadtgebietes<br />

sprachen aber auch die besseren Entwicklungsmöglichkeiten, die ein einheitliches Siedlungs-,<br />

Wirtschafts- und Verwaltungsgebiet bot, nicht zuletzt auch <strong>im</strong> Hinblick auf die militärische<br />

Infrastruktur und den Bedarf an Kasernen infolge der Remilitarisierung. 200 <strong>Die</strong> Zahl der<br />

Ratsherren erhöhte sich durch Änderung der Hauptsatzung von 25 auf 30. <strong>Die</strong> Vertreter aus<br />

den neuen Stadtteilen wurden <strong>im</strong> öffentlichen Teil der Ratsherrensitzung vom 23. Juli 1937 in<br />

ihr Amt eingeführt. Wittgen hob dabei die Rolle des Gauleiters als treibende Kraft bei den<br />

Eingemeindungen, die für die <strong>Stadtverwaltung</strong> einen organisatorischen und finanztechnischen<br />

Kraftakt bedeuteten, hervor. Alle 73 Bediensteten (16 Beamte, 40 Angestellte, 17 Arbeiter)<br />

der aufgelösten Gemeindeverwaltungen wurden übernommen, elf (2, 1, 8) von ihnen kamen<br />

zur Energieversorgung Mittelrhein. Damit zählte die <strong>Stadtverwaltung</strong> 426 Beamte,<br />

341 Angestellte und 560 Arbeiter (ohne 76 Forstarbeiter). 201<br />

Ein herausragendes Propagandaereignis nicht nur für <strong>Koblenz</strong>, sondern für den gesamten<br />

„Westmarkgau“ 202 war <strong>im</strong> Juni 1938 der Besuch der Alten Garde, 203 die jedes Jahr eine Fahrt<br />

durch einen anderen Parteigau des Reiches unternahm. Schnell wurde den Aufsichtsbehörden<br />

198 NB, 13./14.3.1937: 2 Paukenbehänge für die Infanteriekapelle; NB, 17.3.1937: Übergabe der Paukenbehänge<br />

ans I.[fanterie] R.[eg<strong>im</strong>ent] 80. <strong>Die</strong> Stadt Trier schenkte den dort stationierten Truppen einen Schellenbaum;<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 92.<br />

199 Kurt Düwell/Franz Irsigler (Hg.): Trier in der Neuzeit. 2000 Jahre Trier. Bd. 3. Trier 1988, S. 616, Tabelle 6.<br />

200 StAK 623 Nr. 7235, Zitat S. 1; ebd. Nr. 6154, S. 6-109; ebd. Nr. 7216, S. 158; LHAKo Best. 441 Nr. 35210;<br />

VB 1937/38, S. 14-22; Hans Josef Schmidt: <strong>Die</strong> Eingemeindung neuer Stadtteile. In: Geschichte der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>, S. 225-252, 577-580, hier S. 247-249, 579; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 100 Anm. 2.<br />

201 StAK 623 Nr. 7216, S. 191 f., 202 f., Rede Wittgens als Anlage 1 nach S. 208; VB 1937/38, S. 19, 27, 29. Im<br />

Rosenmontagszug 1938 nahm ein Motivwagen mit dem Motto „Schnee-Wittgen spricht: Ihr Zwerge klein, nun<br />

müßt ihr brav und folgsam sein!“ das Thema Eingemeindung auf; NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ und<br />

Vereinigte <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsvereine (Hg.): <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> geckige Bilderbooch. <strong>Koblenz</strong> 1938, S. 6.<br />

202 Zu dieser bevorzugten Bezeichnung des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier vgl. <strong>Die</strong>ter Wolfanger: Josef Bürckel und<br />

Gustav S<strong>im</strong>on. Zwei Gauleiter der NSDAP und ihr Streit um die "Westmark". In: Werner Haubrichs (Hg.):<br />

Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag (Veröffentlichungen der<br />

Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 24). Saarbrücken 1995, S. 397-409.<br />

203 Dirk Zorbach: „Führer unser ...“. <strong>Die</strong> nationalsozialistische Propaganda als Ersatzreligion am Beispiel der<br />

Feste und Feiern in <strong>Koblenz</strong>. In: JbwestdtLG 27 (2001), S. 309-372, hier S. 365 f.


230<br />

klar, dass Gauleiter S<strong>im</strong>on möglichst viele Kosten auf die Gemeinden abwälzen wollte. Ende<br />

Januar 1938 erwartete er von Regierungspräsident Mischke dessen Einverständnis, dass die<br />

Partei von den Gemeinden gewisse Ausgaben verlangen könne. Der Regierungspräsident<br />

signalisierte dem Oberpräsidenten zwar seine grundsätzliche Bereitschaft, Aufwendungen für<br />

ohnehin einmal notwendige Anschaffungen zu genehmigen, doch seien für <strong>Koblenz</strong> ein<br />

Feuerwerk und Gesamtausgaben von 50.000 RM vorgesehen. Terboven gab Mischke<br />

zunächst Rückendeckung, indem er die Leistung erheblicher Zuschüsse ablehnte. Bei<br />

Schwierigkeiten solle sich Mischke auf ihn berufen. Aber Gaupropagandaleiter Albert<br />

Urmes 204 beschwichtigte den Regierungspräsidenten, die Reichsleitung sorge für Kost und<br />

Logis, die Gemeinden sollten nur die örtlichen Veranstaltungen übernehmen. Im<br />

Oberpräsidium wurde <strong>im</strong> Februar 1938 vermerkt, auf <strong>Koblenz</strong> kämen größere Kosten zu, weil<br />

die Gauleitung eine „entsprechende Beteiligung der Stadt“ erwarte. Innenminister Frick<br />

erklärte sich in einem Erlass an den Regierungspräsidenten vom 25. März einverstanden, dass<br />

„die von der Fahrt berührten Gemeinden die Kosten eines Empfanges der Alten Garde<br />

einschließlich der Ausschmückung und Überlassung von Sälen <strong>im</strong> Rahmen ihrer finanziellen<br />

Möglichkeiten zur Verfügung stellen.“ Ende März informierte Mischke den Vize-<br />

Oberpräsidenten über die Vorstellungen des Kreisleiters Claussen, der von Wittgen den Kauf<br />

von ca. 600 Fahnen in der Länge von 6 Metern verlangt habe, was allein 50.000 RM koste.<br />

Der Oberpräsident wünschte indessen Anfang April, dass der Erlass Fricks so ausgelegt<br />

werde, dass man hauptsächlich auf die Ausschmückung Wert lege, weitere Ansprüche sollten<br />

mit Hinweis auf die Finanzlage der Gemeinden zurückgewiesen werden. 205<br />

<strong>Die</strong> ausufernden Pläne waren inzwischen bis nach Berlin ins Innenministerium gedrungen.<br />

Ministerialdirektor Dr. Karl-Friedrich Surén, Leiter der Kommunalabteilung und Beamter<br />

alter Schule, der den Parteiaktionismus einzuschränken versuchte, 206 verlangte am 30. März<br />

von Mischke einen „beschleunigten Bericht“, wieso sich die Finanzlage der Stadt <strong>Koblenz</strong> so<br />

schnell und unerwartet gebessert habe, dass u. a. 100.000 RM für Parteiveranstaltungen<br />

vorgesehen seien. 207 Mischke hatte jedoch schon vorher die Änderung der <strong>im</strong> Haushalt 1938<br />

vorgesehenen Position verfügt: <strong>Die</strong> „Zuschüsse zu Veranstaltungen der Partei“ waren auf<br />

10.000 RM reduziert, dafür der Posten „Städtische Veranstaltungen“ von 4.000 RM auf<br />

94.000 RM erhöht worden, 208 also eine rein kosmetische Korrektur, die in der Summe nichts<br />

änderte. Mischke warnte Gauleiter S<strong>im</strong>on Mitte April, dass sich jede freiwillige Leistung der<br />

Gemeinde ungünstig auf zukünftige Zuschussanträge an das Reich auswirken müsse. Er<br />

hege aber nach „eingehender Aussprache“ mit Claussen die Hoffnung, dass sich die<br />

204<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 475 f.<br />

205<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 369-379, Zitate S. 369, 376.<br />

206<br />

Rebentisch: Führerstaat, S. 502. Be<strong>im</strong> Amtsantritt H<strong>im</strong>mlers als Innenminister 1943 wurde Surén in den<br />

Wartestand versetzt.<br />

207<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 91 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

208<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 262.


231<br />

Ausschmückung auch billiger bewerkstelligen lasse. 209 Mitte Mai wandte sich sogar Frick<br />

selbst an Mischke und Terboven und erinnerte an seinen Erlass vom März, wonach die<br />

Finanzkraft der Gemeinde berücksichtigt werden solle. Jetzt höre er unverhältnismäßig hohe<br />

Zahlen. Er sei davon ausgegangen, dass in erster Linie die Bürger ihre Häuser schmücken<br />

würden. Frick beauftragte Mischke, dafür zu sorgen, dass die Aufwendungen angesichts der<br />

Kürze des Aufenthalts der Alten Garde <strong>im</strong> Rahmen blieben, gegebenenfalls solle er die<br />

Parteidienststellen über die finanziellen Leistungsgrenzen der Gemeinden unterrichten.<br />

Opt<strong>im</strong>istisch meinte er: „Ich bin fest überzeugt, daß solche Bemühungen Verständnis<br />

finden.“ 210<br />

Der Appell Fricks zur Drosselung der Ausgaben, den auch Wittgen zur Kenntnis erhielt, fand<br />

wenig Gehör. Von Moselweiß bis zum Schloss entstand z. B. eine sechs Kilometer lange<br />

„Feststraße“ aus Girlanden und Fahnenmasten. Klose stellte <strong>im</strong> August 1938 auf Anforderung<br />

des Regierungspräsidenten die entstandenen Kosten von 45.438 RM zusammen (darunter<br />

allein 10.800 RM für Fahnen, 9.800 RM für große Triumphbögen und Masten mit<br />

Schmuckreifen, 5.400 RM für Girlanden). Als Dauerwert der Anschaffungen wurden<br />

25.500 RM, d. h. ca. 56 % der Kosten, deklariert. Zusätzliche Kosten von 8.800 RM für<br />

Arbeits- und <strong>Die</strong>nstleistungen wurden innerhalb der städtischen Betriebe verrechnet, sodass<br />

sich die Gesamtkosten eigentlich auf 54.238 RM beliefen. 211 Im Oktober 1938 mussten sogar<br />

noch Beträge nachbewilligt werden, sodass sich die Materialkosten schließlich auf<br />

47.110 RM erhöhten. 212 Dass diese <strong>im</strong>mense Summe sehr wahrscheinlich nicht allein auf<br />

Drängen der Partei verausgabt wurde, sondern auch aus dem Wetteifer der Gemeinden<br />

untereinander um die beste Selbstdarstellung resultierte, zeigt der Bericht des Regierungs-<br />

präsidenten von Trier an Frick, wonach die Stadt Trier 50.000 RM ausgegeben hatte. Er<br />

rechtfertigte die hohen Ausgaben mit der politischen Bedeutung des Besuchs für den<br />

Grenzgau und den Fremdenverkehr, der für die Region einen wichtigen Wirtschaftszweig<br />

darstelle. 213<br />

<strong>Die</strong> Fahrt der Alten Garde, die am 21. Juni in Trier begann, glich einem einzigen<br />

Triumphzug. Am 24. Juni traf die umjubelte Kolonne der Autobusse auf dem Clemensplatz<br />

ein, wo Kreisleiter Claussen die Ehrenzeichenträger begrüßte – Oberbürgermeister Wittgen<br />

fand <strong>im</strong> Bericht des Nationalblatts keine Erwähnung. <strong>Die</strong> Neugier und Anteilnahme der<br />

Bevölkerung waren riesig, selbst katholische Priester waren nach einem SD-Bericht „an den<br />

Durchfahrtsstrassen anwesend oder liessen sich am Fenster ihrer Wohnung sehen und<br />

209 LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 89 f.<br />

210 LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 381-383, Zitat S. 383.<br />

211 StAK 623 Nr. 6171, S. 128-141. Zur großartigen Ausschmückung der Stadt vgl. NB, 17.5.1938: Eine sechs<br />

Kilometer lange Feststraße; NB, 11./12.6.1938: Unser Weinschiff – ganz aus Blumen!; NB, 14.6.1938:<br />

Feuerzauber über Strom und Festung; NB, 15.6.1938: Girlanden werden die Alte Garde grüßen; NB,<br />

18./19.6.1938: Hunderte Fahnenmasten sind aufgerichtet.<br />

212 StAK 623 Nr. 7216, S. 304 f.<br />

213 LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 385.


232<br />

erwiesen auch den Deutschen Gruss. […] Das Pallotinerhe<strong>im</strong> [sic] in Ehrenbreitstein war<br />

geschlossen an der Strasse angetreten um die Durchfahrt der Alten Garde mitzuerleben.“ 214<br />

Am Abend fand am Deutschen Eck die abschließende Großkundgebung mit Feuerwerk statt,<br />

bei der Robert Ley, Rudolf Heß und Gauleiter S<strong>im</strong>on sprachen. Prominente Teilnehmer waren<br />

außerdem der italienische Erziehungsminister Guiseppe Bottai, die Reichsminister Bernhard<br />

Rust und Walther Darré sowie Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl. 215<br />

5.1.5 <strong>Die</strong> langsame Verbesserung der städtischen Finanzlage<br />

Zu Beginn der Amtszeit Wittgens verschlechterte sich die Finanzlage der Stadt noch einmal<br />

dramatisch. War man 1932 schon zur Zahlung der Beamten- und Angestelltengehälter in drei<br />

Monatsraten übergegangen, 216 waren es 1933 vier Raten, <strong>im</strong> April war man nicht einmal mehr<br />

in der Lage, diese pünktlich und vollständig auszuzahlen. Schließlich erhielten die Beamten<br />

und Angestellten ihr Geld in Achtelraten. 217 <strong>Die</strong> Finanzsituation blieb bis ins erste Halbjahr<br />

1934 so prekär, dass Gläubiger mehrfach um die Stundung von Zins- und Tilgungsleistungen<br />

gebeten werden mussten bzw. Verzugszinsen fällig wurden, da die Stadt nur verspätet<br />

Zahlung leisten konnte. Noch 1936 reichten die liquiden Mittel zeitweise nicht einmal dazu<br />

aus, den „A-Bedarf“ (Löhne, Gehälter, Wohlfahrtsunterstützungen) vollständig zu decken;<br />

hier war man auf Reichszuschüsse angewiesen. 218 Der Preußische Innenminister erklärte<br />

<strong>Koblenz</strong> am 16. Juli 1934 zur Notstandsgemeinde, was die Streichung freiwilliger Leistungen,<br />

vor allem <strong>im</strong> Fürsorgebereich, zur Folge hatte. 219<br />

In der Tagespresse veröffentlichte Wittgen <strong>im</strong> Juli 1933 einen Aufruf „Zahlt eure Steuern!“,<br />

in dem er zugleich die Wiedereinführung der 1928 eingestellten Praxis der öffentlichen<br />

Mahnung an Stelle der persönlichen Einzelmahnung ankündigte. <strong>Die</strong>s bedeutete, dass<br />

Steuerrückstände – staatliche und kommunale Steuern einschließlich Kirchensteuer wurden in<br />

der Regel bar bei der Stadtkasse beglichen – über öffentlichen Aushang oder die Presse<br />

angemahnt wurden. 220 Rechnungen von Steuerschuldnern beglich die Stadt nur unter Abzug<br />

der Steuerrückstände. 221 Im September knüpfte Wittgen an einen neuerlichen Appell zur<br />

pünktlichen Steuerzahlung die Drohung, gegen Säumige schärfstens vorzugehen und sie als<br />

214<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 388.<br />

215<br />

NB, 25./26.6.1938: Nächtlicher Treueschwur am Deutschen Eck; ebd.: „Von der Ahr zur Mosel“ und „Zum<br />

Deutschen Eck“ [zwei Bild-Sonderseiten]. Es entstand sogar ein Film, der <strong>im</strong> Februar 1939 in <strong>Koblenz</strong><br />

vorgeführt wurde; NB, 3.2.1939: „Westmarkfahrt der Alten Garde“.<br />

216<br />

StAK 623 Nr. 9560, S. 60, 67, 109. <strong>Die</strong> Hilfsangestellten bekamen ihr Gehalt in zwei Monatsraten.<br />

217<br />

StAK 623 Nr. 9561, S. 54; ebd. Nr. 7214, Anlage 1 nach S. 211; ebd. Nr. 6588, S. 394-396.<br />

218<br />

StAK 623 Nr. 5678 (zum A-Bedarf S. 125); ebd. Nr. 5892 (zum A-Bedarf S. 281); ebd. Nr. 5645, S. 257 f.;<br />

ebd. Nr. 6171, S. 71.<br />

219<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 41; ebd. Nr. 6171, S. 37 f., 51; VB 1933-1937, S. 81.<br />

220<br />

NB, 8.7.1933: Zahlt Eure Steuern!; StAK 623 Nr. 7214, Anlage 1 nach S. 211.<br />

221<br />

Der Wirt Martin Micus der „Burg Hohenzollern“ stellte <strong>im</strong> August 1933 die Lieferung von Mittagessen für<br />

die an der städtischen Erholungsfürsorge teilnehmenden Kinder wegen des „rücksichtslosen Steuerabzuges“ bei<br />

seinen Rechnungen ein; StAK 623 Nr. 6115, S. 171.


233<br />

Volksschädlinge zu brandmarken. 222 Zu gewissen Rücksichten war Wittgen aber bereit. Im<br />

Juni 1937 bat er die Politischen Leiter unter den Ratsherren, Einfluss auf „einige höhere<br />

Persönlichkeiten“ zu nehmen, die mit Steuern und sonstigen Abgaben <strong>im</strong> Rückstand seien,<br />

„um der Stadtkasse unangenehme Zwangsmaßnahmen zu ersparen.“ 223 Dass die<br />

Würdenträger der Partei nicht unbedingt die beste Zahlungsmoral besaßen, war auch<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on bewusst. Er hatte seine Kreisleiter schon Anfang 1936 beauftragt zu prüfen,<br />

ob alle Hoheitsträger ihre Steuern pünktlich bezahlten. Zu den Säumigen gehörten <strong>im</strong><br />

Landkreis <strong>Koblenz</strong> die beiden Ortsgruppenleiter und späteren Ratsherren Ludwig Stähler und<br />

Fritz Horn. 224<br />

<strong>Die</strong> Konsolidierung der Gemeindefinanzen 225 setzte nur langsam ein, wobei Wittgen <strong>im</strong>mer<br />

wieder die eiserne Ausgabendisziplin seiner Verwaltung betonte. <strong>Die</strong> Einnahmenseite<br />

verbesserte sich durch fiskalische Reformen sowie die allgemeine wirtschaftliche Belebung<br />

infolge der Aufrüstungspolitik, die aufgrund der fehlenden Industrie in <strong>Koblenz</strong> allerdings<br />

weniger zu Buche schlug als andernorts. <strong>Die</strong> Remilitarisierung 1936 belebte zwar langsam die<br />

Wirtschaft, verschärfte aber auf der anderen Seite die herrschende Wohnungsnot. <strong>Die</strong><br />

Eingemeindungen von 1937 brachten hohe Erschließungskosten für Straßen, Kanäle,<br />

Versorgungsleitungen usw. mit sich. Hauptproblem bei der Sanierung der städtischen<br />

Finanzen blieben aber die hohen Fürsorgelasten, die sich <strong>im</strong> Laufe der Jahre nur zögernd<br />

verminderten. So machte z. B. noch <strong>im</strong> Rechnungsjahr 1935 der Wohlfahrtsetat mit über<br />

drei Millionen RM mehr als Hälfte, nämlich 52 % des Zuschussbedarfs des Gesamthaushalts<br />

aus. 226 Während Trier seit 1937 Haushaltsüberschüsse verzeichnete, 227 konnte in <strong>Koblenz</strong> erst<br />

1938 ein zumindest formal ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden und 1939 galten die<br />

städtischen Finanzen aufgrund der nationalsozialistischen Aufbauarbeit offiziell sogar als<br />

„gesund“. 228 <strong>Die</strong> Realität sah etwas anders aus. <strong>Die</strong> rheinischen Kämmerer kritisierten <strong>im</strong> Mai<br />

1938 bei einer Tagung des DGT die „stets bekämpften, geradezu wollüstigen Artikel der<br />

Gemeindeverwaltungen über ihre Gesundung“ intern aufs Schärfste, da sie finanzielle<br />

Begehrlichkeiten des Reiches weckten. 229 Ihren schon gegen Ende der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

weitgehend verlorenen finanziellen Handlungsspielraum gewannen die Kommunen nämlich<br />

222 NB, 20.9.1933: Aufforderung zur pünktlichen Steuerzahlung.<br />

223 StAK 623 Nr. 7216, S. 183.<br />

224 StAK 655,10 Nr. 847, S. 19 f.<br />

225 Zur Finanzlage der Gemeinden und Finanzpolitik des Reiches vgl. Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 350-368; Rolf Caesar/Karl-Heinrich Hansmeyer: Haushalts- und Finanzwesen. In: Jeserich<br />

u. a. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, S. 832-872, hier S. 838-840, 866 f.<br />

226 VB 1933-1937, S. 110-118, 122-130, Tabellen 1-7 nach S. 130; StAK 623 Nr. 2619, S. 128 f.; LHAKo Best.<br />

441 Nr. 43657, S. 143-151.<br />

227 Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 305.<br />

228 NB, 22.3.1938: Nach 13 Jahren wieder ohne Fehlbetrag; NB, 23.3.1939: Wieder gesunde Finanzen in<br />

<strong>Koblenz</strong>.<br />

229 BArch (ehem. BDC), OPG, Wirtz, Herbert, 11.8.1888: Aktenvermerk vom 2.5.1938. Für Wirsching stellt sich<br />

die Frage der „Ambivalenz zwischen vordergründiger Sanierung [der kommunalen Finanzen] einerseits und<br />

faktischem Vermögensverlust andererseits.“ Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung, S. 436-439, Zitat<br />

S. 439.


234<br />

nicht zurück: Sie standen in der Finanz- und Steuerpolitik „unter dem Diktat der Reichs-<br />

interessen“ 230 und „bildeten nur noch [das] Objekt staatlicher Maßnahmen“ 231 .<br />

5.1.6 Personelle, finanzielle und sonstige Unterstützung der Partei<br />

Wittgen legte besonderen Wert auf die Förderung des nationalsozialistischen Arbeitsdienstes.<br />

1932 hatte es nur einige kleinere Projekte des Freiwilligen Arbeitsdienstes gegeben. Im<br />

Februar 1933 waren neue in Planung, 232 sodass Gemeindeoberförster Franz Volkmer dem<br />

neuen Oberbürgermeister schon einen Tag nach seinem Amtsantritt zwei Projekte für<br />

Arbeiten <strong>im</strong> Stadtwald vorlegen konnte, die der von Wittgen mitbegründete „Verein zur<br />

Umschulung freiwilliger Arbeitskräfte“ ausführen sollte. Mitte Mai wurde die Maßnahme<br />

genehmigt. Einen Vertragsentwurf des NS-Arbeitsdienstes lehnte Wittgen Ende November<br />

aber entschieden ab, weil er der Stadt sämtliche Betriebskosten des Karthäuser Lagers<br />

„Gneisenau“ einschließlich Lebensmittel, Wasser, Strom etc. aufbürden sollte. Auch die<br />

Zahlung einer aufgrund von Rohrbrüchen hohen Wassergeldrechnung für das Lager sowie für<br />

das an der Bubenhe<strong>im</strong>er Flesche arbeitende Lager „Horst Wessel“ verweigerte Wittgen.<br />

Dagegen musste die Stadt die Fahrtkosten der Arbeitsdienstfreiwilligen übernehmen, die sich<br />

als unerwartet hoch herausstellten, weil viele weite Anfahrtswege hatten. Trotzdem wünschte<br />

Wittgen <strong>im</strong> Dezember 1933, „das Lager unter allen Umständen“ beizubehalten. Als der<br />

Arbeitsdienst Anfang 1934 die Bewilligung neuer Tagewerke beantragte, da die genehmigten<br />

46.000 aufgebraucht seien, widersprach Volkmer: Noch nicht einmal die Hälfte sei erreicht,<br />

auch seien nicht wie angegeben 100 Beschäftigte pro Tag anwesend gewesen. Im Februar<br />

einigte man sich schließlich auf eine Zahlung von 7.000 RM zu Lasten des Forstetats. Wittgen<br />

unterstützte den Arbeitsdienst auch in den nächsten Jahren. Im März 1935 schloss er mit<br />

Gauarbeitsführer Etterich einen Vertrag für weitere drei Jahre ab, der u. a. ein zinsloses<br />

Darlehen der Stadt zur Einrichtung eines Reichsarbeitsdienstlagers in Waldesch<br />

beinhaltete. 233<br />

Zwar hatten sich Vertreter des NS-Arbeitsdienstes <strong>im</strong> August 1933 überzeugt, dass die<br />

Untersuchung und Unterbringung von Geschlechtskranken <strong>im</strong> Bürgerhospital aus<br />

Platzgründen nicht möglich waren, doch auf Wunsch Kreglingers 234 stellte Wittgen <strong>im</strong><br />

September dann doch Räumlichkeiten zur Verfügung. Der dort nebenberuflich tätige<br />

230<br />

Katrin Holly: Gestaltungsspielräume kommunaler Steuerpolitik 1930-1945 in Augsburg und Memmingen. In:<br />

Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 243-273, hier S. 272.<br />

231<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 368.<br />

232<br />

StAK 623 Nr. 6132, S. 365.<br />

233<br />

StAK 623 Nr. 6132, S. 216-520; ebd. Nr. 6284, S. 1-261; ebd. Nr. 8079, Zitat S. 210. <strong>Die</strong> Firma Orenstein<br />

und Koppel bestätigte am 25.6.1936 die Rückgabe von geliehenem Arbeitsgerät in „nicht gebrauchsfähigem<br />

Zustande“, man wolle die nötigen Reparaturen aber auf eigene Rechnung übernehmen; ebd. Nr. 6284, S. 248.<br />

234<br />

Im Januar 1936 wurde Kreglinger von Hitler zum Oberarbeitsarzt <strong>im</strong> RAD ernannt; NB, 13.1.1936: Abb. mit<br />

Bildunterschrift.


235<br />

Stationsarzt Dr. Karl Fetter 235 musste widerstrebend zwei Krankenz<strong>im</strong>mer an den<br />

Arbeitsdienst abgeben und sein Behandlungsz<strong>im</strong>mer mit dessen Arzt, dem NSDAP-<br />

Ortsgruppenleiter Dr. Wilhelm Gottwald, <strong>im</strong> Wechsel benutzen. Auf Gottwalds Wunsch<br />

wurden sogar z. T. die Eisengitter 236 von den Fenstern entfernt. 237<br />

Als be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt <strong>im</strong> September 1933 Unregelmäßigkeiten bei der Ausgabe von<br />

Fettkarten festgestellt wurden, ging Amtsleiter Schmitz bei der Entschuldigung für die<br />

fehlenden Kontrollen couragiert in die Offensive: Es gebe einen nie da gewesenen<br />

Personalmangel, dessen Ursache „Zwangsbeurlaubungen, Kommandierungen“ seien. 238 <strong>Die</strong>s<br />

war nicht nur eine Schutzbehauptung, tatsächlich war sein Amt mehrfach betroffen. Anna<br />

Loenartz und Maria Finkler waren zwangsbeurlaubt, Karl Hinkel und Erich Legner waren mit<br />

dem Disziplinarverfahren Hütte beschäftigt, Stadtsekretär Rudolf Bode zum neuen Stadtamt<br />

für Leibesübungen versetzt, Stadtsekretär Wilhelm Fink war von 1933 bis 1945 für seine<br />

Tätigkeit bei der NSV beurlaubt 239 und Stadtsekretär Emil Weber wurde 1933 für den Einkauf<br />

des WHW an die NSV abgestellt. Als die NSV <strong>im</strong> Oktober 1934 wieder die Freistellung<br />

Webers vom <strong>Die</strong>nst beantragte, lehnte dies Beigeordneter Klaeber Gauamtsleiter Christian<br />

Ackermann gegenüber ab. Im November unternahm Ackermann einen neuen Versuch, über<br />

Weber wenigstens nachmittags verfügen zu können, und erlaubte sich den Hinweis, dass der<br />

(ehrenamtliche) Beigeordnete Dahm während der <strong>Die</strong>nstzeit für das DRK arbeite. Sowohl<br />

Dahm als auch Schmitz blieben bei der Ablehnung, da die <strong>Stadtverwaltung</strong> schon jetzt<br />

erhebliche Leistungen erbringe, doch Wittgen genehmigte <strong>im</strong> Dezember die Abstellung<br />

Webers in den Nachmittagsstunden unter der Bedingung, dass er vormittags nicht in<br />

Anspruch genommen werde. 240<br />

1933 – genau genommen die ca. neun Monate nach der lokalen Machtergreifung – wurden<br />

Arbeiter und Fürsorgeangestellte unter Fortzahlung ihrer Bezüge von insgesamt 2.315,90 RM<br />

vor allem für SA-Sportlehrgänge und den Musikzug der SA-Standarte 28 beurlaubt. Bei den<br />

Angestellten und Beamten ergab sich für die teils mehrmonatigen Freistellungen eine<br />

Gehaltssumme von 3.106 RM. 241 Nach einer Aufstellung vom Dezember 1934 hatte die<br />

Bereitstellung von Hilfskräften für das WHW bei einem zugrunde gelegten Stundenlohn von<br />

235<br />

Praxis Kaiser-Wilhelm-Ring 46. Fetter leitete von 1919 bis zum 30.6.1940 die Haut- und<br />

Geschlechtskrankenstation und war als beratender Arzt bzw. Vertrauensarzt für die städtische<br />

Gesundheitsbehörde tätig. 1939 wurde aus unbekannten Gründen seine Ablösung betrieben, sein Nachfolger<br />

wurde Dr. med. Franz Betz. StAK 623 Nr. 7572, S. 231 f., 247-252; ebd. Nr. 7731, S. 2-63, 76-83; ebd. Nr.<br />

7533, S. 464 f.<br />

236<br />

Wiederholt flüchteten Patienten, oder sie machten in Anstaltskleidung einen Ausflug in die Stadt, um ein Bier<br />

zu trinken und zu tanzen! StAK 623 Nr. 7533, S. 449 f., 462 f.<br />

237<br />

StAK 623 Nr. 7533, S. 339-441.<br />

238<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 441-457, Zitat S. 450.<br />

239<br />

Zu Fink und seiner NSV-Tätigkeit vgl. Kapitel 6.1.2.<br />

240<br />

StAK 623 Nr. 6643, S. 2, 31-37.<br />

241<br />

StAK 623 Nr. 6171, S. 4 f.


236<br />

0,70 RM einen Gegenwert von 9.756,20 RM. 242 Bei der Bereitstellung des Personals waren<br />

Absprachen und Formalien für die Partei zweitrangig. <strong>Die</strong> drei Kräfte, die von der<br />

Gaupropagandaleitung <strong>im</strong> Rahmen der Saarfeierwochen für zehn Nachmittage ab 17. August<br />

1934 angefordert wurden, kehrten erst am 6. September zu ihren <strong>Die</strong>nststellen zurück. 243 SS-<br />

Männer fehlten mehrfach bis zu zwei Wochen, wobei nicht <strong>im</strong>mer ein vorheriger Antrag auf<br />

<strong>Die</strong>nstbefreiung oder ein Urlaubsgesuch eingereicht wurde, sondern erst <strong>im</strong> Nachhinein durch<br />

die SS-Standarte um Lohnfortzahlung gebeten wurde. Wittgen stellte zwar fest, Partei-<br />

dienststellen könnten keine Anordnungen über Personal treffen und unentschuldigtes Fehlen<br />

widerspreche der betrieblichen Ordnung, gab aber jedes Mal nach und gewährte den Lohn. 244<br />

Ein Urlaubsgesuch der NSV-Ortsgruppe Mosel vom Oktober 1936 für sechs Beschäftigte, die<br />

als Helfer bei Sammlungen eingesetzt werden sollten, lehnte Abteilung I aus dienstlichen<br />

Gründen ab, ohne das „segensreiche Wirken der NSV“ zu verkennen. 245 <strong>Die</strong>nstbefreiungen<br />

für die Teilnahme an Schulungen, Tagungen oder Reichsparteitagen waren üblich,<br />

insbesondere für die Politischen Leiter unter den Gefolgschaftsmitgliedern. 246 Frischling<br />

begründete 1938 die Notwendigkeit der Einstellung weiterer Arbeitskräfte u. a. mit dem<br />

Ausfall von Personal durch Parte<strong>im</strong>aßnahmen. 247<br />

An die SA flossen allein in den ersten acht Monaten des Jahres 1934 an einmaligen<br />

Leistungen 7.046,70 RM sowie monatlich 312 RM. 248 NS-Kulturgemeinde und KdF erhielten<br />

zwar keine Barzuschüsse, aber stark verbilligte Karten für geschlossene Theatervorstellungen.<br />

<strong>Die</strong> Einnahmeausfälle betrugen dafür z. B. <strong>im</strong> Betriebsjahr 1934/35 geschätzte 5.000 RM,<br />

außerdem erhielten die beiden Organisationen 10 % des Umsatzes für den Vertrieb von<br />

Karten. 249 Auch mit Sachspenden griff die <strong>Stadtverwaltung</strong> der Partei unter die Arme. Auf die<br />

Anfrage eines SA-Sturms nach einem Tisch für das Wilhelm-Wilhelmi-Haus 250 vom Oktober<br />

1933 hieß es, „alle entbehrlichen Gegenstände“ seien bereits abgegeben. Darunter befanden<br />

sich Tische, Stühle und Öfen für die NSV, die SA-Standarte 28 und die HJ, die besonders<br />

großzügig bedacht worden war. Als das Fürsorgeamt <strong>im</strong> September 1933 die Alte Burg<br />

242 StAK 623 Nr. 6643, S. 25 f.<br />

243 StAK 623 Nr. 6194, S. 20 f.<br />

244 StAK 623 Nr. 3873, S. 236-241; ebd. Nr. 6194, S. 64 f., 74-78. Vgl. ebd. Nr. 6569, S. 66-68.<br />

245 StAK 623 Nr. 6643, S. 302-304, Zitat S. 303.<br />

246 StAK 623 Nr. 6130, S. 271. Beispiele: Ludwig Dolle, Lehrgang Gauführerschule 1934; ebd. Nr. 3222, MF<br />

Nr. 8. Stadtsekretär Willi Krieger, DAF-Lehrgang 1937; ebd. Nr. 6569, S. 466 f. Bühnenarbeiter Peter Schreiner,<br />

Reichsparteitag 1938; ebd. Nr. 8567, S. 11 f. Alle Politischen Leiter zur Parade am 20.4.1938; ebd. Nr. 6027, S.<br />

103.<br />

247 StAK 623 Nr. 7968, S. 291 f.<br />

248 StAK 623 Nr. 6171, S. 23-29, 32 f. Der größte Einzelposten von 5.000 RM war für Pontons,<br />

Brückenbaumaterial und Handwerkszeug ausgegeben worden. Der Regierungspräsident hatte die Zahlen<br />

offensichtlich in Zusammenhang mit dem sog. Röhm-Putsch erheben lassen.<br />

249 StAK 623 Nr. 6171, S. 41-48.<br />

250 Hindenburgstraße 24; NB, 6.11.1933: Achtung, SA-Anwärter!


237<br />

verließ, konnte die HJ-Gebietsführung, die die Räume <strong>im</strong> Oktober bezog, 251 allein 12 Tische,<br />

11 Stühle, 10 Tischaufsätze und 29 Öfen übernehmen. 252<br />

Der Partei und ihren Gliederungen wurden ab 1933 bzw. 1934 mindestens zehn städtische<br />

Liegenschaften zu stark vergünstigten Konditionen überlassen. Dabei lagen die Mieten<br />

entweder erheblich unter der ortsüblichen Miete oder die Nutzung erfolgte sogar mietfrei.<br />

Offenbar um den Einnahmeausfall für die Stadt nicht zu hoch erscheinen zu lassen, wurde in<br />

einer Aufstellung die ortsübliche Miete mehrfach nach unten korrigiert. 253 Insgesamt<br />

summierten sich 1933 die städtischen Leistungen (Barzuschüsse, Überlassung von Räumen,<br />

kostenlose oder verbilligte Materiallieferungen, Löhne und Gehälter usw.) auf 13.189,55 RM,<br />

für 1934 wurde ein Soll von 20.504,90 RM geschätzt. 254 Mit diesen finanziellen Leistungen<br />

an die Partei stand <strong>Koblenz</strong> unter den Städten und Gemeinden keineswegs allein. Erst Mitte<br />

1934 regelten ministerielle Erlasse die Praxis der kommunalen Zuwendungen an die NSDAP<br />

und ihre Organisationen. Sie sollten sich auf die Fälle beschränken, in denen die Gemeinden<br />

von Aufgaben entlastet wurden. 255<br />

Ein alter Streitpunkt aus der We<strong>im</strong>arer Zeit, nämlich die Vermietung der städtischen Säle an<br />

die Partei, blieb – wenn auch unter gänzlich veränderten Vorzeichen – ein Dauerthema<br />

zwischen Stadt und Partei. Stand damals die grundsätzliche Frage der Überlassung der Säle<br />

zur Debatte, ging es jetzt um die Frage der Konditionen. Bei Großveranstaltungen erhielt die<br />

Partei in der Regel günstige Sonderkonditionen eingeräumt. 256 Nachdem die NSV vom<br />

Verkehrsamt sogar die kostenlose Nutzung der Säle mit dem Argument verlangte, die<br />

Veranstaltungen kämen den vom Wohlfahrtsamt betreuten Personen zugute, entschied<br />

Abteilung I, dies käme einem Zuschuss gleich. <strong>Die</strong> Sache kam vor den Verkehrsausschuss,<br />

der die Miete für die NSV um 30 % senkte, was der Finanz- und Beschlussausschuss <strong>im</strong><br />

November 1933 genehmigte. Der Mietausfall ging zu Lasten des Verkehrsamtes. 257 Für<br />

besondere Veranstaltungen wurde die Miete in Einzelfällen sogar ganz erlassen. 258<br />

251 NB, 30.10.1933: <strong>Die</strong> Alte Burg. Neues He<strong>im</strong> der Gebietsführung der HJ.<br />

252 StAK 623 Nr. 6556, S. 246-248, Zitat S. 248. Zum Umzug des Wohlfahrtsamtes bzw. Fürsorgeamtes vgl.<br />

Kapitel 6.1.1.<br />

253 StAK 623 Nr. 6171, S. 6 f. Mieter waren die NSV, die NSDAP-Ortsgruppen Mosel, Roon, Süd und<br />

Schenkendorf, die SA-Schule, die NSKK und die HJ. In der Liste noch nicht aufgeführt ist das städtische<br />

Gebäude Von-Kuhl-Straße 1, für das die NSV 1935 lediglich eine Anerkennungsgebühr von vierteljährlich<br />

16,55 RM zahlte; StAK 623 Nr. 6643, S. 184-186.<br />

254 StAK 623 Nr. 6171, S. 8-10.<br />

255 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 372-379; Heinz: NSDAP und Verwaltung in der Pfalz,<br />

S. 495-499.<br />

256 Beispiele: Mietnachlässe 1936 für die Kreisleitung und den Gauparteitag; StAK 623 Nr. 7111, S. 130.<br />

Sonderkonditionen gab es auch für die „Braune Woche“ vom 27.10. bis 5.11.1933, bei der die NS-Hago<br />

Mitveranstalterin war. Anschließend kam es zu langwierigen Streitereien über Schäden in den Sälen in Höhe von<br />

rund 2.000 RM. Im März 1934 zahlte die NS-Hago schließlich eine Vergleichssumme von 1.000 RM. StAK 623<br />

Nr. 5658.<br />

257 StAK 623 Nr. 6556, S. 136-139.<br />

258 Beispiele: StAK 623 Nr. 6271, S. 610-617; ebd. Nr. 6651, S. 95.


238<br />

Ähnlich günstige Vorzugskonditionen genoss die HJ, deren möglichst großzügige Förderung<br />

durch Ministerialerlasse vorgeschrieben war. 259 Nach einer Entschließung Wittgens vom<br />

März 1935 war der HJ die Nutzung von Schulräumen und Turnhallen gegen eine monatliche<br />

Pauschale von 60 RM gestattet. Der Betrag wurde aber nicht von der HJ selbst, sondern aus<br />

Jugendetatmitteln des Wohlfahrtsamtes gezahlt. Anfang 1937 konnte Binhold namens der<br />

Schulverwaltung eine Erhöhung auf 100 RM wegen gestiegener Inanspruchnahme<br />

durchsetzen, gegen die Fuhlrott als Wohlfahrtsdezernent zunächst protestiert hatte. Im<br />

Übrigen lief die Nutzung durch die HJ nicht reibungslos ab. Ende 1936 gab es Beschwerden,<br />

das Benehmen der HJ in der Schenkendorfschule sei „zuchtlos und ungehörig“, und 1935<br />

wurden wie bereits <strong>im</strong> Vorjahr am Turnhallenboden der Thielenschule Schäden durch<br />

Exerzieren festgestellt. 260<br />

Für die Nutzung der Stadt- oder Rheinhalle bestand 1936 die Vereinbarung, dass sie der HJ<br />

einmal <strong>im</strong> Monat zum niedrigsten Mietsatz (56 bzw. 42 RM) für Appelle oder Zusammen-<br />

künfte zur Verfügung gestellt wurde, und zwar zu Lasten des Wohlfahrtsetats. Für weitere<br />

Veranstaltungen hatte die HJ entweder selbst aufzukommen oder be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt vorher<br />

einen Antrag auf Erstattung zu stellen. Aber auch hier wurden Ausnahmen gemacht. Als der<br />

BDM für seine ausverkaufte Eröffnungsveranstaltung „Glaube und Schönheit“ <strong>im</strong> November<br />

1938 um Ermäßigung bzw. Übernahme der Miete bat, klärte Wirtz Fuhlrott darüber auf, dass<br />

der BDM 300 RM Eintrittsgelder eingenommen und die Miete vorher anerkannt hatte. Der<br />

Stadtkämmerer beklagte die ständigen Mietausfälle 261 und hohen Unterhaltungskosten, die es<br />

unmöglich machten, für die dringend notwendige Renovierung der Stadthalle Rücklagen zu<br />

bilden. Das Verkehrsamt könne und dürfe daher keine Mietermäßigungen gewähren, die, wie<br />

in diesem Fall, unberechtigt seien. Fuhlrott st<strong>im</strong>mte Wirtz zwar grundsätzlich zu, zahlen<br />

musste trotzdem nicht der BDM, sondern auf Fuhlrotts Anweisung das Wohlfahrtsamt. In den<br />

Folgejahren kam es noch öfter zu Disputen zwischen Verkehrsamt und Wohlfahrtsamt über<br />

die Höhe der von der HJ bzw. aus Jugendetatmitteln zu übernehmenden Mieten. Ab 1. April<br />

1942 zahlte die HJ mit Einverständnis von Bannführer Pitt Schneider eine Monatspauschale<br />

von 100 RM für die Hallennutzung, sonstige Leistungen wurden zum Mindestsatz berechnet.<br />

Nachdem die Liegenschaftsverwaltung die HJ vergeblich gemahnt hatte, genehmigte Fuhlrott<br />

1939 und 1940 zudem in zwei Fällen die Zahlung rückständiger Mieten für stadteigene<br />

Gruppenräume. 262<br />

259<br />

StAK 623 Nr. 6171, S. 11, 14 f., 18.<br />

260<br />

StAK 623 Nr. 6412, S. 2-8, 11, 50, Zitat S. 4. Vgl. Aufstellungen von Nutzungen der Turnhallen und<br />

Schulsäle durch die HJ 1938; ebd., S. 20-24.<br />

261<br />

Zum Rückgang der Mieteinnahmen vgl. VB 1933-1937, S. 108.<br />

262<br />

StAK 623 Nr. 6412. Es handelte sich um Räume in der Rheinanschlusskaserne und in einer Wohnbaracke auf<br />

dem Hof der Thielenschule.


239<br />

<strong>Die</strong> Kreisleitung, die finanziell vom Gau abhängig war und nicht über eigene Einnahme-<br />

quellen verfügte, 263 versuchte ebenfalls, an städtische Gelder zu kommen. Claussen bat<br />

Wittgen <strong>im</strong> Mai 1937 um einen Zuschuss von 1.000 RM für den Kreisparteitag und gab sich<br />

bescheiden: „Ich habe meine Ansprüche in Anbetracht der Notlage der Stadt auf ein<br />

Mindestmass herabgedrückt. Für eine Zusage wäre ich Ihnen herzlich dankbar.“ <strong>Die</strong> Mittel<br />

flossen <strong>im</strong> Juli, wobei Wittgen den Kreisleiter darauf hinwies, dass der Grünschmuck und die<br />

Ausstattung von Straßen sowie Gebäuden fast ausschließlich auf Kosten der Stadt erfolgten.<br />

<strong>Die</strong> alljährliche Presserundfahrt der Kreisleitung wurde zumindest von 1935 bis 1937 mit<br />

100 bzw. 250 RM bezuschusst. 264 Für Gau- und Kreisparteitage, Mai- und Erntedankfeiern<br />

lieferte die Forstverwaltung regelmäßig Fichten, Tannengrün, Maien etc. <strong>im</strong> Wert von bis zu<br />

mehreren 100 RM. 265 Im Frühjahr 1938 bezahlte die Stadt nach anfänglichem Sträuben<br />

200 RM für vier Christbaumbeleuchtungen, die die Kreisleitung <strong>im</strong> Dezember 1937 für<br />

Weihnachtsbäume in der Innenstadt bestellt hatte. Im Januar hatte sie die Stadt um<br />

Begleichung der Rechnung gebeten, weil der Straßenschmuck doch „mehr oder weniger eine<br />

Angelegenheit der <strong>Stadtverwaltung</strong>“ sei. Da es sich um eine freiwillige Leistung handelte,<br />

musste Wittgen sogar erst eine Genehmigung der Regierung einholen. 266 Für die Volks-<br />

abst<strong>im</strong>mung über den Anschluss Österreichs ans Reich am 10. April 1938 wollte S<strong>im</strong>on alle<br />

Register der Propaganda ziehen. <strong>Die</strong> Kreispropagandaleitung setzte dabei wie selbst-<br />

verständlich auf die Unterstützung der Stadt: „Sie wollen bitte Anweisung geben, dass die<br />

Fahnenmaste einen neuen Anstrich erhalten.“ Außerdem würde Tannengrün für Girlanden<br />

gebraucht, an öffentlichen Gebäuden müssten Texte in Holzlettern angebracht und in den<br />

Straßen Pylone aufgestellt werden. Einzelheiten werde man, das Einverständnis Wittgens<br />

voraussetzend, direkt mit Stadtbaurat Mohaupt und Stadtoberinspektor Knoblauch<br />

besprechen. 267<br />

Wie Wittgen <strong>im</strong> Laufe der Zeit gegenüber unangemessenen finanziellen Wünschen der Partei<br />

resignierte, soll an drei Beispielen gezeigt werden. Als die SA <strong>im</strong> September 1933 eine<br />

Rechnung für Öl über 4,50 RM und Benzin über 26,95 RM für eine Autofahrt des<br />

Stadtverordneten Christian Hofmann zur Teilnahme an einer Wilhelmi-Feier in Singhofen<br />

ausstellte, empörte sich Wittgen als Techniker über die Höhe der Beträge und ließ den<br />

tatsächlichen Verbrauch aufwändig recherchieren und nachberechnen. Es kam zu längeren<br />

Schriftwechseln, er thematisierte den Fall sogar be<strong>im</strong> SA-Chef, Polizeipräsident Wetter,<br />

bevor die Stadt <strong>im</strong> Januar 1934 den zuviel gezahlten Betrag von 21,50 RM zurückforderte. 268<br />

Im Oktober 1935 stellte der Gauschatzmeister 35 RM für die Bereitstellung einer fahrbaren<br />

263 Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 43-54, 493 f.<br />

264 StAK 623 Nr. 6171, S. 84-86, Zitat S. 84; ebd. Nr. 6553, S. 37 f.<br />

265 StAK 623 Nr. 6553, S. 2-8, 31-33, 54-58, 81 f.<br />

266 StAK 623 Nr. 6553, S. 173-184, Zitat S. 177. <strong>Die</strong> Stadt zahlte auch die Stromrechnung.<br />

267 StAK 623 Nr. 6171, S. 118-120, Zitat S. 119. Für das von Gaupropagandaleiter Urmes gewünschte „Ja“<br />

sowie ein Hakenkreuz als Leuchtreklame an der Festung Ehrenbreitstein musste Wittgen an die Regierung<br />

verweisen. Zur Installation sei aber wie bisher die Straßenbahngesellschaft bereit. Ebd., S. 116 f.<br />

268 StAK 623 Nr. 6556, S. 381-394.


240<br />

Lautsprecheranlage in Rechnung. Obwohl Wittgen antwortete, die Anlage sei nicht bestellt<br />

gewesen, wurde der Betrag noch zwe<strong>im</strong>al angemahnt, wobei es zuletzt hieß, es habe eine<br />

Vereinbarung zwischen Oberbürgermeister und Gaupropagandaleiter gegeben. Nach der<br />

dritten Mahnung <strong>im</strong> März 1935 wurde die Rechnung von Abteilung I angewiesen, um<br />

„weiteren Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen“. Gleichzeitig stellte man klar, dass<br />

es keine Kostenübernahme ohne ausdrückliche Zust<strong>im</strong>mung mehr geben werde. 269 Für eine<br />

Annonce <strong>im</strong> Adressenwerk der NSDAP-<strong>Die</strong>nststellen warb <strong>im</strong> Januar 1937 ein Vertreter der<br />

Reichsleitung des Münchener Hauptorganisationsamtes bei Wittgen. <strong>Die</strong> Schaltung einer<br />

Werbeseite der Stadt, gegenüber einem Gauleiterporträt, sollte 600 RM kosten. Der<br />

Oberbürgermeister erklärte, aufgrund der angespannten Finanzlage höchstens gemeinsam mit<br />

der Stadt Trier eine Seite buchen zu wollen. Als Trier nicht reagierte, verzichtete <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong><br />

Februar auf die Anzeige. Daraufhin erschien der Anzeigenwerber nochmals persönlich bei<br />

Wirtz und erklärte dreist, man hätte ihm bereits eine halbe Seite zugesagt, was Wirtz bestritt.<br />

Wittgen aber knickte ein und schaltete eine halbe Seite wie angeblich Neuwied und Mayen<br />

auch. Wirtz gegenüber erklärte er, man „müsse sich eben in diesen Sachen loskaufen.“ Wirtz<br />

reagierte mit Entrüstung. Er informierte Fuhlrott, der den Vorfall bei der zuständigen<br />

Gaustelle zur Spreche bringen wollte, weil dort <strong>im</strong>mer wieder behauptet werde, „‚<strong>Koblenz</strong><br />

verhielt sich ablehnend und Trier bewillige alles’“. 270 Als der Gauschatzmeister <strong>im</strong> Juni 1937<br />

aber eine Rechnung des Hotels Rittersturz über 159,79 RM für den Besuch italienischer<br />

Journalisten schickte, folgte Wittgen Wirtz’ Vorschlag, die Rechnung zurückzuschicken und<br />

dem Rittersturz mitzuteilen, dass die Gauleitung sie begleichen werde. Für den Besuch des<br />

italienischen Luftfahrt- und Propagandaministers Dino Alfieri hatte der Finanzbeirat nämlich<br />

eine Kostenbeteiligung von 500 RM bewilligt, die weitere Ansprüche gegen die Stadt<br />

ausschloss. 271<br />

5.1.7 Das Tauziehen um die Ablösung Wittgens<br />

Schon seit Mitte 1936 war die Ablösung von Oberbürgermeister Wittgen Gegenstand von<br />

Beratungen zwischen Gauleiter, Regierungspräsident, Oberpräsident und Innen-<br />

ministerium. 272 Dabei lässt sich kein konkreter Anlass als Auslöser für diese Bestrebungen<br />

ausmachen. Drei Zeugnisse aus der Nachkriegszeit sprechen von Konflikten Wittgens mit<br />

dem Gau- bzw. Kreisleiter. Beigeordneter Wirtz schrieb 1959, nachdem Claussen „erkannte,<br />

daß er mir weder <strong>im</strong> Strafverfahren [John] noch <strong>im</strong> Disziplinarverfahren etwas anhaben<br />

konnte, richtete er nunmehr seine Angriffe gegen Herrn Oberbürgermeister Wittgen, der als<br />

früherer Regierungs- und Gewerberat auf Grund seiner objektiven Einstellung mit meiner<br />

Entlassung nicht einverstanden war. <strong>Die</strong>s führte aber dazu, daß Herr Wittgen selbst <strong>im</strong> Juli<br />

269 StAK 623 Nr. 6239, S. 34-37, 39-41, Zitat S. 41.<br />

270 StAK 623 Nr. 7111, S. 173-181, Zitate S. 173, 180.<br />

271 StAK 623 Nr. 6171, S. 64-70.<br />

272 Vgl. auch Stephanie Zibell: Oberbürgermeister Theodor Habicht – Werdegang eines Nationalsozialisten. In:<br />

<strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur NF 9/10, <strong>Koblenz</strong> 1999/2000, S. 72-100, hier S. 89-92.


241<br />

1939 entlassen wurde.“ 273 Der Säuberungsspruch <strong>im</strong> Spruchkammerverfahren von Wittgens<br />

Witwe Constanze deutete 1951 Differenzen zwischen Wittgen und S<strong>im</strong>on an, wenn es heißt,<br />

es sei unerheblich, ob Wittgen „auch späterhin rückhaltlos den Direktiven des Gauleiters<br />

gefolgt ist oder sich zu diesem in Gegensatz gesetzt hat.“ 274 <strong>Die</strong> Stadtgeschichte „2000 Jahre<br />

<strong>Koblenz</strong>“, deren Konzept und Material auf Stadtarchivar Dr. Hans Bellinghausen zurückgeht,<br />

behauptet sogar: „Auf sein [S<strong>im</strong>ons] Betreiben wurde auch Oberbürgermeister Wittgen 1939<br />

gezwungen, sein Amt niederzulegen, weil dieser <strong>im</strong>mer wieder versucht hatte, die Bürger<br />

einigermaßen vor den Willkürmaßnahmen der Partei zu schützen.“ 275 Während der Stürmer-<br />

Affäre war jedenfalls schon offenkundig geworden, dass Wittgen ein echter Rückhalt<br />

innerhalb der NSDAP fehlte und er nur mangels personeller Alternativen gehalten wurde. Er<br />

gehörte weder dem engeren Zirkel um den Gauleiter an („Gauclique“ 276 ) noch übte er<br />

irgendein wichtiges Parteiamt aus, das ihm ein gewisses Gewicht oder gar eine Hausmacht<br />

verschafft hätte. Doch durch seinen zähen Widerstand und eine beharrliche Hinhaltetaktik<br />

schaffte es Wittgen, sich noch drei Jahre lang <strong>im</strong> Amt zu halten.<br />

Das erste schriftliche Zeugnis über die vorgesehene Absetzung Wittgens datiert vom<br />

17. Juni 1936. Oberpräsident Terboven hatte mit Gauleiter S<strong>im</strong>on „besprochen, dass<br />

Oberbürgermeister Wittgen […] abberufen werden soll.“ In den folgenden Monaten wurden<br />

zunächst Landrat Struve 277 und der Trierer Regierungsdirektor Müntzel als Nachfolger<br />

gehandelt. Im November kam erstmals der frühere Landesinspekteur der NSDAP in<br />

Österreich, Theodor („Theo“) Habicht 278 (Abb. 18), ins Gespräch, die Schlüsselfigur des<br />

gescheiterten Juliputsches 1934, bei dem der österreichische Bundeskanzler Engelbert<br />

Dollfuß ermordet worden war. Dem alten Kampfgenossen aus Wiesbaden war aber schon der<br />

Oberbürgermeisterposten in Wittenberg angeboten worden. Für Wittgen war ein ehrenhafter<br />

Abgang vorgesehen, er hatte sich also keine konkreten, groben „Verfehlungen“ zu schulden<br />

kommen lassen. Terboven wollte sich bemühen, ihn <strong>im</strong> Reichswirtschafts- oder Reichs-<br />

arbeitsministerium unterzubringen. Einig waren sich Oberpräsident und Gauleiter, dass der<br />

273 StAK 623 Nr. 2619, S. 126.<br />

274 StAK 623 Nr. 2615, S. 64.<br />

275 Bellinghausen: 2000 Jahre <strong>Koblenz</strong>, S. 318.<br />

276 Peter Hüttenberger: <strong>Die</strong> Gauleiter, S. 56-60. Düwell hat auf deren Bedeutung besonders hingewiesen; Kurt<br />

Düwell: Gauleiter und Kreisleiter als regionale Gewalten des NS-Staates. In: Möller/Wirsching/Ziegler (Hg.):<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> in der Region, S. 161-174, hier S. 171-173. Kritisch dagegen Armin Nolzen: <strong>Die</strong> Gaue als<br />

Verwaltungseinheiten der NSDAP. In: John u. a. (Hg.): <strong>Die</strong> NS-Gaue, S. 199-217, hier S. 214 f.<br />

277 Zu Struve meinten S<strong>im</strong>on und Terboven übereinst<strong>im</strong>mend, er stelle „zwar eine Verbesserung“ dar, sei „aber<br />

keine Ideallösung“; LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 7.<br />

278 * 4.4.1898 Wiesbaden, + 31.1.1944 bei Newel oder Ssebakono an der Ostfront gefallen, evangelisch,<br />

verheiratet. Zibell: Oberbürgermeister Theodor Habicht; Kurt Bauer: Hitler und der Juliputsch 1934 in<br />

Österreich. In: VfZ 59 (2011), S. 193-227; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 492; Lilla: Statisten in Uniform, S. 203 f.; Ronny Kabus: Juden der Lutherstadt<br />

Wittenberg <strong>im</strong> III. Reich. Katalog zur Ausstellung für die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-<br />

Anhalt und das Luther-Zentrum e.V. in Lutherstadt Wittenberg <strong>im</strong> Jahr 2003 nach einer Exposition in der<br />

Lutherhalle Wittenberg von 1988, Wittenberg 2003, S. 95, 102 f.


242<br />

Besetzungsfrage <strong>im</strong> Hinblick auf die angestrebten Eingemeindungen besondere Bedeutung<br />

zukomme. 279<br />

Im März 1937 erklärte Terboven, die Frage des Oberbürgermeisters werde <strong>im</strong>mer dringender,<br />

denn schon bald nach seinem Amtsantritt habe er erkannt, dass „Wittgen den Ansprüchen<br />

nicht genüge.“ <strong>Die</strong> Remilitarisierung eröffne die Möglichkeit, <strong>Koblenz</strong> zu einer „vernünftigen<br />

Mittelrheinstadt zu entwickeln.“ Oberregierungsrat Dr. Otto Kämmerer erhielt den Auftrag,<br />

sich bei einer allgemein angeordneten Revision besonders der Stadt <strong>Koblenz</strong> anzunehmen 280 .<br />

<strong>Die</strong> Sache sei ins Stocken geraten, zumal Wittgen wohl Wind bekommen habe. S<strong>im</strong>on schloss<br />

sich Terboven an, „da es Oberbürgermeister Wittgen an Initiative und Entschlusskraft fehle.<br />

Bei der Haltung des Oberbürgermeisters Wittgen vor der Machtübernahme und seinem<br />

menschlich charakterlich feinen Wesen 281 müsse er aber ein entsprechendes Amt bekommen,<br />

in dem er sich auch gehaltlich nicht wesentlich verschlechtere.“ S<strong>im</strong>on meinte, dass Wittgen<br />

dann auch „von der Richtigkeit dieser Massnahme überzeugt werden könnte“. Nachdem<br />

Habicht sein Amt Anfang 1937 in Wittenberg angetreten hatte, hielt man jetzt den<br />

Düsseldorfer Beigeordneten Horst Ebel für den richtigen Mann. Im Juni 1937 legte Terboven<br />

dem Innenministerium dar, <strong>Koblenz</strong> erwarte „eine völlig neue Entwicklungsepoche mit<br />

grossen und wichtigen Aufgaben“. Er und S<strong>im</strong>on st<strong>im</strong>mten überein, dass der derzeitige<br />

Oberbürgermeister „diesen Aufgaben in keiner Weise gewachsen ist. Es ist deshalb seine<br />

Abberufung ein dringendes Erfordernis. Da sich Pg. Witgen [sic] ausser einer allgemein<br />

unterdurchschnittlichen Leistung auf keinem Gebiet das geringste [sic] hat zu schulden<br />

kommen lassen, kann diese Abberufung nur in Form einer Neuverwendung erfolgen […]“.<br />

Als Nachfolger war jetzt doch wieder Habicht vorgesehen, als Ersatz für Wittenberg schlug<br />

Terboven den Andernacher Bürgermeister Alois Spaniol 282 vor. 283<br />

Wittgens Unterbringung <strong>im</strong> Reichsarbeitsministerium drohte an der Gehaltshöhe zu scheitern,<br />

parteiseitig wurden deshalb andere Oberbürgermeisterposten gesucht. S<strong>im</strong>on bat Wittgen in<br />

einer Unterredung, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Wittgen erklärte sich lediglich bereit,<br />

einen möglichen Wechsel nach Berlin mit einem Staatssekretär des Arbeitsministeriums zu<br />

besprechen. Das Gespräch zwischen S<strong>im</strong>on und Wittgen fand wahrscheinlich <strong>im</strong> Februar<br />

1938 statt, denn am 23. März beschwerte sich der Gauleiter bei Wittgen, er habe erfahren,<br />

dass er den Gesprächstermin mit dem Staatssekretär am 8. März nicht wahrgenommen habe,<br />

279 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 1-9, Zitat S. 3. Zibell schreibt, Wittgen sei Terboven und S<strong>im</strong>on schon „seit<br />

Februar 1935 ein Dorn <strong>im</strong> Auge“ gewesen. Dafür ließen sich keine Belege finden. Zibell: Oberbürgermeister<br />

Theodor Habicht, S. 90.<br />

280 Schon <strong>im</strong> Juli 1936 hatte sich Terboven von der Regierung die Personalakte Wittgens, dessen beiden letzten<br />

Finanzberichte sowie die Prüfungsberichte des Gemeindeprüfungsamtes für 1933 und 1934 vorlegen lassen. Im<br />

September schickte er alle Unterlagen kommentarlos zurück. LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 23-25.<br />

281 Privat verstand sich Wittgen gut mit S<strong>im</strong>on. Während seiner Krankheit nach seiner Pensionierung besuchte<br />

S<strong>im</strong>on ihn und brachte ihm einen großen Blumenstrauß mit. Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom<br />

28.2.2009.<br />

282 Lilla: Der Preußische Staatsrat, S. 239.<br />

283 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 11-25, Zitate S. 17, 23.


243<br />

angeblich um erneut ihn, S<strong>im</strong>on, zu kontaktieren. S<strong>im</strong>on informierte Regierungspräsident<br />

Mischke, der daraufhin erklärte, er wolle Wittgen nun eine Frist setzen. Ein Oberbürger-<br />

meisterkandidat Boenner 284 wurde von S<strong>im</strong>on Ende März „brüsk abgelehnt“, als er hörte, dass<br />

dieser aus dem Gau Essen – dem Gau Terbovens – käme. Stattdessen hielt S<strong>im</strong>on an seinem<br />

Wunschkandidaten Habicht fest. 285 Wittgen zeigte indessen wenig Bereitschaft, seinen Platz<br />

schnell und freiwillig zu räumen. Anlässlich des Gedenkens an seinen verstorbenen<br />

Amtskollegen Christ, den er in der Ratsherrensitzung vom 22. März 1938 mit „herzl. Worten“<br />

würdigte, erinnerte er daran, dass dieser Rosendahl in einer Kundgebung aufgefordert habe,<br />

seinen Platz für einen Mann zu räumen, der zuerst an das deutsche Volk und zuletzt an sich<br />

denke. <strong>Die</strong>se Forderung habe sich am 16. März 1933 erfüllt, erklärte er selbstbewusst und<br />

fügte hinzu: „An diesem Tage bin ich in mein Amt eingeführt worden.“ 286 Zwar machte<br />

Wittgen diese Äußerung nur in gehe<strong>im</strong>er Sitzung, doch er durfte sicher sein, dass seine<br />

Zuhörer sich als Multiplikatoren und Zuträger betätigen würden. Nicht nur dieses Beispiel<br />

zeigt, dass Wittgen – wie auch später Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer – die Ratsherren-<br />

versammlung als Forum für seine Selbstdarstellung einzusetzen verstand. 287 <strong>Die</strong>se Funktion,<br />

der die häufige Einschätzung des nationalsozialistischen Gemeinderats als bloßes<br />

Akklamationsgremium 288 nicht gerecht wird, wurde aber offenbar nicht überall erkannt und<br />

genutzt, denn in Trier wurden ab 1942 keine Ratsherrenversammlungen mehr einberufen. 289<br />

Einen Höhepunkt erreichte Wittgens öffentliche Zurücksetzung bei einem Kurzbesuch von<br />

Reichsinnenminister Frick am 1. April 1938, der abends in der Stadthalle als Wahlredner der<br />

NSDAP auftrat. Ursprünglich hatte das Berliner Protokoll nach einem kurzen Besuch in<br />

S<strong>im</strong>ons Privatwohnung einen Empfang durch Wittgen <strong>im</strong> Rathaus vorgesehen. Dort sollte<br />

sich Frick <strong>im</strong> Beisein der Beigeordneten ins Goldene Buch der Stadt eintragen, danach waren<br />

Tee und Imbiss <strong>im</strong> Rheinhotel zusammen mit hochrangigen Behörden- und Parteivertretern<br />

geplant. Zwei Tage vorher rief S<strong>im</strong>on aber be<strong>im</strong> Adjutanten Fricks an und machte gegen den<br />

Besuch be<strong>im</strong> Oberbürgermeister „stärkste Bedenken“ geltend, die er mit dem Parteiausschluss<br />

von Wittgens Frau und den laufenden Bemühungen um seine Ablösung begründete: „Wittgen<br />

sei völlig ungeeignet, und der Gauleiter sei der Ansicht, dass durch einen offiziellen Besuch<br />

von Herrn Minister <strong>im</strong> Rathaus ein verkehrter Eindruck über die Wertschätzung Wittgen’s<br />

seitens der leitenden Stellen hervorgerufen würde.“ Stattdessen solle Frick den Imbiss in<br />

S<strong>im</strong>ons Wohnung veranstalten. Frick fällte ein salomonisches Urteil und sagte sowohl den<br />

Rathausempfang als auch den Imbiss bei S<strong>im</strong>on ab. Er besuchte S<strong>im</strong>on nach seinem<br />

Eintreffen kurz, be<strong>im</strong> anschließenden Tee <strong>im</strong> Rheinhotel war auch Wittgen anwesend. 290<br />

284 Wahrscheinlich Egon Bönner; Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 248-251.<br />

285 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 27-49, Zitat S. 47.<br />

286 StAK 623 Nr. 7216, S. 258 f.<br />

287 Vgl. Tabelle 25 <strong>im</strong> Anhang.<br />

288 Beispiel: Heinz: NSDAP und Verwaltung in der Pfalz, S. 413.<br />

289 Zenz: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung, S. 130.<br />

290 BArch R 1501/5215, S. 170-214, Zitat S. 193; NB, 2./3.4.1938: Blut ist stärker als alle Paragraphen!


244<br />

Noch am Vormittag des Frick-Besuchs hatte Wittgen einen Anruf der Gauleitung erhalten.<br />

Josef Neumann 291 , Stellvertretender Gauleiter z. V., teilte ihm zu der seit Ende der 1920er<br />

Jahre für das Industriegebiet Rauental geplanten Holzverzuckerungsanlage mit, dass S<strong>im</strong>on<br />

hartnäckig auf der Verlegung der kaufmännischen Leitung nach <strong>Koblenz</strong> bestehe. <strong>Die</strong><br />

Thüringer Gasgesellschaft hatte unter Beteiligung des Reiches und der Stadt eine<br />

Betreibergesellschaft gegründet, deren Sitz aus praktischen Erwägungen in Köln angesiedelt<br />

wurde. S<strong>im</strong>on hatte sich schon <strong>im</strong> März 1938 heftig darüber beschwert und sich bei<br />

Generaldirektor Hermann Einsmann 292 von der Energieversorgung Mittelrhein erkundigt,<br />

„welcher unfähige Mensch“ sich mit dem Kölner Firmensitz einverstanden erklärt habe. Wirtz<br />

erkannte richtig, dass es für Gauleiter und Stadt um eine Prestigefrage ging. Wittgen wollte<br />

das Zusammentreffen am Nachmittag dazu nutzen, die Angelegenheit mit dem aufgebrachten<br />

S<strong>im</strong>on zu besprechen. S<strong>im</strong>on konnte sich durchsetzen, ein entsprechendes Schreiben der<br />

Thüringer Gasgesellschaft war bereits auf dem Postweg und noch <strong>im</strong> April 1938 wurde die<br />

Verlegung des handelsrechtlichen Sitzes nach <strong>Koblenz</strong> notariell beurkundet. 293<br />

Bei Wittgens Bemühungen, sein Image und das seiner Verwaltung in der Öffentlichkeit zu<br />

verbessern, erwies sich das Parteiorgan Nationalblatt als schlechter Partner. 294 Während es<br />

zunächst noch Artikelserien 295 und Sonderseiten 296 über die <strong>Stadtverwaltung</strong> herausgebracht<br />

hatte, wurden die Informationen über die Aktivitäten <strong>im</strong> Rathaus <strong>im</strong> Laufe der Jahre <strong>im</strong>mer<br />

spärlicher. In Berichten über offizielle Anlässe wurden zwar die anwesenden Parteivertreter<br />

stets erwähnt, doch Wittgen als Oberbürgermeister trat selbst dann <strong>im</strong>mer mehr in den<br />

Hintergrund, wenn er in seiner Funktion als „Hausherr“ auftrat. Anlässlich der Verleihung des<br />

Ehrenbürgerrechts an Hierl 1935 veröffentlichte das Nationalblatt kein einziges Foto, auf dem<br />

auch Wittgen zu sehen war. 297 Be<strong>im</strong> Besuch von Ministerpräsident Göring am 17. März 1936<br />

wurde Wittgen, der den Gast als Stadtoberhaupt be<strong>im</strong> Anlegen seines Schiffes begrüßte, vom<br />

Nationalblatt mit keinem Wort erwähnt, während der General-Anzeiger ihn zwe<strong>im</strong>al<br />

291 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 361 f.; Lilla: <strong>Die</strong> stellvertretenden Gauleiter, S. 87-89.<br />

292 StAK 623 Nr. 3241; NB, 21.6.1944: <strong>Die</strong>nstjubiläum.<br />

293 StAK 623 Nr. 9732, S. 1-3, 5 f., Zitat S. 1; ebd. Nr. 9793, S. 221-226. Zur Holzverzuckerungsanlage vgl. ebd.<br />

Nr. 10064; NB, 29.3.1938: Zucker – aus Abfallholz und Sägemehl. <strong>Die</strong> Anlage war ein Lieblingsprojekt von<br />

Einsmann, der maßgeblich an der Entwicklung der Produktionsmethode beteiligt gewesen war. Sie wurde nie<br />

gebaut, da sie sich an anderen Standorten als unrentabel erwies und das Wirtschaftsministerium Neubauten<br />

vorerst ausschloss. Auf Vorschlag S<strong>im</strong>mers st<strong>im</strong>mte S<strong>im</strong>on 1941 der Liquidierung der Gesellschaft zu. StAK<br />

623 Nr. 9793.<br />

294 Auch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong> hatte kaum Erfolg mit ihren Versuchen zur Imagepflege via<br />

Parteipresse; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 104.<br />

295 NB, 8.8.1933: Oberbürgermeister Wittgen: Unsere Gemeindeverwaltung; NB, 16.8.1933: Rundgang durch<br />

das Rathaus. Der Verwaltungskörper der Stadt <strong>Koblenz</strong>; NB, 23.8.1933: Ein Museum wird neu gestaltet; NB,<br />

25.8.1933: Das neue Gartenbauamt; NB, 28.8.1933: Dort wo die Toten ruh’n … [Friedhofsamt]; NB, 6.9.1933:<br />

Unser städtisches Verkehrsamt. Damit endete die Serie.<br />

296 NB, 7./8.4.1934, und NB, 10.4.1934: Ein Jahr nationalsozialistischer Kommunalverwaltung in <strong>Koblenz</strong>; NB,<br />

Silvester 1935/Neujahr 1936: <strong>Die</strong> schaffende Stadt gibt Rechenschaft; NB, 4.3.1937: <strong>Koblenz</strong> legt seinen<br />

Haushaltsplan vor.<br />

297 NB, 18.10.1935: <strong>Die</strong> Westmark ehrt den Reichsarbeitsführer.


245<br />

nannte. 298 Zum Jahreswechsel 1936/1937 brachte das Nationalblatt einen Bericht über eine<br />

„Plauderstunde mit dem Stadtoberhaupt“. 299 Kurz darauf erschien anlässlich des vierten<br />

Jahrestags der Machtergreifung ein großer „Rechenschaftsbericht“ von Kreisleiter Claussen,<br />

der fast ausschließlich Leistungen der <strong>Stadtverwaltung</strong> aufzählte und sie als Aufbauwerk der<br />

Partei verkaufte. 300 Der erstmals wieder ausgeglichene Haushaltsvoranschlag für 1938/39<br />

wurde weniger den Anstrengungen Wittgens und der <strong>Stadtverwaltung</strong> zugeschrieben, sondern<br />

vielmehr als „schöner Erfolg nationalsozialistischer Gemeindepolitik“ verbucht. 301<br />

Kurz nach dem für die Stadt so kostspieligen Besuch der Alten Garde war für Wittgen das<br />

Maß seiner öffentlichen Missachtung voll. Am 28. Juni 1938 beschwerte er sich be<strong>im</strong><br />

Nationalblatt, dass es trotz seiner Funktion als Amtsblatt 302 der <strong>Stadtverwaltung</strong> und der<br />

bevorzugten Bedienung mit Aufträgen die städtischen Belange vernachlässige, was die<br />

Bevölkerung mit Missfallen beobachte. Als jüngsten Fall nannte er die ungünstige Platzierung<br />

seines Willkommensgrußes 303 an die Alte Garde. Wittgen schlug Verlagsleiter Georg<br />

Schmidt 304 ein klärendes Gespräch vor, bei dem „hier einmal gründlich sauberer Tisch<br />

gemacht werden muss, denn so kann es unter keinen Umständen weitergehen. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er<br />

Bezieher des Nationalblattes können mit Recht verlangen, dass sie über ihre <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

auf dem Laufenden gehalten werden.“ Man müsse mittlerweile annehmen, dass hinter der<br />

Unzulänglichkeit der Berichterstattung und der Schriftleitung eine gewisse Absicht stehe, die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> nicht so sehr in Erscheinung treten zu lassen. Lokalschriftleiter Franz<br />

Jenrich 305 beeilte sich, den Vorwurf zurückzuweisen. Man habe <strong>im</strong> Gegenteil „durch unser<br />

Eintreten für städtische Angelegenheiten schon wiederholt bei anderen Stellen angeeckt“. Am<br />

8. August fand dann das Gespräch zwischen Schmidt, Jenrich und Wittgen statt. Wittgen hatte<br />

noch Klose hinzugezogen. In einem als vertraulich gekennzeichneten, handschriftlichen<br />

Vermerk hielt Wittgen fest, Schmidt habe eine „gewisse Zurückhaltung“ in der<br />

Berichterstattung zugegeben, die er damit begründete, dass „der Gauleiter verlange, seine<br />

Person und seine verdienstvollen Bemühungen <strong>im</strong>mer wieder herausgestellt zu sehen.“<br />

Wittgen entgegnete Schmidt, dass „die erfolgreiche Unterstützung durch den Gauleiter<br />

durchaus anerkannt werden müsse – auch in der Öffentlichkeit –, daß die Art der<br />

Berichterstattung aber nicht den Eindruck erwecken dürfe, als wenn die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

298 NB, 18.3.1936: Triumphfahrt Görings auf dem freien Rhein; ebd.: Jubelndes <strong>Koblenz</strong> grüßt Hermann Göring;<br />

KGA, 18.3.1936: Ministerpräsident Göring in <strong>Koblenz</strong>.<br />

299 NB, Silvester 1936/Neujahr 1937.<br />

300 NB, 28.1.1937: Vier Jahre Arbeit und Aufbau <strong>im</strong> Großkreis <strong>Koblenz</strong>.<br />

301 NB, 22.3.1938: Nach 13 Jahren wieder ohne Fehlbetrag.<br />

302 Mit einem Preis von 7 Pfennigen pro Zeile für öffentliche Bekanntmachungen war das NB erheblich teurer<br />

als der KGA, der nur 4 Pfennige verlangte, und die KVZ, die sogar nur 3 Pfennige nahm (Stand November<br />

1939); StAK 623 Nr. 9567, 194 f., 199 f.<br />

303 NB, 24.6.1938: Gruß der Gaustadt. Der Willkommensgruß Wittgens war ganz unten rechts platziert, der von<br />

Kreisleiter Claussen dagegen oben in der Mitte; ebd.: Willkommen in <strong>Koblenz</strong>, Alte Garde.<br />

304 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 415 f.<br />

305 NSDAP-Mitglied Jenrich war seit 1.9.1937 Chef des Lokalteils; NB, 1.9.1937: Abb. mit Bildunterschrift.


246<br />

überhaupt nichts täte und daß dies in der Bürgerschaft bereits Anstoß erzeugt habe.“ 306<br />

Wittgen hatte also mit seiner Vermutung, dass hinter der Zurücksetzung der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

Methode steckte, ins Schwarze getroffen. Eine breitere oder bessere Berichterstattung über die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> stellte sich aber nicht ein. Das Nationalblatt kam zwar nicht umhin, den<br />

Oberbürgermeister bei lokalen Ereignissen zu erwähnen, aber es wurde ihm weder großer<br />

Platz eingeräumt noch war er auf Abbildungen zu sehen. Beides blieb der Parteiprominenz<br />

vorbehalten. 307<br />

Für Ungemach mit Gau- und Kreisleiter sorgte die <strong>im</strong> November 1938 erfolgte Umbenennung<br />

eines Teils der Kaiserin-Augusta-Anlagen in „SA-Ufer“, die jedoch nicht Wittgen anzulasten<br />

war. Der Namensvorschlag kam von der dort ansässigen SA-Brigade 52. Klose hatte ihn<br />

befürwortend an den zuständigen Polizeipräsidenten Wetter – bis 1935 selbst Brigadeführer –<br />

weitergeleitet, der ihn pünktlich zum Gedenktag 9. November genehmigte. Claussen zeigte<br />

sich in der Ratssitzung vom 24. November verwundert, dass die Parteileitung nicht gefragt<br />

worden sei, und Wittgen teilte den Ratsherren mit, künftige Fälle müsse der Gauleiter<br />

genehmigen. S<strong>im</strong>on hatte nämlich schon am 14. November mit einem Rundschreiben zu<br />

Straßenbenennungen reagiert, in dem er die Belassung althergebrachter Namen wie<br />

Rheinanlagen wünschte. Neue Straßennamen bürgerten sich nicht ein und seien keine<br />

„Wanderpreise“. Zwar hatte der Regierungspräsident S<strong>im</strong>ons „Anregung“ begrüßt, doch<br />

daraus leitete sich keineswegs ein Genehmigungsrecht des Gauleiters ab. Erst eine<br />

Verordnung vom 1. April 1939 308 regelte das Verfahren neu: <strong>Die</strong> Namensgebung war jetzt<br />

Aufgabe der Gemeinde, die die Zust<strong>im</strong>mung des Parteibeauftragten und eine Stellungnahme<br />

der Polizei einzuholen hatte. Wie nachhaltig S<strong>im</strong>ons Verdruss war, zeigte sich <strong>im</strong> Januar<br />

1942, als er nochmals zu Straßenbenennungen Stellung bezog und dabei ausdrücklich die<br />

Namensänderung „SA-Ufer“ als „nicht angebracht“ bezeichnete. 309 Tiefere Ursache seines<br />

Ärgers aber waren die <strong>Koblenz</strong>er selbst, die sich über den neuen Namen lustig machten,<br />

indem sie die Vokale „stets geringschätzig“ zusammenzogen. 310<br />

Unterdessen war die Nachfolge von Bürgermeister Binhold zu regeln, den die Regierung<br />

1937 in einem internen Vermerk mit „tritt nicht hervor, wohl etwas bequem, nicht<br />

überragend“ charakterisiert hatte. Binhold war nicht, wie von S<strong>im</strong>on und Mischke verabredet,<br />

zu bewegen gewesen, bis zur Regelung der Oberbürgermeisterfrage <strong>im</strong> Amt zu bleiben,<br />

306<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 456 (unpaginiert).<br />

307<br />

Beispiele: NB, 14./15.1.1939: Theater <strong>im</strong> Grenzgau haben große Aufgaben [Einführung von Intendant<br />

Kämmel]; NB, 14.4.1939: Gratulanten kamen von früh bis spät [90. Geburtstag des Mundartdichters Josef<br />

Cornelius].<br />

308<br />

VO über die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken vom 1.4.1939; RGBl. I, S. 703; StAK 623 Nr.<br />

8121, S. 130 f.<br />

309<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 210; ebd. Nr. 7216, S. 230; ebd. Nr. 8116, S. 107-113; ebd. Nr. 8121, S. 126-128, 149,<br />

Zitate S. 126 f., 149. S<strong>im</strong>on kritisierte auch die 1941 erfolgte Umbenennung der Viktoriastraße in Trothastraße;<br />

ebd. Nr. 8121, S. 149.<br />

310<br />

Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 347.


247<br />

sondern wollte zum 1. Februar 1939 planmäßig in den Ruhestand treten. 311 Unter den<br />

eingegangenen 17 Bewerbungen gab es für Claussen schnell einen klaren Favoriten: Stadtrat<br />

Fuhlrott. <strong>Die</strong> Ratsherren erhoben am 30. Juli 1938 erwartungsgemäß keine Einwände. 312 Am<br />

15. September 1938 trug Mischke dem Oberpräsidenten den Vorschlag vor. Fuhlrott fehle<br />

zwar die laut DGO vorgeschriebene Befähigung zum Richteramt oder höheren Ver-<br />

waltungsdienst, doch er sei zu einer Ausnahme bereit. <strong>Die</strong> Gelegenheit sei günstig, in diesem<br />

Zusammenhang mit dem Gauleiter über die Neubesetzung des Oberbürgermeisterpostens „zu<br />

verhandeln“. <strong>Die</strong> Notwendigkeit eines Wechsels an der Spitze der Stadt werde <strong>im</strong>mer<br />

offensichtlicher: „Der vollkommene Mangel an Initiative des Oberbürgermeisters Wittgen<br />

und die Führerlosigkeit der <strong>Stadtverwaltung</strong> hat erklärlicherweise zur Folge, daß sich dritte<br />

Stellen in <strong>im</strong>mer steigendem Maße mit städtischen Verwaltungsangelegenheiten befassen,<br />

wodurch mir die Wahrnehmung meiner aufsichtsbehördlichen Funktion 313 erheblich<br />

erschwert wird.“ Mit diesen sich einmischenden „dritten Stellen“ können zweifellos nur<br />

Parteidienststellen gemeint gewesen sein. <strong>Die</strong> möglichen Interessen- und Loyalitätskonflikte<br />

Fuhlrotts in seiner Doppelrolle als leitender Kommunalbeamter und Politischer Leiter spielte<br />

Wittgen <strong>im</strong> November 1938 gegenüber der Regierung herunter: „Mögliche Hemmungen<br />

infolge Beeinflussung durch vorgesetzte politische <strong>Die</strong>nststellen – Fuhlrott ist Ortsgruppen-<br />

leiter der N.S.D.A.P. – bei Entscheidungen, insbesondere politischen Einschlags, halte ich<br />

nicht für wesentlich, zumal F. sich bemüht, die Übereinst<strong>im</strong>mung in der Auffassung von den<br />

Pflichten eines Beamten mit denen eines politischen Leiters in die Tat umzusetzen.“ Im<br />

Übrigen bescheinigte Wittgen Fuhlrott Tatkraft und eine zufrieden stellende Arbeitsleistung.<br />

Terboven entschied jedoch <strong>im</strong> Frühjahr 1939, die Stelle vorerst unbesetzt zu lassen, weil er<br />

den künftigen Oberbürgermeister Habicht bei der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter<br />

beteiligen wollte. 314<br />

Habicht hatte sich nämlich <strong>im</strong> Januar 1939 zum Wechsel bereit erklärt, und S<strong>im</strong>on bat<br />

daraufhin die Aufsichtsbehörden, das nötige Verfahren durchzuführen. Auf Wittgens Wunsch<br />

fand am 27. Februar 1939 eine Aussprache mit Terboven in Trier statt. Dabei warf ihm<br />

Terboven vor, <strong>Koblenz</strong> habe <strong>im</strong> Hinblick auf den Fremdenverkehr nicht genug getan. Das ließ<br />

Wittgen nicht unwidersprochen und schickte Terboven Anfang März umfangreiches<br />

Zahlenmaterial über die Erfolge der Stadt in der Fremdenverkehrswerbung. 315 Wittgen<br />

scheute sich nicht, weiter in die Offensive zu gehen. <strong>Die</strong> wohl nicht zufällig für den 16. März<br />

1939, den sechsten Jahrestag seiner Amtsübernahme, angesetzte Ratsherrensitzung erklärte<br />

Wittgen in Teilen für öffentlich und lud die Presse ein. So nutzte er das während seiner<br />

311<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 15 (Zitat), 51, 56.<br />

312<br />

StAK Best. 623 Nr. 7216, S. 291 f. Das Protokoll spricht von 17 Bewerbungen, Mischke später von 18;<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 125.<br />

313<br />

Zur Stellung des Regierungspräsidenten <strong>im</strong> NS-Staat vgl. Romeyk: Der preußische Regierungspräsident. Zu<br />

der unter Gauleitern verbreiteten Geringschätzung des Regierungspräsidenten vgl. Rebentisch: Führerstaat, S.<br />

267 f.<br />

314<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 119-137, 141, Zitate S. 119 f., 136.<br />

315<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 55-69; ebd. Best. 441 Nr. 43657, S. 91.


248<br />

Amtszeit noch relativ häufig tagende Gremium 316 ganz offensiv, um seine Leistungen unter<br />

Beweis zu stellen. Beraten wurde u. a. der Haushalt, bei dem es um die Aufnahme eines<br />

Darlehens von 487.000 RM für die geplante Erweiterung der städtischen Liegenschaft Emil-<br />

Schüller-Straße 18/20 – des Sitzes der Gauleitung – ging. Dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> durchaus<br />

Initiativen ergriff, demonstrierte Wittgen mit der Vorstellung von Plänen für die Neuge-<br />

staltung der Rheinanlagen, die ein Wiesbadener Gartenarchitekt den Ratsherren erläuterte.<br />

Claussen quittierte die Pläne lediglich mit dem Vorschlag, noch andere Entwürfe und die<br />

Stellungnahme des Garten- und Friedhofsamtes einzuholen. 317<br />

Am selben Tag erklärte Wittgen dem Oberpräsidenten seine Bereitschaft, zum 1. Oktober von<br />

seinem Amt zurückzutreten und „demnächst“ einen entsprechenden Antrag zu stellen. <strong>Die</strong><br />

ihm als Übergangsentschädigung angebotenen 10.000 RM lehne er jedoch ab. Wittgen<br />

verlangte die Zahlung seiner vollen Bezüge bis zur Vollendung seines 60. Lebensjahres, dem<br />

Zeitpunkt, wo er „bei Fortdauer der bisherigen unerfreulichen Verhältnisse“ beabsichtigt<br />

hätte, in Pension zu gehen, nämlich zum 1. Oktober 1941. Terboven war erbost. Er stellte am<br />

20. März klar, eine Zusage über 10.000 RM habe er ihm nie gegeben, was er auch nicht<br />

könne. Er wolle sich lediglich darum bemühen, dass Wittgen wegen seines Bauvorhabens<br />

nicht in finanzielle Schwierigkeiten gerate. Über die Fortzahlung seiner Bezüge bis 1941<br />

könne nur das Ministerium entscheiden, verhandeln werde er darüber aber erst bei Vorliegen<br />

des schriftlichen Pensionierungsgesuchs. Terboven schloss mit der Feststellung, dass er und<br />

S<strong>im</strong>on sich einig seien, dass eine neue Leitung der Stadt „dringendste Notwendigkeit“ sei:<br />

„Ich bitte Sie deshalb davon überzeugt zu sein, dass ich entschlossen bin und <strong>im</strong> Interesse der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> entschlossen sein muss, den jetzigen unhaltbaren Zustand, der sich nun schon<br />

über mehr als zwei Jahre hinzieht, so oder so zu beenden. Was auf dem Wege persönlicher<br />

Verhandlungen und gutwilliger Unterhaltungen getan werden konnte und getan werden<br />

musste, ist für meine Begriffe nach besten Wissen und Können getan worden. Nunmehr ist es<br />

notwendig, dass endlich gehandelt wird.“ Wittgen gab sich unbeeindruckt. In einem weiteren<br />

Schreiben rechnete er Terboven am 24. März vor, dass der Unterschiedsbetrag zwischen<br />

seinen Bezügen und seiner Pension bis zum Oktober 1941 rund 10.000 RM betrage, bis zum<br />

regulären Ablauf seiner Amtsperiode sogar 29.000 RM. Außerdem würden Übergangsgelder<br />

nur bis zu 5.000 RM gezahlt. Unter diesen Umständen könne es ihm nicht zugemutet werden,<br />

ohne Vorbedingungen einen Pensionierungsantrag zu stellen. Wittgen erinnerte den<br />

Oberpräsidenten an seine Zusage, sein Anliegen bei Frick persönlich zu unterstützen. S<strong>im</strong>on<br />

habe ihn wissen lassen, dass man beabsichtige, die Sache Göring vorzulegen. <strong>Die</strong>s war<br />

zweifellos als Drohung gedacht, doch Wittgen ließ Terboven ungerührt wissen, er sei damit<br />

durchaus einverstanden und werde sich einer Entscheidung des Generalfeldmarschalls<br />

„vorbehaltlos unterwerfen“. In einer Unterredung mit Mischke Anfang April beharrte Wittgen<br />

316 Vgl. Tabelle 25 <strong>im</strong> Anhang.<br />

317 StAK 623 Nr. 7216, S. 340 f., 344-346. <strong>Die</strong> Berichterstattung des NB stellte einen anderen<br />

Tagesordnungspunkt heraus: NB, 18./19.3.1939: Hohenzollernschule wird Mittelschule.


249<br />

darauf, dass er vor Klärung der finanziellen Fragen keinen Antrag stellen werde. Terboven<br />

gab angesichts dieser Zähigkeit nach und verhandelte mit Innenstaatssekretär Hans Pfundtner<br />

über einen Härteausgleich von 10.000 RM. Gleichzeitig beauftragte er Mischke, Wittgen ein<br />

einwöchiges Ult<strong>im</strong>atum zu stellen. 318<br />

Mitte April versuchte Wittgen, nochmals von Staatssekretär Pfundtner empfangen zu werden,<br />

mit dem er bereits am 10. Februar persönlich verhandelt hatte. Der lehnte aber ab, die Frage<br />

seines „freiwilligen Rücktritts“ sei bereits abschließend behandelt worden. 319 Offenbar wollte<br />

man auch <strong>im</strong> Innenministerium die Sache endlich zu Ende bringen. Am 24. April legte<br />

Wittgen dem Regierungspräsidenten „trotz schwerster Bedenken“ sein Pensionierungsgesuch<br />

unter der Voraussetzung vor, dass der Oberpräsident seine Entschädigungsforderung<br />

durchsetzen könne. Das Innenministerium überließ die Entscheidung über die Zahlung ganz<br />

dem Regierungspräsidenten, der Mitte Mai vermerkte, man wolle in Berlin von der ganzen<br />

Angelegenheit nichts wissen, er sei aber „gedeckt“. 320 Allerdings verlangte das Ministerium<br />

die Feststellung der dauernden <strong>Die</strong>nstunfähigkeit Wittgens nach § 74 DBG, die Wirtz als<br />

dienstältester Beigeordneter abgeben sollte. Wittgen bestätigte seinem Beigeordneten zwar<br />

am 18. Mai, er könne den „besonderen Anforderungen, die an den Oberbürgermeister der<br />

Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> gestellt werden“, nicht mehr entsprechen, doch Wirtz spielte – wie<br />

von Vize-Oberpräsident Dellenbusch bereits vermutet – das Spiel nicht mit und gab den<br />

Ahnungslosen. Er verweigerte die geforderte Erklärung mit der Begründung, dass ihm „die<br />

besonderen Umstände nicht oder nicht genügend bekannt sind, denen Herr Oberbürgermeister<br />

Wittgen nicht mehr glaubt gewachsen zu sein, <strong>Die</strong>nstunfähigkeit aber wegen Schwäche der<br />

körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung der Amtspflichten nach meinem<br />

pflichtgemäßen Ermessen nicht vorliegt.“ Daraufhin gab Mischke selbst die Erklärung ab. 321<br />

Zum Schluss machte Wittgen dem Gauleiter und den Aufsichtsbehörden ein letztes Mal einen<br />

kleinen Strich durch die Rechnung. Noch vor seiner Pensionierung sollte er ab 1. Juni<br />

beurlaubt und Habicht mit der kommissarischen Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt<br />

werden. Wittgen schaffte es, diesen Termin auf den 1. Juli hinauszuzögern, weil er noch<br />

mehrere Arbeiten beenden müsse. Da die Ratsherren zu seiner Pensionierung und der<br />

vereinbarten einmaligen Beihilfe von 10.000 RM noch gehört werden mussten, setzte er<br />

außerdem deren Sitzung erst auf den 20. Juni an. <strong>Die</strong>se Zeit brauche er zur Vorbereitung, weil<br />

er noch einmal Bilanz ziehen wolle. Claussen nahm an der Sitzung nicht teil. Bevor seine<br />

Entschädigung beraten wurde, informierte Wittgen die Ratsherren von seinem Ausscheiden:<br />

„Er dankte den Ratsherren für ihre bisherige Mitarbeit und verabschiedete sich von ihnen mit<br />

dem deutschen Gruss.“ Unter dem anschließenden Vorsitz von Wirtz erhoben die Ratsherren<br />

318 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 71-85, Zitate S. 71 f., 77, 81.<br />

319 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 99.<br />

320 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 91-99, Zitate S. 91, 99.<br />

321 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 97, 101-105; ebd. Best. 441 Nr. 43657, S. 99-113, Zitate S. 111, 113.


250<br />

zu der Pauschalentschädigung keine Einwände. Einen Tag später, am 21. Juni, reichte<br />

Wittgen sein Urlaubsgesuch ein, über das man <strong>im</strong> Nationalblatt schon am selben Tag eine<br />

entsprechende Meldung lesen konnte. 322 Bezeichnenderweise startete das Parteiorgan genau<br />

an Wittgens erstem Urlaubstag, dem 1. Juli, eine Artikelserie, die der Arbeit der Stadtver-<br />

waltung zum ersten Mal seit langem wieder größeren Raum widmete. 323 Als Wittgens<br />

Nachfolger Habicht am 4. Juli 1939 in sein Amt eingeführt wurde, würdigte Mischke Wittgen<br />

noch einmal kurz „mit anerkennenden Worten […] sowohl als Menschen wie auch als Leiter<br />

der Verwaltung“, während Claussen ihn in seiner Ansprache mit keiner Silbe erwähnte. 324<br />

Den „Arbeitskameraden und -kameradinnen“ der Gefolgschaft <strong>Stadtverwaltung</strong> dankte<br />

Wittgen in einem Abschiedsbrief vom 30. September 1939, dem Tag seines offiziellen<br />

Ausscheidens. 325<br />

Im Volksmund hieß es, für Bürgermeister gebe es schon Wandergewerbescheine, so oft<br />

wurden die Amtsinhaber abgelöst und auf vakante Posten in anderen Städten abgeschoben. 326<br />

Wittgen liefert dagegen ein eindrucksvolles Exempel dafür, dass es der Partei bei<br />

hartnäckigem Widerstand schwer fallen konnte, einen unliebsam gewordenen Oberbürger-<br />

meister aus dem Amt zu drängen, und das selbst dann, wenn – wie in seinem Fall – die<br />

staatlichen Aufsichtsbehörden am selben Strang zogen. 327<br />

Wittgen hat sich selbst oft als altgedienten preußischen Beamten bezeichnet, um seine damit<br />

verbundene Erfahrung zu unterstreichen. Im Selbstverständnis der „jungen“ und dynamischen<br />

„Bewegung“ galt er als Angehöriger des Jahrgangs 1881 aber nicht nur nach <strong>Die</strong>nst-, sondern<br />

auch nach Lebensjahren als alt und „unbeweglich“. <strong>Die</strong>s traf besonders <strong>im</strong> Vergleich mit den<br />

meist wesentlich jüngeren Parteiführern des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier zu. S<strong>im</strong>on war Jahrgang<br />

1900, Reckmann 1907, Claussen, als Beauftragter der NSDAP sein direktes Gegenüber, sogar<br />

erst Jahrgang 1909. <strong>Die</strong>ser große Altersunterschied, <strong>im</strong> Grunde also ein Generationenkonflikt,<br />

dürfte auf Seiten der Partei zumindest unterschwellig eine Rolle gespielt haben bei dem<br />

Bemühen, sich Wittgens zu entledigen. 328 Würdigt man die drei eingangs beschriebenen<br />

322 StAK 623 Nr. 7216, S. 358 f. (Zitat); LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 95, 101, 103; ebd. Best. 441 Nr. 43657,<br />

S. 118-128; NB, 21.6.1939: Oberbürgermeister Wittgen tritt in den Ruhestand. <strong>Die</strong> Pressenotiz hatte die<br />

Pressestelle der Regierung verfasst; LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 129.<br />

323 Grundlage der Artikel war der VB 1937/38. NB, 1./2.7.1939: Jeder ist Glied einer großen Geschlechterkette;<br />

NB, 3.7.1939: 3400 häßliche Reklameschilder entfernt; NB, 4.7.1939: <strong>Koblenz</strong> kann jährlich 700 Schweine<br />

mästen; NB, 6.7.1939: Allerlei vom Appetit der <strong>Koblenz</strong>er; NB, 7.7.1939: <strong>Koblenz</strong>er Hafenamt lief auf<br />

Höchsttouren; NB, 11.7.1939: Wichtige Aufgaben auf allen Gebieten; NB, 15./16.7.1939: <strong>Die</strong> Stadtbücherei hat<br />

viele Stammkunden.<br />

324 StAK 623 Nr. 7216, S. 364 f. (Zitat); NB, 5.7.1939: Pg. Habicht in sein Amt eingeführt.<br />

325 StAK 623 Nr. 9577, S. 30.<br />

326 Rebentisch: <strong>Die</strong> politische Stellung der Oberbürgermeister, S. 136; Matzerath: Nationalsozialistische<br />

Kommunalpolitik, S. 1-22, hier S. 11.<br />

327 Insofern ist Zibells Aussage, es handele sich bei der Beurlaubung Wittgens um einen „kleinen Sieg Terbovens<br />

und S<strong>im</strong>ons“, zu relativieren; Zibell: Oberbürgermeister Theodor Habicht, S. 92.<br />

328 Zur NSDAP als Partei der „Jugend“ und ihrem Gegensatz zur „Vätergeneration“ vgl. Michael H. Kater:<br />

Generationskonflikt als Entwicklungsfaktor in der NS-Bewegung vor 1933. In: Geschichte und Gesellschaft 11<br />

(1985), S. 217-243. Der Beitritt von (zu) vielen Angehörigen der älteren Generation wurde als „Belastung“


251<br />

Nachkriegsdokumente <strong>im</strong> Licht des Schriftverkehrs um seine Ablösung, so bleibt es bei der<br />

Feststellung, dass Wittgen sich keine groben Verfehlungen geleistet hatte, sondern es eine<br />

allgemeine Unzufriedenheit mit ihm gab, die von Partei und Aufsichtsbehörden<br />

gleichermaßen geteilt wurde. Ihre Vorwürfe lauteten Initiativlosigkeit und Führungs-<br />

schwäche. <strong>Die</strong> Interessenlagen waren aber keineswegs deckungsgleich: <strong>Die</strong> Regierung setzte<br />

den Akzent pikanterweise auf die mangelnde Durchsetzungskraft gegenüber der Partei. Bei<br />

der Partei wiederum zeigen sich deutliche Parallelen zum Fall des Ende 1936 zum Rücktritt<br />

gedrängten Kölner Oberbürgermeisters Dr. Günther Riesen, der Gauleiter Grohé als<br />

„hinderlich“ für eine Kommunalpolitik <strong>im</strong> Weg stand, die der Domstadt wieder zu mehr<br />

repräsentativem Glanz und überregionaler Bedeutung verhelfen sollte. In Köln wie in<br />

<strong>Koblenz</strong> fehlte dazu ein zum (finanziellen) Risiko bereiter Oberbürgermeister. Grohé war wie<br />

S<strong>im</strong>on einer der acht von insgesamt 30 Gauleitern, die ohne ein hohes Staatsamt geblieben<br />

waren – S<strong>im</strong>ons Berufung zum preußischen Staatsrat 1933 brachte ihm zwar eine fürstliche<br />

monatliche Aufwandsentschädigung ein, hatte aber nur dekorativen Charakter und war<br />

politisch bedeutungslos. Der Kölner Gauleiter sah deshalb in „seiner“ Gauhauptstadt ein<br />

„unmittelbares Betätigungsfeld“, was für seinen <strong>Koblenz</strong>er Kollegen ebenfalls ohne Weiteres<br />

angenommen werden kann, zumal S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> Hinblick auf seinen Gau partikularistische<br />

Tendenzen 329 verfolgte. 330 Letztlich war Wittgen zu bieder und farblos. Hinweise darauf, dass<br />

er Bürger vor Willkürmaßnahmen geschützt hätte, gibt es nicht. <strong>Die</strong> Beharrlichkeit, mit der er<br />

seine Forderungen an mehreren Fronten verteidigte, findet eine Erklärung zum einen in seiner<br />

strengen Auffassung von preußischer Pflichterfüllung, zum anderen darin, dass er seine<br />

Familie finanziell abgesichert wissen wollte. Er befand sich 1939 mitten <strong>im</strong> Bau eines bereits<br />

länger geplanten Einfamilienhauses in Pfaffendorf, 331 in das er <strong>im</strong> November 1939 mit seiner<br />

Frau und der 1924 geborenen Tochter einzog und wo er am 31. Januar 1941 einem<br />

Krebsleiden erlag. 332<br />

bezeichnet, ein hoher Anteil an über 40-jährigen Parteigenossen galt als „Überalterung“. Im Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier<br />

betrug zum 1.1.1935 der Anteil der Parteigenossen zwischen 18 und 40 Jahren 70,6 %. Partei-Statistik, Bd. I, S.<br />

166, 208.<br />

329 Romeyk: Der Gau Moselland in der nationalsozialistischen Reichsreform, S. 253-269; ders.: Der Gau<br />

Moselland und seine Beziehungen zu Luxemburg. In: Hémecht 39 (1987), Nr. 3, S. 411-426, hier S. 417, 423<br />

Anm. 33; BArch (ehem. BDC), PK, Karbach, Rolf, 9.4.1908: Karbach vom 5.10.1944.<br />

330 Hilpert: <strong>Nationalsozialismus</strong> und Stadt(Verwaltung), S. 248-250, 256 f., Zitate S. 248, 256. Auch der<br />

schwäbische Gauleiter richtete ein besonders Augenmerk auf seine Gauhauptstadt Augsburg; Gotto:<br />

Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 425. Zum Amt des Preußischen Staatsrats vgl. Hüttenberger: <strong>Die</strong><br />

Gauleiter, S. 78, 80; Lilla: Der Preußische Staatsrat, S. 19*-21*, 23*-38*. <strong>Die</strong> monatliche<br />

Aufwandsentschädigung betrug 1.000 RM (ab 1936 500 RM) abzüglich 200 RM für das WHW.<br />

331 Das Baugesuch für das von Architekt Hugo Hinkel entworfene „Landhaus“ datiert vom 22.1.1939. Klose<br />

bezeichnete das Bauvorhaben am 10.2.1939 gegenüber dem Regierungspräsidenten wegen der Zuteilung von<br />

Baumaterial als „vordringlich“, da die bisherige <strong>Die</strong>nstwohnung des Oberbürgermeisters für städtische Zwecke<br />

benötigt werde. StAK Bauakte Fach 158, Ellingshohl 2-22, Neubau Wittgen (unpaginiert).<br />

332 StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 143/1941.


252<br />

In allen drei <strong>Koblenz</strong>er Zeitungen erschienen Nachrufe der Stadt sowie der Redaktionen. 333<br />

Von der NSDAP gab es keinen Nachruf. <strong>Die</strong> Beerdigung in einer städtischen Ehrengrabstätte<br />

auf dem Hauptfriedhof fand am 4. Februar statt. Nur die Volkszeitung berichtete darüber, dass<br />

es sich um eine kirchliche Zeremonie mit Einsegnung handelte und Pfarrer Paul Coerper am<br />

Grab sprach. Der Sarg war mit der Fahne des Reichsarbeitsdienstes bedeckt, darauf lagen<br />

Wittgens RAD-Mütze und sein Ehrendolch. RAD-Formationen hatten die Ehrenwache für<br />

ihren Oberstarbeitsführer übernommen, das DRK, bei dem Wittgen seit 1938 das Amt des<br />

Kreisführers 334 innegehabt hatte, hatte Bereitschaften entsandt, es gab Abordnungen u. a. von<br />

Polizei, Feuerwehr und NSKOV. <strong>Die</strong> städtischen Bediensteten waren fast vollständig<br />

erschienen. Wittgens übernächster Nachfolger, Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer, hatte die<br />

Teilnahme angeordnet, 335 die <strong>Stadtverwaltung</strong> arbeitete nur mit einer Notbesetzung. S<strong>im</strong>mer,<br />

der Wittgens Witwe bereits schriftlich kondoliert hatte, 336 hielt auch die Trauerrede. Darin<br />

bezeichnete er die Bewältigung der städtischen Wirtschaftsmisere und die Durchsetzung<br />

nationalsozialistischer Grundsätze in der Verwaltung als die beiden wichtigsten Aufgaben,<br />

die sein Vorgänger zu meistern gehabt hätte. Wittgens vorzeitige Pensionierung erklärte<br />

S<strong>im</strong>mer beschönigend mit gesundheitlichen Rücksichten. Dann legte er einen Kranz nieder,<br />

dem – jeweils verbunden mit ehrenden Worten – noch eine ganze Reihe anderer folgten.<br />

Regierungspräsident Mischke legte die Kränze der Regierung, des Reichsinnenministers und<br />

des Reichsarbeitsministers nieder. Dann überbrachte der Stellvertretende Gauleiter Reckmann<br />

die letzten Grüße und Kränze der NSDAP, des Gaues und des Gauleiters. Generalarbeits-<br />

führer Etterich, der die Verdienste und enge Verbundenheit des Verstorbenen zum RAD<br />

hervorhob, legte Kränze des Reichsarbeitsdienstführers und der Führer des Arbeitsgaues<br />

nieder, Gebietsführer Karbach für die HJ. Während der Gaumusikzug des RAD zum<br />

Abschluss das Lied vom guten Kameraden spielte, feuerte die NSKOV eine Ehrensalve. 337<br />

Mit Wittgen ging die Ära des ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters von <strong>Koblenz</strong><br />

zu Ende, mit dem sich die Partei letztlich wenig zufrieden gezeigt hatte. Sein Pensio-<br />

nierungsdatum 30. September 1939 fällt fast genau mit einer großen historischen Zäsur<br />

zusammen: dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939.<br />

333<br />

NB, 1./2.2.1941: Oberbürgermeister a. D. Wittgen gestorben (darin fälschlich als Geburtsort Neunkirchen an<br />

der Saar genannt); KVZ, 1./2.2.1941: Oberbürgermeister i. R. Otto Wittgen +; KGA, 1./2.2.1941:<br />

Oberbürgermeister i. R. Otto Wittgen +.<br />

334<br />

Traditionell war das städtische Oberhaupt eng mit dem DRK verbunden. Wittgen wurde 1934 Vorsitzender<br />

des Kreismännervereins vom Roten Kreuz, bei der Neuorganisation des DRK am 10.3.1938 Kreisführer der<br />

DRK-Kreisstelle <strong>Koblenz</strong>-Stadt, am 5.8.1938 Ernennung zum DRK-Oberfeldführer; NB, 1./2.2.1941: Nachruf<br />

des DRK.<br />

335<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 13. An Abt. I waren namentliche Teilnehmerlisten abzuliefern.<br />

336<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 13.<br />

337<br />

NB, 5.2.1941: <strong>Die</strong> Beisetzung von Pg. Otto Wittgen; KVZ, 5.2.1941: Abschied von Oberbürgermeister i. R.<br />

Otto Wittgen; KGA, 5.2.1941: Letzter Abschied von Oberbürgermeister a. D. Wittgen.


253<br />

5.2 Ein Zwischenspiel: Theodor Habicht 1939<br />

5.2.1 <strong>Die</strong> wenigen Spuren eines bequemen Verwaltungschefs<br />

Der Wunschkandidat des Gauleiters, Theodor Habicht, wurde in der Ratsherrensitzung vom<br />

4. Juli 1939 feierlich in sein Amt eingeführt. War bei Wittgen der Termin mehrfach<br />

verschoben worden und schließlich ganz ausgefallen, kam bei Habicht Regierungspräsident<br />

Mischke. <strong>Die</strong> Neugier auf den prominenten Parteigenossen war groß, denn außerdem waren<br />

Oberregierungsrat Bieser und Regierungsassessor Disch von der Kommunalabteilung der<br />

Regierung sowie der Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik, Heinrich Reitz, anwesend. Auch<br />

die Ratsherren waren fast vollständig erschienen. Mischke begrüßte Habicht, der durch seinen<br />

Einsatz „an hervorragenden Stellen der Partei allen alten Kämpfern ein Begriff“ sei. Dann<br />

zählte er die Aufgaben auf, die auf den neuen Oberbürgermeister warteten und die Habicht<br />

„als kampferprobter Nationalsozialist“ meistern werde. Dass Habicht noch aus der Kampfzeit<br />

in guter Erinnerung sei, betonte Claussen und sicherte ihm „die beste kameradschaftliche<br />

Zusammenarbeit“ zu. Habicht erwiderte in seinem Dankeswort, er freue sich, wieder in die<br />

He<strong>im</strong>at zu kommen und so viele Bekannte unter den <strong>Koblenz</strong>er Parteigenossen anzutreffen.<br />

Er bat die Ratsherren um ihre Unterstützung getreu seinem Prinzip, dass es für einen alten<br />

Nationalsozialisten keine unlösbaren Schwierigkeiten gäbe, wenn alle Kräfte zusammen-<br />

arbeiteten. 338 <strong>Koblenz</strong> hatte damit seinen zweiten Oberbürgermeister evangelischer<br />

Konfession. Bedenken <strong>im</strong> Hinblick auf die katholische Mehrheitsbevölkerung, wie sie die<br />

Regierung 1933 noch hatte, waren sechs Jahren nach der Machtergreifung obsolet. Mit<br />

Habicht verjüngte sich die Stadtspitze. 1898 geboren, passte er mit seinen 41 Jahren anders<br />

als Wittgen altersmäßig besser zur Riege der führenden <strong>Koblenz</strong>er Parteigenossen.<br />

Zur Vorbereitung der nächsten Ratsherrensitzung besprach Habicht mit Wirtz am 20. Juli<br />

eingehend die Tätigkeit der Beiräte. Wirtz fand es rechtlich bedenklich, dass die Beiräte nicht<br />

mehr einberufen worden waren und <strong>im</strong>mer wieder Entschließungen des Oberbürgermeisters<br />

nach § 55 Abs. 2 DGO erfolgt waren. Der Paragraf erlaubte in dringenden und eiligen Fällen<br />

eine nur nachträgliche Information der Ratsherren. Habicht meinte, dieses Verfahren genüge<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf Finanzfragen, für die ein Großteil der Ratsherren ohnehin kein Verständnis<br />

aufbringe. Ansonsten könne der Paragraf nur ausnahmsweise angewendet werden. Am<br />

24. Juli waren die Beiräte auch Gegenstand der Dezernentenbesprechung. Habicht ordnete an,<br />

dass in einer letzten Ratsherrensitzung nach hergebrachtem Muster eine neue Verfahrensweise<br />

mitgeteilt und die Zusammensetzung der Beiräte überprüft werden solle. 339<br />

338 StAK 623 Nr. 7216, S. 364-366, Zitate S. 364 f.; NB, 5.7.1939: Pg. Habicht in sein Amt eingeführt.<br />

339 StAK 623 Nr. 6583, S. 373 f.


254<br />

<strong>Die</strong> einzige Ratsherrensitzung, die Habicht leitete, fand dann am 10. August statt. Habicht<br />

teilte mit, die Beiräte sollten wieder zusammentreten, damit jeder Beratungsgegenstand einen<br />

Teil der Ratsherren bereits beschäftigt habe und der Vortrag in der Ratsherrensitzung nicht<br />

nur einer Mitteilung von schon erledigten Angelegenheiten gleichkomme. In Abst<strong>im</strong>mung mit<br />

dem Kreisleiter solle eine Neubesetzung der Beiräte erfolgen, die in Zukunft wöchentlich<br />

zusammentreten und grundsätzlich alle Angelegenheiten beraten sollten. Vor allem solle<br />

dadurch die Überschreitung der Etatansätze unter allen Umständen vermieden werden. Damit<br />

kam Habicht Forderungen Claussens nach, der öfter die nachträgliche Anhörung der<br />

Ratsherren und Etatüberschreitungen moniert hatte. Außerdem verkündete Habicht seine<br />

Absicht, die Ratsherren nach der Sitzung „zu einem kameradschaftlichen Zusammensein <strong>im</strong><br />

Schöffenhaus (Ratsstube) zu vereinigen“, wie es in anderen Städten und früher auch in<br />

<strong>Koblenz</strong> 340 üblich gewesen sei. Zu diesen zwanglosen Treffen wollte Habicht auch Mitglieder<br />

der Verwaltung einbeziehen. <strong>Die</strong> städtische Weinkellerei sollte gegen Bezahlung Wein<br />

liefern, und je Sitzung sollte es in Zukunft eine Aufwandsentschädigung von 3 RM geben.<br />

Neben der Höherstufung der Orchestermitglieder und der Instandsetzung der Stadthalle<br />

nahmen die Ratsherren noch zust<strong>im</strong>mend Kenntnis von Habichts Plänen zur Gründung einer<br />

gemeinnützigen Baugesellschaft. 341<br />

Wenn auch in der Ratsherrensitzung und dem Wiederbelebungsversuch der Beiräte der Elan<br />

eines Neuanfangs zu spüren ist, hat sich die Tätigkeit von Oberbürgermeister Habicht nur in<br />

ganz wenigen Fällen aktenmäßig niedergeschlagen. <strong>Die</strong>s ist einerseits in seiner faktisch nur<br />

sehr kurzen Amtszeit begründet, andererseits hatte er schon in Wittenberg die alltägliche<br />

Verwaltungsarbeit weitgehend seinem Stellvertreter überlassen. 342 Eine Verfügung wie die<br />

Wittgens, dass er best<strong>im</strong>mte Post selbst zu beantworten wünschte, ist von Habicht nicht<br />

bekannt, er scheint seine gewohnte Arbeitsweise in <strong>Koblenz</strong> fortgesetzt zu haben.<br />

Von den 14 Rundverfügungen, die während Habichts Tätigkeit ergingen, tragen genau die<br />

Hälfte seine Unterschrift. 343 Mit der ersten vom 12. Juli 1939 warb Habicht für die<br />

Wanderausstellung „Gesundheit – Dein höchstes Gut“ der Reichspropagandaleitung auf dem<br />

Clemensplatz. <strong>Die</strong> Abteilungsleiter sollten alle Gefolgschaftsmitglieder zum Besuch<br />

anhalten. 344 <strong>Die</strong> zweite Rundverfügung vom nächsten Tag betraf den Bezug des Völkischen<br />

Beobachters. Habicht mahnte aufgrund eines Runderlasses des Reichsinnenministers, der<br />

340 <strong>Die</strong>se Tradition war nicht ganz abgeschafft gewesen: <strong>Die</strong> Einführung der neuen Ratsherren am 23.7.1939 war<br />

anschließend <strong>im</strong> Schöffenhaus mit Pfirsichbowle gefeiert worden; StAK 623 Nr. 6553, S. 70, 72.<br />

341 StAK 623 Nr. 7216, S. 367-376, Zitat S. 372. Im Anschluss an die Sitzung verfügte Habicht, dass alle Beiräte<br />

wöchentlich zu einem festen Termin tagen sollten und in den Einladungen zu den Ratsherrensitzungen alle von<br />

den Beiräten behandelten Punkte aufzunehmen seien. Am 21.8. machte Habicht die Beiratsmitglieder noch<br />

einmal auf seine Absicht aufmerksam, die Beiräte stärker als bisher heranzuziehen, und bat sie um rege<br />

Mitarbeit. Ebd. Nr. 6583, S. 376-379.<br />

342 Zibell: Oberbürgermeister Theodor Habicht, S. 89.<br />

343 Rundverfügungen Nr. 65-67, 72-74, 76; StAK 623 Nr. 9567, S. 110, 112-114, 124-128, 131-133.<br />

344 StAK 623 Nr. 9567, S. 110; NB, 10.7.1939: Eine Ausstellung, die auch dich angeht!; NB, 14.7.1939:<br />

„Gesundheit – Dein höchstes Gut!“


255<br />

Bezug sei „die unerläßliche Pflicht“ der Behörden und Beamten. Er erinnerte an den<br />

Beamteneid auf den Führer. Der Beamte müsse daher über den Willen des Führers auf dem<br />

Laufenden sein und das „Organ zur Verlautbarung seiner Absichten und Ziele“ sei die<br />

nationalsozialistische Tagespresse. Deswegen erwarte er, dass jeder Bedienstete den<br />

Völkischen Beobachter beziehe, soweit ihm dies wirtschaftlich möglich sei. Außerdem<br />

ordnete Habicht an, dass jede <strong>Die</strong>nststelle, die Volksgenossen betreue, Warteräume oder<br />

Unterkünfte unterhalte, den Völkischen Beobachter zu beziehen habe. 345<br />

Was Geldzuwendungen an die Partei betraf, nahm Wirtz am 20. Juli einen konkreten Fall zum<br />

Anlass, Habichts grundsätzliche Linie in Erfahrung zu bringen. <strong>Die</strong> Kreisleitung hatte<br />

beantragt, eine Rechnung über 120,50 RM für den Saalschmuck anlässlich einer Blutordens-<br />

verleihung zu erlassen. Habicht erklärte Wirtz, er sei <strong>im</strong>mer großzügig gewesen, so lange die<br />

Stadt nicht allzu sehr belastet worden wäre. Eventuell müsse der Haushaltstitel „Zuschüsse zu<br />

Veranstaltungen der Partei“ erhöht werden. Grundsätzlich solle aber erst versucht werden,<br />

eine Bezahlung sicherzustellen. 346 Wenige Tage später genehmigte Habicht anstandslos den<br />

von der Kreisleitung beantragten Zuschuss von 500 RM für den Prunkwagen des Kreises<br />

be<strong>im</strong> bevorstehenden „Weinfest der Westmark“ in Bad Kreuznach. Er stellte sich auf den<br />

Standpunkt, es hätte die Stadt wahrscheinlich mehr gekostet, wenn sie sich selbst be<strong>im</strong><br />

Weinfest hätte beteiligen müssen. Sogar bei der Kreisleitung legte Habicht keinen Wert auf<br />

eine persönliche Antwort, er zeichnete lediglich den Gesamtvorgang ab. 347<br />

Eine der wenigen schriftlichen Äußerungen Habichts betraf die Einsichtnahme kon-<br />

fessioneller Vereine in die Standesamtsunterlagen. Stadtoberinspektor Karl Scherer vom<br />

Jugendamt hatte <strong>im</strong> Juli 1939 anlässlich einer unehelichen Geburt <strong>im</strong> Rizzahe<strong>im</strong> feststellen<br />

müssen, dass sich um den Fall nicht nur eine städtische Fürsorgerin, sondern auch eine<br />

Vertreterin des Katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder gekümmert<br />

hatte. <strong>Die</strong>se hatte das Kreisjugendamt eingeschaltet, sodass nun zwei Jugendämter mit der<br />

Sache befasst waren. Scherer hatte be<strong>im</strong> Standesamt erfahren, dass die konfessionellen<br />

Verbände regelmäßig be<strong>im</strong> Standesamt Einsicht in die Unterlagen nahmen, um dann<br />

Betreuungen in die Wege zu leiten. Fuhlrott reichte Scherers Vermerk an Trampp weiter,<br />

der ihn Habicht vorlegte. Der entschied am 12. August, dass bei der Betreuung der<br />

Volksgenossen insbesondere „auf die Mitwirkung der caritativen Vereine für die Betreuung<br />

345 StAK 623 Nr. 9567, S. 112. An Exemplaren wurden festgelegt: 2 Verkehrsamt, 2 Schlachthofverwaltung, 3<br />

Hafenamt, 5 Krankenanstalten, 5 Sparkasse, 1 Pfandamt, 2 Stadtbibliothek, 8 Bauverwaltung und 20<br />

Schulverwaltung. Vgl. LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 507 f., RdErl. d. RMindI vom 13.2.1939 „Bezug von<br />

Zeitungen und Zeitschriften, Amts- und Verkündungsblättern durch Gemeinden und Gemeindeverbände“. Darin<br />

heißt es: „<strong>Die</strong> Verpflichtung des Beamten, sich persönlich über die allgemeinen politischen Tagesfragen zu<br />

unterrichten und die NS-Tagespresse zu lesen […] wird durch die von ihm selbst zu haltenden Zeitungen und<br />

Zeitschriften erfüllt.“<br />

346 StAK 623 Nr. 6553, S. 353 f.<br />

347 StAK 623 Nr. 7111, S. 370 f.; NB, 15.8.1939: <strong>Koblenz</strong>er Winzer rüsten zum Weinfest; NB, 17.8.1939: Acht<br />

Wappen schmücken das Weinschiff.


256<br />

der Jugend verzichtet“ werde und den privaten Vereinen keine Einsichtnahme mehr gestattet<br />

werden solle. Standesbeamter Henn beeilte sich, zwei Tage später die Einstellung der<br />

Tätigkeit der konfessionellen Vereine be<strong>im</strong> Standesamt zu melden. Prompt kam es kurz<br />

darauf zu einer Beschwerde sowohl der evangelischen Gemeinde als auch des katholischen<br />

Kirchensteueramtes be<strong>im</strong> Oberbürgermeister, denen jetzt <strong>im</strong> Übereifer ebenfalls die<br />

Einsichtnahme verweigert wurde. Sie wiesen darauf hin, dass die verspätete Berücksichtigung<br />

von Familienstandsänderungen oder Todesfällen zu vermeidbarer Mehrarbeit und<br />

Beschwerden bei der Kirchensteuer führe. Habicht teilte den beiden Stellen nach Rücksprache<br />

mit Henn und Trampp Ende August mit, dass die Einsichtnahme zu steuerlichen Zwecken<br />

weiterhin erfolgen könne, dass aber die Weitergabe von Informationen an die konfessionellen<br />

Vereine ausgeschlossen werden müsse. <strong>Die</strong>s sagten beide Kirchen zu und gaben<br />

wunschgemäß die zur Einsicht vorgesehenen Mitarbeiter namentlich an. 348<br />

Habicht wurde am 27. August als Leutnant der Reserve vom Wehrkreisbezirk Wittenberg zu<br />

einem Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent nach Oschatz in Sachsen mobilisiert. Nur zwei Tage später<br />

schickte Wirtz Habicht per Eilbrief den Entwurf für ein Reklamierungsgesuch. Darin legte er<br />

dar, dass die Stadt nur noch über drei Beigeordnete verfüge, von denen zwei jederzeit mit<br />

ihrer Einberufung rechnen müssten. Es verbliebe dann nur noch er selbst als 51-jähriger<br />

Kriegsbeschädigter. Neben der üblichen Verwaltungsarbeit bringe die Mobilmachung<br />

erhebliche Mehrarbeit für die <strong>Stadtverwaltung</strong> des kriegswirtschaftlich wichtigen, zivilen wie<br />

militärischen Verwaltungszentrums 349 mit sich. Als Sitz der Gauleitung stehe <strong>Koblenz</strong> „auch<br />

in parteipolitischer Beziehung <strong>im</strong> Brennpunkt des Interesses.“ Der Ton des Begleitschreibens<br />

von Wirtz an Habicht lässt auf ein gutes und fast schon vertrautes Verhältnis zwischen beiden<br />

schließen. 350 <strong>Die</strong> Eheleute Habicht hatten mit Wirtz mehrere Hausbesichtigungen<br />

unternommen, Interesse hatten sie an den Häusern zweier ehemaliger Zentrumsmänner auf<br />

dem Oberwerth gezeigt, nämlich von Bankdirektor Karl Henrich und Rechtsanwalt Georg<br />

Loenartz. Habicht hatte sich – wie später auch S<strong>im</strong>mer – wegen der Nähe zum Weindorf mit<br />

seinen lärmenden Touristen geweigert, in die alte <strong>Die</strong>nstwohnung Julius-Wegeler-Straße 4<br />

(Abb. 10) zu ziehen. 351 Habicht musste gerade zu Beginn seiner Tätigkeit und angesichts<br />

seines Arbeitsstils größtes Interesse an der Kooperation und Loyalität der mit den<br />

Verhältnissen vertrauten und versierten leitenden Beamten haben. Wirtz schrieb rückblickend,<br />

348<br />

StAK 623 Nr. 9666, S. 118-127, Zitat S. 119. Der Oberpräsident hatte <strong>im</strong> März 1939 verfügt, dass den<br />

Kirchen <strong>im</strong> Einzelfall Auskunft zu erteilen oder Einsicht in Unterlagen zu gewähren sei, weil die Kirchen <strong>im</strong><br />

Besitz der Kirchenbücher und die Standesbeamten auf eine Zusammenarbeit angewiesen seien. Ebd. Nr. 9669, S.<br />

263 f.<br />

349<br />

<strong>Koblenz</strong> war Sitz eines Divisionskommandos und eines Wehrbezirkskommandos, das für die<br />

Regierungsbezirke <strong>Koblenz</strong>, Trier und Wiesbaden zuständig war.<br />

350<br />

StAK 623 Nr. 2623, S. 4-7, Zitat S. 7. Das Reklamierungsgesuch außerdem in: LHAKo Best. 441 Nr. 43657,<br />

S. 153 f.<br />

351<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 404; ebd. Nr. 10766. Wirtz notierte am 17.10.1939, die alte <strong>Die</strong>nstwohnung sei „in<br />

einem völlig verwahrlosten Zustand“. Es sei eine gründliche Renovierung nötig, obwohl die Räume „einen<br />

hochherrschaftlichen Eindruck“ machten. Ebd. Nr. 10766 (unpaginiert). Vgl. auch Wertermittlung vom<br />

24.1.1941; ebd. Nr. 11923.


257<br />

Habicht habe ihn bereits bei seiner Amtseinführung wissen lassen, „daß er vom Gauleiter<br />

angewiesen sei, mich zu entlassen. Nachdem Herr Habicht mich indessen kennengelernt hatte,<br />

erklärte er dem Gauleiter gegenüber, daß er nicht auf meine, sondern auf die Entlassung des<br />

Kreisleiters bestehen müsse.“ Vor seinem Weggang habe ihm Habicht aber dann geraten, die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> zu verlassen. Claussen habe sogar versucht, die Abwesenheit Habichts für<br />

seine Verhaftung auszunutzen. Nur ein Blitzgespräch mit dem Wehrmachtskommando in<br />

Wiesbaden habe dies mit einer Unabkömmlichkeitsstellung verhindern können, denn der<br />

Oberpräsident hatte Wirtz am 13. September zum Kriegs- und Lebensmitteldezernenten<br />

bestellt. 352<br />

Seit 10. August 1939 war Claussen bemüht, be<strong>im</strong> Obersten Parteigericht die Genehmigung<br />

zur Aufnahme eines Parteiausschlussverfahrens gegen Wirtz wegen „schwerster Sabotage der<br />

Arbeit der Partei“ zu erwirken. Er habe ihn „schon sehr lange in Verdacht“ gehabt. Als<br />

Beweise dienten u. a. Zeugenaussagen von Stadtbaurat Mohaupt und von Klose. Als Klose<br />

z. B. bei der Besprechung einige Etatansätze <strong>im</strong> Haushaltsplan mit Wünschen des Gauleiters<br />

begründet habe, habe Wirtz „zornerregt wörtlich“ gesagt: „Was wir hier bauen, geht den<br />

Gauleiter einen Dreck an.“ Sogar eine interne Randnotiz von Wirtz wurde herangezogen, in<br />

der er Parteidienststellen vorwarf, sie legten es darauf an, die Stadt finanziell „systematisch<br />

[…] hineinzulegen“. Obwohl weiteres Belastungsmaterial nachgereicht wurde und Claussen<br />

<strong>im</strong> Oktober sogar persönlich zu Richter Franz Gr<strong>im</strong>m nach München reiste, verweigerte das<br />

Oberste Parteigericht dem Gaugericht wegen zu geringer Erfolgsaussichten die Genehmigung<br />

zur Einleitung eines Verfahrens. Danach nahm noch der Stellvertreter des Führers<br />

Akteneinsicht, um die Möglichkeit eines <strong>Die</strong>nststrafverfahrens zu prüfen, doch auch von dort<br />

aus wurde nichts unternommen. 353<br />

Obwohl Oberpräsident und CdZ die Reklamierung Habichts bei den militärischen<br />

<strong>Die</strong>nststellen befürworteten, zog sich die Angelegenheit hin. Mischke hatte Wirtz’ Schreiben<br />

vom 29. August mit einem unterstützenden Antrag als Eilbrief an das Wehrbezirks-<br />

kommando IV in Dresden weitergeleitet. Am 11. September drängte er dort auf eine<br />

Entscheidung, weil die geordnete Verwaltung der Stadt <strong>Koblenz</strong> nicht mehr gesichert sei. 354<br />

Ende September erhielt Wirtz Nachricht von Habichts Frau. Ihr Mann habe die Nachricht<br />

über das Reklamierungsgesuch erst am 21. September erhalten, und sie solle von ihm<br />

ausrichten, solange in Polen noch ein Schuss falle, werde er sich auf keinen Fall reklamieren<br />

lassen. Inzwischen habe sich das Innenministerium gemeldet, ihr Mann solle Oberbürger-<br />

meister in Lodz werden. Eine Woche später meldete sich Habicht selbst brieflich, was „mich<br />

352 StAK 623 Nr. 2619, S. 126.<br />

353 BArch (ehem. BDC), OPG, Wirtz, Herbert, 11.8.1888. Als weiteres Beweisstück diente ein vertraulicher<br />

Aktenvermerk von Wirtz vom 2.5.1938 über eine Sitzung der rheinischen Kämmerer bei der DGT-<br />

Provinzialdienststelle, mit dem er Wittgen und Finanzdirektor Theis über die für die Kommunen<br />

„niederschmetternden“ Folgen der Finanzpolitik des Reiches unterrichtete.<br />

354 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 153-163, 167 f.


258<br />

und die ganze Verwaltung hoch erfreut hat“, wie Wirtz in seiner Antwort schrieb. 355 Am<br />

12. Oktober wandte sich der Regierungspräsident sogar an den Reichsinnenminister. <strong>Die</strong> drei<br />

verbliebenen Beigeordneten seien überlastet, der dienstälteste Beigeordnete Wirtz habe zu den<br />

schwierigen Finanzgeschäften der Stadt noch die Leitung des Ernährungsamtes übernehmen<br />

müssen. Mischke erinnerte daran, dass man schließlich darauf abgezielt habe, „<strong>Koblenz</strong> durch<br />

eine energische, zielbewusste Persönlichkeit“ verwalten zu lassen. Habicht sei nach Ende des<br />

Polenfeldzugs nunmehr mit seiner Rückkehr einverstanden. Am 27. Oktober erklärte das<br />

Wehrbezirkskommando, dass Habicht beurlaubt werde und nächste Woche mit dem<br />

Freistellungsbefehl gerechnet werden könne. 356 Bereits am 14. Oktober hatte Habicht,<br />

offenbar auf He<strong>im</strong>aturlaub, zusammen mit seiner Frau und Wirtz weitere Hausbesichtigungen<br />

unternommen, und Anfang November scheint Habicht wieder kurzfristig in <strong>Koblenz</strong> gewesen<br />

zu sein. 357<br />

Doch dann bewarb sich Habicht um eine Stelle <strong>im</strong> Auswärtigen Amt in der Reichshauptstadt,<br />

wo er schon am 16. November 1939 zum Ministerialdirektor mit der Amtsbezeichnung<br />

Unterstaatsekretär ernannt wurde. Als Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong> schied er offiziell zum<br />

31. Dezember 1939 aus dem Amt. Im September 1940 ging Habicht wieder zur Wehrmacht,<br />

er fiel am 31. Januar 1944 an der Ostfront. 358 Im Verwaltungsbericht von 1946 heißt es zu<br />

Oberbürgermeister Habicht, er habe sein Amt am 1. Juli 1939 übernommen, „trat aber nicht in<br />

Erscheinung“ 359 – eine sehr treffende Formulierung.<br />

5.2.2 <strong>Die</strong> Mobilmachung der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

Bei Kriegsbeginn war nur etwa ein gutes Drittel der <strong>Koblenz</strong>er „tendenziell ‚pro<br />

nationalsozialistisch’ eingestellt“. 360 Jubelst<strong>im</strong>mung herrschte in <strong>Koblenz</strong> genauso wenig wie<br />

in Trier. 361 Das Nationalblatt münzte dies in seiner Propagandasprache in die eiserne Ruhe<br />

und „innere Festigkeit der Westmärker“ um und betonte das große, zuversichtliche Vertrauen<br />

355<br />

StAK 623 Nr. 10766 (unpaginiert), Zitat Wirtz vom 11.10.1939. Habichts Brief vom 28.9. ging am 11.10. <strong>im</strong><br />

Original an Mischke, kehrte aber trotz Bitte um Rückgabe nicht in die städtischen Akten zurück.<br />

356<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 165-169, Zitat S. 168.<br />

357<br />

StAK 623 Nr. 10766 (unpaginiert). Vgl. ebd. Nr. 7128, S. 93.<br />

358<br />

Zibell: Oberbürgermeister Theodor Habicht, S. 92-98; StAK 623 Nr. 2623, S. 6-10; NB, 4./5.3.1944:<br />

Unterstaatssekretär Habicht gefallen. <strong>Die</strong> Stadt bestätigte dem Auswärtigen Amt die <strong>Die</strong>nstzeit als<br />

Oberbürgermeister vom 1.7. bis 24.11.1939; ebd. S. 10. Ab 1.12.1939 zahlte die Stadt keine <strong>Die</strong>nstbezüge mehr;<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 197.<br />

359<br />

<strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Jahre 1946. Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1946 (1.IV.1946-<br />

31.III.1947). <strong>Koblenz</strong> 1947, S. 6.<br />

360<br />

Zorbach: „Führer unser ...“, S. 372. Nach einer Hochrechnung waren <strong>im</strong> Juni 1940 zwischen 7.000 und<br />

11.000 der ca. 89.000 <strong>Koblenz</strong>er NSDAP-Mitglied (d. h. ca. 8-12 % der Bevölkerung); Boberach:<br />

Nationalsozialistische Diktatur, S. 175, 572.<br />

361<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 134 f.


259<br />

in den Führer. Schon jetzt wurde die starke Volksgemeinschaft an der He<strong>im</strong>atfront<br />

beschworen. 362<br />

Durch die Abwesenheit Habichts und die Vakanz des Bürgermeisterpostens lag die<br />

Umstellung der <strong>Stadtverwaltung</strong> vom Friedens- auf den Kriegszustand fast ganz in Händen<br />

von Wirtz, der alle relevanten Rundverfügungen unterzeichnete. 363 Schon am Samstag, dem<br />

26. August 1939, war das Personal durch militärische Übungen stark vermindert. Wirtz<br />

ordnete für den Nachmittag und den Sonntag die Besetzung der <strong>Die</strong>nststellen an.<br />

Ausdrücklich wies er darauf hin, dass städtisches Personal außer durch die Einberufungen zur<br />

Wehrmacht von keinen anderen Stellen zu <strong>Die</strong>nstleistungen verpflichtet werden dürfe. 364<br />

Noch vor Kriegsbeginn, am 27. August, wurden die Bewirtschaftung lebenswichtiger Güter<br />

des täglichen Bedarfs eingeführt 365 und die unteren Verwaltungsbehörden mit der Einrichtung<br />

von Wirtschafts- und Ernährungsämtern beauftragt. 366 Nicht ohne Stolz und in merkwürdigem<br />

Kontrast zu seinem dringenden Reklamierungsgesuch unterrichtete Wirtz Habicht <strong>im</strong> fernen<br />

Sachsen am 29. August über die erfolgreich abgewickelte Versorgung der Bevölkerung mit<br />

den ersten Bezugsscheinen: „Hier ist bis jetzt alles in Ordnung. <strong>Die</strong> Ausgabe der<br />

Bezugsscheine hat trotz des Sonntags [27.8.] und der starken Abwesenheit der dafür<br />

eingesetzten Lehrer durch die Ferien geklappt. Binnen 24 Stunden, meist sogar binnen<br />

8 Stunden, d. h. noch Sonntag abend [sic], war die Bevölkerung <strong>im</strong> Besitz der Bezugscheine<br />

[sic]. Auch die nötigen Bekanntmachungen standen bereits Montags in der Zeitung 367 . […]<br />

Sonst herrscht hier nach dem noch <strong>im</strong>mer starken Fremdenverkehr der letzten Tage eine fast<br />

tödliche Ruhe, zumal irgendwelche militärische Vorbereitungen kaum sichtbar getroffen sind.<br />

Auch die Belegung mit Militär ist z. Zt. nicht nennenswert.“ 368 Der dienstfreie Mittwoch-<br />

nachmittag wurde am 30. August gestrichen. Alle nicht lebensnotwendigen und dringenden<br />

Arbeiten sollten ruhen. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nststellenleiter waren aufgerufen, Kräfte freizustellen und<br />

Abteilung I zu melden. 369 Ab Kriegsbeginn hatte Abteilung I Z, d. h. der Kern der<br />

Hauptverwaltung, an jedem Sonn- und Feiertag vormittags <strong>Die</strong>nst. 370<br />

362 NB, 2./3.9.1939: Wir stehen alle einsatzbereit zusammen!; NB, 4.9.1939: Eiserne Ruhe und kühle<br />

Entschlossenheit (Zitat); NB, 5.9.1939: Volksgemeinschaft größer und stärker denn je; NB, 7.9.1939:<br />

Kampfentschlossenheit und Siegeszuversicht.<br />

363 StAK 623 Nr. 9567. Fuhlrott tritt in den Rundverfügungen erst gegen Ende 1939 mehr in Erscheinung.<br />

364 StAK 623 Nr. 9567, S. 136. Wirtz bekräftigte am 6.9., dass Einberufungen durch „Bedarfsstellen“ wie<br />

Polizeipräsident, Luftschutzdienst und technische Nothilfe nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den<br />

Oberbürgermeister möglich seien; StAK 623 Nr. 9567, S. 145.<br />

365 VO zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes vom 27.8.1939; RGBl.<br />

I, S. 1498; NB, 28.8.1939: Bezugsscheinpflicht für lebenswichtige Verbrauchsgüter.<br />

366 VO über die Wirtschaftsverwaltung vom 27.8.1939; RGBl. I, S. 1495. Vgl. StAK 623 Nr. 9567, S. 155, 173,<br />

187, 191; NB, 28.8.1939: Ernährungs- und Wirtschaftsamt eingerichtet.<br />

367 NB, 28.8.1939: Amtliches. Bezugsscheinausgabe.<br />

368 StAK 623 Nr. 2623, S. 4.<br />

369 StAK 623 Nr. 9567, S. 137.<br />

370 StAK 623 Nr. 9569, S. 47.


260<br />

Auch finanztechnisch musste die Umstellung auf die Kriegswirtschaft bewältigt werden. Es<br />

gab die ersten Sparsamkeitsappelle. Neben den „friedensmäßigen Arbeiten“ waren auch alle<br />

Haushaltsausgaben, die „nicht ausschließlich lebenswichtig sind oder zum Kriegsbedarf<br />

gehören“, einzustellen. 371 Eine erst <strong>im</strong> Juli eingeführte Lockerung der Ausgabenkontrolle<br />

wurde am 8. September für Ausgaben ab 100 RM wieder eingeführt und am selben Tag<br />

wurde ein Sonderkonto für Kriegsausgaben („Kriegskonto“) eingerichtet. 372 Bis November<br />

gab es mehrere Rundverfügungen zur Umsetzung eines Führererlasses zur „Vereinfachung<br />

der Verwaltung“ vom 28. August 1939 373 . Schriftverkehr sollte verkürzt oder ganz vermieden,<br />

Aktennotizen handschriftlich verfasst und der gesamte Geschäftsgang vereinfacht werden,<br />

kurz: Es sollte ein Bürokratieabbau stattfinden. 374<br />

Wie üblich wurden die Beamten als Vorbild für die übrigen Volksgenossen in die Pflicht<br />

genommen. Zur Einführung von Bezugsscheinen gab es eine nur zum internen <strong>Die</strong>nst-<br />

gebrauch best<strong>im</strong>mte Mitteilung des Reichspropagandaministers, die den <strong>Die</strong>nststellen <strong>im</strong><br />

September 1939 zuging: „Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß jeder Angehörige der<br />

NSDAP, ihre [sic] Gliederungen und angeschlossenen Verbände und jeder deutsche Beamte<br />

dem ganzen Deutschen Volke in der striktesten Durchführung und Innehaltung der<br />

Verordnung der Bezugsscheinpflicht ein vorbildliches Beispiel gibt.“ 375 Anfang November<br />

mahnte Ministerpräsident Göring das tadellose Verhalten der <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst<br />

Beschäftigten gegenüber den Volksgenossen an, für „bürokratische Engherzigkeit […] und<br />

Überheblichkeit“ sei heute weniger Platz denn je. Fuhlrott ordnete an, dass die Verfügung in<br />

Betriebsappellen bekannt zu geben und die Kenntnisnahme von jedem Bediensteten<br />

schriftlich zu bestätigen war. 376 Erstmals wurde zur Erhöhung der Arbeitsleistung ein<br />

kirchlicher Feiertag, nämlich der Buß- und Bettag, von einem Wochentag auf einen Sonntag<br />

verlegt. 377 Alle zum Heeresdienst einberufenen Bediensteten erhielten wie in den folgenden<br />

Kriegsjahren als Weihnachtsgabe ein Feldpostpäckchen. 378<br />

371 StAK 623 Nr. 9567, S. 146 (Zitat), 161.<br />

372 StAK 623 Nr. 9567, S. 125 f., 147-152. Zur „Verrechnung der Mob.-Ausgaben“ vgl. ebd. S. 138 f.<br />

373 Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8.1939; RGBl. I, S.<br />

1535. Er verlangte von allen Behörden „restlosen Einsatz und schnelle, von bürokratischen Hemmungen freie<br />

Entscheidungen.“ Ebd., § 1 Abs. 1. Zu Entstehung und Inhalt des Erlasses vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 148-<br />

153.<br />

374 StAK 623 Nr. 9567, S. 164, 185, 190. Vgl. Kapitel 8.1.<br />

375 StAK 623 Nr. 9567, S. 167. Noch am 10.6.1939 hatte der Gauleiter und Oberpräsident von Pommern, Franz<br />

Schwede-Coburg, die „Westmark-Beamten“ be<strong>im</strong> Gautag in Trier an ihre Pflichten und Vorbildfunktion<br />

erinnert; NB, 12.6.1939: Schwede-Coburg vor 8000 Westmark-Beamten.<br />

376 StAK 623 Nr. 9567, S. 201-203, Zitat S. 201. Göring hatte lediglich die Unterschriftsleistung der unmittelbar<br />

<strong>im</strong> Publikumsverkehr tätigen Bediensteten verlangt.<br />

377 StAK 623 Nr. 9567, S. 195, 214. Zur Verlegung weiterer Feiertage (Allerheiligen, Fronleichnam, Christi<br />

H<strong>im</strong>melfahrt) vgl. ebd. Nr. 9568, S. 124, 127, 130; ebd. Nr. 9569, S. 54, 109.<br />

378 StAK 623 Nr. 9362, S. 94; ebd. Nr. 9567, S. 197.


261<br />

Dem Regierungspräsidenten meldete Abteilung I <strong>im</strong> Oktober 1939 zur Personalbedarfs-<br />

planung für die Kriegsverwaltung den Personalstand vom 31. Juli 1939: 373 Beamte (davon<br />

weiblich 24), 215 Angestellte (72) und 504 Arbeiter (98). <strong>Die</strong>ser Personalbedarf bleibe zur<br />

ordnungsgemäßen Aufrechterhaltung der Verwaltung wegen der neu errichteten Wirtschafts-<br />

und Ernährungsämter bestehen, selbst wenn durch die Stilllegung friedensmäßiger Betriebe<br />

Kräfte eingespart werden könnten. 379<br />

Der Gestaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung wurde in den Kriegsjahren noch<br />

enger als zuvor. Eine Zäsur bildete der bereits genannte Führererlass vom 28. August 1939,<br />

der die Gemeinden den Weisungen der Aufsichtsbehörden unterstellte. Damit waren die<br />

Weichen für eine Verschiebung des Schwerpunkts von der Selbstverwaltung zur<br />

Auftragsverwaltung gestellt. <strong>Die</strong>s wird umso deutlicher, als der Erlass <strong>im</strong> Februar 1940<br />

wieder gelockert werden musste, weil die Erledigung der den Gemeinden übertragenen<br />

Kriegsaufgaben ein gewisses Maß an Eigenständigkeit erforderte. 380 Das kommunale<br />

Verwaltungshandeln war während des Krieges mit zunehmender Tendenz von vier Faktoren<br />

geprägt, die Struktur und Aufgaben der Behörde <strong>Stadtverwaltung</strong> drastisch veränderten:<br />

1. Zusammensetzung und Organisation des Personals wandelten sich grundlegend. Der durch<br />

Einberufungen zur Wehrmacht und Abordnungen in besetzte Gebiete entstehende<br />

Personalmangel musste durch Aushilfskräfte, Personalumschichtungen, reaktivierte<br />

Ruhestandsbeamte und in einigen Bereichen durch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene<br />

aufgefangen werden. Zwangsläufig wuchs die Belastung des Stammpersonals, während der<br />

Grad der Professionalisierung insgesamt abnahm.<br />

2. <strong>Die</strong> „friedensmäßigen“ Arbeiten traten in den Hintergrund und kamen <strong>im</strong>mer mehr zum<br />

Erliegen, was sogar zur Schließung von Ämtern führte.<br />

3. <strong>Die</strong> Arbeit verlagerte sich zugunsten der Auftragsverwaltung, d. h. Aufgaben, die <strong>im</strong><br />

Auftrag der Reichsbehörden und Mittelinstanzen erledigt werden mussten. Dazu zählten<br />

insbesondere der zivile Luftschutz und die Bearbeitung der Kriegssachschäden, die<br />

Versorgung der Bevölkerung durch die Wirtschafts- und Ernährungsämter sowie die<br />

Unterstützung der Familien von Wehrmachtsangehörigen durch die Abteilung für<br />

Familienunterhalt.<br />

379 LHAKo Best. 662,6 Nr. 456 (unpaginiert), Abt. I vom 23.10.1939. Zum 1.4.1939 liefert eine andere Quelle z.<br />

T. stark abweichende Zahlen: 431 Beamte, 315 Angestellte und 601 Arbeiter; StAK 623 Nr. 9570, S. 131.<br />

380 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 317; Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und<br />

Partei, S. 197; Albert von Mutius: Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik. In: Jeserich u. a. (Hg.) Deutsche<br />

Verwaltungsgeschichte, S. 1055-1081, hier S. 1080. Gotto meint sogar, faktisch habe sich der Spielraum der<br />

Gemeinden erweitert, weil die Aufsichtsbehörden „weder ein Interesse noch die Kapazitäten“ für die<br />

Wahrnehmung ihrer neuen Befugnisse gehabt hätten; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 432.


262<br />

4. <strong>Die</strong> Zahl von Instanzen und Institutionen <strong>im</strong> polykratischen Geflecht, in dem die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> ihren Platz finden und behaupten musste, stieg ständig an. 381<br />

Ausgerechnet jetzt erhielt die Stadt ein neues Oberhaupt, dessen Ehrgeiz sich nur bedingt<br />

entfalten konnte und dessen Ideen unter den Kriegsbedingungen keine Chancen auf<br />

Verwirklichung bekamen.<br />

5.3 <strong>Die</strong> Ära Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer 1940 bis 1945<br />

5.3.1 S<strong>im</strong>mer – eitler Karrierist oder unabhängiger Kopf?<br />

Hatten sich die Ablösung Wittgens und die Berufung Habichts jahrelang hingezogen, ging die<br />

Einsetzung des nächsten Oberbürgermeisters geradezu hektisch und formalrechtlich<br />

fragwürdig vor sich. Angesichts des Krieges hatte niemand Interesse an einer langen Vakanz<br />

in einer großen Garnisonstadt in der Nähe der Westgrenze. Auf Wunsch des Gauleiters wurde<br />

die Stelle so schnell wie möglich, nämlich am 14. Dezember mit Fristablauf zum Jahresende,<br />

öffentlich ausgeschrieben. Noch während der Ausschreibungsfrist schlug Claussen als<br />

Parteibeauftragter dem Regierungspräsidenten den Landrat von Kreuznach, Dr. Nikolaus<br />

S<strong>im</strong>mer 382 (Abb. 20), vor. Mischke sprach sich am 22. Dezember 1939 gegenüber<br />

Terboven sofort für S<strong>im</strong>mer aus. <strong>Die</strong> Ausschreibung abzuwarten, bringe nur eine unnötige<br />

Verzögerung. S<strong>im</strong>mer habe sich als Landrat „bewährt. Er ist intelligent und initiativ<br />

veranlagt. Ich glaube, erwarten zu dürfen, dass er der zugedachten neuen Aufgabe gewachsen<br />

ist.“ In einem internen Vermerk des Oberpräsidiums vom 29. Dezember hieß es: „Da<br />

zwischen dem Vertreter des Oberbürgermeisters, Dr. Wirtz, und dem Gau erhebliche<br />

Spannungen bestünden, lege sowohl der Gauleiter als auch der Regierungspräsident großen<br />

Wert darauf, daß die Ernennung des neuen Oberbürgermeisters möglichst zum 1. Januar 1940<br />

erfolgen könne.“ Der Oberpräsident erklärte per Eilboten sein Einverständnis mit der<br />

Berufung und beauftragte die Stadt trotz der noch laufenden Ausschreibung, S<strong>im</strong>mer<br />

umgehend zum Oberbürgermeister zu ernennen. Da die DGO einen solchen Fall logischer-<br />

weise gar nicht vorsah, behalf man sich mit einem Trick, indem der Oberpräsident<br />

nachträglich die Möglichkeit des Verzichts auf eine Ausschreibung nach § 41 Abs. 4 DGO<br />

ausnutzte. 383 S<strong>im</strong>mer war zu diesem Zeitpunkt noch Beamter <strong>im</strong> Staatsdienst, seine nach<br />

381 NB, 3./4.2.1940: Von der Friedens- und Kriegswirtschaft; Jörn Brinkhus: Auftragsverwaltung der Gemeinden<br />

<strong>im</strong> Krieg. Das Beispiel rheinischer und westfälischer Städte. In: Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

NS, S. 215-242; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 275 f.<br />

382 StAK 623 Nr. 3232; LHAKo Best. 441 Nr. 35592; ebd. Best. 856 Nr. 90202; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 441-444; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten,<br />

S. 747 f.<br />

383 LHAKo Best. 403 Nr. 17248, S. 117-122, Zitate S. 117, 121; ebd. Best. 441 Nr. 43657, S. 173-193. Im<br />

„Personal-Blatt“ der NSDAP von ca. 1943 wurde S<strong>im</strong>mer mit „Körperlich gesund und leistungsfähig.<br />

Intelligent, zielbewußt, aktiv und fleißig.“ charakterisiert; BArch (ehem. BDC), PK, S<strong>im</strong>mer, Nikolaus,<br />

11.11.1902 (unpaginiert).


263<br />

§ 42 Abs. 2 DGO notwendige Beurlaubung als Landrat sprach das Innenministerium erst vier<br />

Tage nach seiner Amtseinführung aus. 384 Dass an der Eignung S<strong>im</strong>mers keinerlei Zweifel<br />

bestanden, wird unterstrichen durch die Tatsache, dass Mischke schon <strong>im</strong> April 1940 mit<br />

S<strong>im</strong>ons Einverständnis den Oberpräsidenten um Verkürzung des Probejahres bat, nicht<br />

zuletzt, um die vakante Landratsstelle wiederbesetzen zu können. Der Oberpräsident erklärte<br />

sich ausnahmsweise einverstanden, sodass S<strong>im</strong>mers Berufung zum Oberbürgermeister<br />

endgültig wurde. 385<br />

Mit S<strong>im</strong>mer verjüngte sich die Stadtspitze ein weiteres Mal. Geboren am 11. November 1902<br />

in Besch an der Obermosel (Kreis Saarburg), war er mit seinen erst 37 Jahren der jüngste<br />

Oberbürgermeister, den <strong>Koblenz</strong> je hatte. Er war außerdem der erste konfessionslose<br />

Oberbürgermeister, denn S<strong>im</strong>mer war 1937 aus der katholischen Kirche ausgetreten. 386<br />

Bei seiner feierlichen Amtseinführung in der Ratsherrensitzung am 6. Januar 1940<br />

durch Regierungspräsident Mischke, an der auch Regierungsrat Bruno Quast von der<br />

Kommunalabteilung teilnahm, bezeichneten sowohl Mischke als auch S<strong>im</strong>mer Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on als den wahren Initiator bei der Besetzung des Oberbürgermeisterpostens. Mischke<br />

betonte in seiner Ansprache die Befähigung, die S<strong>im</strong>mer als Gauwirtschaftsberater und als<br />

Landrat bewiesen habe, und dass ihn „ein besonderes Vertrauensverhältnis mit dem Gauleiter<br />

verbinde. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Partei sei nie dringender<br />

gewesen als jetzt, wo das deutsche Volk den Kampf um sein Dasein führt.“ S<strong>im</strong>mer wiederum<br />

„versicherte, der Berufung rückhaltlos gefolgt zu sein, aus dem Wunsche heraus, grössere<br />

Aufgaben zu erhalten, als sie ihm als Landrat gestellt gewesen seien.“ 387<br />

Damit waren die beiden Spannungspole genannt, die S<strong>im</strong>mers Arbeit als Oberbürgermeister<br />

best<strong>im</strong>men sollten und die er selbst sowie mehrere Zeugen in seinem späteren Spruch-<br />

kammerverfahren beschrieben: Auf der einen Seite die persönliche Beziehung zum Gauleiter,<br />

eine Duz-Freundschaft, die aus der gemeinsamen Studienzeit in Frankfurt am Main herrührte,<br />

sich aber bereits in einem Stadium der Entfremdung befand. Auf der anderen Seite das eitle<br />

Selbstbewusstsein eines hoch qualifizierten Intellektuellen, der sich voller Ehrgeiz gegen eine<br />

Universitätslaufbahn und für die Politik als seinen persönlichen Karriereweg entschieden<br />

hatte. 388<br />

384<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 455; ebd. Nr. 43657, S. 195.<br />

385<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 207-210.<br />

386<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 441 f. 1947 trat S<strong>im</strong>mer wieder in die Kirche ein; ebd., S.<br />

442.<br />

387<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 392-394, Zitate S. 393 f. Vgl. drei Fotos der Amtseinführung in LHAKo Best. 856 Nr.<br />

90202. Mischke trägt dabei die Uniform eines SS-Oberführers. Vgl. NB, 6./7.1.1940: Pg. Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer;<br />

ebd.: Heute Einführung des neuen Oberbürgermeisters; NB, 8.1.1940: „Bedeutende Aufgaben sind jetzt zu<br />

erfüllen“.<br />

388<br />

Der ehemalige Trierer Oberbürgermeister, Dr. Heinrich Weitz, 1945-1947 OB von Duisburg, 1947-1952<br />

Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, sagte aus: „Ich habe ihn nur in Erinnerung als einen sehr eitlen,<br />

ehrgeizigen jungen Politiker.“; LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Weitz vom 8.9.1949.


264<br />

S<strong>im</strong>mer stammte aus wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen. Sein Vater Johann S<strong>im</strong>mer, ein<br />

gebürtiger Luxemburger, war Landwirt gewesen. Nach dessen Tod 1917 389 erhielt S<strong>im</strong>mer,<br />

der wie seine beiden Brüder 390 studieren sollte, sein Erbteil ausgezahlt, das er später durch die<br />

Inflation verlor. Nach dem Besuch des Lehrerseminars in Wittlich legte S<strong>im</strong>mer 1923 das<br />

Lehrerexamen ab, fühlte sich aber unterfordert. Zwei Jahre lang arbeitete er als kauf-<br />

männischer Angestellter in Saarbrücken, um sich das Geld für ein Studium als Werkstudent<br />

zu verdienen. Ab 1925 studierte er Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Handels-<br />

hochschule Berlin und ab 1926 an der Universität Frankfurt am Main. 391 Dort lernten sich<br />

S<strong>im</strong>mer und S<strong>im</strong>on kennen: „S<strong>im</strong>on zeigte sich damals als echter Kamerad. Wir waren<br />

Freunde.“ Doch mit zunehmender Machtausstattung „änderte sich Wesen und Charakter von<br />

S<strong>im</strong>on. Der spätere Gauleiter S<strong>im</strong>on hatte mit dem Studenten und Kameraden S<strong>im</strong>on nichts<br />

mehr zu tun. S<strong>im</strong>on bewegte sich zum Schluß in Gedankengängen, die mich erschraken. Ich<br />

hielt ihn zum Schluß für einen seelisch und geistig kranken Menschen.“, schrieb S<strong>im</strong>mer<br />

rückblickend. 392 S<strong>im</strong>mer schloss sich dem NS-Studentenbund an, für den er 1927 in der<br />

Studentenvertretung saß. 393 Im Februar 1927 trat er der NSDAP bei – und nicht erst <strong>im</strong><br />

November 1932, wie er selbst in seinem Spruchkammerverfahren angab. <strong>Die</strong>s ist ein Beispiel<br />

für S<strong>im</strong>mers bis in jüngste Zeit erfolgreiche „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei), die u. a.<br />

auf einer 23-seitigen, mit „Mein Lebenslauf“ überschriebenen Rechtfertigungsschrift gründet,<br />

die er für die Spruchkammer verfasst hatte. 394<br />

Seine Examina als Diplom-Kaufmann und Diplom-Handelslehrer sowie seine Promotion zum<br />

Doktor rer. pol. 395 absolvierte S<strong>im</strong>mer 1929 mit „sehr gut“ in nur acht Semestern, obwohl er<br />

gleichzeitig als Externer das Abitur nachholen musste und keine finanzielle Unterstützung<br />

von zu Hause erhielt. 1929/30 hatte S<strong>im</strong>mer eine Anstellung als Diplom-Handelslehrer an der<br />

Höheren Handelsschule der Stadt Frankfurt am Main. <strong>Die</strong> Universität wollte seine<br />

beachtlichen Studienleistungen honorieren und ihm eine wissenschaftliche Laufbahn<br />

ermöglichen. Unter 4.000 Studenten wurde S<strong>im</strong>mer für ein Auslandsstipendium an der<br />

389<br />

S<strong>im</strong>mer nennt als Todesjahr 1916, Johann S<strong>im</strong>mer starb aber am 24.2.1917 in Besch/Mosel; Standesamt Perl,<br />

Sterbeurkunde Nr. 10/1917.<br />

390<br />

Bruder Peter, * 18.9.1905, schlug eine ähnliche Laufbahn ein: Auch er studierte nach dem Lehrerexamen in<br />

Frankfurt Wirtschaftswissenschaften und promovierte 1933. In der NSDAP bekleidete er die Ämter eines<br />

Ortgruppen- und Kreisleiters, von 1934 bis 1945 war er Landrat von Ahrweiler. Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 44 f.; Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S.<br />

748.<br />

391<br />

StAK 623 Nr. 3232, S. 3, 26; LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 21; ebd. Nr. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Mein<br />

Lebenslauf, S. 2.<br />

392<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949.<br />

393<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 33. Vgl. St<strong>im</strong>mzettel zu den Asta-Wahlen 1927 mit Gerd Rühle an erster und<br />

S<strong>im</strong>mer an zweiter Stelle; Abb. in: NB, 1.7.1933: Aus dem Leben eines Kämpfers.<br />

394<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Mein Lebenslauf. Dorfey führt ihn explizit als Beispiel für den<br />

relativ späten Parteibeitritt eines Kreisleiters auf; Dorfey: „Goldfasane“, S. 310 f., 370. In der Personalakte der<br />

Regierung wird dagegen das Eintrittsdatum Februar 1927 mehrfach genannt; LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 3,<br />

8, 10, 33. Zum Eintrittsdatum 12.2.1927 vgl. auch BArch (ehem. BDC), PK, S<strong>im</strong>mer Nikolaus, 11.11.1902;<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 443 (irrtümlich Mitglieds-Nr. 56310 statt 56307).<br />

395<br />

Wandlungen in der Kapitalanlagepolitik der privaten deutschen Versicherungsgesellschaften seit der<br />

Währungsstabilisierung. Bielefeld 1931. Univ. Diss. Frankfurt am Main 1929.


265<br />

Universität von Philadelphia vorgeschlagen, das er 1931/32 nach vorherigen Studienauf-<br />

enthalten in London und Paris absolvierte. Erst in den USA, wo er über die Gefahren<br />

des Bolschewismus aufgeklärt worden sei und eine Synthese aus Liberalismus und<br />

Kollektivismus als die für Deutschland geeignete Wirtschaftsform erkannt habe, sei er<br />

Nationalsozialist geworden 396 . <strong>Die</strong>se Behauptung wird nicht nur durch sein früheres<br />

Parteieintrittsdatum widerlegt, S<strong>im</strong>mer hielt <strong>im</strong> Gegenteil in den USA Propagandavorträge.<br />

Bei seiner Rückkehr 1932 entschied er sich gegen eine akademische Laufbahn und ging in die<br />

Politik, wo ihm angesichts des akuten Mangels an qualifizierten Parte<strong>im</strong>itgliedern eine rasche<br />

Karriere als Gauredner, Vorsitzender der Trierer Stadtratsfraktion und Landtagsabgeordneter<br />

gelang. Kommissarisch war er zudem vom November 1932 bis Mai 1933, also in einer ganz<br />

entscheidenden Phase des Kampfes um die politische Macht, Kreisleiter von Trier. Nach der<br />

Machtergreifung wurde S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> April 1933 zunächst kommissarisch Trierer Landrat, <strong>im</strong><br />

November erfolgte seine Bestätigung. Mit großem Elan und fachlicher Kompetenz ging<br />

S<strong>im</strong>mer die Bekämpfung der regionalen Wirtschaftsprobleme 397 an. Am 30. März 1935<br />

heiratete er in Trier Jungmädelführerin 398 Hedwig Dujardin, 1913 als Tochter eines<br />

Rechtsberaters in Mayen geboren, mit der er drei Töchter bekam. 399<br />

S<strong>im</strong>on war von S<strong>im</strong>mers politischer Zuverlässigkeit und fachlichen Fähigkeiten so überzeugt,<br />

dass er ihn <strong>im</strong> Februar 1935 Göring – erfolglos – als Ersatz für den Trierer Regierungs-<br />

präsidenten vorschlug, 400 dessen Ablösung er forderte. Zum selben Zeitpunkt übernahm<br />

S<strong>im</strong>mer kommissarisch und ehrenamtlich das Parteiamt des Gauwirtschaftsberaters. In dieser<br />

Funktion veröffentlichte er Schriften, 401 für deren Verbreitung er selbstbewusst sorgte, 402<br />

bemühte sich um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in der strukturschwachen Region und<br />

396<br />

Zu seiner politischen Sozialisation vgl. S<strong>im</strong>mers autobiografische Erinnerungen, die er 1968 unter einem<br />

Pseudonym herausgab (Jochem war der Mädchenname seiner Mutter): Klaus S<strong>im</strong>mer-Jochem (Hg.): Generation<br />

ohne Hoffnung. Aufzeichnungen des Robert Grenzmann aus den Jahren 1913-1933. Hannover 1968. <strong>Die</strong><br />

Veröffentlichung mit apologetischem Charakter zeigt z. B. in der Behandlung der „Negerfrage“ und in der<br />

postulierten Überlegenheit des Europäers, dass sich S<strong>im</strong>mer auch 1968 noch nicht vom Rassismus distanziert<br />

hatte.<br />

397<br />

Vgl. S<strong>im</strong>mers Veröffentlichungen „<strong>Die</strong> Lösung der Winzerfrage“ sowie „<strong>Die</strong> Lösung des Saargrenzproblems<br />

<strong>im</strong> Landkreise Trier“, beide Schweich o. J. [1933].<br />

398<br />

S<strong>im</strong>mers Frau war kein NSDAP-Mitglied; LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Z<strong>im</strong>och vom<br />

10.6.1949.<br />

399<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 11-72; ebd. Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Mein Lebenslauf; Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 441-443. Aus seinen Erfahrungen in den USA resultierte S<strong>im</strong>mers<br />

Artikel „<strong>Die</strong> amerikanische Wirtschaftskrise, eine Kredit- und Finanzkrise.“ In: Bankwissenschaft 9 (1932/33),<br />

H. 20, S. 630-636.<br />

400<br />

BArch R 431/257, Bl. 197-199; Bollmus: Trier und der NS, S. 534-536.<br />

401<br />

Denkschrift „<strong>Die</strong> Erweiterung der landwirtschaftlichen Grundlagen <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier“; BArch R<br />

2/18925; ebd. R 43-II/193. Aufruf „Versailles. Grenzlandnot <strong>im</strong> Westen. Aufruf an die deutsche Wirtschaft“;<br />

BArch RH 37/218. Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier als Beispiel einer<br />

Planungsarbeit <strong>im</strong> neuen Staat. In: Zeitschrift für Betriebswissenschaft 12 (1935), S. 262-278.<br />

Wirtschaftsstrukturelle Probleme des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier und Vorschläge zu ihrer Lösung. In: Der Grenzgau<br />

<strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld, Ausgabe Juli 1936, S. 107-114.<br />

402<br />

Am 11.10.1935 schickte er z. B. sein Arbeitsbeschaffungsprogramm an Reichsleiter Fiehler zur Kenntnis,<br />

nicht ohne auf die Vorteile und die laufende Durchführung in dem von ihm geleiteten Landkreis Trier zu<br />

verweisen; BArch NS 25/240, S. 31.


266<br />

organisierte z. B. Aktionen zur Steigerung des Weinabsatzes. 403 Als seine Erfolge als Landrat<br />

und Gauwirtschaftsberater von S<strong>im</strong>on und der Propaganda einseitig für die Partei verbucht<br />

wurden, 404 geriet S<strong>im</strong>mer nach eigenen Angaben zwischen die Fronten von Partei und Staat,<br />

personifiziert durch die Rivalen S<strong>im</strong>on und Terboven. Der Oberpräsident habe die von ihm<br />

vertretene staatliche Machtposition geschwächt gesehen und S<strong>im</strong>mer vor die Alternative<br />

gestellt, eines seiner beiden Ämter aufzugeben. S<strong>im</strong>mer legte daraufhin am 26. Oktober 1935<br />

das Parteiamt nieder. Wegen dieser Vereinnahmung seiner persönlichen Erfolge durch die<br />

Partei habe er innerlich mit ihr gebrochen. <strong>Die</strong>se Behauptung ist zumindest für diesen frühen<br />

Zeitpunkt unglaubwürdig, denn S<strong>im</strong>mer stellte sich weiterhin in den <strong>Die</strong>nst der Partei, doch<br />

dürfte seine Eitelkeit erheblich gekränkt gewesen sein. Am 23. November erlitt er einen<br />

Nervenzusammenbruch, der laut ärztlichem Attest auf Überarbeitung zurückzuführen war. Er<br />

meldete sich mehrere Wochen dienstunfähig und fuhr in Genesungsurlaub. Währenddessen<br />

wurde S<strong>im</strong>mer trotz seines Amtsverzichts am 30. Dezember unter dem Vorwurf des<br />

fahrlässigen Landesverrats in den einstweiligen Ruhestand versetzt, angeblich, weil er in<br />

einem Presseartikel 405 und in einem Vortrag den Gau für den Kriegsfall als „Räumungs-<br />

gebiet“ bezeichnet hatte. 406 Aber schon <strong>im</strong> Januar 1936 wurde S<strong>im</strong>mer durch seine zunächst<br />

kommissarische Berufung zum Landrat von Kreuznach reaktiviert. Daneben nahm er sogar<br />

das auf Verlangen Terbovens niedergelegte Amt als Gauwirtschaftsberater wieder auf,<br />

eine Tatsache, die <strong>im</strong> Spruchkammerverfahren unerwähnt blieb, wobei S<strong>im</strong>mer<br />

verständlicherweise stets nur die Niederlegung des Parteiamtes betonte. 407 Der Posten als<br />

Gauwirtschaftsberater beanspruchte ihn so sehr, dass der Regierungspräsident monatelang<br />

zögerte, seine endgültige Bestätigung zu beantragen, weil er die Befürchtung hegte, S<strong>im</strong>mer<br />

vernachlässige sein Landratsamt. 408 Oberpräsident Terboven machte die endgültige<br />

Einweisung <strong>im</strong> März 1937 von der erneuten Niederlegung des Parteiamtes abhängig, die<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on dem Regierungspräsidenten gegenüber erfolglos ablehnte. 409 Als<br />

403 <strong>Die</strong> sog. Weinpatenschaften bezeichnete S<strong>im</strong>mer als seine Idee und sein Werk; StAK 623 Nr. 3232, S. 81.<br />

Auch dies entspricht nur halb der Wahrheit. Zwar förderte und organisierte S<strong>im</strong>mer Weinpatenschaften, doch die<br />

Idee stammte nicht von ihm. Mitteilung von Herrn Christof Krieger M.A., Mittelmosel-Museum Traben-<br />

Trarbach, vom 8.11.2010. Vgl. NB, 25.6.1936: <strong>Die</strong> Reichswerbung für Wein der Westmark; Erwin Schaaf:<br />

Weinpatenschaften – <strong>Die</strong> Überwindung der Winzernot in der NS-Zeit. In: Jahrbuch Kreis Bernkastel-Wittlich<br />

1998, S. 154-166.<br />

404 NB, 11.11.1933: Großer Sieg der Arbeitsschlacht <strong>im</strong> Westen [zwei Sonderseiten].<br />

405 NB, 2.7.1935: <strong>Die</strong> Wirtschaftsnot des Westmarkgaues.<br />

406 StAK 623 Nr. 3232, S. 8; LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 79-93; ebd. Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert),<br />

Mein Lebenslauf, S. 6-8; Bollmus: Trier und der NS, S. 537 f.<br />

407 StAK 623 Nr. 3232, S. 9; LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 113 f.; NB, 15.1.1936: Pg. Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer<br />

Landrat in Kreuznach; NB, 25.6.1936: <strong>Die</strong> Reichswerbung für Wein der Westmark. Da S<strong>im</strong>mers neuer<br />

<strong>Die</strong>nstsitz näher an <strong>Koblenz</strong> lag, wurde der Sitz des Gauwirtschaftsberaters ab 1.2.1935 von Trier nach <strong>Koblenz</strong><br />

verlegt. Auch Maier vermerkt nur die Niederlegung des Parteiamtes, was einmal mehr S<strong>im</strong>mers erfolgreiche<br />

„Vergangenheitspolitik“ belegt. Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 443.<br />

408 LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 162-191, 259-323. Außerdem erkundigte sich der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Regierungspräsident bei seinem Trierer Kollegen vertraulich über S<strong>im</strong>mers Tätigkeit in Trier, insbesondere über<br />

die Verschuldung des Landkreises. Dazu kam, dass <strong>im</strong> Dezember 1936 der ehemalige Trierer Kreisbaurat<br />

Vorwürfe gegen S<strong>im</strong>mer erhob, worauf dieser – nachdem er von OP und RP dazu gedrängt wurde – ein<br />

<strong>Die</strong>nststrafverfahren gegen sich selbst beantragte. Im Februar 1937 verzichtete der RP auf dessen Eröffnung.<br />

409 LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 325-329.


267<br />

Kreuznacher Landrat geriet S<strong>im</strong>mer in ständige Auseinandersetzungen mit der Partei, vor<br />

allem in Person des örtlichen Kreisleiters, dessen Einmischungsversuche er zurückwies. 410<br />

Schon als Trierer Landrat hatte sich S<strong>im</strong>mer 1935 bei einer Personalentscheidung über den<br />

dortigen Kreisleiter hinweggesetzt. 411 Nach dem Tod des Trierer Oberbürgermeisters Christ<br />

<strong>im</strong> März 1938 brachte S<strong>im</strong>on S<strong>im</strong>mer als Nachfolgekandidaten ins Gespräch, konnte sich<br />

aber wieder nicht durchsetzen 412 – ein weiteres Anzeichen für die relativ schwache Position<br />

und begrenzte Machtfülle des Gauleiters. 413<br />

S<strong>im</strong>mers Ernennung zum <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeister sei eine große Überraschung<br />

gewesen, sagte seine Frau 1949 vor der Spruchkammer aus, denn seine „parteifeindlichen<br />

Einstellungen“ habe das Ehepaar fest mit seiner Abberufung als Landrat rechnen lassen.<br />

S<strong>im</strong>on habe ihr gesagt, dies sei ein „schwerer Entschluß“ für ihn gewesen, aber er hätte für<br />

<strong>Koblenz</strong> einen „tüchtigen Mann“ gebraucht. 414 S<strong>im</strong>on war nach dem für ihn sicher<br />

enttäuschenden Weggang Habichts, um den er so lange gekämpft hatte, aber nicht nur auf<br />

einen versierten Fachmann von Format angewiesen. Selbst wenn es später zu Differenzen mit<br />

S<strong>im</strong>mer kam, musste er 1940 noch von dessen uneingeschränkter Loyalität und politischen<br />

Zuverlässigkeit überzeugt gewesen sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass S<strong>im</strong>on, der an<br />

seinem 40. Geburtstag am 2. August 1940 zum Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg<br />

bestellt wurde, S<strong>im</strong>mer zusätzlich zum Leiter der dortigen Wirtschaftsabteilung, 415 zum<br />

Staatskommissar in Bad Mondorf 416 und kommissarischen Leiter des Staatsbades Mondorf<br />

machte, was die häufige Anwesenheit des Oberbürgermeisters in Luxemburg mit sich<br />

brachte. 417 Daneben blieb S<strong>im</strong>mer als Gauredner aktiv 418 und bewies dadurch, dass er<br />

weiterhin auf dem Boden der NS-Ideologie stand und für die Partei eintrat. S<strong>im</strong>mer hatte ein<br />

Gespür für die Bedeutung repräsentativer Details: Im Laufe des Jahres 1941 änderte sich der<br />

Briefkopf der <strong>Stadtverwaltung</strong> von „Der Oberbürgermeister der Stadt <strong>Koblenz</strong>“ in „Der<br />

410<br />

Dorfey: „Goldfasane“, S. 336 f.; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 443; LHAKo Best. 856<br />

Nr. 90202 (unpaginiert), Klageschrift vom 15.11.1949.<br />

411<br />

Walter Kettemann/Ludwig Klein: Nikolaus Grundhöfer und die machtpolitischen Konstellationen in Ehrang<br />

1933 bis 1939. In: Ehranger He<strong>im</strong>at 2010, S. 262-271, hier S. 269 f.<br />

412<br />

Bollmus: Trier und der NS, S. 540.<br />

413<br />

Romeyk beurteilt das Durchsetzungsvermögen S<strong>im</strong>ons in Personalfragen sehr positiv und führt als Beispiel<br />

die Besetzung der beiden Regierungspräsidentenstellen in Trier und <strong>Koblenz</strong> mit Heinrich Siekmeier und Dr.<br />

Gerhard Mischke an; Romeyk: Der Gau Moselland in der nationalsozialistischen Reichsreform, S. 250.<br />

414<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Hedwig S<strong>im</strong>mer-Dujardin vom 5.11.1949.<br />

415<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 509; Dostert: Luxemburg zwischen Selbstbehauptung, S. 80; Hans-Erich<br />

Volkmann: Luxemburg <strong>im</strong> Zeichen des Hakenkreuzes. Eine politische Wirtschaftsgeschichte 1933 bis 1944<br />

(Zeitalter der Weltkriege 7). Paderborn 2010, S. 182, 191 f., 288 f., 387, 465 f.<br />

416<br />

Eine <strong>Die</strong>nstreise nach Berlin <strong>im</strong> September 1940 nutzte S<strong>im</strong>mer auch zu einer Besprechung wegen Bad<br />

Mondorf; StAK 623 Nr. 6712, S. 29.<br />

417<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 443. S<strong>im</strong>mer meldete sich am 30.3.1942 sogar von seiner<br />

<strong>Die</strong>nstwohnung Rheinau 1 polizeilich nach Luxemburg, Großgasse, ab. StAK M 161, Familienblatt Ablage<br />

Rheinau.<br />

418<br />

Beispiele: NB, 21.2.1940: Durch Kampf und Opfer zum Sieg; NB Nr. 259: 4.11.1943: Der Krieg, eine<br />

unabwendbare Schicksalsentscheidung.


268<br />

Oberbürgermeister der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong>“. 419 Damit unterstrich er nach der Erweiterung<br />

des Gaugebietes um Luxemburg Anfang Februar 1941 und der damit erfolgten Umbenennung<br />

des Gaues in „Moselland“ den Status seiner Stadt, die jetzt geografisch gesehen an den Rand<br />

gedrängt war.<br />

Mehrere Zeugen bestätigten <strong>im</strong> Spruchkammerverfahren, S<strong>im</strong>mer habe be<strong>im</strong> Personal auf<br />

Charakter und Fähigkeiten, nicht auf Parteizugehörigkeit gesehen. Bei ihm habe das<br />

Leistungsprinzip gegolten. 420 Schon in seinem Begrüßungsschreiben an alle städtischen<br />

<strong>Die</strong>nststellen vom 13. Januar 1940 erklärte S<strong>im</strong>mer, dessen persönlicher Werdegang von<br />

Selbstdisziplin, Fleiß und Aufstiegswillen geprägt war, es sei gleichgültig, in welcher Stellung<br />

sich der Einzelne befinde: „Best<strong>im</strong>mend ist [sic] nur Pflichttreue, Leistung und Erfolg.“ 421<br />

Was er 1941 dem Staatssekretär <strong>im</strong> Reichspropagandaministerium, Leopold Gutterer,<br />

ebenfalls ein ehemaliges Mitglied „der kleinen Frankfurter Studentengruppe“, schrieb, zeugt<br />

von einem gewissen Neid auf dessen „so hohe politische Verantwortung“ und verrät sein<br />

eigenes Lebensziel: „Große Verantwortung haben, ist doch das Schönste, was einem<br />

Menschen gegeben werden kann.“ 422 Nach Aussagen seines Beigeordneten Hansmeyer<br />

beklagte S<strong>im</strong>mer in späteren Jahren mehrfach, dass er die Diktatur der Partei nicht mehr<br />

ertrage. <strong>Die</strong> Partei beanspruche jede Initiative und ersticke schöpferische Leistung, dies habe<br />

nichts mehr mit dem zu tun, was sie anfangs gelehrt habe. An einzelnen Parteigrößen habe er<br />

deutliche Kritik geübt und sie „Schaumschläger“, „Nichtskönner“ und „Hohlköpfe mit<br />

ungesundem Ehrgeiz und krankhaftem Machthunger“ genannt. Vom Ermittler des<br />

Öffentlichen Klägers wurde er als „anständiger und gerechter Mensch“, in seinem Auftreten<br />

aber gleichzeitig „als herrisch und anmaßend“ beschrieben. Lanters bescheinigte ihm, er habe<br />

trotz seines relativ jungen Alters die Stadt in den Kriegsjahren mit „Umsicht und verant-<br />

wortungsvollem Ernst“ geführt. 423 Wie Gauleiter S<strong>im</strong>on klein von Gestalt, 424 war S<strong>im</strong>mer<br />

unter den städtischen Bediensteten als streng bekannt und wegen seines cholerischen<br />

Temperaments gefürchtet. 425<br />

419<br />

StAK 623 Nr. 11614 (unpaginiert), Briefbogen vom 6.1.1941; LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 735,<br />

Briefbogen vom 3.10.1941. Erst ab August 1955 lautete die Behördenfirma der <strong>Stadtverwaltung</strong> nicht mehr „Der<br />

Oberbürgermeister der Stadt <strong>Koblenz</strong>“, sondern „<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>“; StAK 623 Nr. 9953, S. 109.<br />

420<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Protokoll vom 13.12.1949.<br />

421<br />

StAK 623 Nr. 9568, S. 9.<br />

422<br />

StAK 623 Nr. 6873, S. 716.<br />

423<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Hansmeyer vom 18.12.1948, Z<strong>im</strong>och vom 10.6.1949,<br />

Ermittlungsbeamter vom 19.9.1949, Lanters vom 26.7.1948.<br />

424<br />

S<strong>im</strong>mer war 1,63 m groß; StAK 623 Nr. 3232, S. 150. Ein Trierer Alter Kämpfer beschrieb <strong>im</strong> März 1933<br />

den „sehr jugendliche[n] Kreisleiter“ S<strong>im</strong>mer als „ein winziges Männlein mit typisch französischem Äußeren<br />

und somit geradezu eine groteske Illustration zu den Auseinandersetzungen unserer Führer über die Bedeutung<br />

von Blut und Rasse.“ LHAKo Best. 662,3 Nr. 61, S. 171-187, gekürzt veröffentlicht in: Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S.<br />

310-312, Zitate S. 311.<br />

425<br />

StAK N 91 Nr. 4 (unpaginiert), Franz Grosse vom 18.4.1942; Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom<br />

7.10.2009. Seine gerötete Gesichtsfarbe brachte ihm den Spitznamen „Tomatenköpfchen“ ein. Mitteilung von<br />

Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009. Vgl. StAK 623 Nr. 3232, S. 105.


5.3.2 Das Personal<br />

269<br />

<strong>Die</strong> beiden dringendsten Personalprobleme, die S<strong>im</strong>mer erwarteten, waren die Neubesetzung<br />

der Stelle des Ersten Beigeordneten und Bürgermeisters sowie die Beendigung der<br />

Dauerfehde zwischen dem Beigeordneten und Stadtkämmerer Wirtz und Kreisleiter Claussen.<br />

Wirtz war inzwischen so zermürbt, dass er sich schon Mitte November 1939 bereit erklärt<br />

hatte, eine neue Stelle außerhalb von <strong>Koblenz</strong> zu suchen. Als seine Bewerbungen erfolglos<br />

blieben, reichte der 51-Jährige am 19. Dezember be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten ein<br />

Pensionierungsgesuch ein. Offenbar erhoffte er sich auch unter Habichts Nachfolger keine<br />

Besserung seiner Situation. Wirtz schrieb rückblickend, S<strong>im</strong>mer habe denn auch aufgrund des<br />

Einflusses des Kreisleiters eine Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt und ihm bei seiner<br />

Amtseinführung „die Forderung der Partei auf meine Amtsenthebung“ mitgeteilt. Claussen<br />

stellte sich nun aber plötzlich gegen das Pensionierungsgesuch und behauptete, Wirtz habe<br />

einen Pensionsverzicht zugesagt. Nur unter dieser Bedingung habe der Gauleiter „nach<br />

einigem Zögern“ genehmigt, das Verfahren aufgrund § 71 DBG zurückzustellen. Wenn Wirtz<br />

seine Pension verlange, werde jede Absprache hinfällig. Außerdem warf Claussen Wirtz<br />

ablehnende Äußerungen über allgemeine Anordnungen des Stellvertreters des Führers vor,<br />

die die Gaufrauenschaftsleiterin denunziert hatte. Wirtz entgegnete, von einem Verzicht sei<br />

nie die Rede gewesen, nur von der Aussetzung der bereits erdienten Pension, falls er einen<br />

mindestens gleichwertig bezahlten Posten finden sollte: „Ich habe, wie Sie wissen, mich<br />

bereit erklärt, als Bürgermeister und Kämmerer nach Lodz zu gehen, diese Stelle aber ohne<br />

meine Schuld nicht bekommen.“ Auf Vermittlung des Regierungspräsidenten und des<br />

Oberpräsidenten wurde ihm dann eine Stelle be<strong>im</strong> RWE Essen oder der Übertritt zur<br />

Thüringer Gasgesellschaft angeboten, nachdem Wirtz S<strong>im</strong>mer am 8. Januar um eine<br />

Entscheidung in seiner Sache gebeten hatte. Schon einen Tag später sei die Rücksprache mit<br />

dem Gauleiter und dem Regierungspräsidenten erfolgt, dass er endgültig ausscheiden solle.<br />

S<strong>im</strong>mer habe ihm ein Rechtsgutachten und neue Verhandlungen angekündigt. Wirtz drängte<br />

auf „endliche Bereinigung“ der Angelegenheit, die seine Arbeit „seit Monaten seelisch<br />

belastet“, und beteuerte, die Vorwürfe wegen Verstoßes gegen Parteigrundsätze seien ihm<br />

„unerklärlich“. Claussen aber, dem gemäß § 33 Abs. 1 DGO ein Mitwirkungsrecht bei der<br />

Abberufung von Beigeordneten zustand, beharrte noch <strong>im</strong> Februar auf seiner ablehnenden<br />

Haltung. 426<br />

Damit stand er inzwischen aber auf verlorenem Posten, denn alle Beteiligten, nach Wirtz in<br />

erster Linie S<strong>im</strong>mer, hatten ein Interesse an einer Bereinigung der Lage und einem<br />

Neuanfang. Es wurden schließlich komplizierte vertragliche Regelungen gefunden, die am<br />

29. Februar 1940 fixiert wurden und Wirtz’ Übertritt zur Energieversorgung Mittelrhein zum<br />

426 StAK 623 Nr. 2619, Zitate S. 106, 108 f., 127.


270<br />

1. April 1940 ermöglichten. In einer beigefügten „Erklärung“ heißt es: „Herr Dr. Wirtz<br />

scheidet wegen Meinungsverschiedenheiten und der dadurch in der Führung seines Amtes<br />

entstandenen Schwierigkeiten als Beamter der Stadt <strong>Koblenz</strong> aus, um bei der Thüringer<br />

Gasgesellschaft in Leipzig eine andere Tätigkeit aufzunehmen.“ Da diese aber nur einen<br />

Vertrag auf drei Jahre abschließen konnte, wurde mit Rücksicht auf die fast 20-jährige<br />

Tätigkeit von Wirtz bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> vereinbart, dass Wirtz bis zu seiner<br />

Pensionierung offiziell in den <strong>Die</strong>nst der EVM übertrat, um ihm ein sicheres Vertrags-<br />

verhältnis und seine Pensionsansprüche zu garantieren. Von der EVM wurde Wirtz dann<br />

beurlaubt, damit ihn die Thüringer Gasgesellschaft beschäftigten konnte. 427<br />

Fast zeitgleich mit Wirtz trat sein Hauptkontrahent, Kreisleiter Claussen, von der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Bühne ab. Er wurde am 20. Februar 1940 zur Wehrmacht einberufen und fiel am 3. August<br />

1941 an der Ostfront. 428 Im März 1940 wurde Wilhelm („Willi“) Cattepoel (Abb. 26) sein<br />

zunächst kommissarischer Nachfolger. Der 1898 in Bendorf geborene Buchhalter, seit 1930<br />

Parte<strong>im</strong>itglied, war ehemaliger Ortsgruppenleiter seines He<strong>im</strong>atortes und stand schon seit<br />

März 1939 hauptamtlich als Kreisgeschäftsführer der Kreisleitung in den <strong>Die</strong>nsten der<br />

NSDAP. Von Oktober 1939 bis März 1940 hatte er als Oberfeldwebel be<strong>im</strong> He<strong>im</strong>at-<br />

Kraftfahrpark in <strong>Koblenz</strong> gedient. 429 Nach Claussens Tod wurde Cattepoel regelmäßig als<br />

„M.-Kreisleiter“ (Mobilmachungs-Kreisleiter) bezeichnet. 430 Cattepoel galt als „vernünftiger<br />

Mann“. 431 Der Säuberungsspruch von 1950 bescheinigte ihm, dass „er wohl eifriger<br />

Nationalsozialist, aber in seiner Grundhaltung <strong>im</strong>mer anständig war.“ Er habe zweifelsfrei<br />

bewiesen, dass er „trotz seiner Belastung und seiner Tätigkeit als Ortsgruppen- und<br />

Kreisleiter wiederholt seine durchaus anständige Haltung gezeigt hat.“ Unter den Kreisleitern<br />

und hohen NS-Funktionären, die „ihren Einfluss zu Gewalttätigkeiten, Zwang und Drohungen<br />

oder sonst zu ungerechtfertigten Massnahmen“ ausnutzten, habe Cattepoel „eine rühmliche<br />

Ausnahme“ gemacht. 432 Mit dieser Konstruktion eines angeblich „anständigen National-<br />

sozialismus“, als dessen Verfechter sich andernorts führende NS-Größen jahrelang emsig in<br />

Szene zu setzen versuchten, 433 schoss die Spruchkammer aber über das Ziel hinaus. Wenn<br />

Cattepoel auch persönlich keine Brutalitäten anzulasten waren, so bewies er seinen<br />

427 StAK 623 Nr. 2619, Zitate S. 20. Vom 1.3. bis 31.3.1940 war Wirtz beurlaubt; StAK 623 Nr. 9568, S. 131.<br />

428 StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1455/1941; NB, 16./17.8.1941: Nachruf, Todesanzeige; StAK<br />

623 Nr. 7135, S. 58. Während eines He<strong>im</strong>aturlaubes hatte Claussen am 14.10.1940 noch einmal an einer<br />

Ratsherrensitzung teilgenommen; StAK 623 Nr. 7216, S. 403.<br />

429 BArch (ehem. BDC), PK, Cattepoel, Wilhelm, 18.8.1898; Dorfey: „Goldfasane“, S. 300, 384 f.; Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 168-172; RZ, 11.4.1949: Kreisleiter Cattepoel verhaftet.<br />

430 Beispiel: StAK 623 Nr. 7216, S. 415. Vgl. Dorfey: „Goldfasane“, S. 304.<br />

431 Schnatz: Luftkrieg, S. 29. Cattepoel habe z. B. seine schützende Hand über zwei Luftschutzpolizisten,<br />

darunter den späteren <strong>Koblenz</strong>er Polizeipräsidenten Peter Malmen, gehalten, obwohl sie als politisch<br />

unzuverlässig galten.<br />

432 LHAKo Best. 856 Nr. 110707, Säuberungsspruch vom 20.1.1950.<br />

433 Bernhard Gotto: <strong>Die</strong> Erfindung eines „anständigen <strong>Nationalsozialismus</strong>“. Vergangenheitspolitik der<br />

schwäbischen Verwaltungseliten in der Nachkriegszeit. In: Peter Fassl (Hg.): Das Kriegsende in Bayerisch-<br />

Schwaben. Wissenschaftliche Tagung der He<strong>im</strong>atpflege des Bezirks Schwaben in Zusammenarbeit mit der<br />

Schwabenakademie Irsee am 8./9. April 2005. Augsburg 2006, S. 263-283.


271<br />

gläubigen Fanatismus allein dadurch, dass er sich in den letzten Kriegswochen noch den<br />

verschiedensten NSDAP-<strong>Die</strong>nststellen bis hin in die Nähe von Wien zur Verwendung<br />

meldete. S<strong>im</strong>on hätte den Kreisleiterposten in seiner Gauhauptstadt wohl kaum mit jemandem<br />

besetzt, auf den er sich nicht voll und ganz verlassen konnte, zumal seine Tätigkeiten als CdZ,<br />

Reichsverteidigungs- und Gauwohnungskommissar ihn später <strong>im</strong>mer stärker beanspruchten.<br />

Was in diesem Spruch nachzuwirken scheint, ist die Tatsache, dass sich der sachlich und<br />

umgänglich auftretende Cattepoel in der Wahrnehmung der Bevölkerung wohltuend von<br />

seinem zur Arroganz neigenden Vorgänger Claussen abhob.<br />

Der Fall Claussen-Wirtz hatte <strong>im</strong>merhin so viel Aufsehen erregt, dass er <strong>im</strong> November 1941<br />

dem Oberpräsidenten als Beispiel für Fälle dienen sollte, „in denen Beamte und Behörden<br />

ungerecht und herabsetzend von Parteistellen angegriffen worden sind, sodaß dadurch ihr<br />

Ansehen geschädigt worden ist“ – ein Vorgang, der <strong>im</strong> Übrigen den Dualismus von Staat und<br />

Partei illustriert. Oberregierungsrat Edmund Jander bat Wirtz vertraulich, ihm Material über<br />

die Hetzkampagne gegen ihn während des John-Prozesses zu überlassen. Der Oberpräsident<br />

wolle den Reichsinnenminister über Fälle unterrichten, in denen Angriffe gegen die<br />

Beamtenschaft das Vertrauen in die staatliche Autorität untergraben hätten, was die<br />

Schlagkraft der Verwaltung lähmen und damit Reich und Volk schädigen könne. Jander<br />

wollte z. B. wissen, ob die damaligen Belastungszeugen „nur Gliederpuppen best<strong>im</strong>mter<br />

Drahtzieher waren. Damals hatte es keinen Zweck, auf diese Fragen näher einzugehen. Jetzt<br />

dagegen kommt es gerade darauf besonders an.“ 434<br />

Wirtz dankte Jander Anfang Dezember 1941 aus Leipzig für sein Interesse, das ihm<br />

angesichts des erfahrenen Unrechts persönlich sehr befriedige. Der Schaden, den solche<br />

Angriffe anrichteten, sei „viel nachhaltiger als unsere kurzlebigen, ereignisreichen Zeiten<br />

zunächst aufzeigen. […] Es bemächtigt sich der mitbetroffenen Beamtenschaft das Gefühl der<br />

Verlassenheit, der Schutzlosigkeit, das angesichts der parteilichen Einflussnahme auf allen,<br />

insbesondere kommunalen Gebieten geeignet ist, Verwirrung und Verängstigung<br />

herbeizuführen, die ein gradliniges, objektives und mannhaftes Eintreten für die den Beamten<br />

anvertrauten Allgemeininteressen lähmt und die heute mehr denn je notwendige Verant-<br />

wortungsfreudigkeit hemmt.“ Letztlich verweigerte Wirtz Jander aber seine Mithilfe. Er halte<br />

es angesichts des Krieges – sein einziger Sohn sei seit 18 Monaten Soldat – für kleinlich und<br />

vermessen, die Sache noch einmal neu aufzurollen, vor allem, weil der „Hauptschuldige und<br />

dafür Verantwortliche“ gefallen sei und damit „genug gesühnt“ habe. Entschuldigend fügte er<br />

hinzu, viel mehr als seine Zeitungsausschnittssammlung könne er ohnehin nicht beisteuern. Er<br />

habe damals seine Gesundheit und Familie höher gestellt als den „aussichtslosen Kampf“<br />

gegen die Partei und wolle diese „unter schmerzvoller Entsagung erkaufte Ruhe“ jetzt nicht<br />

434 StAK 623 Nr. 2619, S. 115 f.


272<br />

gefährden. 435 Mit anderen Worten: Wirtz wollte nicht in neue Auseinandersetzungen<br />

verwickelt werden und trat den Rückzug ins Private an. Zu dieser Entscheidung hat<br />

wahrscheinlich beigetragen, dass Wirtz – ebenso wie Stadtinspektor Franz Meyendriesch –<br />

noch <strong>im</strong> Mai 1940 wegen der angeblichen Verbreitung eines Gerüchtes über den Untergang<br />

eines Schlachtschiffes von der <strong>Koblenz</strong>er Gestapo „eine ernstliche staatspolizeiliche Warnung<br />

erteilt“ worden war. 436<br />

Das Amt des Stadtkämmerers duldete keine Vakanz, zumal seit dem Ausscheiden Binholds<br />

auch der Posten des Bürgermeisters seit über einem Jahr unbesetzt war. Als sich <strong>im</strong> März<br />

1940 nach einem Vermerk Mischkes endlich alle Beteiligten auf eine Person geeinigt hatten,<br />

fehlte nur noch der offizielle Vorschlag des Parteibeauftragten. Am 4. April reichte Kreisleiter<br />

Cattepoel ihn – wie bestellt und nur noch pro forma 437 – ein und schon vier Tage später trat<br />

Dr. jur. Wilhelm Hüster in der Doppelfunktion als Bürgermeister und Stadtkämmerer seinen<br />

<strong>Die</strong>nst an. Weitere vier Tage später wurde er in der Ratsherrensitzung in sein Amt eingeführt,<br />

wobei S<strong>im</strong>mer ausdrücklich hervorhob, dass Hüster von Gauleiter S<strong>im</strong>on vorgeschlagen<br />

worden war. S<strong>im</strong>mer kannte und schätzte den 1895 geborenen Westfalen aus seiner Zeit als<br />

Landrat in Kreuznach, wo Hüster nach einer neunjährigen Tätigkeit als Kreissyndikus des<br />

Landkreises Herford von 1934 bis 1936 Erster Beigeordneter und Stadtkämmerer gewesen<br />

war. Von Juli 1936 bis April 1940 war Hüster Oberregierungsrat der Luftwaffe, zunächst in<br />

der Reichsanstalt der Luftwaffe für Luftschutz, dann <strong>im</strong> Reichsluftfahrtministerium. <strong>Die</strong> Zahl<br />

der Beigeordneten war damit von früher fünf (1933) auf nur noch drei geschrumpft. Im<br />

Gegensatz zu Fuhlrott und Klose war Hüster der NSDAP erst nach der Machtergreifung am<br />

1. Mai 1933 beigetreten, hatte sich aber <strong>im</strong> Frühjahr 1920 an der Bekämpfung des KPD-<br />

Aufstands <strong>im</strong> Ruhrgebiet beteiligt. Genauso schnell wie Hüsters Berufung erfolgte auch seine<br />

Bestätigung <strong>im</strong> Amt: Schon am 3. Mai verzichtete der Oberpräsident auf Vorschlag S<strong>im</strong>mers<br />

und mit Einverständnis des Gauleiters auf sein Recht zur Zurücknahme der Berufung. 438 Doch<br />

das anfänglich gute Einvernehmen zwischen dem Oberbürgermeister und seinem Vertreter<br />

sollte nicht lange währen.<br />

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit klärte S<strong>im</strong>mer eine weitere Personalie. Er forderte den<br />

ehrenamtlichen Beigeordnete Dahm auf, sein Ehrenamt niederzulegen, das er infolge seiner<br />

Berufung zum Generalhauptführer des DRK mit Sitz in Darmstadt schon länger nicht mehr<br />

ausgeübt hatte. Dahm erklärte seinen Verzicht mit Erreichen der Altersgrenze, sodass er zum<br />

31. Mai 1940 aus den <strong>Die</strong>nsten der Stadt ausschied. 439 <strong>Die</strong> neue Dezernatsverteilung machte<br />

435 StAK 623 Nr. 2619, S. 117-119.<br />

436 LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 29229_0 (Zitat); ebd., Img 52727_0 und 52727_1.<br />

437 Zur Marginalisierung des Parteibeauftragten vgl. Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 132-138.<br />

438 LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 143-153, Zitat S. 136; StAK 623 Nr. 7216, S. 395-397; ebd. Nr. 8944, S. 32-<br />

41; NB, 13.4.1940: Der neue Bürgermeister und Stadtkämmerer.<br />

439 StAK 623 Nr. 3240, S. 161-164. Dahm starb am 28.8.1941 in Darmstadt; ebd. S. 165-167.


273<br />

eine bedeutende Umverteilung sichtbar: Personaldezernent 440 war erstmals weder der<br />

Oberbürgermeister noch der Bürgermeister, sondern Fuhlrott, der mit dieser Schlüsselposition<br />

zweifellos einen nicht zu unterschätzenden Zuwachs an Macht und Einfluss verzeichnen<br />

konnte.<br />

Tabelle 15: Dezernatsverteilung vom 27. Mai 1940 441<br />

Dezernent Arbeitsgebiete<br />

Oberbürgermeister Dr. S<strong>im</strong>mer Allgemeine Verwaltung<br />

Gemeindeverwaltungs- und Sparkassenschule<br />

Presseamt<br />

Eingemeindungen<br />

Rechnungsprüfungsamt<br />

Sparkassenangelegenheiten<br />

Standesamt<br />

Kunst und Wissenschaft:<br />

a) Theater und Orchester<br />

b) Stadtbücherei<br />

c) Museums- und Gemäldesammlung<br />

Konzessionssachen<br />

Verkehrsamt<br />

Säle und Gastwirtschaften, Stadtkellerei<br />

Bürgermeister und Stadtkämmerer<br />

Dr. Hüster<br />

Kämmereiverwaltung:<br />

a) Finanzverwaltung<br />

b) Kassenverwaltung<br />

c) Steuerverwaltung<br />

Hafen- und Werftbahnamt<br />

Forstverwaltung<br />

Wahlangelegenheiten<br />

Statistisches Amt<br />

440 Ab Oktober 1935 war die Stelle des Personaldezernenten grundsätzlich durch einen Nationalsozialisten zu<br />

besetzen; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 274.<br />

441 StAK 623 Nr. 9568, S. 48-50, 68; ebd. Nr. 6415, S. 30-32, 47. Eine erste Dezernatsverteilung vom 8.4.1940<br />

war am 27.5.1940 dahingehend geändert worden, dass die zunächst Hüster unterstellte Schulverwaltung Fuhlrott<br />

zugewiesen wurde.


274<br />

Stadtrat Fuhlrott Personalangelegenheiten<br />

Stadtwirtschaftsamt<br />

Ernährungsamt<br />

Einquartierungsamt<br />

Abteilung für Familienunterhalt<br />

Fürsorgewesen:<br />

a) Wohlfahrtsamt<br />

b) Jugendamt<br />

c) Armenstamm<br />

d) Wohlfahrtserwerbslosenabteilung<br />

e) Amt für körperliche Ertüchtigung<br />

Schulangelegenheiten<br />

Krankenanstalten und Josefinenstift<br />

Wöchnerinnenhe<strong>im</strong><br />

Kreishebammenstelle<br />

Chemisches Untersuchungsamt<br />

Städtische Polizei<br />

Feuerlöschwesen<br />

Märkte und Messen<br />

Konzessionsangelegenheiten (Kommissar zur<br />

Wahrnehmung des öffentlichen Interesses)<br />

Schlachthof<br />

Pfandamt<br />

Stadtrat Klose Hochbauamt, Tiefbauamt<br />

Liegenschaftsverwaltung<br />

Vermessungsamt<br />

Baupolizei<br />

Stadtgestaltungsamt<br />

Wohnungsfürsorge<br />

Anlagen- und Friedhofsamt, Stadtgärtnerei<br />

Fuhrpark<br />

Straßenreinigung, Müllabfuhr<br />

Kanalisation<br />

Badeanstalten<br />

Wasserwehr<br />

Maschinenamt<br />

Bevollmächtigter Referent<br />

Rechtsrat Dr. Fischbach<br />

Rechtsamt<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht<br />

Preisbildungsstelle für Mieten und Pächte<br />

Versicherungsamt<br />

Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Elektrizität)<br />

Handwerks- und Innungssachen<br />

Provinzial-Feuerversicherung, Sachversicherungen<br />

Schiedsmannsangelegenheiten<br />

Feststellungsbehörde für Kriegsschäden


275<br />

Rund 200 Bedienstete standen bereits <strong>im</strong> Februar 1940 „<strong>im</strong> Felde“. 442 Auch S<strong>im</strong>mer selbst<br />

war <strong>im</strong> Juli 1940 für ca. drei Wochen „auf seine persönliche Initiative zur Wehrmacht<br />

einberufen“. Obwohl eigentlich selbstverständlich, wies Bürgermeister Hüster in einer<br />

Rundverfügung ausdrücklich darauf hin, wer während S<strong>im</strong>mers Abwesenheit die<br />

Verantwortung trage: „ i c h “. <strong>Die</strong>s ist ein Indiz dafür, dass nicht der erst seit wenigen<br />

Monaten amtierende Hüster, sondern Fuhlrott als zweiter Mann an der Stadtspitze angesehen<br />

wurde oder er sich selbst so sah. Gleichzeitig betonte Hüster, die Stadt könne stolz darauf<br />

sein, dass ihr Leiter be<strong>im</strong> Heer stehe, und rief zur Geschlossenheit „in nationalsozialistischem<br />

Gemeinschaftsgeist“ unter „Zurückstellung persönlicher Empfindlichkeiten“ und Vermeidung<br />

von „Bürokratismus“ auf. 443<br />

Um den Personalmangel abzumildern, wurde 1940 nicht nur die Altersgrenze von 65 Jahren<br />

für den Eintritt in den Ruhestand aufgehoben, sondern auch die Möglichkeit zur<br />

Reaktivierung von Ruhestandsbeamten gegeben. Damit wurde nicht nur dem Fachkräfte-<br />

mangel abgeholfen, sondern es konnten auch Finanzmittel eingespart werden. 444 Bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> kehrten sogar zwei einst viel geschmähte Ruhestandsbeamte<br />

zurück, die 1934 als politisch untragbar zwangspensioniert worden waren: Rogg und Hütte.<br />

Im September 1940 wandte sich S<strong>im</strong>mer an den Regierungspräsidenten. Der Mangel an<br />

technischen Kräften zwinge ihn, Rogg für die Kriegsdauer „mit besonderen Aufgaben des<br />

technischen <strong>Die</strong>nstes nach meiner persönlichen Anordnung“ zu beschäftigten. Beschönigend<br />

schrieb er, Roggs Entlassung sei damals aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und zum<br />

Abbau einer Beigeordnetenstelle erfolgt. Noch bevor der Stellvertreter des Führers <strong>im</strong><br />

Dezember 1940 die für Beamte des höheren <strong>Die</strong>nstes notwendige Genehmigung erteilte, trat<br />

Rogg am 26. August 1940 seinen <strong>Die</strong>nst als Beamter auf Widerruf an. <strong>Die</strong> Position des am<br />

18. September 1939 verstorbenen Stadtoberbaurats Neumann als „Hausdirektor“ der<br />

Casinogesellschaft 445 hatte Rogg ebenfalls schon übernommen. Rogg war damit sowohl<br />

dienstlich als auch gesellschaftlich rehabilitiert. Im Mai 1942 – Klose war seit Oktober 1941<br />

zur Wehrmacht eingezogen – übertrug S<strong>im</strong>mer Rogg sogar kommissarisch die Leitung des<br />

Baudezernats mit Zeichnungsbefugnis 446 und setzte ihn damit faktisch wieder in seine alten<br />

Rechte ein, obwohl er in seinem Antrag von 1940 eine „Stadtratsstelle“ für Rogg<br />

ausgeschlossen hatte. Ende August 1943 erkrankte Rogg schwer, sodass Stadtoberbaurat<br />

Robert Gerhards das Baudezernat übernehmen musste. Zum 1. Februar 1944 musste Rogg<br />

wegen <strong>Die</strong>nstunfähigkeit ausscheiden. S<strong>im</strong>mer sprach ihm seinen besonderen Dank aus, er<br />

442 StAK 623 Nr. 9568, S. 22.<br />

443 StAK 623 Nr. 9568, S. 85 (Unterstreichung und Sperrung <strong>im</strong> Original). Eine Rundverfügung vom 26.7.1940<br />

ist bereits wieder von S<strong>im</strong>mer gezeichnet; ebd. S. 96.<br />

444 <strong>Die</strong> Rechtsgrundlage lieferte die Zweite VO über Maßnahmen auf dem Gebiet des Beamtenrechts vom<br />

3.5.1940; RGBl. I, S. 732. Zur Wiederverwendung entlassener Beamter vgl. Mecking: „Immer treu“, S. 208-210.<br />

445 Festschrift zur 150-Jahr-Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 35, 63 f.<br />

446 StAK 623 Nr. 9570, S. 105 f.; ebd. Nr. 8944, S. 106 f.


276<br />

habe seine Arbeit „geschätzt“. 447 <strong>Die</strong> Bauverwaltung wurde wieder direkt dem Oberbürgermeister<br />

unterstellt. 448 Rogg starb am 9. Oktober 1944 in <strong>Koblenz</strong>. 449<br />

Auch be<strong>im</strong> 55-jährigen Hütte wurden die alten Vorwürfe über Bord geworfen. Im September<br />

1940 forderte man ihn auf, zur <strong>Stadtverwaltung</strong> zurückzukehren. Hütte hatte aber inzwischen<br />

eine Stellung be<strong>im</strong> Bauunternehmen Paul Meißner angenommen. Sein Chef war wenig<br />

angetan, ihn zu verlieren, und gestand nur zu, ihn zum 15. Oktober vorzeitig gehen zu lassen.<br />

Fuhlrott belehrte Meißner, die Ruhestandsbeamten hätten sich aufgrund der Verordnung vom<br />

1. September 1939 bei ihrer zuständigen Verwaltungsbehörde melden müssen und müssten<br />

auf Anforderung ihren <strong>Die</strong>nst jederzeit wieder aufnehmen. Ausnahmsweise erkläre man sich<br />

aber mit dem Termin einverstanden. Der erforderliche Antrag an den Regierungspräsidenten<br />

vom Oktober 1940 sprach den früheren Bemühungen um die Zwangspensionierung Hüttes<br />

Hohn: „Besonders schwerwiegende politische Gründe haben seine Versetzung in den<br />

Ruhestand nicht herbeigeführt.“ Hütte führte wieder seine alte Amtsbezeichnung<br />

„Sparkassendirektor“ ohne den Zusatz „a. D.“, eingesetzt wurde er aber in der Finanz-<br />

verwaltung (Abteilung III). Das Gaupersonalamt teilte <strong>im</strong> Dezember 1940 mit, man habe in<br />

politischer Hinsicht gegen Hüttes Wiederverwendung keine Bedenken, machte aber zur<br />

Bedingung, dass er keine leitende Stellung einnehmen dürfe. Dass Hütte auf S<strong>im</strong>mers<br />

Wunsch <strong>im</strong> April 1943 das Kriegsverdienstkreuz erhalten sollte, ging dem Kreispersonalamt<br />

der NSDAP aber dann doch zu weit. Es bat, die Verleihung noch ein Jahr aufzuschieben. 450<br />

Im Spruchkammerverfahren S<strong>im</strong>mers bezeugte u. a. Schnorbach, dass S<strong>im</strong>mer die aufgrund<br />

BBG entlassenen Beamten best<strong>im</strong>mungswidrig nicht in untergeordneten Positionen, sondern<br />

entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt habe, 451 was zumindest auf Rogg zutraf.<br />

Stadtamtmann Frischling schied am 1. Februar 1941 wegen <strong>Die</strong>nstunfähigkeit aus, was ihn<br />

aber nicht daran hinderte, <strong>im</strong> Februar 1942 als stellvertretender Geschäftsführer des<br />

Reichsverbandes der Gartenausführenden und Friedhofgärtner e. V. in Berlin zu arbeiten. Er<br />

hatte 1937 von der Stadt einen Bauplatz am Hüberlingsweg erworben, der aber auf Betreiben<br />

seines Nachfolgers, Gartenbaudirektor Walter Hultsch 452 , 1942 von der Stadt für eine<br />

Erweiterung des Hauptfriedhofes zurückgekauft wurde. Dabei stellte sich heraus, dass<br />

Frischling eine wesentlich größere Fläche eingezäunt hatte. Als Pensionär lebte er beständig<br />

über seine Verhältnisse. In der britischen Zone wurde er 1947 als Mitläufer entnazifiziert.<br />

447<br />

StAK 623 Nr. 2616 (unpaginiert), Zitate S<strong>im</strong>mer vom 2.9.1940 und 27.1.1944; ebd. Nr. 9542, S. 68.<br />

448<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 9.<br />

449<br />

StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1773/1944.<br />

450<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 19 und 20 (unpaginiert). Neben Hüttes Einsatz bei Abt. III ist außerdem seine<br />

Tätigkeit für Abt. XI, Preisbehörde, überliefert. StAK 623 Nr. 9685, S. 32; ebd. Nr. 9689, S. 96; ebd. Nr. 9690,<br />

S. 222.<br />

451<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Schnorbach vom 28.7.1948, Spruchkammer Trier vom<br />

15.11.1949. In diesem Sinne sagte auch Hansmeyer aus.<br />

452<br />

* 1.6.1901 Artern (Thüringen), evangelisch, verheiratet, NSDAP-Mitglied, zeitweise SS-Sturmmann der<br />

Waffen-SS. StAK 623 Nr. 2622.


277<br />

Noch 1953 leitete die Stadt ein Disziplinarverfahren wegen Anstiftung zur Untreue gegen ihn<br />

ein. Er starb verschuldet am 25. April 1961. 453<br />

Mit Heinrich Hansmeyer 454 (Abb. 21) trat am 1. Februar 1941 als Nachfolger des<br />

ausgeschiedenen Fischbach ein zweiter Mann aus Kreuznach in den <strong>Die</strong>nst der Stadt. Der<br />

gebürtige Bielefelder war in Kreuznach seit 1936 Kreisrechtsrat bei der Kreisverwaltung<br />

gewesen. Der neue „Stadtrechtsrat“ 455 war, genau wie Hüster, erst am 1. Mai 1933 der<br />

NSDAP beigetreten. Nach Angaben S<strong>im</strong>mers 456 stand er dem <strong>Nationalsozialismus</strong> reserviert<br />

gegenüber, trotzdem sei es ihm gelungen, ihn als Beigeordneten durchzusetzen. Hansmeyer<br />

war nicht nur genauso alt wie S<strong>im</strong>mer, sondern er zeichnete sich ebenso durch Fleiß, Ehrgeiz<br />

und Kompetenz aus. Nach der Mittleren Reife hatte er 1924 in Aachen eine Verwaltungslehre<br />

mit der Obersekretärprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg beendet. Durch Selbststudium<br />

bestand Hansmeyer 1925 die Aufnahmeprüfung für die Zulassung zum Jurastudium. Seine<br />

Referendarprüfung absolvierte er 1929 ebenso wie die Assessorprüfung 1932 mit „voll<br />

befriedigend“, bevor er bis 1936 be<strong>im</strong> Oberlandesgericht Hamm beschäftigt war. 457<br />

Reaktiviert wurde Anfang Januar 1941 auch Bürgermeister a. D. Binhold, der als Dezernent<br />

die Schulangelegenheiten übernahm, aber schon am 1. August aus gesundheitlichen Gründen<br />

wieder in den Ruhestand zurücktrat. 458 Abgelöst wurde er durch Verwaltungsrat Friedrich<br />

Ackermeier, der am selben Tag in den <strong>Die</strong>nst der Stadt trat. Ackermeier hatte zuvor sein Amt<br />

als Bürgermeister seiner He<strong>im</strong>atgemeinde <strong>im</strong> Siegerland nach Querelen mit der örtlichen<br />

Parteileitung niedergelegt. 459 <strong>Die</strong> Dezernatsverteilung wurde mit Wirkung vom 10. Juli 1941<br />

geändert, wodurch S<strong>im</strong>mer ganz erheblich entlastet wurde. Erstmals gehörte Abteilung I nicht<br />

mehr zum Dezernat des Oberbürgermeisters. Stadtrechtsrat Hansmeyer bekam unter<br />

Ernennung zum Oberverwaltungsrat neben dem Rechtsamt die Wirtschaftsbetriebe<br />

zugewiesen. Am 14. August erfolgte eine kleine Korrektur der Dezernatsverteilung, indem<br />

S<strong>im</strong>mer sowohl die Sparkasse von Hüster als auch die Hafenbauabteilung von Klose in sein<br />

Dezernat übernahm. 460<br />

453 StAK 623 Nr. 3869; ebd. Nr. 9742, S. 338; ebd. Nr. 9756, S. 331 f.; ebd. Nr. 11744.<br />

454 * 3.9.1902 Bielefeld, + 8.11.1971 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch, verheiratet; StAK 623 Nr. 6332.<br />

455 StAK 623 Nr. 7217, S. 1; ebd. Nr. 9569, S. 19.<br />

456 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Mein Lebenslauf, S. 15.<br />

457 StAK 623 Nr. 6332; LHAKo Best. 856 Nr. 111163. Seit Frühjahr 1943 wohnten die Familien Fuhlrott und<br />

Hansmeyer <strong>im</strong> früheren <strong>Die</strong>nstsitz des Oberbürgermeisters Julius-Wegeler-Straße 4; StAK M 120, Hausblatt<br />

Julius-Wegeler-Straße 4.<br />

458 StAK 623 Nr. 9569, S. 19, 88. Im Februar 1943 bot sogar der 73-jährige Oberbürgermeister a. D. Russell<br />

S<strong>im</strong>mer „angesichts der ernsten Lage des Vaterlandes“ seine <strong>Die</strong>nst an; ebd. Nr. 2628 (unpaginiert), Russell vom<br />

19.2. (Zitat) und 28.2.1943; ebd. Nr. 8944, S. 109 f.<br />

459 * 31.3.1902 Hilchenbach (Siegerland), 1937 NSDAP-Mitglied, 1932-1941 Bürgermeister von Hilchenbach,<br />

1948 wohnhaft in (Bad) Laasphe/Lahn, Einstufung als Mitläufer; LHAKo Best. 856 Nr. 114207.<br />

460 StAK 623 Nr. 9569, S. 69 f., 88. <strong>Die</strong> Leitung der Hafenbauabteilung übertrug S<strong>im</strong>mer dem reaktivierten<br />

Rogg; ebd., S. 88.


278<br />

Tabelle 16: Dezernatsverteilung vom 14. August 1941 461<br />

Dezernent Arbeitsgebiete<br />

Oberbürgermeister Dr. S<strong>im</strong>mer Rechnungsprüfungsamt<br />

Standesamt<br />

Verkehrsamt<br />

Kunst und Wissenschaft<br />

a) Theater und Orchester<br />

b) Stadtbücherei<br />

c) Museums- und Gemäldesammlung<br />

Städtische Sparkasse<br />

Hafenbauabteilung<br />

Bürgermeister und Stadtkämmerer<br />

Dr. Hüster<br />

Hauptverwaltung (ohne Personalamt)<br />

Forstverwaltung<br />

Stadtkämmerei<br />

Steueramt<br />

Stadtkasse<br />

Stadtrat Fuhlrott Personalamt<br />

Wohlfahrtsamt (einschl. Gesundheitspflege, Amt<br />

für körperliche Ertüchtigung, Badeanstalten)<br />

Jugendamt<br />

Städtische Krankenanstalten (einschl.<br />

Wöchnerinnenhe<strong>im</strong> und Hilfskrankenhäusern)<br />

Polizei<br />

Chemisches Untersuchungsamt<br />

Schlacht- und Viehhof<br />

Pfandamt<br />

Wirtschaftsförderung und -lenkung<br />

Kriegswirtschaftsamt 462 , Ernährungsamt<br />

Abteilung für Familienunterhalt<br />

Einquartierungsamt<br />

Konzessionsangelegenheiten (Kommissar zur<br />

Wahrnehmung des öffentlichen Interesses)<br />

461 StAK 623 Nr. 9569, S. 69 f., 88.<br />

462 Offiziell erfolgte die Trennung des Wirtschaftsamtes in ein „Kriegswirtschaftsamt“ (als neue Abt. XXIII) und<br />

ein „Friedenswirtschaftsamt“ (wie bisher als Abt. X) erst mit Rundverfügung vom 5.9.1942; StAK 623 Nr. 9570,<br />

S. 150. Vgl. ebd. Nr. 9567, S. 173, 187; ebd. Nr. 9571, S. 42.


279<br />

Stadtrat Klose Hochbauamt und Bauberatung<br />

Tiefbauamt einschl. Wasserwehr<br />

Planungsamt<br />

Baupolizei<br />

Vermessungsamt<br />

Liegenschaftsverwaltung<br />

Garten- und Friedhofsamt<br />

Maschinenamt<br />

Entwässerungsamt<br />

Luftschutzbauamt<br />

Straßenreinigung, Müllabfuhr<br />

Allgemeine Luftschutzmaßnahmen<br />

Oberverwaltungsrat Hansmeyer Rechtsamt (Prozessvertretung, Mahn- und<br />

Vollstreckungswesen, <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht,<br />

Preisbildungsstelle, Versicherungsamt,<br />

Feststellungsbehörde für Kriegsschäden)<br />

Wirtschaftsbetriebe (Gas, Wasser, Elektrizität)<br />

Säle und Gastwirtschaften, Stadtkellerei<br />

Eigenbetriebe (Hafen- und Bahnverwaltung)<br />

Handwerks- und Innungssachen<br />

Verwaltungsrat Ackermeier Schulangelegenheiten<br />

Einer von Hüster <strong>im</strong> Sommer 1941 beantragten Höhergruppierung st<strong>im</strong>mten sowohl S<strong>im</strong>mer<br />

als auch der Regierungspräsident zu. Doch am 4. November verweigerte S<strong>im</strong>mer diese<br />

Verbesserung Hüster gegenüber mit dem Argument, er sei der Doppelbelastung als<br />

Bürgermeister und Stadtkämmerer offenbar gesundheitlich nicht gewachsen. Er erwäge, die<br />

beiden Ämter wieder zu trennen. Hüster hoffte zunächst noch, S<strong>im</strong>mer umst<strong>im</strong>men zu<br />

können, da allein schon die Bürgermeisterstelle eine höhere Besoldung rechtfertige. Am<br />

25. November übertrug S<strong>im</strong>mer die Forstverwaltung aus Hüsters Dezernat an Ackermeier, 463<br />

entweder um Hüster zu entlasten oder aber den Umfang seiner Verantwortung zu schmälern<br />

und damit seiner Forderung den Boden zu entziehen. Mitte Dezember verlangte S<strong>im</strong>mer von<br />

Hüster nämlich das Einverständnis, dass er die höhere Besoldung nur während der<br />

Wahrnehmung beider Ämter erhalten solle und er seinen Kämmererposten ab April 1942 auf<br />

Verlangen abgebe. Daraufhin beantragte Hüster, gleichermaßen gekränkt und verärgert, am<br />

18. Dezember 1941 erneut eine Gehaltserhöhung und fügte ein von ihm schon am<br />

9. November verfasstes Schreiben bei, das er bis dahin zurückgehalten hatte und in dem er<br />

seinem ganzen Unmut Luft machte. Seine Gesundheit habe nicht zuletzt deswegen gelitten,<br />

weil ihm die notwendige Erholung aus Rücksicht auf S<strong>im</strong>mers Urlaubspläne fehle. Schwerer<br />

wogen seine Vorwürfe gegen S<strong>im</strong>mer als Chef der Verwaltung. Hüster übte nicht nur harsche<br />

463 StAK 623 Nr. 9569, S. 129. Am 29.1.1942 wurde Ackermeier zur Wehrmacht einberufen. Sein Dezernat<br />

teilte S<strong>im</strong>mer bis auf Weiteres Fuhlrott zu; ebd. Nr. 9570, S. 33. Im September 1943 übernahm S<strong>im</strong>mer die<br />

Forstverwaltung in sein eigenes Dezernat; ebd. Nr. 9542, S. 73.


280<br />

Kritik an der ungünstigen Geschäftsverteilung, sondern auch an S<strong>im</strong>mers Art der<br />

Amtsführung. S<strong>im</strong>mer fehle nicht nur häufig durch seine Tätigkeit in Luxemburg, sondern<br />

arbeite in <strong>Koblenz</strong> „nachmittags regelmäßig“ zu Hause. <strong>Die</strong>s fördere zweifellos die<br />

Bearbeitung größerer Projekte, führe aber für ihn, Hüster, zwangsläufig zu einer Mehr-<br />

belastung, unter der seine eigene Arbeit leide. <strong>Die</strong> von S<strong>im</strong>mer praktizierte Aufgaben-<br />

verteilung nehme zu wenig Rücksicht auf den vorhandenen Personalbestand: „Schließlich<br />

bildet […] die laufende Zuweisung von Aufgaben an mehrere Stellen gleichzeitig, die nach<br />

der Geschäftsverteilung häufig nicht zuständig sind, eine Gefahr <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Verwischung der Verantwortung“ sowie „auf eine Überbelastung des Personalbestandes<br />

dadurch, daß verschiedenen [sic] Stellen ohne zweckmäßige Arbeitsteilung die gleichen<br />

Fragen bearbeiten.“ Auch mit einem neuen Stadtkämmerer „wäre ein derartig unrationeller<br />

Kräfteeinsatz auf die Dauer undurchführbar.“ Hüster bedauerte die „jetzige Entwicklung, die<br />

den persönlichen Kontakt mit Ihnen ohne mein Verschulden völlig gelockert hat und<br />

derzufolge sich tatsächlich eine Reihe von Dingen ohne Fühlung mit mir abspielen“, wobei er<br />

<strong>im</strong>mer auf eine ruhige Aussprache gehofft habe. Bei wichtigen Gelegenheiten, wie zuletzt<br />

dem Besuch des Reichsschatzmeisters, sei er nicht hinzugezogen worden, weil S<strong>im</strong>mer<br />

„lieber ‚allein fechten’“ wolle, andererseits werde er nicht einmal nachträglich informiert.<br />

Gleichzeitig habe S<strong>im</strong>mer ihn mehrfach verletzend und brüskierend behandelt, was ihm<br />

obendrein den „wiederholten Vorwurf ‚mädchenhafter Empfindsamkeit’“ eingebracht habe.<br />

Außerdem warf er S<strong>im</strong>mer mangelndes Fingerspitzengefühl bei der Personalführung vor.<br />

S<strong>im</strong>mer hatte städtische Jubilare nur mit Verspätung geehrt und damit Enttäuschung<br />

ausgelöst. Assistiert von Fuhlrott sprach Hüster ihn darauf an, doch S<strong>im</strong>mer habe jede weitere<br />

Diskussion über künftige Ehrungen schroff abgelehnt. 464<br />

Am 23. Dezember 1941 kam es zu einem Gespräch zwischen Hüster und S<strong>im</strong>mer, das den<br />

Bruch nur noch besiegelte. Hüster bestätigte S<strong>im</strong>mer: „Unter Bezug auf die heutige<br />

Unterredung habe ich davon Kenntnis genommen, dass dem Gauleiter, dem Herrn<br />

Regierungspräsidenten und Ihnen auf die Dauer die Vereinigung der beiden Aemter des<br />

Bürgermeisters und Stadtkämmerers in einer Person untunlich erscheint. Ich möchte dieser<br />

Entwicklung nicht <strong>im</strong> Wege stehen und werde daher meine bereits eingeleiteten Bemühungen<br />

um eine andere mir zusagende Stelle fortsetzen.“ 465 <strong>Die</strong> Höherbesoldung Hüsters verfügte<br />

S<strong>im</strong>mer am 2. Januar 1942 gemäß Genehmigung des Regierungspräsidenten rückwirkend<br />

zum 1. April 1941. Eine Anfrage des Reichsinnenministers über Hüsters Eignung für einen<br />

Einsatz in den besetzten Ostgebieten beantwortete die Stadt <strong>im</strong> März 1942 denkbar positiv,<br />

von gesundheitlichen Problemen war keine Rede: „charakterlich einwandfrei […] äußerst<br />

fleißig und pflichteifrig […] in fachlicher, gesundheitlicher und politischer Hinsicht geeignet<br />

und abkömmlich.“ 466 <strong>Die</strong> Beziehung zwischen S<strong>im</strong>mer und seinem Stellvertreter blieb<br />

464 StAK 623 Nr. 8944, S. 42-53, Zitate S. 5 f., 8.<br />

465 StAK 623 Nr. 8944, S. 61.<br />

466 StAK 623 Nr. 8944, S. 63.


281<br />

spannungsgeladen. Noch am 3. Juni 1942 beschwerte sich Hüster schriftlich über den Verlauf<br />

einer Besprechung: „Mein Vortrag […] wurde mit der Erklärung, Sie wollten sich keine<br />

Romane erzählen lassen, be<strong>im</strong> 3. oder 4. Satz von Ihnen unterbrochen. Ich beschwere mich<br />

über diesen Ausdruck, dessen sachliche Berechtigung ich in keiner Weise anerkennen kann<br />

und gegen dessen persönlich kränkende Form ich mich verwahre.“ 467 Im Juli 1942 wurde<br />

Hüster zum Provinzialverband der Provinz Oberschlesien abgeordnet, am 15. Oktober schied<br />

er mit der Ernennung zum dortigen Landeskämmerer aus dem <strong>Die</strong>nst der Stadt. 468 Obwohl<br />

NSDAP- und SS-Mitglied, hatte er offenbar zu Nicht-Parte<strong>im</strong>itgliedern wie dem späteren<br />

Oberbürgermeister Schnorbach ein gutes Verhältnis gehabt. 469 Hüster wurde 1948<br />

Stadtkämmerer von Hamm/Westfalen, anschließend von 1952 bis 1959 Oberstadtdirektor.<br />

Von dort schrieb er Schnorbach 1956, dass er sich damals von <strong>Koblenz</strong> „so ungern getrennt<br />

habe. […] Sie glauben nicht, wie sehr es unsereinen freut, wenn er feststellen kann, daß er<br />

auch zur Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong> einige freundliche Spuren seiner Tätigkeit hinterlassen<br />

hat, die noch bis auf den heutigen Tag fortführen.“ 470<br />

Aus Hüsters Dezernat übernahm S<strong>im</strong>mer ab 2. Juli 1942 wieder die Hauptverwaltung, also<br />

Abteilung I. <strong>Die</strong> Kämmereiverwaltung übertrug er Hansmeyer einschließlich seiner<br />

Vertretung in Angelegenheiten der Sparkasse. Zu seinem allgemeinen Stellvertreter<br />

best<strong>im</strong>mte S<strong>im</strong>mer Fuhlrott, der damit faktisch zum Bürgermeister aufstieg, auch wenn die<br />

Stelle offiziell vakant blieb: „Meine Vertretung bei dienstlicher Verhinderung übern<strong>im</strong>mt<br />

allgemein Stadtrat Fuhlrott, wenn ich <strong>im</strong> Einzelfalle keine andere Entscheidung treffe.“ 471<br />

Damit vereinigte Fuhlrott in seiner Person eine beträchtliche Machtfülle, denn S<strong>im</strong>mers<br />

Luxemburger Tätigkeit brachte dessen häufige Abwesenheit mit sich und Fuhlrott war<br />

außerdem bereits Stellvertreter von Kreisleiter Cattepoel. 472<br />

In der Ratsherrensitzung vom 16. Dezember 1942, an der auch der Kreisamtsleiter für<br />

Kommunalpolitik Heinrich Reitz teilnahm, schlug Kreisleiter Cattepoel Hansmeyer als neuen<br />

Stadtkämmerer vor. <strong>Die</strong> Ratsherren erhoben keine Einwände. S<strong>im</strong>mer gab bekannt, dass er<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on vorgeschlagen habe, Fuhlrott seine Wiederwahl zuzusagen – eine Frage, die<br />

angesichts der erst 1948 ablaufenden Amtszeit noch gar nicht akut war, aber offensichtlich die<br />

Zufriedenheit mit Fuhlrott dokumentieren und ihn für den 1939 entgangenen Bürgermeister-<br />

posten entschädigen sollte. S<strong>im</strong>on habe sich einverstanden erklärt. Auch Cattepoel und die<br />

Ratsherren schlossen sich dem an. 473 Der Oberpräsident erklärte sich mit dem Verzicht auf<br />

467<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 65. Sämtliche Beschwerden Hüsters fanden sich in einer Handakte S<strong>im</strong>mers.<br />

468<br />

StAK 623 Nr. 3867.<br />

469<br />

Schnorbach erteilte Hüster 1947 einen Rat bezüglich seiner Entnazifizierung und verabschiedete sich „Mit<br />

herzlichen Grüßen, auch von Herrn Direktor Lanters“; StAK 623 Nr. 9744, S. 368-371, Zitat S. 371.<br />

470<br />

StAK 623 Nr. 9837, S. 424. Schnorbach hatte ihn anlässlich eines Besuchs in <strong>Koblenz</strong> zum Essen eingeladen,<br />

worüber Hüster sich sehr gefreut hatte. Er starb am 30.3.1985 in Bad Berleburg.<br />

471<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 120.<br />

472<br />

BArch (ehem. BDC), PK, Fuhlrott, Hubert, 26.3.1896. Vgl. Kapitel 4.3.5.<br />

473 StAK 623 Nr. 7217, S. 183, 193-195.


282<br />

eine Ausschreibung der Stadtkämmererstelle einverstanden. Hansmeyer wurde am 15. April<br />

1943 zum hauptamtlichen Beigeordneten und Stadtkämmerer ernannt und in sein Amt<br />

eingeführt. 474<br />

Es ist unbekannt, was S<strong>im</strong>mer Anfang 1942 dazu bewegte, keine weitere Unabkömmlich-<br />

keitsstellung anzustreben. Nachdem das Wehrbezirkskommando ihm Ende Januar 1942<br />

mitgeteilt hatte, seine seit Juli 1940 bis auf weiteres genehmigte Uk-Stellung werde<br />

aufgehoben, informierte S<strong>im</strong>mer den Regierungspräsidenten am 6. März über ein Gespräch<br />

mit S<strong>im</strong>on: „Ich habe dem Gauleiter heute Morgen noch einmal meinen Wunsch vorgetragen,<br />

mich für die Wehrmacht freizugeben.“ S<strong>im</strong>on habe dies aber zumindest für die nächsten zwei<br />

Monate wegen kriegswichtiger Wirtschaftsprobleme abgelehnt. Auch Mischke wollte den<br />

Oberbürgermeister nicht freigeben. Sowohl er als auch sein Trierer Kollege Heinrich<br />

Siekmeier 475 als Stellvertreter des CdZ beantragten S<strong>im</strong>mers erneute Uk-Stellung. Siekmeier<br />

begründete dies u. a. mit der Bedeutung Luxemburgs für die Rüstungsindustrie: „Würde Dr.<br />

S<strong>im</strong>mer auch noch Soldat werden, was wohl seinem persönlichen Wunsch entspricht, so<br />

wären hier schwerste Schädigungen deutscher Interessen nicht abzuwenden.“ 476<br />

Wenig zufrieden zeigte sich S<strong>im</strong>mer mit seinem Baudezernenten Klose, der am 20. Oktober<br />

1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Offiziell übernahm S<strong>im</strong>mer selbst das Dezernat und<br />

bestellte zu seinem Abwesenheitsvertreter den seit 1. April 1941 be<strong>im</strong> Hochbauamt tätigen<br />

Stadtoberbaurat Dr.-Ing. Hans Hübler. 477 Der 1902 in Lübeck gebürtige Architekt war erst<br />

seit 1937 NSDAP-Mitglied und ganz ohne Parteiprotektion, aber dafür mit glänzenden<br />

Zeugnissen und Referenzen zur <strong>Stadtverwaltung</strong> gekommen. 478 Als er zum 15. August 1942<br />

um seine Entlassung bat, um Technischer Beigeordneter in Hagen zu werden, 479 schrieb<br />

S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Juli an Gauleiter S<strong>im</strong>on, er hätte ihn genau wie S<strong>im</strong>on gern behalten, da „Hübler<br />

etwas kann, charakterlich einwandfrei und menschlich sehr sympatisch [sic] ist“. Er wolle<br />

ihm aber nicht den Aufstieg versperren, obwohl er „schon <strong>im</strong> Stillen Hübler als Nachfolger<br />

von Klose für die technische Stadtratstelle vorgesehen“ habe. Hüblers Weggang mache ihm<br />

„sinnfällig klar […], wie schwierig die Personalverhältnisse zu meistern sind, wenn gerade<br />

die Spitzen schlecht besetzt sind. Ein tüchtiger Oberbaurat wird niemals auf die Dauer unter<br />

Stadtrat Klose arbeiten, weil es ein naturwidriger Zustand ist, wenn ein fähiger Mensch<br />

474<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 17242, S. 161-171; StAK 623 Nr. 6332; ebd. Nr. 9542, S. 29.<br />

475<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 438-440.<br />

476<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 35592, S. 479, 483, 489, 499-507, Zitate S. 501, 509.<br />

477<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 110.<br />

478<br />

StAK 623 Nr. 3866. Hübler hatte wie S<strong>im</strong>mer sein Abitur als Externer nachgeholt, während er bereits in<br />

Karlsruhe studierte. Bis 1939 war er zehn Jahre lang Hochschulassistent bei Prof. Karl Caesar (1874-1942) an<br />

der TH Karlsruhe bzw. TU Berlin gewesen sowie Leiter von dessen Privatbüro. 1935 promovierte Hübler an der<br />

TH Karlsruhe. 1939 schlug er bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> Kassel die Verwaltungslaufbahn ein. Auf Wunsch<br />

S<strong>im</strong>mers wurde Hübler 1941 zum Kreisbeauftragten für Naturschutz <strong>im</strong> Stadtkreis <strong>Koblenz</strong> ernannt; StAK 623<br />

Nr. 6583, S. 480-491.<br />

479<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 143; ebd. Nr. 6583, S. 498. Hüblers Aufgaben übernahm zusätzlich Rogg; StAK 623<br />

Nr. 9570, S. 105 f.; ebd. Nr. 8944, S. 106 f.


283<br />

gezwungen wird[,] unter der Verantwortung eines weniger fähigen zu arbeiten.“ Der Stadt<br />

würde S<strong>im</strong>on einen <strong>Die</strong>nst erweisen, wenn er behilflich wäre, Klose anderswo unterzu-<br />

bringen. Klose selbst habe den Wunsch geäußert, in einer kleineren Stadt wie etwa Mayen<br />

Bürgermeister zu werden. 480 S<strong>im</strong>mers Brief macht nebenbei zweierlei deutlich: Einerseits<br />

versuchte S<strong>im</strong>mer, den Gauleiter für seine Zwecke einzuspannen, andererseits ist der Ton<br />

– entgegen S<strong>im</strong>mers späteren Einlassungen <strong>im</strong> Spruchkammerverfahren über sein bereits<br />

gestörtes Verhältnis zu S<strong>im</strong>on – kameradschaftlich und entspannt. Klose selbst hatte <strong>im</strong> April<br />

1941 noch höhere Ambitionen gehabt. Damals hatte er S<strong>im</strong>mer mitgeteilt, dass er sich schon<br />

vor dessen Amtsantritt in Breslau beworben hätte und dort in der engeren Wahl für eine gut<br />

dotierte Stelle stünde. Mit seiner jetzigen Eingruppierung wäre er unzufrieden. In Leipzig<br />

wäre er nur knapp bei der Besetzung einer Stadtratsstelle ausgeschieden. Selbstbewusst hatte<br />

Klose gemeint: „Da ich […] reiche Erfahrungen auf allen Baugebieten nachweisen kann, wird<br />

es mir nicht schwer fallen, eine bessere Position zu finden.“ Gleichzeitig hatte er S<strong>im</strong>mer<br />

versichert, dass „ich bis zur letzten Minute meine Pflicht tun werde und werde stolz darauf<br />

sein, die Bauverwaltung in allen 11 Abteilungen in anderer Verfassung zu übergeben, als ich<br />

sie seinerzeit übernommen habe.“ 481<br />

<strong>Die</strong> praktisch ruhende Neubautätigkeit machte <strong>im</strong> Juli 1942 die Delegation von Dr. jur. Hanns<br />

Gatermann, dem kaufmännischen Geschäftsführer der Gemeinnützigen Wohnungs- und<br />

Siedlungsgesellschaft Moselland mbH, zur Stadt möglich, wo er das Rechtsamt, das<br />

Kriegsschädenamt und die Preisbildungsstelle übernahm. 482 Doch auch dessen Leistungen<br />

enttäuschten S<strong>im</strong>mer, der dem Gauleiter <strong>im</strong> September 1943 mitteilte, Gatermann sei den<br />

Aufgaben in der <strong>Stadtverwaltung</strong> nicht gewachsen, obwohl sie von geringerer Bedeutung als<br />

seine bisherige Geschäftsführertätigkeit seien. Er habe ihm nahe gelegt, sich nach einer<br />

anderen Stelle umzusehen, und Ende des Monats werde Gatermann aus den <strong>Die</strong>nsten der<br />

Stadt und der Siedlungsgesellschaft Moselland ausscheiden. Als Nachfolger habe er<br />

„Rechtsanwalt Dr. Mandt“, der seit einigen Monaten bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> tätig sei, mit der<br />

Geschäftsführung beauftragt. Er, S<strong>im</strong>mer, werde sich persönlich „ausreichend einschalten“,<br />

eine endgültige Neubesetzung der Stelle sei „vorerst nicht notwendig“. 483<br />

Alois Mand 484 – mit einfachem „d“ und ohne Doktortitel – war bereits <strong>im</strong> Juni 1943 als Leiter<br />

des Kriegsschädenamtes und des Rechtsamtes „<strong>im</strong> Zuge der Kriegsmassnahmen zur<br />

<strong>Die</strong>nstleistung bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> eingestellt worden“. So lautete die sperrige und fast<br />

entschuldigende Formulierung einer Rundverfügung des Oberbürgermeisters, die seine<br />

480<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 30 f.<br />

481<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 73 f. (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

482<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 120 f.<br />

483<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 28 f. Gatermann trat eine Stelle be<strong>im</strong> Reichsbund der Haus- und Grundbesitzer e.V. in<br />

Berlin an.<br />

484<br />

Eigentlich Aloys Mand, * 5.12.1905 Trier, + 29.7.1952 Müllhe<strong>im</strong>/Baden, katholisch, verheiratet, 1933-1944<br />

(Zerstörung der Praxis) Rechtsanwalt. StAK M 163, Haus- und Familienblatt Südallee 66; ebd., Standesamt<br />

<strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 686/1940.


284<br />

Anstellung <strong>im</strong> Zuge einer Notdienstverpflichtung 485 vermuten lässt. 486 Mand, Sohn des<br />

Regierungsvizepräsidenten i. R. Friedrich Mand 487 , war bei der Partei kein Unbekannter. Er<br />

war nämlich nicht nur von 1933 bis kurz vor dessen Verbot 1938 Vorsitzender des<br />

Philisterzirkels Confluentia <strong>Koblenz</strong>, des ältesten deutschen Altherrenzirkels <strong>im</strong><br />

Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), und zugleich<br />

Gauvorsitzender des CV-Gauverbandes Mittelrhein, 488 sondern von Januar 1934 bis April<br />

1937 auch Vorsitzender des Katholischen Lesevereins. 489 In dieser Funktion hatte Mand nach<br />

eigenem Bekunden erstmals 1937 Kontakt mit der Gestapo, die jede wirtschaftliche<br />

Betätigung des Vereins untersagen wollte. Deshalb habe man sich entschlossen, das Wort<br />

„katholisch“ <strong>im</strong> Vereinsnamen und in der Satzung zu streichen, um nach außen nicht mehr als<br />

konfessioneller Verein in Erscheinung zu treten. In unangenehmen Verhandlungen mit der<br />

Gestapo habe er dann die Genehmigung für das Restaurant und die Weinhandlung erreicht. Er<br />

sei aber wie die beiden anderen Vorstandsmitglieder des Lesevereins Fördermitglied der SS<br />

geworden, wozu sie die SS als Gegenleistung für die Anmietung des Festsaales mehr oder<br />

weniger genötigt habe. Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden habe er den<br />

neuen Vorstand in Rechtsfragen weiter beraten 490 und verhindern können, dass die DAF, die<br />

den Verein ab 1939 fast völlig beherrschte, 491 sich Vereinsvermögen und -haus aneignete. Bei<br />

den sogenannten Sittlichkeitsprozessen 492 war Mand als Verteidiger aufgetreten. Wegen der<br />

Teilnahme an der Fronleichnamsprozession 493 wurde er 1937 aus dem Opferring<br />

ausgeschlossen. Aufgrund seiner Wassersportaktivitäten war Mand von 1933 bis 1938<br />

Mitglied der SA-Marine und seit 1938 der NSKK-Motorbootstaffel. Erst 1939 wurde Mand<br />

Mitglied <strong>im</strong> NSRB 494 und in der NSDAP. Bei der NSV-Ortsgruppe Mitte bearbeitete er als<br />

Jurist Jugendgerichts- und Vormundschaftssachen. 495 Im Oktober 1942 erkundigten sich der<br />

485 Vgl. Dritte VO zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer<br />

Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15.10.1938, RGBl. I, S. 206; Bekanntmachung der Behörden, die<br />

Notdienstleistungen fordern können, vom 8.7.1939, RGBl. I, S. 1204.<br />

486 StAK 623 Nr. 9542, S. 40. Nach Mands eigenen Angaben habe er 1943 auf Anordnung der Justizverwaltung<br />

eine Behördenanstellung annehmen müssen, vom Präsidenten des Landesarbeitsamtes sei er wegen der negativen<br />

Gestapo-Auskunft als politisch unzuverlässig abgelehnt worden. Auf Vermittlung der Rechtsanwaltskammer sei<br />

er dann zur Stadt gekommen. LHAKo Best. 856 Nr. 112755, Anlage zum Fragebogen. In einem Verzeichnis der<br />

Notdienstverpflichteten erscheint Mand allerdings nicht; StAK 623 Nr. 8919.<br />

487 * 19.1.1869 Berlin, + 11.2.1946 Reichenbach i. V., katholisch, verheiratet; StAK M 15, Familienblatt <strong>im</strong><br />

Hausblatt Friedrich-Ebert-Ring 44.<br />

488 „Ewig treu bleiben die Alten“. Festschrift 125 Jahre CV Philisterzirkel Confluentia <strong>Koblenz</strong>, <strong>Koblenz</strong> 2001,<br />

S. 32, 80, 100. Auch nach der Auflösung des CV 1938 habe unter den Mitgliedern durch den unter Mands<br />

Leitung stehenden „Mittwochsklub“ <strong>im</strong> Leseverein sowie durch den „Samstagsstammtisch Dr. Doetsch“ <strong>im</strong><br />

Casino Kontakt bestanden. Ebd. S. 32, 35.<br />

489 90 Jahre Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1952, S. 17, 25 f.; <strong>Koblenz</strong> und sein Katholischer<br />

Leseverein. Herausgegeben 1963 aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens des Katholischen Lesevereins.<br />

<strong>Koblenz</strong> 1963, S. 29 (mit Abb.).<br />

490 Vgl. StAK 623 Nr. 9682, S. 127-143.<br />

491 Seit Mai 1939 war der Gauwalter der DAF, Ratsherr Hugo Dörner, Vereinsvorsitzender; 90 Jahre<br />

Katholischer Leseverein, S. 17, 25 f.<br />

492 Vgl. Kapitel 7.1.2.<br />

493 <strong>Die</strong> Teilnahme ist in Mands Gestapo-Karteikarte vermerkt; LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 50225_0.<br />

494 Vgl. StAK 623 Nr. 9682, S. 128-140.<br />

495 LHAKo Best. 856 Nr. 112755 (unpaginiert), Anlage zum Fragebogen und Genossenschaft der Armen Brüder<br />

vom Hl. Franziskus Seraphicus, Aachen, vom 2.11.1946. Mands Frau, eine Konvertitin, gehörte zum


285<br />

Höhere SS- und Polizeiführer Westmark und <strong>im</strong> April 1943 das Reichssicherheitshauptamt<br />

aus unbekannten Gründen bei der <strong>Koblenz</strong>er Gestapo über Mand, die u. a. mitteilte, er sei<br />

nach wie vor Kirchgänger. 496<br />

Angesichts dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, das sich prompt Gaupersonalamts-<br />

leiter und Ratsherr Wilhelm Koenig bei S<strong>im</strong>mer meldete und Aufklärung über diese<br />

Personalentscheidung verlangte. S<strong>im</strong>mer teilte ihm am 15. September 1943 mit, dass Mand<br />

das Rechtsamt, die Feststellungsbehörde (Kriegsschädenamt), die Preisbehörde sowie seit<br />

dem Ausscheiden Gatermanns 497 das Wohnungsamt und die Geschäftsführung der<br />

Siedlungsgesellschaft Moselland übertragen worden seien. Interessant ist die Beurteilung von<br />

Mands Leistungen durch S<strong>im</strong>mer: „Rechtsanwalt Mand ist bisher bemüht gewesen, die ihm<br />

übertragenen Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen.“ 498 <strong>Die</strong>se sehr mäßige Bewertung ist weder<br />

mit den späteren Lobeshymnen auf Mands Kenntnisse und Fähigkeiten 499 noch mit den<br />

strengen Leistungsanforderungen S<strong>im</strong>mers in Einklang zu bringen. Entweder tat Mand nur<br />

das Nötigste und verweigerte sich auf diese Weise oder aber S<strong>im</strong>mer wollte angesichts der<br />

politischen Bedenken der Gauleitung Mands Tätigkeit herunterspielen. Mand blieb bis Ende<br />

1944 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>. Nach seinen Angaben zerstritt er sich mit S<strong>im</strong>mer, weil er die<br />

Zwangsverpflichtung auswärtiger Arbeitskräfte verweigerte, worauf ihm S<strong>im</strong>mer Sabotage<br />

vorgeworfen habe. 500<br />

<strong>Die</strong> durch Einberufungen um sich greifende Personalnot brachte Aufstiegschancen für<br />

politisch zuverlässige städtische Beamte mit sich. Im Dezember 1942 bat Josef Ackermann 501<br />

als kommissarischer Leiter des Amtes für Kommunalpolitik S<strong>im</strong>mer um eine fachliche<br />

Beurteilung von Jakob Müller, der als Bürgermeister der luxemburgischen Stadt Esch<br />

vorgeschlagen worden sei. S<strong>im</strong>mer antwortete Ende Februar 1943, er könne Müller<br />

unmöglich freigeben. Mit Rücksicht auf Müllers Tätigkeit <strong>im</strong> Amt für Beamte habe er ihn<br />

bisher nicht stärker beansprucht. Da das Amt aber seine Aufgaben verloren habe, sei Müller<br />

jetzt „mit erhöhten Aufgaben“ betraut und „unentbehrlich“. Müller verzichte daher von sich<br />

aus auf seine berufliche Besserstellung. 502 S<strong>im</strong>mer hatte ihm <strong>im</strong> Januar zusätzlich zum<br />

Bekanntenkreis des reg<strong>im</strong>ekritischen Pfarrers Dr. Matthias Laros, Kapellen-Stolzenfels; ebd., Laros vom<br />

15.6.1945.<br />

496<br />

LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 50225_0.<br />

497<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 68.<br />

498<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 89.<br />

499<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 112755 (unpaginiert), Regierungsdirektor Johann Junglas vom 1.10.1947,<br />

Präsidialdirektor be<strong>im</strong> Oberpräsidium Heinrich Johannes Hüppe vom 17.4.1946.<br />

500<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 112755 (unpaginiert), Anlage zum Fragebogen.<br />

501<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 114 f.<br />

502<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 90-92, Zitate S. 90. Im Herbst 1943 erkundigte sich Ackermann über den<br />

Stadtsekretär Fritz Nengelken, der als Bürgermeister einer kleinen Amtsbürgermeisterei <strong>im</strong> Gespräch sei. <strong>Die</strong><br />

Auskunft S<strong>im</strong>mers vom Februar 1944 war zwar wohlwollend formuliert, aber insgesamt eine nur mäßige<br />

Empfehlung. Ebd. S. 94-100. Zu den Personalproblemen bei den Stellenbesetzungen in Luxemburg vgl.<br />

Romeyk: Der Gau Moselland und seine Beziehungen zu Luxemburg, S. 415.


286<br />

Rechnungsprüfungsamt die Leitung des Schulamtes übertragen, spätestens <strong>im</strong> März 1944 war<br />

er Leiter der Abteilung für Familienunterhalt. 503<br />

Auszeichnungen und Beförderungen <strong>im</strong> Felde wirkten sich auch auf das städtische<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis aus. Im Juli 1941 gab S<strong>im</strong>mer die Beförderung bzw. Anstellung auf<br />

Lebenszeit von acht Beamten bekannt, die nicht nur gute dienstliche Leistungen gezeigt,<br />

sondern sich auch <strong>im</strong> Felde bewährt hätten. 504 Im Laufe des Krieges erhielten auf Vorschlag<br />

S<strong>im</strong>mers eine ganze Reihe von Beamten, Angestellten, Arbeitern und Hilfsdienstpflichtigen<br />

die Kriegsverdienstmedaille oder das Kriegsverdienstkreuz verliehen, darunter Hüster,<br />

Hansmeyer und Rogg. 505<br />

Während es <strong>im</strong> Jahr 1940 keinen gemeinsamen Betriebsappell der Gefolgschaft gab, ordnete<br />

S<strong>im</strong>mer erstmals für den 17. Oktober 1941 eine solche Zusammenkunft in der Stadthalle an,<br />

bei der er selbst als Redner auftrat. 506 Der nächste Betriebsappell der gesamten Gefolgschaft<br />

fand <strong>im</strong> Einvernehmen mit DAF und RDB am 12. Februar 1942 statt, es sprach der Gauredner<br />

Heinrich Sarg. 507 Im September 1943 verfügte S<strong>im</strong>mer, dass ihm einzelne Betriebsappelle<br />

spätestens drei Tage vorher anzuzeigen seien, damit er noch eingreifen und eventuell<br />

teilnehmen könne. Betriebsappelle dienten „der Stärkung des gemeinschaftlichen<br />

Arbeitswillens“ und seien „ein wesentliches Mittel der nationalsozialistischen Staats- und<br />

Betriebsführung.“ 508 Das Programm für den Betriebsappell der Gesamtgefolgschaft am<br />

26. Oktober 1943 lautete: Feierliche Musik, Eröffnung und Begrüßung durch den DAF-<br />

Betriebsobmann Matthias Rübenach 509 , Ansprache S<strong>im</strong>mers, Führerehrung durch den<br />

Betriebsobmann, Lieder der Nation. Ratsherren und Parteivertreter waren als Gäste geladen.<br />

Fuhlrott schloss die Bekanntgabe des Termins mit den Worten: „Ich erwarte von der<br />

Gefolgschaft diszipliniertes Verhalten.“ 510 Intendant Hanns Kämmel wies die Theater-<br />

mitarbeiter darauf hin, dass ein unentschuldigtes Fehlen als „politische Unzuverlässigkeit“<br />

angesehen werde. 511 Der Anlass für einen viertelstündigen <strong>Die</strong>nstappell aller Beamten und<br />

Angestellten der Rathausgebäude I und II am 20. Januar 1944 ist unbekannt. Wahrscheinlich<br />

ging es um die von Gauleiter S<strong>im</strong>on ausgerufene Luftschutzwoche, 512 denn es schloss sich<br />

eine „kurze Luftschutzübung“ an, weil viele Gefolgschaftsmitglieder noch „vorschrifts-<br />

widriges Verhalten“ zeigten. 513 Der nächste Betriebsappell der gesamten Gefolgschaft in der<br />

503<br />

StAK 623 Nr. 5602, S. 268; ebd. Nr. 9542, S. 13.<br />

504<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 72.<br />

505<br />

StAK 623 Nr. 6751.<br />

506<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 104.<br />

507<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 33.<br />

508<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 68.<br />

509<br />

Rübenach war wie sein Vorgänger Pokorny be<strong>im</strong> Steueramt beschäftigt. StAK 623 Nr. 6751, S. 149; ebd. N<br />

91, Nr. 4, Niederschrift vom 20.10.1942.<br />

510<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 76, 78 (Zitat), 84.<br />

511<br />

StAK 623 Nr. 8563, S. 49-51, Zitat S. 51. Entschuldigt werde nur, wer bettlägerig krank sei.<br />

512<br />

NB, 15./16.1.1944: Kampf dem Bombenterror.<br />

513 StAK 623 Nr. 9571, S. 3.


287<br />

Stadthalle war für den 19. Juli 1944 vorgesehen. Wie üblich hatte das Verkehrsamt für die<br />

Herrichtung des Saales zu sorgen, das Gartenamt für die Ausschmückung und das<br />

Maschinenamt für die Lautsprecheranlage. 514 Der Appell fiel aus, da es am Morgen des<br />

19. Juli einen Bombenangriff gab, der 74 Tote und 112 Verletzte forderte. 515<br />

S<strong>im</strong>mer führte auch die gemeinsame Weihnachtsfeier der Gefolgschaft in der Stadthalle ein,<br />

die von 1940 bis 1943 jeweils an einem Nachmittag kurz vor Heiligabend stattfand.<br />

<strong>Die</strong> „Festfolge“ beinhaltete neben S<strong>im</strong>mers Ansprache auch <strong>im</strong>mer die des DAF-<br />

Betriebsobmannes. Im musikalischen Programmteil wirkten Mitglieder des Stadttheater-<br />

ensembles mit, bei der Weihnachtsfeier 1942 trug die junge Sängerin Anneliese Rothenberger<br />

Lieder aus Hans Pfitzners Spieloper „Das Christ-Elflein“ vor. 516 Unentschuldigt Fehlende<br />

wurden Fuhlrott bzw. Abteilung I gemeldet. 517 Im Krankenhaus Kemperhof fand eine eigene<br />

Weihnachtsfeier statt, deren „christliches Gepräge“ Fuhlrott 1940 kritisierte. 518<br />

Im März 1941 ließ S<strong>im</strong>mer die Finanzabteilung Vorschläge für „Soziale Massnahmen für<br />

Gefolgschaftsmitglieder“ ausarbeiten, die u. a. kostenlose Theater- und Konzertbesuche<br />

vorsahen, für die Ehefrauen sollte es Vorzugspreise geben. 519 <strong>Die</strong> Idee wurde erstmals <strong>im</strong><br />

Oktober 1941 verwirklicht, als an die Gefolgschaft 100 kostenlose Eintrittskarten für eine<br />

Theatervorstellung verteilt wurden. 520 Mit ihren einberufenen Bediensteten hielt die Stadt<br />

Kontakt, indem sie ihnen „interessierende Drucksachen“ zuschickte. 521<br />

Als weiteres Instrument seiner Amts- und Personalführung setzte S<strong>im</strong>mer seit dem zweiten<br />

Halbjahr 1941 in mehrwöchigen Abständen <strong>Die</strong>nstbesprechungen an, die als Ziel die<br />

„Sicherstellung der Zusammenarbeit der <strong>Die</strong>nststellen in wichtigen Fragen der schöpferischen<br />

und verwaltungsmäßigen Tätigkeit der Stadt“ verfolgten. Teilzunehmen hatten neben den<br />

Dezernenten alle <strong>Die</strong>nststellen- und Abteilungsleiter. Im Sommer 1942 erweiterte S<strong>im</strong>mer<br />

den Teilnehmerkreis um die Beamten des gehobenen und mittleren <strong>Die</strong>nstes sowie<br />

entsprechende Angestellte. Der Inhalt der Besprechungen war streng vertraulich und fiel<br />

ausdrücklich unter die Amtsverschwiegenheit. 522<br />

514<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 58 f.<br />

515<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 120-126, 562 f.<br />

516<br />

Weihnachtsfeiern am 23.12.1940, 23.12.1941, 18.12.1942, 23.12.1943. StAK 623 Nr. 9569, S. 10, 131; ebd.<br />

Nr. 9570, S. 187; ebd. Nr. 8865, S. 159; ebd. Nr. 9542, S. 103 f.; ebd. Nr. 8862, S. 21, 54. Vgl. NB,<br />

19./20.12.1942: Romantische Stunde <strong>im</strong> Stadttheater; Bockius: 1787-1987, S. 183.<br />

517<br />

StAK 623 Nr. 8609, S. 5, 12.<br />

518<br />

StAK S 4 Nr. 3, S. 86.<br />

519<br />

StAK 623 Nr. 6889, S. 189 f.<br />

520<br />

StAK 623 Nr. 7606, S. 1.<br />

521<br />

StAK 623 Nr. 9945, S. 68 f.<br />

522<br />

StAK 623 Nr. 8833, Zitat S. 102; ebd. Nr. 9570, S. 125, 142. Intendant Kämmel, Ärztlicher Direktor<br />

Hohmeier, Chefarzt Kugelmeier und Schlachthofdirektor Beyer wurden laut handschriftlichem Vermerk nur „bei<br />

Bedarf“ eingeladen;


288<br />

Während des Krieges stieg die Belastung der städtischen Bediensteten, wobei die sich auch<br />

<strong>im</strong> Büroalltag bemerkbar machende Materialknappheit noch zu den harmloseren Phänomenen<br />

zählte. Sparsamkeitsappelle zum Papier- und Schreibbedarf häuften sich bis hin zu einer<br />

dre<strong>im</strong>onatigen Ausgabesperre für Tinten- und Bleistifte Mitte 1944, als Trampp argwöhnte, es<br />

würden stille Reserven angelegt. 523 Um den Personalschwund aufzufangen, wurden die<br />

<strong>Die</strong>nstzeiten ganz erheblich ausgeweitet. <strong>Die</strong> seit 1934 geltende wöchentliche Arbeitszeit von<br />

48 Stunden 524 wurde <strong>im</strong> April 1941 auf 51 Stunden erhöht, der bisher dienstfreie Mittwoch-<br />

nachmittag entfiel. Fuhlrott bemühte in der entsprechenden Verfügung die üblichen<br />

Propagandaparolen: „Der totale Krieg fordert von jedem deutschen Menschen den stärksten<br />

Einsatz unter Zurückstellung persönlicher Wünsche. Ich weiß aber auch, daß die Gefolg-<br />

schaftsmitglieder der <strong>Stadtverwaltung</strong> zu jeder Zeit von diesem Willen beseelt sein<br />

werden.“ 525 Sämtliche Bauverwaltungsmitarbeiter mussten nach nächtlichen Zerstörungen<br />

durch Luftangriffe um 7 Uhr <strong>im</strong> Büro erscheinen. „Selbstredend“, so Klose, galt dies auch an<br />

Sonntagen, und Ausnahmen wurden selbst für fast 70-jährige reaktivierte Ruhestandsbeamte<br />

nicht gemacht. 526 <strong>Die</strong> Einführung der 56-Stunden-Woche erfolgte <strong>im</strong> Mai 1942. S<strong>im</strong>mer rief<br />

dazu auf, dass jeder durch „disziplinierte Lebensweise“ zur Erhaltung seiner Arbeitskraft<br />

beitragen solle, das beste Beispiel dafür „ist uns der Führer“. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstzeiten wurden auf<br />

montags bis freitags 7.30 bis 13 Uhr und 14.30 bis 19 Uhr, samstags 7.30 bis 13.30 Uhr<br />

festgelegt. 527 Fast zeitgleich mit dieser Erhöhung der Arbeitsbelastung führte das<br />

Reichspropagandaministerium die Aktion „Mehr Höflichkeit“ durch, die dazu aufforderte, die<br />

Volksgenossen in der Ausnahmesituation des Krieges besonders zuvorkommend und<br />

verständnisvoll zu behandeln. 528 <strong>Die</strong> Aktion kam bei den Bediensteten nicht gut an, da man<br />

dies als selbstverständlich ansah. 529<br />

Zu Beginn des vierten Kriegsjahres, <strong>im</strong> September 1942, nahm Lanters seine Kranführer<br />

gegen den Vorwurf nachlassender Arbeitsleistungen in Schutz, den ein als Querulant<br />

bekannter Vertreter einer Schifffahrtsgesellschaft erhoben hatte: „Ihre Behauptung gibt mir<br />

Veranlassung, nochmals auf die grossen, bewundernswerten und manches Mal ans<br />

Übermenschliche grenzenden Leistungen meines gesamten Personals […] hinzuweisen. […]<br />

Sie müssen anerkannt werden und dies umsomehr, als sie unter sehr erschwerenden<br />

523<br />

Vgl. die wiederholten Aufrufe seit 1940: StAK 623 Nr. 9568, S. 28; ebd. Nr. 9569, S. 79; ebd. Nr. 9570, S. 31<br />

f., 59 f., 158; ebd. Nr. 9542, S. 49 f., 75; ebd. Nr. 9571, S. 46. Alte Wahlzettelumschläge wurden ab 1942 zu<br />

normalen Briefumschlägen umfunktioniert. Vgl. auch ebd. Nr. 6613.<br />

524<br />

StAK 623 Nr. 9568, S. 57 f., 64.<br />

525<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 51 f.<br />

526<br />

StAK 623 Nr. 3576, S. 162 (Zitat), 169.<br />

527<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 68 f. Im März 1943 folgte die Ergänzung, dass es sich bei den 56 Stunden um die<br />

Mindestarbeitszeit handele, bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> wurde die Stundenzahl aber nicht weiter erhöht. Ebd. Nr.<br />

9542, S. 24; NB, 20./21.3.1943: Beamtenschaft <strong>im</strong> erhöhten Einsatz.<br />

528<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 65, 125 f.<br />

529<br />

Mitglieder des Musik-Instituts, dem auch städtische Bedienstete angehörten, äußerten in einem Gedicht, das<br />

anlässlich eines Festes am 30.5.1942 entstand, verhalten ihren Unmut: „Natürlich mach ich keinen Krach/(Denn<br />

wir hier <strong>im</strong> Gau Moselland/Sind höflich, auch ohne Plakat an der Wand)“; StAK 623 Nr. 6707, S. 163. Vgl. NB,<br />

6.5.1942: Moselland noch höflicher als Berlin.


289<br />

Umständen, wie da sind: Übermässiger Andrang von Gütern […], fortgesetzte Reparaturen,<br />

zu denen meist die Nacht- und Sonntagsstunden genommen werden mussten, starke<br />

Heranziehung zum Luftschutzdienst, Störungen der kargen Nachtruhe durch fast 300 Alarme,<br />

durch den Krieg bedingte mangelhafte Ernährung, seelischer Druck unter den Kriegs-<br />

verhältnissen (allein 3 von 6 Kranführern verloren Söhne <strong>im</strong> Felde) erfolgten.“ 530 1943<br />

verlangte S<strong>im</strong>mer in einer <strong>Die</strong>nstbesprechung von seinen Beamten Geduld und Nachsicht<br />

gegenüber dem Publikum, selbst dann, wenn es sich nicht so aufführe, wie man es eigentlich<br />

erwarten könne. Es befinde sich in einer „kriegsnervösen St<strong>im</strong>mung“ und außerdem gehe der<br />

„ruhig und sachlich bleibende Beamte aus einem Disput <strong>im</strong>mer als Sieger hervor.“ 531<br />

Auf die durch die häufigen Fliegeralarme gestörte Nachtruhe seiner Bediensteten nahm<br />

S<strong>im</strong>mer Rücksicht. Erstmals am 24. Juni 1940 verlegte er den <strong>Die</strong>nstbeginn nach Nächten mit<br />

Fliegeralarm zur „Erhaltung der Arbeitskraft und Arbeitsfrische“ um eine halbe Stunde, am<br />

29. Juni sogar um eine ganze Stunde. Zum Ausgleich wurden pünktlicher <strong>Die</strong>nstbeginn und<br />

Nachholen der Arbeit durch intensiveres oder freiwilliges längeres Arbeiten erwartet. 532 Ab<br />

März 1941 legte S<strong>im</strong>mer den <strong>Die</strong>nstbeginn erneut auf 8.30 Uhr, also eine Stunde später als<br />

üblich, fest, falls es Fliegeralarm nach 23 Uhr gegeben hatte bzw. die Entwarnung erst nach<br />

23 Uhr erfolgt war. 533 <strong>Die</strong>se mehrfach bestätigte Regelung 534 hob S<strong>im</strong>mer am 19. Mai 1943<br />

wieder auf, <strong>Die</strong>nstbeginn war jetzt ausnahmslos um 7.30 Uhr. Ausdrücklich begründete er<br />

diese unpopuläre Maßnahme mit dem Wunsch des Reichsverteidigungskommissars (RVK),<br />

also des Gauleiters 535 , der dies „aus grundsätzlichen Erwägungen“ für richtig halte. 536 Für die<br />

männlichen Bediensteten bedeuteten die Nachtwachen <strong>im</strong> Rathaus, zu denen sie in kleinen<br />

Gruppen eingeteilt wurden, eine zusätzliche Belastung, auch wenn für sie der <strong>Die</strong>nst am<br />

nächsten Vormittag ausfiel. 537 Ab 22. November 1943 verlegte S<strong>im</strong>mer aufgrund der häufigen<br />

abendlichen Luftalarme den <strong>Die</strong>nstschluss von 19 auf 18 Uhr. Das kam einer fünfstündigen<br />

Arbeitszeitverkürzung auf den Stand vor Mai 1942 gleich. Rückstände dürften dadurch nicht<br />

eintreten, sonst müsse er Samstags- und Sonntagsdienst anordnen. 538 Im März 1944 hob<br />

S<strong>im</strong>mer angesichts der veränderten Luftkriegslage diese Verfügung wieder auf, der <strong>Die</strong>nst<br />

endete erst wieder um 19 Uhr. 539 Im selben Monat ordnete Personaldezernent Fuhlrott allen<br />

<strong>Die</strong>nststellenleitern an, mit der Gefolgschaft einen Runderlass des Reichsinnenministers zu<br />

530 StAK 623 Nr. 6955, S. 49.<br />

531 StAK 623 Nr. 6955, S. 171 f.<br />

532 StAK 623 Nr. 9568, S. 82 f.<br />

533 StAK 623 Nr. 9569, S. 24.<br />

534 StAK 623 Nr. 9569, S. 117; ebd. Nr. 9570, S. 68 f.; ebd. Nr. 9542, S. 24.<br />

535 S<strong>im</strong>on war – wie alle Gauleiter – durch die VO über die Reichsverteidigungskommissare und die<br />

Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung vom 16.11.1942 RVK geworden; RGBl. I, S. 649. Zu den RVK<br />

vgl. Karl Teppe: Der Reichsverteidigungskommissar. Organisation und Praxis in Westfalen. In:<br />

Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S. 278-301; Romeyk: Der preußische<br />

Regierungspräsident, S. 136-139.<br />

536 StAK 623 Nr. 9542, S. 34.<br />

537 StAK 623 Nr. 3583, S. 20; ebd. Nr. 8944, S. 1; ebd. N 12, Zug. 81/1993, S. 34.<br />

538 StAK 623 Nr. 9542, S. 96.<br />

539 StAK 623 Nr. 9571, S. 17.


290<br />

besprechen, der ein Höchstmaß an <strong>Die</strong>nstleistungsbereitschaft <strong>im</strong> Umgang mit den<br />

Volksgenossen forderte. 540<br />

Der Jahresurlaub wurde gekürzt bzw. konnte ganz gestrichen werden. Im April 1942 wurde<br />

bekannt gegeben, Urlaub werde nur gewährt, wenn es die dienstlichen Verhältnisse erlaubten,<br />

auf keinen Fall aber mehr als 21 Tage. 541 Gesetzliche Feiertage wurden auf das Wochenende<br />

verlegt. 542 1943 durfte Erholungsurlaub nur gewährt werden, wenn der <strong>Die</strong>nststellenleiter die<br />

Erholungsbedürftigkeit des Bediensteten feststellte und der Stand kriegswichtiger Arbeiten<br />

den Urlaub zuließ. <strong>Die</strong> Urlaubstage wurden auf max<strong>im</strong>al 14 bzw. 20 Tage für ältere<br />

Bedienstete reduziert. S<strong>im</strong>mer entschied, generell allen Verwaltungsangehörigen aus<br />

gesundheitlichen Gründen sowie <strong>im</strong> Hinblick auf die starke dienstliche Beanspruchung und<br />

die nächtlichen Alarme Urlaub zu genehmigen. 543 Im Mai 1944 verhängte dann der<br />

Reichsinnenminister ab sofort und bis auf weiteres für alle Verwaltungsbehörden eine<br />

Urlaubssperre. 544<br />

Der Arbeitskräftemangel durch Einberufungen wurde durch Abordnungen bzw. Versetzungen<br />

in die besetzten Gebiete verschärft, die für mehrere qualifizierte und erfahrene Beamte und<br />

Angestellte nachweisbar sind: Ernährungsamtsleiter Franz Meyendriesch und Fürsorgeamts-<br />

leiter Karl Hinkel waren in „Litzmannstadt“ (Lodz), 545 Stadtinspektor Erich Legner vom<br />

Kulturamt ebenfalls dort und ab 1941 in Straßburg. 546 Architekt Johann Gügel vom<br />

Stadtgestaltungsamt war 1940 mehrere Monate in Lodz, <strong>im</strong> Februar 1941 wurde der<br />

Amtsleiter, Stadtbaurat Karl Stanienda, in „besetztes Gebiet“ abgeordnet. 547 Inwieweit die<br />

Abordnungen eine Strafmaßnahme oder eine Belohnung darstellten, ist mangels Personal-<br />

akten nicht zu entscheiden. Im Juli 1942 war jeder vierte (25,1 %) männliche Bedienstete<br />

eingezogen oder abgeordnet: 104 von 450 Beamten, 64 von 222 Angestellten und 109 von<br />

431 Arbeitern. 548 Ab August 1944 wurden Beamte und Angestellte zum Arbeitseinsatz bei<br />

den „Westmassnahmen“ abgeordnet. 549 Auch Beamte in für die Kriegswirtschaft zentralen<br />

540<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 24, 31-33.<br />

541<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 62-64.<br />

542<br />

Beispiel 1941: Der Maifeiertag wurde von Freitag auf Samstag verlegt (den Bediensteten blieb allerdings die<br />

Pflichtteilnahme an Feiern erspart), Christi H<strong>im</strong>melfahrt und Fronleichnam wurden auf Sonntage verlegt; StAK<br />

623 Nr. 9569, S. 49, 54.<br />

543<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 20, 61. Im Juli 1943 wurde ergänzt, der Urlaub dürfe nur dienstags bis freitags<br />

angetreten werden, was eine Verlängerung über das Wochenende hinaus verhindern sollte; ebd. S. 47.<br />

544<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 44.<br />

545<br />

StAK 623 Nr. 3871, S. 69.<br />

546<br />

Legner trat 1946 nach seiner Entnazifizierung unter Zurückstufung zum Stadtinspektor und 20 %<br />

Gehaltskürzung für zwei Jahre wieder bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> ein. StAK 623 Nr. 8944, S. 77, 80; ebd.<br />

Nr. 9579, S. 67, 156, 193; LHAKo Best. 856 Nr. 110786, Bl. 40-44.<br />

547<br />

StAK 623 Nr. 9362, S. 43, 46, 50, 57 (Zitat).<br />

548<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 82; ebd. Nr. 9570, S. 130. Zum Vergleich: In Augsburg betrug der Anteil der<br />

Einberufenen am Gesamtpersonal <strong>im</strong> Februar 1942 über 25 % (Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik,<br />

S. 285), in Hamburg <strong>im</strong> Sommer 1943 fast 23 % (Lohalm: „… anständig und aufoperungsbereit“, S. 40) und in<br />

Münster <strong>im</strong> Sommer 1944 23,1 % (Mecking: „Immer treu“, S. 164).<br />

549<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 61; ebd. Nr. 8774, S. 310. Zum Westwall vgl. LHAKo Best. 403 Nr. 17268.


291<br />

Positionen wie der Leiter des Kriegsschädenamtes Wilhelm Smits wurden zum „Schippen an<br />

den Westwall geschickt“, wie er noch 1949 voller Unwillen und Unverständnis formulierte. 550<br />

Selbst Beigeordneter Hansmeyer musste für drei Monate zum Westwall, wovor ihn auch seine<br />

Uk-Stellung nicht bewahrte. 551 Nicht alle konnten sich damit abfinden. Für den musikalischen<br />

Oberleiter des Stadttheaters, Dr. Wilhelm Schmidt-Scherf, hatte diese Situation einen so<br />

„zutiefst entwürdigenden Charakter“, dass er Fuhlrott bat, ihn davon zu verschonen. Als<br />

Fuhlrott ihm offenbar nicht helfen konnte oder wollte, meldete er sich krank. 552<br />

In der <strong>Koblenz</strong>er <strong>Stadtverwaltung</strong> wurden wiederum Beamte aus Luxemburg eingesetzt. 553<br />

Sie waren in ihrer He<strong>im</strong>at entweder ihres <strong>Die</strong>nstes enthoben oder aus politischen Gründen<br />

abgeordnet worden. <strong>Die</strong> auf diese Weise „gemassregelten Personen“ durften nach den<br />

Richtlinien des CdZ vom 24. Juni 1942 <strong>im</strong> Altreich nur als Aushilfskräfte eingesetzt werden,<br />

um ihnen „letztmalig“ die Gelegenheit zur (politischen) Bewährung zu geben. 554<br />

Neben reaktivierten Ruhestandsbeamten war es vor allem der Einsatz von Frauen, der die<br />

Aufrechterhaltung des Verwaltungsbetriebes während des Krieges gewährleistete. Nachdem<br />

sie kurz nach der Machtergreifung durch die „Zölibatsklausel“ an einer Berufsausübung <strong>im</strong><br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nst gehindert worden waren, durften sie jetzt den Lückenbüßer spielen. 555 Im<br />

August 1941 beschwerte sich Fuhlrott be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten über die mehrfache<br />

Weigerung des Luftgaukommandos Wiesbaden, die seit September 1939 andauernde<br />

Einberufung von zwei Stenotypistinnen zum Luftschutzwarndienst aufzuheben. Es handele<br />

sich um ausgebildete Spezialkräfte, während die <strong>Stadtverwaltung</strong> sich „mit unzulänglichem<br />

Hilfspersonal und Anfängerinnen […] behelfen“ müsse. 556 Eine Aufstellung, die auf das erste<br />

Halbjahr 1943 datiert werden kann, 557 listet 235 Frauen auf, die bei der Stadt als Beamtinnen<br />

und Angestellte tätig waren.<br />

550 StAK 623 Nr. 7084, S. 8; vgl. ebd. Nr. 6705, S. 716.<br />

551 StAK 623 Nr. 6332, S. 3, 27. Hansmeyer war vom 3.9. bis 3.12.1944 am Westwall, seine Uk-Stellung lief bis<br />

zum 31.12.1944.<br />

552 LHAKo Best. 856 Nr. Nr. 110736 (unpaginiert), Schmidt-Scherf vom 20.9.1948 (Zitat); StAK 623 Nr. 8774,<br />

S. 307, 310.<br />

553 Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009; LHAKo Best. 856 Nr. 111342 (unpaginiert), Schrupp<br />

vom 30.10.1945. Zu einem strafversetzten Dr. Kauf(f)mann, der zwei Jahre <strong>im</strong> Straßenbau arbeiten musste,<br />

bevor er zur <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> kam s. ebd. Nr. 160147 (unpaginiert), Müller vom 23.4.1947 und<br />

8.10.1948.<br />

554 LHAKo Best. 662,3 Nr. 24, S. 9-21, Zitate S. 11. Vgl. Romeyk: Der Gau Moselland und seine Beziehungen<br />

zu Luxemburg, S. 423; Dorfey: „Goldfasane“, S. 346 f.<br />

555 Ute Frevert: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am<br />

Main 1986, S. 214-219.<br />

556 StAK 623 Nr. 9943, Zitat S. 6. <strong>Die</strong> Stadt musste sogar die Bezüge der beiden Frauen weiterbezahlen,<br />

wogegen sie ebenfalls erfolglos protestierte. Erst <strong>im</strong> Juli 1942 änderte sich die Rechtslage, sodass die Stadt<br />

wenigstens finanziell entlastet wurde.<br />

557 <strong>Die</strong> Liste muss entstanden sein zwischen Januar 1943, dem Eintrittsdatum der zweiten Diplom-<br />

Volksbibliothekarin, und dem Tod der Sekretärin Fuhlrotts, Maria Commes (* 4.3.1905, ledig, gottgläubig), die<br />

noch aufgeführt ist und am 16.6.1943 an einer Leuchtgasvergiftung nach einem Selbstmordversuch starb. Franz<br />

Grosse: Neugestaltung der Stadtbücherei <strong>Koblenz</strong>. In: <strong>Die</strong> Bücherei H. 7-9 (1943), S. 244; StAK, 623 Nr. 9382,<br />

S. 14 f.; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1009/1943.


292<br />

Tabelle 17: Weibliche Bedienstete I. Halbjahr 1943 558<br />

Anzahl Tätigkeit (Familienstand) Einsatzorte<br />

93<br />

Aushilfsangestellte<br />

(davon 45 verheiratet oder verwitwet)<br />

Stenotypistinnen<br />

45<br />

(davon 5 verheiratet oder verwitwet)<br />

Ärztinnen, Pflege- und Laborpersonal<br />

25<br />

(alle ledig)<br />

Büroangestellte<br />

23<br />

(davon 2 verheiratet oder verwitwet)<br />

Lehrerinnen<br />

20<br />

(alle ledig)<br />

Verwaltungsbeamtinnen<br />

(alle ledig)<br />

10 (1 Stadtinspektorin,<br />

7 Stadtsekretärinnen,<br />

3 Stadtassistentinnen)<br />

Volkspflegerinnen, Fürsorgerinnen<br />

6<br />

(alle ledig)<br />

1 Büchereiassistentin,<br />

3<br />

2 Volksbibliothekarinnen (alle ledig)<br />

sonstiges Büro- und Kanzleipersonal<br />

10<br />

(davon 2 verheiratet oder verwitwet)<br />

235 weibliches Personal insgesamt<br />

65 Kriegswirtschafts- und<br />

Ernährungsamt, 19 Städtische Sparkasse,<br />

4 Stadtkasse, 3 Fürsorgeamt Abt.<br />

Familienunterhalt, 2 sonstige Ämter<br />

fast alle Ämter<br />

Städtische Krankenanstalten,<br />

Chemisches Untersuchungsamt<br />

diverse Ämter<br />

Städtische Oberschulen, Berufsschulen,<br />

Handelsschule<br />

Gehalts- und Lohnbüro, Stadttheater,<br />

Chemisches Untersuchungsamt,<br />

Bauverwaltung, Städtische Sparkasse,<br />

Stadtkasse, Fürsorge-, Jugend-,<br />

Hafenamt, Liegenschaftsverwaltung<br />

Fürsorgeamt, Jugendamt<br />

Stadtbücherei<br />

diverse Ämter<br />

Mit Abstand die meisten Frauen, nämlich 69, waren be<strong>im</strong> Kriegswirtschafts- und<br />

Ernährungsamt beschäftigt, davon 65 Aushilfsangestellte sowie vier Stenotypistinnen. Knapp<br />

die Hälfte der insgesamt 93 Aushilfskräfte (45 Frauen, 48,4 %) war verheiratet oder<br />

verwitwet. Viele der Frauen waren seit 1939 notdienstverpflichtet worden, 559 die meisten<br />

zwischen 1940 und 1942. Von den restlichen 142 Beamtinnen und Festangestellten waren<br />

dagegen 93,7 % ledig – hier wirkte die „Zölibatsklausel“ noch nach. Gemessen am<br />

Personalstand vom 1. April 1942 war damit rund ein Viertel (25,9 %) der 907 Beamten und<br />

Angestellten 560 der <strong>Stadtverwaltung</strong> weiblich. Insgesamt blieben die Tätigkeitsbereiche<br />

auf typische Frauenberufe beschränkt. Fast exotische Ausnahmen waren zwei<br />

Chemotechnikerinnen be<strong>im</strong> Chemischen Untersuchungsamt (beide Jahrgang 1920) und eine<br />

Gartenbautechnikerin (Jahrgang 1914) be<strong>im</strong> Garten- und Friedhofsamt. Be<strong>im</strong> Hochbauamt<br />

558 StAK 623 Nr. 9382, S. 2-25.<br />

559 StAK 623 Nr. 8919.<br />

560 StAK 623 Nr. 9570, S. 131.


293<br />

war eine Tochter Schnorbachs, bei der Forstverwaltung die Tochter des verstorbenen<br />

Stadtinspektors Nilles beschäftigt. Über die Hälfte der 235 Frauen, nämlich 129 (54,9 %), war<br />

35 Jahre alt und älter (Jahrgang 1907 und älter). 65 Frauen (27,7 %) waren zwischen 21 und<br />

34 Jahre alt (Jahrgang 1908 bis 1921), 41 Frauen (17,4 %) waren 20 Jahre alt und jünger<br />

(Jahrgang 1922 und jünger), also noch minderjährig. 561 Am 31. März 1944 zählte die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> (ohne Schulen und Stadttheater) noch 832 Bedienstete, davon waren<br />

576 verheiratet. 562<br />

Mitte Dezember 1943 führte S<strong>im</strong>mer gemäß einer Anordnung des Reichsarbeitsministers <strong>im</strong><br />

Hinblick „auf die Kriegsverhältnisse und den erheblichen Einsatz an Frauen und ältere[n]<br />

Personen“ einen Hausarbeitstag ein, der innerhalb einer vierwöchigen Periode gewährt wurde.<br />

Er galt für vollerwerbstätige Frauen mit eigenem Haushalt; waren Kinder unter 14 Jahren<br />

vorhanden, gab es zwei Hausarbeitstage. Gleichzeitig wurde die Wochenarbeitszeit von<br />

56 Stunden für Frauen, Schwerbeschädigte und Bedienstete über 65 Jahre auf 48 Stunden,<br />

also den Stand von 1934, verkürzt. 563 Schon <strong>im</strong> Juni 1942 hatte Personaldezernent Fuhlrott<br />

bekannt gegeben, dass Frauen und Alleinstehende zwe<strong>im</strong>al wöchentlich für ca. eine Stunde<br />

für Lebensmitteleinkäufe vom <strong>Die</strong>nst zu befreien waren. Gleichzeitig mahnte er, die<br />

Arbeitskraft durch gesunde Lebensführung zu erhalten. 564<br />

Eine Demonstration der „Stärke“ und des „Siegeswillen[s] der He<strong>im</strong>at“ sollte am 30. Januar<br />

1944, dem Jahrestag der Machtergreifung, ein gemeinsamer Aufmarsch von Wehrmacht,<br />

Partei, Behörden und Betrieben darstellen. An diesem Sonntag mussten sich alle männlichen<br />

Gefolgschaftsmitglieder um 9 Uhr vor dem Rathaus sammeln und unter dem Kommando von<br />

Oberbaurat Gerhards geschlossen zum Wilhelmi-Haus in der Hindenburgstraße marschieren.<br />

Dort machte Gerhards dem Oberbürgermeister Meldung über die Stärke der Angetretenen.<br />

S<strong>im</strong>mer übernahm dann in Begleitung des DAF-Hauptbetriebsobmanns die Führung des<br />

Zuges. <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> reihte sich in die von Cattepoel und dem Kommandanten der<br />

Wehrmacht, Generalmajor Fiedler, angeführte Kolonne ein, die durch die gesamte<br />

fahnengeschmückte Innenstadt marschierte. Der Schlussappell am Clemensplatz endete mit<br />

einer Ansprache des Kreisleiters und dem „Sieg Heil“ auf den Führer. 565 Zwei Wochen später,<br />

am 12./13. Februar 1944, nahm S<strong>im</strong>mer an der Tagung der Oberbürgermeister mit<br />

Reichsinnenminister H<strong>im</strong>mler in Posen teil. 566<br />

561<br />

StAK 623 Nr. 9382.<br />

562<br />

StAK 623 Nr. 5602, S. 269; ebd. Nr. 7000, S. 69.<br />

563<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 100 (Zitat); NB, 15.11.1943: Der Anspruch auf den Hausarbeitstag.<br />

564<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 83.<br />

565<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 5 (Zitate); NB, 29./30.1.1944: Der Aufmarsch zum 30. Januar; NB, 31.1.1944: Voran<br />

die Fahnen und Standarten; Schnatz: Luftkrieg, S. 75 f.<br />

566<br />

StAK N 12, Zug. 81/1993, S. 12. Zur Tagung vgl. BArch R 43-II/577, Bl. 5-7; Matzerath: NS und<br />

kommunale Selbstverwaltung, S. 440 Anm. 23; Rebentisch: Führerstaat, S. 506 Anm. 23.


294<br />

Im März, April, Juli und August 1944 traten mehrere städtische Bedienstete als Redner bei<br />

den seit dem ersten Kriegsjahr üblichen „Volkskundgebungen“ der NSDAP auf, die als<br />

„Versammlungswellen“ den Durchhaltewillen stärken sollten. Dazu zog die örtliche<br />

Propagandaleitung neben Parteirednern auch prominente Persönlichkeiten heran, wie z. B.<br />

den Fußballer Jupp Gauchel. 567 Von der Stadt sprachen der Chefarzt des Krankenhauses<br />

Kemperhof, Prof. Dr. Fritz Hohmeier, der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Hans Bellinghausen,<br />

der Studienrat Dr. Anton Gabele, die Schauspieler Olga Hagebauer und Fritz Gerson, der<br />

musikalische Oberleiter des Stadttheaters, Dr. Wilhelm Schmidt-Scherf, der Intendant Hanns<br />

Kämmel und die Sängerin Anneliese Rothenberger. <strong>Die</strong> beliebte Künstlerin redete auf der<br />

Veranstaltung der NSDAP-Ortsgruppe Mitte „in anmutigen und liebenswürdigen Worten“<br />

über die Verantwortung der Kunst <strong>im</strong> Krieg und stellte „falsche Meinungen“ richtig, die zu<br />

„Meckereien“ geführt hätten. 568 Auch S<strong>im</strong>mer trat als Redner auf. 569 Das von ihm in seinem<br />

Spruchkammerverfahren betonte Redeverbot als Gauredner, 1943 vom Reichspropagandaamt<br />

aus unbekannten Gründen verhängt, 570 galt also nicht mehr.<br />

Ende September 1944 stellte S<strong>im</strong>mer in einer Rundverfügung klar, wann der Bunker<br />

aufzusuchen bzw. der <strong>Die</strong>nst wieder aufzunehmen sei, weil er beobachtet hatte, dass die<br />

Bunker zu früh aufgesucht bzw. zu spät wieder verlassen würden. Er habe nichts dagegen,<br />

dass bei Vollalarm in den Bunker gegangen werde, verlange aber „Disziplin, die die<br />

Grundlage des totalen Krieges ist. Ich werde nicht zurückscheuen, mit schärfsten Mitteln<br />

gegen die vorzugehen, die eine disziplinlose oder gar feige Haltung an den Tag legen.“ 571 Am<br />

5. Oktober klagte S<strong>im</strong>mer über die Zunahme der Krankmeldungen, die selbst die Erledigung<br />

der notwendigsten <strong>Die</strong>nstgeschäfte gefährde: „Jeder Beamte, Angestellte und Arbeiter hat die<br />

Pflicht, gerade in diesen Tagen durch Einsatz seiner ganzen Willenskraft bis zum Letzten<br />

seinen Posten auszufüllen.“ 572 Vier Tage später musste er feststellen, dass einige leitende<br />

567 Beispiele: NB, 28.10.1940: Kundgebungen <strong>im</strong> Kreis <strong>Koblenz</strong>; NB, 10.3.1941: „Front und He<strong>im</strong>at sind eine<br />

Einheit“; NB, 23.1.1942: Wir glauben an den deutschen Sieg! Vgl. Schnatz: Luftkrieg, S. 76 f.<br />

568 NB, 14.3.1944: Am Ende steht der deutsche Sieg!; NB, 23.3.1944: Der Sieg wird unser sein!; NB,<br />

25./26.3.1944: Alles Sinnen und Handeln dem Sieg! (Zitate); NB, 27.3.1944: Ein Wille beherrscht alle: Sieg!;<br />

NB, 28.3.1944: Einheit des Willens verbürgt den Sieg; NB, 17.4.1944: Am Ende steht der deutsche Sieg; NB,<br />

29./30.7.1944: Noch härter und entschlossener werden!; NB, 24.8.1944: Öffentliche Versammlung; NB,<br />

28.8.1944: <strong>Die</strong> He<strong>im</strong>at mobilisiert ihre Kraftreserven. S<strong>im</strong>mer hatte Fuhlrott <strong>im</strong> Februar 1944 mit der<br />

Vorbereitung einer öffentlichen Bürgerversammlung beauftragt. Er wollte darin über kriegsbedingte Arbeiten<br />

und kriegsentscheidende Angelegenheiten der Stadt berichten und um das Verständnis der Bürger werben. StAK<br />

623 Nr. 7011, S. 24 f.<br />

569 NB, 28.3.1944: Einheit des Willens verbürgt den Sieg.<br />

570 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949, Klageschrift Spruchkammer Trier vom<br />

15.11.1949. Nur das Redeverbot wird in der Literatur erwähnt, nicht dessen offensichtliche Aufhebung – ein<br />

weiterer Beleg für S<strong>im</strong>mers erfolgreiche „Vergangenheitspolitik“. Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 443.<br />

571 StAK 623 Nr. 3583, S. 6. Von den <strong>Die</strong>nststellenleitern verlangte S<strong>im</strong>mer die „unnachsichtig[e]“ Umsetzung<br />

der Verfügung; ebd., S. 7.<br />

572 StAK 623 Nr. 3583, S. 18.


295<br />

Herren nicht pünktlich zum <strong>Die</strong>nst erschienen, was er mit den Worten: „Das geht nicht.“<br />

kommentierte. 573<br />

Bei aller demonstrativen Strenge, die aber offenbar nicht <strong>im</strong>mer die gewünschte Wirkung<br />

erzielte, versuchte S<strong>im</strong>mer seiner Fürsorgepflicht nachzukommen. Am 20. Oktober 1944<br />

kündigte er an, er wolle ein „Gemeinschaftshaus“ für alle ausgebombten Gefolgschafts-<br />

mitglieder schaffen, wo man essen und wohnen könne, und bat um Meldung der<br />

Interessenten. Gleichzeitig räumte er ein: „Ob es mir gelingt, weiß ich noch nicht.“ Es ist<br />

unbekannt, ob der Plan verwirklicht wurde, aber am 23. Oktober richtete S<strong>im</strong>mer unter der<br />

Leitung von Trampp eine zentrale Betreuungsstelle für alle Fliegergeschädigten unter den<br />

Gefolgschaftsmitgliedern ein. Nach dem verheerenden Bombenangriff vom 6. November<br />

regelte S<strong>im</strong>mer angesichts der „Verhältnisse“ am 14. November die <strong>Die</strong>nstzeit neu. Ab sofort<br />

wurde nur noch von 7.30 Uhr bis 16 Uhr statt 19 Uhr gearbeitet. In der Mittagspause von<br />

12.30 Uhr bis 13 Uhr konnte gegen die Abgabe von Lebensmittelmarken <strong>im</strong> Sitzungssaal 101<br />

eine warme Mahlzeit eingenommen werden. <strong>Die</strong> Überweisung des Gehaltes war unmöglich,<br />

am 15. November gab es eine Abschlagszahlung in bar. 574<br />

5.3.3 S<strong>im</strong>mers „Unabhängigkeit“ und ihre Grenzen<br />

Nach Kriegsende legte S<strong>im</strong>mer in seiner Selbstdarstellung <strong>im</strong>mer größten Wert darauf, er<br />

habe unabhängig von der Partei seine eigenen Entscheidungen getroffen. Tatsächlich<br />

bestätigte in seinem Spruchkammerverfahren eine ganze Reihe von Zeugen seine<br />

Schwierigkeiten und Reibereien mit der Partei, weil er sich deren Wünschen nicht <strong>im</strong>mer<br />

gefügt hatte. 575<br />

<strong>Die</strong> bei Beförderungen obligate Stellungnahme der Kreis- bzw. Gauleitung war für S<strong>im</strong>mer<br />

nicht unbedingt bindend. Als ehemaliger Personaldezernent beschrieb Fuhlrott 1947 <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit seinem Spruchkammerverfahren Oberbürgermeister Schnorbach das<br />

Prozedere mit dem Ziel, sich bei ihm für dessen bis 1945 nie erfolgte Beförderung zu<br />

entschuldigen: <strong>Die</strong> Beförderungsvorschläge der Fachdezernenten „mußten, wie s. Zt. leider<br />

angeordnet, dem Kreisleiter und der Fachschaft [des RDB] zur Stellungnahme zugeleitet<br />

werden. Der Kreisleiter bediente sich dabei des Urteils des zuständigen Ortsgruppenleiters.<br />

Nach Rückkunft der Gutachten erfolgte erneute Durchsprache der Vorschläge […] be<strong>im</strong><br />

Oberbürgermeister. Als Personaldezernent hatte ich lediglich die Aufgabe der sachlichen<br />

Bearbeitung <strong>im</strong> Rahmen des Stellenplanes. Natürlich habe ich mich stets bemüht, […] die<br />

fachliche Eignung des Betreffenden in den Vordergrund zu schieben. Niemals die politische<br />

Einstellung. […] <strong>Die</strong> Entscheidung über Beförderungen lag aber […] ausschließlich in der<br />

573 StAK 623 Nr. 3583, S. 21.<br />

574 StAK 623 Nr. 3583, S. 33-36, 42, 44, Zitate S. 33, 42.<br />

575 LHAKo Best. 856 Nr. 90202.


296<br />

Hand des Oberbürgermeisters. Sowohl Oberbürgermeister Wittgen, als auch Ober-<br />

bürgermeister Dr. S<strong>im</strong>mer haben stets eifersüchtig, ja Letzterer sogar unduldsam darüber<br />

gewacht, diese Entscheidungen in eigener Hand zu behalten.“ 576 Bei der zum 1. November<br />

1944 vorgesehenen Beförderung Schnorbachs hatte Fuhlrott die Zust<strong>im</strong>mung des<br />

Gaupersonalamtes 577 erwirken wollen. Der Vorgang wurde <strong>im</strong> Februar 1945 abgelegt, ohne<br />

dass erkennbar wäre, woran bzw. an wem die Beförderung gescheitert war. Schnorbach<br />

reagierte 1947 kühl auf Fuhlrotts Rechtfertigungsversuche. <strong>Die</strong> damaligen Vorgänge „wären<br />

bei meiner christlichen Lebensauffassung auch heute für mich belanglos, wenn sie in irgend<br />

einer Form der Wahrheit entsprechen sollten.“ 578 Dagegen bescheinigte Schnorbach S<strong>im</strong>mer<br />

in dessen Spruchkammerverfahren, dass er ihm gegen Kriegsende trotz der negativen<br />

Stellungnahme der Partei eine Gehaltszulage gewährt habe. 579<br />

Das Beispiel des Kulturamtsleiters, Stadtoberinspektor Wilhelm Smits, illustriert ebenfalls die<br />

von Fuhlrott und Schnorbach beschriebene relative Eigenständigkeit von S<strong>im</strong>mers<br />

Personalentscheidungen. Als Smits zur Beförderung anstand, teilte das Gaupersonalamt <strong>im</strong><br />

Juni 1942 mit, Wetter sei als Leiter des Amtes für Beamte dagegen, weil Smits früher in<br />

Beamtenkreisen als „‚Edelkommunist’“ bekannt gewesen sei. Als weitere Begründung<br />

mussten ein angeblich noch allzu gut erinnerliches Strafverfahren wegen Bestechlichkeit<br />

gegen Smits als Leiter des Besatzungsamtes 1921/22 und sein damit zusammenhängender<br />

Selbstmordversuch herhalten, wobei unerwähnt blieb, dass das Verfahren mit einem<br />

Freispruch geendet hatte. Politisch bestünden gegen den Parteigenossen keine Bedenken, aber<br />

die Förderungswürdigkeit sei noch nicht gegeben, und S<strong>im</strong>mer solle sich mit dem Amt für<br />

Beamte in Verbindung setzen. <strong>Die</strong>s tat S<strong>im</strong>mer nicht, sondern er beförderte Smits auch ohne<br />

positives Votum zum 1. Juli 1942. 580 Ende des Jahres ging bei S<strong>im</strong>mer und be<strong>im</strong> Gauleiter<br />

eine anonyme, auf „Weihnachten 1942“ datierte Denunziation ein. Darin wurde Smits als<br />

„grosser Sonderling“ bezeichnet, der „öffentlich auf der Strasse eine französische Mütze, eine<br />

sogenannte Baskenmütze“ trage. Es gehe nicht an, dass ein zu vorbildlicher Führung<br />

verpflichteter deutscher Beamter sich nach „ausländischer Mode“ kleide, außerdem möge<br />

S<strong>im</strong>mer die Einhaltung seiner Arbeitszeit überprüfen. Das Schreiben blieb für Smits offenbar<br />

ohne Folgen. Es wanderte nicht in seine Personalakte, sondern in S<strong>im</strong>mers Handakte. 581<br />

576 StAK 623 Nr. 9744, S. 167 f. Schnorbach war bereits 1939 für eine Beförderung vorgesehen gewesen,<br />

Gaupersonalamtschef Koenig hatte ihn aber als noch nicht „förderungswürdig“ bezeichnet; ebd. Nr. 3805<br />

(unpaginiert).<br />

577 Während des Krieges war das übliche Verfahren der politischen Beurteilung bei laufbahnmäßigen<br />

Beförderungen dahingehend vereinfacht worden, dass die Gaupersonalämter nur noch eine Mitteilung erhielten.<br />

Rebentisch: <strong>Die</strong> „politische Beurteilung“, S. 113; vgl. auch Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 279-281.<br />

578 StAK 623 Nr. 3805 (unpaginiert); ebd. Nr. 9744, S. 163 (Zitat).<br />

579 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Schnorbach vom 28.7.1948. Auch in einem Lebenslauf vom<br />

14.10.1946 gab Schnorbach eine Höhergruppierung 1944 „auf besondere Anordnung des damaligen<br />

Oberbürgermeisters“ an; StAK 623 Nr. 3806 (unpaginiert).<br />

580 StAK 623 Nr. 3915, S. 445, 447 (Zitat).<br />

581 StAK 623 Nr. 8944, S. 110. Zum „Entwelschungsfanatismus“ vgl. Lothar Kettenacker: <strong>Die</strong> Chefs der<br />

Zivilverwaltung <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg. In: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung, S.<br />

396-417, hier S. 416.


297<br />

In der Personalsache Franz Meyendriesch beugte sich S<strong>im</strong>mer aber Forderungen der Gestapo.<br />

Meyendriesch hatte sich <strong>im</strong> Gespräch mit Jakob Müller über den vermeintlichen Untergang<br />

eines Schlachtschiffes geäußert. Einige Tage später erhielt Meyendriesch eine Vorladung zur<br />

Gestapo, die ihn verwarnte – ebenso wie Wirtz, der dasselbe Gerücht „verbreitet“ hatte. <strong>Die</strong><br />

Gestapo hielt eine Versetzung Meyendrieschs für angebracht und vermerkte <strong>im</strong> Mai 1940:<br />

„Durch den Oberbürgermeister der Stadt <strong>Koblenz</strong> wurde M. nahe gelegt, sich außerhalb von<br />

<strong>Koblenz</strong> um eine andere Stelle zu bewerben.“ 582 Am 6. November 1940 empfahl S<strong>im</strong>mer der<br />

Regierung Meyendriesch als fähigen und bewährten Beamten für eine Abordnung in die<br />

besetzten Gebiete und bezog sich dabei ausdrücklich auf den Vorfall. Zwar habe die<br />

Untersuchung der Gestapo ergeben, dass die Äußerung nur unbedacht und leichtfertig<br />

gefallen sei, dennoch halte sie Meyendrieschs „Verwendung in einem anderen Ort für<br />

zweckmässig und wünschenswert. <strong>Die</strong>ser Auffassung schliesst sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> an<br />

[…].“ Anfang 1941 wurde Meyendriesch als Stadtoberinspektor zur <strong>Stadtverwaltung</strong> des<br />

wesentlich größeren Lodz („Litzmannstadt“) abgeordnet. Schon <strong>im</strong> März wurde er dort zum<br />

Stadtoberamtmann befördert, noch bevor er <strong>im</strong> Juli 1941 auf eigenen Antrag aus den <strong>Die</strong>nsten<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> entlassen wurde. 1945 wurde Meyendriesch interniert, bis 1950<br />

war er in Buchenwald. Als er sich um seine Wiedereinstellung bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> und<br />

eine Wiedergutmachung bemühte, war die Frage der „Freiwilligkeit“ seines Wechsels und<br />

Antrags von 1941 das Hauptproblem. <strong>Die</strong> Stadt befragte u. a. S<strong>im</strong>mer nach den damaligen<br />

Hintergründen. S<strong>im</strong>mer bestritt 1951, Meyendriesch 1940 vor die Alternative gestellt<br />

zu haben, sich pensionieren zu lassen oder sich um eine andere Stelle zu bemühen.<br />

Fälschlicherweise behauptete er sogar: „Auch ist die Gehe<strong>im</strong>e Staatspolizei niemals mit<br />

einem solchen Ansinnen an mich herangetreten. Hätte sie ein solches Ansinnen an mich<br />

gestellt, dann hätte ich es zurückgewiesen.“ Sein eigenes Schreiben an die Regierung strafte<br />

S<strong>im</strong>mer Lügen. Es befand sich nicht in der Personalakte Meyendrieschs, aber in den Akten<br />

der Regierung, die <strong>im</strong> Wiedergutmachungsverfahren auf Bitten Meyendrieschs eine Abschrift<br />

fertigte. S<strong>im</strong>mers Sekretärin erinnerte sich zudem an einen Brief der Kreisleitung mit einer<br />

Versetzungsforderung in S<strong>im</strong>mers Schreibtisch. 583<br />

S<strong>im</strong>mer bemühte sich, in diesem ihn belastenden Fall eine weiße Weste zu behalten. Dass er<br />

die Versetzung Meyendrieschs seinerzeit befürwortet habe, begründete er <strong>im</strong> Nachhinein ganz<br />

anders, denn prinzipiell hätten die ihm unterstellten Beamten unter seinem „persönlichen<br />

Schutz“ gestanden. Es habe eine Reihe von Beamten in der <strong>Stadtverwaltung</strong> gegeben, die bei<br />

der Partei unerwünscht gewesen wären, wozu er indirekt sich selbst mitzählte: „Bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> war diese Zahl besonders groß, weil sich in der <strong>Stadtverwaltung</strong> mehrere<br />

Spitzel der Partei befanden. Auch ich fühlte mich laufend bespitzelt.“ Meyendriesch sei unter<br />

582 LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 52727_0 und 52727_1. Meyendriesch vermutete, Müller habe ihn bei der<br />

Gestapo denunziert. Er bezeichnete ihn als SD-Mitarbeiter. LHAKo Best. 856 Nr. 111570 (unpaginiert),<br />

Meyendriesch vom 22.4.1950; StAK 623 Nr. 3871, S. 39.<br />

583 StAK 623 Nr. 3871, Zitate S. 78, 126; LHAKo Best. 856 Nr. 111570 (unpaginiert), Protokoll vom<br />

10.11.1950.


298<br />

Wittgen eine „treibende Kraft“ bei der Bildung von sich gegenseitig bekämpfenden Cliquen<br />

gewesen, die bis zu den kleinsten Beamten gereicht und auf dem persönlichen Machtstreben<br />

Einzelner beruht hätten: „<strong>Die</strong>ses Gegeneinanderarbeiten hatte solche Formen angenommen,<br />

daß man sich in Dezernentenbesprechungen gegenseitig Schläge anbot, und Wittgen sich<br />

mehrmals gezwungen sah, die Besprechungen abzubrechen.“ Bei seinem <strong>Die</strong>nstantritt habe er<br />

„die <strong>Stadtverwaltung</strong> überhaupt wieder arbeitsfähig“ machen müssen, erklärte S<strong>im</strong>mer und<br />

gab seinem Vorgänger die Schuld an diesen Zuständen: „Wäre Oberbürgermeister Wittgen<br />

eine stärkere Persönlichkeit gewesen, dann hätte sich die Kliquenbildung garnicht entwickeln<br />

können.“ Er habe Meyendrieschs Wechsel unterstützt, weil jeder Personalaustausch die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> wieder arbeitsfähiger gemacht habe und weil er ihn in seinem beruflichen<br />

Fortkommen habe unterstützen wollen. 584<br />

Bei der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung am 2. September 1943 warnte S<strong>im</strong>mer vor<br />

defätistischen Äußerungen. Jede Tätigkeit müsse auf den Endsieg gerichtet sein und nichts<br />

dürfe den Abwehrwillen schwächen: „Für Defätisten gibt es keinen Raum.“ 585 In diesem<br />

Zusammenhang ist die staatspolizeiliche Verwarnung von S<strong>im</strong>mers 22-jähriger Hausan-<br />

gestellten Therese („Resi“) Lambert zu sehen, die möglicherweise auf eine Denunziation von<br />

S<strong>im</strong>mer selbst zurückging. S<strong>im</strong>mer hatte sich bei der jungen Frau nach der St<strong>im</strong>mung in der<br />

Bevölkerung erkundigt. Unter dem 3. April 1944 notierte die Gestapo: „<strong>Die</strong> L. hat sich<br />

gegenüber dem Oberbürgermeister Dr. S<strong>im</strong>mer geäußert, er sei wohl der einzige Mensch, der<br />

noch an den Sieg glaube.“ Den Haushalt in der Rheinau 1 hatte Lambert, die sich ihrerseits<br />

bei der DAF über ihren cholerischen Arbeitgeber beschwert hatte, schon <strong>im</strong> März 1944<br />

verlassen. 586<br />

5.3.4 S<strong>im</strong>mers Konflikt mit S<strong>im</strong>on und seine Einberufung zur Wehrmacht<br />

Abgesehen von S<strong>im</strong>mers kurzem Militärdienst 1940 war der Gefreite und Reserveoffiziers-<br />

anwärter bis 30. Juni 1944 auf Antrag des CdZ unabkömmlich gestellt. Ein vom<br />

Regierungspräsidenten <strong>im</strong> Anschluss gestellter Antrag auf erneute Uk-Stellung wurde<br />

abgelehnt. Es folgten mehrere Beschwerden Mischkes, die er unter Hinweis auf die Lage <strong>im</strong><br />

Westen, die jüngsten Luftangriffe und die Personalknappheit an der Spitze der Stadt-<br />

verwaltung gleichzeitig <strong>im</strong> Namen von RVK S<strong>im</strong>on einlegte. Das Stellvertretende<br />

Generalkommando lehnte eine weitere Uk-Stellung dennoch ab und verwies <strong>im</strong> September<br />

darauf, dass Klose, der zunächst nur einen vierwöchigen Arbeitsurlaub erhalten hatte, wieder<br />

584 StAK 623 Nr. 3871, Zitate S. 124-126.<br />

585 StAK 623 Nr. 8152, S. 61. Außerdem erinnerte er an die Verschwiegenheitspflicht der Beamten.<br />

586 LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 45911_0; StAK M 151, Hausblatt Rheinau 1; Mitteilung von Herrn Leonhard<br />

Janta, Kreisarchiv Ahrweiler, vom 24.2.2010, der vor Jahren von Frau Lambert besucht worden war. Lambert<br />

war zuvor <strong>im</strong> Haushalt von S<strong>im</strong>mers Bruder Peter tätig gewesen, der „viel netter“ als Nikolaus S<strong>im</strong>mer gewesen<br />

sei.


299<br />

uk-gestellt sei. 587 Daraufhin wandte sich S<strong>im</strong>on am 5. Oktober mit einer Eingabe an<br />

Innenstaatssekretär Wilhelm Stuckart. S<strong>im</strong>mer sei in <strong>Koblenz</strong> unentbehrlich: „<strong>Die</strong> Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> verfügt, wenn man von Dr. S<strong>im</strong>mer absieht, über keine einzige Kraft von irgend<br />

welchem Format.“ S<strong>im</strong>on erlaubte sich sogar den Hinweis, dass „Männer des Jahrgangs 1902<br />

nach meinen Erfahrungen von der Wehrmacht massenhaft in Stäben aller Art nicht voll<br />

eingesetzt sind“, sodass eine Einberufung S<strong>im</strong>mers unberechtigt wäre. Noch bevor eine<br />

Entscheidung getroffen wurde, wendete sich plötzlich das Blatt. Am 10. Oktober vermerkte<br />

Stuckart mit Rotstift: „S<strong>im</strong>mer ist <strong>im</strong> Komplex-Luxemburg wenig rühmlich aufgefallen“, und<br />

ließ schon nach einem Vertreter für ihn Ausschau halten. S<strong>im</strong>on gab dann am 31. Oktober<br />

über Mischke sein Einverständnis zu einer Ablehnung der Uk-Stellung. Zur offiziellen<br />

Begründung schrieb Stuckart S<strong>im</strong>on am 9. November, bei der gegenwärtigen militärischen<br />

Lage müssten die Wünsche ziviler <strong>Die</strong>nststellen zurücktreten, und schlug ihm bereits einen<br />

Ersatzmann für S<strong>im</strong>mer als kommissarischen Oberbürgermeister vor. 588<br />

Nach S<strong>im</strong>mers Darstellung war sein Verhältnis zu S<strong>im</strong>on bereits seit seinen Tagen als<br />

Kreuznacher Landrat getrübt. Im Herbst 1944 war S<strong>im</strong>on zwar nach wie vor von S<strong>im</strong>mers<br />

überdurchschnittlichen Fähigkeiten überzeugt, auf die er in der Gauhauptstadt nicht<br />

verzichten wollte, doch dann eskalierte der Konflikt zwischen den beiden, und von der alten<br />

Freundschaft aus Studententagen sollte endgültig nichts mehr übrig bleiben. <strong>Die</strong> Vorgänge <strong>im</strong><br />

„Komplex-Luxemburg“ betrafen möglicherweise die Umsiedlung von drei Familien aus Bad<br />

Mondorf, wo S<strong>im</strong>mer Staatskommissar war und die er selbst als eine der entscheidenden<br />

Auseinandersetzungen mit S<strong>im</strong>on schilderte. Bei den anderen Streitfällen, die S<strong>im</strong>mers<br />

Einberufung zur Wehrmacht vorausgingen, handelte es sich um Macht- und Kompetenzfragen:<br />

589<br />

In einer Sitzung unter Leitung von S<strong>im</strong>on in seiner Eigenschaft als RVK wurde S<strong>im</strong>mer von<br />

Parteivertretern angegangen, die ihm zur Trümmerbeseitigung zugeteilten 800 Kriegsge-<br />

fangenen würden nicht genug leisten. Seine Antwort, die Kriegsgefangenen unterstünden der<br />

Wehrmacht und er habe als Oberbürgermeister keine Disziplinargewalt über sie, erntete<br />

Entrüstung. S<strong>im</strong>on „fuhr mich [S<strong>im</strong>mer] erregt an und sagte: Wenn das Schicksal der Nation<br />

auf dem Spiel steht, dann fragt ein Oberbürgermeister nach Zuständigkeiten.“ Daraufhin<br />

beauftragte S<strong>im</strong>on Polizeipräsident Wetter dafür zu sorgen, dass die Kriegsgefangenen stärker<br />

herangezogen wurden, was Wetter mit einem „Jawohl, Gauleiter“ quittierte. Auf S<strong>im</strong>mers<br />

Bitte, ihn dann völlig von der Verantwortung für den Einsatz der Kriegsgefangenen zu<br />

entbinden, ließ sich S<strong>im</strong>on aber nicht ein, sondern ordnete an, dass er weiterhin für die<br />

587 LHAKo Best. 441 Nr. 43657, S. 211-220; BArch R 18/2056, Bl. 1-4. Mischke führte u. a. an, von den beiden<br />

verbliebenen Beigeordneten (Hansmeyer und Fuhlrott) führe einer auch noch die zweitgrößte NSDAP-<br />

Ortsgruppe.<br />

588 BArch R 18/2056, Bl. 5-13, Zitate Bl. 5.<br />

589 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949.


300<br />

technische Seite zuständig bleibe. Zwei Wochen vor seiner Einberufung zur Wehrmacht<br />

wurde S<strong>im</strong>mer auch die technische Einsatzleitung entzogen und Kreisleiter Artur Rumpel 590<br />

übertragen. 591<br />

Um die Jahreswende 1944/45 ordnete S<strong>im</strong>on nach Rücksprache mit Goebbels die<br />

Evakuierung der Stadt an. Als S<strong>im</strong>on ihn mit der Durchführung beauftragte, erhob S<strong>im</strong>mer<br />

Einwände und lehnte die Verantwortung ab. Wieder fuhr ihn S<strong>im</strong>on an: „Sie widersetzen sich<br />

grundsätzlich allen meinen Anordnungen. Wenn Sie als Oberbürgermeister sich weigern, die<br />

Evakuierung durchzuführen, dann werde ich die Stadt zwangsweise durch den Polizei-<br />

präsidenten evakuieren lassen.“ Auf einer Reichsverteidigungssitzung desselben Tages<br />

erhielten Wetter und Cattepoel den Auftrag zur Evakuierung, was laut S<strong>im</strong>mer zu einer<br />

vorhersehbaren Katastrophe führte. Als er zusammen mit Wetter <strong>im</strong> Januar 1945 zu<br />

Regierungspräsident Mischke bestellt wurde, gab dieser ihnen einen Gehe<strong>im</strong>befehl H<strong>im</strong>mlers<br />

bekannt, wonach sich die führenden Männer von Partei, Staat und Verwaltung be<strong>im</strong> Anrücken<br />

des Feinds rechtzeitig zurückziehen sollten. S<strong>im</strong>mer erklärte Mischke, er werde die<br />

Bevölkerung jetzt nicht <strong>im</strong> Stich lassen: „Wenn ich mich in der Stunde höchster Gefahr in den<br />

Wagen setzen und über den Rhein fahren würde, sähe die Bevölkerung darin eine feige<br />

Flucht.“ Mischke erwiderte, dass S<strong>im</strong>mer dann entweder von den Amerikanern oder <strong>im</strong> Fall<br />

der Rückeroberung von der SS erschossen werde. Auch auf diese Gefahr hin verweigerte<br />

S<strong>im</strong>mer die Flucht. Wetter meinte, wenn er so mutig sei, verstehe er nicht, warum er nicht<br />

längst Soldat geworden sei. Darauf antwortete S<strong>im</strong>mer, er sei Beamter und gehe dorthin, „wo<br />

mich ein höherer Befehl hinstellt“ – eine Aussage, die allerdings <strong>im</strong> Widerspruch zu seiner<br />

gerade erklärten Weigerung stand. Zwei Wochen später erhielt er seine Einberufung in einem<br />

Mannschaftsdienstgrad. 592<br />

Acht Tage bevor S<strong>im</strong>mer um den 11. Februar 1945 593 Soldat wurde, fand wieder eine<br />

Reichsverteidigungssitzung statt, an der „alle Vertreter der Partei, der Parteigliederungen, des<br />

Staates, der Wehrmacht, der Reichspost, der Reichsbahn, der OT usw.“ teilnahmen. Als<br />

S<strong>im</strong>mer in dieser Sitzung einem Befehl des Gauleiters widersprach, „zeigte er [S<strong>im</strong>on] sich<br />

mir [S<strong>im</strong>mer] gegenüber so gereizt, daß er mit der Faust auf den Tisch schlug, mich schreiend<br />

anfuhr und sagte: ‚Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort.’“ So endete das letzte Zusammentreffen<br />

der einstigen Studienfreunde. 594<br />

590 Vgl. Kapitel 8.8.<br />

591 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949.<br />

592 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949.<br />

593 Ein genaues Datum ist in den Akten nicht genannt. Für den 7.2.1945 ist noch ein Gespräch S<strong>im</strong>mers mit<br />

Smits belegt, das einige Tage vor seinem Einrücken bei der Wehrmacht stattfand; StAK 623 Nr. 7068, S. 625,<br />

631.<br />

594 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), S<strong>im</strong>mer vom 5.11.1949.


301<br />

5.4 Der Abgesang: Dr. Konrad Gorges<br />

Der Oberbürgermeister von Trier, Dr. Konrad Gorges 595 , wurde am 12. oder 13. Februar<br />

1945 596 kommissarisch auf den vakanten <strong>Koblenz</strong>er Oberbürgermeisterposten berufen. Der<br />

46-jährige Jurist war von 1933 bis 1938 Landrat von Altenkirchen gewesen, bevor er 1938 in<br />

Trier die Nachfolge des verstorbenen Oberbürgermeisters Christ angetreten hatte. 1943 hatte<br />

er zusätzlich das Oberbürgermeisteramt der Stadt Luxemburg übernommen. Gorges war<br />

NSDAP-Mitglied, aber weder Alter Kämpfer noch fanatischer Nationalsozialist. Der<br />

Verwaltungsfachmann galt als tüchtig und geschickt, war „dazu ein Mann von Bildung und<br />

Wissen“, der <strong>im</strong> Bewusstsein der Autorität seines Amtes „stets überlegen reserviert“ oder gar<br />

mit spöttischer Ironie auftrat, aber in dienstlichen Belangen <strong>im</strong>mer wohlwollendes<br />

Verständnis zeigte. 597 Seine Abberufung aus Trier erfolgte für ihn überraschend und gegen<br />

seinen Willen, weil er die Absicht gehegt hatte, die Stadt den Amerikanern kampflos zu<br />

übergeben. 598<br />

Im Ostbunker des Kemperhofs, wo auch Fuhlrott und Hansmeyer gemeinsam mit einigen<br />

ausgebombten städtischen Bediensteten untergebracht waren, wurde Gorges die Zelle Nr. 207<br />

hergerichtet. Smits gab noch am 23. Februar 1945 die Weisung aus: „Das Ganze soll ein<br />

gemütlicher Wohnraum werden.“ Zu diesem Zweck schickte er aus Museumsbeständen<br />

Gemälde mit Jagdszenen und ein gotisches Stollenschränkchen. 599 Unter demselben Datum<br />

erhielt Theater-Geschäftsführer Willi Glindemann, der sich zur Kur (!) <strong>im</strong> Breisgau aufhielt,<br />

ein von Gorges und Fuhlrott unterzeichnetes Beileidsschreiben zum „Heldentod“ seines<br />

zweiten Sohnes, was belegt, bis in welche Details die Verwaltung noch funktionierte. 600<br />

Nach einer Augenoperation lag Lanters als Patient <strong>im</strong> Ostbunker. Am 7. März, als die<br />

Vorbereitungen zur Evakuierung der <strong>Stadtverwaltung</strong> liefen, fragte ihn Gorges, ob sein<br />

Gesundheitszustand ihm das Verlassen der Stadt erlaube. Lanters erklärte ihm, er wolle seine<br />

He<strong>im</strong>at nicht verlassen und sei bereit, die restliche Verwaltung zu übernehmen. Er werde für<br />

seine Landsleute nach Möglichkeit „eintreten und sorgen.“ Genau darum hatte Gorges ihn<br />

bitten wollen, wie er ihm dann verriet. Auch Schnorbach hatte Gorges bereits erklärt, in<br />

<strong>Koblenz</strong> bleiben zu wollen, worauf er sich belehren lassen musste, dass er dies nur mit<br />

595 * 17.7.1898 Kassel, + 7.11.1968 Klosterhof Siebenborn/Mosel, evangelisch, verheiratet, 1931-1933 DVP-<br />

Mitglied, April 1933 NSDAP-Mitglied. Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 475; Kampmann: Wenn Steine reden, S. 23-25; StAK FA2 Nr. 2084 (Foto).<br />

596 Romeyk gibt 12.2.1945 an, Gorges selbst 13.2.1945. Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen<br />

Verwaltungsbeamten, S. 475; LHAKo Best. 856 Nr. 220333, Gorges vom 17.7.1946.<br />

597 Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 182-184, Zitate S. 183; Bollmus: Trier und der NS, S. 540 f.<br />

598 Bollmus: Trier und der NS, S. 587; LHAKo Best. 856 Nr. 220333. In Gorges’ Spruchkammerverfahren gab<br />

ein Zeuge an, Gaupropagandaleiter Urmes habe Gorges sogar mit vorgehaltener Waffe zum Verlassen der Stadt<br />

gezwungen; LHAKo Best. 856 Nr. 220333, Federico Dauelsberg vom 13.8.1945. Trier wurde am 2.3.1945<br />

besetzt.<br />

599 StAK 623 Nr. 7096, S. 399-401, Zitat S. 399.<br />

600 StAK 623 Nr. 2629 (unpaginiert), Glindemann vom 1.7.1945. Der Brief erreichte ihn am 21.3.1945.


302<br />

ausdrücklicher Genehmigung dürfe. Gorges bezog sich ebenso wie Mischke auf eine gehe<strong>im</strong>e<br />

Verfügung des Reichsinnenministers, nach der sich die Verwaltungen be<strong>im</strong> Anrücken des<br />

Feindes zurückziehen sollten, ihr Verbleib galt als Landesverrat. Auf diese Belehrung hin<br />

hatte Schnorbach nur geschwiegen, denn er war entschlossen, die Stadt auf keinen Fall zu<br />

verlassen. Nach Lanters’ Erinnerungen fuhr Gorges darauf zu Gauleiter S<strong>im</strong>on – Gauleiter<br />

und Gaustab befanden sich nach der Zerstörung des Gauhauses am 6. November 1944 <strong>im</strong><br />

Jagdschlösschen Sayneck bei Isenburg 601 –, um dessen Zust<strong>im</strong>mung für den Verbleib von drei<br />

Beamten einzuholen, die „die Rechte der Stadt gegenüber den Amerikanern wahren sollten.“<br />

Am 12. März unterzeichnete Gaupropagandaleiter Urmes als der „Sonderbeauftragte des<br />

Gauleiters für Räumung“ 602 in einem bombensicheren Bunker in der Pfaffendorfer<br />

Ravensteynstraße einen an Gorges oder dessen Stellvertreter adressierten sofortigen<br />

Räumungsbefehl für die gesamte <strong>Stadtverwaltung</strong> und bekräftigte, dass eine Zuwider-<br />

handlung Landesverrat bedeute. Drei politisch nicht exponierte Beamte sollten zur<br />

Abwicklung der Verwaltungsgeschäfte bleiben. Auf Lanters’ Einwand, drei Mann seien zu<br />

wenig, genehmigte Gorges auf eigene Verantwortung den Verbleib von sechs männlichen und<br />

vier weiblichen Bediensteten einschließlich Schreibkräften. Gorges beauftragte Lanters mit<br />

der kommissarischen Leitung der <strong>Stadtverwaltung</strong> und bestellte Schnorbach zu dessen<br />

Vertreter. Laut Lanters verließ sie Gorges „nur höchst ungern“. 603 Auch Klose machte in<br />

seinem Spruchkammerverfahren geltend, er habe sich nur auf Druck seines Vorgesetzten und<br />

insbesondere des Gauleiters in den Pfaffendorfer Bunker begeben. 604<br />

RVK S<strong>im</strong>on hatte am 14. September 1944 „Richtlinien für die Behörden <strong>im</strong> Falle der<br />

Besetzung von Landesteilen durch den Feind“ herausgegeben. An erste Stelle war darin die<br />

Vernichtung von Gehe<strong>im</strong>akten gesetzt, danach die Auswahl der Personen, die an Stelle der<br />

Landräte und Oberbürgermeister zur Betreuung der Bevölkerung verbleiben sollten. Sie<br />

sollten durch den Regierungspräsidenten <strong>im</strong> Einvernehmen mit dem Gauleiter best<strong>im</strong>mt<br />

werden, wobei es sich nicht um bisher in Partei und Staat exponierte Personen handeln sollte:<br />

„Sie sind möglichst durch ältere Behördenangehörige zu ersetzen, die politisch nicht<br />

besonders hervorgetreten sind und der Bevölkerung gegenüber das zu ihrer Amtsführung<br />

erforderliche Vertrauen genießen.“ Im Klartext hieß dies, dass <strong>im</strong> Falle der äußersten<br />

Bedrohung durch den Feind die Verantwortung an diejenigen übergehen sollte, die der Partei<br />

eher distanziert gegenüber gestanden hatten. Das Verlassen des <strong>Die</strong>nstsitzes durfte auf keinen<br />

Fall vor Aufgabe des Gebietes durch die Wehrmacht erfolgen und die zurückbleibenden<br />

601 Schnatz: Luftkrieg, S. 313. Vgl. Peter Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2: Lageberichte und andere<br />

Meldungen des Sicherheitsdienstes der SS, der Gestapo und sonstiger Parteidienststellen <strong>im</strong> Gau Moselland<br />

1941-1945, Teil 2, 1944-1945 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 58). <strong>Koblenz</strong><br />

1992, S. 804-806, 811.<br />

602 NB, 13./14.1.1945: Der Sonderbeauftragte des Gauleiters für Räumung gibt bekannt.<br />

603 StAK N 51, S. 11, 30 f., Zitate S. 31; LHAKo Best. 856 Nr. 220333, Urmes vom 12.3.1945 (beglaubigte<br />

Abschrift); Schnatz: Luftkrieg, S. 443; Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren.<br />

<strong>Die</strong> Stunde Null. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1975], o. S., Tagebucheintrag Josef Schnorbach vom 12.3.1945.<br />

604 LHAKo Best. 856 Nr. 110010 (unpaginiert), Prengel (Kloses Rechtsanwalt) vom 8.3.1948.


303<br />

Behördenangehörigen wurden angewiesen, „in keiner Form in die <strong>Die</strong>nste des Feindes zu<br />

treten.“ 605 Ähnlich lautende Anweisungen hatte S<strong>im</strong>on einen Tag zuvor für die Partei-<br />

dienststellen erlassen. Danach sollten sich alle Parteigenossen, die höhere Verwaltungsposten<br />

bekleidet hatten, in die Auffanggebiete absetzen. 606<br />

Seit Anfang Januar 1945 waren Teile der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> ersten Obergeschoss des<br />

Nagelsgassen-Bunkers untergebracht. 607 Bei einem der Bombenangriffe der zweiten<br />

Jahreshälfte 1944 war der Südflügel des Rathausgebäudes I beschädigt worden, 608 der Rest<br />

des Rathauses blieb bis Kriegsende unversehrt. 609 Viele städtische Bedienstete waren schon<br />

evakuiert, als am 12. oder 13. März der noch verbliebene Rest in mehreren Bussen <strong>Koblenz</strong> in<br />

Richtung Filsen verließ, andere begaben sich „auf <strong>Die</strong>nstbefehl“ 610 zu Verwandten. Auf<br />

Schnorbachs Vorschlag blieben Wilhelm Hütte (Finanzverwaltung), Oberingenieur Wilhelm<br />

Gerke (Leiter des Maschinenamtes), Technischer Stadtinspektor Jakob Deboeser<br />

(Bauverwaltung), Straßenmeister Martin Hamacher (Tiefbauamt), Stadtoberinspektor<br />

Hermann Oehl (Sparkasse), Stadtoberinspektor Wilhelm Meyer (Städtische Polizei) sowie<br />

drei Stenotypistinnen 611 in <strong>Koblenz</strong>. Am 13. März gab der Kampfkommandant,<br />

Oberstleutnant Erich Löffler, 612 den Befehl 613 zur sofortigen Räumung der Stadt und<br />

verhängte den Ausnahmezustand. Am Abend des 13. März kehrte die <strong>Stadtverwaltung</strong> aus<br />

Filsen zurück, weil der Abreisebefehl nicht vom Gauleiter als RVK, sondern von einer<br />

untergeordneten Stelle 614 gegeben worden wäre. Bis zuletzt blieben Formalien also<br />

bedeutsam. Da der Nagelsgassen-Bunker innerhalb des militärischen Sperrgebiets lag,<br />

musste er am 14. März geräumt werden, und die Verwaltung zog am 15. März in den<br />

Bahnhofsbunker um. 615 Fuhlrott stellte Trampp am 14. März eine Bescheinigung aus, wonach<br />

er auf Anordnung des RVK verpflichtet sei, „mit sieben Beamten und Angestellten zur<br />

605<br />

LHAKo Best. 537,21 Nr. 41 (unpaginiert), Gauleiter und RVK vom 14.9.1944. Klose gab an, es habe ein<br />

Schreiben S<strong>im</strong>ons gegeben, wonach der Oberbürgermeister dafür sorgen müsse, dass sich kein Beigeordneter<br />

den Amerikanern zur Verfügung stelle; LHAKo Best. 856 Nr. 110010 (unpaginiert), Prengel vom 8.3.1948.<br />

606<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 160 f.<br />

607<br />

Mitteilung von Frau Margret Kaltenmorgen, <strong>Koblenz</strong>, vom 7.1.2011.<br />

608<br />

Vgl. StAK FA2 Nr. 2092.<br />

609<br />

Im NB war Mitte Mai noch ein Foto des unbeschädigten Rathauses erschienen; NB, 13./14.5.1944. <strong>Die</strong><br />

meisten Ämter konnten <strong>im</strong> Rathaus verbleiben; Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 24.2.2011. Am<br />

6.11.1944 hatte die Bendorfer Feuerwehr das Übergreifen der Brände auf das Rathaus verhindern können;<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 301.<br />

610<br />

LHAKo Best. 856, Nr. 110475, Pfannschmidt vom 12.8.1945 und Lebenslauf.<br />

611<br />

Schnorbachs Tochter Marianne, Elisabeth Ernest und (wahrscheinlich Barbara) Lang. Vgl. StAK 623 Nr.<br />

9382, S. 14, 16, 20.<br />

612<br />

Zu Löffler und der Einnahme von <strong>Koblenz</strong> vgl. Hans-Joach<strong>im</strong> Mack: <strong>Die</strong> Kämpfe <strong>im</strong> Rhein-Mosel-Gebiet<br />

und um <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> März 1945 (Mittelrheinische Hefte 16). <strong>Koblenz</strong> 1990, S. 24-41.<br />

613<br />

Faks<strong>im</strong>ile in: Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren. <strong>Die</strong> Stunde Null,<br />

Innenblatt.<br />

614<br />

Als Absender des Räumungsbefehls war „Gauleitung Moselland. Der Gauleiter“ angegeben, Urmes hatte als<br />

„Gaupropagandaleiter“ und nicht als Sonderbeauftragter unterzeichnet; LHAKo Best. 856 Nr. 220333, Urmes<br />

vom 12.3.1945 (beglaubigte Abschrift).<br />

615<br />

StAK N 51, S. 31; Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren. <strong>Die</strong> Stunde Null,<br />

Tagebucheinträge Schnorbach vom 13. bis 15.3.1945. Lanters datiert die Fahrt nach Filsen auf den 12.3.,<br />

Schnorbach, der außerdem von Lastwagen spricht, auf den 13.3.1945.


304<br />

Gauhauptstadt We<strong>im</strong>ar zu fahren. <strong>Die</strong> Genannten sollen berechtigt sein, alle Eisenbahnzüge<br />

zu benutzen. Es wird gebeten, dem Transport Rat und Hilfe zu gewähren.“ 616<br />

Gorges rückte erst am frühen Morgen des 17. März zusammen mit den wehrfähigen Männern<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong> nach Pfaffendorf ab. Gegen 9 Uhr erreichten die ersten amerikanischen<br />

Truppenteile die Gegend des Krankenhauses Kemperhof, was die Hunderten von Kranken in<br />

beträchtliche Aufregung versetzte, zumal sich eine Gruppe von etwa zwölf deutschen<br />

Soldaten, die jedoch nur aus kaum bewaffneten Halbgenesenen bestand, in den Ostbunker<br />

zurückgezogen hatte. Der anführende Leutnant war angesichts der aussichtslosen Lage bereit<br />

sich zu ergeben, obwohl man sich „nachts tüchtig Mut angetrunken“ hatte. Der ebenfalls <strong>im</strong><br />

Bunker anwesende Geistliche Rektor Josef Schmitt berichtete von einem National-<br />

sozialistischen Führungsoffizier, der mit entsichertem Revolver fuchtelnd vergeblich<br />

versuchte, Lanters und Schmitz von der Kapitulation abzuhalten. In der Kemperhof-Chronik<br />

taucht ein vom Kampfkommandanten geschickter Offizier auf, der sich be<strong>im</strong> Anblick der<br />

Amerikaner aber „wieder aus dem Staub“ machte. Als um ca. 9.20 Uhr amerikanische<br />

Soldaten in den unterirdischen Bunkereingang eindrangen, ging ihnen Lanters zusammen mit<br />

Stadtamtmann Schmitz, der sich laut Schmitt mit einem weißen Bettlaken ausgerüstet hatte,<br />

entgegen und bat den befehlshabenden Offizier um Schonung der Krankenhäuser. Lanters<br />

verbürgte sich persönlich für die amerikanische Bedingung, dass die deutschen Soldaten<br />

keinen Widerstand leisten würden. Sie wurden gefangen genommen und abgeführt, ihre<br />

Waffen weggeschlossen. 617<br />

Am 18. März 1945 war das gesamte linksrheinische Stadtgebiet von den Amerikanern<br />

eingenommen, einen Tag später auch das letzte Widerstandsnest auf Fort Konstantin.<br />

Rechtsrheinisch war der Krieg erst am 27. März zu Ende. Gorges hatte auf der rechten<br />

Rheinseite <strong>im</strong> Einvernehmen mit dem militärischen Kampfkommandanten das Einrücken der<br />

Amerikaner abgewartet. Entgegen dem Räumungsbefehl setzte er sich nicht weiter ab,<br />

sondern stellte sich der Besatzungsmacht. Im April 1949 wurde er als Mitläufer eingestuft. 618<br />

Im Kampf um <strong>Koblenz</strong> waren 34 Soldaten gefallen und 33 Zivilisten durch Artilleriebeschuss<br />

umgekommen. 619<br />

616 LHAKo Best. 856 Nr. 200461, Bescheinigung vom 14.3.1945 (Abschrift).<br />

617 StAK S 4 Nr. 3, S. 146-149, Zitate S. 146 f.; ebd. N 51, S. 1, 31 f., teilweise veröffentlicht in: <strong>Koblenz</strong>er<br />

erinnern sich an das Ende des Krieges 1944/45. Hg. v. Franz-Josef Heyen u. a. In: <strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur<br />

Geschichte und Kultur, NF 6, 1996, S. 109-167, hier S. 129 f.; RZ, 14.2.1985: Das Schl<strong>im</strong>mste verhütet<br />

[Leserbrief von Josef Schmitt]; Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren. <strong>Die</strong><br />

Stunde Null, Tagebucheintrag Schnorbach vom 17.3.1945. Schnorbach befand sich nicht <strong>im</strong> Ostbunker. Noch<br />

am Nachmittag des 17.3. stattete er dem Kampfkommandanten einen letzten Besuch ab.<br />

618 LHAKo Best. 856 Nr. 220333 (unpaginiert), Z<strong>im</strong>och vom 25.6.1948, Säuberungsspruch vom 28.4.1949.<br />

619 StAK 623 Nr. 7024, S. 35. Dagegen werden <strong>im</strong> Entwurf für den Verwaltungsbericht 1946 35 zivile Tote<br />

genannt, die bei den Eroberungskämpfen ums Leben gekommen seien; StAK 623 Nr. 8039, S. 8.


5.5 Zwischenergebnis<br />

305<br />

Abgesehen von der Einführung des Führerprinzips gab es in der <strong>Stadtverwaltung</strong> keine<br />

Verwaltungsreform oder Neuorganisation, die man mit dem Attribut „nationalsozialistisch“<br />

versehen könnte. Erst der Krieg brachte einen grundlegenden „Gestaltwandel“ mit sich. 620 <strong>Die</strong><br />

Bestrebungen zur Vereinfachung und „Modernisierung“ der Verwaltung 621 waren nicht<br />

ideologisch begründet, sondern verdankten sich allgemeinen Tendenzen 622 sowie – nach dem<br />

Motto „Neue Besen kehren gut“ – den Personalwechseln an der Stadtspitze. Gleichwohl<br />

wurde die <strong>Stadtverwaltung</strong> als Behörde in ihrem Innern rigoros von der neuen Welt-<br />

anschauung geformt. Den Schlüssel dazu lieferte das Personal. Personalentscheidungen,<br />

besonders krass in den Fällen Wirtz, Klose und Meyendriesch, orientierten sich klar an<br />

politisch-ideologischen Vorgaben, wobei bei der Personalbeurteilung die entscheidende<br />

Deutungshoheit außerhalb der Verwaltung, nämlich bei der Partei lag. Der Anpassungsdruck<br />

blieb stark, wofür neben Wittgen Personaldezernent Fuhlrott sowie die beiden RDB-Vertreter<br />

Plönissen und Müller sorgten. <strong>Die</strong> politische Zuverlässigkeit als oberste Richtschnur verlor<br />

– zumindest in Einzelfällen nachweislich – erst <strong>im</strong> Laufe des Krieges unter S<strong>im</strong>mer an<br />

Gewicht: <strong>Die</strong> „Märzgefallenen“ Hüster und Hansmeyer wurden aufgrund ihrer fachlichen<br />

Qualifikation Beigeordnete, Rogg als reaktivierter Ruhestandsbeamter arbeitete faktisch<br />

wieder als Dezernent, Mand als politisch wenig zuverlässiger Parteigenosse wurde<br />

Abteilungsleiter, und Schnorbach, der sich der Partei verweigerte, erhielt gegen deren Votum<br />

eine Gehaltserhöhung. Nachdem die Gleichschaltung der städtischen Bediensteten <strong>im</strong><br />

Wesentlichen um 1935 abgeschlossen war, erforderte der Krieg ein „Nachjustieren“ <strong>im</strong> Sinne<br />

einer inneren Mobilmachung, die mehr denn je an die Vorbildfunktion der Beamten für die<br />

restliche Volksgemeinschaft appellierte und sie in die Propagandamaschinerie der NSDAP<br />

einspannte.<br />

Wittgen gelang es trotz fehlenden Rückhalts in der Partei erstaunlich lange, sich einem<br />

Rücktritt oder einer Pensionierung zu widersetzen, da ihm keine konkreten Verfehlungen<br />

vorzuwerfen waren, er sich stur stellte und auf formales Recht pochte. Doch zeigen sein<br />

Beispiel und das der Einberufung S<strong>im</strong>mers, dass der Gauleiter – und zwar in beiden Fällen <strong>im</strong><br />

Verein mit dem Staat – schlussendlich am längeren Hebel der Macht saß. Überhaupt erwies<br />

sich der Gauleiter insbesondere bei Personalfragen als die treibende Kraft sowohl hinter den<br />

Kulissen als auch auf offener Bühne. Während Wittgen die mangelnde öffentliche<br />

Anerkennung seiner Leistungen und die der <strong>Stadtverwaltung</strong> zwar wurmte, trieb ihn doch<br />

nicht in dem Maße der persönliche Ehrgeiz wie dies be<strong>im</strong> wesentlich jüngeren S<strong>im</strong>mer der<br />

620<br />

Zu diesem Ergebnis kommt für Augsburg auch Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 96, 275<br />

(Zitat).<br />

621<br />

Vgl. auch die in Kapitel 4.3.4 beschriebene Bildung der Beiräte anstelle der zahlreichen Ausschüsse, die der<br />

Verwaltung entgegenkam.<br />

622<br />

Dazu sei nur das Stichwort „Büroreform“ genannt; vgl. Cornelia Vismann: Akten. Medientechnik und Recht.<br />

2. Aufl. Frankfurt am Main 2001, S. 267-269, 318.


306<br />

Fall war. Dessen Verhältnis zum Gauleiter und zur Partei war zumindest zu Anfang seiner<br />

Amtszeit keineswegs so tief gestört, wie es seine bis in jüngste Zeit überaus erfolgreiche<br />

Vergangenheitspolitik glauben machen wollte.<br />

Durch die Bereitstellung materieller und personeller Ressourcen verbesserte die Stadt die<br />

Rahmenbedingungen für die Arbeit der Partei. Damit trug sie zur Stabilisierung des NS-<br />

Herrschaftssystems bei. Aber auch aktiv und unmittelbar stützte sie durch ihre<br />

Verwaltungspraxis die neuen Machtverhältnisse, wie z. B. die Teilnahme am Wirtschafts-<br />

boykott gegen die Juden, die Einrichtung der Beratungsstelle des Standesamtes oder Kloses<br />

devote Haltung gegenüber Gauleiter S<strong>im</strong>on deutlich demonstrieren. <strong>Die</strong> Umsetzung der<br />

nationalsozialistischen Ideologie in der täglichen Verwaltungsarbeit ist Thema des folgenden<br />

Kapitels.


307<br />

6 Gemeinde zwischen „Volk“, Partei und Staat<br />

Am Beispiel der kommunalen Aufgabenfelder Wohlfahrtswesen, Bauwesen und Kultur wird<br />

das konkrete Verwaltungshandeln der Stadt <strong>Koblenz</strong> untersucht, überlieferungsbedingt in sehr<br />

unterschiedlicher Breite und Tiefe. <strong>Die</strong> Gemeinde als die kleinste, aber „volksnächste Zelle“<br />

<strong>im</strong> Organismus des NS-Staates bewegte sich dabei <strong>im</strong> Spannungsfeld von „Volk“, Partei und<br />

Staat. 1 <strong>Die</strong> ursprüngliche, eigentliche Verwaltungsklientel, die Gesamtbevölkerung der<br />

politischen Gemeinde, verengte sich tendenziell auf die „Volksgemeinschaft“. 2 Traditionell<br />

war die Kommune dem Gemeinwohl verpflichtet und sollte eine Daseinsvorsorge für alle<br />

Bürger gewährleisten. Doch ab 1933 wurde aus dem Gemeinwohl der „Gemeinnutz“ und auf<br />

der politischen Tagesordnung stand die rassistisch-biologistisch motivierte Exklusion aller<br />

Gemeinschaftsfremden. 3 Obwohl der NSDAP ein kommunalpolitisches Programm <strong>im</strong><br />

engeren Sinne fehlte, 4 mangelte es nicht an weltanschaulichen Vorgaben für alle Bereiche der<br />

täglichen Verwaltungspraxis. Der Staat weitete seine Aufsichtsrechte in der DGO durch eine<br />

dehnbare Generalklausel aus: Er wachte gemäß § 106 darüber, ob die Gemeinde „<strong>im</strong> Einklang<br />

mit den Gesetzen und den Zielen der Staatsführung verwaltet wird.“ § 109 DGO gab der<br />

Aufsichtsbehörde – dem Reichsminister des Innern – das Recht, diesen Zielen zuwiderlaufende<br />

Entschließungen und Anordnungen der (Ober-)Bürgermeister aufzuheben. 5<br />

6.1 Wohlfahrtswesen<br />

6.1.1 Ausgangslage, erste Maßnahmen und Entlastung von Aufgaben<br />

<strong>Die</strong> Wirtschaftskrise belastete die Stadt nicht nur finanziell enorm. <strong>Die</strong> hohe Zahl der<br />

Unterstützungsfälle ließ das Wohlfahrtsamt auch personell an seine Leistungsgrenzen stoßen.<br />

Amtsleiter Johannes Schmitz 6 drängte seit Ende 1931 Bürgermeister Binhold und Abteilung I<br />

mehrfach auf Abhilfe durch Umorganisation und Personalaufstockung. Der Ausbau des<br />

Außendienstes, so argumentierte Schmitz, sei <strong>im</strong> finanziellen Interesse der Stadt in Zeiten der<br />

1 Waldemar Schön: Volk, Partei, Staat und Gemeinde. In: <strong>Die</strong> nationalsozialistische Gemeinde 4 (1936) S. 690-<br />

692, Zitat S. 692. Schön war Jurist und von 1934 bis 1938 Geschäftsführer des Hauptamtes für<br />

Kommunalpolitik; Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 171, 193.<br />

2 Vgl. Wildt, der <strong>im</strong> Anschluss an Fraenkel die „Umwandlung eines Staatsvolkes in eine Volksgemeinschaft“<br />

beschreibt; Wildt: <strong>Die</strong> politische Ordnung, S. 58. Zur kontroversen Debatte um die „Volksgemeinschaft“ als<br />

analytisches Konzept vgl. Ian Kershaw: „Volksgemeinschaft“. Potenzial und Grenzen eines neuen<br />

Forschungskonzepts. In: VjZ 1 (2011), S. 1-17.<br />

3 Michael Stolleis: Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. In: Jeserich<br />

u. a. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, S. 707-724, hier S. 711 f.<br />

4 Als eine Art Ersatzprogramm diente die Schrift von Karl Fiehler „Nationalsozialistische Gemeindepolitik“, die<br />

erstmals 1929 <strong>im</strong> Münchener Verlag Franz Eher als Heft 10 der Reihe „Nationalsozialistische Bibliothek“<br />

erschien und mehrfach neu aufgelegt wurde. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 36, 53;<br />

Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 196 Anm. 23.<br />

5 RGBl. I, S. 49.<br />

6 * 30.3.1888 Algrange (Lothringen), + 4.11.1955 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet, Zentrumsmitglied, 1940<br />

NSDAP-Mitglied, seit 1920 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>. StAK 623 Nr. 6651, S. 56-60; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>,<br />

Sterbeurkunde Nr. 1155/1955; LHAKo Best. 860P Nr. 3136.


308<br />

Massenarmut und des Fürsorgemissbrauchs unumgänglich. Angesichts des Personalmangels<br />

seien Gesetzesverstöße kaum mehr zu vermeiden, denn die meisten Arbeitsgebiete („Raten“)<br />

in der Allgemeinen Fürsorge hätten 500 Fälle bereits überschritten. 1932 kam es dann zu einer<br />

Reihe von Neuerungen. Für jeden Unterstützungsfall wurden Kontokarten eingeführt, eine<br />

Zentralkartei wurde angelegt und statt der bisherigen Einteilung der Raten nach Alphabet oder<br />

speziellen Fürsorgegruppen wurde das Stadtgebiet ab 1. Juni 1932 in fünf Fürsorgebezirke 7<br />

eingeteilt. Sozialreferentin Loenartz verteidigte zwar einerseits die aktuelle Bedeutung ihres<br />

Referats Jugend und Gesundheit mit 21 weiblichen Kräften (davon zehn Wohlfahrts-<br />

pflegerinnen), andererseits zeigte sie sich angesichts der Lage zu Zugeständnissen bei einer<br />

Personalumschichtung 8 bereit. So wurden die fünf in der Familienfürsorge beschäftigten<br />

Wohlfahrtspflegerinnen ab Anfang 1932 halb der Allgemeinen Fürsorge zugeteilt, was<br />

angesichts der Überschneidungen in den Arbeitsgebieten sinnvoll erschien. Da in der<br />

Familienfürsorge schon seit Jahren nach dem Bezirkssystem gearbeitet wurde, verfügten die<br />

Frauen über wertvolle Sachkenntnisse, mit denen sie die Ermittlungsbeamten bei ihren<br />

Kontrolltätigkeiten unterstützen sollten. 9 Eine grundlegende Neuorganisation des<br />

Wohlfahrtswesens, für die auch Oberbürgermeister Rosendahl <strong>im</strong> Februar 1932 plädiert<br />

hatte, 10 war also bereits vor dem Machtwechsel 1933 in Angriff genommen worden.<br />

Ein erschwerendes Hemmnis für die Arbeit des Wohlfahrtsamtes war seine Verteilung auf<br />

mehrere Standorte: Bassenhe<strong>im</strong>er Hof (An der Moselbrücke 2), Alte Burg (Burgstraße 1),<br />

Münzplatz 1 sowie die Fürsorge- und Beratungsstellen <strong>im</strong> Bürgerhospital. Dazu kamen das<br />

Wirtschaftsgebäude Falckensteinkaserne sowie Kellerräume und eine Baracke am ehemaligen<br />

Kasino Kaiserin-Augusta-Ring 12. Es musste deshalb eine wesentliche Erleichterung<br />

bedeuten, als durch den schon vor der Machtergreifung geplanten Umzug in das Lehrer-<br />

dienstwohngebäude des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums in der Gymnasialstraße 1 11 die<br />

<strong>Die</strong>nstsitze Bassenhe<strong>im</strong>er Hof, Alte Burg und Münzplatz aufgegeben werden konnten. Seit<br />

dem 11. September 1933 befand man sich damit in unmittelbarer Nähe zum Rathaus am<br />

Jesuitenplatz. Nur die Wohlfahrtserwerbslosenabteilung des Fürsorgeamtes zog aus der<br />

Burgstraße in das ehemalige Militärlazarett Weißer Straße 18/20, während die Fürsorge- und<br />

Beratungsstellen des Gesundheitsamtes <strong>im</strong> Bürgerhospital verblieben. 12<br />

7<br />

Eine Einteilung der Stadt in Bezirke war bereits in der „Satzung des Wohlfahrtsamtes der Stadt <strong>Koblenz</strong>“ vom<br />

1.9.1927 sowie in der „Geschäftsanweisung für die Ausübung der öffentlichen Fürsorge in der Stadt <strong>Koblenz</strong>“<br />

vom 1.12.1927 vorgesehen gewesen, kam aber durch die einsetzende Massenfürsorge nicht zur Anwendung;<br />

StAK 623 Nr. 6414, S. 69-82, 106. Der Wohlfahrtsausschuss begrüßte die Einführung der Fürsorgebezirke, die<br />

zunächst für den Armenstamm sowie die Klein- und Sozialrentner galt, in seiner Sitzung vom 23.5.1933; StAK<br />

623 Nr. 5902, S. 145. Zum 1.7.1937 erfolgte aufgrund der Eingemeindungen eine Neueinteilung der<br />

Allgemeinen Fürsorge in sechs Bezirke; ebd. Nr. 6026, S. 124 f.<br />

8<br />

Außerdem erklärte sie sich mit der Einsparung der Stelle einer Schulfürsorgerin, die zum 1.4.1932 wegen<br />

Heirat ausschied, einverstanden; StAK 623 Nr. 6190, S. 691.<br />

9<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 675-789, 818-821, 832-838.<br />

10<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 718, 730.<br />

11<br />

Ab Januar 1937 durch Straßenumbenennung Herbert-Norkus-Straße 1. Das Gebäude erhielt 1938 die noch<br />

heute gültige Bezeichnung „Rathaus II“; StAK 623 Nr. 6027, S. 50.<br />

12<br />

StAK 623 Nr. 7572, S. 161-173, 190-192, 196-201, 219; NB, 11.9.1933: Wohlfahrtsamt.


309<br />

Sozialreferentin Loenartz fiel der Säuberungswelle zum Opfer. 13 Gegen den Leiter des<br />

Jugendamtes, Stadtinspektor Karl Scherer, ermittelte Kommissar Wolf aufgrund einer<br />

Beschwerde in einer Vormundschaftssache, doch <strong>im</strong> Juni 1933 wurde Scherer mitgeteilt, er<br />

sei entlastet. 14<br />

Eine der ersten Maßnahmen Wittgens war die Einführung von Mietgutscheinen ab 1. Mai<br />

1933. Sie sollten die bisherigen Zahlungsanweisungen für die Mietzuschüsse, ca. 1.000<br />

Posten pro Monat, ersetzen. 15 Doch die vor allem als Schutz vor Missbrauch gedachten<br />

Mietgutscheine erwiesen sich als arbeitsintensiv und umständlich. Dezernent Fuhlrott schaffte<br />

sie zum 1. September 1939 wieder ab und ermahnte die Sachbearbeiter gleichzeitig,<br />

strengstens darauf zu achten, Mietzuschüsse nicht länger als unbedingt notwendig zu zahlen. 16<br />

Einen großen Teil seiner Aufgaben verlor das städtische Gesundheitsamt am 1. Juni 1935 mit<br />

der Einrichtung des Staatlichen Gesundheitsamtes aufgrund des Gesetzes über die<br />

Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934. 17 Zur besseren Unterscheidung<br />

zwischen der staatlichen und städtischen Behörde verfügte Fuhlrott <strong>im</strong> Juli 1936 die<br />

Umbenennung des verbliebenen städtischen Amtes unter der Leitung von Stadtsekretär Emil<br />

Weber in „Gesundheitsfürsorge“. Schließlich wurden die Aufgaben <strong>im</strong> November 1937<br />

restlos auf andere Abteilungen des Fürsorgeamtes verteilt. 18 <strong>Die</strong> städtische Jugendherberge in<br />

der Nagelsgasse 5, die vom Jugendamt verwaltet wurde, ging am 1. Januar 1937 in den Besitz<br />

des Deutschen Jugendherbergs-Verbands über. 19<br />

6.1.2 Einführung nationalsozialistischer Grundsätze und Zusammenarbeit<br />

mit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt<br />

Mit dem ehemaligen Kommissar Ludwig Christ war seit Juni 1933 ein Alter Kämpfer als<br />

ehrenamtlicher Beigeordneter für das Wohlfahrtsdezernat zuständig. 20 Parallel zu den<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für seine Parteigenossen startete er <strong>im</strong> August 1933 eine<br />

Kampagne gegen Schwarzarbeit. Er forderte zusätzliches Personal für das Wohlfahrtsamt,<br />

denn es sei „unbedingt erforderlich, […] die Erwerbslosen schärfstens auf Schwarzarbeit“<br />

zu kontrollieren. 21 Dann widmete er sich dem Hauptproblem, der großen Zahl der<br />

13<br />

Vgl. Kapitel 4.1.6.<br />

14<br />

StAK 623 Nr. 6560, S. 493-595.<br />

15<br />

NB, 2.5.1933: Mietgutscheine für Unterstützungsempfänger des Wohlfahrtsamtes; StAK 623 Nr. 5788, S. 1,<br />

11-18. 1935 gab es einige Änderungen in der Handhabung des Verfahrens; ebd. Nr. 6114, S. 34 f., 63.<br />

16<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 211 f. <strong>Die</strong> Mietbeihilfen wurden ab 1.9.1939 mit der Hauszinssteuer des Hausbesitzers<br />

verrechnet.<br />

17<br />

RGBl. I, S. 531; Hans Frentzen: Gesundheitsamt <strong>Koblenz</strong> 1935-1969. Festschrift aus Anlaß der feierlichen<br />

Übergabe des neuerbauten Gesundheitsamtes für den Stadt- und Landkreis <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1969.<br />

18<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 162, 170.<br />

19<br />

StAK 623 Nr. 6633, S. 128; VB 1933-1937, S. 83.<br />

20<br />

Vgl. Kapitel 4.3.3.<br />

21<br />

StAK 623 Nr. 6869, S. 619-624, Zitat S. 619. Vgl. auch Razzien des Arbeitsamtes; ebd. Nr. 6190, S. 393-395.


310<br />

Unterstützungsempfänger. Am 20. September 1933 erhielten alle Unterstützungsempfänger<br />

einen von ihm persönlich unterschriebenen Brief, worin er eine „eingehende Nachprüfung“<br />

aller Fälle ankündigte bzw. androhte. Es könne nur noch der „allernotwendigste Lebens-<br />

unterhalt gesichert“ werden, alle Einkünfte müssten „wahrheitsgetreu“ angegeben werden.<br />

Wer dem zuwider handele, begehe „D i e b s t a h l am V o l k e“ und mache sich strafbar.<br />

Bisher verschwiegenes Einkommen solle sofort mitgeteilt werden, Betrugsfälle würden<br />

„rücksichtslos“ zur Strafverfolgung angezeigt. 22 Unterstützungsempfänger mussten den<br />

Empfang der Best<strong>im</strong>mungen über die wahrheitsgemäße Offenlegung ihrer Einkommensverhältnisse<br />

und die eventuellen strafrechtlichen Folgen schriftlich bestätigen. 23<br />

Begleitet wurden diese ersten restriktiven Maßnahmen des Wohlfahrtsamtes von einer<br />

Pressemitteilung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die <strong>im</strong> Oktober 1933<br />

<strong>im</strong> Nationalblatt und <strong>im</strong> General-Anzeiger erschien. Danach hatte die bisherige „Staats-<br />

wohlfahrt“ das Verantwortungsgefühl der Notleidenden geschwächt, „berufsmäßige<br />

Unterstützungsempfänger“ herangezüchtet und den Fürsorgemissbrauch gefördert. Im<br />

Gegensatz dazu stehe die neue „Volkswohlfahrt“ der <strong>im</strong> Aufbau befindlichen Volksge-<br />

meinschaft. Unterhaltspflichtige dürften sich nicht länger drücken, und „Unterstützungsjäger“<br />

die Wohlfahrt nicht zu Lasten der „anständigen“ Erwerbslosen schädigen. <strong>Die</strong> NSV werde,<br />

solange die Volksgemeinschaft noch nicht vollendet sei, mit den Fürsorgebehörden und den<br />

privaten Wohlfahrtsorganisationen zusammenarbeiten mit dem Ziel, die Hilfsbedürftigkeit zu<br />

beenden. Wo dies nicht möglich sei und es sich um „Dauerfälle“ handele, nähmen sich die<br />

karitativen Organisationen der Kirchen dieser Hilfsbedürftigen an. 24 Damit waren wesentliche<br />

Grundzüge der künftigen Wohlfahrtspflege unter Führung der NSV sowie ihre Zielsetzung<br />

klar und offen ausgesprochen. Neben das Prinzip der Bedürftigkeit wurde wieder die aus<br />

Zeiten der Armenpflege bekannte Unterscheidung nach „Würdigkeit“ gestellt, allerdings nicht<br />

mehr <strong>im</strong> sittlich-moralischen Sinne, sondern unter neuen Vorzeichen. Hilfsansprüche und -<br />

leistungen bemaßen sich künftig nach der „Wertigkeit“ des Bedürftigen für die Volksge-<br />

meinschaft in wirtschaftlicher, rassenbiologischer oder politischer Hinsicht. 25 Dabei war die<br />

Aufgabenverteilung klar: <strong>Die</strong> NSV wollte sich der „wertvollen“ Volksgenossen, der<br />

Erbgesunden und Erziehbaren 26 , annehmen, während den konfessionellen Fürsorgevereinen<br />

der „minderwertige“ Rest als unattraktives und mühsames Betätigungsfeld überlassen werden<br />

sollte. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass sich ein Anspruch auf Wohlfahrtsunterstützung auch an die<br />

22<br />

StAK 623 Nr. 9815, S. 29 (Unterstreichungen und Sperrung <strong>im</strong> Original).<br />

23<br />

StAK 623 Nr. 3982, S. 56.<br />

24<br />

NB, 20.10.1933: Von der Staatswohlfahrt zur Volkswohlfahrt; KGA, 20.10.1933: Von der Staatswohlfahrt zur<br />

Volkswohlfahrt.<br />

25<br />

Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 273-278.<br />

26<br />

Hier ergab sich eine innerparteiliche Konkurrenz hauptsächlich zwischen NSV und HJ, aber auch NSV und<br />

NS-Frauenschaft. Herwart Vorländer: <strong>Die</strong> NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen<br />

Organisation (Schriften des Bundesarchivs 35). Boppard 1988, S. 104 f.; Sven Steinacker: Der Staat als Erzieher.<br />

Jugendpolitik und Jugendfürsorge <strong>im</strong> Rheinland vom Kaiserreich bis zum Ende des Nazismus. Stuttgart 2007, S.<br />

585 f.


311<br />

Würdigkeit des Hilfsbedürftigen knüpfe, war aus den Köpfen der Verantwortlichen noch nicht<br />

ganz verschwunden, wie eine Bemerkung von Amtsleiter Schmitz vom Januar 1932 verrät. Er<br />

hatte beklagt, momentan sei nur eine rein schematische Festsetzung der Unterstützungen<br />

möglich, „ohne dass eine ins Einzelne gehende Prüfung der Bedürftigkeit und Würdigkeit des<br />

Antragstellers stattfindet.“ 27 Auch die Klassifizierung auffälliger oder aufsässiger<br />

Wohlfahrtsempfänger als „Asoziale“ war keineswegs eine neue Sprachregelung, sondern<br />

findet sich bereits vor 1933. 28<br />

Ihren Anspruch auf die Führungsrolle konnte die NSV auf einen Erlass des Preußischen<br />

Innenministers Göring vom 1. Juni 1933 stützen, der das Verhältnis zwischen öffentlicher und<br />

freier Wohlfahrtspflege neu best<strong>im</strong>mte. Auf dem Weg zur neuen Volkswohlfahrt wolle man<br />

verstärkt auf die freien Wohlfahrtsverbände zurückgreifen, womit zwar in erster Linie die<br />

NSV gemeint war, die etablierten Verbände aber zunächst ruhig gestellt wurden. 29 <strong>Die</strong><br />

Arbeiterwohlfahrt, deren Unterausschuß <strong>Koblenz</strong>“ unter dem Vorsitz des bisherigen SPD-<br />

Stadtverordneten Jean Elsner stand, 30 wurde Mitte 1933 aufgelöst, ihr Vermögen eingezogen<br />

und durch die NSV übernommen. 31<br />

Leiter des Gauamtes für Volkswohlfahrt war seit Juni 1933 der Architekt Christian<br />

Ackermann, der 1932/33 als Hilfskraft be<strong>im</strong> städtischen Hochbauamt beschäftigt gewesen<br />

war. Von 1931 bis Mitte 1934 war er Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Mosel, von diesem Amt<br />

wurde er wegen Vernachlässigung seiner Aufgaben entbunden und durch Fuhlrott ersetzt. 32<br />

Seit November 1934 war Ackermann Ratsherr, allerdings glänzte er in den Sitzungen meist<br />

durch Abwesenheit. 33 Stadtsekretär Wilhelm Fink 34 war von 1933 bis 1945 von seinem <strong>Die</strong>nst<br />

bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> beurlaubt, um das Amt des Gaukassenwalters der NSV wahrnehmen<br />

zu können. Er stieg zum Stellvertreter von Gauamtsleiter Ackermann, Oberbereichsleiter der<br />

NSV und Abschnittsleiter der NSDAP auf. 35 Angriffe auf die NSV und Zweifel an ihren<br />

27<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 696.<br />

28<br />

Liste über die Hauptunterstützungsempfänger und Zulageempfänger 1929-1931, darunter auch einige<br />

„Asoziale“; StAK 623 Nr. 6190, S. 685 a.<br />

29<br />

Andreas Wollasch: Der Katholische Fürsorgeverein für Mädchen, Kinder und Frauen (1899-1945). Ein<br />

Beitrag zur Geschichte der Jugend- und Gefährdetenfürsorge in Deutschland. Freiburg 1991, S. 259 f.;<br />

Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 204 f.; Steinacker: Der Staat als Erzieher, S. 590.<br />

30<br />

AB 1931/32, S. VI 6. Seine Stadtverordnetenkollegin Maria Detzel war eine der Beisitzerinnen.<br />

31<br />

Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14.6.1933; RGBl. I, S. 479. Vgl.<br />

Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 134, 302 Anm. 210; Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 206.<br />

32<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 134671; StAK 623 Nr. 6654, S. 514-522; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 113 f. Das Amt für Volkswohlfahrt befand sich seit August 1935 in der<br />

Hindenburgstraße 8; NB, 14.8.1935: Verlegung der <strong>Die</strong>nsträume.<br />

33<br />

StAK 623 Nr. 7215-7216.<br />

34<br />

* 24.3.1900 Kirchberg (Kreis S<strong>im</strong>mern), + 9.2.1981 Boppard-Buchholz, evangelisch, 1937 Kirchenaustritt;<br />

StAK M 4, Familienblatt in Hausblatt Altlöhrtor 15; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 748/1950.<br />

35<br />

StAK 623 Nr. 8918, S. 22; LHAKo Best. 856 Nr. 134671, Fink vom 29.7.1949. Am 26.5.1945 erfolgte Finks<br />

Entlassung ohne Pension. Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die Regierung<br />

in <strong>Koblenz</strong>, Nr. 9, 1. Jg. (1946), S. 73. 1952 war Fink Stadtsekretär zur Wiederverwendung (vgl. Kapitel 9);<br />

StAK 623 Nr. 10892 (unpaginiert). Er prozessierte in den 1950er Jahren – zumindest in zwei Instanzen


312<br />

Verdiensten wurden durch die örtliche Parteiführung nicht geduldet und blieben mit Hilfe der<br />

Justiz nicht folgenlos. Im Mai 1935 wurde z. B. der Neuendorfer Pfarrer Otto Friesenhahn für<br />

seine „Hetze“ gegen die NSV und Verteidigung der Caritas wegen Kanzelmissbrauchs zu<br />

sechs Monaten Gefängnis verurteilt. 36 Einige Korruptionsfälle, die geeignet waren, das<br />

Vertrauen der Öffentlichkeit in die NSV und das WHW zu erschüttern, wurden entsprechend<br />

hart mit Zuchthaus- bzw. Gefängnisstrafen geahndet. 37<br />

Der Spitzenverband der Städte und Gemeinden, der DGT, stellte sich hinter die Grundsätze<br />

der nationalsozialistischen Sozialpolitik. In seinem Rundschreiben vom 15. Januar 1934 zur<br />

„Handhabung der öffentlichen Fürsorge“ erhob er sie zur Richtschnur und kritisierte, <strong>im</strong><br />

früheren „System“ habe die öffentliche Wohlfahrt ohne Prüfung des Wertes des Einzelnen für<br />

die Volksgemeinschaft Unterstützung geleistet und dadurch große Ausgaben für „unheilbare,<br />

minderwertige und asoziale Personen“ getätigt. <strong>Die</strong> öffentlichen Mittel müssten aber<br />

bevorzugt für die „wertvollen Volksgenossen“ eingesetzt werden. In den anderen Fällen sollte<br />

sich die Fürsorge auf das Allernötigste beschränken und die freie Wohlfahrtspflege<br />

einschalten. <strong>Die</strong> ersten gesetzlichen Maßnahmen seien ergriffen, die Fürsorgebehörden hätten<br />

die „Pflicht, jetzt bereits <strong>im</strong> Rahmen des bestehenden Fürsorgerechts den national-<br />

sozialistischen Grundsätzen Rechnung zu tragen.“ Als nicht zu verantwortende Beispiele<br />

galten die Bewilligung teuerster Medikamente für unheilbar Kranke, die kostspielige<br />

Anstaltspflege für Behinderte sowie die Unterstützung von durch eigenes Verschulden in Not<br />

geratenen Bedürftigen, Bettlern, Landstreichern und Asozialen. 38 Wittgen gab das<br />

Rundschreiben an alle Sachbearbeiter und leitende Beamte des Wohlfahrtsamtes sowie die<br />

fünf Bezirksfürsorgerinnen weiter „mit dem Ersuchen, die öffentliche Fürsorge <strong>im</strong> Sinne der<br />

Vorschläge des Deutschen Gemeindetages durchzuführen.“ Bei Schwierigkeiten sollte in<br />

jedem Einzelfall der zuständige Dezernent entscheiden. 39<br />

erfolgreich – gegen die Stadt wegen der Anrechnung der NSV-Tätigkeit auf seine <strong>Die</strong>nstzeit; StAK 623 Nr.<br />

9953, S. 110.<br />

36 NB, 22.5.1935: Ein Hetzer erhält die verdiente Strafe. Friesenhahn war schon <strong>im</strong> August 1934 ins Visier der<br />

Gestapo geraten und in Schutzhaft genommen worden, weil er das durch die Reichsregierung angeordnete<br />

Trauergeläut anlässlich Hindenburgs Tod unterlassen hatte; KGA, 4./5.8.1934: In Schutzhaft genommen.<br />

Katharina Brodesser aus Horchhe<strong>im</strong> erhielt <strong>im</strong> September 1935 wegen Verächtlichmachung des WHW ebenfalls<br />

eine sechsmonatige Gefängnisstrafe; NB, 11.9.1935: Ein böses Klatschmaul wurde gestopft.<br />

37 Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 2. Jg., Januar 1935. Nachdruck<br />

Salzhausen/Frankfurt am Main 1980, S. 89; NB, 28.8.1936: Ein Vermögen ging auf in Alkohol. In Trier erregte<br />

der Prozess gegen den NSV-Kreisamtsleiter Aufsehen, der 1934 beurlaubt worden war und 1936 wegen Betrugs<br />

zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde; Bollmus: Trier und der NS, S. 577. Im Fall des Trierer Kreisleiters<br />

Albert Müller, dem 1936 Veruntreuung von NSV-Spendengeldern gemeinsam mit dem Gauamtsleiter des Gaues<br />

Köln-Aachen vorgeworfen wurde, stellte man das Verfahren auf Intervention von Gauleiter Grohé ein; Dorfey:<br />

„Goldfasane“, S. 316.<br />

38 StAK 623 Nr. 6432, S. 229-231 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original). Das Rundschreiben ist <strong>im</strong> Übrigen ein<br />

schönes Beispiel dafür, dass der DGT keineswegs nur einseitig die Interessen der Kommunen vertrat, sondern<br />

die nationalsozialistische Politik aktiv unterstützte. Unterzeichnet ist es von Dr. Kurt Jeserich, dem späteren<br />

Mitherausgeber des fünfbändigen Standardwerks „Deutsche Verwaltungsgeschichte“.<br />

39 StAK 623 Nr. 6432, S. 227 f.


313<br />

Christs Nachfolger Klaeber, der zweite Alte Kämpfer an der Spitze des Wohlfahrtsdezernats,<br />

griff die DGT-Empfehlungen auf und verfügte am 30. Januar 1934 die Überprüfung aller<br />

Dauer-Anstaltspflegefälle. <strong>Die</strong> Kosten für die Unterbringung unheilbarer, minderwertiger und<br />

asozialer Personen müssten gesenkt werden. Es sollten billigere Unterbringungsmöglichkeiten<br />

oder die Entlassung in die Familie geprüft werden. 40 <strong>Die</strong>se Maßnahme zeigte aber keinen<br />

Erfolg, <strong>im</strong> Gegenteil, die Zahl der Anstaltspflegefälle stieg <strong>im</strong> Laufe der Jahre. Ursache war,<br />

dass sich der bisher in Anstalten untergebrachte Personenkreis der Alten und Geisteskranken<br />

um andere Personengruppen erweiterte, nämlich zunächst um Körperbehinderte, dann um<br />

Alkoholiker und „Arbeitsscheue“.<br />

Tabelle 18: Anstaltspflegefälle auf Kosten des Wohlfahrtsamtes 1.4.1933-31.3.1939 41<br />

Zeitraum Altershe<strong>im</strong>e<br />

1.4.1933-<br />

31.3.1937<br />

1.4.1937-<br />

31.3.1938<br />

1.4.1938-<br />

31.3.1939<br />

Anstalten für<br />

Geisteskranke<br />

Anstalten für<br />

„Geisteskranke,<br />

Idioten,<br />

Krüppel,<br />

Taubstumme<br />

und Blinde“<br />

wie<br />

nebenstehend,<br />

zuzüglich<br />

„Trinker und<br />

Arbeitsscheue“<br />

Gesamtzahl<br />

173 236 409<br />

215 222 437<br />

204 325 529<br />

Eine Prüfung des Wohlfahrtsamtes durch das Rechnungsprüfungsamt veranlasste Klaeber <strong>im</strong><br />

April 1934 zu einem dreiseitigen Rundschreiben. Einige Leistungen gingen demnach über das<br />

angesichts der katastrophalen städtischen Finanzlage vertretbare Maß hinaus. Es seien in<br />

Zukunft „selbst kleine und kleinste Unterstützungsbeträge erst dann zu bewilligen, wenn ein<br />

unausweichliches Bedürfnis“ bestehe, wobei er zugab, dass es zu Härten kommen könne. Er<br />

ordnete u. a. an, dass über die Barunterstützung hinaus außer den Mietzuschüssen keinerlei<br />

Sonderleistungen gewährt werden dürften. <strong>Die</strong> Milchzuschüsse für Kinder 42 wurden ab Mai<br />

allmählich verringert. <strong>Die</strong> Rückzahlung von Unterstützungsleistungen musste nach Aufnahme<br />

einer Dauerbeschäftigung von den Beamten „energisch betrieben“ werden, wobei eine<br />

Schonfrist von sechs Monaten und eine Ratenzahlung zu gewähren waren. Klaeber betonte,<br />

dass nicht <strong>im</strong>mer „schematisch sofort“ der volle Richtsatz bewilligt werden müsse, sondern<br />

zunächst „versuchsweise“ nur ein angemessener Teilbetrag. <strong>Die</strong> hergebrachte Massenfürsorge<br />

müsse einer individuellen Betreuung weichen, was mehr Verantwortungsbewusstsein der<br />

40 StAK 623 Nr. 6432, S. 233.<br />

41 VB 1933-1937, S. 82; VB 1937/38, S. 81; VB 1938/39, S. 87.<br />

42 <strong>Die</strong> Milchgaben für Kinder waren schon zum 1.11.1931 gekürzt worden; StAK 623 Nr. 6190, S. 792 f.


314<br />

Beamten verlange: „In Zusammenarbeit mit den Organen der N.S.V., die unmittelbar<br />

bevorsteht, muß dieses Ziel jedoch erreicht werden.“ 43<br />

Am 2. Mai 1934 unterzeichneten Klaeber und der NSV-Kreisleiter Heinrich Frank 44 die<br />

„Richtlinien über die Zusammenarbeit zwischen dem städt. Wohlfahrtsamt und der Nat.-<br />

Sozialistischen Volkswohlfahrt, Kreisleitung <strong>Koblenz</strong>“, die bereits am 1. Mai in Kraft traten.<br />

Darin vereinbarten sie „engste, gegenseitige Zusammenarbeit“. 45 <strong>Koblenz</strong> gehörte damit zu<br />

den ersten Städten, in denen die weit reichende Zusammenarbeit mit der NSV auf eine<br />

vertragliche Basis gestellt wurde. 46 <strong>Die</strong> NSV, die erst <strong>im</strong> Mai 1933 von Hitler als<br />

angeschlossener Verband der NSDAP anerkannt worden war, avancierte aufgrund dieser<br />

Richtlinien mit einem Schlag zur „führende[n] Organisation“ der freien Wohlfahrtspflege der<br />

Stadt. <strong>Die</strong> übrigen Organisationen wurden zwar nicht ausgeschlossen, doch sie mussten sich<br />

jetzt für ihre „Zulassung“ an die NSV wenden, die den „Umfang dieser Mitarbeit best<strong>im</strong>mt.“<br />

<strong>Die</strong> „Mitwirkung“ der NSV sollte sich derart gestalten, dass ihre Amtswalter und Helfer dem<br />

Wohlfahrtsamt als „Hilfsorgane“ 47 zur Verfügung standen, und zwar insbesondere bei der<br />

Betreuung der Unterstützten. Erklärte Ziele waren die Abkehr von der Massenfürsorge zur<br />

„individuellen und damit gerechteren Betreuung“ und die Verhütung von Fürsorge-<br />

missbrauch. <strong>Die</strong> Hilfsorgane hatten sich schriftlich zur Verschwiegenheit zu verpflichten, der<br />

Oberbürgermeister stellte ihnen einen Ausweis aus. Ihre Hauptaufgabe bestand einerseits in<br />

der praktischen Hilfe „von Mensch zu Mensch“, andererseits in der Begutachtung der<br />

Unterstützungsempfänger bzw. Antragsteller. Im Normalfall sollten Anfragen und Aufträge<br />

des Wohlfahrtsamtes in drei bis fünf Tagen durch die Hilfsorgane erledigt werden. Das<br />

Wohlfahrtsamt verpflichtete sich zur Gehe<strong>im</strong>haltung der Berichte. <strong>Die</strong> Hilfsorgane sollten<br />

eine weitgehende Kontrollfunktion ausüben und eine Vielzahl von Tatbeständen melden:<br />

Besserung der Verhältnisse, unwirtschaftliches Verhalten, Schwarzarbeit, Missstände wie<br />

Kindesvernachlässigung, Trunksucht, Wohnungselend, Gewerbsunzucht usw. Bei den<br />

Amtswalterversammlungen der NSV war die Teilnahme eines leitenden Beamten des<br />

Wohlfahrtsamtes und der zuständigen Bezirksfürsorgerin vorgesehen. <strong>Die</strong> NSV erhielt <strong>im</strong><br />

Rahmen der Möglichkeiten Hilfeleistung durch die Verwaltung, außerdem räumten ihr die<br />

Richtlinien einen Anspruch auf Auskunft über jeden Unterstützungsempfänger ein. 48 Gerade<br />

43 StAK 623 Nr. 6432, S. 232-234.<br />

44 Frank wurde 1936 auf Betreiben Claussens wegen seiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abgesetzt und<br />

nur noch als Sachbearbeiter für das Ernährungshilfswerk eingesetzt; LHAKo Best. 856 Nr. 134671 (unpaginiert),<br />

Frank vom 8.4.1947.<br />

45 Wegweiser durch die Wohlfahrtspflege in der Stadt <strong>Koblenz</strong>. O. O., o. J. [<strong>Koblenz</strong> 1934], S. I 1-7, Zitat S. I 1.<br />

46 Wollasch: Der KFV, S. 295 f., 458 Anm. 195. In Augsburg z. B. regelte erst 1936 eine entsprechende<br />

„Geschäftsanweisung für den Bezirksfürsorgeverband Augsburg-Stadt“ und 1937 eine „<strong>Die</strong>nstanweisung für die<br />

Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe des Stadtkreises Augsburg mit der freien Jugendhilfe“ das<br />

Verhältnis zur NSV; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 178-180.<br />

47 Wittgen hatte schon in der Stadtverordnetenversammlung vom 19.6.1933 die Einführung des Elberfelder<br />

Systems angekündigt, bei der die „vom Amte zu leistende Ermittlungstätigkeit von Vertrauenspersonen<br />

ehrenamtlich ausgeführt wird.“ StAK 623 Nr. 7214, Anlage 1 nach S. 211.<br />

48 Wegweiser durch die Wohlfahrtspflege, S. I 1-7, Zitate S. I 1 f., 7.


315<br />

der letzte Punkt zeigt, wie weit die Richtlinien gingen. <strong>Die</strong> Möglichkeit zur Akteneinsicht<br />

bzw. die Erteilung von Aktenauskünften an die NSV „zur Vermeidung von ungewollten<br />

Doppelunterstützungen“ wurde erst <strong>im</strong> Dezember 1935 durch einen Erlass des Innenministers<br />

geregelt. 49 Bitten um Auskünfte oder gar die Übersendung von Akten wurden der NSV<br />

tatsächlich prompt erfüllt, auch wenn sie ohne jede Begründung erfolgten. 50<br />

<strong>Die</strong> fünf Fürsorgebezirke der Wohlfahrtspflegerinnen deckten sich ungefähr mit den sieben<br />

NSV-Ortsgruppen: Anna Schild – Altstadt, Elisabeth Meyer – Lützel und Rhein, Agnes<br />

Hassler – Mosel, Hella van de Loo – Roon, Schenkendorf und Süd, Helene Otto – Mitte und<br />

westliche Altstadt. 51 Nach den Eingemeindungen von 1937 galt ab 1. Januar 1938 eine<br />

Neuaufteilung des Stadtgebiets in zehn Fürsorgebezirke, die sich wiederum an den NSV-<br />

Ortsgruppen orientierten. 52 Gleichzeitig trat eine wesentliche Umorganisation in Kraft: <strong>Die</strong><br />

bisherige Gruppenfürsorge 53 wurde auf die Einheitsbetreuung umgestellt. Sie sollte eine<br />

„planmäßigere und individuellere Fürsorge in Zusammenarbeit mit der NSV“ ermöglichen. 54<br />

Dass die NSV zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 1934 tatsächlich eine führende Rolle in<br />

der freien Wohlfahrtspflege der Stadt gespielt hätte, war keineswegs der Fall. Im Vergleich<br />

zur NSV waren die über Jahrzehnte gewachsenen Vereine und Institutionen unter dem Dach<br />

der katholischen Caritas und der evangelischen Inneren Mission weit zahlreicher und<br />

vielfältiger. 55 Sie waren sowohl mit professionellem weltlichem als auch geistlichem Personal<br />

ausgestattet. So wurden z. B. 1933 „von der freien Liebestätigkeit“ allein 13 Klein-<br />

kindergärten für 625 Kleinkinder unterhalten, davon zwei mit Halbtages- und elf mit<br />

Ganztagesbetrieb. Acht von ihnen erhielten städtische Zuschüsse. Dazu kamen sechs<br />

Schulkindergärten, fünf vom Katholischen und einer vom Evangelischen Frauenbund 56 . <strong>Die</strong><br />

Hauskrankenpflege besorgten katholische und evangelische Ordensschwestern, die meisten<br />

von ihnen waren examinierte Krankenschwestern. 57 Von nicht zu unterschätzender Bedeutung<br />

war das soziale Netzwerk der karitativen Vereine: In der überschaubaren Provinzialhauptstadt<br />

bestanden durch Personalunion und Verwandtschaft enge persönliche Beziehungen, die die<br />

49<br />

RdErlRuPrMdI vom 13.12.1935, s. StAK 623 Nr. 6643, S. 238; Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 222.<br />

50<br />

Ein Beispiel vom März 1935 in: StAK 623 Nr. 3970, S. 324, 326.<br />

51<br />

Wegweiser durch die Wohlfahrtspflege, S. III 3.<br />

52<br />

NB, 18./19.12.1937: Weg vom Schema der Massenfürsorge.<br />

53<br />

<strong>Die</strong> „Gruppenfürsorge“ sah besondere Best<strong>im</strong>mungen für einzelne Bedürftigengruppen vor: Klein- und<br />

Sozialrentner gehörten zur „Gehobenen Fürsorge“, Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene zur „Sozialen<br />

Fürsorge“. Besonders geregelt war außerdem die Fürsorge für hilfsbedürftige Minderjährige. Alle anderen<br />

Unterstützungsberechtigten wurden der „Allgemeinen Fürsorge“ zugewiesen. Reichsverordnung über die<br />

Fürsorgepflicht vom 13.2.1924, RGBl. I, S. 100; Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der<br />

öffentlichen Fürsorge vom 4.12.1924, RGBl. I, S. 765.<br />

54<br />

VB 1937/38, S. 79 (Zitat); LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 823.<br />

55<br />

Wegweiser durch die Wohlfahrtspflege, S. VI 1 f., VII 1 f. Vgl. auch jeweils das „Vereins-Verzeichnis“ in den<br />

Adressbüchern.<br />

56<br />

<strong>Die</strong> Zuschüsse an den Katholischen (3.000 RM) und den Evangelischen Frauenbund (1.000 RM) waren für<br />

1936 noch vorgesehen, wobei es hieß, die „endgültige Verwendung wird erneut geprüft“; StAK 623 Nr. 7111, S.<br />

119.<br />

57<br />

StAK 623 Nr. 5901, S. 26 (Zitat), 35, 92-100.


316<br />

führenden Vereinsvertreter untereinander und mit dem übrigen gesellschaftlichen,<br />

wirtschaftlichen und politischen Leben in <strong>Koblenz</strong> verbanden. 58 Der Trierer Caritasdirektor<br />

Wilhelm Wagner hatte 1933 in der nationalen Aufbruchst<strong>im</strong>mung noch begeistert die<br />

tatkräftige Mitarbeit bei der Erneuerung der freien Wohlfahrtspflege zugesagt, 59 doch bald<br />

machte sich Ernüchterung breit. Sein <strong>Koblenz</strong>er Kollege Dr. Otto Hirtz befand sich <strong>im</strong><br />

November 1934 schon auf dem Verteidigerposten, als er erklärte, die katholische Kirche<br />

könne „ihre caritative Selbständigkeit nicht aufgeben“, auch wenn nach dem Willen Hitlers<br />

die gesamte Betreuung der Bedürftigen von der NSV ausgehen solle. 60<br />

Organisatorisch, personell und finanziell war die NSV ihrer konfessionellen Konkurrenz<br />

zunächst klar unterlegen. Erst durch zweifelhafte Werbekampagnen, wie am Beispiel der<br />

städtischen Bediensteten gezeigt, 61 konnte die NSV allmählich zur zweitgrößten NS-<br />

Massenorganisation aufsteigen. Sie profitierte zudem davon, dass sie für viele Mitglieder als<br />

politisches Feigenblatt diente, um den Eintritt in die NSDAP zu umgehen und trotzdem ein<br />

Min<strong>im</strong>um an politischer Loyalität zu demonstrieren. 62 1935 übertraf die Mitgliederzahl der<br />

NSV <strong>im</strong> Gau die der NSDAP deutlich, 63 parallel dazu stieg die Zahl der haupt- und<br />

ehrenamtlichen Mitarbeiter. 64 Im Januar 1935 konnte in der Bismarckstraße 13 das<br />

gemeinsame Gauschulungshaus von NSV und NS-Frauenschaft eingeweiht werden. 65 Der<br />

Verwaltungsbericht für die Jahre 1933 bis 1937 lobte zwar die <strong>im</strong>mer engere Zusammen-<br />

arbeit, die eine individuellere Betreuung und eine „Entlastung des Wohlfahrtsamtes“<br />

ermöglicht habe, verschwieg aber nicht, dass umgekehrt das Wohlfahrtsamt der NSV „<strong>im</strong><br />

Bedarfsfall Arbeitskräfte zur Verfügung stellt.“ Wurde die NSV schon durch den<br />

steuerähnlichen Einzug der Mitgliedsbeiträge und ein faktisches Sammlungsmonopol 66<br />

begünstigt, hatten die katholischen und evangelischen Trägervereine unter der schrittweisen<br />

Streichung der städtischen Zuschüsse zu leiden. Sie wurden „selbstverständlich nicht<br />

finanziell unterstützt“, wie die <strong>Stadtverwaltung</strong> dem Regierungspräsidenten 1940 anlässlich<br />

58 Als Beispiel sei der Vorstand des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Zweigverein <strong>Koblenz</strong>, gegründet<br />

1904, genannt: Ehrenvorsitzende war Frau Oberpräsident a. D. Fuchs, Beisitzerinnen waren u. a. Frau<br />

Beigeordnete Dahm, Anna Loenartz, ihre Schwägerin Frau Rechtsanwalt Loenartz und Frau Brandinspektor<br />

Buss. AB 1935/36, S. V 157.<br />

59 Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 133 f., 301 Anm. 204.<br />

60 LHAKo Best. 662,3 Nr. 309, veröffentlicht in: Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> NS, S. 125.<br />

61 Vgl. Kapitel 4.2.3.<br />

62 Paul Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. <strong>Die</strong> Wohlfahrtspflege in Preußen zwischen 1933 und<br />

1939 am Beispiel der Wirtschaftsfürsorge. Weinhe<strong>im</strong>/Basel 1985, S. 114. Oberpräsident Terboven bezeichnete<br />

den Parteiapparat einmal als „liederlich“ und äußerte Verständnis, dass seine Beamten nur das NSV-Abzeichen<br />

trügen. Becker: Vom Oberpräsidium der Rheinprovinz, S. 490.<br />

63 1.1.1935: NSDAP 53.210, NSV 70.433; Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 30, 80.<br />

64 Peter Hammerschmidt: <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände <strong>im</strong> NS-Staat. <strong>Die</strong> NSV und die konfessionellen Verbände<br />

Caritas und Innere Mission <strong>im</strong> Gefüge der Wohlfahrtspflege des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Opladen 1999, S. 389-397.<br />

65 NB, 9.1.1935: Schulungsstätte nationalsozialistischen Geistes. Vgl. StAK Fach 70 II, Bauakte Kaiserin-<br />

Augusta-Anlagen 8/9.<br />

66 Gesetz zur Regelung der öffentlichen Sammlungen und sammlungsähnlichen Veranstaltungen vom 5.11.1934<br />

(„Sammlungsgesetz“); RGBl. I, S. 906.


317<br />

einer Anfrage zum Katholischen Männerverein für arme Knaben antwortete. 67 <strong>Die</strong><br />

Zuwendungen an die NSV erreichten dagegen eine von den konfessionellen Vereinen nie<br />

gekannte Größenordnung. <strong>Die</strong> „Volksküche 68 , Schwestern-Stationen, Kinderspeisung,<br />

Erholungskuren kinderreicher Mütter, die Mitarbeit <strong>im</strong> Jugendamt, die Kinderhorte, das<br />

Kinderhe<strong>im</strong> 69 , die Mütterschulungskurse“ wurden mit jährlichen Gesamtleistungen zwischen<br />

ca. 30.000 und 35.000 RM bezuschusst. 70 Seit 1938 zahlte die Stadt zum Gehalt der bei der<br />

NSV beschäftigten Volkspflegerin einen jährlichen Zuschuss von 500 RM. 71 Das<br />

Gemeindeprüfungsamt der Regierung sah in der Höhe der finanziellen Zuwendungen keinen<br />

Grund zur Beanstandung. Es urteilte 1939 <strong>im</strong> Gegenteil, die Zuschüsse „halten sich in<br />

mäßigen Grenzen, außerdem wird die Stadt dadurch von Sachausgaben entlastet.“ 72<br />

<strong>Die</strong> Familienpolitik und den Mutterkult 73 der Nationalsozialisten unterstützte die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> mit der Einführung von „Ehrenkarten für kinderreiche Mütter“ <strong>im</strong> November<br />

1936, also noch zwei Jahre bevor Hitler das „Mutterkreuz“ 74 stiftete. <strong>Die</strong> Ehrenkarten wurden<br />

auf Antrag von der Familienfürsorgestelle des Wohlfahrtsamtes für arische Mütter ausgestellt,<br />

die mindestens vier noch lebende Kinder geboren hatten und die für „wertvoll und einer<br />

Ehrung würdig“ befunden wurden. <strong>Die</strong> Karten erfüllten für die Inhaberinnen in der<br />

Hauptsache eine Prestigefunktion, ihr praktischer Nutzen sollte in der bevorzugten<br />

Abfertigung bei Ämtern, Behörden, Ärzten usw. liegen. 75 <strong>Die</strong> ersten 200 Stück übereichte<br />

Wittgen am 5. Januar 1937 persönlich <strong>im</strong> Beisein von Kreisleiter Claussen und des Berliner<br />

stellvertretenden Leiters des Reichsbunds der Kinderreichen. 76 <strong>Die</strong> nächsten 100 Ehrenkarten<br />

wurden zum Muttertag 1937 ausgegeben, diesmal bereichert um ein Geldgeschenk von je<br />

20 RM. <strong>Koblenz</strong> war die zweite deutsche Stadt, die diese Karten einführte. 77 <strong>Die</strong> NSV zog<br />

erst kurz nach Kriegsbeginn mit roten Ausweiskarten nach, die für Mütter, Schwangere,<br />

67<br />

StAK 623 Nr. 7568, S. 60.<br />

68<br />

<strong>Die</strong> städtische Volksküche wurde zum 15.5.1935 geschlossen und der betreute Personenkreis an die NSV-<br />

Küche in der Steinstraße überwiesen; StAK 623 Nr. 6114, S. 67.<br />

69<br />

<strong>Die</strong> NSV unterhielt seit 1934 ein Kindererholungshe<strong>im</strong> in der Steinstraße und seit 1935 ein Kinderhe<strong>im</strong> in<br />

einer Villa in der S<strong>im</strong>rockstraße 9. NB, 3.7.1934: Wer der Jugend hilft, sorgt für Deutschlands Zukunft; NB Nr.<br />

212: 11.9.1935: Ein neues Kinderhe<strong>im</strong> auf Oberwerth.<br />

70<br />

VB 1933-1937, S. 87. <strong>Die</strong> Aufzählung fast wörtlich auch <strong>im</strong> VB 1937/38, S. 83, der die Höhe der Zuschüsse<br />

mit 29.400 RM angibt.<br />

71<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1938, S. 65; dito 1939, S. 69; dito 1940, S. 83; dito<br />

1941, S. 79; dito 1942, S. 79; dito 1943, S. 85.<br />

72<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 841. <strong>Die</strong> Zuschüsse beliefen sich für das Rechnungsjahr 1936 auf 13.287 RM,<br />

1937 auf 29.389 RM, 1938 auf 29.832 RM und <strong>im</strong> Haushaltsplan für 1939 auf 36.832 RM; ebd. S. 847.<br />

73<br />

Vgl. Zorbach: „Führer unser …“, S. 338-341.<br />

74<br />

VO des Führers und Reichskanzlers über die Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter vom<br />

16.12.1938; RGBl. I, S. 1923. Das „Mutterkreuz“ wurde erstmals am Muttertag 1939 verliehen.<br />

75<br />

NB, 10.11.1936: Ehrenkarten für kinderreiche Mütter; KVZ, 10.11.1936: <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> ehrt die Mütter.<br />

1939 verlangte Fuhlrott für das Stadtwirtschaftsamt einen Raum für die „Sonderabfertigung“ von Kranken,<br />

Flüchtlingen, kinderreichen Müttern etc.; StAK 623 Nr. 6590, S. 11 f.<br />

76<br />

NB, 7.1.1937: Ehrenkarten für 200 kinderreiche Mütter.<br />

77<br />

NB, 8./9.5.1937: <strong>Die</strong> Stadt ehrt ihre Mütter; NB, 10.5.1937: Verdienstvollen Müttern ein schönes Geschenk.<br />

Im Haushaltsplan 1937 taucht erstmals ein Posten Ehrung kinderreicher Mütter und älterer<br />

Unterstützungsempfänger mit 5.000 RM auf; StAK 623 Nr. 6398, S. 273.


318<br />

Stillende, Gebrechliche und Körperbehinderte ausgegeben wurden und den Vortritt in<br />

Geschäften sichern sollten. 78<br />

Das Amt für Volkswohlfahrt schickte am 5. Dezember 1936 die ersten fünf NS-<br />

Lernschwestern in die Krankenpflegeschule des Kemperhofs, weitere 15 sollten zum<br />

eigentlichen Beginn des Lehrjahres am 1. April 1937 folgen. Gauamtsleiter Ackermann bat<br />

Wittgen, künftig ausschließlich NS-Schwesternschülerinnen aufzunehmen, „um die<br />

Schwesternachwuchsfrage der Partei auch für <strong>Koblenz</strong>-Stadt in etwa zu klären“. Für die<br />

Unterbringung erwog die NSV die Errichtung einer eigenen Baracke; als Ratsherr hatte<br />

Ackermann schon <strong>im</strong> Oktober die kostenlose Überlassung von Gelände in der Nähe des<br />

Kemperhofs beantragt. 79 Für das Jahr 1937 vermerkt der Verwaltungsbericht der Städtischen<br />

Krankenanstalten, dass „die Krankenpflegeschule […] durch die Aufnahme einer größeren<br />

Anzahl NS-Lernschwestern einen bedeutenden Aufstieg genommen hat“. 80 <strong>Die</strong> Kemperhof-<br />

Chronistin, eine Ordensschwester, notierte, es sei „nicht <strong>im</strong>mer leicht“ mit den politisch<br />

geschulten Braunen Schwestern, doch herrsche „<strong>im</strong> allgemeinen ein gutes Einvernehmen mit<br />

Schwestern und Schülerinnen“. 81<br />

6.1.3 <strong>Die</strong> Wohlfahrtserwerbslosen, sonstigen Fürsorgeempfänger und<br />

„Asozialen“ 82<br />

In seiner ersten Sitzung am 23. Mai 1933 schlug der neu gebildete Wohlfahrtsausschuss noch<br />

moderate Töne gegenüber Unterstützungsempfängern an. Als es um die Beschäftigung<br />

jugendlicher Erwerbsloser als Helfer in der Landwirtschaft ging, hieß es: „Nötigenfalls soll<br />

auf die Betreffenden ein gewisser Druck durch Einstellung der Unterstützung ausgeübt<br />

werden.“ 83 Gauleiter S<strong>im</strong>on ordnete Anfang Mai 1934 an, dass alle Politischen Leiter, Redner<br />

und Obleute „bei jeder Gelegenheit“ darauf hinweisen sollten, dass kein Volksgenosse und<br />

„erst recht kein Nationalsozialist“ Unterstützungen in Anspruch nehmen dürfe, wenn er sich<br />

78 NB, 3.10.1939: Mütter haben Vortritt.<br />

79 StAK 623 Nr. 7496, S. 256-262, Zitat S. 257; ebd. Nr. 7216, S. 118. Vgl. Reinhard Kallenbach u. a.: 200 Jahre<br />

<strong>Die</strong>nst am Menschen. Der Kemperhof – Vom Bürgerhospital zum Schwerpunktklinikum. Bd. 1: 1805 bis 1964.<br />

<strong>Koblenz</strong> 2005, S. 61. Über einen Rahmenvertrag zur Ausbildung der NS-Lernschwestern wurde monatelang mit<br />

der NSV verhandelt. Er kam nicht zum Abschluss, da die Ausbildung in kommunalen Krankenhäusern<br />

zwischenzeitlich gesetzlich neu geregelt wurde. StAK 623 Nr. 7496, S. 265-309; ebd. Nr. 7769, S. 174 f.<br />

80 StAK 623 Nr. 9566, S. 92. Vgl. NB, 22.1.1938: Lebensfreude ist ihre beste Arbeit. Der SD-Lagebericht für die<br />

Monate April und Mai 1939 meldete die Verpflichtung von „36 NS-Schwestern, die in verschiedenen <strong>Koblenz</strong>er<br />

Krankenhäusern eine zweijährige Ausbildung erfuhren“; LHAKo Best. 662,6 Nr. 468, SD-Lagebericht vom<br />

25.5.1939, veröffentlicht in: Peter Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Lageberichte und andere Meldungen des<br />

Sicherheitsdienstes der SS aus dem Großraum <strong>Koblenz</strong> 1937-1941 (Veröffentlichungen der<br />

Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 48). <strong>Koblenz</strong> 1988, 345-358, hier S. 358.<br />

81 StAK S 4 Nr. 3, S. 68.<br />

82 Vgl. zum Folgenden Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong> NS.<br />

83 StAK 623 Nr. 5902, S. 144.


319<br />

und seine Familie aus anderen Mittel ernähren könne. Wer zu Unrecht Unterstützung beziehe,<br />

handele gegen Volk und Staat, insbesondere gegen die Erwerbslosen. 84<br />

Bei der Betreuung „asozialer Elemente“ kürzte das Wohlfahrtsamt die Fürsorgeunterstützung<br />

bei Familien in der Regel auf zwei Drittel des Richtsatzes, bei Alleinstehenden bot es das<br />

Obdachlosenasyl als Unterkunft an und lehnte eine Barunterstützung ab. Als asozial galten in<br />

<strong>Koblenz</strong> „Arbeitsscheue, Trinker oder Spieler“, Personen, die ohne berechtigten Grund<br />

hilfsbedürftig nach <strong>Koblenz</strong> zugezogen waren, die ihre Familie ohne ausreichenden Grund<br />

verlassen hatten sowie Prostituierte. <strong>Die</strong>se Behandlung der Asozialen, die das Wohlfahrtsamt<br />

bei einer Umfrage der DGT-Provinzialdienststelle <strong>im</strong> April 1935 mitteilte, war <strong>im</strong> Vergleich<br />

zu den anderen 51 befragten rheinischen Gemeinden bzw. Bezirksfürsorgeverbänden weder<br />

besonders rigide noch besonders milde, sondern lag ganz innerhalb der „Norm“. In anderen<br />

Kommunen wurden z. B. auch die „Sperrfristler“, d. h. Personen, die eine Arbeitsaufnahme<br />

verweigerten und deshalb vom Bezug des Arbeitslosengeldes gesperrt waren, zu den<br />

Asozialen gezählt, was in <strong>Koblenz</strong> nicht der Fall war. 85<br />

Der Senkung der Zahl der Wohlfahrtserwerbslosen wurde nicht nur <strong>im</strong> Interesse des<br />

städtischen Finanzhaushalts besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie war als Beleg für den<br />

Erfolg der nationalsozialistischen Aufbauarbeit auch eine Sache des Prestiges. <strong>Die</strong> Stadt<br />

beschäftigte Wohlfahrtserwerbslose z. B. bei der Anlage des Volksparks in Lützel und in<br />

städtischen Betrieben, bis sie dadurch ihre Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung<br />

erwarben. Auf diese Weise waren zwischen 917 (Oktober 1933) und 188 (Februar 1937)<br />

Wohlfahrtserwerbslose in Arbeit. Daneben boten von 1933 bis zum Frühjahr 1937 acht<br />

verschiedene Notstandsarbeiten <strong>im</strong> Stadtgebiet und 36 in benachbarten Landkreisen 86 für über<br />

1.000 Wohlfahrtserwerbslose Beschäftigungsmöglichkeiten. 87<br />

Zu einer „Demonstration von Notstandsarbeitern“ kam es am Donnerstag, den 31. Oktober<br />

1935. Rund 100 Notstandsarbeiter aus den Arbeitslagern <strong>im</strong> Kreis S<strong>im</strong>mern 88 erschienen<br />

gegen 9 Uhr in der Gymnasialstraße 1, wo seit wenigen Tagen die Wohlfahrtserwerbslosen-<br />

abteilung untergebracht war. Zwei Vertreter der Arbeiter baten deren stellvertretenden Leiter,<br />

Stadtinspektor Heinrich Hahn, um seine Hilfe, weil sie tags zuvor die Arbeit hätten einstellen<br />

müssen. Hahn vertröstete sie auf Samstag, weil die Angelegenheiten der Notstandsarbeiter<br />

84<br />

NB, 5./6.5.1934: Anordnung des Gauleiters.<br />

85<br />

LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 414, Zitat Bl. 31. Als besonderer Scharfmacher tat sich der Bonner Stadtrat<br />

Friedrich Graemer hervor, der „Asozialen-Kolonien in größeren Städten“ vorschlug; ebd. Bl. 6.<br />

86<br />

Beispiele: StAK 623 Nr. 5636, S. 115, 159 (Straßenbaumaßnahmen, u. a. in Cochem); ebd. Nr. 6114, S. 52<br />

(Maßnahmen <strong>im</strong> Kreis St. Goar).<br />

87<br />

VB 1933-1937, S. 80. Zu den einzelnen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Notstandsarbeiten vgl. StAK<br />

623 Nr. 5894 (Oberbürgermeister Rosendahl beantragte noch am 8.3.1933 Mittel aus dem sogenannten<br />

Gereke-Plan; ebd., S. 16); ebd. Nr. 6132; ebd. Nr. 6284; ebd. Nr. 8077; ebd. Nr. 8079; ebd. Nr. 8097; ebd. Nr.<br />

8112; ebd. Nr. 8181; ebd. Nr. 9017.<br />

88<br />

Im Mai 1935 hatten der Treuhänder für Arbeit, Börner, und Regierungspräsident Turner u. a. Arbeitslager <strong>im</strong><br />

Kreis S<strong>im</strong>mern besucht; NB, 15.5.1935: Führer und Gefolgschaft – eine Schicksalsgemeinschaft.


320<br />

dann bearbeitet würden. Der Leiter des Wohlfahrtsamtes, Stadtamtmann Schmitz, vermerkte:<br />

„Ganz entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit zogen die Leute ab, ohne zu skandalieren und<br />

Klagen von sich zu geben. Kurze Zeit darauf ging der ganze Schwarm in das gegenüber-<br />

liegende Rathaus und stellte sich <strong>im</strong> Flur auf nach berühmten [sic] Muster der Systemzeit.“<br />

Fünf Männer versuchten, den Oberbürgermeister zu sprechen, der aber nicht anwesend war.<br />

In der Absicht später wiederzukommen, zog die Menge dann zur Regierung, wo eine<br />

Delegation einen Regierungsrat um Hilfe bat, der Schmitz anrief. Schmitz erklärte, das<br />

Wohlfahrtsamt sei völlig überrascht, dass das Kreisbauamt S<strong>im</strong>mern die Arbeiten ohne<br />

Benachrichtigung für drei Tage ausgesetzt habe. Man fand heraus, dass die Leute wegen des<br />

Reformations- und Allerheiligenfeiertages 89 nach Hause geschickt worden waren, sie hätten<br />

aber einen Vorschuss erhalten. Als das Wohlfahrtsamt sich bereit fand, den Leuten für die<br />

ausgefallenen Arbeitstage und den Sonntag noch am selben Tag den Unterstützungsrichtsatz<br />

auszuzahlen, „haben sich dann die Leute zerstreut und kamen nachmittags zum Geldempfang<br />

wieder, der alsdann ruhig verlaufen ist. […] Für das Wohlfahrtsamt unterliegt es keinem<br />

Zweifel, daß die Ansammlung vor dem Wohlfahrtsamt bezw. dem Rathaus abgesprochen war.<br />

Das ist aber noch <strong>im</strong>mer so gewesen, wenn aus irgend einem Grunde, z. B. infolge Ausfalls<br />

durch Regentage, Ausgleichsunterstützungen gezahlt wurden.“ <strong>Die</strong>s sei bislang nicht weiter<br />

aufgefallen, da die Wohlfahrtserwerbslosenabteilung in der Weißer Straße untergebracht war.<br />

Jetzt aber sei „die Ansammlung der Leute in der Rathausgegend viel auffälliger in<br />

Erscheinung getreten als früher“, beschwichtigte Schmitz in seinem Bemühen, den Vorfall<br />

herunterzuspielen, und ergänzte: „Seit der Machtübernahme ist es m. W. [meines Wissens]<br />

das 1. Mal, daß geschlossene Massen ins Rathaus und zur Regierung gezogen sind.“ Wittgen<br />

musste der Regierung Bericht erstatten. Er habe wegen seiner Abwesenheit nicht persönlich<br />

eingreifen können, habe aber Anweisung gegeben, dafür zu sorgen, dass sich Ähnliches nicht<br />

wiederhole. 90<br />

1937 wurden noch in fünf auswärtigen Maßnahmen ca. 170 Wohlfahrtserwerblose<br />

beschäftigt. <strong>Die</strong> Nähstube bot bis zu 100 erwerbslosen Frauen und Mädchen eine Arbeits-<br />

möglichkeit, daneben wurden eine Waschküche, Bügel- und Strickstube eingerichtet. <strong>Die</strong>se<br />

städtischen Betriebe arbeiteten bis zum 1. Dezember 1937 „zum grossen Teil für die NSV“,<br />

dann wurden sie geschlossen bzw. von der NSV übernommen. 91 Um die alters- oder<br />

krankheitsbedingt nicht mehr voll einsatzfähigen Wohlfahrtserwerbslosen herauszufiltern,<br />

89<br />

Der Hunsrück ist eine gemischt-konfessionelle Landschaft mit katholischen und evangelischen Gebieten,<br />

daher war dort an beiden Tagen arbeitsfrei.<br />

90<br />

StAK 623 Nr. 6635, S. 627-630, Zitate S. 627 f., 630. Vgl. LHAKo Best. 491 Nr. 774, Aktenvermerke vom<br />

21.11.1935 und 7.1.1936.<br />

91<br />

VB 1933-1937, S. 87 (Zitat); StAK 623 Nr. 6114, S. 167; NB, 26./27.10.1935: Frauen <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst der<br />

Nächstenliebe. Nähstube und Wäscherei befanden sich 1937 in der Rheinanschlusskaserne; StAK 623 Nr. 6026,<br />

S. 149. Zumindest die Nähstube wurde von der NSV fortgeführt; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das<br />

Rechnungsjahr 1938, S. 67.


321<br />

wurden mehrfach ärztliche Untersuchungen aller Unterstützten durchgeführt. 92 Außerdem<br />

wurde die Vermittlungstätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt intensiviert. 93<br />

Obwohl zum 1. Juli 1937 durch die Eingemeindungen zusätzliche Unterstützungsfälle<br />

verkraftet werden mussten, konnte ihre Zahl weiter gesenkt werden. 94 1938 wurde von allen<br />

noch verbliebenen einsatzfähigen Wohlfahrtserwerbslosen die Ableistung von Pflichtarbeit<br />

gefordert, die als erzieherische Ziele Arbeitsgewöhnung und -suche verfolgte, bis schließlich<br />

1939 der Verwaltungsbericht stolz verkünden konnte: „Seit November 1938 ist <strong>Koblenz</strong> frei<br />

von Wohlfahrtserwerbslosen.“ 95<br />

Was sich auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte liest, war in Wirklichkeit ein<br />

Kehren mit dem eisernen Besen, den der Nachfolger Klaebers, Stadtrat Fuhlrott, in die Hand<br />

nahm. Im März 1936 hatte er seinen <strong>Die</strong>nst als dritter hauptamtlicher Beigeordneter der Stadt<br />

angetreten und das Wohlfahrtsdezernat übernommen. Das nächste halbe Jahr nutzte der<br />

ehemalige Reichsbahnbeamte offensichtlich, sich gründlich in die Materie einzuarbeiten und<br />

einige erste Neuerungen einzuführen. Im April ernannte er Stadtinspektor Karl Hinkel zum<br />

Vertreter von Wohlfahrtsamtsleiter Schmitz sowie Stadtinspektorin Hanna Pfannschmidt zur<br />

Vertreterin von Jugendamtsleiter Scherer. Zur angeblichen Entlastung von Schmitz ließ er<br />

sich bis auf weiteres die Angelegenheiten von drei Abteilungen des Wohlfahrtsamtes<br />

persönlich vorlegen. 96 Wegen des Rückgangs der Wohlfahrtserwerbslosen verfügte Fuhlrott<br />

zum 1. Juli 1936 die Zusammenlegung der Abteilungen Wohlfahrtserwerbslose und<br />

Armenstamm zur Abteilung IX/E sowie eine Neueinteilung der elf betreffenden Bezirke des<br />

Wohlfahrtsamtes nach Straßen statt Alphabet, die er mit der „Erzielung einer besseren<br />

Zusammenarbeit mit der NSV“ begründete. 97 Ab 1. Oktober fanden jeden Donnerstag ab<br />

17.30 Uhr für alle Sachbearbeiter Schulungsvorträge über Geschäftsbetrieb, Organisation und<br />

Fürsorgerecht statt. 98 Einen ersten Kameradschaftsabend mit teils künstlerischem, teils<br />

humoristischem Programm, zu dem vollzähliges Erscheinen erwartet wurde, gab es am<br />

7. November <strong>im</strong> Hotel Reichshof. 99<br />

Seit Juni 1936 verpflichtete Fuhlrott einen Teil der weiblichen Wohlfahrtsempfängerinnen<br />

zum Besuch der Kurse des Deutschen Frauenwerks. <strong>Die</strong> Schulungen zu Gesundheitspflege,<br />

92<br />

Den stadtärztlichen <strong>Die</strong>nst versah ab 1.1.1935 Assistenzarzt Dr. Alfred Schanen, der die Untersuchung der<br />

Unterstützungsempfänger auf Arbeitsfähigkeit oder zwecks Bewilligung von Sonderleistungen durchführte;<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 47 f. Ab Juli 1936 übernahm das Staatliche Gesundheitsamt in Anwesenheit einer<br />

städtischen Wohlfahrtspflegerin die Untersuchungen, wobei Fuhlrott bald darum bat, bei den männlichen<br />

Unterstützungsempfängern keine Ärztin mehr einzusetzen. <strong>Die</strong> Untersuchung von Männern durch Ärztinnen<br />

bilde „<strong>im</strong>merhin eine seltene Ausnahme“ und werde „in Männerkreisen als unangebracht empfunden“. Ebd., S.<br />

216-218, 230, Zitate S. 217.<br />

93<br />

VB 1933-1937, S. 80; LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 823.<br />

94<br />

VB 1937/38, S. 79.<br />

95<br />

VB 1938/39, S. 85 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

96<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 95.<br />

97<br />

StAK 623 Nr. 9565, S. 148-151.<br />

98<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 107.<br />

99<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 117.


322<br />

Erziehungsfragen und Haushaltsführung hatten zum Ziel, „die deutschen Frauen zu tüchtigen<br />

Müttern und Hausfrauen auszubilden“. Den Ratsherren berichtete Fuhlrott von den häufigen<br />

Klagen der Familienfürsorgerinnen, „dass ein Teil der Unterstützungsempfängerinnen ihren<br />

Haushalt und ihre Kinder nicht pflegen, wie es vom nationalsozialistischen Standpunkt aus<br />

verlangt werden muss.“ Man müsse aber fordern, dass die bewilligten Kinderbeihilfen auch<br />

zweckmäßig verwandt würden. Daher solle „Frauen und Mädchen, die ihren Haushalt bezw.<br />

ihre Kinder vernachlässigen, der Besuch der Mütterschule des Deutschen Frauenwerkes zur<br />

Pflicht gemacht werden, damit hierdurch der Gedanke der Selbsthilfe auch in diesem<br />

Bevölkerungsteil wieder mehr zur Geltung kommt.“ 100 Für die Einrichtung einer<br />

Gaulehrküche des Deutschen Frauenwerks bewilligte die Stadt 1938 einen Zuschuss von<br />

500 RM, 1939 erhöhte sie ihren jährlichen Zuschuss für die laufende Arbeit von 500 RM auf<br />

2.500 RM. 101<br />

Dass die sinkende Zahl der Unterstützten nicht allein auf Erfolge bei den Arbeitsbe-<br />

schaffungsmaßnahmen und der Arbeitsvermittlung zurückging, sondern auch auf den<br />

Ausschluss „asozialer Elemente“ vom Leistungsbezug, geht aus einem Schreiben Fuhlrotts an<br />

den <strong>Koblenz</strong>er Oberstaatsanwalt vom 11. November 1936 hervor. Darin beklagte er, weitere<br />

Fortschritte bei der Unterbringung von Erwerbslosen scheiterten daran, dass sich einige<br />

„offen oder versteckt weigern, die Arbeit wieder aufzunehmen. <strong>Die</strong>sen asozialen Elementen<br />

entgegen zu treten und sie durch schärfste Maßnahmen wieder an Arbeit zu gewöhnen, ist<br />

dringendstes Gebot.“ Bei den allein stehenden Unterstützungsempfängern zeige die<br />

Leistungssperre Wirkung, bei den Familienvätern seien aber die Angehörigen weiter<br />

bezugsberechtigt. Zu einer Zwangseinweisung dieser „Asozialen“ in Anstalten habe die Stadt<br />

weder eine rechtliche Handhabe noch die Mittel. Als „Schutzmassnahme der Allgemeinheit<br />

gegenüber und als wirksame Erziehungsmassnahme für die Arbeitsscheuen“ bat Fuhlrott den<br />

Oberstaatsanwalt, gemäß § 361 Ziffer 7 des Reichsstrafgesetzbuches 102 mit Haftstrafen gegen<br />

die Betreffenden vorzugehen. Gleichzeitig belehrte er ihn, ein solches Vorgehen verspreche<br />

aber nur Erfolg, wenn es „mit aller Beschleunigung und ohne allzu große Rücksichtnahme“<br />

durchgeführt werde. 103 Eine Reaktion der Justiz ist nicht überliefert.<br />

Ob und inwieweit das Wohlfahrtsamt bei der Durchführung des Runderlasses des<br />

Reichsinnenministeriums über „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember<br />

1937 beteiligt war, ist unbekannt. Der Erlass sah die KZ-Einweisung als „Vorbeugungshaft“<br />

außer für Berufs- und Gewohnheitsverbrecher auch für „Asoziale“ vor und mündete 1938 in<br />

100 StAK 623 Nr. 7216, S. 89 und Anlage 5 nach S. 90 (Zitate). <strong>Die</strong> Kurse fanden in der Sozialen Gauschule,<br />

Bismarckstraße 13, statt. Vgl. ebd. Nr. 6120, S. 1-3.<br />

101 StAK 623 Nr. 6120, S. 7-11; ebd. Nr. 7216, S. 307 f.<br />

102 „Mit Haft wird bestraft: […] 7. wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt,<br />

sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde ausgewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu<br />

verrichten.“ Haft war die leichteste Form der Freiheitsstrafe, ihre Dauer betrug zwischen einem Tag und<br />

max<strong>im</strong>al sechs Wochen.<br />

103 StAK 623 Nr. 6114, S. 120 f.


323<br />

die Aktion „Arbeitsscheu Reich“. 104 Anfang August 1939 wandte sich Fuhlrott aber an<br />

Kreisleiter Claussen, weil wöchentlich zwei bis drei Westwallarbeiter be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt<br />

vorsprächen, die angeblich in <strong>Koblenz</strong> ihr Geld verloren hätten. Das Wohlfahrtsamt müsse<br />

dann für den Rücktransport in die Lager sorgen und sich seine Auslagen von diesen erstatten<br />

lassen. Fuhlrott mutmaßte, dass die ausschließlich auswärtigen Westwallarbeiter in <strong>Koblenz</strong><br />

ihr Geld restlos ausgäben. Er habe deshalb mit der DAF abgesprochen, dass er die Arbeiter<br />

künftig „an die Staatspolizei verweisen“ werde. Um diese Disziplinierungsmaßnahme zu<br />

unterstützen, bat er zusätzlich Claussen, „gegebenenfalls von dort aus die Stapo auf diese<br />

Dinge hinzuweisen.“ 105<br />

Stadtinspektor Karl Hinkel teilte den Fürsorgesachbearbeitern <strong>im</strong> April 1937 mit, dass „bei<br />

allen Neuanträgen ein Bericht von der NSV einzuholen ist.“ 106 Das bedeutete, dass der NSV<br />

schon <strong>im</strong> Anfangsstadium eines Unterstützungsfalles die Möglichkeit gegeben war, ihre<br />

Beurteilung von der „Würdigkeit“ des Antragstellers und seiner „Wertigkeit“ innerhalb der<br />

Volksgemeinschaft einfließen zu lassen. <strong>Die</strong>s lag ganz auf der Linie des DGT. In seinen<br />

Richtlinien vom 25. Mai 1938 empfahl er, die Höhe der Fürsorgeleistungen nach dem Wert<br />

des Hilfsbedürftigen für die Volksgemeinschaft zu bemessen. 107 Selbst bei Gratulationen<br />

anlässlich von Goldenen Hochzeiten, zu der Wittgen bei Bedürftigen aus seinem<br />

Dispositionsfonds 50 RM beisteuerte, prüfte das Wohlfahrtsamt die Standardfrage, ob die<br />

Eheleute einer Beihilfe würdig seien. Im Glückwunschschreiben wurde das Jubelpaar für<br />

seine treue Pflichterfüllung gegenüber Vaterland und Volksgemeinschaft belobigt. 108<br />

Im Mai 1937 verschärfte Fuhlrott den Kurs gegenüber den Erwerbslosen weiter. Da das<br />

Arbeitsamt ledigen Jugendlichen unter 25 Jahren wegen des aktuellen Arbeitsplatzangebots in<br />

der Landwirtschaft keine Krisenunterstützung mehr zahlte, stellte Fuhlrott die Zahlung der<br />

Unterstützung aller jugendlichen Leistungsempfänger ebenfalls sofort ein. Außerdem verfügte<br />

er, dass Anträge zur Überbrückung von Wartezeiten bis zu einer Einstellung „unter Anlegung<br />

eines strengeren Maßstabes nur noch bei Kinderreichen mit einem Teilbetrag des Richtsatzes“<br />

zu bewilligen seien. Zur Begründung vertrat er die Auffassung, ein Arbeitsloser müsse eine<br />

104<br />

Wolfgang Ayaß: „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933-1945. <strong>Koblenz</strong><br />

1998, S. 94-98. Das Fürsorgeamt Frankfurt am Main hielt 1938 die Möglichkeit der KZ-Einweisung für eine<br />

wertvolle und kostengünstigere Ergänzung zur Unterbringung „Arbeitsscheuer“ <strong>im</strong> Arbeitshaus, die schon seit<br />

1937 praktiziert wurde. Ebd., S. 90 f., 140, 189. Zur rigiden Verfolgung von „Fürsorgeausnützern“ durch das<br />

Münchner Wohlfahrtsamtes vgl. Claudia Brunner: „Fürsorgeausnützer wurden ausgemerzt“. <strong>Die</strong> Sozialpolitik<br />

des Münchner Wohlfahrtsamtes am Ende der We<strong>im</strong>arer Republik und in der frühen NS-Zeit. In: <strong>Die</strong>ckmann u. a.<br />

(Hg.): „Durchschnittstäter“, S. 53-72; dies.: „Bettler, Schwindler, Psychopathen“. <strong>Die</strong> „Asozialen“-Politik des<br />

Münchner Wohlfahrtsamtes in den frühen Jahren der NS-Zeit (1933-1936). München 1993.<br />

105<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 219.<br />

106<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 149.<br />

107<br />

Ayaß: „Gemeinschaftsfremde“, S. 133 f.<br />

108<br />

StAK 623 Nr. 6567, S. 218, 229 f., 233, 235, 243, 247.


324<br />

Wartezeit bei wirtschaftlichem Verhalten auch ohne die Hilfe des Wohlfahrtsamtes<br />

durchstehen. 109<br />

Als Ende Januar 1938 bei günstiger Witterung wieder Einstellungen durch das Arbeitsamt in<br />

Aussicht standen, gab Fuhlrott die Parole aus, die noch hohe Zahl arbeitsfähiger<br />

Unterstützungsempfänger auf ein Mindestmaß zu senken. Alle Arbeitsfähigen wurden an ihre<br />

tägliche Meldepflicht be<strong>im</strong> Arbeitsamt erinnert, die auf einer Meldekarte kontrolliert wurde.<br />

Falls die Meldung ohne stichhaltigen Grund unterbleibe, sei die Unterstützung gegebenenfalls<br />

„rücksichtslos einzustellen.“ 110 Eine nächste Maßnahme war die Ausweitung der Pflichtarbeit,<br />

zu der die Unterstützungsempfänger <strong>im</strong> Befehlston durch einen von Fuhlrott unterzeichneten<br />

Vordruck <strong>im</strong> März 1938 herangezogen wurden. <strong>Die</strong> Weiterzahlung der Wohlfahrtsunter-<br />

stützung wurde gemäß § 19 der Fürsorgepflichtverordnung 111 von der Ableistung von<br />

Pflichtarbeit abhängig gemacht, die auf 32 Wochenstunden festgesetzt wurde. Für die vier<br />

Arbeitstage pro Woche erhielten die Pflichtarbeiter eine tägliche Verpflegungszulage von<br />

0,50 RM. Unbegründetes Fehlen führte zur Einstellung der Unterstützungszahlung. 112<br />

Dabei war sich Fuhlrott <strong>im</strong> Klaren, dass viele Wohlfahrtserwerbslose wegen Krankheit oder<br />

Gebrechen nicht mehr vermittlungsfähig waren. <strong>Die</strong>se Personen „müssen zwangsläufig in den<br />

Armenstamm überführt werden“, stellte er am 11. April 1938 fest. Er ordnete eine<br />

entsprechende Überprüfung aller Fälle binnen drei Wochen an. Zweifelsfälle sollten dem<br />

Amtsarzt vorgestellt werden. Über sein ehrgeiziges Ziel ließ er keinen Zweifel: „Jede<br />

Möglichkeit, die Leute in Arbeit unterzubringen, muss erschöpft werden, damit in kurzer Zeit<br />

<strong>Koblenz</strong> frei von Wohlfahrts-Erwerbslosen ist.“ Anfang Mai erinnerte Fuhlrott daran, dass ein<br />

„Zurückfluten“ verhindert werden müsse. Neuanträge auf Wohlfahrtsunterstützung dürften<br />

nur noch mit Genehmigung des <strong>Die</strong>nstellen- oder Abteilungsleiters entgegengenommen<br />

werden. 113<br />

Mit dem letzten Wohlfahrtserwerbslosen, der <strong>im</strong> November 1938 aus der städtischen Statistik<br />

verschwand, gab sich Fuhlrott keineswegs zufrieden. Am 7. Januar 1939 verfügte er eine<br />

Nachprüfung sämtlicher Unterstützungsfälle, die „mit aller Energie“ durchgeführt werden<br />

sollte. Zu diesem Zweck setzte er die damit beauftragten drei Stadtsekretäre in ein<br />

gemeinsames <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer – möglicherweise sollte hier eine gegenseitige Kontrolle zu<br />

große Nachsicht oder Großzügigkeit verhindern. Alle Unterstützten waren vorzuladen, ihre<br />

109<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 153 f.<br />

110<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 175. Ab 15.5.1938 wurde die Meldepflicht auf dre<strong>im</strong>al wöchentlich reduziert; ebd., S.<br />

187.<br />

111<br />

§ 19 der VO über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924 lautete: „<strong>Die</strong> Unterstützung Arbeitsfähiger kann in<br />

geeigneten Fällen durch Anweisung angemessener Arbeit gemeinnütziger Art gewährt oder an der Leistung<br />

solcher Arbeiten abhängig gemacht werden, es sei denn, daß dies eine offensichtliche Härte bedeuten würde oder<br />

ein Gesetz dem entgegensteht.“ RGBl. I, S. 100. Vgl. Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong> NS, S. 93.<br />

112<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 193.<br />

113 StAK 623 Nr. 6114, S. 183 f.


325<br />

Fälle anhand eines Formblatts zu überprüfen, Nachweise und Verdienstbescheinigungen<br />

anzufordern. Ziel der Aktion war die Neufestsetzung – zweifellos <strong>im</strong> Sinne einer Minderung –<br />

oder Streichung der Unterstützung. 114 Aber nicht nur Fuhlrott übte Druck zur weiteren<br />

Reduzierung der Unterstützungszahlen aus, er kam auch von den staatlichen Aufsichts-<br />

behörden. Zwar erkannte das Gemeindeprüfungsamt der Regierung in seinem Prüfungsbericht<br />

vom August 1939 die bisherigen Erfolge des Wohlfahrtsamtes an, stellte aber auch fest, dass<br />

<strong>Koblenz</strong> in einer Fürsorgestatistik von 32 westdeutschen Städten auf dem viertletzten Platz<br />

stand. Mit 32,4 unterstützten Parteien pro 1.000 Einwohner lag die Stadt am Stichtag<br />

31. Januar 1939 auch hinter Bonn (31,3) und Trier (23,8). Am 1. April 1939 lebten noch rund<br />

5 % der <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung (4.599 Personen) von der öffentlichen Fürsorge. 115<br />

6.1.4 Das Personal<br />

<strong>Die</strong> erste einschneidende Veränderung war die Beurlaubung und Zwangspensionierung von<br />

Sozialreferentin Anna Loenartz gewesen, deren Aufgaben Stadtamtmann Johannes Schmitz<br />

zusätzlich übernahm. Bis einschließlich zum Haushaltsjahr 1935 hielt die Stadt das seit 1932<br />

bestehende Beschäftigungsniveau von neun Wohlfahrtspflegerinnen bzw. Fürsorgerinnen, die<br />

<strong>im</strong> Außendienst als Familienpflegerinnen, in der Schul- und Gesundheitsfürsorge oder in der<br />

Gruppenfürsorge (z. B. Kleinrentnerfürsorge) tätig waren. 116 <strong>Die</strong> Frauen waren alle <strong>im</strong><br />

Dauerangestelltenverhältnis beschäftigt, katholisch und zwischen 1918 und 1921 in den<br />

<strong>Die</strong>nst der Stadt eingetreten. 117 Eine Reduzierung dieses Fachpersonals setzte erstmals 1936<br />

anlässlich der Pensionierung einer Fürsorgerin ein. 118 1939 gab es in der Wohlfahrtspflege<br />

einschließlich Allgemeines Gesundheitswesen nur noch zwei angestellte Fürsorgerinnen<br />

sowie fünf beamtete „Volkspflegerinnen“. 119 <strong>Die</strong> neue Berufsbezeichnung ergab sich aus den<br />

Änderungen in Ausbildung und Berufsbild der früheren „Wohlfahrtspflegerin“, die die<br />

Abkehr von der Wohlfahrtspflege der „Systemzeit“ markierte. 120 Dabei hatte aber kein<br />

Austausch von Personen stattgefunden, sondern seit spätestens Ende 1937 nannten sich die<br />

fünf Bezirksfürsorgerinnen „Volkspflegerinnen“. 121 Ihre ideologische Fortbildung sollte<br />

durch die Teilnahme an Schulungen gewährleistet werden. So wurden 1936 zwei<br />

Bezirksfürsorgerinnen zu einem mehrtägigen rassenpolitischen Lehrgang in Berlin<br />

114<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 203 (Zitat); VB 1937/38, S. 80.<br />

115<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 829.<br />

116<br />

StAK 623 Nr. 6190, S. 691-694. Vgl. Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1932, S. 36;<br />

dito 1933, S. 36; dito 1934, S. 36; dito 1935, S. 40.<br />

117<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 95 f., 245 f. Anna Schild wird 1935 als „leitende Fürsorgerin“ bezeichnet; StAK 623<br />

Nr. 6227, S. 181.<br />

118<br />

Pensionierung von Maria Weidgen; StAK 623 Nr. 6114, S. 162. In der Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

für das Rechnungsjahr 1936, S. 41, werden insgesamt nur sechs Fürsorgerinnen genannt, wahrscheinlich ein<br />

Fehler, da in der Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1937, S. 42, rückblickend für 1936<br />

insgesamt acht Fürsorgerinnen aufgeführt werden.<br />

119<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1939, S. 61, 75.<br />

120<br />

Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong> NS, S. 205-237; Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 187-<br />

197; NB, 14.2.1934: Nationalsozialistische Volkspflegerin.<br />

121<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 170.


326<br />

angemeldet. 122 In der letzten überlieferten Haushaltssatzung für 1943 sind weiterhin zwei<br />

Fürsorgerinnen, aber nur noch vier Volkspflegerinnen aufgeführt. 123<br />

Selbst für das nur vorübergehend eingestellte Betreuungspersonal für die jährlich in den<br />

Sommermonaten durchgeführte sogenannte örtliche Erholungsfürsorge für Klein- und<br />

Schulkinder wurde seit 1933 nicht nur auf die Qualifikation als Kindergärtnerin oder<br />

Wohlfahrtspflegerin geachtet. Daneben wurden die Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft<br />

oder die Tätigkeit als NSV-Helferin als entscheidende Zusatzqualifikation vermerkt. 124 Bis<br />

einschließlich 1935 wurden be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt noch Fürsorgeangestellte beschäftigt.<br />

Ansonsten setzten die rigiden Sparmaßnahmen Fuhlrotts auch be<strong>im</strong> Personal an. Trotz der<br />

Übernahme von Kräften bei der Eingemeindung 1937 sank die Zahl der Beschäftigten von<br />

1934 bis 1938 um knapp 44 %.<br />

Tabelle 19: Personalentwicklung des Wohlfahrtsamtes 1934-1938 125<br />

Stichtag<br />

Beamte und<br />

Angestellte<br />

davon be<strong>im</strong><br />

Jugendamt<br />

Fürsorgeangestellte<br />

Gesamt<br />

1.4.1934 54 7 30 91<br />

1.4.1935 59 7 4 70<br />

1.4.1936 55 5 - 60<br />

1.4.1937 50 6 - 56<br />

1.4.1938 44 7 126 - 51<br />

Das Rechnungsprüfungsamt der Regierung hielt – bei unverhohlener Kritik an der einstigen<br />

Arbeitsleistung des Personals – eine weitere Reduzierung für nicht vertretbar: „Das Personal,<br />

das früher als reichlich (der Zahl, aber nicht der Leistung nach) bezeichnet werden mußte, ist<br />

also erheblich vermindert. <strong>Die</strong> Ansichten des Wohlfahrtsamts und des Rechnungsprüfungs-<br />

amts über die jetzige Angemessenheit gehen auseinander. <strong>Die</strong> individuelle Behandlung, die<br />

nötig ist, läßt jedoch keinesfalls eine zu große Verknappung zu.“ 127<br />

Eine Sonderstellung innerhalb des Wohlfahrtsamtes nahm die Sachbearbeiterin <strong>im</strong><br />

Jugendamt, Stadtinspektorin Johanna („Hanna“) Pfannschmidt 128 (Abb. 24), ein. <strong>Die</strong> Tochter<br />

122 StAK 623 Nr. 6401, S. 212.<br />

123 Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1943, S. 79, 89, 95.<br />

124 StAK 623 Nr. 6115, S. 219, 226 f., 247 f., 292 f. 1936 wurde die Erholungsfürsorge von der Kindergärtnerin<br />

Marga(rete) Halcour, der späteren zweiten Ehefrau Schnorbachs, geleitet. Sie war Mitglied <strong>im</strong> NS-Lehrerbund.<br />

StAK 623 Nr. 6115, S. 283, 292.<br />

125 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 827.<br />

126 <strong>Die</strong>ser Personalbestand des Jugendamtes war auch noch am 1.2.1943 aktuell: drei Beamte, eine<br />

Volkspflegerin und drei Hilfskräfte; StAK 623 Nr. 8833, S. 59.<br />

127 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 827.<br />

128 * 7.12.1893 in Terpt (Kreis Kalau), evangelisch, ledig, 1910 Mittlere Reife Hilda-Schule, 1911<br />

Haushaltsschule, bis 1917 Haustochter <strong>im</strong> elterlichen Landpfarrerhaushalt und Hilfe be<strong>im</strong> Vater in der


327<br />

eines evangelischen Landpfarrers und einer <strong>Koblenz</strong>er Arzttochter hatte vor ihrer<br />

Verwaltungsausbildung auch eine Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin absolviert. Ende April<br />

1933 trat sie aus innerer Überzeugung der NSDAP bei, aber, so ihr Rechtsanwalt Franz<br />

Henrich 1947 <strong>im</strong> Spruchkammerverfahren, sehr bald sei sie „innerlich abgerückt und [habe]<br />

sich mehr und mehr von der Partei distanziert“. Auf Drängen Fuhlrotts, eine Zeugin sprach<br />

sogar von einem „dienstlichen Befehl“, habe sie „sehr ungern“ 1936 das Amt einer Kreis-<br />

und Gaufachschaftswalterin der DAF für den Bereich Freie Berufe, Volkspflegerinnen und<br />

-pfleger, 129 übernommen. <strong>Die</strong> DAF bestätigte am 23. Dezember 1936 auch nicht ihre<br />

persönliche Meldung als „Referentin“, sondern die des Oberbürgermeisters. Pfannschmidt<br />

machte geltend, das Ehrenamt habe ihr viel Ärger und Arbeit eingebracht. Sie habe den<br />

Schwerpunkt auf die fachliche Schulung ihrer Kolleginnen gelegt und dabei die weltan-<br />

schauliche Schulung auf ein Mindestmaß reduziert, wofür ihre Berufskameradinnen dankbar<br />

gewesen seien. Anfang 1939 habe sie eine Erkrankung als Vorwand genutzt, das Amt <strong>im</strong><br />

März niederzulegen. Obwohl sie stets das Parteiabzeichen trug, wurde sie von Fuhlrott<br />

„ständig schikaniert“ 130 und nicht befördert. 131<br />

6.1.5 Jugendamt zwischen Kindeswohl, NSV, Katholischem Fürsorgeverein<br />

und Hitlerjugend 132<br />

Auf dem Gebiet der Jugendfürsorge bestand eine eingespielte Zusammenarbeit des<br />

Jugendamtes 133 mit dem Katholischen Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder<br />

(KFV) 134 , die sich schon allein aus der überwiegend katholischen Konfession der<br />

Bevölkerung erklärt. <strong>Die</strong> rechtliche Grundlage dazu bildete das Reichsgesetz für<br />

Jugendwohlfahrt (RJWG) vom 9. Juli 1922, das am 1. April 1924 in Kraft getreten war. 135<br />

Darin war zum einen das Gebot zur Zusammenarbeit mit der freien Jugendhilfe festge-<br />

schrieben, zum anderen die Möglichkeit einer Delegation von best<strong>im</strong>mten Pflichtaufgaben<br />

eröffnet. Von dieser Übertragungsmöglichkeit hatte das Jugendamt bereits vor 1933 Gebrauch<br />

Gemeinde, 1917-1918 Besuch Evangelisches Frauenseminar Berlin (Wohlfahrtsschule), Abschluss mit<br />

Auszeichnung, seit 1918 be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt <strong>Koblenz</strong>, 1922 Staatliche Anerkennung als Wohlfahrtspflegerin,<br />

1921-1923 nebenberuflicher Besuch der städtischen Verwaltungsschule, Obersekretärprüfung, 1923<br />

Obersekretärin, 1926 Sachbearbeiterin Jugendamt; LHAKo Best. 856 Nr. 110475.<br />

129 Vgl. Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 332 f. Ab März 1936 ergingen Aufrufe zu Anmeldungen für die monatlichen<br />

Fachschulungen der Volkspflegerinnen von <strong>Koblenz</strong> und Umgebung. NB, 11.3.1936: NSDAP Amtliche<br />

Mitteilungen. DAF RBG [Reichsbetriebsgemeinschaft] 13 „Freie Berufe“; NB, 16.4.1936: dito.<br />

130 Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009.<br />

131 LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Franz Henrich vom 13.10.1947, Elisabeth Ernest (Stenotypistin<br />

be<strong>im</strong> Jugendamt) vom 28.7.1947 und 11.12.1947, Hedwig Lohmann (Gesundheitsfürsorgerin be<strong>im</strong> Staatlichen<br />

Gesundheitsamt) vom 11.12.1947, DAF vom 23.12.1935 und 6.3.1939, Pfannschmidt vom 14.8.1945.<br />

132 Zum Folgenden vgl. Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 150-166.<br />

133 Zur Satzung des Jugendamtes vgl. StAK 623 Nr. 5996, S. 377; ebd. Nr. 7214, S. 248 f. Eine Gesetzesnovelle<br />

des RJWG vom 1.2.1939 ersetzte das bisherige Jugendamtskollegium durch einen „Beirat“ gemäß DGO; RGBl.<br />

I, S. 109. Vgl. Wollasch: Der KFV, S. 285 f.; StAK 623 Nr. 8833, S. 42 f.<br />

134 Seit 1968 Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Vgl. Wollasch: Der KFV; Petra Habrock-Henrich: Uns geht<br />

es um das Wohl jedes Einzelnen. 110 Jahre Sozialdienst katholischer Frauen in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 2010.<br />

135 RGBl. I, S. 633; Einführungsgesetz zum RJWG vom 9.7.1922, RGBl. I, S. 647; VO über das Inkrafttreten des<br />

RJWG vom 14.2.1924, RGBl. I, S. 110.


328<br />

gemacht: Regelmäßig wurde der KFV um die Auswahl eines geeigneten Vormunds, die<br />

Mithilfe bei der Betreuung einzelner Mündel bzw. Pflegekinder und die Vermittlung von<br />

Unterbringungsmöglichkeiten in einem He<strong>im</strong> oder einer Pflegefamilie gebeten. Dagegen trat<br />

in den überlieferten Vormundschafts- und Pflegefällen eine evangelische Institution nicht in<br />

Erscheinung.<br />

Hedwig Fuchs, Ehefrau des abgesetzten Oberpräsidenten, legte Anfang 1934 den Vorsitz des<br />

KFV nieder. Ihre Nachfolgerin wurde Hildegard („Hilda“) Henrich, Schwester des Erzberger-<br />

Attentäters Heinrich Tillessen und Ehefrau des ehemaligen Zentrums-Fraktionsführers Franz<br />

Henrich, in dessen Rechtsanwaltskanzlei zumindest ein Teil der Büroarbeit abgewickelt<br />

wurde. 136 Neben den ehrenamtlichen Helferinnen gab es be<strong>im</strong> KFV zwei hauptamtliche<br />

Fürsorgerinnen, die aus angesehenen <strong>Koblenz</strong>er Familien stammten: die bescheidene,<br />

mütterliche Rizza Clemens 137 und die selbstbewusste, gut aussehende Catinka Maur 138 , eine<br />

„forsche Frau mit strahlend blauen Augen, die bei Fuhlrott Eindruck gemacht hatte“. 139 Doch<br />

auch Fuhlrotts persönlicher Respekt vor Maur konnte die Zurückdrängung des KFV<br />

zugunsten der NSV nicht aufhalten. Stadtoberinspektor Karl Scherer gab in seinem<br />

Entnazifizierungsverfahren an, er habe als Leiter des Jugendamtes die Erfahrung und<br />

Kompetenz der konfessionellen Wohlfahrtspflege zu schätzen gewusst. Fuhlrott dagegen habe<br />

allen konfessionellen Einrichtungen und Verbänden ablehnend gegenüber gestanden, obwohl<br />

das Wohlfahrtsamt deren Mitarbeit dringend bedurft hätte. <strong>Die</strong> <strong>im</strong> Haushalt für die<br />

konfessionellen Wohlfahrtsvereine vorgesehenen Mittel von 1.800 RM hätten auf Anordnung<br />

Fuhlrotts an die NSV überwiesen werden müssen, so Scherer 1946, ohne dass diese den<br />

notwendigen Verwendungsnachweis hätte erbringen müssen. Sein Einspruch dagegen wäre<br />

ihm verboten worden. 140 <strong>Die</strong> Verwaltungskostenzuschüsse für die katholischen und<br />

evangelischen Wohlfahrtsvereine für ihre „Mitarbeit <strong>im</strong> Jugendamt“ waren seit Ende der<br />

1920er Jahre bereits von 6.500 RM auf 1.800 RM <strong>im</strong> Haushaltsjahr 1933 gesenkt worden. Ab<br />

136 Habrock-Henrich: Uns geht es um das Wohl, S. 34 f., 88 f.<br />

137 * 3.6.1889 <strong>Koblenz</strong>, + 25.9.1974 Vallendar, Tochter des Bankiers Dr. Hippolyt Clemens, dessen<br />

„Bankgeschäft Joh. Pet. Clemens“ in der Weltwirtschaftskrise in Konkurs ging. Erst danach arbeitete Clemens<br />

als Fürsorgerin be<strong>im</strong> KFV und war von 1930 bis 1945 auch dessen Geschäftsführerin. Ihre Schwester war die<br />

Malerin Hyazinthe Clemens (1884-1967). Habrock-Henrich: Uns geht es um das Wohl, S. 38-40, 89, 93;<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009.<br />

138 Eigentlich Kathinka Maur, * 4.10.1895 <strong>Koblenz</strong>, + 10.7.1976 <strong>Koblenz</strong>, Ausbildung als Fürsorgerin in<br />

München. StAK 623 Nr. 3984, S. 17; ebd. Nr. 9787, S. 396; ebd. N 77 (Totenzettel). Irrtümlich geben sowohl<br />

Koops als auch Habrock-Henrich an, Maur sei 1919 als 24-Jährige für das Zentrum in die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Stadtverordnetenversammlung eingezogen. Barbara Koops: Frauen in der <strong>Koblenz</strong>er Kommunalpolitik 1918-<br />

1933. In: <strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur NF 4, S. 79-95, hier S. 84 f.; Habrock-Henrich: Uns<br />

geht es um das Wohl, S. 39. <strong>Die</strong> Stadtverordnete war aber die gleichnamige Mutter, die „Ehefrau“ Kathinka<br />

Maur (eigentlich Katharina Maur geb. Seul, + 13.11.1950 <strong>Koblenz</strong>); KVZ, 18.11.1919: <strong>Die</strong><br />

Stadtverordnetenwahl in <strong>Koblenz</strong>.<br />

139 Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009.<br />

140 LHAKo Best. 856 Nr. 190313 (unpaginiert), Scherer vom 20.12.1946. Es war allerdings Scherer gewesen, der<br />

1939 durch seinen Vermerk die weitere Einsicht der katholischen und evangelischen Vereine in die<br />

Standesamtsunterlagen vereitelt hatte; vgl. Kapitel 5.2.1.


329<br />

dem Haushaltsjahr 1936 erhielt die NSV den kompletten Betrag, während die konfessionellen<br />

Vereine leer ausgingen.<br />

Tabelle 20: Zuschüsse für „Mitarbeit <strong>im</strong> Jugendamt“ 1929-1943 141<br />

Haushaltsjahr<br />

KFV, Katholischer<br />

Männerfürsorgeverein,<br />

Evangelisches Jugendamt<br />

NSV<br />

1929 6.500 RM -<br />

1930 6.500 RM -<br />

1931 4.500 RM -<br />

1932 3.600 RM -<br />

1933 1.800 RM -<br />

1934 1.800 RM -<br />

1935 1.800 RM -<br />

1936 - 1.800 RM<br />

1937 - 3.000 RM<br />

1938 - 1943 - je 1.800 RM<br />

Innerhalb der freien Wohlfahrtspflege wurde neben der NSV nur noch das DRK mit jährlich<br />

2.000 RM gefördert. 142<br />

Nach der Geschäftsverteilung des Jugendamtes vom September 1933 war Stadtamtmann<br />

Schmitz als Leiter des Wohlfahrtsamtes zugleich Leiter des Jugendamtes. Sein Stellvertreter<br />

als Jugendamtsleiter war Scherer, der neben Pfannschmidt und Stadtsekretär Hans Auster<br />

außerdem noch als Sachbearbeiter tätig war. 143 Der evangelischen Sachbearbeiterin<br />

Pfannschmidt bestätigten in ihrem Spruchkammerverfahren mehrere Zeugen, dass sie trotz<br />

der Bemühungen um eine Monopolisierung der NSV weiter eng mit den katholischen<br />

Vereinen zusammenarbeitete. Der KFV bescheinigte der Parteigenossin, sie habe, „trotzdem<br />

ihr viele Schwierigkeiten seitens ihrer vorgesetzten Behörde bereitet wurden, den Kath.<br />

Fürsorgeverein in weitgehender Weise zur Mitarbeit herangezogen“ und sich „stets<br />

141 Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1929, S. 40; dito 1930, S. 41; dito 1931, S. 41; dito<br />

1932, S. 41; dito 1933, S. 42; dito 1934, S. 42; dito 1935, S. 46; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das<br />

Rechnungsjahr 1936, S. 47; dito 1937, S. 48; dito 1938, S. 69; dito 1939, S. 73; dito 1940, S. 87; dito 1941, S.<br />

87; dito 1942, S. 83; dito 1943, S. 89. Dass die Verwaltung be<strong>im</strong> Wiederaufbau nach 1945 wieder auf die<br />

Mithilfe der freien Wohlfahrtspflege setzen musste, zeigt die Tatsache, dass <strong>im</strong> Haushaltsjahr 1946 für den KFV,<br />

den Katholischen Männerfürsorgeverein, das Evangelische Jugendamt und die AWO insgesamt 10.000 RM und<br />

für das DRK 5.000 RM an Zuschüssen vorgesehen waren; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das<br />

Rechnungsjahr 1946, S. 77.<br />

142 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 841.<br />

143 StAK 623 Nr. 6869, S. 601. Auster war gleichzeitig Urkundsbeamter. Ab August 1936 galt die Einteilung A-<br />

G: Stadtsekretär Wilhelm Meisel, H-L: Pfannschmidt, M-S, St: Dolle, Sch, T-Z: Auster; ebd. Nr. 9565, S. 179.


330<br />

entgegenkommend“ gezeigt. Pfannschmidt habe, so Pater Ladislaus Lohoff 144 , Direktor des<br />

Seraphischen Liebeswerks, „unsere[s] Katholische Erziehungsarbeit tatkräftig unterstützt“<br />

und sei bei Schwierigkeiten mit der Partei „stets für uns eingetreten“, was ihr von ihrem<br />

Vorgesetzten übel ausgelegt worden sei. 145 Tatsächlich wies das Wohlfahrtsamt <strong>Koblenz</strong> dem<br />

He<strong>im</strong> in Ehrenbreitstein auf stabilem Niveau Pfleglinge zu und blieb so dessen wichtigster<br />

Partner. 146 Pfannschmidt nahm für sich in Anspruch, die Schließung der konfessionellen<br />

Kindergärten und -horte, die Fuhlrott nach ihren Angaben 1934 plante, durch ihren<br />

hartnäckigen Widerstand verhindert zu haben. Bei Fuhlrott habe sie als religiös gebunden<br />

gegolten, da sie weder aus der Kirche austrat noch den Deutschen Christen angehörte. 147 Das<br />

überzeugendste Leumundszeugnis stellte ihr Landgerichtsrat Hubert Hermans aus, der vor<br />

1945 be<strong>im</strong> Vormundschaftsgericht <strong>Koblenz</strong> tätig war. Pfannschmidts Auffassungen über<br />

„Jugenderziehung, Religion, Sittlichkeit und Rassenfragen […] widersprachen denen des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> ganz entschieden.“ Er habe sie als „Persönlichkeit von ausgesprochen<br />

festem, geradem Charakter und betonter geistiger Selbständigkeit“ kennen gelernt. In ihren<br />

Gesprächen habe sie in ihrer Kritik keinen Halt gemacht, „besonders über die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Parteigrößen und hier wieder diejenigen der <strong>Stadtverwaltung</strong>“, und er habe „kaum von<br />

jemand sonst derartig vernichtende Beurteilungen […] gehört.“ 148<br />

Das Vormundschaftswesen war das „umfangreichste Aufgabengebiet des Jugendamtes“.<br />

Brachte eine ledige, geschiedene oder verwitwete Frau ein Kind zu Welt, benachrichtigte das<br />

Standesamt automatisch das Jugendamt, das kraft Gesetz die Amtsvormundschaft erlangte. In<br />

einer ersten Vernehmung der Kindsmutter 149 durch das Jugendamt wurden die Familienver-<br />

hältnisse und sonstigen Lebensumstände ermittelt und die Angaben in einem Fragebogen<br />

erfasst. Dabei richtete sich das Interesse nicht zuletzt darauf, den Kindsvater in Erfahrung zu<br />

bringen, um ihn zu Unterhaltszahlungen heranziehen zu können, die er bis zur Vollendung des<br />

16. Lebensjahres des Kindes 150 zu leisten hatte. Konnte der Kindsvater zwar ermittelt werden,<br />

er aber nicht zur Vaterschaftsanerkennung bereit war, beschritt das Jugendamt den Klageweg<br />

vor dem Vormundschaftsgericht. 151 Landgerichtsdirektor Dr. Johannes Jäckel bescheinigte<br />

Jugendamtsleiter Scherer 1946, dass er bei den Unterhalts- und Vaterschaftsklagen „mit<br />

144<br />

Eigentlich Theodor Lohoff, * 20.7.1878 bei Lüdinghausen, + 25.11.1950 <strong>Koblenz</strong>, seit 1920 Leiter des<br />

Kinder- und Jugendhe<strong>im</strong>s Arenberg und des Lehrlingshe<strong>im</strong>s Ehrenbreitstein des Seraphischen Liebeswerks.<br />

Andreas Henkelmann: Caritasgeschichte zwischen katholischem Milieu und Wohlfahrtsstaat. Das Seraphische<br />

Liebeswerk (1889-1971) (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 113). Paderborn 2008, S.<br />

309 Anm. 789.<br />

145<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Henrich für den KFV vom 6.8.1945, Lohoff für das Seraphische<br />

Liebeswerk vom 2.8.1945.<br />

146<br />

Henkelmann: Caritasgeschichte, S. 386 f. Es folgten nach der Zahl der zugewiesenen Pfleglinge das<br />

Wohlfahrtsamt Ehrenbreitstein und das des Landkreises <strong>Koblenz</strong>.<br />

147<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Pfannschmidt vom 14.8.1945, Anlage zum Fragebogen vom<br />

9.11.1945, Pfarrer Wilhelm Winterberg vom 8.8.1945.<br />

148<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Hermans vom 8.8.1945.<br />

149<br />

In den überlieferten Vormundschaftsfällen in einem Fall verwitwet, ansonsten ledig und teils noch<br />

minderjährig.<br />

150<br />

Bei Krankheit oder Behinderung des Kindes auch länger.<br />

151<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 49-54, Zitat S. 49.


331<br />

grossem Mut und anerkennenswerter Unerschrockenheit die Belange der Kinder bzw. seiner<br />

<strong>Die</strong>nststelle gegen ‚Parteigrössen’ vertreten hat“. Einmal habe er sich in einer Unterhaltsklage<br />

nicht gescheut, den Stellvertretenden Gauleiter Reckmann als Zeugen gegen den Beklagten,<br />

einen Alten Kämpfer und Ehrenzeichenträger, vernehmen zu lassen. Nachdem der Beklagte<br />

den Unterhaltsprozess verloren hatte, strengte der auch als Kaufmann stadtbekannte<br />

Parte<strong>im</strong>ann einen zweiten Prozess an zur Feststellung, dass er „blutmäßig“ nicht der<br />

Kindsvater sei. Dabei habe Scherer der Kindsmutter „sehr fest zur Seite gestanden“. Auch<br />

diesen Prozess habe das Kind, vertreten durch Scherer, in allen Instanzen gewonnen. 152<br />

Tabelle 21: Amtsvormundschaften und Pflegekinder 1933, 1936-1938 153<br />

Jahr Amtsvormundschaften Pflegekinder<br />

1933 680 173<br />

1936 813 137<br />

1937 886 141<br />

1938 828 152<br />

Zwar ist die Überlieferungsdichte mit 26 Vormundschafts- bzw. Pflegschaftsfällen relativ<br />

gering, doch konnten Grundzüge der Zusammenarbeit zwischen Jugendamt, NSV und KFV 154<br />

ermittelt werden. <strong>Die</strong> 26 Kinder und Jugendlichen (15 weiblich, elf männlich) waren<br />

zwischen 1919 und 1941 geboren. Trotz der niedrigen Fallzahl sind die Aufgabenbereiche<br />

Vormundschaftswesen und Pflegekinderaufsicht die noch am besten dokumentierten aus dem<br />

Tätigkeitsspektrum des Jugendamtes 155 , weshalb sich die Darstellung hierauf beschränken<br />

muss. 156<br />

Wenn weder auf freiwilliger noch gerichtlich durchgesetzter Basis Unterhaltsleistungen<br />

erbracht wurden bzw. wegen eigener Bedürftigkeit nicht erbracht werden konnten, musste das<br />

Wohlfahrtsamt die Kosten für den Lebensunterhalt bestreiten, da die Mütter hierzu in der<br />

Regel nicht oder nur zum Teil in der Lage waren. Ziel des Jugendamtes war, das Kind nach<br />

Möglichkeit bei der Mutter oder Familienangehörigen zu belassen. War dies nicht möglich,<br />

weil die Mutter z. B. als <strong>Die</strong>nstmädchen wieder in ihre Stellung zurückkehren wollte, wurde<br />

das Kind zunächst <strong>im</strong> katholischen St.-Barbara-Waisenhaus untergebracht. Das Waisenhaus<br />

152 LHAKo Best. 856 Nr. 190313 (unpaginiert), Jäckel vom 7.9.1946.<br />

153 VB 1933-1937, S. 83; VB 1937/38, S. 81; VB 1938/39, S. 88.<br />

154 Zu dieser Zusammenarbeit vgl. auch Steinacker: Der Staat als Erzieher, S. 589-598, 622-631.<br />

155 Weitere Aufgaben waren Schutzaufsicht, Fürsorgeerziehung, Jugendgerichtshilfe und Adoptionsvermittlung.<br />

Vgl. dazu einen Vortrag von Scherer in der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung vom 1.2.1943; StAK 623 Nr. 8833,<br />

S. 37-60.<br />

156 Zum Folgenden vgl. StAK 623 Nr. 3964-3967, 3970 f., 3980, 3982-3984, 9807-9819. Bei drei Geschwistern<br />

wurde jeweils eine gemeinsame Akte angelegt. Da die Akten noch Sperrfristen unterliegen, musste auf<br />

Namensnennungen oder nähere Angaben verzichtet werden. Zu den Amtsmündeln aus einer „Zigeuner“-Familie<br />

vgl. Kapitel 7.3.3. Der Fall bleibt hier unberücksichtigt, da bei der Betreuung weder der KFV noch die NSV<br />

beteiligt waren.


332<br />

nahm auch Kinder auf, die schnell aus ihrer Familie entfernt werden mussten, bis eine andere<br />

Lösung gefunden war. In regelmäßigen, ca. halbjährlichen, <strong>im</strong> Bedarfsfall auch kürzeren<br />

Abständen veranlassten die Sachbearbeiter Kontrollbesuche bei den Mündeln bzw.<br />

Pflegekindern durch die zuständige Bezirksfürsorgerin 157 . <strong>Die</strong> Fürsorgerin schickte dann<br />

einen oft nur wenige Sätze umfassenden sogenannten Mündel- bzw. Pflegebericht über den<br />

Zustand des Kindes und seine Lebensumstände. Gab es durch Anzeigen von Nachbarn, des<br />

KFV 158 oder aufgrund des Berichts der Fürsorgerin Anzeichen für eine Gefährdung der<br />

körperlichen oder sittlichen Entwicklung des Kindes, wurde eine zusätzliche Überprüfung<br />

durch die Fürsorgerin in die Wege geleitet oder die Kindsmutter bzw. die Pflegeeltern zur<br />

Vernehmung ins Jugendamt vorgeladen.<br />

Noch <strong>im</strong> Sommer 1934 wurde ein Kind nach einer mehrwöchigen Teilnahme an einer NSV-<br />

Erholungsmaßnahme in einem katholischen Waisenhaus <strong>im</strong> Hunsrück untergebracht, ohne<br />

dass die NSV eingeschaltet wurde. 1935 folgte die Bestellung eines Vormunds für einen<br />

14-jährigen Jungen einem Vorschlag des KFV. Bis letztmalig zum August 1936 ist die<br />

alleinige Einschaltung des KFV nachweisbar. Erstmals <strong>im</strong> September 1936 taucht die NSV in<br />

einer Akte auf, wobei sich Fuhlrott auf eine Besprechung <strong>im</strong> Jugendamt bezog. Der Fall<br />

drehte sich um ein Mündel, das zu seinem Schutz von seiner Familie getrennt werden musste<br />

und in einer von der NSV-Gauamtsleitung vermittelten Pflegefamilie in der Eifel<br />

untergebracht wurde. Der Fall wurde ordnungsgemäß mit dem dortigen Kreisjugendamt und<br />

NSV-Kreisamt, dem <strong>Koblenz</strong>er Jugendamt und Vormundschaftsgericht abgewickelt. Doch<br />

die Bitte des NSV-Gauamtes an das Jugendamt um Mitteilung, wann denn mit dem<br />

endgültigen Beschluss zur „Fürsorgeerziehung“ 159 zu rechnen sei, zeugt davon, dass es noch<br />

erheblich an Sachverstand be<strong>im</strong> Pflegekinderschutz mangelte.<br />

Eigentlich zuständig für die Fälle des <strong>Koblenz</strong>er Jugendamtes war aber nicht das Gauamt,<br />

sondern die Abteilung Jugendhilfe der NSV-Kreisamtsleitung. 160 Erst ab 1937 scheint der<br />

personelle und organisatorische Aufbau des NSV-Kreisamtes so weit abgeschlossen gewesen<br />

zu sein, 161 dass man die Verdrängung der konfessionellen Fürsorgevereine angehen konnte.<br />

Auch der Verwaltungsbericht äußert sich für die Jahre 1933 bis 1937 hinsichtlich der<br />

Zusammenarbeit mit dem Jugendamt noch verhalten: <strong>Die</strong> NSV sei in die Fürsorgearbeit<br />

157<br />

In den Fällen, in denen die Kindsmutter der Prostitution nachging, war offenbar davon abweichend<br />

Volkspflegerin Agnes Hassler zuständig.<br />

158<br />

Der KFV legte in der Regel ein besonderes Augenmerk auf die sittlich-moralische Entwicklung bzw.<br />

Gefährdung des Kindes oder Jugendlichen.<br />

159<br />

Fürsorgeerziehung bedeutete die Einweisung in eine Erziehungsanstalt.<br />

160<br />

Zum Aufbau der NSV-Jugendhilfe vgl. Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 288 f.; Walter Hoppe [Gaustellenleiter der<br />

Abteilung Jugendhilfe <strong>im</strong> Amt für Volkswohlfahrt, Gau Moselland]: Aufgaben und Ziele der NSV-Jugendhilfe.<br />

In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 4 (1944), S. 80 f.<br />

161<br />

Ein Indiz dafür, dass der Verwaltungsapparat der Abteilung Jugendhilfe erst 1937 entscheidend ausgebaut<br />

wurde, ist der <strong>im</strong> Haushaltsjahr 1937 abweichend von allen anderen Jahren um 1.200 RM erhöhte städtische<br />

Zuschuss für die „Mitarbeit <strong>im</strong> Jugendamt“. Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1937, S.<br />

48.


333<br />

„nunmehr […] massgeblich eingespannt worden und zwar mit recht gutem Erfolge.“ 162<br />

Tatsächlich trat die NSV erst 1937 <strong>im</strong> Schriftverkehr fast ausschließlich in Erscheinung,<br />

während der KFV in den Hintergrund geriet. Das dürfte zum einen auf die Bemühungen<br />

Fuhlrotts vor Ort zurückzuführen sein. Zum anderen hatte die ständige Forcierung der<br />

Ausweitung der Zusammenarbeit der öffentlichen Wohlfahrtspflege mit der NSV und die<br />

Gleich- bzw. Ausschaltung der übrigen Verbände der freien Wohlfahrtspflege 1936 mit Hilfe<br />

staatlicher Stellen und des DGT bedeutende Fortschritte gemacht. 163 Damit korrespondiert<br />

auch der 1936 festzustellende völlige Einbruch bei der Zuweisung neuer Betreuungsfälle an<br />

den KFV. 164 <strong>Die</strong> NSV vermittelte in den untersuchten Fällen seit 1937 auf Antrag des<br />

Jugendamtes die Pflegestellen und benannte einen geeigneten Vormund. Als Pflegeeltern und<br />

Vormünder schlug die NSV nicht nur Parteigenossen, sondern auch politisch zuverlässige<br />

Volksgenossen vor. Spätestens ab 1937 wurde die gemeindewaisenrätliche Beaufsichtigung<br />

der Vormünder und Pfleger „in bester Zusammenarbeit“ mit der NSV ausgeübt bzw. auf<br />

Antrag des Jugendamtes ganz von dieser übernommen. 165 Auch die „Überwachung der<br />

Pflegekinder“ – ausdrücklich nicht der Amtsmündel – wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt<br />

an die NSV delegiert. Bei der Betreuung der Amtsmündel blieb es dagegen bei der<br />

„Unterstützung“ des Jugendamtes durch die NSV, denn nur die Überwachung der<br />

Pflegekinder gehörte laut RJWG zu den übertragbaren Geschäften des Jugendamtes, weshalb<br />

Scherer anlässlich eines Vortrags 1943 großen Wert auf diese Feststellung legte. 166 Auch ohne<br />

besonderen Auftrag betreute der KFV einzelne Familien neben NSV und Jugendamt weiter.<br />

1941 fertigte Catinka Maur unaufgefordert einen warnenden Bericht über ein Mündel,<br />

schickte ihn aber erst über den Umweg der NSV-Kreisamtsleitung an das Jugendamt. Damit<br />

kam sie einer 1936 auf Reichsebene getroffenen Vereinbarung nach, wonach „die Meldung<br />

aller Jugendhilfefälle über die Geschäftsstelle des Ausschusses [d. h. der zuständigen<br />

<strong>Die</strong>nststelle des Amtes für Volkswohlfahrt] an das Jugendamt“ erfolgen musste. 167<br />

Pfannschmidt bat daraufhin beide Institutionen, das Mädchen zu überwachen, obwohl nach<br />

derselben Vereinbarung Doppelbetreuungen unerwünscht waren.<br />

Unterzeichnet war der Schriftverkehr der NSV mit dem Jugendamt in der Regel vom<br />

Kreisamts- oder Stellenleiter sowie einem Sachbearbeiter. <strong>Die</strong> von der NSV erstellten<br />

Berichte über städtische Mündel oder Pflegekinder fußten meist auf Aussagen der<br />

„Ortsjugendhelfer“, also ehrenamtlicher Helfer der NSV-Ortsgruppen. Zwar handelte es<br />

sich dabei nicht um professionelle Kräfte, sondern lediglich um besonders geschulte<br />

162 VB 1933-1937, S. 82.<br />

163 Vgl. Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 222-225, 293 f.; Wollasch: Der KFV, S. 287-300.<br />

164 Habrock-Henrich: Uns geht es um das Wohl, S. 83.<br />

165 VB 1937/38, S. 81. Vgl. auch VB 1938/39, S. 88.<br />

166 StAK 623 Nr. 8833, S. 43, 58. <strong>Die</strong> Aussage von Steinacker, dass „das Vormundschaftswesen in <strong>Koblenz</strong> fast<br />

vollständig in die Hände der NSV gefallen war“, muss insofern abgeschwächt werden. Steinacker: Der Staat als<br />

Erzieher, S. 594.<br />

167 Vereinbarung der Deutschen Zentrale für freie Jugendwohlfahrt über offene Jugendhilfe vom 22.6.1936, zit.<br />

nach Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 293 f.


334<br />

Parte<strong>im</strong>itglieder, trotzdem beanspruchte die NSV geradezu hoheitliche Kompetenzen für sich,<br />

die bis dato in der freien Wohlfahrtspflege undenkbar gewesen waren: Vorladung von<br />

Volksgenossen, Vernehmung von Kindern und Jugendlichen auch gegen den Willen ihrer<br />

Eltern, Ermahnung der in der Erziehung versagenden Volksgenossen, Anstellung von<br />

Ermittlungen und Durchführung von Hausbesuchen. 168<br />

Wie schon 1933 öffentlich propagiert, 169 kristallisierte sich eine klare Arbeitsteilung zwischen<br />

NSV und konfessioneller Wohlfahrtspflege heraus. An behinderten, erbkranken oder als nicht<br />

erziehbar geltenden Kindern und Jugendlichen zeigte die NSV keinerlei Interesse, da sie nicht<br />

zu brauchbaren und wertvollen Mitgliedern der Volksgemeinschaft taugten. Eine ca. 1936<br />

getroffene Vereinbarung zwischen dem Jugendamt und der NSV, Abteilung Jugendhilfe, über<br />

die Zusammenarbeit, die gleichzeitig die Zuständigkeit von Caritas und Innere Mission<br />

regelte, trug dem Rechnung: „<strong>Die</strong> NSV ist zuständig für alle gesunden, erziehbaren und<br />

erziehungsbereiten Jugendlichen, während die konfessionellen Verbände und Organisationen,<br />

da dieselbe ohnehin den Karitasgedanken in den Vordergrund ihrer Tätigkeit stellen, die<br />

Gebrechlichen, Erbkranken und Asozialen betreuen sollen.“ 170 Grundlage der Vereinbarung<br />

waren die rechtlich unverbindlichen Richtlinien, die das Landesjugendamt der Rheinprovinz<br />

auf Anregung der vier rheinischen NSV-Gauämter am 1. Dezember 1935 herausgegeben<br />

hatte. Danach war unter den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege mit der NSV „in erster<br />

Linie engste Zusammenarbeit zu pflegen“, außerdem sollte sie gemäß ihrer „Führerstellung“<br />

bevorzugt bezuschusst werden. 171<br />

Konsequent schob die NSV unerwünschte Klientel an den KFV ab, sodass die Zahl der<br />

Neuzugänge an Betreuungsfällen be<strong>im</strong> KFV nach dem Einbruch von 1936 ab 1937 fast<br />

wieder die vorherige Höhe erreichte. 172 Als der erst 28-jährige NSV-Kreisamtsleiter Erich<br />

Schmidt 173 <strong>im</strong> April 1939 erfuhr, dass ein städtisches Mündel als geistig minderwertig und<br />

schwer erziehbar galt und deshalb bereits zwangssterilisiert war, teilte er dem KFV mit, man<br />

habe – ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes – mit dem Einzelvormund vereinbart,<br />

„die Betreuung der dortigen Stelle zu übertragen. Ich übergebe Ihnen daher die weitere<br />

168<br />

Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 162; Steinacker: Der Staat als Erzieher, S. 586.<br />

169<br />

NB, 20.10.1933: Von der Staatswohlfahrt zur Volkswohlfahrt; KGA, 20.10.1933: Von der Staatswohlfahrt<br />

zur Volkswohlfahrt.<br />

170<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 58. <strong>Die</strong> Vereinbarung wird 1943 zitiert, ist aber nicht überliefert.<br />

171<br />

LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 468, Bl. 43-45, Zitat Bl. 43. <strong>Die</strong> „Richtlinien über die Zusammenarbeit der<br />

Jugendämter mit der freien Wohlfahrtspflege“ wurden am 20.3.1938 ergänzt; ebd., Bl. 81-83. Der<br />

Geschäftsführer der Düsseldorfer DGT-<strong>Die</strong>nststelle hatte am 21.12.1937 den Berliner DGT gedrängt, es seien<br />

neue Richtlinien notwendig, da die Gauamtsleitungen in den Gauen <strong>Koblenz</strong>-Trier und Düsseldorf bereits<br />

Entwürfe zur Delegation von Aufgaben an die NSV erarbeitet hätten, die „offensichtlich zu weitgehend“ seien;<br />

ebd., Bl. 75. Vgl. „Vereinbarung der Deutschen Zentrale für freie Jugendwohlfahrt betr. offene Jugendhilfe“<br />

vom 25.6.1936; Hammerschmidt: <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände, S. 492-503. Vgl. auch die Reichsrichtlinien für die<br />

NSV-Jugendhilfe von 1936, veröffentlicht in: Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 287 f.<br />

172<br />

Habrock-Henrich: Uns geht es um das Wohl, S. 83. Vgl. auch Statistik von 1942; ebd. S. 40 f.<br />

173<br />

* 29.10.1910 Reichenbach (Kreis St. Wendel-Baumholder), gottgläubig, früher evangelisch, verheiratet, 1930<br />

NSDAP- und SA-Mitglied, 1931 HJ-Führer, Hauptstellenleiter für Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe des<br />

Kreisamts für Volkswohlfahrt. StAK 623 Nr. 6583, S. 215-225.


335<br />

Betreuung der Jugendlichen mit der Bitte, die Jugendliche in einem der Ihnen zur Verfügung<br />

stehenden He<strong>im</strong>e unterzubringen.“ <strong>Die</strong> Sache sei eilig und er bitte um Bestätigung der<br />

Übernahme. In der Beurteilung dieses Falles herrschte <strong>im</strong> Übrigen völliger Konsens zwischen<br />

NSV und KFV, dass die Anordnung der Fürsorgeerziehung notwendig sei. Rizza Clemens<br />

vom KFV hielt die Anstaltsunterbringung ebenfalls für unbedingt notwendig, da die<br />

vollständige sittliche Verwahrlosung des Mädchens drohe. 174 In Sittlichkeits- und<br />

Erziehungsfragen gab es also durchaus Übereinst<strong>im</strong>mungen zwischen NSV und KFV. <strong>Die</strong><br />

nüchterne Feststellung der NSV vom Mai 1941, eine 20-jährige, aus der Fürsorgeerziehung<br />

entlassene junge Frau habe „ernstgemeinten Verkehr mit einem Pionier-Unteroffizier“ und<br />

eine Heirat sei geplant, 175 passte durchaus in eine Ideologie, der es vor allem um zahlreichen<br />

erbgesunden Nachwuchs ging. Doch diese Sichtweise dürfte nicht die moralische Billigung<br />

des KFV gefunden haben.<br />

Der lokale KFV scheint wie der Gesamtverband die ihm einzig noch verbliebene<br />

Zuständigkeit für die außerhalb der Volksgemeinschaft Stehenden wohl oder übel akzeptiert<br />

zu haben, und zwar in der religiös motivierten Überzeugung, dass es von der christlichen<br />

Caritas Ausgeschlossene nicht geben dürfe. 176 <strong>Die</strong>ses Nischendasein gewährleistete<br />

wenigstens, dass der KFV nicht ganz aus der Betreuung von Kindern und Jugendlichen<br />

verdrängt wurde. Der alte Kontakt zum Jugendamt riss zu keiner Zeit ab; hier konnte nach<br />

Kriegsende nahtlos angeknüpft werden. 177<br />

„Es ist und bleibt Bestreben der Fürsorgebehörde, die noch in Anstaltspflege befindlichen<br />

102 Pflegekinder auch in Privatpflegestellen unterzubringen, und zwar aus Gründen der<br />

Kostenersparnis wie auch aus erzieherischen Gründen“, heißt es <strong>im</strong> Verwaltungsbericht für<br />

1938. 178 Zum einen war die Privatpflege billiger, zum anderen befanden sich Waisenhäuser<br />

und Kinderhe<strong>im</strong>e wie St. Barbara, das Knabenhe<strong>im</strong> Kemperhof oder das Seraphische<br />

Liebeswerk in katholischer Trägerschaft. Das Amt für Kommunalpolitik der NSDAP hatte<br />

sich schon Mitte 1937 für die Schaffung von NSV-He<strong>im</strong>en ausgesprochen, denn es sei „ein<br />

auf die Dauer unhaltbarer Zustand, diese [elternlosen] Kinder nach wie vor in die He<strong>im</strong>e der<br />

Kirche überweisen zu müssen. <strong>Die</strong> Gemeinde muss die Pflegekosten bezahlen, hat jedoch<br />

keinerlei Einfluss auf die Erziehung der Kinder. <strong>Die</strong> Erziehung ist rein konfessionell<br />

ausgerichtet und geschieht bewusst <strong>im</strong> Widerspruch zu den Anschauungen der Bewegung.“ 179<br />

174 StAK 623 Nr. 3980, Zitat S. 87.<br />

175 StAK 623 Nr. 9819, S. 163.<br />

176 Wollasch: Der KFV, S. 261 f.; Steinacker: Der Staat als Erzieher, S. 622-631.<br />

177 Dabei blieb mit Catinka Maur und Rizza Clemens auch die personelle Kontinuität gewahrt. Da das<br />

vereinseigene Juliahe<strong>im</strong> in der Clemensstraße 1944 zerstört worden war, fand es nach Kriegsende zunächst in<br />

der Neustadt [Hindenburgstraße] 8, wo sich das Amt für Volkswohlfahrt befunden hatte, eine vorläufige neue<br />

Bleibe. Habrock-Henrich: Uns geht es um das Wohl, S. 44, 47 f.<br />

178 VB 1938/39, S. 88.<br />

179 BArch NS 25/241, S. 114 f.


336<br />

Scherer sah sich in einem Fürsorgeerziehungsfall vor dem Vormundschaftsgericht „plötzlich<br />

von allen Seiten angegriffen“ und dem Vorwurf ausgesetzt, er bringe die zu betreuenden<br />

Kinder lieber in katholischen Anstalten unter. 180 Da die Pflegefamilien seit 1937 nur von der<br />

NSV vorgeschlagen wurden, konnte die Erziehung der Kinder <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Sinne aber als gewährleistet gelten. Nur in einem Fall holte Stadtsekretär Wilhelm Meisel<br />

Anfang 1939 keinen Vorschlag der NSV ein, handelte aber ganz in deren Sinne. Er brachte<br />

ein Mündel aus dem St.-Barbara-Waisenhaus mit Einverständnis der Mutter in einer<br />

Pflegefamilie unter und bat die NSV umgehend um Bestätigung der politischen Unbedenk-<br />

lichkeit der Pflegeeltern. 181 In sämtlichen Fällen folgten Jugendamt und Vormundschafts-<br />

gericht den Vorschlägen der NSV zur Unterbringung der Kinder.<br />

Sowohl die Einrichtung als auch die Leitung des St.-Barbara-Waisenhauses erhielten bei einer<br />

Visitation durch das Jugendamt noch <strong>im</strong> Oktober 1936 „erneut lobende Beurteilungen“. Aber<br />

schon für das Jahr 1937 heißt es in der Schwesternchronik: „Von den 30 Schulkindern werden<br />

neun aus der Schule entlassen, andere werden durch das Wohlfahrtsamt Familien zugeführt,<br />

so dass jetzt nur noch 16 Schulkinder in St. Barbara verbleiben.“ Es stützten einige<br />

„Wohlgesonnene durch kaum sichtbare Taten weiterhin das Gesamtwerk in feindlicher<br />

politischer Umgebung.“ 182 Dem von Ordensschwestern geführten Waisenhaus des<br />

Katholischen Männervereins für arme Knaben („Knabenhe<strong>im</strong> Kemperhof“) durfte das<br />

Wohlfahrtsamt „unter der Leitung des Naziführers Fuhlrott“ keine Kinder mehr überweisen,<br />

wie eine Chronik 1947 berichtet. <strong>Die</strong>s hatte das „seltsame Ende“, dass dort kein <strong>Koblenz</strong>er<br />

Kind mehr lebte, sondern nur noch auswärtige Kinder. 183<br />

Im Januar 1937 wurde die Genehmigung für die Aufnahme eines Pflegekindes innerhalb von<br />

nur zwei Tagen abgewickelt. Schon seit 1935 hatte die Frau eines bei der Gauleitung<br />

beschäftigten Politischen Leiters mehrfach <strong>im</strong> Jugendamt wegen des Wunsches nach einem<br />

Adoptivkind vorgesprochen, da ihre Ehe kinderlos geblieben war. Da es weder ein Kind zu<br />

vermitteln gab noch der Ehemann, wie verlangt, jemals <strong>im</strong> Jugendamt erschien, tat sich in der<br />

Sache nichts. Zudem herrschten Zweifel an der Eignung der Frau, die einen sehr nervösen<br />

Eindruck hinterlassen hatte. Als sie dann <strong>im</strong> Januar 1937 wieder vorstellig wurde, erklärte sie,<br />

übermorgen könnten sie und ihr Mann ein Pflegekind in einer Stadt <strong>im</strong> Rheinland abholen,<br />

das sie sich dort vor Wochen angesehen hätten und das sie später adoptieren wollten. Sie<br />

erhielt wie früher die Auskunft, zunächst müsse auch ihr Mann persönlich erscheinen. Wenig<br />

später rief der wütende Ehemann bei Pfannschmidt an. Ein Wort gab das andere, bis der Mann<br />

sie schließlich mit Hinweis auf sein Parteiamt anbrüllte, „er werde das Kind auch ohne<br />

180<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 190313 (unpaginiert), Jäckel vom 7.9.1946.<br />

181<br />

StAK 623 Nr. 9817.<br />

182<br />

1908-2008. 100 Jahre St. Barbara in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 2008, S. 42 f.<br />

183 StAK 623 Nr. 8192, S. 12.


337<br />

Erlaubnis des Jugendamtes holen […] er werde die Sache mit dem Gauleiter regeln.“<br />

Daraufhin hängte Pfannschmidt mit einem „Heil Hitler!“ den Hörer ein und schrieb einen<br />

ausführlichen Aktenvermerk für Fuhlrott, in dem sie darauf hinwies, das Ehepaar hätte lange<br />

genug Zeit zur Regelung der Angelegenheit gehabt. Doch die Drohungen des Mannes, der<br />

nicht persönlich erschien, sondern inzwischen nur per Boten einen höflichen Brief geschickt<br />

hatte, blieben nicht ohne Wirkung. Sofort wurden eine Fürsorgerin mit der Besichtigung der<br />

Wohnung beauftragt und die NSV um ihre Stellungnahme gebeten. Beides erfolgte, wie auch<br />

die Gesundheitsprüfung der Antragstellerin, am nächsten Tag und fiel – wie nicht anders zu<br />

erwarten – positiv aus. Als die Ehefrau ein zweites Mal erschien, war sie nicht mehr nervös,<br />

sondern „wesentlich ruhiger, aber sehr spöttisch“. Dabei stellte auch sie den Sinn der<br />

Formalitäten in Frage, denn das Amt ihres Mannes „bürge doch genügend.“ Fuhlrott<br />

persönlich unterschrieb die Pflegebestätigung für das zuständige Jugendamt. Drei Wochen<br />

später besuchte Fürsorgerin Auguste Maeckler die Familie. <strong>Die</strong> Eheleute seien ganz glücklich<br />

und verwöhnten das Kind, das sich gut eingelebt habe. Es entsprach offenbar dem arischen<br />

Idealbild: „Es ist ein hübscher blonder Junge.“ Das hohe Parteiamt erwies sich jedoch<br />

keineswegs als Garant für ein problemloses Familienleben. Der zum Alkoholkonsum<br />

neigende Mann wurde 1938 wegen einer Gefängnisstrafe aus der NSDAP ausgeschlossen und<br />

starb 1941. 184<br />

Dass das Wohlfahrtsamt unter dem Dezernat Fuhlrotts bereit war, den Schulterschluss mit der<br />

Partei <strong>im</strong>mer weiter voranzutreiben, beweist ein Vorstoß in der Ratsherrensitzung vom<br />

10. Juni 1937. Es sollte ein gemeinsamer Streifendienst der HJ mit dem Jugendamt<br />

eingerichtet werden. Sinn sei „die Überwachung von HJ und BDM auf den Strassen und eine<br />

gewisse politische Beaufsichtigung.“ <strong>Die</strong>se Aufgaben seien dringend notwendig und ein<br />

jährlicher Zuschuss von 2.000 RM werde befürwortet. Doch als die Ratsherren die Ansicht<br />

vertraten, die Überwachung von HJ und BDM sei Sache der staatlichen Polizei und man<br />

verspräche sich nichts von dieser Zusammenarbeit, entschloss sich auch Wittgen zur<br />

Ablehnung des Antrags. HJ-Gebietsführer und Ratsherr Karbach fehlte bei der Sitzung,<br />

möglicherweise wäre die Beratung in seinem Beisein anders verlaufen. 185 Sinn des<br />

HJ-Streifendienstes, der aus älteren HJ-Führern bestand, war nämlich – wie <strong>im</strong> Antrag<br />

angedeutet –, keineswegs nur die Überwachung eigener Mitglieder, sondern aller<br />

Jugendlichen. Mitte 1939 versahen dann 120 <strong>Koblenz</strong>er Hitlerjungen den Streifendienst, 186<br />

184 StAK 623 Nr. 9811, Zitate S. 4 f., 16.<br />

185 StAK 623 Nr. 7216, S. 187 f. Auch woanders reagierte man ablehnend. Der Regierungspräsident von<br />

Düsseldorf hatte den Städten eine finanzielle Unterstützung des HJ-Streifendienstes untersagt; Romeyk: Der<br />

preußische Regierungspräsident, S. 139 Anm. 71.<br />

186 NB, 5.7.1939: 120 <strong>Koblenz</strong>er Hitlerjungen be<strong>im</strong> SRD [Streifendienst].


338<br />

nachdem Baldur von Schirach und Heinrich H<strong>im</strong>mler 1938 die Zusammenarbeit mit SS und<br />

Sicherheitspolizei vereinbart hatten. 187<br />

Jugendamtsleiter Scherer hielt am 1. Februar 1943 in der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung<br />

einen Vortrag über die ‚„Öffentliche Jugendhilfe’ <strong>im</strong> besonderen über die ‚Aufgaben des<br />

Jugendamtes’“. Zu Beginn stellte er fest, Aufgabe der Jugenderziehung „ist die Erziehung zur<br />

deutschen Volksgemeinschaft. Ziel der Erziehung ist der körperlich und seelisch gesunde,<br />

sittlich gefestigte, geistig entwickelte, beruflich tüchtige Mensch, der rassebewußt in Blut und<br />

Boden wurzelt. Jedes deutsche Kind soll in diesem Sinne zu einem verantwortungsbewußten<br />

Glied der Volksgemeinschaft erzogen werden.“ Ausführlich referierte Scherer dann über die<br />

einzelnen Arbeitsgebiete seines Amtes. Dabei erwähnte er kurz die „Ala-Bande“ 188 , eine<br />

<strong>Koblenz</strong>er Gruppe des Jugendwiderstands, wobei er ausdrücklich versicherte, dass „weder<br />

dem Jugendamt noch dem Vormundschafts- oder Jugendgericht ein solcher Fall dienstlich<br />

bekannt geworden“ sei. Auffallend ist, dass Scherer zwar die Zusammenarbeit mit der NSV<br />

beschrieb, aber nicht in ein Loblied verfiel. Als großen Nachteil thematisierte er die<br />

zeitraubende Verlängerung des Bearbeitungsweges bei Gerichts- oder Behördenanfragen, die<br />

über die NSV-Kreisamtsleitung, die NSV-Ortsgruppe, die Ortsjugendhelfer und denselben<br />

Weg zurück zum Jugendamt liefen. Folge sei, dass Fristen nicht eingehalten werden könnten,<br />

was zu „unliebsamen Erinnerungen“ und Mehrarbeit führe. Scherer nutzte damit die<br />

Gelegenheit, sich für unverschuldete Verzögerungen zu rechtfertigen. Gegen Ende seiner<br />

Ausführungen schlug Scherer Töne an, die weniger nach nationalsozialistischer Ideologie als<br />

nach christlich-humanitären Idealen klingen: Bei der Arbeit <strong>im</strong> Jugendamt mangele es „nicht<br />

an persönlichen Unannehmlichkeiten, und nur die Liebe zur Jugend und die ständige<br />

Hoffnung, letzten Endes doch erzieherische Erfolge besonders bei der heranwachsenden<br />

Jugend zu erzielen, lassen die Mitarbeiter be<strong>im</strong> Jugendamt auf ihrem schwierigen Posten<br />

ausharren […].“ Er schloss mit dem Hinweis, dass viele ehemalige Mündel dem Ruf des<br />

Führers gefolgt seien und an der Front und in der He<strong>im</strong>at ihr Vaterland verteidigten. 189<br />

187 Es sollten politisches Verhalten, konfessionelle Aktivitäten, verbotene Gruppierungen, Homosexualität,<br />

Kr<strong>im</strong>inalität usw. beobachtet und gemeldet werden. Vgl. LHAKo Best. 714 Nr. 1210, Rundschreiben vom<br />

18.5.1942, veröffentlicht in: Peter Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2: Lageberichte und andere Meldungen des<br />

Sicherheitsdienstes der SS, der Gestapo und sonstiger Parteidienststellen <strong>im</strong> Gau Moselland 1941-1945, Teil 1,<br />

1941-1943 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 58). <strong>Koblenz</strong> 1992, S. 208 Anm.<br />

2; Armin Nolzen: Der Streifendienst der Hitler-Jugend (HJ) und die „Überwachung der Jugend“, 1934-1945.<br />

Forschungsprobleme und Fragestellung. In: <strong>Die</strong>ckmann u. a. (Hg.): „Durchschnittstäter“, S. 13-51; Steinacker:<br />

Der Staat als Erzieher, S. 487 f. Im Juni 1941 verhängte der Polizeipräsident einen 24-stündigen Jugendarrest<br />

über ein 1925 geborenes männliches Amtsmündel. Der Junge war von einer HJ-Streife gegen 22.30 Uhr allein in<br />

der Rheinstraße angetroffen worden. <strong>Die</strong> Pflegemutter entschuldigte den Jungen be<strong>im</strong> Jugendamt, ihn treffe<br />

keine Schuld, er sei auf Geheiß des Pflegevaters unterwegs gewesen. StAK 623 Nr. 3964, S. 182.<br />

188 Kurt Schilde: Widerstand von Jugendlichen. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen<br />

die nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Berlin 2004, S. 266-281, hier S. 276. Laut Gestapo<br />

„terrorisiert[e]“ die jugendliche „Allah-Bande“ [sic] die Bevölkerung; LHAKo Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_31881_0.<br />

189 StAK 623 Nr. 8833, S. 37-60, Zitate S. 39, 48, 59 f.


6.1.6 Kindergärten<br />

339<br />

Aus der dürftigen Überlieferung geht lediglich hervor, dass die Bezuschussung der von<br />

katholischer bzw. evangelischer Seite betriebenen Kinderhorte und -gärten letztmalig <strong>im</strong><br />

Haushaltsjahr 1936 erfolgte. <strong>Die</strong> Beträge waren keineswegs üppig: Es flossen jährlich ein<br />

Zuschuss von 3.600 RM zum Gehalt der Leiterinnen von sechs Kinderhorten sowie von<br />

700 RM für den Betrieb von sieben Kindergärten. 190 In den Folgejahren gingen die<br />

städtischen Zuschüsse ausschließlich an entsprechende Einrichtungen der NSV, die auf<br />

diesem Gebiet besondere Anstrengungen unternahm, nicht zuletzt <strong>im</strong> Hinblick auf den<br />

Vierjahresplan bzw. während des Krieges zur Gewinnung weiblicher Arbeitskräfte. 191 1937<br />

wurden sechs NSV-Kinderhorte mit insgesamt 4.800 RM bezuschusst, ein Zuschuss zu<br />

Gehältern ist nicht ausgewiesen. Der Zuschuss für die Kindertagesstätten der NSV steigerte<br />

sich in den nächsten Jahren: 1938 auf 6.000 RM, 1939 5.500 RM, 1940 8.700 RM, 1941<br />

5.500 RM, 1942 und 1943 je 7.000 RM. 192 Zur kompletten Übernahme der katholischen<br />

Kindergärten in die Trägerschaft der NSV, wie sie in Trier Anfang 1940 praktiziert wurde,<br />

kam es in <strong>Koblenz</strong> nicht. 193 Im Sommer 1939 wurden zwei NSV-Kindergärten in der Emser<br />

Straße in Pfaffendorf und <strong>im</strong> Nordflügel des Schlosses eröffnet, Letzterer für die Kinder der<br />

Ortsgruppe Altstadt, wo sich die Pläne zur Übernahme der ehemaligen Synagoge zerschlagen<br />

hatten. 194 Ein weiterer NSV-Kindergarten der Ortsgruppe Moselweiß kam <strong>im</strong> August 1940<br />

hinzu. 195<br />

Ganz neu erbaut wurden 1937/38 nachweislich die NSV-Kindergärten in der Goldgrube und<br />

<strong>im</strong> 1937 eingemeindeten Teil Arzhe<strong>im</strong>s. Der von der NSV eingereichte Bauantrag für das<br />

Arzhe<strong>im</strong>er Projekt war unvollständig. Den mehrfachen Bitten der Bauverwaltung um<br />

Ergänzung kam die NSV nicht nach. Sie begann <strong>im</strong> Sommer 1937 ohne baupolizeiliche<br />

Genehmigung mit den Bauarbeiten. Wittgen mahnte <strong>im</strong> September das Gauamt für<br />

Volkswohlfahrt: „Es wird von jedem Volksgenossen bei Errichtung eines Bauwerks verlangt,<br />

190 Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1933, S. 42; dito 1934, S. 42; dito 1935, S. 46;<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1936, S. 47.<br />

191 Vgl. Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 129.<br />

192 Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1937, S. 48; dito 1938, S. 69; dito 1939, S. 73;<br />

dito 1940, S. 87; dito 1941, S. 83; dito 1942, S. 83; dito 1943, S. 89. 1939 unterhielt die NSV neun<br />

Kindertagesstätten und -horte <strong>im</strong> Kreis <strong>Koblenz</strong> (d. h. Stadt- und Landkreis); NB, 3.5.1939: 32700 NSV-<br />

Mitglieder <strong>im</strong> Kreis <strong>Koblenz</strong>.<br />

193 Eckard Hansen: Wohlfahrtspolitik <strong>im</strong> NS-Staat. Motivationen, Konflikte und Machtstrukturen <strong>im</strong><br />

„Sozialismus der Tat“ des Dritten Reiches (Beiträge zur Sozialpolitik-Forschung 6). Augsburg 1991, S. 221 f.;<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 211; Zuche (Hg.): StattFührer, S. 63. Allgemein zur Übernahme<br />

konfessioneller und kommunaler Kindergärten durch die NSV vgl. LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 642;<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 390-392. Hitler untersagte am 30.7.1941 die<br />

Beschlagnahme kirchlichen und klösterlichen Vermögens und stoppte damit die weitere Aneignung<br />

konfessioneller Kindertagesstätten durch die NSV; Hammerschmidt: <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände, S. 428.<br />

194 NB, 16.8.1939: Zehn Jahre Ortsgruppe Pfaffendorf; NB Nr. 21.8.1939: Zehn Jahre Kampf und Aufbauarbeit;<br />

NB, 7.9.1939: Spielen und Lachen <strong>im</strong> NSV-Kindergarten. Zum in der ehemaligen Synagoge geplanten NSV-<br />

Kindergarten vgl. Kapitel 7.2.6.<br />

195 NB, 19.8.1940: Tante Erika und ihre achtzig Kinder.


340<br />

daß er sich an die Best<strong>im</strong>mungen hält, die zur Wahrung des Gemeinwohls erlassen sind.<br />

Umsomehr muß ich von <strong>Die</strong>nststellen der Bewegung erwarten, daß diese Best<strong>im</strong>mungen<br />

peinlich eingehalten werden, um Berufungsfälle zu vermeiden.“ <strong>Die</strong> NSV kümmerte dies<br />

wenig. Ungeachtet dessen, dass die nachgereichten Unterlagen <strong>im</strong>mer noch nicht den<br />

Anforderungen genügten, wurde der Rohbau <strong>im</strong> März 1938 fertig gestellt. <strong>Die</strong> nachträgliche<br />

Baugenehmigung vom Dezember 1938 war dann reine Formsache. Den Antrag der NSV,<br />

wegen ihrer Gemeinnützigkeit auf die Bauprüfungsgebühren von 111 RM zu verzichten,<br />

lehnte Wittgen zunächst ab. Im Februar 1939 teilte Klose dann Fuhlrott mit, der<br />

Oberbürgermeister habe die Zahlung zu Lasten des Wohlfahrtsetats angeordnet, was Fuhlrott<br />

mit dem Argument verweigerte, die NSV erhalte „alljährlich namhafte Zuschüsse“. Als die<br />

NSV einen Nachweis über die Gebührenfreiheit bei Bauten der NSDAP, ihrer Gliederungen<br />

und angeschlossenen Verbände nachreichen konnte, 196 wurden die Gebühren <strong>im</strong> April<br />

niedergeschlagen. <strong>Die</strong> bei der Bauabnahme <strong>im</strong> Mai 1940 festgestellten Mängel waren selbst<br />

<strong>im</strong> April 1941 noch nicht beseitigt, sodass <strong>im</strong>mer noch keine Endabnahme möglich war. <strong>Die</strong><br />

Bauakte schließt <strong>im</strong> Mai 1942 mit der Feststellung, dass die zugesagte Grundstückseinfriedung<br />

erst nach dem Krieg erfolgen könne. 197<br />

Für den Kindergarten in der Goldgrube erhielt die NSV <strong>im</strong> Herbst 1937 von der Stadt<br />

unentgeltlich ein ca. 2.000 qm großes Grundstück zwischen Dominicus- und Foelixstraße<br />

übereignet. <strong>Die</strong> dortigen Kleingarten-Pächter musste die Stadt für ca. 500 RM für die<br />

vorzeitige Auflösung der Pachtverhältnisse entschädigen. Zusätzlich zur Schenkung erhielt<br />

die NSV weitere 1.100 qm für 50 Jahre auf Pachtbasis zu einer symbolischen jährlichen Pacht<br />

von 10 RM. Im Haushaltsetat für 1937 waren 5.000 RM als einmaliger Zuschuss für den Bau<br />

vorgesehen, 198 doch Ende 1938 wurden dann die Gesamtbaukosten von 33.938,58 RM zu<br />

Lasten des Wohlfahrtsetats nachbewilligt. 199<br />

Ab Juni 1943 stellte die Stadt einen Teil des Weindorfs für einen Hort der NSV zur<br />

Verfügung, in dem 200 schulpflichtige Kinder berufstätiger Mütter betreut wurden. 200 Damit<br />

verbesserte sie die Rahmenbedingungen für die Frauenerwerbsarbeit, die noch vor dem Krieg<br />

ideologisch verpönt war.<br />

196 VO über die baupolizeiliche Behandlung von öffentlichen Bauten vom 20.11.1938; RGBl. I, S. 1677.<br />

197 StAK Fach 180 B, Bauakte NSV-Kindergarten Arzhe<strong>im</strong> (unpaginiert), Zitate Wittgen vom 11.9.1937,<br />

Fuhlrott vom 7.3.1939; NB, 20./21.11.1937: Richtfest be<strong>im</strong> NSV-Kindergarten.<br />

198 Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1937, S. 48; StAK 623 Nr. 6398, S. 258, 274.<br />

199 StAK 623 Nr. 7216, S. 225 f., 327. Zur Schenkung war die Genehmigung des Regierungspräsidenten<br />

erforderlich. <strong>Die</strong> Beurkundung erfolgte am 25.3.1938, Eigentümerin wurde die NSV Berlin. StAK 623 Nr. 3945,<br />

S. 12.<br />

200 NB, 18.5.1943: Das Weindorf wird Kinderhort der NSV; NB, 19./20.6.1943: Kinderdorf in den <strong>Koblenz</strong>er<br />

Rheinanlagen; NB, 2.12.1943: Aus dem Weindorf wurde ein Kinderhort.


6.2 Bauwesen<br />

6.2.1 Thingstätte 201<br />

341<br />

<strong>Die</strong> Thingstättenbewegung war ein „kurzlebiges Kulturphänomen der Frühphase des NS-<br />

Staates“. 202 Am Bau der Thingstätte vor dem Kurfürstlichen Schloss war die Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

mittelbar beteiligt. Sie trat <strong>im</strong> Mai 1934 wie die übrigen Stadt- und Landkreise des Gaues mit<br />

einem Gesellschafteranteil von 1.000 RM der „Spielgemeinschaft Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier-<br />

Birkenfeld für nationalsozialistische Festgestaltung mbH“ bei. Zum Vertreter der Stadt<br />

sowohl bei der Gründungsversammlung als auch <strong>im</strong> Aufsichtsrat bestellte Wittgen Wilhelm<br />

(„Willi“) Michels 203 , den Leiter der Landesstelle <strong>Koblenz</strong>-Trier des Reichsministeriums für<br />

Volksaufklärung und Propaganda. 204 Damit machte er den Bock zum Gärtner, denn die<br />

Thingstätte verursachte außer Kosten vor allem viel Ärger.<br />

<strong>Die</strong> Beteiligung der gesamten Volksgemeinschaft be<strong>im</strong> Bau der Anlage, angeführt von den<br />

Spitzen der Partei, 205 ist ein Musterbeispiel für das erwartete vorbildliche Engagement der<br />

städtischen Bediensteten <strong>im</strong> außerdienstlichen Bereich. <strong>Die</strong> Teilnahme am Steintransport zur<br />

Baustelle war in Meldelisten einzutragen, und jedes Amt musste nachweisen, wer am<br />

Spätnachmittag des 3. Juli 1934 angetreten war bzw. wegen Urlaub oder Krankheit gefehlt<br />

hatte. Abteilung I übermittelte dem Feder führenden Gaupropagandaamt eine Gesamt-<br />

aufstellung aller Beteiligten. 206 Dr. Georg Fischbach, erst seit Juni 1934 in städtischen<br />

<strong>Die</strong>nsten, 207 brachte in seinem Spruchkammerverfahren vor, er habe als politisch belastet<br />

gegolten, weil er es „abgelehnt hatte, mich an dem gemeinsamen Hinschleppen von Steinen<br />

zum Ausbau der ‚Thingstätte’ zu beteiligen“. 208<br />

Doch vor den eigentlichen Bauarbeiten musste der Erdaushub des riesigen Ovals<br />

abtransportiert werden. Er sollte bei laufendem Museumsbetrieb durch die Räume des<br />

201<br />

Heinrich Koch: Aufgabe und Gestalt der NS-Feierstätte. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld 1<br />

(1936), S. 61-64; Christina Kossak: Provincial Pretensions: Architecture and Town Planning in the Gau-capital<br />

<strong>Koblenz</strong> 1933-1945. In: Architectural History 40 (1997), S. 241-265, hier S. 246 f.; StAK K 1535.<br />

202<br />

Christoph Schmidt: Gelsenkirchener Kulturverwaltung <strong>im</strong> „Dritten Reich“. Gestaltungspielräume und<br />

Grenzen kommunaler Selbstbest<strong>im</strong>mung. In: Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 107-138,<br />

hier S. 119.<br />

203<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 352 f.<br />

204<br />

StAK 623 Nr. 6991.<br />

205<br />

Vgl. Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 179, Abb. 27.<br />

206<br />

StAK 623 Nr. 9562, S. 143; ebd. Nr. 6130, S. 378-413; NB, 28./29.6.1934: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er bauen ihr [sic]<br />

Thingstätte selbst; NB, 4.7.1934: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er bauen weiter ... In dem Gedicht „En Gruß vom Pitter!“ von<br />

Peter Helbach-Landau/Heini Krämer in: He<strong>im</strong>atbrief der NSDAP-Ortsgruppe Altstadt, Nr. 6, April 1943, S. 20-<br />

22, heißt es über den Thingstättenbau: „Och vill Beamte, die sonst off’m Büro hucke, die soh mer kräftig en die<br />

Hänn do spucke, die soh mer zom irschte mol en ihrem Lewe met eijener Hand en Stein off hewe. Vill<br />

Beamteschweiß es do gefloß, en Ströme wurd die Kostbarkeit vergoß, on datt es doch su en seltene Saft, bei<br />

einem, dä bluß geistig schafft!“; ebd. S. 21.<br />

207<br />

StAK 623 Nr. 6556, S. 654 f.; VB 1933-1937, S. 35.<br />

208<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 210925, Anlage 4 zum Fragebogen.


342<br />

städtischen Schlossmuseums hindurch zum Rhein erfolgen. Museumskustos Hanns Sprung 209<br />

erläuterte Gauleiter S<strong>im</strong>on am 16. Juni 1934 die Umstände einer lautstarken Auseinander-<br />

setzung, die er deswegen mit Gaupropagandaleiter Michels hatte: Michels hatte Sprung am<br />

7. Juni erklärt, die Regierung habe die Genehmigung für den Transport der Erdmassen erteilt.<br />

Der preußische Staat war Eigentümer des Schlosses, und die Museumsräume waren von der<br />

Stadt lediglich angemietet. Deswegen sollte Michels noch formell die Zust<strong>im</strong>mung der<br />

Museumsleitung einholen. In aller Eile entwarfen Sprung und Wirtz einen Vertrag, der <strong>im</strong><br />

Beschlussausschuss besprochen und, von Wittgen unterzeichnet, Michels zuging. Als Michels<br />

am 15. Juni erschien, um in der Schlossvorhalle Thingmodelle aufzustellen, hatte er den<br />

Vertrag noch nicht unterschrieben, was er Sprung gegenüber rechtfertigte, sie „seien alle<br />

Bürokraten und die Stadt wolle ihm nur Schwierigkeiten machen“. Als Sprung auf dem<br />

Vertragsabschluss bestand, sch<strong>im</strong>pfte Michels auf Bürokratismus und Spießertum und drohte<br />

mit der Erstürmung des Raumes durch die ihm zur Verfügung stehenden 500 Arbeitdienst-<br />

männer. Daraufhin vermittelte Sprung ein Telefongespräch zwischen Michels und Wittgen.<br />

Michels kündigte dem Oberbürgermeister zwar an, den Vertrag zu unterschreiben. Dessen<br />

Best<strong>im</strong>mungen werde er aber nicht einhalten, insbesondere werde er nicht für Schäden<br />

aufkommen. Als der für die Gipsmodelle vorgesehene Raum nicht Michels’ Vorstellungen<br />

entsprach, „verfiel er in sein übliches Brüllen“ und in Besch<strong>im</strong>pfungen, worauf Sprung ihm<br />

Größenwahn und Bildungsmangel vorwarf. Sprung versicherte S<strong>im</strong>on, weder die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> noch er selbst mache irgendwelche Probleme, diese seien nur in Michels’<br />

Persönlichkeit zu suchen. 210<br />

Der preußische Staat hatte mit der Spielgemeinschaft am 9. Juni einen Leihvertrag für den<br />

Schlossvorplatz abgeschlossen, von dem Wittgen erst am 15. Juni eine Abschrift erhielt.<br />

Darin war ein gesondert mit der Stadt <strong>Koblenz</strong> abzuschließender Vertrag über die<br />

Unterhaltung der Thingstätte vorgesehen. Doch noch bevor eine Regelung gefunden worden<br />

war, kam es zum nächsten Eklat. Am 19. Juni verlangte ein Obertruppführer bei Sprung für<br />

den Erdtransport Zugang zum Schloss, den er sich auf Befehl Michels’ erzwingen solle.<br />

Arbeitsdienstmänner versuchten, die Tür aufzudrücken und probierten verschiedene Schlüssel<br />

aus. Vergeblich versuchte Sprung, jemanden von der Regierung telefonisch zu erreichen. Den<br />

anwesenden Beauftragten von Michels, Spielgemeinschafts-Geschäftsführer Josef We<strong>im</strong>er<br />

und Studienrat Dr. Karl Mordziol, teilte er mit, es handele sich um Hausfriedensbruch.<br />

We<strong>im</strong>er telefonierte darauf mit Michels, der den Befehl zum Öffnen der Tür erneuerte.<br />

Schließlich erschien ein von Michels beauftragter Schlosser, der die Tür zum Gartensaal<br />

öffnete. Eine Stunde später beobachtete Sprung Michels <strong>im</strong> Schloss <strong>im</strong> Gespräch mit den<br />

Regierungsräten, die er nicht hatte erreichen können. <strong>Die</strong> meisten Kunstgegenstände wurden<br />

noch am selben Tag aus Angst vor einer Erstürmung der Schlossräume sichergestellt. 211<br />

209 Vgl. Kapitel 6.3.5.<br />

210 StAK 623 Nr. 6820, S. 18-30, Zitate S. 28 f.<br />

211 StAK 623 Nr. 6820, S. 31, 37 f.


343<br />

Wittgen meldete den Vorfall am 21. Juni dem Regierungspräsidenten und lehnte als Mieter<br />

jede Haftung für Schäden ab. Michels schickte er eine Abschrift. Unter demselben Datum<br />

hatte Michels aber eine Verfügung des Regierungspräsidenten erwirkt, die sich mit Wittgens<br />

Meldung kreuzte. Turner hatte der Spielgemeinschaft die Beförderung von Erdmassen bis zu<br />

9.000 Kubikmeter durch die Säulenhalle, die innere Halle und den Gartensaal mittels<br />

Förderbahngeleisen und Loren 212 gestattet. Auflagen waren der Schutz der Räume und die<br />

Erhaltung des Zugangs zum Museum. Mit größter Genugtuung und Selbstgefälligkeit<br />

reagierte Michels nun auf Wittgens Brief. Er habe es aus prinzipiellen Erwägungen abgelehnt,<br />

einen gesonderten Vertrag mit der Stadt abzuschließen, da das Rechtsverhältnis und die<br />

eventuelle Schadenersatzpflicht klar aus seinen Verträgen mit dem preußischen Staat und dem<br />

Reich hervorgingen. Er müsse es als „Schikane“ werten, wenn Wittgens Untergebene seiner<br />

„Versicherung als Landesstellenleiter und Nationalsozialist […] keine Beachtung schenken“.<br />

Michels empfahl dem Oberbürgermeister, Sprung und Museumsdiener Alfred Kohlhoff<br />

angesichts ihres Verhaltens einen Gedankengang des Ministerialrats Dr. Hans Fabricius vom<br />

Reichsinnenministerium zur Kenntnis zu geben. Er fügte einen Zeitungsausschnitt aus dem<br />

Nationalblatt vom 22. Juni 1934 mit dem Titel „Gegen nörgelnde Bürokraten“ bei.<br />

Demzufolge hatte Fabricius die Bemäkelung der Partei mit der des Staates gleichgesetzt und<br />

gefordert, Beamte sollten lieber arbeiten statt nörgeln. 213<br />

Sprung unterrichtete Gauleiter S<strong>im</strong>on am 4. Juli über die jüngsten Entwicklungen: „Dass ich<br />

ein Bürokrat sein soll, hat dem Herrn Oberbürgermeister eine lustige Viertelstunde bereitet<br />

und wird wohl dieselbe Wirkung bei allen denen haben, die mich kennen.“ Mordziol,<br />

Studienrat am städtischen Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium und Vorsitzender des<br />

Naturwissenschaftlichen Vereins, verwahrte sich bei Wittgen am 26. Juni schriftlich – auf<br />

einem Briefbogen der Landesstelle – gegen den in seinen Augen grotesken Vorwurf des<br />

Hausfriedensbruchs. Wittgen hätte ihn und We<strong>im</strong>er zu den „Kreaturen des Herrn Michels“<br />

gezählt, was er sich aber als „Ehrentitel“ anrechne. Seinem <strong>Die</strong>nstvorgesetzten Wittgen<br />

verpasste Mordziol einen Seitenhieb durch einen indirekten Vergleich mit Michels: „Ich kann<br />

Ihnen nur versichern, dass wir Mitarbeiter des Herrn Michels in vollem Umfang ihm<br />

Gefolgschaft leisten, da wir wissen […], dass er andererseits auch mit seiner vollen<br />

Persönlichkeit für uns eintritt. Jedenfalls habe ich ein idealeres Arbeitsverhältnis bisher<br />

leider nirgends angetroffen.“ Einen Tag später einigten sich Wittgen und Mordziol, einen<br />

Schlussstrich unter die Angelegenheit zu ziehen. 214<br />

Persönlich gekränkt rechtfertigte sich Museumsaufseher Kohlhoff in einem Schreiben an<br />

Mordziol. Kohlhoff wollte nicht als nörgelnder Beamter dastehen, der Schwierigkeiten<br />

212<br />

Vgl. Abb. in: Arthur Etterich (Hg.): Arbeitsdienst der N.S.D.A.P. Gau XXIV Mittelrhein. <strong>Koblenz</strong> 1934, S.<br />

11.<br />

213<br />

StAK 623 Nr. 6820, S. 39-43, 46-48 f., Zitate S. 46.<br />

214<br />

StAK 623 Nr. 6820, S. 49-51, 53, Zitate S. 50, 53.


344<br />

mache: „Ich habe garkeine Veranlassung einer Sache Widerstand zu machen, wenn die<br />

maßgebenden Stellen einen Zurückzieher [machen] und nach unten, in diesem Fall auf mich,<br />

die Verantwortung abzuwälzen versuchen, denn wenn es denen recht ist, mir zwe<strong>im</strong>al. Als<br />

städtischer Beamter habe ich daß [sic] zu tun, waß [sic] man von mir verlangt, es ist genau<br />

dasselbe, waß [sic] man von einem Beamten der Gauleitung auch verlangt.“ 215<br />

Kaum war der Streit zwischen Stadt und Gauspropagandaleitung beigelegt, zertrümmerte die<br />

Feldbahn am 17. Juli 1934 u. a. die halbe Eingangstür zum Museum. <strong>Die</strong> Schäden wurden der<br />

Regierung gemeldet, doch die Reparatur ließ monatelang auf sich warten. 216 Anfang 1935<br />

übernahm die Stadt einen Zuschuss von 2.350 RM zur Verlegung von Gasrohren sowie<br />

1.600 RM für eine Abschlussmauer. 217 Bei der Thingweihe am 24. März 1935 war Wittgen<br />

sogar eine kurze Sprechrolle in dem von Michels inszenierten pathetischen Weihespiel<br />

„Werdendes Volk“ zugedacht: Als „Thingpfleger“ nahm er das „Gauthing in städtische<br />

Obhut“. 218 Kulturamtsleiter Wilhelm Smits notierte zwei Tage später, den gehaltenen Reden<br />

nach habe die Stadt jetzt die Pflege der Anlage übernommen. <strong>Die</strong> beschädigte Eingangstür<br />

war durch die Spielgemeinschaft nur so behelfsmäßig repariert worden, dass der<br />

Polizeipräsident einschritt und Abhilfe verlangte, als bei der Maifeier 1935 Schaulustige<br />

durch die nicht mehr richtig verschließbare Tür ins Schloss eindrangen und auf Feuerleitern<br />

und S<strong>im</strong>se kletterten. Oberregierungsrat Karl von Hartmann-Krey 219 , ein ehemaliges<br />

Zentrumsmitglied, bekannte Smits am 2. Mai 1935, „dass die Regierung machtlos sei, da Herr<br />

Propagandaleiter Michels <strong>im</strong> Schloß schalte und walte, wie er wolle, ohne die Regierung zu<br />

hören.“ Im September 1935 stellte Wittgen eine Mängelliste für die Regierung zusammen.<br />

Der Gartensaal war <strong>im</strong>mer noch nicht wieder an das Museum zurückgegeben, auf dem<br />

Fußboden waren Teerflecken, der wertvolle Kronleuchter war beschädigt, die Rasenflächen<br />

zerstört. Um die Thingstätte schien sich entgegen den offiziellen Propagandabekundungen zur<br />

Bedeutung der neuen Feierstätte niemand zu kümmern. Smits stellte 1935 mehrfach fest, die<br />

Umgebung mache mit Erd- und Schutthaufen, Unkraut und tiefen Löchern einen trostlosen<br />

Eindruck, obwohl die Bauverwaltung der Spielgemeinschaft jährlich 500 RM an<br />

Unterhaltungskosten zahle. 220<br />

215 StAK 623 Nr. 6820, S. 52.<br />

216 StAK 623 Nr. 6820, S. 54-56.<br />

217 StAK 623 Nr. 7216, S. 32-34.<br />

218 LHAKo Best. 708 Nr. 301.94. Den Text verfasste Heinrich Lersch. Ausführlich zur Thingweihe s. Brommer:<br />

Etablierung nationalsozialistischer Macht, S. 513-517. <strong>Die</strong> Rolle des „Thingältesten“ übernahm Gauleiter S<strong>im</strong>on.<br />

Michels hatte sie zuerst Reichsorganisationsleiter Ley zugedacht, dem er gleich zwe<strong>im</strong>al voller Stolz sein<br />

„Thingwerk“ zuschickte; BArch NS 22/715 (unpaginiert), Michels vom 29.1. und 20.2.1935.<br />

219 * 16.7.1875 Köln, + 26.10.1945 Berlin, katholisch, nach Tätigkeit als Landrat seit 1929 bei der Regierung<br />

<strong>Koblenz</strong>, 1931 Oberregierungsrat, Leiter der Abt. III, 1933/34 vorsitzender Direktor der Casino-Gesellschaft.<br />

Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 509 f.; Festschrift zur 150-Jahr-<br />

Feier 1808-1958 Casino zu <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1958, S. 34, 63.<br />

220 StAK 623 Nr. 6820, S. 57-74, Zitat S. 67; ebd. Nr. 6991, S. 91-93.


345<br />

Im Mai 1936 stellte das preußische Finanzministerium der Stadt 6.000 RM für die<br />

Herrichtung des Schlossvorplatzes zur Verfügung. Pünktlich zum Gauparteitag Ende Juni<br />

1936 hatte das Tiefbauamt die Arbeiten beendet. Noch während der Instandsetzung wurde den<br />

Stadt- und Landkreisen am 20. Mai 1936 verkündet, auf Anordnung des Reichspropaganda-<br />

ministeriums seien die Spielgemeinschaften aufzulösen. <strong>Die</strong> Landesstelle des Reichs-<br />

propagandaministeriums schlug vor, die Gesellschaftereinlage für kulturelle Zwecke des<br />

Gaues zu verwenden. Im September erklärte die Stadt wunschgemäß ihr Einverständnis,<br />

den vorhandenen Restbetrag für die Werbeschrift „Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier“<br />

aufzubrauchen. 221<br />

<strong>Die</strong> Instandsetzung des Kronleuchters hatte von Hartmann-Krey wiederholt bei Michels<br />

angemahnt, ohne dass er je Antwort erhielt. Obwohl sich der Oberregierungsrat keinen Erfolg<br />

mehr versprach, bewegte er Michels <strong>im</strong> Oktober 1936 <strong>im</strong>merhin zu einer Besichtigung aller<br />

Schäden. Michels versprach zwar, sich zu kümmern, Barmittel stünden ihm aber nicht zur<br />

Verfügung. Schließlich stellte das Reichspropagandaministerium 20.000 RM für<br />

Instandsetzungsarbeiten bereit. <strong>Die</strong> Reparatur des Kronleuchters wurde aus diesen Mitteln<br />

entgegen Michels’ besonderer Ankündigung nicht bewilligt. Einen letzten Vorstoß unternahm<br />

die Stadt <strong>im</strong> Januar 1937. Wittgen schlug Turner vor, von Michels Mittel einzufordern, da die<br />

Spielgemeinschaft bei ihrer Auflösung laut Gemeindeprüfungsamt noch über einen<br />

Überschuss von 4.650 RM verfügt hätte. Das Schreiben blieb unbeantwortet. Michels wurde<br />

<strong>im</strong> April 1937 wegen innerparteilicher Disziplinlosigkeiten nach München versetzt, 222 und der<br />

lädierte Kronleuchter landete 1938 auf dem Speicher. 223<br />

6.2.2 Baumaßnahmen für Gliederungen und angeschlossene Verbände<br />

der NSDAP<br />

Vor dem Krieg führte die Stadt einige größere Bau- bzw. Umbaumaßnahmen für<br />

Gliederungen und angeschlossene Verbände der Partei durch. Sie veranschaulichen einerseits,<br />

wie schnell und relativ reibungslos die <strong>Stadtverwaltung</strong> bereit war, auf deren Wünsche<br />

einzugehen, andererseits, dass sie wie <strong>im</strong> Fall des Ernährungshilfswerks der NSV zur<br />

Unterstützung verpflichtet war.<br />

221<br />

StAK 623 Nr. 6991, S. 93-104; ebd. Nr. 7216, S. 108. <strong>Die</strong> finanzielle Beteiligung an der Spielgemeinschaft<br />

fiel für die Stadt indirekt noch höher aus, da die Energieversorgung Mittelrhein und die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Straßenbahngesellschaft, an denen die Stadt Anteile hielt, unentgeltliche Leistungen be<strong>im</strong> Thingstättenbau<br />

erbrachten. Ebd. Nr. 7216, S. 32-34.<br />

222<br />

NB, 3./4.4.1937: Neuer Gaupropaganda- u. Landesstellenleiter für die Westmark; Maier: Biographisches<br />

Organisationshandbuch, S. 352.<br />

223<br />

StAK 623 Nr. 6820, S. 15-17, 76-100, 528 f.; ebd. Nr. 6693, S. 137.


346<br />

<strong>Die</strong> Gauwaltung der DAF war zunächst <strong>im</strong> „Ebert-Haus“ der Freien Gewerkschaften in der<br />

Löhrstraße 100 untergebracht, das am 2. Mai 1933 beschlagnahmt worden war. 224 1934/35<br />

baute die Stadt das von der NSDAP so heftig umstritten gewesene „Kopfgebäude“ in der<br />

Bahnhofstraße für die Zwecke der DAF um, die dort 1935 einzog. Weitere Umbauten folgten<br />

1936. Im Sommer 1938 sollten Mansardenz<strong>im</strong>mer zu Büroräumen ausgebaut werden. <strong>Die</strong><br />

Finanzabteilung rechnete vor, die ersten beiden Bauabschnitte hätten bereits 34.823,88 RM<br />

gekostet, jetzt kämen 7.800 RM hinzu. Sie drängte deshalb darauf, die DAF über eine<br />

Mieterhöhung für die „ständigen Einbauten in dem an sich völlig unrentablen Haus“ am<br />

Schuldendienst zu beteiligen. 225 Während die Stadtkämmerei intern die Unrentabilität des<br />

Kopfgebäudes bemäkelte, gaukelte der Verwaltungsbericht der Öffentlichkeit „eine sich stetig<br />

verbessernde Wirtschaftlichkeit“ vor. 226<br />

<strong>Die</strong> NSKK-Motorbrigade West liefert ein Beispiel dafür, dass es selten bei einer einmaligen<br />

Forderung nach Unterstützung blieb. Im September 1935 informierte Wittgen die<br />

Ratsherrenversammlung, dass die Einrichtung einer Führerschule für die NSKK-Motor-<br />

brigade, Inspektion West (Rheinprovinz, Westfalen, Hessen-Nassau), <strong>im</strong> Wasserwehrdepot in<br />

der Steinstraße vorgesehen sei. <strong>Koblenz</strong> stehe in Konkurrenz zur Stadt Trier, die gut<br />

eingerichtete Kasernenbauten angeboten hätte, wobei aber jedem hätte einleuchten müssen,<br />

dass angesichts des Inspektionsgebiets allein die periphere Lage gegen Trier sprach. Es wurde<br />

dennoch ein außerplanmäßiger Zuschuss von 11.000 RM für den Ausbau des Depots<br />

bereitgestellt, der mit dem wirtschaftlichen Interesse der Stadt an der NSKK-Führerschule<br />

begründet wurde. 227 Ihre Einweihung fand am 6. Januar 1936 statt. 228 Im Dezember 1936<br />

bekamen die NSKK-Standarte und -Motorstaffel für den Umbau des Kammergebäudes der<br />

Kaserne in der Steinstraße einen Zuschuss von 5.500 RM bewilligt, weil sie anderweitige<br />

Büroräume für die Wehrmacht räumen mussten. <strong>Die</strong> Heeresverwaltung sollte deshalb<br />

2.000 RM erstatten. 229 Als am 13. Mai 1937 NSKK-Gruppenführer Nikolaus Eiden 230 als<br />

neuer Ratsherr eingeführt wurde, bat er noch in derselben Sitzung um die Bereitstellung von<br />

zehn Büroräumen <strong>im</strong> Kammergebäude für die NSKK-Motorbrigade. Eiden drängte auf<br />

„umgehende Erledigung“. Stadtkämmerer Wirtz musste wieder einmal finanztechnische<br />

Hindernisse erläutern, die eine Finanzierung nur aus laufenden Mitteln zulasse, auch wenn<br />

das Bauvorhaben sachlich gerechtfertigt sei. Wittgen fasste darauf die Entschließung zu einer<br />

Kreditfinanzierung über 15.000 RM für den erforderlichen Umbau. 231 Kaum wurden die<br />

neuen Büroräume in Anwesenheit von Gauleiter, Kreisleiter und Oberbürgermeister Anfang<br />

224<br />

NB, 1.3.1934: Aufbau und Gliederung der NSBO <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier.<br />

225<br />

StAK 623 Nr. 10026 (unpaginiert), 22.7.1938.<br />

226<br />

VB 1933-1937, S. 51. Das Gebäude war hauptsächlich von der DAF belegt, Büro- und Geschäftsräume<br />

besaßen aber auch das Chemische Untersuchungsamt, das Verkehrsamt und die Städtische Sparkasse.<br />

227<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 58.<br />

228<br />

NB, 7.1.1936: Männer und Maschinen.<br />

229<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 135 f.<br />

230<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 203 f.<br />

231<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 178 f.


347<br />

Dezember 1937 übergeben, 232 äußerte die NSKK den Wunsch nach einem Schießstand. Er<br />

wurde innerhalb weniger Wochen für 22.000 RM zur „allgemeinen Förderung des<br />

Schießsportes <strong>im</strong> Interesse der Volksertüchtigung“ für das NSKK und andere Schießsport<br />

betreibende Verbände gebaut. 233 Bei der Eröffnung des Schießstandes Anfang Februar 1938<br />

anlässlich eines WHW-Jubiläumsschießens war dann aber nicht mehr von Volksertüchtigung,<br />

sondern von Wehrertüchtigung die Rede, die Wittgen in seiner Ansprache zu einer Aufgabe<br />

der Gemeinden erhob. 234 Das Gemeindeprüfungsamt der Regierung monierte die<br />

Baumaßnahme sehr entschieden: „<strong>Die</strong> Errichtung eines unrentierlichen Schießstandes […]<br />

hätte hinter dringlicheren Aufgaben zurückstehen können.“ 235<br />

Ständige Nachforderungen des Reichsarbeitsdienstes für die weibliche Jugend, Bezirk X<br />

(Rheinland), sind dagegen nicht bekannt. Er hatte 1937 den Ausbau des landgutähnlichen<br />

Gebäudes „Marienlust“ in Metternich zu einem Lager beantragt. Im Dezember nahm die<br />

Ratsherrenversammlung Kenntnis von den 25.000 RM Herstellungskosten, die als<br />

außerordentliche Mehrausgabe verbucht wurden. <strong>Die</strong> Jahresmiete betrug ab April 1938<br />

3.000 RM. 236 <strong>Die</strong> Marienlust stand vorher aber keineswegs leer. Dort waren Familien<br />

untergebracht gewesen, die offensichtlich für den Volkskörper wenig wertvoll waren und das<br />

Gebäude räumen mussten. Ihre Unterbringung machte angesichts fehlender Ersatzwohnungen<br />

Probleme, sodass die meisten ins Obdachlosenasyl in der Boninstraße eingewiesen wurden. 237<br />

Konstantin Hierl, der Reichsarbeitsdienstführer und Ehrenbürger der Stadt, stattete dem Lager<br />

kurz nach dem Einzug der ersten Arbeitsmaiden am 29. April 1938 einen Besuch ab. 238<br />

Im Sommer 1937 errichtete die Stadt für das Ernährungshilfswerk der NSV in der Gemarkung<br />

Neuendorf eine Schweinemastanstalt, die einen mit Mitteln der Stadt für 6.000 RM<br />

hergerichteten, angemieteten Stall in Nickenich ersetzte. Gemäß einem ministeriellen<br />

Runderlass vom 20. November 1936, mit dem Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan<br />

die Gemeinden zur finanziellen Unterstützung der mit der Verwertung von Küchenabfällen<br />

durch Schweinemast betrauten NSV verpflichtet hatte, 239 erfolgte die Finanzierung <strong>im</strong><br />

Haushalt des Wohlfahrtsamtes durch einen Kredit über 76.000 RM, davon 59.000 RM für den<br />

Neubau und 16.000 RM für das Einsammeln der Küchenabfälle. 240 <strong>Die</strong> für 300 Tiere<br />

232 NB, 8.12.1937: Vom Sturmlokal zur vorbildlichen <strong>Die</strong>nststelle.<br />

233 StAK 623 Nr. 6398, S. 402. Der Schießstand lag zwischen der NSKK-Schule in der Steinstraße und der<br />

Turnhalle <strong>im</strong> früheren Exerzierhaus in der Blücherstraße; NB, 30.12.1937: Ein Schießstand an der Blücherstraße.<br />

234 NB, 7.2.1938: Büchsen knallen lustig am Straßenrand.<br />

235 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 997 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). <strong>Die</strong> Kosten für den Büro- und<br />

Wohnungseinbau <strong>im</strong> Kammergebäude der früheren Steinkaserne bezifferte der Bericht mit rund 24.000 RM;<br />

ebd. S. 887.<br />

236 StAK 623 Nr. 10026 (unpaginiert).<br />

237 NB, 21.1.1938: Gut Marienlust wird weibliches Arbeitslager; StAK 623 Nr. 6398, S. 403.<br />

238 NB, 23./24.4.1938: „Marienlust“ an Metternichs Moselstrand; NB, 1.5.1938; Weiß: Metternich, S. 69.<br />

239 Veröffentlicht in: Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 298 f.<br />

240 StAK 623 Nr. 7216, S. 196 f., 212. Schon <strong>im</strong> Oktober 1936 hatte Ratsherr Ackermann als Gauamtswalter der<br />

NSV die kostenlose Bereitstellung eines städtischen Grundstücks zur Anlage einer „Schweine-Muster-<br />

Züchterei“ beantragt; ebd., S. 118.


348<br />

ausgelegte Neuendorfer Anlage erwies sich schon zwei Jahre später als zu klein, da die<br />

umliegenden Gemeinden und Kreise durch den Bau eigener Anlagen keine Abfälle mehr<br />

annahmen 241 und nun Futter für 1.000 Tiere zur Verfügung stand. Für den Erweiterungsbau<br />

musste S<strong>im</strong>mer den Regierungspräsidenten <strong>im</strong> August 1940 um die Genehmigung zur<br />

Aufnahme eines Reichsdarlehens über 76.000 RM bitten. 242 Im Juni 1941 verhandelte S<strong>im</strong>mer<br />

<strong>im</strong> Berliner Reichsinnenministerium sogar wegen eines Darlehens über 270.000 RM. 243 <strong>Die</strong><br />

Unterhaltung der Anlage war Sache der NSV, die 1941 trotzdem zumindest versuchte, Kosten<br />

für Instandsetzungsarbeiten auf die Stadt abzuwälzen. 244<br />

6.2.3 Das Gauhaus Emil-Schüller-Straße 18/20 und das Neubauprojekt<br />

Amt für Volkswohlfahrt<br />

<strong>Die</strong> Räumlichkeiten der Gauleitung <strong>im</strong> „Gauhaus“ Schloßstraße 43-45 reichten wenige Jahre<br />

nach der Einweihung durch Robert Ley am 2. Juli 1933 angesichts des wachsenden<br />

Parteiapparates nicht mehr aus. 245 Verhandlungen zwischen der Stadt, Gauschatzmeister<br />

Ludwig Lambert 246 und Kreisleiter Claussen über eine Nutzung der beiden städtischen<br />

Liegenschaften Emil-Schüller-Straße 18 und 20 durch die Gauleitung traten <strong>im</strong> Sommer 1937<br />

in ihr entscheidendes Stadium. Nach einer Besprechung am 28. August, an der u. a.<br />

Stadtkämmerer Wirtz, Stadtoberbaurat Neumann, Lambert und sein Sachbearbeiter, Assessor<br />

Karl Hahn, teilnahmen, erhielten die ersten städtischen Mieter 247 ihre Kündigung. <strong>Die</strong><br />

Kaltmiete für die beiden Objekte betrug monatlich bisher 30.370,20 RM. <strong>Die</strong> Ratsherren<br />

wurden in der Sitzung vom 11. November 1937 über das Projekt informiert. Wittgens<br />

Entschließung sah vor, dass dem Einzug der Gauleitung „ein ausgedehnter Umbau des<br />

Gebäudes“ unter der Regie der städtischen Bauverwaltung vorausgehen sollte. Für die<br />

Finanzierung stellte die Stadt dem Gau für fünf Jahre ein Darlehen über 80.000 RM zur<br />

Verfügung, das mit 4 % zu verzinsen war. Als monatliche Miete waren 2.000 RM<br />

vorgesehen. 248 Der Kostenvoranschlag des Hochbauamtes vom Januar 1938 summierte sich<br />

auf 100.000 RM, wobei allein Ausbau und Innenausstattung der Ehrenhalle 249 <strong>im</strong><br />

241 <strong>Die</strong> Verwertung von Küchenabfällen zur Schweinemast war <strong>im</strong> November 1937 auf Gemeinden unter 40.000<br />

Einwohner ausgeweitet worden; LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 315.<br />

242 LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 591-610. Vgl. Karten zur Schweinemastanstalt in Neuendorf (Neubau 1937<br />

bzw. Erweiterungsbau 1940): StAK K 100-107, 138, 1295, 1306, 1345 f., 1523 f.<br />

243 StAK 623 Nr. 6712, S. 4.<br />

244 StAK 623 Nr. 3614, S. 5.<br />

245 Am 2.7.1933 bezog die Gauleitung das Gebäude des ehemaligen Bezirkskommandos, Schloßstraße 45, und<br />

mietete <strong>im</strong> Oktober zusätzlich das daneben liegende Haus Schloßstraße 43. NB, 30.6.1933: Der große Tag des<br />

Gaues; NB, 3.7.1933: Der Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier weiht sein neues He<strong>im</strong>; ebd.: Dr. Robert Ley spricht zu 35000<br />

Arbeitern; StAK Fach 100, Bauakten Schloßstraße 43 und 45; ebd. Nr. 9335, S. 71-117.<br />

246 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 327 f.<br />

247 Lambert hatte schon <strong>im</strong> Dezember 1936 vertraulich eine Aufstellung der Mietverhältnisse der erhalten; StAK<br />

623 Nr. 3262, S. 27 f.<br />

248 StAK 623 Nr. 7216, S. 223; ebd. Nr. 3262, S. 57.<br />

249 <strong>Die</strong> Ehrenhalle mit Führerbüste und Fahnengruppe erhielt Bleiglasfenster für einen gedämpften Lichteinfall,<br />

Fußboden und Wände wurden mit Naturstein verkleidet; NB, 26./27.2.1938: <strong>Die</strong> Gauleitung wird ins Hochhaus<br />

ziehen; NB, 28.4.1938: Das neue Gauhaus – ein Gemeinschaftswerk.


349<br />

Eingangsbereich, des Gauleiterz<strong>im</strong>mers sowie des Sitzungssaales mit 20.000 RM zu Buche<br />

schlugen. Den übrigen Mietern wurde gekündigt; der Gau ersetzte der Stadt<br />

vereinbarungsgemäß den Mietausfall. 250<br />

Doch Anfang Januar 1938 kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der Miete.<br />

Der Stadt wurden neue Forderungen von Reichsschatzmeister Schwarz mitgeteilt: <strong>Die</strong><br />

NSDAP stelle selbst 100.000 RM zur Verfügung, verlange aber ein Vorkaufsrecht sowie die<br />

Anlage eines Luftschutzraumes auf Kosten der Stadt. Da Gauleiter S<strong>im</strong>on seit spätestens<br />

Herbst 1937 einen eigenen Neubau <strong>im</strong> Sinn hatte, 251 wurde ein Sonderkündigungsrecht von<br />

einem halben Jahr nach Ablauf von zwei Jahren gefordert. Als Miete wünschte Schwarz<br />

1.800 RM. <strong>Die</strong> erneuten Berechnungen der Liegenschaftsverwaltung kamen zu dem Ergebnis,<br />

dass selbst bei der Steuerersparnis von Grundsteuern aufgrund der Vermietung an die NSDAP<br />

knapp 25.000 RM Jahresmiete erzielt werden müssten. Ein Sonderkündigungsrecht hielt<br />

Stadtbaurat Friedrich Bode für nicht verhandelbar, da die Stadt dann die Gebäude wieder mit<br />

gleichem Kostenaufwand in Mietwohnungen umwandeln müsse. Trotzdem erklärte sich<br />

Wittgen in Verhandlungen mit der Gauleitung mit einer Ermäßigung der Miete auf monatlich<br />

1.900 RM einverstanden. Dabei wurde festgehalten, dass die Gauleitung <strong>im</strong> Vergleich zur<br />

ortsüblichen Miete (die DAF zahlte <strong>im</strong> Kopfgebäude 7,80 RM pro qm) mit 7,30 RM pro qm<br />

schon bei den bislang geforderten 2.000 RM wesentlich begünstigt worden wäre. Dem<br />

Gauschatzmeister war dies gleichgültig. Er schickte lange Neuberechnungen zu Steuerfragen,<br />

wonach die Stadt keinen Grund habe, die Wunschmiete von 1.800 RM abzulehnen. Sein<br />

schlagendes Argument war jedoch ein anderes: „Schließlich ist es auch der Wunsch des<br />

Gauleiters persönlich, daß bezüglich des Mietpreises eine Vereinbarung von monatlich<br />

RM 1800,-- zustande kommt.“ <strong>Die</strong> Berechnungen konnte Bode widerlegen. Weitere<br />

Verhandlungen betrachtete er aber als sinnlos, stattdessen legte er die Sache Neumann und<br />

Wittgen zur Entscheidung vor. Wittgen gab in diesem Fall nicht nach. Er teilte Lambert seine<br />

Bereitschaft mit, persönlich nach München zu fahren, um mit dem Reichsschatzmeister zu<br />

verhandeln. <strong>Die</strong>se Ankündigung zeigte Wirkung: Am 25. Januar erklärte Lambert sein<br />

Einverständnis mit der Mietforderung von 1.900 RM. Der Mietvertrag wurde wenige Tage<br />

später für die Dauer von zehn Jahren ab dem 1. April 1938 mit einer monatlichen Kaltmiete<br />

von 1.900 RM unterzeichnet. 252 Dass die Miete für die Stadt unrentabel war, bescheinigte<br />

1939 das Gemeindeprüfungsamt der Regierung. <strong>Die</strong> städtischen Immobilien erbrächten<br />

verhältnismäßig gute Erträge, „wenn man vom Hochhaus [DAF], dem Hause Emil-Schüller-<br />

Straße 18/20 (Gauhaus) und dem Hause Rizzastraße 34 absieht“. 253 In den nächsten Jahren<br />

250 StAK 623 Nr. 3262, S. 10-57.<br />

251 BArch R 4606/3353 (unpaginiert), Vermerk vom 30.10.1937.<br />

252 StAK 623 Nr. 3262, S. 1-4, 70-84, Zitat S. 76 f.<br />

253 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 887. In der Rizzastraße 34 waren neben einigen Privatmietern die<br />

Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands und die Bezirksvereinigung der<br />

Reichsärztekammer Mieter der Stadt; AB 1937/38, S. III 88.


350<br />

kam es mehrfach bei Reparaturen und Wartungen zu Streitigkeiten zwischen Stadt und<br />

Gauleitung. Teils mit Erfolg versuchte die Mieterin, die Kosten der Stadt aufzubürden. 254<br />

Kaum war die Gauleitung in die Emil-Schüller-Straße 18/20 umgezogen (Abb. 27), meldete<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on weiteren Raumbedarf an. Lambert erinnerte die Stadt Anfang April 1938<br />

daran, dass das Nachbargrundstück für einen Neubau „reserviert bleiben soll.“ 255 Klose<br />

erteilte dem Stadtgestaltungsamt <strong>im</strong> Oktober den Auftrag zur Erstellung von Entwürfen und<br />

einer Kostenermittlung für den Bau, den die NSV mieten sollte. Wieder einmal zitierte Klose<br />

den „Wunsch des Gauleiters“, der diesmal auf die Schließung der Baulücke Emil Schüller-<br />

Straße/Roonstraße zielte. Bei der Planung der Eingangshalle musste eine große Figur „Mutter<br />

und Kind“ berücksichtigt werden. Klose drängte auf schnelle Bearbeitung des Projekts, für<br />

das Anfang 1939 Gesamtkosten von 650.000 RM ermittelt wurden. <strong>Die</strong> Vorentwürfe des<br />

Stadtgestaltungsamtes orientierten sich ganz offensichtlich an den Plänen für das We<strong>im</strong>arer<br />

Gauforum 256 . Sie zeigen ein Gebäude mit fünf Geschossen und einem Zwischengeschoss. <strong>Die</strong><br />

Länge der Straßenfront an der Emil-Schüller-Straße inklusive des charakteristischen Turms<br />

sollte ca. 127 Meter betragen, die an der Roonstraße ca. 28 Meter. 257 Das Bauvorhaben diente<br />

Wittgen als Beleg für die Aktivitäten der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst der Partei, denn es wurde<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Teil der Ratsherrensitzung vom 16. März 1939 behandelt. Wirtz erläuterte<br />

dabei die notwendige Aufnahme eines Darlehens über 487.000 RM für den Neubau, den der<br />

Kriegsbeginn dann verhinderte. 258<br />

Das Gauschatzamt beantragte <strong>im</strong> Oktober 1942 die Anlage eines Notausgangs für den<br />

Luftschutzkeller, den die Stadt 1937 für 12.000 RM angelegt hatte 259 und der <strong>im</strong> Kriegsfall<br />

für den Einsatzstab des Gauleiters vorgesehen war. Bode vermerkte, an sich müsse die<br />

Gauleitung die Kosten für diesen „Erweiterten Selbstschutz“ tragen, fügte jedoch gleich<br />

hinzu, es sei „zu erwarten, daß der Herr Oberbürgermeister <strong>im</strong> Falle einer Beschwerde die<br />

Übernahme der Kosten durch die <strong>Stadtverwaltung</strong> verfügen wird.“ Wider Erwarten erreichte<br />

es Stadtoberinspektor Rudolf Foos <strong>im</strong>merhin, dass Gauleitung und Stadt sich die Kosten von<br />

2.300 RM teilten. 260<br />

254<br />

StAK 623 Nr. 3262, S. 146-160, 170-175. <strong>Die</strong> Forderung von Gauschatzmeister Walter Sammler vom April<br />

1940, alle Fenster- und Türgriffe sowie Türschilder aus Messing für die Metallspendeaktion auszutauschen, weil<br />

die Partei mit gutem Beispiel vorangehen müsse, lehnte Klose ab. <strong>Die</strong>s sei bisher weder gefordert worden noch<br />

sei Ersatz möglich. Ebd., S. 166 f.<br />

255<br />

StAK 623 Nr. 11852 (unpaginiert), Lambert vom 7.4.1938.<br />

256<br />

Christiane Wolf: Gauforen – Zentren der Macht. Zur nationalsozialistischen Architektur und Stadtplanung.<br />

Berlin 1999, S. 35, Abb. 8. Der Grundstein für das We<strong>im</strong>arer Gauforum war am 1.5.1937 gelegt worden; ebd.<br />

S. 45, Abb. 15.<br />

257<br />

StAK 623 Nr. 3607. Vgl. StAK K 1105. <strong>Die</strong> Entwurfszeichnung trägt fälschlich die Bezeichnung<br />

„Schillerstraße“ statt „Emil-Schüller-Straße“.<br />

258<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 340 f.<br />

259<br />

StAK 623 Nr. 10026 (unpaginiert), 22.12.1937.<br />

260<br />

StAK 623 Nr. 3262, S. 192-199, Zitat S. 194.


351<br />

6.2.4 Siedlungswesen, Wohnungsbau und Wohnungszwangswirtschaft<br />

Von 1919 bis 1932 waren in <strong>Koblenz</strong> ca. 3.200 neue Wohnungen entstanden, knapp ein<br />

Drittel davon, nämlich 1.040, hatte die Stadt selbst gebaut. 261 Trotzdem herrschte<br />

Wohnungsmangel. Gefragt waren vor allem preiswerte Klein- und Kleinstwohnungen. 1930<br />

führte die Stadt eine Neuaufnahme aller Wohnungssuchenden durch, die ca. 1.000 Meldungen<br />

allein für Ein- bis Drei-Z<strong>im</strong>mer-Wohnungen erbrachte. Der Bedarf von 773 Wohnungs-<br />

suchenden wurde als dringend eingestuft. Wohnungen von drei oder weniger Z<strong>im</strong>mern mit<br />

Küche wurden zwangsbewirtschaftet und durch das städtische Wohnungsamt an Bewerber<br />

mit Mietberechtigungskarte vermittelt. 1931 lag die Zahl der Wohnungssuchenden bei 712,<br />

1932 noch bei 426. Das Liegenschaftsamt verwaltete 1932 1.413 städtische Wohnungen, in<br />

denen aufgrund der Haushaltslage nur die dringendsten Sanierungen vorgenommen werden<br />

konnten. Für einen Teil der Wohnungen wurde zum 1. Juli 1932 neben einer gesetzlichen<br />

Mietsenkung eine weitere Mietermäßigung durchgeführt. <strong>Die</strong> schlechte Wirtschaftslage<br />

zwang die Stadt zu vermehrten Mahn- und Klageverfahren bei der Eintreibung von Mieten<br />

oder sogar zu Räumungsklagen, die 1932 zu 20 Zwangsräumungen führten. 145 Parteien<br />

galten als obdachlos, 94 obdachlose Familien waren in Notunterkünften untergebracht. 262<br />

<strong>Die</strong> Behebung der Wohnungsnot war 1933 reichsweit eine der dringendsten kommunalen<br />

Aufgaben. Das zuständige Reichsarbeitsministerium setzte die in der We<strong>im</strong>arer Zeit<br />

begonnene Förderung der Kleinsiedlungen fort, die mit einer großstadtfeindlichen,<br />

agrarromantischen Blut- und Bodenideologie aufgeladen und idealisiert wurden. Obwohl die<br />

Problematik keineswegs gelöst war, wurde zum 1. April 1933 das Wohnungsmangelgesetz<br />

aufgehoben, was die Auflösung des städtischen Wohnungsamtes mit sich brachte. 263 <strong>Die</strong><br />

private Bautätigkeit war in <strong>Koblenz</strong> gemessen am vorhandenen Bedarf, der mit den<br />

Bevölkerungszahlen weiter anstieg, bis 1936 „fast eingeschlafen[e]“. Von 1933 bis 1936<br />

wurden nur 123 neue Wohngebäude mit 283 Wohnungen fertig gestellt. Damit erreichte die<br />

Neubautätigkeit mit 1,8 neuen Wohnungen auf 1.000 Einwohner nicht einmal ein Drittel des<br />

Reichsdurchschnitts der Mittelstädte von 5,7. Durch Teilung und Umbau konnten bis Anfang<br />

1936 mit Hilfe von Reichszuschüssen weitere 377 Wohnungen gewonnen werden. 264<br />

<strong>Die</strong>sen 660 neuen Wohnungen standen aber <strong>im</strong> gleichen Zeitraum ein Zuwachs von<br />

261 StAK 623 Nr. 10053 (unpaginiert), Abt. XII vom 30.1.1934. Vgl. Franz Rogg: <strong>Die</strong> neuere Entwicklung der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong>. In: Hans Bellinghausen (Bearb.): Deutschlands Städtebau. Coblenz. 2. Aufl. Berlin 1925, S. 63-<br />

73, hier S. 70-72; Lammert: Städtebau, S. 457 f.<br />

262 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong><br />

Rechnungsjahr 1930, S. 34; dito 1931, S. 36; dito 1932 (unpaginiert).<br />

263 StAK 623 Nr. 6240, S. 393-395; Ulrike Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik <strong>im</strong> Dritten Reich.<br />

Siedlungsideologie, Kleinhausbau und „Wohnraumarisierung“ am Beispiel Münchens (Studien für<br />

Zeitgeschichte 57). München 1999, S. 333.<br />

264 VB 1933-1937, S. 54 f. (Zitat S. 54); StAK 623 Nr. 6182, S. 88. Vgl. NB, 4.4.1935: <strong>Koblenz</strong> braucht billige<br />

Kleinwohnungen.


352<br />

ca. 2.600 Einwohnern 265 sowie ein Anstieg der Eheschließungen 266 gegenüber, sodass <strong>im</strong>mer<br />

mehr Wohnungssuchende auf den Markt drängten. <strong>Die</strong> 1.591 Wohnungen der städtischen<br />

Liegenschaftsverwaltung waren komplett vermietet, ein Leerstand bildete 1936 die<br />

Ausnahme. 267 Am 1. April 1936 gab es bei insgesamt in <strong>Koblenz</strong> vorhandenen 17.611<br />

Wohnungen einen geschätzten Leerstand von nur noch 0,15 %, der ausschließlich große<br />

Wohnungen betraf. 268 Das bedeutet, dass praktisch schon keine Wohnungsreserve vorhanden<br />

war, als sich die Situation durch die Remilitarisierung weiter verschärfte. So verzeichnete der<br />

Verwaltungsbericht 1937 eine starke Wohnungsnachfrage: Auf eine frei werdende städtische<br />

Wohnung kamen <strong>im</strong> Laufe eines Monats „fast 100 Anfragen“. 269<br />

<strong>Die</strong> staatliche Wohnungsbauförderung war an ein umständliches und zeitraubendes<br />

Verfahren geknüpft. Es verlangte u. a. für den Kleinsiedlungsbau einen 20-prozentigen<br />

Selbsthilfeanteil (1937 auf 10 % gesenkt), einen Ariernachweis, ein ärztliches Erbge-<br />

sundheitszeugnis und einen durch das Gauhe<strong>im</strong>stättenwerk ausgestellten „Siedler-<br />

eignungsschein“ (1937 entfallen). <strong>Die</strong> Baukosten waren auf 7.000 RM beschränkt. 270 Das<br />

Gauhe<strong>im</strong>stättenwerk der DAF hatte <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier mit größeren Anlauf-<br />

schwierigkeiten zu kämpfen. Erst die Gründung einer Bauträgergesellschaft auf Initiative<br />

des Gauleiters erleichterte die Verwirklichung von Siedlungsprojekten. 271 Im Mai 1936<br />

wurde die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft Westmark GmbH mit Sitz in <strong>Koblenz</strong><br />

gegründet. Gesellschafter waren Gauleiter S<strong>im</strong>on persönlich und die NSV Berlin mit einer<br />

sofort einzahlbaren Bareinlage von je 100.000 RM (!). Zweck der Gesellschaft waren der<br />

Bau von Kleinwohnungen <strong>im</strong> eigenen Namen sowie die Betreuung von Wohnungsneu-<br />

bauten. Das Stammkapital stieg in den folgenden Jahren durch die Beteiligung der Städte<br />

und Kreise des Gaues. <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> folgte einer diesbezüglichen Empfehlung des<br />

Regierungspräsidenten und beteiligte sich ab 1. April 1937 mit einer Kapitaleinlage von<br />

4.000 RM. <strong>Die</strong> Beteiligung bedeute eine Entlastung für die Stadt, da sie keinen eigenen<br />

Siedlungsbau betreiben oder als Bauträger auftreten müsse, lautete die Begründung für die<br />

Ratsherren. 1939 erhöhte die Stadt ihre Einlage um 79.000 RM. Vorsitzender des<br />

Aufsichtsrats, dem seit 1940 auch S<strong>im</strong>mer angehörte, war S<strong>im</strong>on, kaufmännischer<br />

265<br />

Tabelle 1: <strong>Die</strong> Bevölkerungsentwicklung von <strong>Koblenz</strong> von 1787 bis 1991. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>,<br />

S. 608. Vgl. Franz-Heinz Köhler: <strong>Die</strong> Bevölkerungsentwicklung. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 319-337,<br />

hier S. 331.<br />

266<br />

VB 1933-1937, Anhang S. 10.<br />

267<br />

StAK 623 Nr. 10053 (unpaginiert), Liegenschaftsverwaltung vom 27.2.1936. In der Zahl enthalten sind 160<br />

Wohnungen, die die Stadt für Rechnung anderer Verwaltungen bewirtschaftete, städtisches Eigentum <strong>im</strong> engeren<br />

Sinne waren nur 1.431 Wohnungen.<br />

268<br />

StAK 623 Nr. 10053 (unpaginiert), „Uebersicht“ vom 1.4.1936.<br />

269<br />

VB 1937/38, S. 57.<br />

270<br />

Tilman Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine. Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit<br />

des <strong>Nationalsozialismus</strong> (Stadt, Planung, Geschichte 18). Basel 1995, S. 100-105; Haerendel: Kommunale<br />

Wohnungspolitik, S. 228-239.<br />

271<br />

So jedenfalls die offizielle Darstellung in der Parteipresse. Ludwig Stähler: Das Siedlungswerk <strong>im</strong><br />

Westmarkgau. In: Der Grenzgau 2 (1937), S. 99 f.


353<br />

Geschäftsführer Dr. jur. Hanns Gatermann und technischer Geschäftsführer der Architekt<br />

Fritz England. 272<br />

Im Juni 1933 beschlossen die Stadtverordneten die Aufnahme eines Darlehens über<br />

46.500 RM zur Schaffung von 20 Kleinsiedlerstellen für Erwerbslose und Kurzarbeiter auf<br />

der Karthause. 273 Bauherrin der „Stadtrandsiedlung“ Pionierhöhe 19-38 war die Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>. Planung und Bauleitung übernahmen Ludwig Stähler und Fritz Horn, die<br />

gemeinsam ein führendes Architekturbüro 274 betrieben und beide NSDAP-Ortsgruppenleiter<br />

waren. <strong>Die</strong> eingeschossigen Siedlerhäuschen auf den 700 qm großen Grundstücken, die <strong>im</strong><br />

Juli 1934 bezogen wurden, waren von pr<strong>im</strong>itiver Bauweise. Mehrere Siedler errichteten<br />

Ställe, die zunächst nicht vorgesehen waren und erst nachträglich genehmigt wurden. 275 Auf<br />

Veranlassung der Liegenschaftsverwaltung überprüfte das Garten- und Friedhofsamt<br />

gemeinsam mit einem Vertreter des Gauhe<strong>im</strong>stättenamtes <strong>im</strong> September 1938 die<br />

ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Siedlerstellen und damit die „Zuverlässigkeit und<br />

unbedingte Eignung“ der Mieter. 276<br />

Im Anschluss an diese erste Bebauung auf der Karthause entwickelte sich das Gelände der<br />

aufgelassenen Feste Alexander, seit 1. Januar 1934 <strong>im</strong> städtischen Eigentum, 277 zum<br />

bevorzugten Neubaugebiet. Mehrere Siedlungsprojekte ließen dort vor dem Krieg einen<br />

neuen Stadtteil entstehen (Abb. 30). <strong>Die</strong> Architekten Stähler und Horn nahmen 1934 ein<br />

weiteres Bauvorhaben in Angriff. Es folgten eine „SA-Dankopfer-Siedlung“, eine<br />

„NSV-Siedlung“, eine Siedlung der Gemeinnützigen He<strong>im</strong>stätten-Spar- und Bau-<br />

Aktiengesellschaft (Gehag) und eine der Gemeinnützigen Aktien-Gesellschaft für<br />

Angestellten-He<strong>im</strong>stätten (Gagfah) sowie eine „Frontkämpfersiedlung“.<br />

Stähler und Horn traten <strong>im</strong> Januar 1934 an die Stadt mit dem Wunsch zur Erschließung<br />

weiterer Bauplätze entlang der S<strong>im</strong>merner Straße heran, wo preiswerte Einfamilienhäuser<br />

entstehen sollten. <strong>Die</strong> Stadt reagierte schnell: Schon Anfang Juni 1934 hatte die<br />

Bauverwaltung den Bebauungsplan fertig gestellt, und die städtischen Gremien hatten die<br />

entsprechenden Beschlüsse gefasst. „Zur Förderung der Arbeitsschlacht und der<br />

272 LHAKo Best. 403 Nr. 18342; ebd. Best. 465 Nr. 189; StAK 623 Nr. 7216, S. 172-174, 388; Hanns<br />

Gatermann: Aufbau und Arbeit der Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft „Moselland“ mbH,<br />

<strong>Koblenz</strong>. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 5<br />

(1942), S. 139. <strong>Die</strong> Gesellschafterversammlung vom 13.6.1941 beschloss in Anlehnung an den NSDAP-Gau die<br />

Namensänderung in „Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft Moselland mbH“. Am 19.1.1950<br />

wurde der Name in „Mittelrheinische He<strong>im</strong>stätte GmbH, Treuhandstelle für Wohnungs- und<br />

Kleinsiedlungswesen“ geändert. LHAKo Best. 465 Nr. 189 (unpaginiert).<br />

273 StAK 623 Nr. 7214, S. 220.<br />

274 C. Heine: Über die Arbeiten der Architekten Stähler und Horn in <strong>Koblenz</strong> am Rhein. S. 6-15. In: Verlag für<br />

Architektur. Industrie- u. Stadtwerke Düsseldorf, Sonderveröffentlichung Nr. XIII [Düsseldorf 1925].<br />

275 StAK Fach 104, Bauakte Pionierhöhe 19-38; NB, Ostern 1934: Stadtrandsiedlung <strong>Koblenz</strong>-Karthause. Fotos<br />

in StAK FA4 Nr. 25, Bilder 57-59.<br />

276 StAK 623 Nr. 9447, S. 73 f.<br />

277 StAK 623 Nr. 6029, S. 3-6, 24-27.


354<br />

Wohnbautätigkeit“ beschloss Wittgen Mitte 1934 ein Sonderprogramm. <strong>Die</strong> Stadt verkaufte<br />

die Baugrundstücke zu verbilligten Konditionen und erheblich reduzierten Baunebenkosten<br />

(Erschließungs-, Vermessungskosten und Baupolizeigebühren), wobei auch die<br />

hypothekarische Absicherung und Zahlungsweise großzügig geregelt wurden. Im Gegenzug<br />

verpflichteten sich die Bauherren zu einem kurzfristigen Baubeginn und der Beschäftigung<br />

von Erwerbslosen – Schwarzarbeiter wurden ausdrücklich verboten –, die das Wohl-<br />

fahrtsamt in Verbindung mit dem Arbeitsamt benannte. Als Käufer bevorzugte man<br />

Kriegsbeschädigte, Kriegsteilnehmer, Alte Kämpfer und Kinderreiche. Neben der<br />

besonderen Förderung für das ehemalige Festungsgelände wurden auch Vergünstigungen<br />

für Wohnungsneubauten in anderen Stadtteilen beschlossen. <strong>Die</strong>se Fördermaßnahmen<br />

wurden bis zum 1. Juli 1938 mehrfach verlängert. Für die ca. 700 bis 1.050 qm großen<br />

Baugrundstücke auf der Karthause galt ein Kaufpreis von 1,50 RM (später 2 RM) pro<br />

qm inklusive Erschließung. Bis November 1935 wurden <strong>im</strong> Bereich S<strong>im</strong>merner<br />

Straße/Standartenstraße/Grenadierstraße 42 Einfamilienhäuser errichtet. 278 Für die<br />

Erdarbeiten standen dank der „vereinten Bemühungen des Gauleiters und des Oberbürgermeisters“<br />

1936 öffentliche Mittel zur Verfügung. 279<br />

Zwei Siedlungsprojekte auf der Karthause, die NSV-Siedlung und die SA-Dankopfer-<br />

Siedlung, beschäftigten die <strong>Stadtverwaltung</strong> seit Herbst 1936. Ende Oktober 1936 hatte<br />

Kreisleiter Claussen für die Siedlungsgesellschaft Westmark Interesse an billigem<br />

Siedlungsgelände bekundet, die 20 durch die NSV geförderte Kleinsiedlerstellen errichten<br />

wolle. Wittgen informierte Claussen, dass ca. 600 qm große Baugrundstücke für 0,60 RM pro<br />

qm zur Verfügung stünden und schickte ihm in Erwartung eines endgültigen Antrags einen<br />

Lageplan. <strong>Die</strong> Ratsherren wurden <strong>im</strong> Mai 1937 über die Kaufabsichten der Siedlungs-<br />

gesellschaft Westmark für eine NSV-Siedlung unterrichtet, 280 und <strong>im</strong> September erkundigte<br />

sich die Siedlungsgesellschaft bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> nach dem Stand der Dinge. Doch die<br />

Kreisleitung selbst rührte sich nicht mehr. Erst <strong>im</strong> Januar 1938 drängte Claussen plötzlich auf<br />

einen baldigen Baubeginn, da die Gelder bereitstünden und die Berliner Gehag 281 ebenfalls an<br />

dem Gelände interessiert sei. 282<br />

Wittgen musste Claussen daraufhin mitteilen, die Gehag habe inzwischen die Trägerschaft für<br />

die Bebauung übernommen, da man keine Reaktion der Kreisleitung erhalten habe. Seit Juni<br />

278<br />

StAK 623 Nr. 7215, S. 62 (Zitat); ebd. Nr. 7216, S. 59 f., Anlage 5 nach S. 60, S. 158; ebd. Nr. 7299, S. 3-6;<br />

ebd. Nr. 10097; NB, 29.5.1934: Eigenhe<strong>im</strong> und Volksgesundung; KVZ, 20.8.1934: Karthause soll Stadtteil<br />

werden; NB, 1.10.1935: <strong>Koblenz</strong> bekämpft die Wohnungsnot; NB, 13.11.1935: <strong>Die</strong> schöne Siedlung auf der<br />

Karthause; NB, 25./26.7.1936: 320 neue Wohnungen um das Kernwerk der Feste Alexander; NB, 11.11.1936:<br />

<strong>Die</strong> Siedlungen auf der Karthause. Zu den Kaufbedingungen vgl. z. B. StAK 623 Nr. 11486; ebd. Nr. 11492-<br />

11498.<br />

279<br />

NB, 24.1.1936: 46.000 Tagwerke warten wieder.<br />

280<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 174 f.<br />

281<br />

<strong>Die</strong> Gehag war das „Hauptsiedlungsunternehmen“ der DAF; Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und<br />

Wohnmaschine, S. 144 f.<br />

282 StAK 623 Nr. 8109, S. 1-8.


355<br />

1937 hatte die Stadt nämlich in Verhandlungen mit der SA-Gruppe Westmark gestanden, die<br />

durch Reichsmittel geförderte Siedlerhäuser errichten wollte. Der Bau der Erschließungs-<br />

straßen war dabei als Notstandsmaßnahme vorgesehen. Claussen zeigte sich <strong>im</strong> Februar 1938<br />

„masslos erstaunt“ über Wittgens Mitteilung: „In diesem Schreiben wird mit bürokratischen<br />

Methoden versucht, den wahren Sachverhalt zu verwischen.“ Es hätte angeblich schon zwei<br />

Besprechungen gegeben, davon eine sogar als Ortstermin mit Wittgen. Trotz dieses massiven<br />

Vorwurfs lenkte Claussen – wohl angesichts seiner eigenen Versäumnisse – schnell ein und<br />

bat erneut um Siedlungsgelände. <strong>Die</strong> Stadt erklärte, das Gelände sei der Gehag übereignet<br />

worden. Eine Bebauung durch die Siedlungsgesellschaft Westmark sei nur möglich, wenn die<br />

Gehag Gelände abtrete. Claussen reiste nun persönlich zu Verhandlungen nach Berlin, doch<br />

dort war man keineswegs bereit, 20 Siedlerstellen an einen anderen Bauträger abzugeben.<br />

Ungewöhnlich kleinlaut musste Claussen der <strong>Stadtverwaltung</strong> seinen Misserfolg eingestehen.<br />

Als Grund für die Ablehnung vermutete er den „Konkurrenzneid“ der Gehag. 283 Schließlich<br />

erhielt die Gehag das 32.163 qm große Gelände für 40 Siedlerstellen sogar kostenlos von<br />

der Stadt, die außerdem die Vermessungs- und Erschließungskosten übernahm. Formal<br />

abgewickelt wurde die „in Ansehung des sozialen Zweckes entschädigungslos[e]“<br />

Übereignung des Baugeländes für eine „SA-Dankopfer-Siedlung“ 284 durch einen<br />

Schenkungsvertrag vom 30. August 1938. <strong>Die</strong> Gehag wiederum übereignete die je 600 qm<br />

großen Siedlerstellen der Gemeinnützigen Kriegersiedlung der NSKOV GmbH. 285<br />

Claussen wiederholte <strong>im</strong> März 1938 seine Forderung nach „sofortige[r] Zurverfügung-<br />

stellung“ von 20 Siedlerstellen. <strong>Die</strong> Bauverwaltung verhandelte unverzüglich mit dem RAD-<br />

Arbeitsgau, dem Gelände auf der Karthause verpachtet war. Oberstarbeitsführer Etterich<br />

erklärte sich mit einer Teilnutzung als Baugebiet einverstanden unter der Bedingung, dass ein<br />

Bretterzaun als Begrenzung gezogen würde. Claussen wurde Ende April benachrichtigt und<br />

erhielt einen neuen Lageplan mit der Bitte um baldige Äußerung. Doch das Spiel wiederholte<br />

sich: Von Claussen hörte die <strong>Stadtverwaltung</strong> nichts mehr. Auf die zweite Erinnerung<br />

bestätigte sein Kreisgeschäftsführer Mitte Juli nur mit einem knappen Satz den Gelände-<br />

bedarf. Mitte September mahnte die Stadt bei der Siedlungsgesellschaft Westmark die<br />

Einreichung eines Bebauungsplanes an. <strong>Die</strong>se entschuldigte sich, sie habe ihrerseits vom<br />

283 StAK 623 Nr. 8109, S. 9-25, Zitate S. 11, 25.<br />

284 Das NB schrieb, die Siedlung sei „der Dank für ständigen Einsatz <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst der Gemeinschaft“; NB Nr.<br />

18.11.1938: <strong>Koblenz</strong>er SA-Siedlung wächst. Vgl. auch NB, 11.4.1939: 40 Familien mit 160 Kindern.<br />

285 StAK 623 Nr. 3276, S. 3-25, Zitat S. 3. 1949 betrachtete die Dezernentenkonferenz unter Oberbürgermeister<br />

Schnorbach die Massierung ehemaliger Nationalsozialisten in der ehemaligen SA-Dankopfer-Siedlung zwar als<br />

„unangebracht“, nahm sie zunächst aber als rechtlich kaum zu verhindern hin. Erst auf Druck des SPD-<br />

Landtagsabgeordneten Willi Hartung beantragte die Stadt 1951 be<strong>im</strong> rheinland-pfälzischen Innenministerium die<br />

Nichtigkeitserklärung der aus politischen Gründen zustande gekommenen Schenkung an die Gehag sowie die<br />

Rückauflassung der Grundstücke. <strong>Die</strong> (Wieder-)Zuteilung der Siedlerstellen an die teils aus der Evakuierung<br />

he<strong>im</strong>kehrenden Siedler scheint dann aber aufgrund von Säuberungs- und Amnestiebescheinigungen<br />

unumgänglich gewesen zu sein. Im Wiedergutmachungsverfahren st<strong>im</strong>mte der Stadtrat Ende 1953 einem<br />

Vergleichsvorschlag des Zwangsverwalters zu, wonach die Siedler nachträglich einen Kaufpreis von 500 DM zu<br />

entrichten hatten. StAK 623 Nr. 6774, S. 247 (Zitat); ebd. Nr. 3276, S. 1, 26-41; ebd. Nr. 3400, S. 9 f., 26; ebd.<br />

Stadtratsprotokoll vom 16.12.1953, TOP 14.


356<br />

Gauhe<strong>im</strong>stättenwerk noch keine Unterlagen bekommen. Jetzt riss sogar Klose der<br />

Geduldsfaden. Anfang November legte er Claussen den schleppenden Werdegang des<br />

Projekts dar, wobei er seinem Schreiben gegenüber dem Entwurf an Schärfe nahm. Klose<br />

schloss aber mit der Feststellung, dass er das Bauvorhaben ohne Bebauungsplan nicht weiter<br />

fördern könne. Ende des Monats gingen dann endlich die Pläne des Gauhe<strong>im</strong>stättenwerks bei<br />

der Stadt ein. <strong>Die</strong> Ausschachtungsarbeiten begannen <strong>im</strong> April 1939, doch aufgrund des<br />

Arbeiter- und Materialmangels kamen die Bauarbeiten nur langsam voran. Im Frühjahr<br />

1943 (!) sollten die Bauten mit Hilfe des RAD fertig gestellt werden. <strong>Die</strong> Siedler konnten erst<br />

<strong>im</strong> August 1943 einziehen, nachdem der Geschäftsführer des Gauwohnungskommissars die<br />

Freigabe zum Einzug der Erwerber erteilt hatte, da es zu diesem Zeitpunkt keine bevorrechtigten<br />

obdachlosen Fliegergeschädigten gab. 286<br />

Neben der SA-Dankopfersiedlung war die Gehag für ein weiteres Siedlungsvorhaben<br />

verantwortlich. <strong>Die</strong> Ratsherren waren bereits <strong>im</strong> September 1937 zum Verkauf eines<br />

69.167 qm großen Geländes zum Preis von 0,60 RM pro qm zur Errichtung von<br />

Kleinsiedlungen und Volkswohnungen gehört worden. 287 Bis 1939 entstanden auf der<br />

Karthause 48 „Volkswohnungen“ 288 , d. h. äußerst billige, pr<strong>im</strong>itive und kleine Miet-<br />

wohnungen in zweigeschossigen Vierfamilien-Reihenhäusern, außerdem 35 Siedlerstellen<br />

mit Einzelhäusern und 56 Siedlerstellen mit Doppelhäusern, an die Kleintierställe angebaut<br />

wurden. <strong>Die</strong> Stadt berechnete keine Baupolizeigebühren, eine Kanalisation war nicht<br />

vorgesehen. 289 Im Dezember 1937 war der Baubeginn für 20 Mietwohnungen in fünf<br />

Mehrfamilienhäusern in der Grenadierstraße, die für RAD-Führer vorgesehen waren.<br />

Trägergesellschaft war diesmal die Essener Gagfah. Als Architekten und Bauleiter für die<br />

Bauten, die <strong>im</strong> Herbst 1939 baupolizeilich abgenommen wurden, waren Stähler und Horn<br />

tätig. 290<br />

1937 bekam auch <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Hüberlingsweg seine „Frontkämpfersiedlung“, wie sie in vielen<br />

Orten des Reiches entstand. 291 Nachdem seit Mitte 1934 verhandelt worden war, übereignete<br />

die Stadt der Gemeinnützigen Kriegersiedlung der Nationalsozialistischen Kriegsopferver-<br />

sorgung e. V. mit Sitz in Berlin <strong>im</strong> Oktober 1935 unentgeltlich 25.000 qm Siedlungsgelände<br />

auf der Karthause. 292 Von den Bewerbern um die 21 Siedlerstellen der NSKOV mussten<br />

286<br />

StAK 623 Nr. 8109, S. 25-122, Zitat S. 25.<br />

287<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 210, 214.<br />

288<br />

Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 97-100; Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik,<br />

S. 308-329.<br />

289<br />

NB, 10.5.1937: Große Siedlung für <strong>Koblenz</strong>; NB, 19.5.1938: <strong>Koblenz</strong> fördert die Siedlungstätigkeit; NB,<br />

18.11.1938: <strong>Koblenz</strong>er SA-Siedlung wächst; StAK Fach 108, Feste Kaiser Alexander, Am Spitzberg [spätere<br />

Straßenbezeichnungen: Am Falkenhorst, Amselsteg, Drosselgang, Finkenherd, Sperlingsgasse, Wachtelschlag,<br />

Zeppelinstraße].<br />

290<br />

StAK Fach 108, Grenadierstraße 2, 4, 10, 12 und 14.<br />

291<br />

Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik, S. 274-278.<br />

292 StAK 623 Nr. 11565; ebd. Nr. 3945, S. 6.


357<br />

Siedlerfragebogen, polizeiliches Führungszeugnis, Ariernachweis sowie Erbgesundheits-<br />

zeugnis (auch für die Ehefrau) vorgelegt werden. Bei der Auswahl wurde außerdem die<br />

politische Zuverlässigkeit überprüft, bevor der Siedlereignungsschein ausgestellt wurde. <strong>Die</strong><br />

Siedler erhielten die Siedlerstellen zunächst pachtweise auf Probe mit einer dreijährigen<br />

Bewährungsfrist. Bei pünktlicher Pachtzahlung und ordentlicher gärtnerischer Bewirt-<br />

schaftung konnte das Eigentum danach übertragen werden. 293 Ende Juli 1937 konnten die<br />

kleinen Siedlerhäuschen mit angebautem Stall für die Kleintierhaltung bezogen werden. 294<br />

<strong>Die</strong> Stadt hatte auch die Erschließungskosten von 9.900 RM übernommen, 7.500 RM für die<br />

Wasserleitung trug das Wasserwerk. 295 Doch während in der Öffentlichkeit das idyllische<br />

Bild „froher Siedlergemeinschaft“ gemalt wurde, 296 herrschten unter den Siedlern Streit und<br />

Missgunst. Im Herbst 1938 beschwerte sich der ehrenamtliche Vertrauensmann der Siedlung<br />

mehrfach be<strong>im</strong> NSKOV-Gauobmann über das Verhalten seiner Mitsiedler und bat um seine<br />

Ablösung. Der Essener Landessiedlungsleiter West der NSKOV schaltete sich mit strengen<br />

Ermahnungen an alle Siedler ein und drohte, jedem Störer der Kameradschaft die Siedlerstelle<br />

zu kündigen. <strong>Die</strong> Anweisungen des Gauhe<strong>im</strong>stättenamtes zur Bepflanzung und Schweine-<br />

haltung seien einzuhalten, und die Siedlung dürfe nicht durch Schuppen und Gartenlauben<br />

verunziert werden. Im November 1938 nahm der Landessiedlungsleiter sogar an einer<br />

Siedlerversammlung teil, in der er unmissverständlich klar machte, dass er Stänkereien nicht<br />

mehr dulden werde. 297<br />

Einer der Siedler, Robert Mumm 298 , war be<strong>im</strong> städtischen Friedhofsamt als Gärtner<br />

beschäftigt. Er wurde <strong>im</strong> Dezember 1939 wegen staatsfeindlicher Reden verhaftet und <strong>im</strong><br />

Frühjahr 1940 vom Sondergericht Köln zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. <strong>Die</strong><br />

Folgen waren seine Entlassung aus dem städtischen <strong>Die</strong>nst, der Ausschluss aus der NSKOV<br />

und die Kündigung seiner Siedlerstelle. Mumm machte sich als Friedhofsgärtner selbständig<br />

und züchtete dann auch in seinem Siedlergarten Blumen statt Obst und Gemüse. Durch<br />

mehrere Bittgesuche versuchte er, seinen Verbleib in der Siedlung zu erreichen, doch die<br />

Räumungsklage gegen ihn wurde <strong>im</strong> November 1941 vollstreckt. 299<br />

293 LAV NRW R, NW 6 Nr. 107; ebd. Nr. 112; ebd. Nr. 114; ebd. Nr. 116. Innerhalb des Bewerberkreises<br />

ehemaliger Frontkämpfer wurde auch mit dem Mittel der Denunziation um Siedlerstellen gekämpft. So<br />

beschuldigte ein Bewerber aus der S<strong>im</strong>merner Straße einen anderen Bewerber und Hausmitbewohner des<br />

Einkaufs be<strong>im</strong> Juden. LAV NRW R, NW 6 Nr. 114, S. 133, 137 f.<br />

294 NB, 7.4.1937: Jedem Kriegsopfer sein eigenes He<strong>im</strong>!; LAV NRW R, NW 6 Nr. 112, S. 6, 11. Bei den<br />

Rodungsarbeiten durch die NSKOV, die als Notstandsarbeiten vom Arbeitsamt gefördert wurden, war es <strong>im</strong><br />

Januar 1936 zu unkontrollierten und übermäßigen Baumfällungen gekommen, die sogar zu einem Erdrutsch<br />

geführt hatten; StAK 623 Nr. 9447, S. 43-49, 69-72; LAV NRW R, NW 6 Nr. 112, S. 9.<br />

295 StAK 623 Nr. 7216, S. 69.<br />

296 Bericht über die Feier zum einjährigen Bestehen der Siedlung; NB, 2.8.1938: Festtage in froher<br />

Siedlergemeinschaft. Zur Festfolge s. LAV NRW R, NW 6 Nr. 120, S. 67.<br />

297 LAV NRW R, NW 6 Nr. 112, S. 189-229; ebd. Nr. 120, S. 34-40. Der Verlauf der Siedlerversammlung<br />

wurde in der Parteipresse beschönigt; NB, 4.11.1938: NSKOV-Siedlung Karthause erfolgreich.<br />

298 StAK 623 Nr. 6130, S. 389; ebd. Nr. 6183, S. 77.<br />

299 LAV NRW R, NW 6 Nr. 112; ebd. Nr. 116; LHAKo Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_59967_0 und 59967_1. Vgl. StAK<br />

623 Nr. 9952, S. 10 f., 54.


358<br />

Im Stadtteil Rauental entstand eine kleine Siedlung für acht Bedienstete des Schlachthofs. <strong>Die</strong><br />

Stadt verkaufte dazu der Siedlungsgesellschaft Westmark <strong>im</strong> November 1937 ein ca.<br />

5.800 qm großes Gelände für 1 RM pro qm. Der Siedlungsgesellschaft gelang es, die Beiträge<br />

zu den Straßenbaukosten ganz erheblich zu drücken. Der Kaufpreis war in 20 Jahresraten<br />

abzuzahlen, wobei die Stadt den sechs Alten Kämpfern und zwei Frontsoldaten ein<br />

Arbeitgeberdarlehen gewährte. 300<br />

Erheblich günstiger erwarb die Siedlungsgesellschaft Ende 1938 18.634 qm des früheren<br />

„Eichhofs“ der Pallottiner in Ehrenbreitstein. Im Quadratmeterpreis von 0,70 RM waren sogar<br />

schon die Straßenbaukosten eingeschlossen. Dafür musste sich die Siedlungsgesellschaft zum<br />

sofortigen Baubeginn bei den 21 Siedlerstellen verpflichten. <strong>Die</strong> Stadt selbst hatte für das<br />

Grundstück 1 RM pro qm gezahlt. Zum Ausgleich verkaufte sie der Siedlungsgesellschaft<br />

1941 weitere 3.510 qm des Eichhof-Geländes für 4,50 RM pro qm für den Bau von<br />

Mietwohnungen, die jedoch nicht mehr verwirklicht wurden. 301<br />

<strong>Die</strong> Stadt selbst trat nach Errichtung der Siedlung Pionierhöhe 1933/34 zunächst nicht wieder<br />

als Bauherrin auf. Der Zuwachs an städtischen Wohnungen ergab sich bis 1939 ausschließlich<br />

durch den Erwerb bestehender Wohngebäude durch Übernahmen vom Reichsfiskus, <strong>im</strong><br />

Rahmen von Zwangsversteigerungen sowie durch die Eingemeindungen 1937 (33 Häuser mit<br />

155 Mietparteien). Am 31. März 1938 befanden sich 385 Gebäude mit 1.820 Mietparteien in<br />

städtischer Verwaltung. 302 Zu diesem Zeitpunkt ließ sich nicht mehr beschönigen, dass die<br />

nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik weder quantitativ noch qualitativ die gewünschten<br />

Ergebnisse erzielt hatte. <strong>Die</strong> Bautätigkeit konnte mit der steigenden Wohnungsnachfrage nicht<br />

Schritt halten. <strong>Die</strong> staatliche Wohnungsbauförderung war <strong>im</strong> Vergleich zur We<strong>im</strong>arer<br />

Republik stark zurückgefahren worden, und stattdessen wurde die Aufrüstung finanziert. <strong>Die</strong><br />

bevorzugten Siedlerhäuschen brachten trotz ihres hohen Flächenverbrauchs <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />

den als Brutstätten des Marxismus und ungesund verschmähten „Mietskasernen“ 303 keine<br />

echte Entlastung für den Wohnungsmarkt. <strong>Die</strong>s galt auch für <strong>Koblenz</strong>, wo der Wohnungs-<br />

fehlbedarf <strong>im</strong> Herbst 1938 auf 2.300 bis 2.400 Wohnungen gestiegen war. 304 Eine<br />

ideologische Wende setzte ab 1936 durch den wachsenden Einfluss der DAF unter dem<br />

späteren Reichswohnungskommissar Robert Ley ein. Sie konnte die Konzentration auf den<br />

Arbeiterwohnstättenbau und die Rückkehr zum Geschoss- und Mietwohnungsbau<br />

300 StAK 623 Nr. 7216, S. 230 f., 238 f.; ebd. Nr. 11620.<br />

301 StAK 623 Nr. 7216, S. 316-318; ebd. Nr. 7217, S. 135; ebd. Nr. 11636; Fotos in ebd. FA4 Nr. 25, Bilder 77-<br />

84. <strong>Die</strong> ersten Siedler zogen <strong>im</strong> Februar 1940 ein; NB Nr. 63: 14.3.1940: Stadtrandsiedlung. Vgl. Kapitel 7.1.1.<br />

302 VB 1937/38, S. 57.<br />

303 Zur Propaganda gegen die „Mietskaserne“ vgl. Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik, S. 121; NB,<br />

20./21.6.1936: Grundsätze nationalsozialistischer Wohnungspolitik; NB Nr. 81: 6.4.1938: Siedlerhaus verdrängt<br />

die Mietskaserne.<br />

304 StAK 623 Nr. 8833, S. 29; VB 1938/39, S. 57.


359<br />

durchsetzen. 305 <strong>Die</strong>se Entwicklung vollzog mit einer zeitlichen Verzögerung auch die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> nach. Gleichzeitig versuchte Klose, Druck auf die privaten Wohnungs-<br />

baugenossenschaften auszuüben. Auf einer gemeinsamen Sitzung aller <strong>Koblenz</strong>er<br />

Genossenschaften am 30. Juni 1938 drohte er ihnen mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit,<br />

wenn sie nicht preisgünstige Wohnungen bauten. 306<br />

Ein umfangreiches Bauprojekt wurde den Ratsherren <strong>im</strong> Dezember 1937 vorgestellt. Dabei<br />

wurde auf einen Ideenwettbewerb von vor dem Ersten Weltkrieg zurückgegriffen. Ein Kölner<br />

Konsortium erwarb am Bahnhofsvorplatz Grundstücksflächen von insgesamt 14.100 qm, die<br />

ab 1938 in drei Bauabschnitten mit Büro- und Geschäftsgebäuden sowie mehrgeschossigen<br />

Mietshäusern mit 200 Wohnungen bebaut werden sollten. 307 Der SD-Bericht vom April 1938<br />

begrüßte das Projekt, von dem man sich „eine fühlbare Entlastung“ für den stark ange-<br />

spannten Wohnungsmarkt erhoffte. 308 <strong>Die</strong> Realisierung des Bauvorhabens scheiterte aber<br />

Ende 1938. Städtebauliche Änderungswünsche des Regierungspräsidenten, aber auch des<br />

Gauleiters hatten die Erteilung der Baugenehmigung mehrfach verzögert, was wiederum zu<br />

Problemen bei der ausreichenden Zuteilung von Fachkräften und Baustoffen durch das<br />

Arbeitsamt geführt hatte. 309<br />

Seit dem Sommer 1938 liefen Planungen der Stadt für die Errichtung von 120 „Arbeiter-<br />

wohnstätten“ 310 , die in der Beatus-, Froebel- und Devorastraße in eigener Trägerschaft<br />

entstehen sollten. Architekten und Bauleiter des Projekts, das vom Nationalblatt als<br />

„Sofortprogramm“ gegen den Wohnungsmangel propagiert wurde, 311 waren wieder einmal<br />

Stähler und Horn. Mit dem Bau der zwei- bis viergeschossigen Wohnbauten wurde <strong>im</strong><br />

Oktober 1938 begonnen (Abb. 31). Damit kehrte die Stadt zum sozialen Wohnungsbau der<br />

We<strong>im</strong>arer Zeit zurück, „um endlich einmal mit dem Bau gesunder und billiger Klein-<br />

wohnungen für Minderbemittelte einen Anfang zu machen“, wie es ganz resolut <strong>im</strong><br />

Verwaltungsbericht hieß. 312 <strong>Die</strong> Initiative zu dem Bauprojekt, in dessen Nähe weitere<br />

305<br />

Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 87-94. Zum Versagen der nationalsozialistischen<br />

Wohnungspolitik s. Karl Christian Führer: Anspruch und Realität der nationalsozialistischen<br />

Wohnungsbaupolitik. In: VfZ 45 (1997), S. 225-256.<br />

306<br />

<strong>Die</strong>ter Gube: 100 Jahre Gemeinnütziger Bauverein e. G. <strong>Koblenz</strong> 1906-2006. Ein Rückblick auf gute und<br />

weniger gute Zeiten. <strong>Koblenz</strong> 2007, S. 23.<br />

307<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 243 f., Anlage 1 nach S. 248; NB, Weihnachten 1937: Wohnhausblock am<br />

Bahnhofsplatz; NB, 21.4.1938: <strong>Koblenz</strong>er Bahnhofsviertel wird ausgebaut; NB, 8.7.1938: Der Bahnhofsvorplatz<br />

– wie er werden soll!<br />

308<br />

SD-Lagebericht vom 29./30.4.1938 für den Monat April 1938, zit. n. Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 257.<br />

Im Juni hieß, man rechne mit der Fertigstellung des „große[n] städtische[n] Wohnungsbauprogramm[s] in der<br />

Nähe des Bahnhofes“ bis Ende des Jahres; SD-Lagebericht vom 29.6.1938 für das 2. Quartal 1938, zit. n.<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 277.<br />

309<br />

StAK 623 Nr. 11748.<br />

310<br />

Als „Arbeiterwohnstätten“ wurden hauptsächlich Wohnungen für die „Stammarbeiter“ der Industrie<br />

bezeichnet. Vgl. Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 91-94; StAK 623 Nr. 7299, S. 12-18.<br />

311<br />

NB, 21.6.1938: 500 Kleinwohnungen noch in diesem Jahr.<br />

312<br />

VB 1938/39, S. 58 (Zitat); StAK 623 Nr. 7318, S. 2-7, 10-50; ebd. Fach 51 I, Bauakte Beatusstraße. Fotos<br />

ebd. FA4 Nr. 25, Bilder 24-36, 60-63.


360<br />

Mietwohnungen der Gagfah, der Gemeinnützigen Bau- und Spargenossenschaft sowie des<br />

Beamten-Wohnungsvereins entstanden, hatte nach Angaben des Nationalblatts bei Fuhlrott<br />

gelegen. 313<br />

<strong>Die</strong> Wohnungsnachfrage hatte sich mit der Remilitarisierung durch die nicht garnisonierten<br />

Offiziere und Unteroffiziere mit ihren Familien erhöht. 314 Als Steuerungsmaßnahme erließ<br />

Wittgen als Ortspolizeibehörde am 17. Juli 1936 eine Polizeiverordnung, die allen<br />

Hausbesitzern bei Androhung eines Zwangsgeldes von 50 RM eine Meldepflicht leer<br />

stehender oder frei werdender Wohnungen auferlegte. Das Wohlfahrtsamt als bearbeitende<br />

<strong>Die</strong>nststelle teilte dann innerhalb von sieben Tagen mit, ob die Wohnung benötigt würde oder<br />

frei verfügbar sei. In der Zwischenzeit wurden alle in <strong>Koblenz</strong> ansässigen Wehrmachtsstellen<br />

über die eingehenden Meldungen informiert. 315 <strong>Die</strong> Stadt plante seit spätestens Ende 1938 die<br />

Errichtung von 110 Wohnungen in der Ellingshohl, die zum größten Teil durch ein<br />

Reichsdarlehen der Wehrmacht finanziert werden sollten. Da seit Sommer 1938 nicht<br />

vordringliche Wohnbauprojekte zurückgestellt waren, 316 stellte der Standortälteste dem<br />

Oberbürgermeister <strong>im</strong> Februar 1939 eine Bescheinigung aus, die Wohnbauten seien „zur<br />

Erhaltung der Schlagfertigkeit des Heeres lebensnotwendig und somit unerlässlich“. Im Mai<br />

1939 bat die Wehrkreisverwaltung XII Wiesbaden Wittgen um sofortigen Baubeginn. Als<br />

Bauherrin trat <strong>im</strong> Juli 1940 aber nicht mehr die Stadt, sondern die Gemeinnützige<br />

Baugesellschaft mbH <strong>Koblenz</strong> auf. Architekt des Projekts war der inzwischen zum NSDAP-<br />

Ortsgruppenleiter Karthause avancierte ehemalige Kommissar Hugo Hinkel. 317 Verwirklicht<br />

werden konnten in der Ellingshohl aufgrund der zunehmenden Baustoffkontingentierungen<br />

nur fünf Häuser mit je fünf Wohnungen. Der Rohbau des fünften Hauses wurde erst <strong>im</strong> Januar<br />

1943 fertig gestellt. 318<br />

In seinem Bericht für das erste Quartal 1939 attackierte der SD die <strong>Stadtverwaltung</strong>, indem er<br />

sie für die geringe Bautätigkeit verantwortlich machte, die aber <strong>im</strong> Wesentlichen auf das<br />

Konto einer verfehlten Politik auf Reichsebene ging: „Es liegt hier klar auf der Hand, daß die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> die notwendigen Maßnahmen nicht früh genug ergriffen hat […].“ 319 Im Mai<br />

1939 brandmarkte der SD-Bericht erneut die Lage auf dem Wohnungsmarkt, diesmal jedoch,<br />

ohne einen Sündenbock auszumachen: „Brennend wie in keinem anderen Gebiet ist, wie<br />

bereits mehrfach berichtet, die Lage in <strong>Koblenz</strong>-Stadt selbst. <strong>Die</strong> verschiedentlich in Angriff<br />

genommenen Wohnungsbauten erreichen lange nicht den Umfang, der erforderlich wäre […].<br />

Neben erhöhten bzw. äußerst hohen Mietpreisen ergibt sich oft für kinderreiche Familien die<br />

313<br />

NB, 1.6.1939: Der neue Stadtteil „Goldgrube“ wächst.<br />

314<br />

StAK 623 Nr. 6398, S. 53, 55, 58.<br />

315<br />

StAK 623 Nr. 9092.<br />

316<br />

Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 139 f.<br />

317<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 215-300, 563-576, Zitat S. 247.<br />

318<br />

StAK Fach 158, Bauakte Ellingshohl 59, 61, 63, 65, 76; ebd. FA4 Nr. 25, Bilder 70-72.<br />

319<br />

SD-Lagebericht vom 30.3.1939 für das 1. Quartal 1939, zit. n. Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 344.


361<br />

Tatsache, daß diese besonders lange warten müssen, um überhaupt ein Unterkommen zu<br />

erhalten. Bekanntlich werden solche Familien ohne Kinder fast durchweg bevorzugt. <strong>Die</strong>ser<br />

Haltung, die ganz und gar gegen nationalsozialistische Zielsetzung verstößt, müßte unbedingt<br />

mit entsprechenden Mitteln entgegengetreten werden.“ 320 Nur einen Monat später fand der<br />

SD-Bericht mit Blick auf die Goldgrube sogar anerkennende Worte für die <strong>Stadtverwaltung</strong>:<br />

„Auf dem Gebiete des Wohnungs- und Siedlungswesens hat die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> auf<br />

Anregung des Stadtrates Fuhlrott erhebliche Vorarbeit geleistet. So werden insgesamt 300<br />

neue Wohnungen entstehen, und die Wohnungsnot wird in etwa gesteuert werden können.“ 321<br />

Davon, dass die Wohnungsnot eine innenpolitische Gefahr für das NS-Reg<strong>im</strong>e, zumindest<br />

aber für den Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft“ zu werden drohte, zeugen die Akten der<br />

städtischen Preisbehörde in Mietkündigungschutz- und Mietfestsetzungsverfahren. Sie<br />

belegen die teils heftigen Streitereien zwischen Vermietern und Mietern. 322<br />

Am 10. November 1937 war <strong>Koblenz</strong> durch den Reichsarbeitsminister zum „Wohnsiedlungs-<br />

gebiet“ erklärt worden, d. h. man ging von einer verstärkten Siedlungstätigkeit aus. Das<br />

Nationalblatt rechnete in üblicher Übertreibung bereits mit 120.000 Einwohnern. 323 Für die<br />

Bemühungen um die Fortführung und Erleichterung der städtischen Bautätigkeit spricht die<br />

Gründung einer eigenen gemeinnützigen Bauträgergesellschaft durch Oberbürgermeister<br />

Habicht, die schon in der Amtszeit seines Vorgängers Wittgen angestoßen worden war. 324<br />

Andere Städte hatten schon seit Jahren eigene Trägergesellschaften eingeschaltet, wofür vor<br />

allem rechtlich-finanztechnische Gründe sprachen. 325 Aber erst Habicht teilte den Ratsherren<br />

am 10. August 1939 seine Gründungsabsicht mit, „nachdem die Bedenken bezüglich der<br />

gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft Westmark und des Herrn Gauleiters behoben sind“. Es<br />

hatte bei S<strong>im</strong>on also zunächst Widerstand gegeben, wahrscheinlich hatte er Konkurrenz für<br />

seine eigene propagandaträchtige Siedlungsgesellschaft befürchtet. Habichts Entschließung<br />

lautete auf Annahme des Gesellschaftervertrages der „Gemeinnützigen Baugesellschaft mbH<br />

<strong>Koblenz</strong>“ mit einem Stammkapital von 300.000 RM, davon 200.000 RM in Bauland und<br />

100.000 RM als Bareinlage, davon 99.000 RM von der Stadt <strong>Koblenz</strong> und 1.000 RM vom<br />

Oberbürgermeister. 326 Durch eine Entschließung von Wirtz in Vertretung Habichts vom<br />

1. September wurde das Stammkapital auf 500.000 RM erhöht, davon 300.000 RM in<br />

Bauland und 200.000 RM als Bareinlage (199.000 RM von der Stadt und 1.000 RM von<br />

Klose). Zweck des Unternehmens war der Bau und die Betreuung von Kleinwohnungen <strong>im</strong><br />

320 SD-Lagebericht vom 25.5.1939 für die Monate April/Mai 1939, zit. n. Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 358.<br />

321 SD-Lagebericht vom 30.6.1939 für den Monat Juni 1939, zit. n. Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 369. Vgl.<br />

NB, 1.6.1939: Der neue Stadtteil „Goldgrube“ wächst.<br />

322 StAK 623 Nr. 9681-9686. Vgl. zahlreiche Beispiele für das Gefährdungspotential, das auch parteiintern nicht<br />

verborgen blieb, in: Karl Christian Führer: Anspruch und Realität der nationalsozialistischen<br />

Wohnungsbaupolitik. In: VfZ 45 (1997), S. 225-256.<br />

323 VB 1937/38, S. 49; NB, 27./28.11.1937: <strong>Koblenz</strong> hat Raum für 120000 Menschen. Zugrunde lag das Gesetz<br />

über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten; RGBl. I 1933, S. 659.<br />

324 Habicht erwähnte eine - nicht überlieferte - Aktennotiz vom 8.5.1939; StAK 623 Nr. 7216, S. 375.<br />

325 Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik, S. 240 f.<br />

326 StAK 623 Nr. 7216, S. 375. Der als Anlage angekündigte Gesellschaftervertrag fehlt.


362<br />

Stadtkreis. Geschäftsführer waren Klose und Fischbach, Aufsichtsratsvorsitzender der<br />

jeweilige Oberbürgermeister. Doch schon <strong>im</strong> November 1941 wurde die Liquidation der<br />

Firma angemeldet, die <strong>im</strong> Dezember 1943 <strong>im</strong> Handelsregister gelöscht wurde. 327 Grund für<br />

die Auflösung war zumindest offiziell die „Konzentration <strong>im</strong> sozialen Wohnungsbau“ <strong>im</strong><br />

Rahmen der Durchführung eines Führererlasses. Alle Grundstücke und <strong>im</strong> Bau befindlichen<br />

Projekte wurden an andere Gesellschaften wie die Siedlungsgesellschaft Moselland und die<br />

Neue He<strong>im</strong>at übertragen. 328<br />

In den Jahren 1937/38 verlor die Stadt allein 21.835 qm Grundstücksfläche in Neuendorf,<br />

Horchhe<strong>im</strong>, Pfaffendorf und auf dem Asterstein durch Verkäufe an die Wehrmacht für<br />

Kasernenbauten. 329 Als Ausgleich für diesen Verlust und zur Gewinnung zusätzlicher<br />

Siedlungsflächen verhandelte die Stadt erfolgreich mit Wilhelm Seel, einem 80-jährigen<br />

kinderlosen Landwirt aus Niederlahnstein, über den Kauf des knapp 31 Hektar großen<br />

Kratzkopferhofs in Pfaffendorf. Da der Hof 1934 gegen den Willen Seels zum Erbhof erklärt<br />

worden war, bedurfte der <strong>im</strong> Oktober 1940 abgeschlossene Kaufvertrag der Genehmigung des<br />

Anerbengerichts. Das Gericht lehnte <strong>im</strong> April 1940 die Genehmigung kostenfällig ab, da der<br />

Vertreter des Kreisbauernführers heftig protestierte, das Land müsse in Bauernhand bleiben.<br />

Obwohl die zuständigen Beamten der Regierung die Gewinnung neuen Siedlungsgeländes<br />

befürworteten, hatte der Regierungspräsident dem Gericht auf Anfrage bestätigen müssen,<br />

dass der Hof formal <strong>im</strong> Wirtschaftsplan der Stadt noch nicht als Siedlungsgelände<br />

ausgewiesen war. 330<br />

Parallel zu dem vom GB-Bau <strong>im</strong> Februar 1940 ausgesprochenen Neubauverbot 331 wurde die<br />

Wohnraumlenkung eingeführt. Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer erließ als Preisbehörde angesichts<br />

des starken Wohnungsmangels ab 15. Februar 1940 eine Meldepflicht für alle Neuver-<br />

mietungen, um Mietwucher entgegenzuwirken. 332 Ende April 1940 beschloss der Ministerrat<br />

für Reichsverteidigung eine Zuzugssperre für das linksrheinische <strong>Koblenz</strong>, die mit der<br />

Wohnungsknappheit und Übervölkerung begründet wurde. Ausnahmen konnte nur die<br />

Polizeiverwaltung genehmigen. 333 <strong>Die</strong> Wohnungsnot verschärfte sich <strong>im</strong> Frühjahr 1941 durch<br />

die Versetzung von ca. 200 Beamten der Reichsbahn und anderer Behörden nach <strong>Koblenz</strong>.<br />

Während Gauleiter S<strong>im</strong>on als Gauwohnungskommissar die Bevölkerung auf den verstärkten<br />

Wohnungsbau nach dem siegreichen Kriegsende vertröstete, 334 rief Klose am 7. Mai<br />

327<br />

LHAKo Best. 602,23 Nr. 21112.<br />

328<br />

StAK 623 Nr. 10748 (unpaginiert), 7.9.1942 (Zitat); ebd. Nr. 10755.<br />

329<br />

StAK 623 Nr. 3945, S. 9 f., 13, 20. Der Durchschnittspreis betrug 2,69 RM pro qm. Vgl. auch Hanns Klose:<br />

Neue Bauten in <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 4 (1939), S. 77-80, hier S. 79 f.<br />

330<br />

StAK 623 Nr. 10103; ebd. Nr. 7216, S. 386.<br />

331<br />

Vgl. LHAKo Best. 403 Nr. 17288.<br />

332<br />

StAK 623 Nr. 9687; NB, 10./11.2.1940: Amtliches: Anordnung über die Einführung einer Meldepflicht bei<br />

Neuvermietungen.<br />

333<br />

NB, 1./2.5.1940: Zuzug in <strong>Koblenz</strong> nur noch auf Antrag.<br />

334<br />

NB, 27.1.1941: Volkswohnungsbau ist Sozialismus der Tat.


363<br />

verschiedene <strong>Die</strong>nststellenleiter zu einer Krisensitzung zusammen. Man beriet über<br />

Möglichkeiten der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum und kam zu dem Ergebnis, dass<br />

Klose mit dem Regierungspräsidenten u. a. wegen der Einführung eines städtischen<br />

Wohnungsnachweises verhandeln solle. Außerdem sollte z. B. ein Verbot der Umwandlung<br />

von Wohnungen in Büroräume geprüft werden. 335<br />

Während der akute Mangel verwaltet wurde, liefen gemäß einem Führererlass vom November<br />

1940 336 die Planungen für den sozialen Wohnungsbau nach Kriegsende an. Von den 300.000<br />

Wohnungen, die <strong>im</strong> ersten Nachkriegsjahr errichtet werden sollten, entfielen 1.000 auf<br />

<strong>Koblenz</strong>. <strong>Die</strong> wichtigste Aufgabe, die den Gemeinden zufiel, war die Bereitstellung von<br />

baureif erschlossenen Grundstücken. Im Generalbebauungsplan wurden 12.000-14.000<br />

Wohnungen ausgewiesen, davon ca. 8.000 für den sozialen Wohnungsbau. Das<br />

Vermessungsamt begann mit der 1941 angeordneten Erstellung von Richtpreisplänen, die<br />

Grundstücksspekulationen verhindern sollten. 337<br />

Mit der Wiedereinrichtung des Wohnungsamtes innerhalb der Bauverwaltung am<br />

6. November 1942 reagierte die Stadt auf die Wohnungsnot, 338 die durch den Stillstand des<br />

Wohnungsneubaues keine Aussicht auf Linderung hatte. Es wurde eine Meldepflicht für frei<br />

werdende Wohnungen eingeführt, die das Wohnungsamt an bevorrechtigte Wohnungs-<br />

suchende (kinderreiche Familien, Kriegsversehrte und -hinterbliebene mit Kindern) vergab.<br />

Davon waren zunächst best<strong>im</strong>mte Wohnungen ausgenommen. Da diese Maßnahmen nicht<br />

ausreichten, ordnete der Gauwohnungskommissar am 3. April 1943 die in der Verordnung zur<br />

Wohnraumlenkung vom 27. Februar 1943 339 vorgesehenen Maßnahmen für das Gaugebiet an.<br />

Sie erweiterten die Zwangsbewirtschaftung und führten neben den „bevorrechtigten<br />

Volkskreisen“ – denen die Fliegergeschädigten gleichgestellt waren – die „begünstigten<br />

Volkskreise“ ein. Bis Mai 1943 konnte das Wohnungsamt 87 von 305 (28,5 %)<br />

wohnungssuchenden Familien unterbringen und für rund 120 Familien einen Wohnungs-<br />

tausch organisieren. Im Mai 1943 waren über 1.000 Wohnungssuchende registriert. <strong>Die</strong><br />

Sprechstunden des Wohnungsamtes an Montag-, Mittwoch- und Freitagvormittagen wurden<br />

von 100 bis 150 Personen besucht. Neben diesem Publikumsverkehr und der üblichen<br />

Büroarbeit standen für die Mitarbeiter vor allem Wohnungsbesichtigungen auf dem<br />

335 StAK 623 Nr. 10085 (unpaginiert). Stadtoberbaurat Dr. Hübler, seit 1.4.1941 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, musste<br />

sich zunächst <strong>im</strong> Christlichen Hospiz am Kaiserin-Augusta-Ring einquartieren; ebd. Nr. 7017, S. 151.<br />

336 Erlaß zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaues nach dem Kriege vom 15.11.1940; RGBl. I, S. 1495.<br />

Vgl. Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 194-206; Haerendel: Kommunale<br />

Wohnungspolitik, S. 407-415.<br />

337 StAK 623 Nr. 8833, S. 95-101; ebd. Nr. 7217, S. 81. Zum 1936 verhängten Preisstopp bei<br />

Grundstücksverkäufen und zur Festsetzung von Richtpreisen vgl. Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und<br />

Wohnmaschine, S. 252.<br />

338 <strong>Die</strong> rechtliche Grundlage lieferten die VO über die Vermietung freiwerdender Wohnungen vom 5.10.1942<br />

(RGBl. I, S. 573) sowie die VO zur Ausführung der VO über die Vermietung freiwerdender Wohnungen vom<br />

9.10.1942 (RGBl. I, S. 586).<br />

339 RGBl. I, S. 127.


364<br />

<strong>Die</strong>nstplan. Weiteres Wohnraumpotential versprachen die Erfassung zweckentfremdeter<br />

Wohnungen und stillgelegter Gewerbebetriebe sowie der vom Reich geförderte Um- und<br />

Ausbau von Gebäuden. Eine Erhebung des Wohnungsamtes ergab, dass 1.420 Wohnungen<br />

von einer Einzelperson bzw. von Wohnungsinhabern bewohnt wurden, die über zwei<br />

selbständige Wohnungen verfügten. Darunter befanden sich allerdings 360 Wohnungen, die<br />

untervermietet waren. Der Leiter des Wohnungsamtes, Dr. Hanns Gatermann 340 , entschuldigte<br />

<strong>im</strong> Mai 1943 in der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung das offensichtliche Scheitern der<br />

Wohnungspolitik der Reichsregierung mit der Vielzahl der 1933 vorgefundenen Probleme<br />

sowie dem Vorrang der „Reichsverteidigung“. 341<br />

S<strong>im</strong>mer machte den Wohnungsbau zur Chefsache, indem er sich seit September 1941<br />

sämtlichen Schriftverkehr zur Unterschrift vorlegen ließ. 342 <strong>Die</strong> Bedeutung des Wohnungs-<br />

amtes unterstrich er <strong>im</strong> Juli 1943, als er das zur Bauverwaltung gehörende Amt als eine<br />

selbständige, ihm direkt unterstehende <strong>Die</strong>nststelle bezeichnete. Im November 1943 verfügte<br />

S<strong>im</strong>mer dann die Verselbständigung des Wohnungsamtes als Abteilung XXIV, die er mit<br />

dessen „vermehrten kriegswichtigen Aufgaben“ begründete. 343<br />

6.2.5 Altstadtsanierung und „Entschandelung“<br />

<strong>Die</strong> Altstadtsanierung gehörte entgegen anders lautender Propaganda nicht zu den<br />

bevorzugten Betätigungsfeldern nationalsozialistischer Städte- und Wohnungsbaupolitik. 344 In<br />

der <strong>Koblenz</strong>er Altstadt, wo auf einem Hektar bis zu 615 Menschen 345 unter zum Teil<br />

menschenunwürdigen hygienischen Verhältnisse lebten, fand <strong>im</strong> April 1935 eine gemeinsame<br />

Besichtigung von Elendswohnungen in der Kastorstraße 346 durch S<strong>im</strong>on, NSV-Gauamtsleiter<br />

Ackermann und Wittgen statt. Das Wohnungselend wurde zur Hinterlassenschaft der<br />

wilhelminischen und demokratischen Systemzeit erklärt. <strong>Die</strong> Lösung des Wohnungsproblems<br />

sei eine Hauptsorge von <strong>Stadtverwaltung</strong> und NSV, die vorerst den schl<strong>im</strong>msten Übelständen<br />

den Kampf ansagten. 347 Im März 1936 konnte Wittgen den Abbruch „einiger baufälliger<br />

Häuser“ als Anfang zur „notwendigen Beseitigung gesundheitswidriger Wohnverhältnisse“<br />

340 Zu Gatermanns Tätigkeit be<strong>im</strong> Wohnungsamt vgl. Kapitel 5.3.2.<br />

341 StAK 623 Nr. 8833, S. 28-35, Zitat S. 28.<br />

342 StAK 623 Nr. 3576, S. 177.<br />

343 StAK 623 Nr. 9542, S. 51, 90 (Zitat).<br />

344 Harlander: Zwischen He<strong>im</strong>stätte und Wohnmaschine, S. 84 f.<br />

345 StAK 623 Nr. 9363, S. 47, 65. Im Altstadtkern lebten 460 Einwohner je Hektar, am dichtesten besiedelt war<br />

der Block Nagelsgasse/Kastorstraße mit 615 Einwohnern je Hektar.<br />

346 Zu den Wohnverhältnissen und hygienischen Zuständen in der „ungeliebte[n] Kastorgasse“ vgl. Reinhard<br />

Kallenbach: <strong>Koblenz</strong>er Abwasser-Geschichten. Eine Dokumentation anlässlich des 125-jährigen Bestehens der<br />

modernen Stadtentwässerung an Rhein und Mosel. <strong>Koblenz</strong> 2007, S. 48-53, Zitat S. 48; ders.: Leben und leiden<br />

in <strong>Koblenz</strong>. Ein Beitrag zur Entwicklung der kommunalen „Gesundheits-Infrastruktur“ <strong>im</strong> 19. und 20.<br />

Jahrhundert. <strong>Koblenz</strong> 2007, S. 62-65, Zitat S. 62.<br />

347 NB, Ostern 20./21.4.1935: Gesunde Wohnungen auch für die ärmsten Volksgenossen.


365<br />

bekannt geben. 348 Der Verwaltungsbericht ging 1937 von ca. 750 Elendswohnungen aus, die<br />

beseitigt werden sollten, 349 der Bericht des Folgejahres nannte logischerweise den<br />

Siedlungsbau als eine der wichtigsten Voraussetzungen. 350 Am 1. April 1938 sah der Haushalt<br />

mit 40.000 RM erstmals Mittel für die Altstadtsanierung vor. Das Nationalblatt titelte in<br />

gewohnter Übertreibung bereits „Tausend Wohnungen werden verschwinden“ und schrieb die<br />

Initiative wieder einmal Gauleiter S<strong>im</strong>on zu. Umsiedlung und Wohnungstausch sollten<br />

angeblich das Verschwinden ganzer Häuserblocks ermöglichen. 351 Nach einem Gespräch mit<br />

dem Gauleiter und dem Regierungspräsidenten drängte Klose Oberbürgermeister Wittgen<br />

Ende Juni 1938 zur Einstellung von zusätzlichem Personal, da „die Stadt den Volksgenossen<br />

der Altstadt gegenüber eine dringende Verpflichtung zur Lösung dieser Aufgabe hat und<br />

ferner eines Tages auch von anderer Stelle Rechenschaft gefordert werden wird“. Dem neuen<br />

Leiter des Stadterweiterungsamtes, Stadtbaurat Karl Stanienda, der sein Amt am 1. Juli 1938<br />

antrat, wurde ausdrücklich auch die Altstadtsanierung aufgetragen. 352<br />

Über das Planungsstadium 353 kam die „Altstadtgesundung“ 354 bis zum Amtsantritt Habichts<br />

nicht hinaus, 355 danach verhinderte der Beginn des Krieges konkrete Maßnahmen. S<strong>im</strong>mer<br />

entwickelte ganz eigene Vorstellungen zur Frage „Altstadtsanierung oder Altstadter-<br />

neuerung“, die er eng mit den Fragen des sozialen Wohnungsbaues und des Hochwasser-<br />

schutzes sowie dem neuen Generalbebauungsplan verknüpfte. Am 30. Dezember 1941<br />

präsentierte er den Ratsherren seine „Radikallösung“. Da die Frage der Beseitigung des<br />

Wohnungselendes und des Hochwasserschutzes die Stadt schon seit zwei Jahrzehnten<br />

beschäftige, sei die Altstadterneuerung nach Kriegsende eine der vordringlichsten<br />

Maßnahmen. <strong>Die</strong> bisherigen Pläne hätten den Abriss der Häuser der Kastorstraße zur<br />

Moselfront hin, die Sanierung der stadteinwärts gelegenen Häuser und die Anlage eines<br />

Hochwasserschutzdamms vorgesehen. S<strong>im</strong>mer schlug <strong>im</strong> Hinblick auf die neue Bedeutung<br />

der Moselfront in der städtebaulichen Gesamtplanung die „vollständige Niederreissung der<br />

Altstadt“ vor, die eine Höherlegung des Areals um drei Meter zum Hochwasserschutz und<br />

eine völlige Neubebauung erlaube und zudem billiger komme. <strong>Die</strong> Verblüffung der<br />

348<br />

StAK 623 Nr. 6182, S. 88. Es handelte sich um Häuser und Baracken in der Kastorstraße, auf dem<br />

Glacisgelände und am Kaiserin-Augusta-Ring. Ein Haus in Lützel und eins in der Kastorstraße sollten in den<br />

nächsten Monaten abgerissen werden. StAK 623 Nr. 10053 (unpaginiert), Liegenschaftsverwaltung vom<br />

27.2.1936.<br />

349<br />

VB 1933-1937, S. 54.<br />

350<br />

VB 1937/38, S. 63.<br />

351<br />

NB, 8./9.1.1938: Tausend Wohnungen werden verschwinden. Vgl. Fotos von Plänen und Modellen in StAK<br />

FA4 Nr. 25, Bilder 13-23.<br />

352<br />

StAK 623 Nr. 8140, S. 692, 706, 713 f., Zitat S. 713; ebd. Nr. 9593, S. 50. Es wurden je ein Zeichner für das<br />

Hoch- und Tiefbauamt eingestellt sowie zwei Schreibkräfte; ebd. Nr. 8140, S. 701, 709.<br />

353<br />

Eine weitere Besichtigung fand Ende Juli 1938 statt. Teilnehmer waren Vize-Oberpräsident Dellenbusch,<br />

Regierungspräsident Mischke, Landeskonservator Franz Graf Wolff-Metternich, Landesrat Dr. Hans-Joach<strong>im</strong><br />

Apffelstaedt, Wittgen und Klose. NB, 2.8.1938: <strong>Koblenz</strong> sorgt für bessere Wohnverhältnisse.<br />

354<br />

Bezeichnung „Altstadtgesundungsentwurf“ auf einem undatierten Plan des Stadtplanungsamtes von ca. 1938;<br />

StAK FA4 Nr. 25, Bild 14.<br />

355<br />

Bei der Amtseinführung Habichts am 4.7.1939 zählte Mischke die Altstadtsanierung ausdrücklich <strong>im</strong><br />

Aufgabenkatalog des neuen OB auf; StAK 623 Nr. 7216, S. 364 f.


366<br />

Ratsherren angesichts dieses wirklich radikalen Plans zum Abriss der historischen Altstadt<br />

scheint groß gewesen zu sein, denn das Protokoll vermerkt nur eine einzige Frage aus ihrem<br />

Kreis. Kunstmaler Hanns Sprung wollte wissen, ob der Provinzialkonservator schon gehört<br />

worden sei, worauf S<strong>im</strong>mer meinte, er erwarte von dieser Seite keine Schwierigkeiten, da es<br />

um das Wohl von 3.300 Volksgenossen gehe. Rogg, auf den die Vorschläge zum<br />

Hochwasserschutz zurückgingen, 356 vertiefte S<strong>im</strong>mers Ausführungen durch technische<br />

Details und st<strong>im</strong>mte dem Konzept ebenso zu wie die Ratsherren. 357 Im Dezember 1942 galt<br />

das Projekt als grundsätzlich geklärt und sollte zur Baureife gebracht werden. 358 Nach den<br />

ersten schweren Luftangriffen erinnerte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> April 1944 bei einer Einsatzbesprechung<br />

an seine Pläne, indem er für den Wiederaufbau die „Richtlinie […] keine Altstadtsanierung<br />

sondern Altstadterneuerung“ ausgab. 359 Der Krieg löste die Frage „Sanierung oder<br />

Erneuerung“ schließlich auf ganz andere Weise: Bis Anfang 1945 hatten Bomben die<br />

Innenstadt bei einem Zerstörungsgrad von 87 % in ein Trümmerfeld verwandelt. 360<br />

Unter dem Begriff „Entschandelung“ führte die nationalsozialistische Propaganda einen<br />

„denkmalpflegerischen“ Feldzug gegen das in <strong>Koblenz</strong> vielfach vorhandene historische<br />

Baudekor des 19. Jahrhunderts. 361 <strong>Die</strong> Stadt war bereits <strong>im</strong> Sommer 1936 auf Initiative von<br />

Wirtz gegen Andenkenkitsch und Verkaufsbuden in den Rheinanlagen vorgegangen. <strong>Die</strong><br />

Buden machten in ihrer Vielzahl und teils „schauerlichen Verfassung“ die Rheinanlagen zu<br />

einem „Jahrmarkt“. <strong>Die</strong> Aktion stieß bei den privaten Betreibern der Kioske und den<br />

Schifffahrtsgesellschaften auf ein geteiltes Echo. Erst <strong>im</strong> Sommer 1939 meldete das<br />

Nationalblatt, der Souvenirhandel habe endlich den Andenkenkitsch aus dem Sort<strong>im</strong>ent<br />

genommen. 362 In der Ratsherrensitzung vom 22. Dezember 1937 kündigte Wittgen an, er<br />

wolle einen neuen Beirat ins Leben rufen, der die Gebäude und Anlagen, die der<br />

Verschönerung des Stadtbilds dienten, überwachen sollte. Laut Nationalblatt folgte Wittgen<br />

mit der Einberufung des Beirats <strong>im</strong> Februar 1938 einem Vorschlag Claussens. 363 Schon <strong>im</strong><br />

356 StAK 623 Nr. 5602, S. 18.<br />

357 StAK 623 Nr. 7217, S. 77-81, Zitate S. 77-79. Das Tiefbauamt war bereits mit Berechnungen zur Ermittlung<br />

der Aufschüttungsmassen und der Kosten beauftragt; ebd. Nr. 8833, S. 108. Als Namensgeber für den<br />

Straßendurchbruch zwischen Danne und Nagelsgasse kamen laut Vermerk vom August 1942 Fritz Todt oder<br />

Reinhard Heydrich in Frage; ebd. Nr. 8116, S. 347 f.<br />

358 StAK 623 Nr. 7017, S. 490; ebd. Nr. 5602, S. 18 f. Schon <strong>im</strong> Sommer 1941 standen Häuser in Kastor- und<br />

Moselstraße leer. Sie galten <strong>im</strong> Falle eines Fliegerangriffs als besonderes Brandrisiko. Ebd., S. 170.<br />

359 StAK 623 Nr. 7000, S. 112.<br />

360 Werner Mahlburg: <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> in den Jahren des Wiederaufbaus 1945 bis 1947. Ein Beitrag zur<br />

<strong>Koblenz</strong> Nachkriegsgeschichte. Würzburg 1985, S. 21; Peter Brommer: Zwischen Zerstörung und<br />

Wiederaufbau. <strong>Koblenz</strong> in den Jahren 1945 bis 1949. In: <strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur NF 6, S.<br />

63-197, hier S. 66; Franz-Heinz Köhler: <strong>Koblenz</strong> 1945 – Bilanz eines Kriegsendes. In: Ebd., S. 9-35, hier 13, 15<br />

f.<br />

361 Werner Lübbeke: Entschandelung. Über einen ästhetisch-städtebaulichen Begriff der „Denkmalpflege“ <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. In: <strong>Die</strong> Denkmalpflege, Nr. 2, 65 (2007), S. 146-156. Als herausragendes Beispiel für das<br />

bekämpfte Baudekor können die reichen Stuckarbeiten an der Außenfassade und Bedachung der Stadthalle<br />

gelten.<br />

362 StAK 623 Nr. 6950, Zitate S. 2; NB, 17.7.1939: Das Andenkentöpfchen hat endlich ausgedient!<br />

363 NB, 10.2.1938: <strong>Koblenz</strong> wird unter die Lupe genommen. Dem Beirat gehörten Dr. Fritz Michel, Major a. D.<br />

Karl Z<strong>im</strong>mermann, Regierungsbaumeister Dr. Hermann Mylius, die Architekten Otto Schönhagen und Ludwig


367<br />

März wurden die Rheinanlagen von Säulen und Steinbänken aus wilhelminischer Zeit<br />

„entrümpelt“. 364 Am 12. Mai musste sich Wittgen vor den Ratsherren korrigieren: <strong>Die</strong><br />

Bildung des „Beirats für Baukunst und Baupflege“ sei auf eine Anregung des Gauleiters<br />

zurückgegangen, die sich anlässlich einer Besprechung in dessen Amtsz<strong>im</strong>mer ergeben<br />

hätte. 365 S<strong>im</strong>on hatte also Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Initiative weder vom<br />

Oberbürgermeister noch vom Kreisleiter, sondern – einmal mehr – von ihm ausgegangen sei.<br />

Klose kündigte dem Gauleiter <strong>im</strong> Juni 1938 weitere Entschandelungsmaßnahmen an, worauf<br />

S<strong>im</strong>on um rücksichtsloses Vorgehen bat. 366 <strong>Die</strong> kosmetischen Eingriffe der Baupolizei, die<br />

vom DAF-Amt für Schönheit der Arbeit, der IHK, dem Einzelhandels- und Brauereiverband<br />

sowie vom Nationalblatt unterstützt wurden, betrafen Reklameschilder an Geschäftshäusern<br />

und die Gestaltung von Verkaufskiosken. 367 Das Parteiorgan führte daneben einen<br />

Propagandafeldzug gegen die Einfriedung von Vorgärten, dem sich die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

indirekt durch einen Aufruf zur schöneren Gestaltung <strong>im</strong> Interesse des Fremdenverkehrs<br />

anschloss. 368 <strong>Die</strong> als gartenpflegerische Maßnahme bemäntelte Entfernung der Eisengitter von<br />

allen städtischen Grünflächen <strong>im</strong> Juli 1938, die Wirtz „ziemlich wütend“ der „Unvernunft des<br />

Kreisleiters und des Gauleiters“ anlastete, dürfte wegen der Rohstoffgewinnung bereits <strong>im</strong><br />

Zeichen der Kriegsvorbereitung gestanden haben. Auf S<strong>im</strong>ons Wunsch sollte sogar das<br />

gesamte Tribünengeländer am Stadion entfernt werden. 369 Seit Anfang 1939 stand die Stadt in<br />

Kontakt mit dem bekannten Wiesbadener Gartenarchitekten Wilhelm Hirsch (1887-1957), der<br />

mit der Neu- und Umgestaltung der Rheinanlagen beauftragt war. Das Projekt wurde den<br />

Ratsherren vom Planer selbst in der öffentlichen Sitzung vom 16. März 1939 vorgestellt.<br />

Claussen mäkelte, es sollten noch andere Entwürfe eingeholt werden. <strong>Die</strong> Pläne kamen <strong>im</strong><br />

März 1942 durch den Krieg zwar endgültig zum Erliegen, doch bemühte sich die Stadt<br />

weiterhin, wenigstens Garagen, Lagerplätze und Güterschuppen aus dem Bereich der<br />

Rheinanlagen zu verbannen. 370<br />

<strong>Die</strong> Wanderausstellung „<strong>Die</strong> schöne Stadt – ihre Entschandelung und Gestaltung“ des<br />

Deutschen He<strong>im</strong>atbundes und des Reichsinnungsverband des Malerhandwerks sollte ab<br />

Stähler, die städtischen Bauräte Bode und Sinhuber sowie Regierungsbaurat Becker an. Daneben gab es seit<br />

Ende 1934 den Beirat für Angelegenheiten des Bauwesens, dem die Ratsherren Born, Röding, Gassdorf, Sprung<br />

und Architekt Karl Ackermann angehörten; StAK 623 Nr. 7215, S. 7. Sitzungsprotokolle sind nicht überliefert.<br />

364 NB, 14.3.1938: Tempelchen und Säulchen werden gestürzt.<br />

365 StAK 623 Nr. 7216, S. 246, 275 f. Gleichzeitig erfolgte <strong>im</strong> Einvernehmen mit Claussen die Berufung der<br />

Beiratsmitglieder und die entsprechende Ergänzung der Hauptsatzung um § 4 Abs. 1 h); StAK 623 Nr. 7216, S.<br />

275 f.; ebd. Nr. 6583, S. 395-407.<br />

366 StAK 623 Nr. 9593, S. 43.<br />

367 NB, 30.6.1938: Häßliche Reklameschilder weg!; NB, 2.8.1938: 42 Reklameschilder an einem Laden; NB,<br />

3.7.1939: 3400 häßliche Reklameschilder entfernt; StAK 623 Nr. 3604, S. 11.<br />

368 NB, 19./20.2.1938: Fort mit den häßlichen Gittern; NB, 26.4.1938: Kümmert euch um die Vorgärten; NB,<br />

19.5.1938: Häuser hinter Zäunen – wozu…?!; NB, 2./3.7.1938: Vorgärten - jetzt ohne häßliche Zäune; NB,<br />

5./6.11.1938: <strong>Die</strong> Gitter haben endlich ausgedient!<br />

369 BArch (ehem. BDC), OPG, Wirtz, Herbert, 11.8.1888 (unpaginiert): Stadtbaurat Mohaupt vom 9.2.1939<br />

(Zitate); StAK 623 Nr. 9593, S. 39-43; Lammert: Städtebau, S. 462.<br />

370 StAK 623 Nr. 7304; ebd. Nr. 7216, S. 344 f.


368<br />

15. September 1939 in <strong>Koblenz</strong> gezeigt werden. Wirtz hatte den von der Kreishandwerker-<br />

schaft kommenden Vorschlag aus Kostengründen abgelehnt, doch Klose wollte die<br />

Ausstellung gemeinsam mit dem Regierungspräsidenten präsentieren, da „<strong>Koblenz</strong><br />

bekanntlich den Ruf genießt, auf dem Gebiete der Entschandelung sehr weitgehende Erfolge<br />

erzielt zu haben“. Stadtgestaltungsamt und Baupolizei sollten lokales Material beisteuern.<br />

Aufgrund des Kriegsbeginns musste die Ausstellung kurzfristig abgesagt werden. 371<br />

Einen ganz anderen, in die Zukunft gerichteten Ansatz gegen Entschandelung verfolgte<br />

S<strong>im</strong>mer. Er wollte Bausünden durch eine aktive Einflussnahme auf die Baugestaltung von<br />

vorneherein verhindern. Bauherren und Architekten sollten entsprechend angeleitet werden:<br />

„Der Bauberater der Stadt muß schlechthin Führer und Erzieher aller derer sein, die bauen<br />

wollen und die Bauentwürfe machen.“ Dazu sei zunächst eine intensive Auseinandersetzung<br />

mit der Baugeschichte 372 und den herausragenden Bauten der Stadt notwendig, die in eine<br />

Traditionspflege münden müsse. <strong>Die</strong> Stadt müsse diese Entwicklung anstoßen. <strong>Die</strong><br />

Baupolizei könne nur das letzte Mittel darstellen, sei aber an sich kein ausreichendes<br />

Gestaltungsinstrument. S<strong>im</strong>mer stellte Klose und der Bauverwaltung <strong>im</strong> März 1941 seine<br />

Überlegungen vor und beauftragte sie, nach Möglichkeiten zur Sicherung des städtischen<br />

Einflusses zu suchen. 373 Am 1. April 1941 lud S<strong>im</strong>mer alle Architekten der Stadt zu einer<br />

Besprechung ins Rathaus, 374 ein Protokoll ist nicht überliefert. Als Oberbaurat Robert<br />

Gerhards <strong>im</strong> Dezember 1942 Leiter des Hochbauamtes wurde, 375 gab ihm S<strong>im</strong>mer die<br />

„Erzieherische Einflussnahme auf die Stadt von <strong>Koblenz</strong> und Umgebung“ auf, außerdem<br />

sollte er eine „Baufibel“ für <strong>Koblenz</strong> verfassen. 376<br />

6.2.6 Städtebauliche Großprojekte: Gauforum, Schlossachse und<br />

Industriegebiet 377<br />

Am Tag der Einweihung des neuen Reichsbankgebäudes am 27. Januar 1937, an dem er<br />

zusammen mit Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht und Wittgen die Thingstätte und<br />

das Schlossmuseum besichtigt hatte, entschloss sich S<strong>im</strong>on dazu, einen Ideenwettbewerb zur<br />

Neugestaltung des Schlossvorplatzes auszuschreiben. Noch am selben Tag beauftragte er mit<br />

371<br />

StAK 623 Nr. 9087, Zitat S. 20. Kossak schreibt fälschlich, die Ausstellung habe stattgefunden; Kossak:<br />

Provincial Pretensions, S. 255. Als die Ausstellung zwei Jahre später in Düsseldorf mit einem<br />

kommunalpolitischen Begleitprogramm gezeigt wurde, schickte S<strong>im</strong>mer Baurat Berg zur Eröffnung und<br />

Gartendirektor Hulch zu einem Vortrag. Hinweis auf Düsseldorf von Frau Anja Wiese M.A., TU Berlin, vom<br />

8.10.2010.<br />

372<br />

S<strong>im</strong>mer selbst hatte sich <strong>im</strong> Oktober 1940 mehrere Bücher zur <strong>Koblenz</strong>er Baugeschichte in der<br />

Stadtbibliothek ausgeliehen; StAK 623 Nr. 6662, S. 2-17.<br />

373<br />

StAK 623 Nr. 3604, S. 10.<br />

374<br />

StAK 623 Nr. 10085, S. 23.<br />

375<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 193.<br />

376<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 490.<br />

377<br />

Kossak: Provincial Pretensions; Helmut Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs.<br />

Wien 1998, S. 571-574.


369<br />

der Vorbereitung den Gauamtsleiter und Architekten Stähler, der sich die Unterstützung von<br />

Stadtoberbaurat Neumann und dessen Trierer Kollegen Otto Schmidt 378 sicherte. Da für das<br />

Oberpräsidium ein Erweiterungsbau geplant war, fand S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> August <strong>im</strong> Preußischen<br />

Finanzminister Dr. Johannes Popitz einen Befürworter seiner Pläne, der sich bereit erklärte,<br />

einem Preisgericht vorzustehen. <strong>Die</strong> offizielle Ausschreibung des Ideenwettbewerbs für die<br />

Umgestaltung des Clemensplatzes, Schlossplatzes und -gartens übernahm schließlich das<br />

Oberpräsidium. Im Wettbewerbstext hieß es, der Gauhauptstadt fehle nicht nur ein<br />

architektonischer und städtebaulicher Mittelpunkt, sondern auch „eine für Großkundgebungen<br />

der Partei und des Staates würdige Aufmarschstätte“. Wie schnell die erst <strong>im</strong> März 1935<br />

eingeweihte Thingstätte inzwischen kulturpolitisch an Bedeutung verloren hatte, zeigt die<br />

Tatsache, dass ihre Erhaltung von den Teilnehmern nicht berücksichtigt werden musste.<br />

Dagegen sollte der vom letzten Kurfürsten errichtete Obelisk einbezogen werden. Mitte<br />

November 1937 stellte das Nationalblatt die Pläne des Gauleiters vor, der auf die<br />

städtebauliche Vernachlässigung des gesamten Areals verwies, das der wachsenden<br />

Bedeutung und den repräsentativen Ansprüchen der Gauhauptstadt nicht mehr angemessen<br />

sei. 379 <strong>Die</strong> eigentliche Arbeit mit der Bereitstellung und dem Versand der Ausschreibungs-<br />

unterlagen, der Beantwortung von Rückfragen der teilnehmenden Architekten, die alle<br />

Mitglieder der Reichskammer der Bildenden Künste sein mussten, sowie der Vorprüfung der<br />

Entwürfe lag hauptsächlich bei der Stadt. Bis zum Einsendeschluss am 15. Februar 1938<br />

gingen über 130 Entwürfe bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> ein. Das Preisgericht, dem u. a. S<strong>im</strong>on,<br />

Wittgen und Neumann angehörten, prämierte am 20. Mai unter dem Vorsitz von Popitz drei<br />

Entwürfe, die sich alle am frühklassizistischen Stil von Schloss und Umgebung orientierten<br />

und die „baugeschichtliche Barbarei“ 380 der Thingstätte tilgten. Fünf weitere Entwürfe<br />

wurden angekauft. 381 Im Anschluss an die Planungen rund um das Schloss wurde <strong>im</strong> Februar<br />

1938 ein weiterer Wettbewerb für ein „Großhe<strong>im</strong>“ der Hitlerjugend ausgeschrieben, das in der<br />

Nähe zur Auffahrt der Pfaffendorfer Brücke entstehen sollte. 382<br />

Eine Besprechung S<strong>im</strong>ons mit Reckmann, Claussen und Klose am 27. Juni 1938 drehte sich<br />

um Fragen des Städtebaus. Der Gauleiter wünschte eine gute städtebauliche Lösung für den<br />

Saarplatz. Für den Kaiserin-Augusta-Ring waren Ansiedlungsverhandlungen mit der Firma<br />

Opel erfolgreich verlaufen, während Reckmann beauftragte wurde, mit der ablehnenden<br />

Firma Mercedes-Benz neu zu verhandeln. <strong>Die</strong> Vorgaben S<strong>im</strong>ons für die Breite von Straßen<br />

378<br />

Zu Schmidt und dessen Plänen für Trier vgl. Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 344-348; Bollmus: Trier<br />

und der NS, S. 543, 583.<br />

379<br />

BArch R 4606/3353; StAK 623 Nr. 9252, Zitat S. 2; NB, 13./14.11.1937: Der Schloßplatz wird<br />

Aufmarschgelände.<br />

380<br />

Lammert: Städtebau, S. 453. Schmidt nennt sie eine „Geschmacklosigkeit“; Schmidt: He<strong>im</strong>atchronik, S. 158.<br />

381<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 299; ebd. Nr. 7306; ebd. Nr. 9252; NB, 21./22.5.1938: Minister Dr. Popitz in der<br />

Westmark; Franz Jenrich: <strong>Die</strong> Gaustadt wandelt ihr Gesicht. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 46-51;<br />

Kossak: Provincial Pretensions, S. 247-249. Dem Preisgericht gehörte auch Generalbauinspektor Albert Speer<br />

an, der sich aber von einem Ministerialrat vertreten ließ; StAK 623 Nr. 9252, S. 87-93.<br />

382<br />

NB, 22./23.1.1938: Hier wird das HJ-Großhe<strong>im</strong> gebaut; NB Nr. 64: 17.3.1938: Erster Spatenstich noch dieses<br />

Jahr.


370<br />

hatten nie gekannte Ausmaße: Für die gerade begonnene neue Moseluferstraße stellte er sich<br />

15 Meter vor, für die Andernacher Straße gar einen späteren Ausbau auf 37 Meter. Überhaupt<br />

müsse man, so belehrte der Gauleiter die Anwesenden, bei den gesamten Planungen<br />

berücksichtigen, dass <strong>Koblenz</strong> in 20 bis 30 Jahren „eine Stadt von etwa 300 000 Einwohner<br />

[sic] sein wird“. 383 Am Saarplatz plante S<strong>im</strong>on den Neubau eines Verlagshauses für das<br />

Nationalblatt und schrieb dazu einen weiteren Ideenwettbewerb aus, der <strong>im</strong> Juli 1939<br />

entschieden wurde. 384 Auf „Wunsch des Gauleiters“ hatte Klose schon <strong>im</strong> Februar einer<br />

Grundstückseigentümerin die Baugenehmigung verweigert. <strong>Die</strong> verhinderte Bauherrin machte<br />

die Stadt daraufhin schadenersatzpflichtig, weil sie ihr das Grundstück am Saarplatz zuvor als<br />

Bauplatz verkauft hatte. 385<br />

Innerhalb der Bauverwaltung gab es <strong>im</strong> Bereich der Stadtplanung mehrere Umorganisationen.<br />

Zwar war schon am 1. Januar 1937 vor allem mit Blick auf die bevorstehenden Einge-<br />

meindungen das „Stadterweiterungsamt“ (auch oder mit dem Zusatz „Stadtplanungsamt“)<br />

eingerichtet worden, doch war es trotz seines umfangreichen Aufgabenkatalogs zunächst nur<br />

allein mit Stadtbaurat Werner Sinhuber besetzt gewesen. Erst auf dessen mehrfache Klagen<br />

und die Kritik des Ratsherrn Horn wegen eines fehlenden Bebauungsplans wuchs die<br />

Personalausstattung des Amtes, dem ab 1. Juli 1938 nach dem Weggang Sinhubers<br />

Stadtbaurat Karl Stanienda vorstand. 386 Klose verfügte ab 22. August 1938 die Zusammen-<br />

fassung von Hochbauamt und Stadtplanungsamt zum neuen „Stadtgestaltungsamt“ unter der<br />

Leitung Staniendas. 387 Auch Stanienda klagte <strong>im</strong> Herbst 1938 angesichts der „überaus grossen<br />

Arbeitsfülle“ über zu geringes Personal und fand damit zwar bei Neumann, nicht aber bei<br />

Klose Gehör. 388 Nachdem Stanienda <strong>im</strong> Februar 1941 in besetztes Gebiet abgeordnet worden<br />

war, wurde das Amt am 1. April 1941 wieder in Hochbauamt und Stadtplanungsamt geteilt.<br />

Fritz Berg wurde unter gleichzeitiger Beförderung vom Technischen Stadtamtmann zum<br />

Stadtbaurat Leiter des Stadtplanungsamtes, Hübler Leiter des Hochbauamtes. 389<br />

Trier war <strong>Koblenz</strong> städteplanerisch um einiges voraus. Es konnte schon 1929 einen<br />

Generalbebauungsplan, den „Großen Trierer Plan“ vorweisen, der dann bis 1939 um<br />

Aufmarschplätze und nationalsozialistische Großbauten ergänzt wurde. Gauleiter S<strong>im</strong>on hatte<br />

Ende 1938 einen umfassenden Zehnjahresplan zu Baumaßnahmen, Eingemeindungen und<br />

Wirtschaftsansiedlungen gefordert, den die Kreisleitung Anfang 1939 erstellte. 390 Dass<br />

383 StAK 623 Nr. 9593, S. 39-43, Zitat S. 42. Außerdem sollte an der Moselbrücke ein neues Geländer<br />

angebracht werden, weil das bestehende von Fritz Todt bei seinem Besuch am 19.6. beanstandet worden sei.<br />

384 StAK 623 Nr. 11879; NB, 15./16.7.1939: Ein Neubau für das „Nationalblatt“.<br />

385 StAK 623 Nr. 10747.<br />

386 StAK 623 Nr. 9362; ebd. Nr. 6720, S. 244 f., 264-269. Vgl. VB 1937/38, S. 49-52.<br />

387 StAK 623 Nr. 9593, S. 65. Zu den Aufgaben, Personal und Organisation vgl. StAK 623 Nr. 3593; VB<br />

1938/39, S. 45 f.<br />

388 StAK 623 Nr. 7318, S. 5 f.<br />

389 StAK 623 Nr. 3576, S. 136; ebd. Nr. 3885, S. 162; ebd. Nr. 9362, S. 57.<br />

390 Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 344-348; Bollmus: Trier und der NS, S. 543, 583; Lammert: Städtebau,<br />

S. 453, 597. Der Krieg verhinderte wie in <strong>Koblenz</strong> die meisten Projekte.


371<br />

<strong>Koblenz</strong> mit prestigeträchtigen Bauprojekten hinterherhinkte, dürfte nicht unwesentlich zum<br />

Vorwurf der Initiativlosigkeit gegenüber Wittgen beigetragen haben. Mit dem Amtsantritt<br />

S<strong>im</strong>mers begann eine neue Phase der Stadtplanung. Zwischen Oberbürgermeister und<br />

Gauleiter herrschte Einigkeit in ihren großzügigen bzw. großspurigen Ambitionen für die<br />

Um- und Neugestaltung der Stadt (Abb. 33). War es unter Wittgen stets S<strong>im</strong>on gewesen, der<br />

städtebauliche Ideen und Anstöße für sich reklamierte, entwickelte jetzt auch der<br />

Oberbürgermeister Aktivitäten. Auf ausdrückliche Weisung S<strong>im</strong>mers vom 12. Februar 1940<br />

begannen unter der Leitung von Stanienda der Technische Stadtamtmann Fritz Berg,<br />

Stadtarchitekt Ludwig Scheurer und Zeichner Hans Gremmel „sofort“ – und damit Jahre<br />

später als Trier – mit den Arbeiten an einem Generalbebauungsplan. 391 <strong>Die</strong>sem war die<br />

Erstellung eines Wirtschaftsplans vorausgegangen, den der Regierungspräsident <strong>im</strong> Dezember<br />

1939 genehmigt hatte. 392<br />

<strong>Koblenz</strong> stand nicht auf der Liste der sogenannten Neugestaltungsstädte. 393 Aber<br />

grundsätzlich wünschte Hitler für alle Gauhauptstädte „die Errichtung eines Gauforums, an<br />

dem in der Hauptsache die Parteibauten, eine Gauhalle, ein Kundgebungsplatz, ein<br />

Glockenturm, aber auch die Behörde des Reichsstatthalters einen Sitz hat. <strong>Die</strong>ses Gauforum<br />

ist <strong>im</strong> allgemeinen der Mittelpunkt aller städtebaulichen Überlegungen.“, wie Albert Speer <strong>im</strong><br />

Februar 1941 Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz erläuterte. Zum Stand in <strong>Koblenz</strong><br />

berichtete Speer: „Der Gauleiter beschäftigt sich mit der städtebaulichen Planung, hat jedoch<br />

noch keine Ergebnisse vorgelegt.“ 394 <strong>Die</strong> Oberhoheit über die Stadtplanung, die vielerorts der<br />

Gauleiter an sich riss, 395 reklamierte S<strong>im</strong>mer offenbar erfolgreich für sich bzw. die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>. Seine „Überlegungen zu den Ideenskizzen zur Neu- und Umgestaltung der<br />

Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong>“, die er <strong>im</strong> Frühjahr 1941 in broschierter Form vorlegte, setzten dazu<br />

ein klares Signal. Am 30. Mai 1941 berichtete S<strong>im</strong>mer den Ratsherren, dass er dem Gauleiter<br />

eine Denkschrift mit einer „umfangreichen Mappe mit Plänen und Entwürfen von der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> überreicht“ habe. S<strong>im</strong>mers Erläuterungen zu den großen Bauprojekten nach<br />

Kriegsende fanden die Zust<strong>im</strong>mung der Anwesenden, unter denen sich als Baufachmann auch<br />

Architekt Horn befand. 396 Den Generalbebauungsplan stellte S<strong>im</strong>mer in Anwesenheit S<strong>im</strong>ons<br />

Reichsschatzmeister Schwarz bei einem Besuch <strong>im</strong> Rathaus am 21. September 1941 vor, 397<br />

was nur bedeuten kann, dass der Gauleiter mit den städtischen Planungen einverstanden war.<br />

391<br />

StAK 623 Nr. 7309, S. 1 f., Zitat S. 1; ebd. Nr. 7317, S. 5-11. Stanienda, Berg und Scheurer hatten <strong>im</strong> Juni<br />

1939 eine mehrtägige Studienfahrt in südwestdeutsche Städte unternommen; ebd. Nr. 7317, S. 3 f.<br />

392<br />

StAK 623 Nr. 6074; ebd. Nr. 7311; ebd. Nr. 9229; ebd. Nr. 9360; ebd. Nr. 9361; ebd. Nr. 9363. In den<br />

<strong>Koblenz</strong>er Wirtschaftsplan waren bereits die Nachbargemeinden Ober- und Niederlahnstein, Arenberg, Arzhe<strong>im</strong><br />

und Urbar einbezogen.<br />

393<br />

Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4.10.1937; RGBl. I, S. 1054.<br />

394<br />

BArch R 3/1733, Speer vom 19.2.1941; zit. n. Jost Dülffer u. a. (Hg.): Hitlers Städte. Baupolitik <strong>im</strong> Dritten<br />

Reich. Köln 1978, S. 64-79, hier S. 66, 77.<br />

395<br />

Wolf: Gauforen, S. 45-47.<br />

396<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 1. Fotos von Modellen, Plänen und Zeichnungen in ebd. FA4 Nr. 25, Bilder 4-12, 85-<br />

101.<br />

397<br />

NB, 22.9.1941: Reichsleiter Schwarz erlebt das Moselland.


372<br />

Damit war auch geklärt, dass der Status von <strong>Koblenz</strong> als Gauhauptstadt auch nach der<br />

Erweiterung des Gaues um Luxemburg Anfang Februar 1941 nicht zur Disposition stand,<br />

denn davon ging der Generalbebauungsplan aus. 398 <strong>Koblenz</strong> sollte das Verwaltungszentrum<br />

des Gaues bleiben, während Trier – mit dem Ziel der Bildung eines ideologischen<br />

Gegengewichts zum Bischofssitz – zum kulturellen Mittelpunkt ausgebaut werden sollte. 399<br />

Seit spätestens Februar 1940 wurden der Bau eines Parteiforums und einer großen Ost-West-<br />

Achse geplant. 400 Das Gauforum mit dem <strong>im</strong>posant d<strong>im</strong>ensionierten, neoklassizistischen<br />

Reichsstatthaltergebäude sollte als städtebauliches Pendant zu dem am Rheinufer gelegenen<br />

Kurfürstlichen Schloss am Rauentaler Moselufer entstehen. <strong>Die</strong> Verbindung zwischen beiden<br />

Ensembles sollte durch die verlängerte Schloßstraße, die sogenannte Schlossachse, erfolgen,<br />

die sich in der Mitte zu einem riesigen Rundplatz von 145 Metern Durchmesser erweiterte,<br />

der als Verkehrsknotenpunkt und Stadtmittelpunkt gedacht war. Ein zweiter, kleinerer<br />

Rundplatz mit einem Radius von 100 Metern war auf halber Strecke zwischen dem großen<br />

Platz und dem Gauforum projektiert. <strong>Die</strong> vorgesehene Straßenbreite der Schlossachse lag<br />

zwischen 40 und 60 Metern. S<strong>im</strong>mer ordnete <strong>im</strong> Juni 1940 an, <strong>im</strong> Bereich der Schlossachse<br />

und besonders des künftigen Parteiforums günstige Grundstücke zu erwerben. Zur<br />

Verhinderung von Spekulationen verfügte er <strong>im</strong> Juli die Festlegung von Richtpreisen für das<br />

Rauental und die Schlossachse. 401 <strong>Die</strong> Grunderwerbs- und Straßenausbaukosten bezifferte<br />

Abteilung XII <strong>im</strong> September mit der <strong>im</strong>mensen Summe von 33,35 Millionen RM. 402 Allein<br />

diese Zahl verdeutlicht die gigantischen Kosten, die das realitätsferne Bauprogramm<br />

verursacht hätte, dessen Finanzierung jedoch an keiner Stelle thematisiert wurde. 403<br />

<strong>Die</strong> Achsenverbindung und das Gauforum waren keineswegs originäre Schöpfungen der<br />

<strong>Koblenz</strong>er Planer, sondern sie orientierten sich <strong>im</strong> Rahmen einer in etlichen Städten<br />

grassierenden „Nachahmungssucht“ an mehreren, bereits einige Jahre älteren Vorbildern. In<br />

398<br />

Vgl. den Fragenkatalog Staniendas an S<strong>im</strong>mer vom 6.4.1940, dessen erste Frage schon damals lautete: „Wird<br />

<strong>Koblenz</strong> Gauhauptstadt bleiben und Reichsstatthalterei werden?“; StAK 623 Nr. 7317, S. 7-10, Zitat S. 7.<br />

399<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 104 f.; Romeyk: Der Gau Moselland und seine Beziehungen zu<br />

Luxemburg, S. 425.<br />

400<br />

Nachweisbar ist jedenfalls eine die Schlossachse betreffende Verfügung S<strong>im</strong>mers vom 7.2.1940, deren Bau<br />

stets in Verbindung mit dem Gauforum stand; StAK 623 Nr. 7317, S. 5. <strong>Die</strong> Chronik von Hans Roth, datiert<br />

August 1939, erwähnt unter den Bauvorhaben weder Gauforum noch Schlossachse; Roth: Chronik der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>.<br />

401<br />

StAK 623 Nr. 7305, S. 10, 19a, 19b; ebd. Nr. 7317, S. 5 f., 11; ebd. Nr. 7326, S. 10. Vgl. Abb. 80 und 84 in:<br />

Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 454; Abb. in: Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz, S. 573, 575, sowie<br />

Abb. 6 und 7 in: Kossak: Provincial Pretensions, S. 250.<br />

402<br />

StAK 623 Nr. 7323. Zum Vergleich: Das Gesamtvolumen (Summe der Einnahmen bzw. Ausgaben) des<br />

Haushaltsjahres 1941 betrug 22,66 Millionen RM; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr<br />

1941, vor S. 1.<br />

403<br />

Vgl. Dülffer u. a. (Hg.): Hitlers Städte, S. 16 f. In Augsburg ergaben sich „<strong>im</strong>mer astronomischere Summen“<br />

für den Bau des Gauforums und die Bevölkerung murrte angesichts fehlender Wohnungen über die geplanten<br />

„Protzbauten“; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 339-243, Zitate S. 239, 241.


373<br />

We<strong>im</strong>ar z. B. war schon am 1. Mai 1937 der Grundstein des Gauforums gelegt worden. 404 Es<br />

war eine „Architektur aus zweiter Hand“, auch wenn man sich durchaus auf ältere Pläne<br />

berufen konnte. 405 S<strong>im</strong>mer stellte sogar eine Traditionslinie bis zum letzten Kurfürsten her,<br />

von dem er eine Äußerung aus dem Jahre 1786 sowie eine Zeichnung von 1794 bemühte. 406<br />

Auch für das Rathaus war ein Neubau an der verlängerten Schloßstraße in der Umgebung des<br />

Löhrrondells vorgesehen (Abb. 32). <strong>Die</strong> Entwurfszeichnung zeigt ein mehrflügeliges Gebäude<br />

und einen hohen, schlanken Glockenturm mit Laterne, der selbstverständlich die Kirchtürme<br />

der gegenüberliegenden Herz-Jesu-Kirche überragt. Der Baustil nahm mit Erker und<br />

geschweiftem Giebel Anleihen bei Profanbauten des Spätmittelalters und der Renaissance,<br />

hatte aber auch lokale Bezüge. So erinnert z. B. der vorgesehene Renaissance-Giebel an den<br />

ursprünglichen Giebel des Bürreshe<strong>im</strong>er Hofs, der ehemaligen Synagoge. 407 Im Rauental<br />

sollten Behördenneubauten entstehen, u. a. für das Staatsarchiv, dessen Bauabsichten auf dem<br />

Oberwerth schon von S<strong>im</strong>on abgelehnt worden waren und die auch von S<strong>im</strong>mer nicht<br />

befürwortet wurden. 408 Für die HJ, die eine Jugendherberge errichten wollte, wurde ein<br />

Bauplatz in der Nähe des Parteiforums vorgeschlagen, wobei S<strong>im</strong>mer festlegte, dass für<br />

„Nachbargebäude […] in der Architektur eine Abst<strong>im</strong>mung erfolgen“ müsse. 409 Allgemein<br />

galt S<strong>im</strong>mers Vorgabe, dass die „Gemeinschaftsbauten, d. h. die Bauten von Partei, Staat und<br />

Wehrmacht, […] Wahrzeichen der Volksgemeinschaft“ sein müssten. 410<br />

Den zweiten Schwerpunkt für die künftige Stadtentwicklung sah S<strong>im</strong>mer in der Schaffung<br />

einer ausgeglicheneren Wirtschaftsstruktur, die durch die Ansiedlung von Handels- und<br />

Industrieunternehmen erreicht werden sollte. In einer illustrierten Denkschrift vom Juli 1941<br />

stellte die Stadt unter Berücksichtigung der zukünftigen Reichsautobahn Berlin-Paris und der<br />

Schiffbarmachung der Mosel ihre „außergewöhnlich günstige verkehrsgeografische Lage“<br />

heraus, 411 die sich aus der Besetzung Frankreichs und der Benelux-Staaten ergab. <strong>Die</strong>se<br />

„Imagebroschüre“ wurde an 250 Wirtschaftsvertreter und Industrieunternehmen verschickt,<br />

brachte aber – was angesichts der Kriegsverhältnisse kaum verwundert – nur sechs<br />

Verhandlungspartner für neue Industrieniederlassungen ein. 412 Kern der Planungen war die<br />

404 Dülffer u. a. (Hg.): Hitlers Städte, S. 9, 12 (Zitat). Selbst Speer kritisierte <strong>im</strong> August 1941 den um sich<br />

greifenden „Dilettantismus“ der Planungen und die „unnützen Schubladenentwürfe“; ebd. S. 60 f. Zu den<br />

Gauforen vgl. insbesondere Wolf: Gauforen.<br />

405 Lammert: Städtebau, S. 453 (Zitat), 461, 464. Vgl. z. B. den „Metternich-Plan“ von Rogg aus dem Jahre 1918<br />

(Tafel 14/15 in: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong> sowie Abb. in: Kallenbach u. a.: 200 Jahre <strong>Die</strong>nst, S. 40) oder die<br />

Vorschläge zur Neugestaltung des Löhrrondells von 1922 (Franz Rogg/Ludwig Stähler/Fritz Horn: Das<br />

Löhrrondell. Ein Vorschlag zu seiner Umgestaltung. <strong>Koblenz</strong> 1922).<br />

406 Nikolaus S<strong>im</strong>mer: Überlegungen zu den Ideenskizzen zur Neu- und Umgestaltung der Gauhauptstadt<br />

<strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1941, S. 16, 19.<br />

407 Kossak: Provincial Pretensions, S. 251-254; Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz, S. 573. Zum Giebel des<br />

Bürreshe<strong>im</strong>er Hofs vgl. Kapitel 7.2.6.<br />

408 StAK 623 Nr. 7308, S. 1-3. Vgl. Kapitel 5.1.3.<br />

409 StAK 623 Nr. 7326, Zitat S. 6. Am 15.12.1941 fand <strong>im</strong> Planungsamt eine Besichtigung mit HJ-Vertretern<br />

statt, bei der S<strong>im</strong>mer die Neu- und Umgestaltungspläne erläuterte.<br />

410 S<strong>im</strong>mer: Überlegungen, S. 14.<br />

411 <strong>Koblenz</strong>. O. O. o. J. [<strong>Koblenz</strong> 1941]. Vgl. Abb. 8 in: Kossak: Provincial Pretensions, S. 252.<br />

412 StAK 623 Nr. 8833, S. 91 f.


374<br />

Schaffung eines neuen, 500 Hektar großen Industriegebietes inklusive Rheinhafen <strong>im</strong> Norden<br />

der Stadt. <strong>Die</strong>s war schon deswegen erforderlich, weil sich das bisherige Industriegelände mit<br />

einer Fläche von 23 Hektar <strong>im</strong> Rauental befand. Ein weiterer Grund für die Verlegung des<br />

Industriestandorts samt Gaswerk, Schlachthof, Niederlassung des Benzol-Verbands, Hafen<br />

und Hafenbahn war das Bestreben, den traditionell bedeutsamen Fremdenverkehr nicht zu<br />

beeinträchtigen. Im Gegenteil sollte durch die Verbannung der Industrie aus der Innenstadt-<br />

nähe in den Norden der Stadt zusätzlich zur Rheinfront ein attraktives Moselpanorama<br />

geschaffen werden. 413 Im Dezember 1940 hatte Ministerialdirektor Dr. Ernst Jarmer von der<br />

Reichsstelle für Raumordnung davon abgeraten, aus <strong>Koblenz</strong> eine Industriestadt zu machen.<br />

S<strong>im</strong>mer hatte erwidert, er wolle die Weiterentwicklung der Stadt „als ruhige und schöne<br />

Rheinstadt noch erhöhen“ und keine großen Industrieunternehmen ansiedeln. 414<br />

Intensiv bemühte sich S<strong>im</strong>mer um die Eingemeindung der an das bisherige kleine<br />

Gewerbegebiet von Wallershe<strong>im</strong> 415 angrenzenden Landgemeinde Kesselhe<strong>im</strong>, die zum<br />

Landkreis <strong>Koblenz</strong> gehörte. Anlässlich einer <strong>Die</strong>nstreise nach Berlin trug er <strong>im</strong> Juni 1941 <strong>im</strong><br />

Reichsinnenministerium erstmals seine Eingemeindungspläne vor. S<strong>im</strong>mer übergab einem<br />

Ministerialbeamten eine Denkschrift, seine Ideenskizzen und eine Fotografie des<br />

Generalbebauungsplanes. 416 Ende August 1941 reichte er über den Regierungspräsidenten den<br />

offiziellen Antrag ein. Dabei ging es darum, eine Ausnahmegenehmigung für das kurz vor<br />

Kriegsbeginn ausgesprochene Grenzänderungsverbot zu erwirken. In seinen elfseitigen<br />

Ausführungen mit fünf Anlagen begründete S<strong>im</strong>mer die Notwendigkeit der sofortigen<br />

Eingemeindung von Kesselhe<strong>im</strong> (423 Hektar, 1.300 Einwohner) mit verkehrspolitischen und<br />

wirtschaftlichen Argumenten. <strong>Die</strong> Firma Krupp, mit der die Stadt seit langem verhandele,<br />

plane die Errichtung einer neuen Betriebstätte für Weichen-, Bagger- und Stahlbau sowie<br />

einer Werft, die <strong>im</strong> Kaltverfahren (also ohne Gießerei) arbeite. Dadurch ergebe sich für<br />

<strong>Koblenz</strong> die große Chance, die einseitige Wirtschaftsstruktur auszugleichen und die<br />

Wirtschaft zu stärken. <strong>Die</strong> Maßnahme müsse jetzt erfolgen, da der Bodenaushub für das<br />

Hafenbecken u. a. <strong>im</strong> Luftschutzbau sowie für Aufschüttungen <strong>im</strong> Autobahnbau gebraucht<br />

werde. Das Investitionsvolumen betrage 12 Millionen RM. 417<br />

Erst am 16. Oktober 1941 fand in einer hochkarätig besetzten Runde eine schon seit zwei<br />

Monaten vereinbarte Besprechung zum Thema statt. Teilnehmer waren neben S<strong>im</strong>mer<br />

Gauleiter-Stellvertreter Reckmann, Kreisleiter Cattepoel, Regierungspräsident Mischke,<br />

Regierungsvizepräsident Dr. Edmund Strutz, Landrat a. D. Dr. Otto Niese, Bezirksplaner<br />

413 S<strong>im</strong>mer: Überlegungen, S. 17-19.<br />

414 StAK 623 Nr. 6712, S. 9 f.<br />

415 StAK 623 Nr. 7268.<br />

416 StAK 623 Nr. 6712, S. 2 f.<br />

417 BArch R 1501/1293, Bl. 1-29.


375<br />

Dr.-Ing. Werner Gensel, Landrat Dr. Karl Statz 418 , Kreisbaumeister Josef Bacia,<br />

Kreisbauernführer Ottomar Kröber und dessen Stellvertreter. Laut S<strong>im</strong>mers Protokoll zog<br />

Landrat Statz „die anfänglich erhobenen Einwendungen zurück“, und Mischke kündigte an,<br />

S<strong>im</strong>mers Antrag „unverändert und befürwortend an den Minister“ weiterzuleiten. S<strong>im</strong>mer<br />

selbst machte aber den Vorschlag, die Eingemeindung erst bei der tatsächlichen Errichtung<br />

eines Industriebetriebes auszusprechen, da es politisch nicht angebracht sei, während des<br />

Krieges Eingemeindungsfragen aufzuwerfen. 419 Dem positiven Votum des Regierungs-<br />

präsidenten schloss sich Anfang November 1941 auch der Oberpräsident an. Der<br />

umfangreiche Antrag landete auf dem Schreibtisch von Dr. Wilhelm Jung, dem Leiter der<br />

Kommunalabteilung <strong>im</strong> Reichsinnenministerium, der sarkastisch vermerkte, dass er „nach<br />

seiner Ausstattung nicht gerade auf Personalnot und auf das dritte Kriegsjahr schliessen lässt.“<br />

Jung stand der Eingemeindung zwar nicht ablehnend gegenüber, wollte aber von den<br />

<strong>Koblenz</strong>er Mittelbehörden noch eine Stellungnahme aus Sicht der betroffenen Gemeinde<br />

Kesselhe<strong>im</strong>. Mischke betonte in einem Gespräch mit Jung <strong>im</strong> März 1942 noch einmal die<br />

kriegswichtige Bedeutung der Kruppschen Ansiedlung, die beschlossene Sache sei. Im Mai<br />

1942 musste der Oberpräsident jedoch berichten, dass der Landrat jede Ausgemeindung<br />

grundsätzlich ablehne und sich lediglich zu weiteren Verhandlungen bereit erklärt habe. Statz<br />

hatte nämlich <strong>im</strong> September 1941 schärfstens protestiert und auf die Bedeutung des<br />

Gemüseanbaus für die Bevölkerung und die Verluste für den Landkreis an Einwohnern,<br />

Steuer- und Finanzkraft verwiesen. Jung monierte gegenüber dem Oberpräsidenten etwas<br />

ungehalten, dass er zunächst nur unvollständig unterrichtet worden sei. Er gab kein grünes<br />

Licht für die Eingemeindung, sondern genehmigte nur die Fortsetzung vorbereitender<br />

Gespräche. 420<br />

Nachdem die erst seit Sommer 1941 laufenden Verhandlungen zwischen S<strong>im</strong>mer, Krupp und<br />

zuständigen Stellen aussichtsreich und zügig verlaufen waren, schaltete sich plötzlich Mitte<br />

Mai 1942 der Leiter des Technischen Amtes <strong>im</strong> Reichsministerium für Bewaffnung und<br />

Munition, Karl-Otto Saur, ein und untersagte den Bau der neuen Betriebsstätte. Begründet<br />

wurde die Anweisung mit dem Abzug von Personal aus der Bau- in die Rüstungsproduktion<br />

sowie mit dem generellen, dringenden Vorrang der Herstellung von Munition. 421<br />

6.2.7 Sonstiges<br />

Eine ganze Reihe führender bzw. prominenter Parte<strong>im</strong>itglieder erwarb von 1934 bis 1942<br />

Bauplätze von der Stadt (Reckmann, Wetter, Claussen, Karbach, Fuhlrott, Plönissen, Dörner,<br />

418<br />

Romeyk: <strong>Die</strong> leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 763 f.<br />

419<br />

StAK 623 Nr. 6970, S. 1 f.<br />

420<br />

BArch R 1501/1293, Bl. 31-65, Zitat Bl. 32.<br />

421<br />

Schriftliche Auskunft des Historischen Archivs der Firma Friedrich Krupp AG Hoesch-Krupp, Essen, vom<br />

5.10.1995 an das Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong>.


376<br />

Georg Schmidt, Arnold Lewalder 422 , Toni Fey 423 ). 424 Am 21. Juni 1946 beschloss der<br />

Bürgerrat auf Antrag der SPD-Fraktion eine Nachprüfung aller Grundstücksverkäufe an<br />

Parte<strong>im</strong>itglieder und sonstige Nationalsozialisten, die bei Begünstigung eventuell eine<br />

Rückgängigmachung zur Folge haben sollte. 425 Am 14. Juli 1947 legte das Rechtsamt seinen<br />

Abschlussbericht vor. Unter den 79 Verkäufen an Parte<strong>im</strong>itglieder hatte es zwei Fälle einer<br />

gravierenden unrechtmäßigen Begünstigung gegeben: HJ-Gebietsführer Karbach und<br />

Verlagsleiter Schmidt hatten auf dem Asterstein außerhalb des Wohnsiedlungsgebietes in<br />

einer bevorzugten Höhenlage über dem Rhein bauen dürfen. 426 <strong>Die</strong> Eheleute Karbach hatten<br />

ihr Grundstück knapp drei Wochen vor deren Eingemeindung von der Gemeinde Pfaffendorf<br />

erworben. 427 Den am 24. Juni 1937 eingereichten Bauantrag bearbeitete dann die Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>. Wittgen persönlich legte ihn Mitte Juli dem Regierungspräsidenten zur<br />

Genehmigung vor, da dies eine alte Verfügung von 1909 bei vom Rhein aus sichtbaren<br />

Bauten verlangte. <strong>Die</strong> Regierung genehmigte den Neubau am 20. Juli anstandslos, worauf die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> drei Tage später die formelle Baugenehmigung erteilte. Der scharfe Protest,<br />

den der ehrenamtliche Kommissar für Naturdenkmalpflege <strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong>,<br />

Studienrat Dr. Heinrich Menke 428 , gegenüber der Regierung am 22. Juli einlegte, kam zu spät:<br />

<strong>Die</strong> Bienhornschanze sei bereits „ein Schulbeispiel dafür, wie eine hervorragende Landschaft<br />

durch Bauten zerstört werden kann.“ <strong>Die</strong>s werde jetzt be<strong>im</strong> Asterstein fortgesetzt, obwohl den<br />

genehmigenden Stellen bekannt gewesen sein dürfte, dass Karbachs Bau „an einer der<br />

landschaftlich empfindlichsten Stellen des ganzen Rheintals“ gelegen sei. Karbach wurden<br />

daraufhin wenigstens Auflagen zur Erhaltung des Baumbestandes gemacht, die er<br />

akzeptierte. 429 <strong>Die</strong> Stadt brachte sich mit ihrer Baugenehmigung für Karbach in Erklärungs-<br />

nöte, als sie der Eigentümerin des Nachbargrundstücks eine solche fast ein Jahr lang<br />

vorenthielt. <strong>Die</strong> Frau, die ausdrücklich auf den Baubeginn Karbachs verwies, hatte das<br />

Grundstück sogar schon <strong>im</strong> April 1937 von der Gemeinde Pfaffendorf als Bauland erworben.<br />

<strong>Die</strong> Bauverwaltung war sich zwar der rechtlich schwachen Position der Stadt bewusst, wollte<br />

das Gelände aber der Allgemeinheit als Ruhe- und Aussichtsplatz erhalten. Zermürbt<br />

verzichtete die Frau letztendlich und st<strong>im</strong>mte einer Rückauflassung zu, nachdem die Stadt ihr<br />

422<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 330 f., 591.<br />

423<br />

Eigentlich Anton Fey, * 18.9.1905 <strong>Koblenz</strong>, + 11.5.1990 Leverkusen, Alter Kämpfer, Schuhmacher, später<br />

Schrift- bzw. Vertriebsleiter be<strong>im</strong> NB. Fey erwarb 1938 <strong>im</strong> Zuge der Arisierung das Schuhhaus Fischel, Inh.<br />

Siegfried Cohn, Entenpfuhl 4-6. 1939 brachte er den Schuhsalon von Hugo Löwy in Wien, Kärntnerstraße 21, in<br />

seinen Besitz. StAK 623 Nr. 8960; ebd. FA2 Nr. 2022-2024; BArch (ehem. BDC), PK und OPG, Fey,<br />

Anton/Toni, 18.9.1905; Thill: Lebensbilder, S. 179; Helmut Schnatz: Ganz <strong>Koblenz</strong> war ein Flammenmeer. 6.<br />

November 1944. Gudensberg-Gleichen 2004, S. 20 (Abb.); RZ, 15.12.1994: Ecki; RZ, 27.12.1994: Leserbrief.<br />

424<br />

StAK 623 Nr. 3945, S. 2-19. Wittgen erwarb von der Stadt lediglich einen Acker, der an sein Baugrundstück<br />

in Pfaffendorf grenzte; ebd. S. 11.<br />

425<br />

StAK 623 Nr. 11730 (unpaginiert).<br />

426<br />

StAK 623 Nr. 11255; ebd. Nr. 11269. In zwei weiteren, weniger schwerwiegenden Fällen war es zweifelhaft,<br />

ob die Parteizugehörigkeit eine Rolle gespielt hatte.<br />

427<br />

StAK 623 Nr. 11604.<br />

428<br />

StAK 623 Nr. 8993; ebd. Nr. 3920, S. 6.<br />

429<br />

StAK Fach 167 II, Bauakte Rudolf-Breitscheid-Straße 23 (unpaginiert). Auch Stanienda vertrat <strong>im</strong> April 1940<br />

gegenüber S<strong>im</strong>mer den „Grundsatz der möglichsten Freihaltung der oberen rechtsrheinischen Höhen von<br />

jeglicher Bebauung“; StAK 623 Nr. 7317, S. 8.


377<br />

einen Grundstückstausch angeboten hatte. 430 Schmidt, Karbachs anderer direkter<br />

Grundstücksnachbar, der den Vorvertrag für den Erwerb noch vor der Eingemeindung<br />

Pfaffendorfs abgeschlossen hatte, 431 stellte erst Ende Oktober 1938 einen Bauantrag. Am<br />

8. Dezember beantragte die Stadt sowohl be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten als auch bei<br />

Kommissar Menke eine Ausnahmegenehmigung. Der Fall wurde zunächst zurückgestellt, bis<br />

klar war, ob das Gelände für die geplante Adolf-Hitler-Schule 432 gebraucht würde. Mitte<br />

Januar 1939 erteilten dann beide Stellen ohne jeden weiteren Kommentar ihre Genehmigung<br />

unter der Bedingung, dass der Baumbestand geschützt werde. 433<br />

Polizeipräsident August Wetter genoss 1935 eine Sonderbehandlung, die er weidlich<br />

ausnutzte. Mussten alle anderen Kaufinteressenten des Baugebiets S<strong>im</strong>merner Straße/<br />

Standartenstraße angesichts der Nachfrage sofort einen Vorvertrag abschließen, verzichtete<br />

Neumann be<strong>im</strong> Polizeipräsidenten darauf. Wetter ließ die Stadt dann fast neun Monate auf<br />

den Notarvertrag warten, der dann weder die übliche Bauverpflichtung noch die Klausel zur<br />

Beschäftigung von Erwerbslosen enthielt. Als er 1938 eine 1.464 qm große Parzelle<br />

dazukaufte, wehrte er sich erfolgreich gegen die übliche vertragliche Weiterveräußerungs-<br />

klausel, die Spekulationsgeschäfte verhindern sollte. Tatsächlich verkaufte Wetter eine<br />

Grundstückshälfte später weiter. 434<br />

Nicht nur die NSDAP-Gauleitung war Mieter der Stadt <strong>Koblenz</strong>, sondern auch Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on als Privatmann. Seit Anfang 1934 bewohnte er <strong>im</strong> Kaiser-Wilhelm-Ring 30 das<br />

Direktorenhaus des städtischen Realgymnasiums. Als die Stadt es dringend für neue<br />

Klassenräume benötigte, bot Wittgen S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> September 1938 den Umzug in einen<br />

städtischen Neubau an: „<strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> baut für Sie an einer noch zu vereinbarenden<br />

Stelle ein Wohnhaus, bei dessen Errichtung Ihre Wünsche berücksichtigt werden.“ 435 Das<br />

Projekt kam aus unbekannten Gründen nicht zustande. Eine Baumfällaktion <strong>im</strong> Vorgarten am<br />

Kaiser-Wilhelm-Ring kündigte Wittgen S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> Dezember 1938 vorsorglich an. Darauf<br />

reagierte S<strong>im</strong>on zwar nicht, aber die laufende Maßnahme erregte dann sein Missfallen. Klose<br />

notierte <strong>im</strong> üblichen <strong>Die</strong>nsteifer: „Ein Baum ist gefällt & auf Wunsch des Gauleiters ersetzt.<br />

Der andere soll bestehen bleiben.“ 436<br />

430 StAK 623 Nr. 11642.<br />

431 StAK 623 Nr. 11663.<br />

432 Für den Kolossalbau, der über die Grundmauern nicht hinaus kam, verkaufte die Stadt der DAF <strong>im</strong> August<br />

1940 ein Gelände von 24.636 qm für 19.708 RM (0,80 RM pro qm); StAK 623 Nr. 7216, Anlage 2 nach S. 413;<br />

ebd. Nr. 3945, S. 14. Vgl. NB, 17.1.1938: Keine Schulreform – Revolutionärer Neubeginn; Clemens Klotz:<br />

Adolf-Hitler-Schule <strong>Koblenz</strong>-Asterstein. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 4 (1939), S. 81 f.; Becker: Vom<br />

Oberpräsidium der Rheinprovinz, S. 471 f.<br />

433 StAK Fach 167 II, Bauakte Rudolf-Breitscheid-Straße 21. Schmidts Architekt war der Düsseldorfer Herbert<br />

M. Horstmann, der auch das Hallenschw<strong>im</strong>mbad an der Cusanusstraße plante. Schmidt lud S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Oktober<br />

1940 zu einer Hausbesichtigung ein; ebd. Nr. 11663 (unpaginiert), Schmidt vom 11.10.1940.<br />

434 StAK 623 Nr. 11511.<br />

435 StAK 623 Nr. 9063, S. 466.<br />

436 StAK 623 Nr. 9846, S. 19 f.


378<br />

Das zur NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude (NSG KdF) gehörende „Amt für Schönheit der<br />

Arbeit“ kümmerte sich um die Verbesserungen der äußeren Arbeitsbedingungen. Für den auf<br />

Vorschlag des Amtes mustergültig hergerichteten Aufenthaltsraum der Friedhofsgärtner<br />

stiftete die NSG KdF Ende 1935 ein Führerbild. <strong>Die</strong> Stadt musste es allerdings erst rahmen<br />

lassen, bevor Wittgen es bei einem Betriebsappell <strong>im</strong> März 1936 der Gefolgschaft übergeben<br />

konnte. 437 Der ehemalige Kommissar und Hilfsangestellte des Hochbauamtes, Architekt Hugo<br />

Hinkel, besichtigte als Kreisreferent des Amtes für Schönheit der Arbeit <strong>im</strong> Februar 1936 drei<br />

Tage lang das Rathaus, wobei er feststellte, dass viele Büroräume „in einem unwürdigen<br />

Zustande“ seien. Nach einer Besprechung und Besichtigung <strong>im</strong> Mai mit Wittgen wollte<br />

Hinkel eine Eingabe an die DAF richten. 438 Konkrete Verbesserungsmaßnahmen sind nur für<br />

das Stadttheater und das Hafenamt überliefert. 439<br />

Nach einer entsprechenden Empfehlung des DGT sah sich die Stadt <strong>im</strong> Juli 1938 gezwungen,<br />

in ihren Mietshäusern auf eigene Kosten die „Haustafeln“ der NSDAP anzubringen. Für die<br />

Anschaffung dieser Mitteilungstafeln, auf denen für die Hausbewohner Ansprechpartner,<br />

Termine usw. der Partei und ihrer Gliederungen zu ersehen waren, war seit Anfang des Jahres<br />

geworben worden. 440<br />

6.3 Kultur<br />

6.3.1 Städtische Kulturinstitute und Kulturamt<br />

Alle drei zentralen städtischen Kultureinrichtungen – Stadttheater mit Orchester,<br />

Schlossmuseum und Stadtbibliothek – blickten 1933 bereits auf eine sehr lange Tradition<br />

zurück. <strong>Die</strong>s gilt auch für das Musik-Institut, das eine Zwitterstellung zwischen privatem<br />

Verein und kommunaler Einrichtung einnahm. 441 Ihre Entstehung verdankten die Institutionen<br />

ursprünglich nicht der Obrigkeit, sondern privatem bürgerlichem Engagement. 442<br />

Entsprechend fanden die Nationalsozialisten bei der Machtergreifung bereits einen etablierten<br />

Kulturbetrieb vor, der auf der einen Seite bürgerlich-konservativen Bildungsidealen<br />

verpflichtet war und andererseits seit dem Ersten Weltkrieg unter der Finanznot sowohl des<br />

437 StAK 623 Nr. 6569, S. 278 f.; NB, 3.6.1936: Aus Schutt und Gerümpel in Luft und Sonne.<br />

438 StAK 623 Nr. 6569, S. 301-303, Zitat S. 301.<br />

439 NB, Weihnachten 1937: Unser Theater wurde umgekrempelt; NB, 25.5.1939: Festliche Stunde <strong>im</strong> Hafenamt.<br />

440 StAK 623 Nr. 9593, S. 54 f.; NB, 2.12.1937: <strong>Die</strong> besten Vertrauten der Volksgenossen; NB, 11.2.1938: Kein<br />

Grundstück ohne Haustafel. Vgl. Carl-Wilhelm Reibel: Das Fundament der Diktatur: <strong>Die</strong> NSDAP-Ortsgruppen<br />

1932-1945, Paderborn 2002, S. 105.<br />

441 Laut Satzung war der jeweilige Oberbürgermeister Vorsitzender. Das Musik-Institut finanzierte sich<br />

hauptsächlich durch städtische Zuschüsse, der jeweilige Kapellmeister des Stadttheaters war in Personalunion<br />

Musikdirektor des Musik-Instituts und wurde dafür mit monatlich 300 RM von der Stadt besoldet. Das Musik-<br />

Institut tauchte auch regelmäßig in den städtischen Verwaltungsberichten auf.<br />

442 Zur Entwicklung vom privaten kulturellen Engagement zur öffentlichen Aufgabe vgl. Thomas Adam: <strong>Die</strong><br />

Kommunalisierung von Kunst und Kultur als Grundkonsens der deutschen Gesellschaft ab dem ausgehenden 19.<br />

Jahrhundert. In: <strong>Die</strong> Alte Stadt 26 (1999), S. 79-99.


379<br />

städtischen Trägers als auch des Bürgertums zu leiden hatte. Während Nationalsozialisten in<br />

der Regel allem Geistig-Intellektuellem Geringschätzung oder zumindest Vorbehalte<br />

entgegenbrachten, kam 1933 mit Oberbürgermeister Wittgen ein Mann an die Stadtspitze, der<br />

als Lehrersohn dem Bildungsbürgertum entstammte. Er war selbst Akademiker und<br />

Musikliebhaber, der Klavier spielte. 443 Leiter der städtischen Abteilung VII, des Kulturamtes,<br />

war seit 1923 Stadtoberinspektor Wilhelm Smits, der erst <strong>im</strong> Januar 1940 der NSDAP<br />

beitrat. 444 <strong>Die</strong> folgende Darstellung verzichtet aus Platzgründen auf die Betrachtung des<br />

Orchesters und konzentriert sich be<strong>im</strong> Schlossmuseum auf die Kunstsammlung 445 .<br />

6.3.2 Das Stadtamt für Musik und der Städtische Musikbeauftragte<br />

Eine dem Stadtamt für Leibesübungen ähnliche Funktion übte das Stadtamt für Musik aus.<br />

Für den Bereich der Gesangvereine ist gut dokumentiert, wie die <strong>Stadtverwaltung</strong> an deren<br />

Gleichschaltung beteiligt war. Der Parteigenosse und Rechtsanwalt Dr. jur. Paul Fischer 446 ,<br />

nach eigenen Angaben 1910/11 in Straßburg Orgelschüler von Albert Schweitzer, wurde von<br />

Wittgen zunächst mit der Vereinigung der <strong>Koblenz</strong>er Gesangvereine beauftragt. Auf der<br />

Grundlage einer von Fischer erstellten Liste sämtlicher Gesangvereine forderte Abteilung VII<br />

am 6. Mai 1933 von den Vereinen die Satzungen an, die an Fischer weitergeleitet wurden.<br />

Fischer, selbst Vorsitzender des Männergesangvereins „Liedertafel“, 447 lud daraufhin die<br />

Vereinsvorstände zu einer Besprechung ein. Schon am 1. Juni konnte Fischer Vollzug<br />

melden: Alle <strong>Koblenz</strong>er Gesangvereine mit rund 900 Sängern seien zur „<strong>Koblenz</strong>er<br />

Sängerschaft“ unter seinem Vorsitz und der künstlerischen Leitung von Dr. phil. Ferdinand<br />

Collignon 448 zusammengefasst. Nennenswerte Probleme hatte es dabei nicht gegeben. Der<br />

„Männergesangverein 1856 <strong>Koblenz</strong>-Neuendorf“ hatte z. B. versichert, dass „seine Mitglieder<br />

voll und ganz hinter der heutigen nationalen Regierung stehen“. Zu „Abänderungen in dieser<br />

443<br />

Als ihn seine Tochter einmal warnte, dass er das Stück eines jüdischen Komponisten spiele und dass<br />

Vorübergehende dies eventuell hören könnten, meinte Wittgen: „Ach, das wissen diese Banausen da draußen<br />

doch nicht!“ Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 31.3.2009.<br />

444<br />

* 6.9.1891 <strong>Koblenz</strong>, + 17.9.1981 Osterspai (Rhein-Lahn-Kreis), katholisch, verheiratet; StAK 623 Nr. 3915.<br />

Zur Abt. VII gehörten auch Versicherungsamt, Forstverwaltung, Handwerker- und Innungssachen,<br />

Schiedsmanns- und Wehrmachtsangelegenheiten; ebd., S. 441.<br />

445<br />

Zur militärhistorischen Sammlung vgl. Peter Kleber: Militärmuseen in <strong>Koblenz</strong> – Tradition als<br />

Herausforderung. In: Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz/Deutsche Gesellschaft für<br />

Festungsforschung (Hg.): Neue Forschungen zur Festung <strong>Koblenz</strong> und Ehrenbreitstein. Bd. 2. Regensburg 2006,<br />

S. 121-147.<br />

446<br />

* 13.12.1889 Metz, + 22.3.1971 Bielefeld, seit 1939 Fabrikant für Herrenwäsche in Bielefeld, 1966-1971<br />

Vorsitzender des Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene, Initiator des 1969<br />

eröffneten Albert-Schweitzer-Archivs in Frankfurt am Main. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker<br />

1933-1945. CD-ROM Kiel 2004, S. 1591 f.; Uwe Baur: Bürgerinitiative Musik. 250 Jahre öffentliches<br />

Musikleben in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 2008, S. 229 f.<br />

447<br />

AB 1931/32, S. VI 16. Im AB 1935/36, S. V 162, wird Fischer als „Vereinsführer“ des Vereins der<br />

Musikfreunde genannt.<br />

448<br />

* 1.5.1895 Ehrenbreitstein (heute <strong>Koblenz</strong>), + 22.3.1968 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, 1933 NSDAP-Mitglied. StAK<br />

623 Nr. 6583, S. 435 f.; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 453/1968; Baur: Bürgerinitiative Musik,<br />

S. 226 f.


380<br />

Richtung“ sei man selbstverständlich sofort bereit. 449 Der „Arbeiter-Gesangverein Lyra“<br />

fehlte in der Vereinsliste, er wurde aufgelöst. 450<br />

Im Einvernehmen mit der Gauleitung und der Ortsgruppenleitung der Reichsmusikerschaft<br />

ernannte Wittgen Fischer am 13. Juni 1933 zum ehrenamtlichen Leiter des Stadtamtes für<br />

Musik und bezog sich dabei auf ein Gespräch in der „Gleichschaltungsfrage der hiesigen<br />

Vereine“. 451 Nach der Einführung des Führerprinzips in den Vereinssatzungen und dem<br />

Ausschluss der Juden zumindest aus den Vereinsvorständen konnte Fischer sich auf die<br />

kulturpolitische Kontrolle der Vereinsarbeit und die Koordination von Veranstaltungen<br />

konzentrieren. 452 Das Stadtamt für Musik residierte unter der Adresse von Fischers Kanzlei<br />

am Goebenplatz 20. Nach den Best<strong>im</strong>mungen der Reichsmusikkammer ernannte Wittgen<br />

Fischer <strong>im</strong> September 1934 zum „Städtischen Musikbeauftragten“, wofür er eine monatliche<br />

Aufwandsentschädigung von 50 RM aus dem Theateretat erhielt. In seiner Doppelfunktion als<br />

gemeindlicher Ehrenbeamter und Beauftragter der Reichsmusikkammer hatte er das<br />

Musikleben und Konzertwesen „zu überwachen und zu regeln“. 453<br />

6.3.3 Musik-Institut, städtische Konzerte und die Zusammenarbeit mit der<br />

NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude<br />

Be<strong>im</strong> 1808 gegründeten Musik-Institut 454 der Stadt <strong>Koblenz</strong> fand das Konzert zum 125-<br />

jährigen Jubiläum am 10. März 1933 noch unter Oberbürgermeister Rosendahl statt. Es<br />

dirigierte noch als Gast Kapellmeister Wolfgang Martin 455 , der <strong>im</strong> Mai auf die vakante Stelle<br />

des Musikdirektors berufen wurde. Laut Satzung hatte der jeweilige Oberbürgermeister das<br />

Amt des Vorsitzenden inne. Schon <strong>im</strong> April 1933 kümmerte sich Wittgen um die Änderung<br />

der Statuten, die um einen „Arierparagrafen“ ergänzt wurden. Im Dezember 1934 berief er<br />

Gaupropagandaleiter Wilhelm Michels und den Kulturschriftleiter des Nationalblatts, Dr.<br />

Kurt Varges, in den Vorstand und besetzte auf diese Weise neben dem bereits berufenen<br />

Maler Sprung die drei Plätze, die gemäß Satzung von der <strong>Stadtverwaltung</strong> zu vergeben waren.<br />

449 StAK 623 Nr. 8162, S. 714, 722-778, Zitate S. 735; ebd. Nr. 6130, S. 65 f.; ebd. Nr. 9561, S. 96.<br />

450 Antwort von Collignon vom 27.7.1938 auf eine Anfrage der Gestapo; StAK 623 Nr. 6091, S. 143. <strong>Die</strong><br />

Rechtsgrundlage lieferten das Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26.5.1933, RGBl.<br />

I, S. 293, sowie das Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14.7.1933, RGBl.<br />

I, S. 479. Vgl. StAK 623 Nr. 8162, S. 716.<br />

451 StAK 623 Nr. 8164, S. 1.<br />

452 NB, 14.7.1933: Anordnung des Stadtamtes für Musik; Baur: Bürgerinitiative Musik, S. 229.<br />

453 StAK 623 Nr. 8162, S. 779-802, Zitat S. 792; ebd. Nr. 8164; NB, 26.9.1934: <strong>Koblenz</strong>er Musikleben wird neu<br />

geregelt. Ausführlich zu den Aufgaben des Musikbeauftragten vgl. Rundschreiben 3 des Reichsverbands für<br />

Konzertwesen vom 1.9.1934; StAK 623 Nr. 8162, S. 782 f.; ebd. Nr. 7032, S. 460, 469 f.<br />

454 Hans Schmidt: Musik-Institut <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1983. Der Band hat den Charakter einer Festschrift, die die<br />

Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong> - „Bei allen Sorgen und Nöten dieser drangvollen Zeit“ - kaum kritisch reflektiert;<br />

ebd., S. 279-290, Zitat S. 289.<br />

455 Martin konnte trotz intensiver Recherchen keinen vollständigen Ariernachweis abliefern, da die Sterbedaten<br />

einer Großmutter nicht zu ermitteln waren. Er war 1933 kein Parte<strong>im</strong>itglied. StAK 623 Nr. 7032, S. 100-105,<br />

113-115, 119-133.


381<br />

Als der greise Intendant Justizrat Hanns Graeff 456 <strong>im</strong> Januar 1935 sein Amt niederlegte und<br />

zum Ehren-Intendanten ernannt wurde, vollzog sich nicht nur ein Generationswechsel.<br />

Offiziell waren Altersgründe maßgebend, doch dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass sich<br />

Graeff 1934 bei den Solistenengagements massiven Einflussversuchen durch die Landesstelle<br />

West der Konzertabteilung der Reichsmusikkammer ausgesetzt gesehen hatte, der er<br />

angeblich nicht genügend Sympathie entgegenbrachte. Zum Nachfolger wurde einst<strong>im</strong>mig der<br />

Städtische Musikbeauftragte Fischer gewählt, zum Schriftführer Standesbeamter Clemens<br />

Henn. <strong>Die</strong> Satzung wurde <strong>im</strong> Juli 1935 erneut geändert. Der Vorstand erhielt die Bezeichnung<br />

„Führerschaft“, in der jetzt die NSDAP-Kreisleitung mit einem Sitz vertreten war. <strong>Die</strong><br />

Ambitionen des Gauleiters, der sich als Führer des Bundes der Saarvereine gegen seinen<br />

pfälzischen Rivalen Josef Bürckel profilieren wollte, hatte das Musik-Institut schon <strong>im</strong> Mai<br />

1934 durch seinen Beitritt zum Bund der Saarvereine unterstützt. 457<br />

Nicht nur <strong>im</strong> Vorstand und in der Satzung, auch künstlerisch gab es Veränderungen. Es<br />

mehrten sich die Bestrebungen, das elitäre Image des Musik-Instituts abzulegen und die<br />

Basis sowohl der Mitglieder als auch der Besucher zu verbreitern. Anfang 1935 regte der<br />

Finanzbeirat zur volkstümlichen Gestaltung der Konzerte eine Zusammenarbeit mit der<br />

NS-Kulturgemeinde (NSKG) 458 an. Angesichts des erhöhten städtischen Zuschusses erwarte<br />

man auch die Abgabe verbilligter Karten an bedürftige Volksgenossen. Als Musikdirektor<br />

Martin das Musik-Institut verließ, wurde mit Einverständnis von Kreisleiter Claussen <strong>im</strong><br />

August 1935 Dr. Gustav Koslik 459 , ein Parte<strong>im</strong>itglied des Gaues Wien, sein Nachfolger. Wie<br />

zuvor Martin war er gleichzeitig Erster Kapellmeister am Stadttheater. Im September 1935<br />

stellte Wittgen zufrieden fest, in den letzten Monaten habe es eine grundlegende Neu-<br />

gestaltung gegeben, da der Chor „als städtischer Chor und Volkschor <strong>im</strong> wahrsten Sinne des<br />

Wortes ausgebaut“ worden sei. In einer Rundverfügung bemühte er wieder die „Ehrenpflicht“<br />

insbesondere der jüngeren städtischen Beamten und Angestellten, dem Chor beizutreten.<br />

Neben den üblichen sechs Hauptkonzerten gab es in der Saison 1935/36 ein Sonderkonzert<br />

für das WHW, bei der die Vorzeigekünstlerin des NS-Reg<strong>im</strong>es Elly Ney 460 als Solistin<br />

456 * 9.10.1858 <strong>Koblenz</strong>, + 6.4.1938 <strong>Koblenz</strong>. Hermann Hieron<strong>im</strong>i: Zur Geschichte der <strong>Koblenz</strong>er<br />

Rechtsanwaltschaft 1770-1970. In: 150 Jahre Landgericht <strong>Koblenz</strong> (Veröffentlichungen der Landeskundlichen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> e. V. 9). Boppard 1970, S. 163-208, hier S. 191; NB,<br />

8.4.1938: Nachruf Wittgens.<br />

457 StAK 623 Nr. 6696; ebd. V 3 Nr. 11, S. 1-24, 309-314; Baur: Bürgerinitiative Musik, S. 229 f.<br />

458 <strong>Die</strong> 1934 gegründete NS-Kulturgemeinde war <strong>im</strong> Wesentlichen eine Theaterbesucherorganisation, die Alfred<br />

Rosenberg unterstand. Sie wurde 1937 nach einem verlorenen Machtkampf Rosenbergs mit Robert Ley in die<br />

konkurrierende NS-Gemeinschaft KdF überführt. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner.<br />

Studien zum Machkampf <strong>im</strong> nationalsozialistischen Herrschaftssystem (Studien zur Zeitgeschichte 1). 2. Aufl.<br />

München 2006, S. 61-103.<br />

459 * 29.3.1902 Wien, evangelisch, verheiratet, Mitglied Nr. 6493 der NSDAP Österreichs bis zum Verbot <strong>im</strong><br />

Juni 1933, Amtswalter bei der Deutschen Front Saargebiet vom 1.3.1934 bis zur Auflösung; StAK 623 Nr. 7032,<br />

S. 109 f., 214-218. Claussen schrieb am 27.6.1935, Koslik werde ihm „von zuverlässiger Seite als national<br />

zuverlässig geschildert“ [sic]; ebd., S. 210.<br />

460 Ney trat mehrfach in <strong>Koblenz</strong> auf. StAK ebd. 623 Nr. 6693, S. 203; ebd. Nr. 6745, S. 411; ebd. V 3 Nr. 11, S.<br />

78-86, 118-120.


382<br />

mitwirkte, ein Konzert zur Eröffnung der Gaukulturwoche 461 sowie ein Konzert bei einem<br />

Mitgliederappell der NSKG 462 . Intendant Fischer konnte resümieren: „Schon der äussere<br />

Rahmen des Konzertprogramms lässt also den Einsatz des Musikinstitutes für die kulturellen<br />

Bestrebungen des neuen Reiches deutlich hervortreten.“ Dass man vorwiegend der deutschen<br />

Klassik verpflichtet blieb, begründete Fischer fast entschuldigend mit der „richtung-<br />

gebende[n] Kraft der Tradition […], wenn auch ein neuer Wille, neue Aufgaben eine neue<br />

Ausrichtung verlangen“. 463 Das volkserzieherische Ziel, breitere Volksschichten mit dem<br />

deutschen Kulturgut vertraut zu machen, strebte das Musik-Institut mit „volkstümlichen<br />

Meisterabenden“ an. Gleichzeitig gab man sich fortschrittlich. Zeitgenössische Komponisten<br />

seien den Besuchern „durchaus geläufig“ und mit der „Aufführung neuester Musik“ stelle<br />

man sich „mitten in den kulturellen Aufbau“. 464<br />

Das wachsende Berliner Interesse am provinziellen Kulturbetrieb zeigte der Besuch von<br />

Generalmusikdirektor Professor Dr. Peter Raabe, dem Präsidenten der Reichsmusikkammer,<br />

<strong>im</strong> Oktober 1936. Am Abend des 15. Oktober hielt er einen Vortrag über die Aufgaben seiner<br />

Institution und am nächsten Tag dirigierte er einen „volkstümlichen“ Beethoven-Abend des<br />

Musik-Instituts, der mit 1.124 Besuchern das erfolgreichste Konzert der Saison 1936/37<br />

war. Wittgen hatte die Volksgenossen in der Presse zum Besuch beider Veranstaltungen<br />

aufgerufen und daran erinnert, dass der <strong>Nationalsozialismus</strong> „den ganzen Menschen erfassen“<br />

wolle. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit dem deutschen Kulturgut sei gemäß einem Führerwort die<br />

Voraussetzung für den „Wiederaufstieg“ der Nation. 465 Dass eine volksnahe Präsentation<br />

nicht <strong>im</strong>mer Erfolg versprach, zeigte <strong>im</strong> Januar 1937 ein volkstümlicher Schubert-Abend, der<br />

nur 475 Besucher anzog. 466 Dagegen hatte ein Beethoven-Konzert <strong>im</strong> Januar 1936 auch ohne<br />

das Etikett „volkstümlich“ seine Liebhaber gefunden, denn es war das einnahmenstärkste der<br />

Saison 1935/36. 467<br />

Eine engere Zusammenarbeit zwischen Musik-Institut, dem Verein der Musikfreunde<br />

und dem Sängergau Rheinland-Süd kündigte sich in der Saison 1936/37 mit der Herausgabe<br />

eines gemeinsamen Werbehefts an, das als weitere „Mitarbeitende“ die HJ-Gebietsführung<br />

Westmark, die NSG KdF und die NSKG Ortsverband <strong>Koblenz</strong> nannte. Mitte September 1937<br />

teilten die drei Musikinstitutionen ihren Mitgliedern, Abonnenten und Konzertbesuchern in<br />

einem von Fischer unterzeichneten Rundschreiben einschneidende Veränderungen mit. Aus<br />

461 Programmheft der Gaukulturwoche 12.-19.1.1936 in: LHAKo Best. 708 Nr. 301.94.<br />

462 Generalappell am 30.4.1936, vgl. Mitteilungsblatt Nr. 9 der NSKG in: LHAKo Best. 708 Nr. 301.94.<br />

463 StAK 623 Nr. 6696, Zitate S. 260, 302, 312; ebd. Nr. 9563, S. 187.<br />

464 VB 1933-1937, S. 67 f. So wörtlich auch <strong>im</strong> VB 1937/38, S. 69 f.<br />

465 NB, 15.10.1936: Volksgenossinnen und Volksgenossen aus <strong>Koblenz</strong> und Umgebung! Der am nächsten Tag<br />

folgende Artikel des NB über Vortrag und Konzert zeigt ein Foto von Raabe, Wittgen, dem Pianisten und<br />

Fischer, Letzteren in Parteiuniform; NB, 17./18.10.1936: Musik ist höchste Volkskunst.<br />

466 StAK 623 Nr. 6696, S. 322; ebd., V 3 Nr. 3. Der Zuschussbedarf für die Konzertsaison 1936/37 betrug je<br />

Besucher 2,78 RM, davon übernahm die Stadt 1,89 RM, d. h. 68 %; StAK 623 Nr. 6696, S. 322.<br />

467 StAK 623 Nr. 6696, S. 299; ebd., V 3 Nr. 12. Solist war Wilhelm Stroß (auch Stross) aus München.


383<br />

Gründen der Zweckmäßigkeit und zur besseren Besucherauslastung hatten sie ein Abkommen<br />

mit der NSG KdF getroffen, wonach die Konzerte jetzt „in engster Zusammenarbeit“ mit der<br />

NS-Organisation veranstaltet wurden. Als Trägerin der Konzerte galten nach einer<br />

Anordnung der Reichsmusikkammer die NSG KdF und die Stadt <strong>Koblenz</strong>, was auch ein<br />

entsprechender Veranstalterhinweis 468 auf den Programmheften der Wintersaison 1937/38 des<br />

Musik-Instituts anzeigte, der die Stadt erst an zweiter Stelle nannte. Der Verkauf von<br />

Abonnements und Anrechten erfolgte von nun an nur noch in der KdF-Geschäftsstelle in der<br />

Schloßstraße 9, Einzelkarten waren weiter bei den bisherigen Verkaufsstellen erhältlich.<br />

Abonnements und Anrechte sollten bei der NSG KdF erneuert werden, der jetzt auch die<br />

Werbung oblag. 469<br />

Eine weitere Änderung in der Firmierung brachte die Saison 1938/39. Das Musik-Institut trat<br />

weiter in den Hintergrund, die Konzerte galten jetzt als „Städtische Konzerte“. Im Vorwort<br />

des Programmhefts „Städtische Konzerte 1938-39 <strong>Koblenz</strong>“ warben Fischer und Wittgen für<br />

die gemeinsame Kulturpflege unter der Regie von Stadt und NSG KdF. Hinter den Kulissen<br />

gab es Anlaufschwierigkeiten mit der Abrechnung der Tageseinnahmen durch die NSG KdF,<br />

der 10 % des Gesamtumsatzes zustanden. Über die NSG KdF war ein stark verbilligtes<br />

Anrecht „nur für Volksgenossen mit nachweislich niedrigem Einkommen“ zu beziehen, es<br />

gab ein Jugend-Anrecht für die HJ, außerdem Verbilligungen für Wehrmachts- und RAD-<br />

Angehörige. Das städtische Rechnungsprüfungsamt monierte in seinem Bericht für 1937/38,<br />

dass die NSG KdF kein Mitgliederverzeichnis führe, was auf organisatorische Schwächen<br />

hindeutet. Zu den Versuchen, das Musik-Institut in der Bevölkerung auf eine breitere Basis zu<br />

stellen, gehörte die Senkung des Mitgliedsbeitrags von 3 auf 1 RM. 470 Mit der Einführung der<br />

„Städtischen Konzerte“ wurde dem Stadttheater 1938 die neue <strong>Die</strong>nststelle „Städtische<br />

Musikdirektion“ angegliedert. 471<br />

Mit der Umgestaltung des Musik-Instituts-Chors von einem Männerchor in einen gemischten<br />

Chor, den die Mitgliederversammlung <strong>im</strong> Juli 1938 beschloss, gab es einen weiteren<br />

Traditionsbruch. Im Oktober startete Wittgen be<strong>im</strong> Kreisschulrat, den Gymnasien, der<br />

Hochschule für Lehrerinnenbildung und den drei Männergesangvereinen 472 eine Werbeaktion<br />

zur Verstärkung des Chors. Anmeldungen waren bei Musikdirektor Koslik oder be<strong>im</strong><br />

468 Der Veranstalterhinweis lautete be<strong>im</strong> ersten Konzert „<strong>Die</strong> Deutsche Arbeitsfront [hervorgehoben durch<br />

größeres Schriftbild] / NSG. ‚Kraft durch Freude’ Konzertgemeinde / <strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong>“ und wandelte sich bis zum sechsten Konzert in „NSG. ‚Kraft durch Freude’ und Stadt <strong>Koblenz</strong>“ in<br />

einheitlich großem Schriftbild. StAK V 3 Nr. 3.<br />

469 Werbeheft „<strong>Koblenz</strong> die Kunststadt am Mittelrhein / Konzerte 1936/37“ in: StAK 623 Nr. 6271, S. 594-606,<br />

und ebd. Nr. 6726, S. 764-776.<br />

470 StAK 623 Nr. 6707, Zitate S. 44, 87. Vgl. ebd. Nr. 6271, S. 609; NB, 19.9.1938: <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> – Träger<br />

der Konzerte.<br />

471 VB 1938/39, S. 75. Der Verwaltungsbericht erwähnt die Zusammenarbeit mit der NSG KdF nicht.<br />

472 Liedertafel-Schenkendorf, Rheinland und Viktoria. Landeskulturwalter Albert Urmes hatte die Zahl der<br />

Männergesangvereine auf drei reduziert; StAK 623 Nr. 6707, S. 108 f.


384<br />

Chorführer, Stadtoberinspektor Hermann Oehl 473 von der Städtischen Sparkasse, möglich.<br />

Der Werbung war <strong>im</strong> Mai eine Intervention des Landeskulturwalters Albert Urmes<br />

vorausgegangen. Er hatte moniert, die Leistungen des Musik-Instituts würden <strong>im</strong>mer<br />

schlechter, dies sei für eine Gauhauptstadt „untragbar“. Er lastete das „Versagen“ Intendant<br />

Fischer an, der abberufen werden müsse, weil es ihm nicht gelungen sei, den schwachen Chor<br />

zu verstärken und eine enge Zusammenarbeit mit den örtlichen Parteidienststellen<br />

aufzubauen. Als neuen Städtischen Musikbeauftragten schlug er den Landesleiter der<br />

Reichsmusikkammer <strong>Koblenz</strong>-Trier und Gauchorführer, Collignon, vor. Dem Vorschlag<br />

schloss sich Dr. phil. Albert Perizonius vom Reichspropagandaamt <strong>Koblenz</strong>-Trier an. Es traf<br />

sich, dass Fischer sein Amt <strong>im</strong> Dezember 1938 wegen seines beruflich bedingten Umzugs zur<br />

Verfügung stellte. <strong>Die</strong> Berufung Collignons, der als Leiter der 1932 gegründeten <strong>Koblenz</strong>er<br />

Konzertgesellschaft schon <strong>im</strong> Frühjahr 1933 die fehlende „volksmässige Einstellung“ des<br />

Musik-Instituts kritisiert hatte, 474 vollzog Wittgen <strong>im</strong> Juni 1939, nachdem das Berliner Amt<br />

für Konzertwesen auch namens der Reichsmusikkammer und des DGT das erforderliche<br />

Einverständnis gegeben hatte. Collignon konnte seine Aufgaben allerdings kaum<br />

wahrnehmen, da er schon Ende August 1939 zum Heeresdienst <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Standortlazarett<br />

eingezogen wurde. Faktisch übernahm das städtische Kulturamt Mitte 1940 seine Arbeit. Im<br />

Januar 1941 bat Collignon S<strong>im</strong>mer, ihn von seinem Amt zu entbinden, weil er sich auf<br />

Veranlassung des CdZ der musikalischen Aufbauarbeit in Luxemburg widmen werde. 475<br />

Ein <strong>im</strong>mer wieder aufflackerndes Problem waren die mangelnde Terminabsprache und<br />

fehlende Kooperationsbereitschaft von Seiten der NSG KdF. Konzerte ernster Natur und<br />

große Unterhaltungskonzerte musste die NSG KdF zwei Wochen vorher be<strong>im</strong> Städtischen<br />

Musikbeauftragten anmelden. S<strong>im</strong>mer besprach die Problematik <strong>im</strong> April 1940 mit dem<br />

Gauwalter der DAF, dem Ratsherrn Hugo Dörner, der die Notwendigkeit von Termin-<br />

vereinbarungen zur Vermeidung von Überschneidungen bestätigte, ohne dass sich daraufhin<br />

viel änderte. 476 Zu einer ernsthaften Belastung des Verhältnisses zwischen Stadt und<br />

NSG KdF kam es <strong>im</strong> Juli 1940, als KdF-Gauwart Dr. Adolf Minter 477 dem Städtischen<br />

Musikbeauftragten sechs Konzertveranstaltungen für die kommende Saison ankündigte,<br />

wobei fünf Termine bereits fest gebucht waren. In einer Besprechung mit dem neuen<br />

Intendanten des Musik-Instituts, Regierungsvizepräsident Dr. Edmund Strutz 478 ,<br />

Theaterintendant Kämmel und Smits schloss S<strong>im</strong>mer die Aufführung der KdF-Konzerte<br />

473 Kassenleiter der NSDAP-Ortsgruppe Winningen; LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Oehl vom<br />

22.7.1949. Im September 1939 wurde Regierungsvizepräsident Dr. Edmund Strutz Chorführer; StAK 623 Nr.<br />

6707, S. 115-121.<br />

474 StAK 623 Nr. 8162, S. 708-713, Zitat S. 708.<br />

475 StAK 623 Nr. 6707, S. 88-121, Zitate S. 109; ebd. Nr. 6271, S. 661; ebd. Nr. 7032, S. 471; ebd. Nr. 8164.<br />

Collignon wurde Leiter der städtischen Musikschule in Esch/Alzig (Esch-sur-Alzette).<br />

476 StAK 623 Nr. 6271, S. 619, 654-657.<br />

477 * 9.9.1891 Langensalza, evangelisch, verheiratet, Privatlehrer, 1919 Zuzug von Niederlahnstein nach<br />

<strong>Koblenz</strong>; StAK M 126, Familienblatt in Ablage Hohenstaufenstraße.<br />

478 Strutz stellte sein Amt Anfang 1944 zur Verfügung, sein Nachfolger wurde der Kaufmann Eduard S<strong>im</strong>ons;<br />

StAK 623 Nr. 6554, S. 28-32.


385<br />

zunächst aus, da es sich um eine Konkurrenz für die städtischen Konzerte handele. Er<br />

informierte Kreisleiter Cattepoel über die Vorgehensweise der NSG KdF und schickte ihm die<br />

einschlägigen Rundschreiben des DGT und des Amtes für Konzertwesen, die das<br />

Konzertwesen in größeren Städten mit eigenem Orchester in die Hand der Kommune legten.<br />

Am 30. Juli kam es zu einem klärenden Gespräch zwischen S<strong>im</strong>mer, Cattepoel und dem KdF-<br />

Gaureferenten der Abteilung Feierabend, Alfred Witte. Man kam überein, dass nur die Stadt<br />

„Veranstalter kultureller Konzerte” sei. Sie verzichtete <strong>im</strong> Gegenzug auf die „Durchführung<br />

leichter Unterhaltungsabende”, die der NSG KdF unbenommen blieben. Zu Terminüber-<br />

schneidungen dürfe es aber nicht kommen. In der nächsten Sitzung des Kunstbeirates Mitte<br />

August stellte S<strong>im</strong>mer klar, die bisherige Angabe, dass die Konzertveranstaltungen zusammen<br />

mit der NSG KdF erfolgten, „komme für die Zukunft nicht mehr in Frage”. 479<br />

Minter griff diese Ankündigung in einem Schreiben an S<strong>im</strong>mer Ende August 1940 auf,<br />

in dem er zunächst die Vereinbarungen vom 30. Juli bestätigte und die gedeihliche<br />

Zusammenarbeit beschwor. Er schlug für die Konzerte jetzt die Formel „Konzerte der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit der NSG-‚Kraft durch Freude’“ vor, um zu dokumentieren, dass<br />

„endlich eine Gemeinschaftsarbeit“ entstanden sei, die die Kunst zum „Allgemeingut aller<br />

Volksgenossen“ mache und das <strong>im</strong>mer noch vorherrschende Vorurteil zerstöre, dass Kunst<br />

und Kultur nur besonderen Schichten zugute kämen. Kurz zuvor war bei S<strong>im</strong>mer ein<br />

Schreiben des DGT eingegangen, den die NSG KdF gebeten hatte, S<strong>im</strong>mer die vor-<br />

geschlagene Firmierung nahe zu legen. Dabei hatte die NSG KdF ausdrücklich festgestellt,<br />

dass die Zusammenarbeit mit der Stadt nichts zu wünschen übrig lasse. Der vorgeschlagene<br />

Zusatz wurde von S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Oktober schließlich „zugestanden“, doch dem DGT schrieb er<br />

Anfang November 1940, er habe sein Einverständnis wider seine eigene Einsicht gegeben.<br />

Deutlich gab S<strong>im</strong>mer seine Verärgerung zu erkennen, dass der DGT sich für die Interessen<br />

der NSG KdF und gegen die Kommune hatte einspannen lassen: Es habe ihn „befremdet“,<br />

dass der DGT sich dem Wunsch der NSG KdF angeschlossen habe, obwohl dies die eigene<br />

Vereinbarung des DGT für Städte mit Orchester nicht vorsehe. Eine Zusammenarbeit mit der<br />

NSG KdF existiere weder bei den Konzerten noch be<strong>im</strong> Theater. Beides blicke in <strong>Koblenz</strong><br />

auf eine über 150-jährige Tradition zurück. Warum man sich in der Verantwortung jetzt mit<br />

der NSG KdF teilen solle, „leuchtet mir nach wie vor nicht ein.“ 480<br />

Erst <strong>im</strong> Dezember 1941 enthüllte S<strong>im</strong>mer dem DGT die wahren Hintergründe seines<br />

Einlenkens gegenüber der NSG KdF, nachdem er sich bei einer Tagung über die mangelnde<br />

Unterstützung der städtischen Interessen beklagt hatte. S<strong>im</strong>mer berichtete von den<br />

unverblümten Drohungen der KdF-Gaudienststelle vom Vorjahr, die Berliner Reichs-<br />

dienststelle werde „in <strong>Koblenz</strong> solange die bekanntesten Kanonen Deutschlands“ auftreten<br />

479 StAK 623 Nr. 7202, S. 23-36, Zitate S. 29, 34.<br />

480 StAK 623 Nr. 7202, S. 171-174, 180-183, Zitate S. 171 f., 181, 183.


386<br />

lassen, „bis der Oberbürgermeister einsehen würde, wer der stärkste sei.“ Zeitgleich habe er<br />

durch den DGT die Aufforderung zur Einigung mit der NSG KdF in der Firmierungsfrage<br />

erhalten. Er habe sich daher in einer zu schwachen Position gefühlt und nachgegeben. Da<br />

jedoch inzwischen die städtischen Konzerte erfolgreich liefen und „sich die Gemüter<br />

beruhigt“ hätten, wolle er die Sache nicht neu aufrollen. 481 Den Kunstbeirat hatte S<strong>im</strong>mer<br />

schon <strong>im</strong> Januar 1941 ungeschminkt über die Androhung der NSG KdF informiert. Er habe<br />

deswegen deren weitere Nennung als Mitveranstalterin zugestanden, allerdings in kleinerem<br />

Schriftbild. Ein weiterer Grund habe in dem „politischen Moment“ gelegen, die NSG KdF<br />

nicht „in ein schiefes Licht zu bringen“, da sie künftig in <strong>Koblenz</strong> nur noch Varieté-<br />

veranstaltungen anbieten wolle – mit anderen Worten: S<strong>im</strong>mer verschaffte der NSG KdF<br />

einen kulturellen Deckmantel. <strong>Die</strong> Werbung der NSG KdF für die städtischen Konzerte<br />

verlief enttäuschend, denn sie hatte bis Januar 1941 erst einen einzigen Abonnenten<br />

vermittelt. 482<br />

<strong>Die</strong> NSG KdF ließ ihrerseits keinen Eingriff der Stadt in ihren Wirkungsbereich zu. Minter<br />

erhob <strong>im</strong> Dezember 1940 bei S<strong>im</strong>mer lebhaften Protest gegen ein Werbeplakat der Stadt, das<br />

Betriebsführer und Obmänner zu Gefolgschaftsabenden <strong>im</strong> Theater und Konzert an<strong>im</strong>ieren<br />

wollte. Minter vermutete eine „allzu eifrige Einstellung Ihrer Propagandaabteilung” und<br />

reklamierte die alleinige Zuständigkeit der DAF für Werbemaßnahmen in den Betrieben.<br />

Angeblich sei man „ohnehin bemüht […], unsere schaffenden Volksgenossen zum Theater<br />

und zu den Konzerten heranzuführen”. S<strong>im</strong>mer würdigte Minter keiner Antwort. 483<br />

Im Juli 1940 hatte S<strong>im</strong>mer die Beteiligung der Chöre der Liedertafel und des Männer-<br />

gesangvereins Rheinland bei den städtischen Konzerten angeregt und deswegen mit<br />

Sängerkreisführer Johann Pogatschnig, Strutz, Koslik und den beiden Vereinsvorsitzenden<br />

verhandelt. Aufgrund deren Klagen über die starke Beanspruchung ihrer Sänger durch die<br />

Partei und die Überschneidungen der Proben mit Parteiterminen versprach Cattepoel auf<br />

S<strong>im</strong>mers Bitte hin Abhilfe. Der Kreisleiter forderte die Ortsgruppenleiter in einem<br />

Rundschreiben auf, die Politischen Leiter <strong>im</strong> Interesse des von der Partei geförderten<br />

Kulturlebens für die Proben freizustellen. 484 <strong>Die</strong> Vergrößerung des Chores auf rund<br />

240 Mitglieder ermöglichte in der städtischen Konzertreihe nun Chorkonzerte, die, wie<br />

S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Januar 1941 zufrieden feststellte, sehr gut besucht wurden. Es sei gelungen, der<br />

Bevölkerung „gute Konzerterlebnisse zu vermitteln.“ 485<br />

481 StAK 623 Nr. 7202, S. 152-154, 162, Zitate S. 152 f.<br />

482 StAK 623 Nr. 6727, S. 150 f. Beispiel für den Veranstaltungshinweis: Rückblick auf die Städtischen<br />

Konzerte 1941/42; ebd. Nr. 6748, S. 119.<br />

483 StAK 623 Nr. 7202, S. 42 f.<br />

484 StAK 623 Nr. 7202, S. 24 f., 29-32.<br />

485 StAK 623 Nr. 6693, S. 203.


387<br />

Dass S<strong>im</strong>mer be<strong>im</strong> angestrebten „Konzerterlebnis“ nichts dem Zufall überließ, beweist seine<br />

detaillierte „<strong>Die</strong>nstanweisung für die Durchführung der städtischen Konzerte” vom 5. März<br />

1941, die er unter die Devise stellte: „Konzerte müssen jedoch ausnahmslos so ausgezeichnet<br />

sein, daß sie für die Bevölkerung jeweils ein Ereignis sind.” Als Solisten sollten nur „die<br />

besten Kräfte verpflichtet werden.” Minutiös waren Zuständigkeiten und Abläufe festgelegt.<br />

Der Musikdirektor war nicht nur musikalisch verantwortlich, sondern auch für die<br />

künstlerisch ansprechende Gestaltung des Bühnenbildes und die einheitliche Kleidung der<br />

Orchestermitglieder. Für die Ausschmückung von Bühne und Saal hatten Gartenamt und<br />

Bauverwaltung zu sorgen. Gemäß einer Absprache S<strong>im</strong>mers mit Cattepoel sollte dem<br />

Kreisleiter persönlich drei Wochen vorher jeder Konzerttermin mitgeteilt werden, damit<br />

er Überschneidungen mit Parteiterminen verhindern konnte. Der Geschäftsführer des<br />

Stadttheaters, Willi Glindemann, war gehalten, „jede nur mögliche Propaganda 486<br />

durchzuführen“, und zwar individuell, nicht schematisch. S<strong>im</strong>mer musste über den Einsatz<br />

der „Propagandamittel“ unterrichtet werden. Der Konzertsaal war bis auf den letzten Platz zu<br />

füllen. Zu diesem Zweck erhielt die Gefolgschaft der <strong>Stadtverwaltung</strong> Freikarten. Nach<br />

Chorkonzerten sollte Glindemann für die Chormitglieder ein „kameradschaftliches<br />

Beisammensein” vorbereiten. Nach allen Konzerten war S<strong>im</strong>mer über Besucherzahl,<br />

Einnahmen, künstlerisches Ergebnis, Pressest<strong>im</strong>men, Verbesserungsvorschläge etc. Bericht<br />

zu erstatten. 487 Über die Konzertwerbung gibt ein Ablaufplan „Propagandamassnahmen zum<br />

Konzert ‚Böhlke’ am 7. März 1941“ Auskunft. Es wurden u. a. 600 Plakate in <strong>Koblenz</strong> und<br />

Umgebung aufgehängt, Rundschreiben an Behörden und Großfirmen geschickt, 2.000<br />

Werbezettel verteilt und mehrere Presseartikel initiiert. <strong>Die</strong> städtische Gefolgschaft wurde<br />

zum regen Besuch aufgefordert, Smits gab 139 Freikarten aus. Trotzdem schloss auch dieses<br />

Konzert mit einem Fehlbetrag: die Veranstaltungen waren in aller Regel ein<br />

Zuschussgeschäft. 488<br />

Dass die NSG KdF nicht gewillt war, sich von der <strong>Stadtverwaltung</strong> in die Karten sehen zu<br />

lassen, zeigt die 1941 durch das Berliner Amt für Konzertwesen an den Städtischen<br />

Musikbeauftragten weitergeleitete Beschwerde eines Schwerkriegsbeschädigten. Er<br />

beanstandete, es käme bei der NSG KdF nur eine beschränkte Anzahl von ermäßigten<br />

Eintrittskarten zum Verkauf. Smits als Verwalter des vakanten Postens bat die KdF-<br />

Kreisdienststelle um Stellungnahme. <strong>Die</strong> schroff formulierte Antwort lautete, „dass wir uns<br />

486 Wittgen hatte den von der Intendanz gebrauchten Begriff „Propaganda“ 1934 noch in „Werbetätigkeit“<br />

abgeändert; StAK 623 Nr. 6287, S. 645. Zum Begriff „Propaganda“ <strong>im</strong> Unterschied zu „Agitation“ vgl.<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 7 (1942), S. 193, und<br />

H. 9 (1942), S. 241.<br />

487 StAK 623 Nr. 7202, S. 8-10, S. 45 f., Zitate S. 8, 10. Auch <strong>im</strong> Kunstbeirat wies S<strong>im</strong>mer am 7.5.1942 auf „die<br />

unbedingte Notwendigkeit guter Konzerte hin, die jeweils kulturell-festliche Ereignisse sein sollen.“ Ebd. Nr.<br />

6693, S. 218.<br />

488 StAK 623 Nr. 7202, S. 52 f., 56, Zitat S. 52. Generalmusikdirektor Erich Böhlke war von 1926 bis 1929 in<br />

<strong>Koblenz</strong> als Städtischer Musikdirektor und Kapellmeister engagiert gewesen; Schmidt: Musik-Institut, S. 263-<br />

269.


388<br />

an und für sich nicht veranlasst sehen, Ihnen […] Auskunft zu geben“, denn normalerweise<br />

höre man von der Reichskulturkammer direkt, <strong>im</strong> Übrigen gelte eine entsprechende<br />

Anordnung der Gaudienststelle. Smits gab diesen Wortlaut als Antwort nach Berlin weiter,<br />

wo der Fall Verhandlungen zwischen der Reichsdienststelle der NSG KdF, dem<br />

Reichspropagandaministerium und der Reichskulturkammer nach sich zog. Ergebnis war<br />

schließlich eine reichsweite Verfügung, wonach Schwerkriegsbeschädigten bei allen<br />

Veranstaltungen der NSG KdF eine Ermäßigung von 50 % zu gewähren war. Im November<br />

1941 konnte Smits dem Beschwerdeführer dieses befriedigende Resultat übermitteln. 489<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> Herbst 1940 mühsam erzielte Übereinkunft zur Zusammenarbeit mit der NSG KdF<br />

stand <strong>im</strong> Mai 1941 schon wieder in Frage. Minter behauptete, die Vereinbarung habe nur für<br />

das vergangene Jahr gegolten. Er kündigte wieder eigene Konzerte der NSG KdF an und<br />

bemäkelte, die Stadt präsentiere ein bereits fertiges Programm. Glindemann hatte für die<br />

abgelaufene Spielzeit 1940/41 Zahlenmaterial zusammengestellt. Das einige Jahre zuvor<br />

eingeführte verbilligte Anrecht K, das später der NSG KdF zur Verteilung übergeben wurde,<br />

hatte sich „sehr bewährt“. Dafür wurden insgesamt 10.423 Theaterkarten ausgegeben,<br />

während nur 874 Konzertkarten von der NSG KdF abgenommen wurden, die hauptsächlich<br />

Unterhaltungsstücke und -konzerte nachfragte. Besonders Operetten waren sehr beliebt,<br />

woraus Glindemann kritisch schloss: „Es fehlt u. E. die notwendige Propaganda in<br />

kulturpolitischer Hinsicht.“ Als S<strong>im</strong>mer Mitte Juni DAF-Gauobmann Dörner wegen Minters<br />

Ankündigungen einschaltete, unterbreitete er ihm auch Glindemanns Zahlen. <strong>Die</strong> Stadt<br />

firmiere <strong>im</strong>mer noch zusammen mit der NSG KdF, was einer sachlichen Grundlage entbehre<br />

und in Frage stehe, wenn sie jetzt ein „Konkurrenzunternehmen“ aufmache. 490<br />

Im Juli 1941 vereinbarten S<strong>im</strong>mer, Dörner und Minter, dass die Stadt alleinige Trägerin der<br />

Konzerte bleiben solle, aber mit der NSG KdF in Bezug auf Programmgestaltung und<br />

Werbung zusammenarbeite. Minter sollte neben dem bisherigen Mitglied Dörner in den<br />

Beirat für Kunst und Wissenschaften berufen werden, um so die gemeinsame Programm-<br />

aufstellung zu gewährleisten. <strong>Die</strong> Firmierung sollte unverändert und ohne Unterschiede in der<br />

Schriftgröße „Konzerte der Stadt <strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit der NS-Gemeinschaft K.d.F.“<br />

lauten. Erstmals nahm Minter an der Beiratssitzung vom 8. August teil, in der die<br />

Zusammenarbeit zwischen Stadt und NSG KdF erneut bekräftigt wurde. Zu den<br />

Werbemaßnahmen wurde protokolliert, dass die NSG KdF sich „mehr als bisher“ für den<br />

Konzertbesuch einsetze. 491<br />

Doch die Kartenabnahme durch die NSG KdF blieb <strong>im</strong> Konzertwinter 1941/42<br />

unbefriedigend. Als Smits <strong>im</strong> Februar 1942 bei Minter um Klärung der von dort behaupteten<br />

489 StAK 623 Nr. 6271, S. 699-711, Zitat S. 705.<br />

490 StAK 623 Nr. 7202, S. 65-68, 176-178, Zitate S. 67, 178.<br />

491 StAK 623 Nr. 6693, S. 183-187, Zitate S. 186 f.; ebd. Nr. 6727, S. 171 f.; ebd. 7202, S. 83, 163 f.


389<br />

weit höheren Abnahmezahlen bat, erntete er die barsche Antwort: „Er lasse sich nicht<br />

bespitzeln”, sowie die erneute Drohung, die NSG KdF werde wieder eine eigene<br />

Konzerttätigkeit aufnehmen. Laut Glindemann bestellte die NSG KdF zwar Karten, gab das<br />

Gros aber <strong>im</strong> letzten Moment unverkauft zurück, das dann binnen 24 Stunden noch vom<br />

Stadttheater verkauft werden sollte. Glindemanns Fazit war: „<strong>Die</strong>se Zustände sind<br />

unmöglich.” 492 Im März stellte sich heraus, dass die NSG KdF drei Konzerte ohne Absprache<br />

mit der Stadt gebucht hatte. Zwar versicherte Minter S<strong>im</strong>mer langatmig das Interesse an einer<br />

guten Zusammenarbeit, stellte die Stadt aber vor vollendete Tatsachen, die er mit Zuschüssen<br />

des KdF-Reichsamtes und der Attraktivität des Programms schmackhaft zu machen<br />

versuchte. Wohl oder übel spielte S<strong>im</strong>mer mit und überließ seinem neuen Musikbeauftragten<br />

Dr. Wilhelm Schmidt-Scherf die weiteren Verhandlungen. Süffisant stellte Minter am<br />

20. April 1942 gegenüber S<strong>im</strong>mer fest: „Damit steht einer erspriesslichen Zusammenarbeit<br />

kein Hindernis mehr <strong>im</strong> Wege […]”. 493<br />

Dr. Wilhelm Schmidt-Scherf, der nach dem Weggang Kosliks 494 seit August 1941 amtierende<br />

neue Musikdirektor des Musik-Instituts und Kapellmeister des Stadttheaters, war als Dr. phil.,<br />

Opernsänger, Pianist, Dirigent, Gesangspädagoge, Graphologe 495 und angehender Dr. med.<br />

eine „vielseitige und bemerkenswerte Persönlichkeit“. 496 Auch Perizonius vom Reichs-<br />

propagandaamt hatte sich von dem Multitalent stark beeindruckt gezeigt und ihn als „ideale<br />

Lösung“ bezeichnet. 497 Seine Bestätigung durch das Reichspropagandaministerium ließ bis<br />

März 1942 auf sich warten, weil das von dort geforderte Einverständnis Cattepoels noch<br />

fehlte. 498 Im Spruchkammerverfahren Fuhlrotts schrieb Schmidt-Scherf 1948, er sei<br />

„halbarischer“ Abstammung gewesen und 1933 deswegen von der Kölner Oper entlassen<br />

worden. Er habe in <strong>Koblenz</strong> sofort Fuhlrott als Ortsgruppenleiter informiert, später habe der<br />

SD von S<strong>im</strong>mer seine Entlassung gefordert. 499<br />

492 StAK 623 Nr. 7202, S. 136-150, Zitate S. 139, 141.<br />

493 StAK 623 Nr. 7202, S. 91 f., 94-96, 118-130, Zitat S. 91. Verpflichtet wurden das Reichssymphonieorchester,<br />

Walter Ludwig und das Schneiderhan-Quartett. Vgl. ebd. Nr. 6693, S. 265, 268; ebd. Nr. 6295, S. 167-170.<br />

494 Kosliks künstlerische Leistungen waren schon seit Ende 1938 sehr umstritten gewesen; StAK 623 Nr. 7032,<br />

S. 255-303; ebd. Nr. 6726, S. 734; ebd. Nr. 6727, S. 34, 41, 66, 83 f., 100 f., 164-166.<br />

495 Schmidt-Scherf fiel die Handschrift der Bewerberin Anneliese Rothenberger auf. Er fand sie so interessant,<br />

dass er Intendant Kämmel zu einer Einladung bewog, obwohl ihr Fach bereits besetzt war. Rothenberger konnte<br />

be<strong>im</strong> Vorsingen überzeugen und bekam in <strong>Koblenz</strong> das erste Soloengagement ihrer internationalen Karriere.<br />

Bockius: 1787-1987, S. 183.<br />

496 * 13.3.1904 Dortmund, + 7.11.1990 Stuttgart, ledig, 1940 NSDAP-Mitglied, Mitglied Reichstheaterkammer<br />

und Reichsmusikkammer; Dissertation: Beiträge zur Psychologie der St<strong>im</strong>mpädagogik (Neue Deutsche<br />

Forschungen 8), Berlin 1940. StAK 623 Nr. 7032, S. 296 f., 385 (Zitat), 403 f., 398-433; Schmidt: Musik-<br />

Institut, S. 288 f. Schmidt-Scherf hatte sich <strong>im</strong> Januar 1941 mit einem Auftritt als Gastdirigent empfohlen.<br />

497 StAK 623 Nr. 8592, S. 102.<br />

498 BArch R 55/21751; StAK 623 Nr. 7032, S. 396-402, 419-433.<br />

499 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Schmidt-Scherf vom 20.9.1948. Nachdem Schmidt-Scherf sich<br />

bereit gezeigt hatte, sich für Fuhlrott einzusetzen, war er selbst von Schauspieler Fritz Gerson als „Nazi“<br />

denunziert worden. Er schrieb Fuhlrott, ihn widere das so „unbeschreiblich“ an, dass er ihm erst helfen könne,<br />

wenn diese „Schweinerei“ aus der Welt sei. Ebd., Schmidt-Scherf vom 6.11.1948. Schmidt-Scherfs Angaben zu<br />

den Vorgängen in Köln ließen sich durch den Einsturz des dortigen Stadtarchivs nicht nachprüfen.


390<br />

Nach seiner Bestätigung durch Berlin übernahm Schmidt-Scherf zusätzlich das nach seinen<br />

eigenen Worten „saure Amt […], als Musikbeauftragter der Stadt sowie des Amtes für<br />

Konzertwesen und der Reichsmusikkammer die in <strong>Koblenz</strong> stattfindenden kulturellen, zumal<br />

musikalischen Veranstaltungen unter einen Hut zu bringen.“ Schmidt-Scherf mangelte es<br />

dabei weder an Selbstbewusstsein noch an Durchsetzungswillen. In Kreisleiter Cattepoel fand<br />

er einen Verbündeten. Schon <strong>im</strong> März sprach er ihn auf die zu niedrige Kartenabnahme durch<br />

die NSG KdF und deren von Glindemann monierten Methoden an. Er bat Cattepoel um eine<br />

engere Zusammenarbeit mit dem Kreispropagandaring, da es zu viele Terminüber-<br />

schneidungen gebe. <strong>Die</strong> Wehrmacht melde ihre Veranstaltungen gar nicht an, und die<br />

NSG KdF sei mit ihren Bunten Abenden sehr aktiv. Schmidt-Scherf und Cattepoel<br />

vereinbarten eine monatliche Besprechung in der Kreispropagandaleitung mit Vertretern von<br />

Partei, Theater, Kunstkreis, NSG KdF und Wehrmacht. Bereits be<strong>im</strong> ersten Termin <strong>im</strong> April<br />

1942 musste Schmidt-Scherf auffallend viele Überschneidungen zwischen Theater und<br />

NSG KdF feststellen, obwohl die Theatertermine der Kreisleitung schon lange bekannt waren.<br />

Dass er nicht bereit war, dies hinzunehmen, zeigt sein Brief an die NSG KdF vom Mai 1942,<br />

worin er sie auf einen „Formfehler“ in ihrem letztem Schreiben aufmerksam machte, das<br />

lediglich eine „Mitteilung“ über Termine und keine entsprechende „Anfrage“ enthalten habe.<br />

Dann seien der Musikbeauftragte und der neue Arbeitsausschuss sinnlos. Als Schmidt-Scherf<br />

<strong>im</strong> August in der Presse 500 verlauten ließ, dass Musikveranstaltungen bei ihm als<br />

Musikbeauftragtem anzumelden seien, kam es zum Eklat. Noch am Erscheinungstag<br />

attackierte ihn Kreispropagandaleiter Karl („Carl“) Klos 501 heftig wegen der angeblich<br />

irreführenden Zeitungsnotiz. Klos erklärte Schmidt-Scherf „heute nochmals, dass Termine<br />

n u r vom Kreispropagandaamt genehmigt werden.“ Tatsächlich bestand lediglich eine<br />

Anmeldepflicht 502 . Schmidt-Scherf überging Klos und wandte sich direkt an Cattepoel. In<br />

verbindlichem Ton setzte er ihm die Sachlage auseinander. Er betonte, ihm sei an einer guten<br />

Zusammenarbeit gelegen, wobei die Angelegenheit jetzt den „Charakter einer Kompetenz-<br />

frage“ bekomme. Cattepoel war seinen Argumenten offenbar zugänglich und verfiel auf eine<br />

Lösung, die <strong>im</strong> ersten Moment skurril anmutet, sich aber als wirkungsvoll erwies. Er stärkte<br />

Schmidt-Scherfs Position, indem er ihn <strong>im</strong> Oktober 1942 mit dem zusätzlichen Titel eines<br />

Kreisbeauftragten der NSDAP für Musikangelegenheiten ausstattete. Schmidt-Scherf<br />

kündigte dem Kreisleiter daraufhin eine ausführliche Aussprache mit Klos an. <strong>Die</strong>ses<br />

Parteiamt bereicherte die örtliche Polykratie – wenn auch in Personalunion – zwar um einen<br />

weiteren Akteur, verschaffte Schmidt-Scherf aber offenbar gegenüber den Parteifunktionären<br />

500<br />

NB, 22./23.8.1942: Anmeldung von Musikveranstaltungen; KGA, 22./23.8.1942: Musikveranstaltungen sind<br />

anzumelden!<br />

501<br />

* 27.11.1902 Ehrenbreitstein (heute <strong>Koblenz</strong>), + 24.5.1960 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet, Gründer und<br />

Eigentümer der Rhenus-Mosella-Druckerei; BArch NS 18/989, Bl. 5; StAK Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde<br />

Nr. 687/1960; http://www.rhemo-druck.de/html/historie.html, Zugriff am 10.11.2010.<br />

502<br />

StAK 623 Nr. 7193, S. 52.


391<br />

größeren Respekt. Im Januar und Oktober 1943 wurde nämlich vermerkt, es gäbe keine<br />

Probleme mehr. 503 Schmidt-Scherf setzte den Titel ein, so oft es ihm opportun erschien. 504<br />

KdF-Gauwart Minter achtete derweil peinlich genau darauf, dass die Stadt ihren Part der <strong>im</strong><br />

Juli 1941 getroffenen Vereinbarungen einhielt. Im September 1942 beschwerte er sich bei<br />

S<strong>im</strong>mer, die Zeile „in Verbindung mit der NSG-Kraft durch Freude” sei zu winzig<br />

gedruckt. 505 <strong>Die</strong> vereinbarte Formulierung blieb bis zu den letzten überlieferten<br />

Programmheften von 1943/44 bestehen, wobei das Schriftbild dieser Zeile etwas kleiner<br />

ausfiel. <strong>Die</strong> Kartenabnahme durch die NSG KdF steigerte sich nicht, <strong>im</strong> Gegenteil. <strong>Die</strong><br />

Einnahmen durch die NSG KdF von 2.469 RM machten <strong>im</strong> Rechnungsjahr 1941/42 an den<br />

Gesamteinnahmen des städtischen Orchesters aus Konzerten magere 12,6 % aus. 1942/43 fiel<br />

der Anteil auf 2.211 RM bzw. 7,5 % bei insgesamt steigenden Einnahmen. 506<br />

Als das Reichspropagandaamt <strong>im</strong> Januar 1942 nach einer Weisung Goebbels’ bei den<br />

Konzerten „Beschwingte Musik“ den Zusatz „Volkskonzerte der NSDAP“ verlangte, nahm<br />

Schmidt-Scherf ohne Widerspruch Kenntnis, doch S<strong>im</strong>mer lehnte den Untertitel ab. Der von<br />

ihm eingeschaltete DGT gab ihm <strong>im</strong> März Recht, die Bezeichnung sei nur dort aufzunehmen,<br />

wo die Partei die Konzerte auch ideell oder materiell unterstütze. Ohnehin hatte in der<br />

Spielzeit 1942/43 nur am 29. Oktober ein solches Konzert stattgefunden, bei dem die<br />

NSG KdF nur 43 und die Kreisleitung erst auf Betreiben der Theaterleitung 100 Karten<br />

abgenommen hatte. 507 Im Stil der „Volkskonzerte“ initiierte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Juni 1942<br />

gelegentliche „Gartenkonzerte“ <strong>im</strong> Stadthallengarten und in den Rheinanlagen, die großen<br />

Anklang fanden. 508<br />

Welch strengen künstlerischen Maßstab Schmidt-Scherf anlegte, beweist sein Versuch, als<br />

Musikbeauftragter sogar Kirchenkonzerte zu verhindern, wenn sie den aufgeführten Werken<br />

nicht gerecht werden würden. Als S<strong>im</strong>mer eine Einladung zur Aufführung der Matthäus-<br />

Passion am Karfreitag 1942 in der Florinskirche erhielt, wies Schmidt-Scherf den Organisten<br />

darauf hin, dass das Konzert nicht ordnungsgemäß angemeldet sei. Dessen Verteidigung<br />

lautete, es handele sich nur um ein Kirchenkonzert. Auf die gleichzeitige Ankündigung, <strong>im</strong><br />

503<br />

StAK 623 Nr. 7032, S. 448-473, Zitate S. 448, 458 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original), 463 (Unterstreichung<br />

und Sperrung <strong>im</strong> Original), 465; ebd. Nr. 8336, S. 216; ebd. Nr. 8603, S. 20. <strong>Die</strong> von Gotto beschriebene wenig<br />

erfolgreiche Tätigkeit der Augsburger Musikbeauftragten widerspricht seiner gleichzeitig aufgestellten<br />

Behauptung, „die Einrichtung des Musikbeauftragten“ sei eine „wirksame Strategie der Kommunen [gewesen],<br />

wie der Polykratie <strong>im</strong> Verwaltungsalltag ansatzweise begegnet werden konnte.“ Gotto: Nationalsozialistische<br />

Kommunalpolitik, S. 154-157, Zitate S. 157.<br />

504<br />

Beispiel: Am 15.10.1942 unterzeichnete Schmidt-Scherf eine Beschwerde an eine Leipziger Musikzeitschrift<br />

als „Städtischer Musikbeauftragter“ und „Kreismusikbeauftrager der NSDAP“; StAK 623 Nr. 8601, S. 1 f.<br />

505<br />

StAK 623 Nr. 7202, S. 104 f.; vgl. Programmzettel ebd., S. 106, 114.<br />

506<br />

StAK 623 Nr. 7126, S. 12, 29, 64.<br />

507<br />

StAK 623 Nr. 6295, S. 173 f.; ebd. Nr. 6810, S. 149-167; ebd. Nr. 8274, S. 112-115; NB, 31.10./1.11.1942:<br />

Abend beschwingter Musik.<br />

508 StAK 623 Nr. 8592, S. 58.


392<br />

Winter eine Bach-Passion und eine Beethoven-Messe aufführen zu wollen, schaltete Schmidt-<br />

Scherf Oberbürgermeister, Kreisleiter und Reichspropagandaamt zur Prüfung eines Verbots<br />

ein, da künstlerisch nur ein „Zerrbild“ entstehen könne. Dabei ließ Schmidt-Scherf einfließen,<br />

dass der Gauleiter ihm „anlässlich einer grundsätzlichen Aussprache über diese Frage“<br />

mitgeteilt habe, dass Aufführungen solcher religiösen Werke „unerwünscht“ seien.<br />

Kreispropagandaleiter Klos teilte <strong>im</strong> Mai 1942 aber mit, bei nicht-öffentlichen Kirchenkonzerten<br />

gebe es rechtlich keine Handhabe. 509<br />

Als Musikdirektor des Musik-Instituts scheiterte Schmidt-Scherf <strong>im</strong> Frühjahr 1942 mit<br />

seinem Vorhaben, Carl Orffs „Carmina Burana“ aufzuführen. Erst blieben Chormitglieder<br />

den Proben fern, weil sich das Stück gegen die Kirche richte. Dann beschwerten sich<br />

Volksgenossen bei der Kreisleitung, es sei unpassend, dass die Königin von England<br />

vorkomme, und kündigten Störungen der Aufführung an. Daraufhin schickte Schmidt-Scherf<br />

Urmes das Textheft. Der Gaupropagandaleiter störte sich weniger an der fiktiven Königin als<br />

an dem Auftritt der Soldaten, die mit Trunkenbolden und Überläufern in Verbindung gebracht<br />

würden. <strong>Die</strong>ser Meinung schloss sich S<strong>im</strong>mer an, worauf Schmidt-Scherf das Stück absetzte.<br />

Bedauernd und entschuldigend teilte er Orff mit, eine Aufführung mache unter diesen<br />

Umständen keinen Sinn. <strong>Die</strong> Ursachen lägen in „Kleinbürgerlichkeit“ und momentaner<br />

„Überreizung“. 510 Schmidt-Scherf war aber durchaus zu Konzessionen bereit, wenn es um die<br />

Anpassung eines Stücks an die Zeitumstände ging. Als die Reichsmusikkammer die<br />

Aufführung von Robert Schumanns Chorkonzert „Das Paradies und die Peri“ untersagte, weil<br />

Angehörige von Gefallenen sich verletzt gefühlt hatten, stellte Schmidt-Scherf <strong>im</strong> November<br />

1942 zusammen mit Max Gebhard, dem Direktor der Nürnberger Landesmusikschule, die<br />

Handlungsfolge um. <strong>Die</strong>ses neue Arrangement wurde genehmigt. Dass Peri jetzt Erlösung<br />

durch den letzten Blutstropfen eines gefallenen Jünglings statt wie vorher durch die<br />

Reuetränen eines Verbrechers fand, gefiel ausgerechnet dem Nationalblatt nicht ganz. Das<br />

Stück sei jetzt zwar „rein äußerlich zeitnäher“, aber künstlerisch sei ein solches Vorgehen<br />

fragwürdig. 511<br />

6.3.4 Stadttheater<br />

Das 1787 eröffnete Theater war erst seit 1. August 1920 als „Stadttheater“ eine städtische<br />

Institution. 512 Mit der Vertretung des zwangsbeurlaubten Intendanten Schoenfeld beauftragte<br />

Wittgen am 17. März 1933 den Regisseur und Schauspieler Josef Kögel. Der Alte Kämpfer,<br />

509 StAK 623 Nr. 8336, S. 14-25, Zitate S. 16. Bei einem nicht angemeldeten Konzert des Ortsverbandes des<br />

Richard-Wagner-Verbandes Deutscher Frauen e. V. <strong>im</strong> Januar 1943 musste die Werbung an Nicht-Mitglieder<br />

auf Verlangen S<strong>im</strong>mers und Schmidt-Scherfs ebenfalls eingestellt werden; ebd. Nr. 6810, S. 232 f.<br />

510 OZM, AK, Schmidt-Scherf vom 3.5.1942 (Zitate); StAK 623 Nr. 8592, S. 59; Michael H. Kater: Carl Orff <strong>im</strong><br />

Dritten Reich. In: VfZ 43 (1995), S. 1-35, hier S. 13 Anm. 59. <strong>Die</strong> Verfasserin dankt Frau Sabine Fröhlich M.A.<br />

vom OZM für ihre freundliche Unterstützung.<br />

511 StAK 623 Nr. 6696, S. 273; ebd. Nr. 8274, S. 43-48; NB, 19.2.1943: „Das Paradies der Peri“ (Zitat).<br />

512 Bockius: 1787-1987, S. 140.


393<br />

Parte<strong>im</strong>itglied seit 1930, räumte in der Theaterzeitung etwaige Befürchtungen des Publikums<br />

aus, es entstehe in <strong>Koblenz</strong> eine „reine Tendenzbühne“. Kögel behauptete, Kunst sei<br />

„unpolitisch“, und versicherte gleichzeitig, die deutsche Bühne habe es nicht nötig, „auf<br />

minderwertigen, ausländischen oder undeutschen Kram zurückzugreifen“. Wenig später<br />

brachte das Stadttheater in der Inszenierung Kögels das Schauspiel „Schlageter“ von Hanns<br />

Johst 513 heraus. Doch Kögel bereitete bald unerwartete Schwierigkeiten. Als seine<br />

Vertretungstätigkeit am 30. April für beendet erklärt wurde und er damit Karrierehoffnungen<br />

begraben sah, richtete er zwei Eingaben an das preußische Innenministerium. Er befürchte<br />

nach seiner leitenden Tätigkeit Unannehmlichkeiten unter einem neuen Intendanten. Wittgen<br />

und Christ verübelten ihm die Schreiben. Nur seinem Altkämpferstatus hatte Kögel nach einer<br />

Verwarnung die Verlängerung seines Engagements zu verdanken. 514<br />

Einst<strong>im</strong>mig wählte der Theaterausschuss – noch bestehend aus Mitgliedern der Fraktionen<br />

von NSDAP, Zentrum und Deutschem Block – am 20. Mai 1933 Dr. Hans Press zum neuen<br />

Intendanten. 515 Trotz vollmundiger Ankündigungen von Wittgen und Press zur Wiedergeburt<br />

des deutschen Theaters und seiner Aufgabe <strong>im</strong> nationalen Aufbauwerk blieb der Spielplan der<br />

ersten Spielzeit 1933/34, die mit Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“ eröffnet<br />

wurde, noch bunt und frei von Tendenzstücken. Vor einer „stärkere[n] Bevorzugung der<br />

Oper“ hatte Gauleiter S<strong>im</strong>on <strong>im</strong> Juni aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eindringlich<br />

gewarnt. Press setzte – mit der jetzt obligaten Genehmigung des Reichsdramaturgen – sogar<br />

zwei Komödien der jüdischen Autoren Franz Arnold und Leo Lenz sowie zwei Operetten des<br />

jüdischen Komponisten Jacques Offenbach auf den Spielplan. Auf Nachfragen von<br />

Ausschussmitgliedern erklärte Press, auf Werke ausländischer oder jüdischer Künstler könne<br />

nicht verzichtet werden, da noch kein gleichwertiger Ersatz vorhanden sei. Selbst die<br />

Spielplanzensur des Reichsdramaturgen verfolgte keine konsequente Linie. In der Spielzeit<br />

1934/35 durfte ein Stück von Leo Lenz gegeben werden, während die Operette „<strong>Die</strong> goldene<br />

Meisterin“ vom Spielplan gestrichen wurde, weil deren Komponist Edmund Eysler Jude war.<br />

Wahrscheinlich aus Kostengründen wurde mit „Tannhäuser“ in dieser Spielzeit bis<br />

Kriegsende das einzige Mal eine Wagner-Oper ins Programm genommen. 516<br />

Für Unterstützungsempfänger des Wohlfahrtsamtes wurden 1933 <strong>im</strong> Turnus von zwei<br />

Wochen Freivorstellungen eingeführt, die jahrelang fortgeführt und aus der privaten Bucher-<br />

Stiftung finanziert wurden. 517 <strong>Die</strong> Ortsgruppe Mittelrhein des „Kampfbundes für deutsche<br />

Kultur“ nahm <strong>im</strong> Oktober 1933 zwar eine Sondervorstellung ab, blieb aber bedeutungslos.<br />

513 StAK ZGD 591, Programmzettel.<br />

514 StAK 623 Nr. 6875, S. 634, 640-650; Bockius: 1787-1987, S. 161 (Zitate).<br />

515 StAK 623 Nr. 6726, S. 482-484.<br />

516 StAK 623 Nr. 6726, S. 515 (Zitat), 556 f., 571; Heinz-Rüdiger Spenlen: Theater in Aachen, Köln, Bonn und<br />

<strong>Koblenz</strong> 1931 bis 1944. Bonn 1984, S. 59 f., 66-68, 83 f., 90 f.<br />

517 StAK 623 Nr. 6726, S. 547; ebd. Nr. 7052, S. 411, 530; NB, 14.11.1933: Freivorstellung für Erwerbslose <strong>im</strong><br />

Stadttheater <strong>Koblenz</strong>; NB, 30.11.1933: Freivorstellung für Unterstützungsempfänger <strong>im</strong> Stadttheater. Zur<br />

Stiftung des Stadtrats Peter Josef Maria Bucher (1844-1914) vgl. StAK 623 Nr. 7052, S. 551.


394<br />

Auch die Hoffnungen, die Stadttheater und Theaterausschuss in die Besucherorganisation<br />

„Deutsche Bühne“ setzten, wurden enttäuscht. Trotz intensiver Werbung, auch über die<br />

NSBO, stieg die Mitgliederzahl der <strong>Koblenz</strong>er Ortsgruppe unter der Führung von Studienrat<br />

Richard Rang nicht über 91. Anfang 1934 bedauerte der Theaterausschuss, dass die Deutsche<br />

Bühne die Erwartungen nicht erfüllt habe. 518<br />

Am 2. März 1934 trat der Theaterausschuss unter Wittgens Vorsitz angesichts der städtischen<br />

Finanzlage zu einer Krisensitzung zusammen, zu der man auch Vertreter der NSG KdF<br />

eingeladen hatte. Für die Regierung nahm Regierungsrat Jesko von Puttkamer teil. <strong>Die</strong><br />

Beratungen drehten sich um die völlige Schließung des Theaters oder den Verzicht auf die<br />

kostenintensiven Musikaufführungen. Wittgen verwies darauf, dass Gauleiter S<strong>im</strong>on ihm<br />

erklärt habe, <strong>im</strong> Dritten Reich dürfe kein Theater geschlossen werden – in Trier hatte sich die<br />

Partei 1933 nachdrücklich für die Wiedereinrichtung eines Drei-Sparten-Hauses eingesetzt.<br />

<strong>Die</strong> Gauleitung werde nach S<strong>im</strong>ons Meinung nicht genügend eingeschaltet, und es werde zu<br />

wenig Werbung betrieben. Beides wies der Ausschuss zurück. Angesichts der finanziellen<br />

Lage schien ein eingeschränkter Spielbetrieb unausweichlich. Wittgen erklärte sich bereit,<br />

einen Zuschuss von höchstens 90.000 RM zu bewilligen. In der nächsten Sitzung berichtete<br />

Wittgen, S<strong>im</strong>on habe ihn „beauftragt“, das Stadttheater unverändert fortzuführen. Wittgen<br />

hatte daraufhin Regierungspräsident Turner von der „Anordnung des Staatsrats S<strong>im</strong>on“<br />

unterrichtet und auf die Notwendigkeit staatlicher Zuschüsse hingewiesen, die schließlich in<br />

Höhe von 45.000 RM bewilligt wurden. 519<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> Sommer 1934 durch die Vereinigung von Deutscher Bühne und Kampfbund für<br />

deutsche Kultur entstandene neue Besucherorganisation „NS-Kulturgemeinde“ beantragte<br />

1935 eine eigene Anrechtsgruppe, für die sie eine zehnprozentige Verwaltungsgebühr<br />

verlangte. Der Theaterausschuss lehnte dies <strong>im</strong> Juli ab, st<strong>im</strong>mte aber dem Verkauf verbilligter<br />

Restkarten für den „Volksring“ der NSKG zu, die sie nach einem eigenen, nach Einkommen<br />

gestaffelten System absetzen wollte. Doch auch die NSKG erfüllte die in sie gesetzten<br />

Erwartungen nicht. Wie in anderen Städten 520 schadete sie finanziell mehr, als sie nutzte. Im<br />

Juni 1936 vertrat Geschäftsführer Glindemann gegenüber Theaterdezernent Binhold die<br />

Ansicht, die NSKG könne nicht als eine Besucherorganisation, sondern nur als eine<br />

„Kunstgemeinde“ angesehen werden. Sie vertreibe die verbilligten Karten nur an einen<br />

kleinen Mitgliederkreis, während man bei der Preiskalkulation von Publikumsmassen<br />

ausgegangen sei. Außerdem frage die NSKG hauptsächlich Stücke nach, die sowieso<br />

„Kassenzugstücke“ seien. Eine Steigerung des Kartenabsatzes erhoffte sich der Beirat für<br />

Kunst und Wissenschaften von der NSG KdF, die 1937 die Rechtsnachfolge der NSKG<br />

518 StAK 623 Nr. 6287, S. 621, 623 f., 631-639, 645; ebd. Nr. 6726, S. 526, 528 f.<br />

519 StAK 623 Nr. 6726, S. 480-599, Zitate S. 515, 583; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 221 f.<br />

520 Spenlen: Theater, S. 101; Schmidt: Gelsenkirchener Kulturverwaltung, S. 124 f.


395<br />

antrat. Landesleiter Alfred Witte erhielt deshalb ab August 1936 Einladungen zu den<br />

Beiratssitzungen, obwohl er formell kein Mitglied war. 521<br />

<strong>Die</strong> Spielzeit wurde erstmals 1935/36 von sieben auf achteinhalb Monate verlängert. Damit<br />

entsprach Wittgen einem Wunsch des Präsidenten der Reichstheaterkammer, Ministerialrat<br />

Otto Laubinger, den er anlässlich eines Besuchs am 22. Januar 1935 zur besseren<br />

wirtschaftlichen Versorgung der Bühnenangehörigen geäußerte hatte. 522 Eine der<br />

erfolgreichsten Operetten der Saison, „<strong>Die</strong> Tanzgräfin“ von Robert Stolz, vom Nationalblatt<br />

lobend als „gehaltvolle Aufführung“ besprochen, wurde von der NSKG nicht abgenommen.<br />

<strong>Die</strong> Intendanz vermutete als Grund die jüdische Herkunft der beiden Librettisten, konnte<br />

die Ablehnung aber angesichts des ausgezeichneten finanziellen Ergebnisses leicht<br />

verschmerzen. 523 Durch „volkstümliche Opern und Operetten“ und größte Kraftan-<br />

strengungen gelang es Intendant Press in der Spielzeit 1936/37, Einnahmen und<br />

Besucherzahlen erheblich zu steigern. <strong>Stadtverwaltung</strong> und Intendanz hatten bei der<br />

Spielplangestaltung den Schwerpunkt auf attraktive Musikstücke verlagert. Press betonte<br />

gegenüber dem Kunstbeirat, er müsse aber auch die weniger beliebten „Stücke von<br />

kulturellem Wert“ auf die Bühne bringen. 524 Damit reagierte Press auf die Kritik an der<br />

städtischen Kulturpolitik, die die Parteipresse angesichts der angeblich oberflächlichen und<br />

undeutschen Operetten verschiedentlich geäußert hatte. Doch die seit der Spielzeit 1934/35<br />

regelmäßig vertretenen zeitgenössischen Tendenzstücke, die das Führertum, das idyllische<br />

Landleben, um ihr Deutschtum ringende Völker oder die ruhmreiche preußische Geschichte<br />

verherrlichten, fanden nur wenig Zuspruch be<strong>im</strong> Publikum, das harmlose Unterhaltungsstücke<br />

deutlich bevorzugte. 525 Um Rückschlüsse auf die St<strong>im</strong>mung in der Bevölkerung aus den<br />

Reaktionen der Theaterbesucher auf den „politischen Ideengehalt” der Stücke ziehen zu<br />

können, bat die Gestapo Wittgen <strong>im</strong> September 1936 um zwei Freiplätze. Doch Wittgen<br />

startete zunächst eine Umfrage in anderen Städten, die bis auf Köln die Abgabe von<br />

Freikarten verneinten. Seine Antwort an die Gestapo fiel fast ironisch aus: In Fällen, in denen<br />

„ausnahmsweise […] St<strong>im</strong>mungsausbrüche zu erwarten“ seien, könne auf Anfrage eine Karte<br />

überlassen werden. 526<br />

Als Ende Januar 1937 die Vertragsverlängerung von Press auf der Tagesordnung stand,<br />

verwies Binhold auf die günstige Einnahmenentwicklung und die gestiegene Auslastung der<br />

521<br />

StAK 623 Nr. 6287, S. 647, 649, 653 f., Zitate S. 653; ebd. Nr. 6726, S. 600, 653, 671, 684.<br />

522<br />

StAK 623 Nr. 6289, S. 88, 95.<br />

523<br />

StAK 623 Nr. 8300, S. 85; NB, 18.10.1935: <strong>Die</strong> Tanzgräfin (Zitat); Spenlen: Theater, S. 97 f. <strong>Die</strong> Librettisten<br />

waren Robert Bodansky (gestorben 1923 Berlin) und Leopold Jacobson (gestorben 1942 Theresienstadt).<br />

524<br />

StAK 623 Nr. 6726, S. 706 f.<br />

525<br />

Spenlen: Theater, S. 76 f., 84, 98, 112 f. In der Spielzeit 1936/37 wurde z. B. Karl Bunjes Komödie „Der<br />

Etappenhase“ zwanzigmal aufgeführt.<br />

526<br />

StAK 623 Nr. 6294, S. 981-990, Zitate S. 981 f. Auch die Bitte der SA-Gruppe Westmark um eine kostenlose<br />

Dauerkarte für das neue Referat für Weltanschauung und Kultur, Presse und Propaganda, wurde <strong>im</strong> April 1937<br />

abgelehnt; ebd., S. 958 f. Zur Überwachung der Theater <strong>im</strong> SD-Abschnitt <strong>Koblenz</strong> vgl. LHAKo Best. 662,6 Nr.<br />

345, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 271-275, hier S. 272 f.


396<br />

Plätze. Doch die Kunstbeiratsmitglieder Gaupropagandaleiter Wilhelm Michels,<br />

Gaupersonalamtsleiter Wilhelm Koenig und NB-Kulturschriftleiter Dr. Kurt Varges<br />

monierten, dass Press „das notwendige nationalsozialistische Fingerspitzengefühl fehle“. Sie<br />

verwiesen darauf, dass er für den 30. Januar ursprünglich Richard Strauss’ „Rosenkavalier“,<br />

das Stück eines jüdischen Librettisten (nämlich Hugo von Hoffmansthal), 527 angesetzt hatte.<br />

In einer Komödie sei die Volkszeitung als Requisit zu sehen gewesen und Schauspieler hätten<br />

wiederholt den Deutschen Gruß verweigert. Angesichts dieses von Press zu verantwortenden<br />

„Mangels an nationalsoz. Geist <strong>im</strong> Stadttheater“ wurde die Entscheidung vertagt. Der<br />

offenbar verunsicherte Press erkundigte sich danach vorsichtshalber bei der Landesstelle des<br />

Reichspropagandaministeriums, ob die für den 20. April („Führers Geburtstag“) vorgesehene<br />

Weber-Oper „Euryanthe“ genehm sei. Press’ Engagement wurde zwar schließlich verlängert,<br />

er verließ <strong>Koblenz</strong> aber zum 30. Juni 1937 und ging nach Bremerhaven. Zu seinem<br />

Nachfolger wählte der Beirat am 17. Juni Fritz Werkhäuser, für den der neue Gaupropaganda-<br />

leiter Albert Urmes und Kreisleiter Claussen plädiert hatten. 528 Werkhäuser, seit 1930<br />

Intendant der Wanderbühne „Frankfurter Landestheater für Rhein und Main“, hatte sich in<br />

seiner Bewerbung zugute gehalten, dass er dort schon vor 1933 „echtes deutsches Kulturgut<br />

zu vermitteln versucht“ habe. 529 Das Interesse der Partei an der Theaterarbeit unterstrich<br />

Gaupropagandaleiter Urmes durch seine Teilnahme am Betriebsappell der Theatergefolgschaft,<br />

in dem Wittgen Werkhäuser in sein Amt einführte. 530<br />

Auf Werkhäuser wartete die ebenso ehrenvolle wie arbeitsreiche Aufgabe der Jubiläums-<br />

spielzeit 1937/38, in der das Theater sein 150-jähriges Bestehen feierte. Der Spielzeit<br />

vorausgegangen war 1936/37 ein nicht zuletzt finanzieller Kraftakt, den Reich, Stadt und<br />

Bucher-Stiftung gemeinsam in Angriff genommen hatten. Aufgrund feuer- und<br />

baupolizeilicher Beanstandungen hatte das Theatergebäude modernisiert und umgebaut<br />

werden müssen, gleichzeitig war es erweitert worden. 531 Der neue Intendant wollte bei seiner<br />

Spielplangestaltung auf künstlerische Exper<strong>im</strong>ente verzichten und sich auf deutsche Werke<br />

konzentrieren. 532 Das Programm des Jubiläumsfestaktes am 31. Oktober 1937, zu dem<br />

Wittgen sogar – vergeblich – Reichspropagandaminister Goebbels eingeladen hatte, 533 war<br />

527<br />

<strong>Die</strong> Landesstelle des Reichspropagandaministeriums hatte bei Press am 25.1.1937 gegen die Aufführung der<br />

Oper am Jahrestag der Machtergreifung protestiert. Stattdessen kam dann am 30.1.1937 das Tendenzstück des<br />

Schlesiers Hans-Christoph Kaergel „Hockewanzel“ auf den Spielplan. StAK 623 Nr. 8592, S. 118.<br />

Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser hatte die Aufführung des „Rosenkavaliers“ auf die übliche Anfrage von<br />

Press hin genehmigt gehabt. <strong>Die</strong> Spielplanänderung und erneute Anfrage wegen „Hockewanzel“ begründete<br />

Press in Berlin dann mit einer Erkrankung. BArch R 55/20372, Bl. 240 f., 244.<br />

528<br />

StAK 623 Nr. 6726, S. 715-742, Zitate S. 725; ebd. Nr. 8592, S. 119; Spenlen: Theater, S. 111-113.<br />

529<br />

StAK 623 Nr. 8780, S. 676-678, 710-712, Zitat S. 711; NB, 3./4.7.1937: Intendant Werkhäuser nach <strong>Koblenz</strong><br />

berufen.<br />

530<br />

NB, 2.9.1937: Intendant Werkhäuser stellte sich vor.<br />

531<br />

StAK 623 Nr. 8778; Friedrich Neumann: Der Umbau des Theaters. In: Fritz Richard Werkhäuser (Hg.): 150<br />

Jahre Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937], S. 88 f.<br />

532<br />

Vgl. Werkhäusers programmatischen, die deutsche Theaterkultur verherrlichenden Artikel „Zum deutschen<br />

Volks- und Nationaltheater“, in: Der Grenzgau 2 (1937), S. 74 f.<br />

533<br />

StAK 623 Nr. 6825, S. 329.


397<br />

ganz der lokalen Tradition verpflichtet. Wie bei der Hundertjahrfeier 1887 wurden die<br />

Beethoven-Ouvertüre „<strong>Die</strong> Weihe des Hauses“ und Mozarts „<strong>Die</strong> Entführung aus dem Serail“<br />

gegeben, mit der das Haus 1787 eröffnet worden war. Festredner war der Geschäftsführer der<br />

Reichstheaterkammer, Gauleiter Alfred Frauenfeld, der die Aufführung gegenüber dem<br />

Reichsdramaturgen als „durchaus erfreulich“ lobte. Mit dem Termin der Feier machte die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> Konzessionen an die Partei: War 1887 mit dem 23. November genau der<br />

historische Eröffnungstag, nämlich der Namenstag des Kurfürsten, gewählt worden, bildete<br />

der Festakt 1937 gleichzeitig den Auftakt zur Gaukulturwoche. 534 In der von Werkhäuser<br />

herausgegebenen, 111 Seiten umfassenden Jubiläumsschrift 535 fehlten weder Führerporträt<br />

und -zitat noch etliche Grußworte, angefangen von Minister Goebbels. Gauhauptstellenleiter<br />

Perizonius lobte in seinem Beitrag 536 die gelungene „Reinigung des Spielplanes“, und in<br />

einem Artikel 537 wurde mehrfach antifranzösische Kulturpropaganda betrieben. Im<br />

historischen Rückblick sind „wichtige Erstaufführungen jüdischer oder linksgerichteter<br />

Autoren“ ausgelassen. 538 <strong>Die</strong> Besucherzahlen entwickelten sich in der Jubiläumsspielzeit<br />

weiter nach oben. Im Dezember 1937 berichtete Werkhäuser dem Kunstbeirat, die meisten<br />

Neueinstudierungen hätten Erfolg gehabt. Doch das „Operettenrepertoire sei infolge<br />

Ausmerzung jüdischer Autoren sehr lückenhaft und die neue zugkräftige Operette noch nicht<br />

geschaffen“, auch wenn erste Ansätze vorhanden seien. Auf dem Schauspielplan standen u. a.<br />

das Stück des Staatspreisträgers Friedrich Bethge „Der Marsch der Veteranen“ und als<br />

einziges Werk eines Ausländers das Lustspiel „Mein Sohn, der Herr Minister“ des Franzosen<br />

André Birabeau, das antifranzösische und antiparlamentarische Tendenzen vertreten sollte. Im<br />

Kunstbeirat wertete Werkhäuser die Jubiläumsspielzeit <strong>im</strong> Mai 1938 als finanziellen und<br />

künstlerischen Erfolg. Nur die beiden „Morgenfeiern“ (eine Gerhart-Hauptmann-Feier und<br />

eine <strong>Die</strong>trich-Eckart-Feier) waren auf sehr geringes Zuschauerinteresse gestoßen. 539 Dann<br />

dankte Werkhäuser – und dabei spricht die Reihenfolge der Adressaten für sich – für „das<br />

Vertrauen, daß [sic] ihm seitens des Gauleiters, der Parteidienststellen, der Ratsherren und der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> entgegen gebracht wurde.“ 540 <strong>Die</strong> nächste Spielzeit 1938/39 erlebte<br />

Werkhäuser nicht mehr. Er starb am 18. Oktober 1938 <strong>im</strong> Alter von erst 38 Jahren. 541<br />

534<br />

BArch R 55/20372, Bl. 337 (Zitat); NB, 1.11.1937: <strong>Die</strong> Gaukulturwoche eröffnet. In <strong>Koblenz</strong> traf Frauenfeld<br />

auf seinen früheren Stellvertreter, Gauamtsleiter Josef Neumann; ebd.: Kleiner Schnappschuß aus dem<br />

Stadttheaterfoyer.<br />

535<br />

Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre Theater.<br />

536<br />

Albert Perizonius: <strong>Die</strong> Bewegung und das Theater. In: Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre Theater, S. 71 f.<br />

537<br />

Karl Z<strong>im</strong>mermann: Von der kurfürstlichen zur Franzosenzeit. In: Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre Theater, S. 30-<br />

38.<br />

538<br />

Bockius: 1787-1987, S. 168.<br />

539<br />

StAK 623 Nr. 6726, S. 743-824, Zitat S. 803; ebd. Nr. 6642, S. 164 f.; Spenlen: Theater, S. 119 f. Vgl. <strong>Die</strong><br />

Jubiläumsspielzeit des Theaters der Stadt <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 93 f.<br />

540<br />

StAK 623 Nr. 6889, S. 48 f.<br />

541<br />

StAK 623 Nr. 8780, S. 753 f.; NB, 19.10.1938: Intendant Richard Werkhäuser gestorben.


398<br />

Ende 1937 bekam das Stadttheater Konkurrenz durch das neu gegründete Westmark-<br />

Landestheater. 542 <strong>Die</strong> Wanderbühne hatte zur Folge, dass sämtliche Auswärtsgastspiele<br />

(„Abstecher“) entfielen, was für das Stadttheater einen empfindlichen Einnahmeausfall<br />

bedeutete. 543<br />

Ein Rechnungsprüfungsbericht zur Theaterbücherei vom Juni 1938 belegt, dass die Stücke<br />

jüdischer Komponisten und Dichter „nicht gebraucht werden und besonders gelagert sind“.<br />

Dass sie nicht vernichtet worden waren, beanspruchte 1945 Glindemann als sein Verdienst. 544<br />

Im September 1938 erwartete das Publikum bei der Eröffnung der Spielzeit mit Shakespeares<br />

„Sommernachtstraum“ eine neue Bühnenmusik von Leonhard Spies. Der Programmzettel ließ<br />

die Besucher darüber bis zuletzt <strong>im</strong> Unklaren, dass nicht die gewohnte Musik von Felix<br />

Mendelssohn Bartholdy erklingen würde, denn der Komponist wurde nicht wie üblich<br />

angezeigt. 545<br />

<strong>Die</strong> Nachfolge Werkhäusers trat <strong>im</strong> Januar 1939 Hanns Kämmel an, zuletzt Oberspielleiter<br />

am Mainzer Stadttheater. Wittgen hatte die vom Kunstbeirat abgesegnete Neubesetzung der<br />

Intendantenstelle persönlich mit Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser besprechen wollen,<br />

wegen Erkrankung und Überlastung aber nicht nach Berlin reisen können. Daraufhin hatte<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on die Personalfrage kurzerhand „entschieden“, wie das Reichspropagandaamt<br />

Schlösser mitteilte. Der Reichsdramaturg reagierte äußerst verst<strong>im</strong>mt, zumal er einen anderen<br />

Kandidaten bevorzugt hatte. Es gehe nicht an, dass er ein Theater hoch bezuschusse und<br />

andererseits „in einer derart brüsken Form übergangen werde.“ Sowohl Urmes als auch<br />

Wittgen gaben sich daraufhin alle Mühe, ihn zu besänftigen. 546<br />

542 NB, 12.10.1937: Fröhlicher Auftakt be<strong>im</strong> Westmark-Landestheater; Richard Friedel: Das Westmark-<br />

Landestheater. <strong>Die</strong> Bühne des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 90-92. Über<br />

das Niveau und die Spielplangestaltung der Wanderbühne äußerte sich der Geschäftsführer der<br />

Reichstheaterkammer, Alfred Frauenfeld, <strong>im</strong> November 1937 gegenüber dem Reichsdramaturgen sehr kritisch;<br />

BArch R 55/20372, Bl. 338.<br />

543 StAK 623 Nr. 6278, S. 110; ebd. Nr. 6727, S. 41, 51; ebd. Nr. 6693, S. 188, 198. Das Westmark-<br />

Landestheater wurde später in Landestheater Moselland umbenannt. Aus ihm ging der Kulturverband Moselland<br />

hervor. Aurel Bongers: Der Kulturverband Gau Moselland und seine Bedeutung für das kulturelle Leben unseres<br />

Gaues. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 3/4 (1941),<br />

S. 5 f.; Heinz Marquardt: Das Erlebnis des Klassischen <strong>im</strong> 5. Kriegsjahr. Der kulturpolitische Auftrag der<br />

Gaubühne „Landestheater Moselland“. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und<br />

Volksaufklärung H. 4 (1944), S. 65-67.<br />

544 StAK 623 Nr. 6731, S. 31 (Zitat); ebd. Nr. 2629. Spenlen meint irrtümlich, dass in den Spielzeiten 1938/39<br />

und 1940/41 mit zwei Operetten von Ralph Benatzky (1884-1957) Werke eines jüdischen Künstlers zur<br />

Aufführung gekommen seien. Benatzky stand zwar jahrelang <strong>im</strong> Ruf, Jude zu sein, war aber „nur jüdisch<br />

versippt“ und wurde von Goebbels persönlich 1938 „rehabilitiert“. Spenlen: Theater, S. 149, 200; Prieberg:<br />

Handbuch, S. 370-374.<br />

545 StAK ZGD 591, Programmzettel; NB, 19.9.1938: Erster Erfolg <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Stadttheater; KGA, 19.9.1938:<br />

Shakespeares Sommernachtstraum; Spenlen: Theater, S. 127. Zu Spies vgl. Prieberg: Handbuch, S. 6717 f.<br />

546 BArch R 55/20372, Bl. 363-369, Zitate S. 363 f.; StAK 623 Nr. 6727, S. 21 f., 24 f., 28-32; Bockius: 1787-<br />

1987, S. 170. Aus Mainz brachte Kämmel den jungen Fritz Bockius mit, der Talent als Regieassistent,<br />

Schauspieler und Sänger bewies und nach seiner Pensionierung zum kenntnisreichen Chronisten seiner<br />

jahrzehntelangen Wirkungsstätte wurde; Bockius: 1787-1987, S. 171.


399<br />

Durch den Kriegsbeginn und die ersten Einberufungen verzögerte sich der Spielzeitbeginn <strong>im</strong><br />

September 1939 nur um eine Woche. Kämmel musste be<strong>im</strong> Spielplan <strong>im</strong> Laufe des Krieges<br />

<strong>im</strong>mer mehr Aufführungsver- und -gebote des Reichspropagandaministeriums beachten. <strong>Die</strong><br />

Stücke sollten „mehr denn je zur seelischen Stärkung der Nation beitragen“. Werke mit<br />

„pess<strong>im</strong>istischer oder depressiver Grundhaltung” waren verboten. Während Autoren aus<br />

Feindstaaten mit Aufführungsverboten belegt wurden, waren Neuinszenierungen<br />

zeitgenössischer deutschsprachiger Autoren nach einem best<strong>im</strong>mten Schlüssel vorge-<br />

schrieben. 547 Der Tagesverkauf stieg durch die vielen in <strong>Koblenz</strong> stationierten Truppen rasant<br />

an, an Wochenenden konnte die große Kartennachfrage kaum befriedigt werden. Im<br />

Dezember 1939 bekräftigte der Kunstbeirat, das Theater müsse „auch <strong>im</strong> Kriege ein<br />

Kulturinstitut bleiben“, auch wenn kurzzeitig mehr Vergnügungsstücke aufgeführt würden.<br />

Gefragt war nämlich vor allem das Musiktheater, z. B. erlebte Franz Lehárs Operette „Der<br />

Zarewitsch“ 41 Aufführungen. Künstlerischer Höhepunkt war die Händel-Oper „Julius<br />

Caesar“, die an Hitlers Geburtstag 1940 gespielt wurde. Gut die Hälfte des Publikums waren<br />

Soldaten, 548 die Vorstellungen fast täglich ausverkauft. Bei einer aufgrund des guten Besuchs<br />

um drei Wochen verlängerten Spielzeit 1939/40 betrug die Besucherzahl 133.626 (Vorjahr<br />

107.900), obwohl Anrechte aus der Umgebung aufgrund der verschlechterten Verkehrsanbindungen<br />

zurückgingen (14.909, Vorjahr 39.932). 549<br />

Ärger bereitete einmal mehr nur die NSG KdF. Ihr standen 200.000 RM 550 (!) für<br />

Truppenbetreuung zur Verfügung. Mit diesen Mitteln baute sie mit Varieté- und<br />

Künstlergruppen ein attraktives Veranstaltungsprogramm auf, 551 wobei Darbietungen nach<br />

dem Motto „Schwingende Körper – wippende Beinchen“ 552 für Ablenkung sorgten und den<br />

Erfolg garantierten. <strong>Die</strong> Vorstellungen fanden ab Dezember 1939 in der Stadthalle 553 statt.<br />

Als KdF-Gauwart Minter <strong>im</strong> November die kurzfristige Unterstützung bei der Dekoration<br />

durch das Stadttheater verlangte, lehnte Glindemann dies wegen Arbeitsüberlastung ab und<br />

nutzte die Gelegenheit, die abweisende Haltung der NSG KdF gegenüber dem Stadttheater<br />

anzusprechen. Der Kunstbeirat vertrat <strong>im</strong> Dezember die Meinung, die Truppe bedürfe<br />

kultureller Veranstaltungen genauso sehr wie „der leichten geistigen Kost“. Auf eine<br />

547<br />

StAK 623 Nr. 6727, S. 56 f.; ebd. Nr. 6889, S. 128, 132 (Zitate), 176, 187 f., 205; ebd. Nr. 8592, S. 124;<br />

BArch R 55/20372, Bl. 472.<br />

548<br />

Für November 1939 werden einmal 50 %, einmal 60 % Anteil von Wehrmachtsangehörigen am Publikum<br />

genannt; StAK 623 Nr. 6294, S. 1079; ebd. Nr. 6727, S. 74.<br />

549<br />

StAK 623 Nr. 6727, S. 62-85, Zitat S. 82; ebd. Nr. 8818, S. 1 f.; Spenlen: Theater, S. 194 f.<br />

550<br />

<strong>Die</strong> Zahl wird zwe<strong>im</strong>al in dieser Höhe genannt und bezieht sich wohl auf den gesamten Gau; StAK 623 Nr.<br />

6727, S. 81; ebd. Nr. 6287, S. 667.<br />

551<br />

Beispiele: NB, 8.11.1939: Soldaten lachen bei „Kraft durch Freude“; NB, 29.12.1939: 2000 KdF-<br />

Veranstaltungen für die Soldaten; NB, 4.1.1940: Großvariete-Zug in <strong>Koblenz</strong>.<br />

552<br />

NB, 3./4.2.1940: Schwingende Körper – wippende Beinchen.<br />

553<br />

NB, 6.12.1939: Sechstausend Soldaten klatschten Beifall. <strong>Die</strong> ersten beiden Veranstaltungen waren <strong>im</strong> Saal<br />

des Senders bzw. <strong>im</strong> Evangelischen Gemeindesaal. NB, 25.10.1939: Gipfelleistungen artistischer Kunst; NB,<br />

8.11.1939: Soldaten lachen bei „Kraft durch Freude“. Am 17.4.1944 wurde die 20.000ste KdF-Veranstaltung <strong>im</strong><br />

Gau zur Truppenbetreuung gefeiert, bei der u. a. das städtische Ballett und Anneliese Rothenberger auftraten;<br />

NB, 18.4.1944: Jubel um ein stolzes Jubiläum.


400<br />

Beschwerde der Intendanz nahm die NSG KdF dann für 1.000 RM verbilligte Karten ab. Aber<br />

erst nachdem die Stadt DAF-Gauobmann Dörner und die Reichstheaterkammer eingeschaltet<br />

hatte, erreichte der Kartenabsatz ab Januar 1940 ein befriedigendes Niveau. <strong>Die</strong> NSG KdF<br />

buchte jetzt monatlich zehn bis zwölf geschlossene Vorstellungen für Wehrmachts-<br />

angehörige. 554 Das Ansinnen des Gauleiters, Soldaten zum Teil freien Eintritt für Bunte<br />

Abende zu gewähren, lehnte die Stadt <strong>im</strong> November 1939 unter Hinweis auf den bereits<br />

äußerst verbilligten Eintrittspreis, ein Verbot der Reichstheaterkammer für Freivorstellungen<br />

und das Monopol der DAF für die Feierabendgestaltung der Wehrmachtsangehörigen ab. 555<br />

Im Frühjahr 1941 kam es zu erfolgreichen Verhandlungen mit dem Reichspropagandaamt, die<br />

regelmäßige Theatervorstellungen für Soldaten und Verwundete zur Folge hatten. 556<br />

Kaum <strong>im</strong> Amt, musste sich Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer Mitte Januar 1940 um die<br />

Vergrößerung der achtköpfigen Balletttruppe um vier weitere Tänzerinnen kümmern. Er<br />

beantragte be<strong>im</strong> Reichspropagandaministerium den Zuschuss von 10.000 RM, der Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on in persönlichen Verhandlungen bereits zugesagt worden war. 557 S<strong>im</strong>on „liebte<br />

möglichst viel Ballett“. Kämmel hatte, meist kurzfristig und mit teils grotesken Vorgaben,<br />

einige Sondervorstellungen für den Gauleiter und sein Gefolge zu arrangieren, die vor allem<br />

viele Tanzeinlagen beinhalten mussten. 558<br />

S<strong>im</strong>mer verlangte, dass der Spielplan „in jedem Jahr unbedingt ein Glanzstück“ enthalten<br />

müsse. Im April 1940 stellte er dem Kunstbeirat seine Pläne für einen Theaterneubau nach<br />

dem siegreichen Krieg vor. 559 Sein ehrgeiziges Ziel von 16 literarischen oder musikalischen<br />

Morgenfeiern in der Spielzeit 1940/41 wurde nicht erreicht. Mit Mühe wurden sechs<br />

Veranstaltungen zusammengestellt, die trotz des überschwänglichen Lobs <strong>im</strong> Nationalblatt 560<br />

wieder nur auf sehr mäßiges Publikumsinteresse stießen und mit Fehlbeträgen abschlossen.<br />

<strong>Die</strong>ser Misserfolg, den auch andere Städte erlebten, 561 bremste S<strong>im</strong>mers Elan für die<br />

554<br />

BArch R 55/20372, Bl. 400 f.; StAK 623 Nr. 6287, S. 667-669, Zitat S. 667; ebd. Nr. 6727, S. 81. Kämmel<br />

begründete <strong>im</strong> Oktober 1939 eine Stückauswahl bei Reichsdramaturg damit, dass „unsere Soldaten von den<br />

sent<strong>im</strong>entalen Liebesgesängen der meisten Operetten nicht gerade begeistert sind“. Er habe auch ein „größeres<br />

Ballett“ eingebaut. BArch R 55/20372, Bl. 386.<br />

555<br />

StAK 623 Nr. 6294, S. 1076-1079. Schon am 11.9.1939 hatte Urmes bei Kämmel Sondervorstellungen für<br />

die Soldaten <strong>im</strong> Operationsgebiet angeregt, die als „Ehrendienst“ nur gegen Unkostenerstattung gegeben werden<br />

sollten; ebd. Nr. 8317, S. 51 f.<br />

556<br />

StAK 623 Nr. 8592, S. 85-100; ebd. Nr. 6873, S. 783. Vgl. z. B. NB, 29.12.1941: Verwundete be<strong>im</strong> Gauleiter<br />

zu Gast; Verwundete <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Stadttheater als Gäste des Reichspropagandaamtes Moselland. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 4 (1942), S. 98 f. In<br />

der letzten Spielzeit 1943/44 fanden 48 Vorstellungen für die Wehrmacht statt, die 22.000 Soldaten besuchten;<br />

NB, 12.7.1944: Soldaten-Dank an die Künstler.<br />

557<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 537; StAK 623 Nr. 6727, S. 100, 163, 174. <strong>Die</strong> Balletttruppe bestand bis<br />

dato aus der Solotänzerin, dem Solotänzer und sechs Tänzerinnen. Zu den Engagements vgl. ebd. Nr. 8586.<br />

Nach einer Entscheidung Hitlers von 1941 wurde das gesamte weibliche Bühnenpersonal nicht zum RAD<br />

eingezogen; ebd. S. 64.<br />

558<br />

Bockius: 1787-1987, S. 173.<br />

559<br />

StAK 623 Nr. 6727, S. 99.<br />

560<br />

NB, 7.10.1940: Wieder Morgenfeiern <strong>im</strong> Stadttheater.<br />

561<br />

Spenlen: Theater, S. 154 f., 220 f.


401<br />

Folgejahre. 562 Trotz der geringen Nachfrage trat die Partei zudem als Konkurrentin auf.<br />

Gaupropagandaleiter Urmes bat Ende 1940, die Feierstunden <strong>im</strong> Theater „Morgenver-<br />

anstaltung“ zu nennen, da die Bezeichnung „Morgenfeier“ kulturellen Veranstaltungen der<br />

Partei vorbehalten sei, zu denen er als Landeskulturwalter in das Kulturhaus des<br />

Westmarkgaues am SA-Ufer 1 einlud. 563<br />

Trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten wie Luftalarmen, Personalknappheit und<br />

Materialbewirtschaftung, die ständiges Improvisieren verlangten, kamen <strong>im</strong>mer wieder<br />

künstlerisch beachtliche Produktionen auf die Bühne. <strong>Die</strong> Auswärtsgastspiele wurden in der<br />

Spielzeit 1939/40 wieder aufgenommen, mussten aber gemäß Genehmigung der<br />

Reichstheaterkammer mit dem Westmark-Landestheater abgest<strong>im</strong>mt werden. Regelmäßig gab<br />

das Stadttheater in Luxemburg Opern- und Operettengastspiele, erstmals <strong>im</strong> September 1940,<br />

letztmalig am 8. Mai 1944. Das Publikum nahm die Aufführungen mit Begeisterung auf.<br />

Oberbürgermeister Richard Hengst dankte Kämmel <strong>im</strong> Mai 1941 für die Gastspiele und<br />

würdigte sie als Beitrag, der die “kulturelle Verbundenheit zwischen Luxemburg und dem<br />

Reich wieder recht lebendig werden“ lasse. 564 Für das Ensemble waren die Gastspiele zwar<br />

strapaziös, wegen der relativ opulenten Nachfeiern aber trotzdem beliebt. Nach einem<br />

Operettenabend <strong>im</strong> Januar 1944 bekam die ganze Truppe ein „für die heutigen Verhältnisse<br />

gut und reichlich zu nennendes Essen ohne Marken […]. Wer nicht satt geworden ist, ist<br />

selbst Schuld“. Für die Solisten gab es sogar „Kognac und guten französischen Rotwein,<br />

allerdings in bescheidenen Mengen“. Anfang 1944 bat Urmes Intendant Kämmel um weitere<br />

Vorstellungen, da S<strong>im</strong>on Wert auf die Bespielung nicht nur von Trier, sondern auch von<br />

<strong>Koblenz</strong> aus lege. Kämmel, der offenbar ein gutes Verhältnis zu Urmes pflegte, warb um<br />

Verständnis, dass häufigere Gastspiele aus organisatorischen Gründen kaum möglich seien.<br />

Er sei aber selbstverständlich bemüht, „den Wünschen des Gauleiters zu entsprechen, nicht<br />

zuletzt in dem Bewußtstein, daß es notwendig ist, gerade in Luxemburg gute Vorstellungen<br />

zu zeigen.“ 565<br />

<strong>Die</strong> ständige und oft kurzfristige Ausweitung von Aufführungsverboten erschwerte die<br />

Auswahl geeigneter Stücke. Als Klagen über den Spielplan laut wurden, rechtfertigte sich<br />

Kämmel <strong>im</strong> Januar 1941 gegenüber dem Kunstbeirat, die Wahlmöglichkeiten seien<br />

bescheiden, was die durchweg ähnlichen Spielpläne benachbarter Theater belegten. S<strong>im</strong>mer<br />

empfahl ihm die Konzentration auf die Oper. Auch an die Besucherorganisationen sollten<br />

keine Konzessionen mehr gemacht werden, sie sollten auch Schauspiele abnehmen. Im März<br />

1941 rief Kämmel die Rückbesinnung auf den Kulturauftrag aus. Letztes Jahr habe man noch<br />

562<br />

StAK 623 Nr. 6295, S. 22 f., 29, 249; ebd. Nr. 6727, S. 129; ebd. Nr. 6889, S. 144; ebd. Nr. 7193, S. 9, 18-25;<br />

ebd. Nr. 8605, S. 1-4, 7 f.<br />

563<br />

StAK 623 Nr. 7193, S. 9, 18-25.<br />

564<br />

StAK 623 Nr. 6295, 16 f., 20 f., 29; ebd. Nr. 6873, S. 629, 782; ebd. Nr. 8275, S. 10-12, 27, 43 f., 65 f.; ebd.<br />

Nr. 8317, S. 18 f.; ebd. Nr. 8812, S. 1 (Zitat); BArch R 55/20372, Bl. 120.<br />

565<br />

StAK 623 Nr. 8317, Zitate S. 259 f.; Bockius: 1787-1987, S. 177-180.


402<br />

auf den Wunsch der Wehrmachtsbesucher nach leichter Kost Rücksicht genommen, „jetzt<br />

aber würden in dieser Hinsicht keine Konzessionen mehr gemacht.“ 566 <strong>Die</strong> Gaupropaganda-<br />

leitung zeigte sich mit Kämmel <strong>im</strong> Gegensatz zu seinem Vorgänger Press zufrieden. Ein<br />

Dankesschreiben von Urmes für die vorbildliche Arbeit <strong>im</strong> Kriegswinter 1940/41, die auch<br />

der Gauleiter besonders anerkenne, druckte die Theaterleitung auf dem Titelblatt des<br />

Rückblicks auf die vergangene Spielzeit ab. 567<br />

In der Spielzeit 1941/42 lief der Theaterbetrieb erstmals über das gesamte Jahr statt nur neun<br />

Monate lang. Urmes hatte dies <strong>im</strong> April 1941 bei S<strong>im</strong>mer angeregt, da viele gute Kräfte nur<br />

bei ganzjährigem Engagement zu halten seien. Das Reichspropagandaamt, nun zuständig für<br />

alle Zuschussfragen, teilte <strong>im</strong> Juli 1941 die Bewilligung des von der Stadt beantragten<br />

Reichszuschusses von 100.000 RM mit. Im Auftrag S<strong>im</strong>ons besuchte S<strong>im</strong>mer Ende August in<br />

Berlin den gemeinsamen Frankfurter Studienkameraden Leopold Gutterer, inzwischen<br />

Staatssekretär <strong>im</strong> Reichspropagandaministerium, der noch einen einmaligen Sonderzuschuss<br />

von 25.000 RM beisteuerte. 568<br />

Bei der Auswahl der Operetten legte Kämmel Wert auf ein „gewisses Niveau“. Minder-<br />

wertige und anstößige Stücke lehnte der Kunstbeirat <strong>im</strong> September 1942 grundsätzlich ab. Es<br />

ist kaum verwunderlich, dass sich insbesondere gegen die Wiederaufnahme von Puccinis<br />

Oper „Tosca“ Widerstand regte. Schließlich behandelt das Stück, das nach Ansicht der<br />

Beiratsmitglieder „bei mittelmässiger Komposition ‚eine widerliche Angelegenheit und ein<br />

Kulturskandal’ sei“, u. a. das Motiv des Tyrannenmords. 569 Zeitgenössische und unbekanntere<br />

Werke blieben wenig beliebt. 570 Nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad fielen aufgrund<br />

der von Goebbels angeordneten dreitägigen Staatstrauer vom 3. bis 6. Februar 1943 alle<br />

Vorstellungen aus. 571 <strong>Die</strong> Verbundenheit mit Japan dokumentierte ein „Einmaliges<br />

Sondergastspiel“ des japanischen Tänzers Masami Kuni am 27. Oktober 1943 in der<br />

Stadthalle. 572 Selbst um das Weihnachtsmärchen kümmerten sich 1943 das Reichs-<br />

propagandaamt und 1944 die Parteipresse, indem sie seinen Sinn in Frage stellten. Doch<br />

Schmidt-Scherf wies die Kritik entschieden zurück. Er werde in der bewährten Art am<br />

Weihnachtsmärchen festhalten, da es „die einzig richtige Form ist, Kindern einen ersten<br />

Theatereindruck zu vermitteln.“ 573 Während die kulturpolitische Parteipresse mehrfach<br />

getadelt hatte, dass der Spielplan sich an der Vorliebe des Publikums für die leichte Muse<br />

566<br />

StAK 623 Nr. 6889, S. 162-173, Zitat S. 171.<br />

567<br />

StAK 623 Nr. 6205, S. 27; ebd. Nr. 8592, S. 98.<br />

568<br />

StAK 623 Nr. 6873, S. 663 f., 703-707, 712, 716, 773. Vgl. ebd. Nr. 6748, S. 92.<br />

569<br />

StAK 623 Nr. 6693, S. 233, 240.<br />

570<br />

BArch R 55/20372, Bl. 119 f.; StAK 623 Nr. 6873, 782 f.<br />

571<br />

StAK 623 Nr. 6295, S. 173 f. Vgl. LHAKo Best. 662,5 Nr. 28, S. 799, sowie ebd. Best. 714 Nr. 1225,<br />

Rundschreiben vom 5.2.1943, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 280, 282-284.<br />

572<br />

StAK 623 Nr. 8586, S. 5-9, Zitat S. 5; ebd. Nr. 8275, S. 45.<br />

573<br />

StAK 623 Nr. 8592, S. 17 f. (Zitat); ebd. Nr. 8275, S. 56-58; Moselland. Kulturpolitische Blätter, Januar-<br />

März 1944, S. 40. In der Spielzeit 1942/43 wurde „Rotkäppchen“ gegeben, 1943/44 „<strong>Die</strong> Prinzessin auf der<br />

Erbse“.


403<br />

orientiere, gestand sie <strong>im</strong> Frühjahr 1944 ein, wie sehr „in dieser ernsten hart bedrängten Zeit“<br />

die Entspannung durch vergnügliche Theaterunterhaltung „wohl- und nottut.“ 574 Auch das<br />

Trierer Theater konzentrierte sich auf Lustspiele und Operetten. 575 Kapellmeister Schmidt-<br />

Scherf gelang es in <strong>Koblenz</strong> ausweislich sehr guter Kritiken lange, hohen künstlerischen<br />

Ansprüchen auch unter den erschwerten Kriegsbedingungen zu genügen. 576 Vom Erfolg<br />

verwöhnt, war Schmidt-Scherf wenig gewillt, in seinen Augen unsachliche Rezensionen des<br />

Nationalblatts unwidersprochen hinzunehmen. Mehrfach beschwerte er sich <strong>im</strong> Frühjahr 1944<br />

bei S<strong>im</strong>mer und dem Nationalblatt über die „<strong>im</strong>mer merkwürdigere Formen“ annehmende<br />

Berichterstattung, die Kulturschriftleiter Varges nur indirekt und knapp mit der Erkrankung<br />

eines Rezensenten entschuldigte. 577<br />

Das Interesse an Theaterkarten blieb auch <strong>im</strong> vierten Kriegsjahr ungebrochen, was auch die<br />

vielen Anfragen von Firmen für Gefolgschaftsveranstaltungen belegen. 578 <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er<br />

„fühlten sich auch <strong>im</strong> Dritten Reich <strong>im</strong> Theater wohl, selbst wenn sie gelegentlich tendenziöse<br />

Inszenierungen in Kauf nehmen mußten.“ 579 Im Zuge der Papierbewirtschaftung wurden <strong>im</strong><br />

Frühjahr 1944 u. a. Theaterplakate verboten. Für Veranstaltungen waren aber Sammelplakate<br />

zulässig, die vom Kreispropagandaleiter zu redigieren waren. 580 Als Kämmel Ende März<br />

1944 bei Kreispropagandaleiter Klos gegen die schlechte Platzierung des Stadttheaters auf<br />

dem Plakat protestierte, belehrte dieser ihn, die Nennung an sich sei schon ein Entgegen-<br />

kommen. Im Übrigen sei die NSG KdF die führende kulturelle Institution, wie überhaupt alle<br />

Parteiangelegenheiten an erster Stelle rangierten. 581 Der Luftangriff vom 22. April 1944<br />

zwang zu einer achttägigen Vorstellungspause, danach wurde wieder täglich gespielt. 582<br />

Druck und Verkauf von Programmzetteln verbot das Reichspropagandaministerium <strong>im</strong> Juni<br />

1944. 583 Allein vom 1. bis zum 25. Juli 1944, dem letzten Spieltag, strömten 10.826 Besucher<br />

ins Stadttheater, nicht mitgezählt vier geschlossene Vorstellungen für Wehrmachtsangehörige,<br />

von denen die NSG KdF drei abgenommen hatte. 584<br />

Gegen die drohende Schließung des Stadttheaters stemmte sich S<strong>im</strong>mer noch Mitte August<br />

1944. Urmes hatte am 28. Juli die Absicht verkündet, alle Stadttheater des Gaues zu schließen<br />

574<br />

Moselland. Kulturpolitische Blätter, April-Juni 1944, S. 84. Kritik an der „mehr oder weniger leicht<br />

wiegende[n] Unterhaltungskost“ z. B. ebd., April-Juni 1943, S. 76.<br />

575<br />

Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 224.<br />

576<br />

StAK 623 Nr. 8274; NB, 16.4.1942: „Sie hören jetzt: Dr. Schmidt-Scherf“; NB, 19.6.1942: „Toska“ <strong>im</strong><br />

<strong>Koblenz</strong>er Stadttheater.<br />

577<br />

StAK 623 Nr. 8601, S. 15-22, Zitat S. 19; ebd. Nr. 7032, S. 479-482. Der von Schmidt-Scherf geschätzte<br />

Kulturredakteur des NB, Dr. Emil Glaß, Mitglied des Kunstbeirats, war <strong>im</strong> August 1944 gefallen; ebd., S. 3 f.<br />

578<br />

StAK 623 Nr. 8313.<br />

579<br />

Spenlen: Theater, S. 221.<br />

580<br />

„Betr.: Papierbewirtschaft und Ausführungsbest<strong>im</strong>mungen zum Plakatverbot“. In: Mitteilungen des<br />

Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 4 (1944), S. 83.<br />

581<br />

StAK 623 Nr. 8333, S. 9 f.<br />

582<br />

Bockius: 1787-1987, S. 185.<br />

583<br />

StAK 623 Nr. 6295, S. 201; ebd. Nr. 8379, S. 44.<br />

584<br />

StAK 623 Nr. 8301, S. 1 f.


404<br />

und die Städte durch das Landestheater Moselland bespielen zu lassen. Kämmel hatte<br />

daraufhin am 14. August Vorschläge für einen stark eingeschränkten Theaterbetrieb „<strong>im</strong><br />

Zeichen des Totalen [sic] Kriegseinsatzes“ ausgearbeitet, 585 wodurch 73 Theaterangehörige<br />

für Wehrmacht und Rüstungsindustrie freigestellt werden sollten. Obwohl das Reichs-<br />

propagandaamt sich schon Tage zuvor weitere Eingaben als zwecklos verbeten hatte,<br />

versuchte S<strong>im</strong>mer sowohl S<strong>im</strong>on als auch Urmes zu bewegen, sich angesichts des<br />

künstlerisch höheren Niveaus für das Stadttheater anstelle des Landestheaters zu entscheiden.<br />

Der Theaterbesuch sollte nur noch Soldaten, Verwundeten, Rüstungsarbeitern und <strong>im</strong><br />

Kriegseinsatz Stehenden vorbehalten sein. Doch mitten in die „mit ungebrochenem Elan“<br />

begonnenen Proben für die nächste Spielzeit platzte Ende August 1944 die Nachricht, dass<br />

Goebbels die Schließung aller Theater zum 1. September 1944 angeordnet hatte. 586 <strong>Die</strong> von<br />

Urmes am 13. September verlangte „postwendende Mitteilung“ der kriegsverwendungs-<br />

fähigen Theatermitglieder war überflüssig, denn zu diesem Zeitpunkt befanden sich schon fast<br />

alle bei der Wehrmacht, am Westwall oder in kriegswichtigen Betrieben. 587 Das<br />

Stadttheatergebäude hatte als Musentempel aber noch nicht ausgedient: Als alle Kinos der<br />

Stadt zerstört waren, gestattete S<strong>im</strong>mer dort ab 21. Oktober 1944 Filmvorführungen. 588<br />

6.3.5 Schlossmuseum und Kustos Hanns Sprung<br />

Als mit Kunstmaler Hanns Sprung 589 <strong>im</strong> Oktober 1933 ein Alter Kämpfer zum ehren-<br />

amtlichen Kustos der Kunstsammlung des städtischen Schlossmuseums berufen wurde,<br />

erwies sich dies als ausgesprochener Glücksfall. Es war nicht selbstverständlich, dass sich,<br />

wie in seinem Fall, politische Zuverlässigkeit mit fachlichem Wissen und praktischem<br />

Können vereinten. Sprung war nicht nur seit 1929 Parte<strong>im</strong>itglied und NSDAP-Stadt-<br />

verordneter, sondern er hatte eine solide künstlerisch-akademische Ausbildung genossen und<br />

1909 ein Stipendium des Bankiers Gustav Seligmann erhalten, der einer ehemals jüdischen<br />

Familie entstammte. Als Künstler war Sprung erfolgreich und anerkannt; seit seiner<br />

585 StAK 623 Nr. 8241, S. 1-3, Zitat S. 1. Vgl. die noch knapper gefassten Vorschläge Kämmels vom 12.8.1944,<br />

veröffentlicht in: Bockius: 1787-1987, S. 186 (ohne Quellenangabe). Der Versuch Kämmels, das Stadttheater<br />

Bonn vom beiderseitigen Nutzen einer Zusammenarbeit <strong>im</strong> Bereich Schauspiel zu überzeugen, war am<br />

17.6.1944 gescheitert; StAK 623 Nr. 8316, S. 48 f.<br />

586 StAK 623 Nr. 6783, S. 337-347; ebd. Nr. 8774, S. 300; Bockius: 1787-1987, S. 185 (Zitat); NB, 25.8.1944:<br />

Der Kräfte-Einsatz für Wehrmacht und Rüstung; NB, 9./10.9.1944: Preußengeist durch die Tat. Zum Spielplan<br />

1944/45 vgl. BArch R 55/20372, Bl. 470-473.<br />

587 StAK 623 Nr. 8592, Zitat S. 1 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original); ebd. Nr. 8774, S. 305-310. Anneliese<br />

Rothenberger war bei den Rheinischen Blechwarenwerken Weißenthurm dienstverpflichtet; ebd. Nr. 8774, S.<br />

306.<br />

588 Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren – <strong>Die</strong> Stadt <strong>im</strong> Bombenhagel.<br />

<strong>Koblenz</strong> o. J. [1974], o. S., Eintrag zum 21.10.1944.<br />

589 * 14.3.1884 <strong>Koblenz</strong>, + 6.2.1948 Bendorf, katholisch, verheiratet. Franz Hardy (Hg.): Hanns Sprung. 1884-<br />

1948. Ausstellungskatalog Schloss <strong>Koblenz</strong>, 14. Mai bis 6. Juni 1958. <strong>Koblenz</strong> 1958; Franz Hardy: Der Maler<br />

Hanns Sprung 1884-1948. Werkkatalog mit dem Katalog der Gedächtnisausstellung des Jahres 1958 <strong>im</strong><br />

Kurfürstlichen Schloss zu <strong>Koblenz</strong> verbunden. <strong>Koblenz</strong> o. J. [um 1968]; Kurt Eitelbach: Hanns Sprung, ein<br />

<strong>Koblenz</strong>er Maler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hg. in Verbindung mit dem Verein für Geschichte<br />

und Kunst des Mittelrheins (Mittelrheinische Hefte 8). <strong>Koblenz</strong> 1982.


405<br />

Auszeichnung mit dem Rheinland-Preis 1912 konnte er juryfrei ausstellen. Sprung trat<br />

faktisch die Nachfolge des Museumsdirektors Adam Günther an, der am 31. Juli 1933 aus<br />

Altersgründen in den Ruhestand getreten war. Aus finanziellen Gründen sollte die Stelle nicht<br />

wieder besetzt werden. Vorerst hatte sich Günther weiter um das Schlossmuseum<br />

gekümmert. 590 Unterstützt wurde er dabei von Sprung sowie vom Leiter des Presse- und<br />

Statistischen Amtes, Dr. phil. Hans Bellinghausen 591 (Abb. 16), der sich <strong>im</strong> Juli ebenfalls um<br />

die vakante Stelle beworben hatte. Bellinghausen hatte für ein He<strong>im</strong>atmuseum plädiert, weil<br />

er die Einrichtung eines Kunstmuseums mit der vorhandenen Sammlung nicht für möglich<br />

hielt. 592<br />

Sprung sollte das Gegenteil beweisen. Voller Eifer und Idealismus machte er sich zusammen<br />

mit Museumsdiener Alfred Kohlhoff an die Inventarisierung und Neuordnung der<br />

Kunstsammlung 593 . In der Erkenntnis, dass „ein systemloses Sammeln von Kunstgegen-<br />

ständen keineswegs geeignet ist, einem Museum Gesicht und Inhalt zu geben“, konzentrierte<br />

sich Sprung auf den Erwerb mittelrheinischen Kunstgutes und schied dafür andere Künstler<br />

aus. 594 Trotz sehr bescheidener Etatmittel, über die er wiederholt klagte, 595 gelangen ihm <strong>im</strong><br />

Laufe der Jahre bedeutende Ankäufe, auch von vergessenen oder verkannten Künstlern aus<br />

<strong>Koblenz</strong>. 596 Regelmäßig erwarb die Stadt auch Gemälde zeitgenössischer <strong>Koblenz</strong>er Künstler,<br />

was gleichzeitig als Wohlfahrtsunterstützung gedacht war. 597 Auch räumlich gestaltete Sprung<br />

das Schlossmuseum um. 1933 kamen jahrelange Verhandlungen zur Anmietung weiterer<br />

Räume <strong>im</strong> Schloss zum Abschluss, 598 sodass die geologische, vor- und frühgeschichtliche<br />

sowie he<strong>im</strong>atkundliche Abteilung ins Erdgeschoss verlegt und die Kunstsammlung <strong>im</strong> ersten<br />

Obergeschoss präsentiert werden konnten. 599<br />

590<br />

StAK 623 Nr. 3863, S. 2-13. Zu Sprungs Aufwandsentschädigung vgl. Kapitel 4.3.3.<br />

591<br />

* 8.4.1887 Ehrenbreitstein, + 27.3.1958 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, seit 1920 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, 1933<br />

NSDAP-Mitglied, 1931-1936 Leiter des Presse- und Statistisches Amtes, 1936-1945 Leiter der Stadtbibliothek<br />

(bis 1942) und des Stadtarchivs, 1945 Entlassung, 1945-1948 Internierung, 1949 wieder <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst, 1952<br />

Pensionierung, He<strong>im</strong>atforscher. StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 2 und 3; Walter Kalb: Dr. phil. Hans<br />

Bellinghausen. Ein Leben für seine He<strong>im</strong>at <strong>Koblenz</strong>. In: <strong>Koblenz</strong>er He<strong>im</strong>atjahrbuch (1963). S. 27, 29-30.<br />

592<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 2 (unpaginiert). Er hatte sich bereits 1919 ohne Erfolg um die Stelle beworben;<br />

damals hatte man Günther den Vorzug gegeben. Ebd. Nr. 7028, S. 160-175.<br />

593<br />

Günther hatte sie zugunsten der geologischen, archäologischen und prähistorischen Bestände vernachlässigt,<br />

was Sprung schon Anfang 1932 gegenüber Rosendahl als Mitglied des Museums-Ausschusses und als Künstler<br />

beanstandet hatte. StAK 623 Nr. 6281, S. 256-259. Es gab auch andere kritische St<strong>im</strong>men zu Günther; ebd., S.<br />

263-269.<br />

594<br />

StAK 623 Nr. 9672, S. 303 (Zitat); NB, 23.8.1933, und Nr. 201, 2.9.1933: Ein Museum wird neugestaltet.<br />

595<br />

StAK 623 Nr. 7095, S. 654 f.; ebd. Nr. 7096, S. 116 f.<br />

596<br />

StAK 623 Nr. 7057; NB, 17.8.1938: Ein neuer Januarius Zick <strong>im</strong> Schloßmuseum.<br />

597<br />

StAK 623 Nr. 6705, S. 2; ebd. Nr. 7057, S. 750; Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr<br />

1933, S. 32 (Ausgabeposition 1.600 RM „Sonstiges“ für den „Erwerb von Werken lebender <strong>Koblenz</strong>er<br />

Künstler“).<br />

598<br />

StAK 623 Nr. 6821. Der Mietvertrag mit dem Preußischen Staat wurde am 26.10.1933 unterzeichnet; ebd. S.<br />

380-383, 401.<br />

599<br />

VB 1933-1937, S. 71-76; VB 1937/38, S. 72-77; VB 1938/39, S. 78-81; Hanns Sprung: <strong>Die</strong><br />

Kunstsammlung <strong>im</strong> städtischen Schloßmuseum zu <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld 1<br />

(1936), S. 82-85; ders.: Der Ausbau der Kunstsammlungen des <strong>Koblenz</strong>er Schloßmuseums. In: Der Grenzgau<br />

<strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 78-80. <strong>Die</strong> he<strong>im</strong>atkundliche Sammlung konnte der Öffentlichkeit wegen<br />

Raummangels nicht zugänglich gemacht werden.


406<br />

Als die Kölner Volksbildungsstätte Sprung <strong>im</strong> Oktober 1937 für eine Ausstellung über<br />

„Entartete Kunst“ 600 um die Ausleihe der 1933 ins Depot gewanderten einschlägigen Werke<br />

bat, antwortete Dezernent Binhold. <strong>Die</strong> Neuordnung des Schlossmuseums sei nicht „aus den<br />

von Ihnen gedachten Gründen erfolgt“. Es seien keine Bilder der „Verfallkunst“ [sic]<br />

ausgeschieden worden, „da solche hier nicht vorhanden waren. Gelegentlich der<br />

Nachforschung nach Werken der Verfallkunst wurden hier aber 2 Bilder beschlagnahmt, die<br />

nicht der Stadt <strong>Koblenz</strong> gehörten und sich lediglich zur Aufbewahrung in einem<br />

Verwahrraum des Museums befanden. <strong>Die</strong>se Bilder sind nach Berlin abgegeben worden.“ 601<br />

Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Werke Sprungs. Zwei von ihm angefertigte Porträts<br />

von Sozialdemokraten waren nämlich 1933 beschlagnahmt und verbrannt worden. 602<br />

Inwieweit Kunstwerke bei Arisierungen erworben wurden, ist unbekannt. 603 Nach der<br />

Reichspogromnacht übernahm das Schlossmuseum zwei stark beschädigte Gemälde aus der<br />

geplünderten Synagoge, die ins Depot wanderten und erst 1998 wiederentdeckt wurden. 604<br />

Im Oktober 1935 forderte das Rechnungsprüfungsamt wegen sinkender Einnahmen aus<br />

Eintrittsgeldern eine verstärkte Werbung und Zusammenarbeit mit der Partei. Binhold und<br />

Sprung erklärten die Einnahmeverluste mit der Ermäßigung der Eintrittspreise und der<br />

Einführung kostenfreier Besichtigungszeiten. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit der Partei laufe<br />

bereits, andererseits sei „der Kreis der Kunst- und Museumsinteressierten in <strong>Koblenz</strong><br />

bedauerlicherweise nur ein enger“, selbst bei den Lehrern und städtischen Beamten herrsche<br />

„Interesselosigkeit“. 605 <strong>Die</strong>s war für Wittgen Anlass, <strong>im</strong> Dezember zum regeren<br />

Museumsbesuch aufzurufen: Dass „gerade die Beamtenschaft dem Gedanken der Kunstliebe<br />

und Kunstpflege, dessen Verbreitung eine wichtige Aufgabe <strong>im</strong> nationalsoz. Staates ist“, noch<br />

fern stehe, sei „beschämend“ und führe zur Verbreitung von „Warenhauskitsch“. 606 Das<br />

Nationalblatt hatte schon <strong>im</strong> April 1934 das geringe Kunstinteresse bemäkelt, weil eine<br />

Führerbüste des Künstlers Josef Pabst bei einer Ausstellung nicht verkauft worden war. Pabst<br />

600 In <strong>Koblenz</strong> war bereits <strong>im</strong> Januar 1937 eine Wanderausstellung „Entartete Kunst“ von Gauamtsleiter Urmes<br />

eröffnet worden; NB, 5.1.1937: <strong>Die</strong> Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet; NB, 7.1.1937: <strong>Koblenz</strong> sieht<br />

„Entartete Kunst“; NB, 9./10.1.1937: Entartete Kunst in Wort und Bild.<br />

601 StAK 623 Nr. 6280, S. 587 f.<br />

602 Es handelte sich um die Porträts des Redakteurs der Rheinischen Warte, Albert Emmerich, gemalt 1922, und<br />

des Pfaffendorfer SPD-Landtagsabgeordneten Joseph Kleinmeyer [fälschlich: Kleinmeier] mit schwarz-rotgoldener<br />

Fahne, gemalt 1927. Hardy: Der Maler Hanns Sprung, S. 48, 56: jeweils „Autodafé [Verbrennung]<br />

1933“; Eitelbach: Hanns Sprung, S. 33 f. Eitelbach (1923-2008, 1974-1988 Direktor des Mittelrhein-Museums)<br />

n<strong>im</strong>mt an, die Zerstörung des Emmerich-Porträts sei „Kein Wunder!“, weil er „offensichtlich“ kein „arischer<br />

Herrenmensch “ gewesen sei. Dafür, dass Emmerich Jude war, ergaben sich keine Anhaltspunkte. Vielmehr<br />

scheint es, als sei Eitelbach selbst noch einem rassistischen Vorurteil unterlegen, indem er „jüdische<br />

Rassemerkmale“ am Porträtierten zu erkennen glaubte.<br />

603 Mario Kramp: „Mögen wir Kraft schöpfen aus dem was wir He<strong>im</strong>at nennen“. Bildende Kunst an Rhein und<br />

Mosel von der Diktatur zur Nachkriegszeit. In: Vor 60 Jahren. Krieg und Frieden an Rhein und Mosel 1944-<br />

1946. Ausstellungskatalog Mittelrhein-Museum <strong>Koblenz</strong> (Kataloge 3). <strong>Koblenz</strong> 2005, S. 58-75, hier S. 61, 74.<br />

604 Vgl. Kapitel 7.2.6.<br />

605 StAK 623 Nr. 7095, S. 535-540, Zitate S. 535, 538.<br />

606 StAK 623 Nr. 9563, S. 260. Vgl. NB, 19.8.1933: Erziehung gegen den Kitsch; Kampf gegen den Kitsch. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 11 (1942), S. 285.


407<br />

schenkte die Büste dem Oberbürgermeister, dessen Z<strong>im</strong>mer sie dann „verschönt[e]“. 607 Für<br />

das <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer Wittgens kaufte die Stadt <strong>im</strong> September 1934 für 200 RM anlässlich einer<br />

Ausstellung der Gaupropagandaleitung ein Bild des Künstlers Hans Dornbach 608 mit dem<br />

Motiv „Freiwilliger Arbeitsdienst auf dem Asterstein“. 609<br />

KdF-Urlaubern wurde ab 1936 für die Besichtigung des Schlossmuseums ein ermäßigter<br />

Eintrittspreis von 0,15 RM (regulär 0,35 RM) gewährt, die sie begleitenden KdF-Warte hatten<br />

freien Eintritt. 610 <strong>Die</strong> erste große Kunstausstellung, die Sprung aus eigenen Beständen<br />

organisierte, konnte am 3. November 1936 eröffnet werden. Sie war dem <strong>Koblenz</strong>er Maler<br />

S<strong>im</strong>on Meister gewidmet. Am Vorabend hielt Sprung bei der NSKG in der Schloßstraße 9<br />

den Einführungsvortrag, und bei der Eröffnung war Gauleiter S<strong>im</strong>on anwesend. Sprung<br />

dankte Wittgen und S<strong>im</strong>on für ihr Engagement sowie besonders den „Führern des Kunstrings<br />

der NS-Kulturgemeinde“ für ihre „selbstlose[r] Zusammenarbeit“. <strong>Die</strong> Ausstellung wurde ein<br />

voller Erfolg, sie erfreute sich eines regen Publikumszuspruchs. 611<br />

Mitten in den Vorbereitungen war am 13. August 1936 Sprungs Ehefrau gestorben. Knapp<br />

drei Wochen später bemühte sich Sprung bei Wittgen um die Erhöhung seiner Aufwands-<br />

entschädigung. Wittgen hatte ihm schon 1935 bescheinigt, die 100 RM seien <strong>im</strong> Verhältnis zu<br />

seinem Arbeitsumfang gering. Sprung schilderte seine missliche wirtschaftliche Lage als<br />

Künstler. Seiner verstorbenen Frau sei es noch gelungen, den äußeren Schein zu wahren.<br />

Sprung erinnerte daran, dass er 1929 nach seiner Bekanntschaft mit Gauleiter S<strong>im</strong>on der<br />

Partei aus „innerster Ueberzeugung“ beigetreten sei, um am „Erneuerungskampfe<br />

Deutschlands aktiv Teil zu nehmen“. Nachdem man ihm erst 200 RM in Aussicht gestellt<br />

hätte, habe man dann gemeint, 100 RM seien genug, da die Arbeit in einer Stunde täglich zu<br />

erledigen sei. Wenn eine Erhöhung nicht möglich sei, müsse er sich an die Partei wenden,<br />

obwohl er an seiner Arbeit „mit grosser Liebe hänge“. Zusätzlich bat Sprung den<br />

Oberpräsidenten um Vormerkung bei der Unterbringungsaktion für Parte<strong>im</strong>itglieder mit<br />

Mitgliedsnummern unter 300.000. Wittgen verschloss sich Sprungs Argumenten nicht. Auch<br />

die Ratsherren und Kreisleiter Claussen hatten <strong>im</strong> Oktober 1936 keine Einwände gegen die<br />

Verdoppelung seiner Aufwandsentschädigung auf 200 RM. Lediglich der Regierungs-<br />

präsident verweigerte der Nachtragssatzung aus formalrechtlichen Gründen seine<br />

607 NB, 7.3.1934: Ein Geschenk für unseren Oberbürgermeister. Wittgen versprach dem Künstler, die Büste bei<br />

Besserung der städtischen Finanzlage in Bronze gießen zu lassen. Das NB bewies seinen Kunstsachverstand,<br />

indem es den Namen des Künstlers falsch schrieb („Papst“)!<br />

608 Anneli Karrenbrock: Hans Dornbach - glühender Individualist und Grand Seigneur. In: „Ihre Bindung<br />

beruht auf gegenseitiger Wertschätzung“. 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler am Mittelrhein, S.<br />

56-82. Dornbach schrieb 1945 selbstkritisch: „[…] wir haben eine Schuld auf uns geladen, auch ich als<br />

ständiger Segner der NSDAP.“ Ebd., S. 72 Anm. 65.<br />

609 StAK 623 Nr. 7071, S. 642-647. <strong>Die</strong> Wahl war an erster Stelle auf ein Bild von Robert Gerstenkorn gefallen.<br />

Wittgen hatte aber der Gauleitung den Vortritt gelassen, die das zwei Arbeiter darstellende Gemälde kaufte.<br />

610 StAK 623 Nr. 6821, 752 f.<br />

611 NB, 3.11.1936: Zu den Werken S<strong>im</strong>on Meisters; NB, 4.11.1936: Das Lebenswerk eines großen <strong>Koblenz</strong>ers<br />

(Zitate); NB, 10.11.1936: Erfreulich starkes Kunstinteresse; VB 1933-1937, S. 72.


408<br />

Zust<strong>im</strong>mung, gab aber sein Einverständnis zu einem entsprechenden Werkvertrag, der <strong>im</strong><br />

Februar 1937 abgeschlossen wurde. 612<br />

Im Frühjahr 1937 kam es aus Gefälligkeit gegenüber einem hochrangigen national-<br />

sozialistischen Politiker zu einem Gemäldetausch. Vor der Einweihung des neuen<br />

Reichsbankgebäudes durch Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Dr. Hjalmar<br />

Schacht am 27. Januar 1937 besichtigte er gemeinsam mit Wittgen und S<strong>im</strong>on die städtische<br />

Kunstsammlung. Bei der Führung durch Sprung und den Vorsitzenden des Museumsvereins,<br />

Dr. med. Fritz Michel, fand Schacht Gefallen an einer Fegefeuer-Darstellung von Johann<br />

Zoffany (1733-1810). Im April 1937 schickte Wittgen ihm das Gemälde nach Berlin,<br />

verbunden mit der Bemerkung, dass man eventuell seine Hilfe bei der geplanten Ansiedlung<br />

von Industrieunternehmen benötige. Wie verabredet erhielt das <strong>Koblenz</strong>er Museum von<br />

Schacht <strong>im</strong> Austausch ein Porträt des Malers Balthasar Denner (1685-1749). 613<br />

Sprung kümmerte sich als „Obmann der hiesigen Künstlerschaft“ auch um die Belange seiner<br />

Kollegen. Er organisierte die seit Jahren übliche Weihnachtsverkaufsausstellung 614 der<br />

<strong>Koblenz</strong>er Künstler, die von Wittgen mit 100 RM aus seinem Dispositionsfonds unterstützt<br />

wurde. 615 Im September 1938 erwarb die Stadt über die Kreisleitung vier Gemälde mit<br />

<strong>Koblenz</strong>er Motiven des von Hitler protegierten Malers Ernst Vollbehr (1876-1960) für je<br />

330 RM. <strong>Die</strong> Bilder waren laut Kaufvertrag auf Verlangen jederzeit der Gauleitung zu<br />

Propagandazwecken zur Verfügung zu stellen. 616 Im Frühjahr 1939 organisierten Sprung und<br />

Bellinghausen zusammen mit der NSG KdF eine Ausstellung alter Stadtansichten, die in<br />

deren Ausstellungsraum in der Schloßstraße 9 gezeigt wurde. 617 Anlässlich der Eröffnung der<br />

Weihnachtsausstellung 1939 <strong>im</strong> Ausstellungsraum der NSG KdF fühlten KdF-Vertreter bei<br />

Kulturamtsleiter Smits vor, ob die Stadt wieder Ankäufe tätigen werde. Seine Erklärung, die<br />

vorgesehenen Etatmittel von 1.000 RM stünden keineswegs nur für Ankäufe aus der KdF-<br />

Ausstellung bereit und Ausgaben für nicht kriegswichtige Zwecke seien ohnehin gesperrt,<br />

machte wenig Eindruck. <strong>Die</strong> KdF-Vertreter hatten schließlich Erfolg, denn die Stadt tätigte<br />

sogar Ankäufe für 1.120 RM, davon allein 600 RM für Sprungs Ölgemälde „Eifellandschaft“<br />

für die städtische Kunstsammlung. <strong>Die</strong> NSG KdF vereinnahmte 20 % Provision von den<br />

612<br />

StAK 623 Nr. 3863, Zitate S. 45; ebd. Nr. 7216, S. 114 f., 130 f. In Sprungs elterlichem Wohnhaus,<br />

Markenbildchenweg 23, befand sich seit 1937 die Geschäftsstelle der NSDAP-Ortsgruppe Schenkendorf; StAK<br />

623 Nr. 6587, S. 215, 217.<br />

613<br />

StAK 623 Nr. 7057, S. 330-333; NB, 28.1.1937: Dr. Schacht weihte den <strong>Koblenz</strong>er Reichsbankneubau;<br />

Kramp: „Mögen wir Kraft schöpfen …“, S. 61, 74.<br />

614<br />

Ab 1935 war die NSKG bzw. ab 1937 die NSG KdF Veranstalterin der Weihnachtsverkaufsausstellung; ebd.<br />

Nr. 7128, S. 46 f.<br />

615<br />

StAK 623 Nr. 6556, S. 753, 760; ebd. Nr. 7072, Zitat S. 264. Noch bis mindestens 1937 blieb Sprung der<br />

Interessenvertreter der <strong>Koblenz</strong> Künstler; ebd. Nr. 6280, S. 583 f.<br />

616<br />

StAK 623 Nr. 7065, S. 734-744. Vollbehr hatte <strong>im</strong> August 1938 in <strong>Koblenz</strong> gemalt; NB, 31.8.1938: Kleine<br />

Malerei <strong>im</strong> Regen. Im Frühjahr 1941 folgte eine Vollbehr-Ausstellung <strong>im</strong> Schlossmuseum mit Bildern von der<br />

Front; NB, Ostern 1941: Am Westwall, in Polen und Frankreich.<br />

617<br />

StAK 623 Nr. 7065, S. 360; ebd. Nr. 7128, S. 88; ebd. Nr. 9567, S. 54.


409<br />

Künstlern, 5 % mehr als die Stadt bei ihren Verkaufsausstellungen. Rechnungsprüfungs-<br />

amtschef Müller rügte die Anschaffungen. Sie könnten trotz ihres wohltätigen Zwecks der<br />

Künstlerunterstützung nicht als „kriegswirtschaftlich-wichtige Ausgabe“ anerkannt werden.<br />

Stadtkämmerer Wirtz trat als Verteidiger auf. <strong>Die</strong>se Auslegung sei zu eng, denn die<br />

Vernachlässigung der Kunst- und Kulturpflege müsse „zu einer nicht zu verantwortenden<br />

geistigen Verarmung des Volkes führen“. Es gebe auch die Anordnung zum Weiterbetrieb des<br />

Theaters und der Konzerte mit der Begründung, dass „diese Kulturanstalten wichtige Mittel<br />

der Propaganda für die Aufrechterhaltung des Kriegs- und Siegeswillens des Volkes seien“.<br />

Damit tauchte erstmals das Argument von Kunst als Mittel zur Stärkung der He<strong>im</strong>atfront auf,<br />

das in vielen Variationen bis ins Jahr 1944 in Ansprachen und Programmheften zur<br />

Rechtfertigung von Kunst- und Kulturpflege <strong>im</strong> Krieg angeführt wurde. Früher, so Wirtz<br />

weiter, seien Ankäufe vernachlässigt worden, sodass Lücken später teuer hätten geschlossen<br />

werden müssen. Der Kauf des Sprung-Werkes sei so zu sehen, weil es „einen Wendepunkt<br />

und Markstein in der künstlerischen Auffassung und Darbietung“ bedeute. 618<br />

6.3.6 Künstlerladen und Auseinandersetzung mit Landesleiter Karl Ackermann<br />

Seit Anfang 1932 hatte die <strong>Stadtverwaltung</strong> für die <strong>Koblenz</strong>er Künstler in der Hindenburgstraße<br />

8 einen Ausstellungsraum gemietet, der zwei Jahre später gekündigt wurde. 619<br />

Daraufhin richtete sie 1935 mit einem Kostenaufwand von 2.700 RM einen „Künstlerladen“<br />

<strong>im</strong> Lenzschen Haus am Goebenplatz 20 her. 1936 bestückte Sprung dort die erste<br />

Ausstellung. Als das Kulturamt be<strong>im</strong> Landesleiter der Reichskammer für Bildende Künste,<br />

dem Ratsherrn und Architekten Karl Ackermann, um die obligatorische Genehmigung<br />

nachsuchte, wurde sie verweigert. Stattdessen verlangte Ackermann <strong>im</strong> Juni die Übergabe des<br />

Künstlerladens an ihn, da ihm die „die Präsidialgewalt für den Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier zur<br />

kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Betreuung der Künstler übertragen worden“ sei. <strong>Die</strong><br />

Stadt lehnte dies ab, weil die „Kunst- und Kulturpflege eine der vornehmsten Aufgaben der<br />

gemeindlichen Selbstverwaltung ist“. Wie absurd Ackermanns Forderung war, versuchte die<br />

Verwaltung mit dem Vergleich zu illustrieren, dass dann auch das Stadttheater an die<br />

Reichstheaterkammer abgegeben werden müsse. Im Übrigen sei der Künstlerladen auf Antrag<br />

Sprungs, seines eigenen Beauftragten und Referenten für Malerei und Grafik, eingerichtet<br />

worden. 620<br />

Als Ackermann auf seinem Standpunkt beharrte, wandte sich Wittgen <strong>im</strong> September 1936 an<br />

den Präsidenten der Berliner Reichskammer. Der Oberbürgermeister vermutete persönliche<br />

Motive Ackermanns. Gauleiter S<strong>im</strong>on und der DGT erhielten eine Durchschrift mit der<br />

618 StAK 623 Nr. 6705, S. 1-5, Zitate S. 3-5.<br />

619 StAK 623 Nr. 7072, S. 264-271, 293, 302.<br />

620 StAK 623 Nr. 7128, S. 1-16, Zitate S. 13-16.


410<br />

Bemerkung, der Landesleiter versuche, die Kunstpflege als eine Angelegenheit der<br />

kommunalen Selbstverwaltung einzuschränken. Trotz mehrfacher Erinnerung antwortete die<br />

Reichskammer nicht. Mitte Oktober 1936 interessierte sich der Gauobmann der NSKG,<br />

Urmes, be<strong>im</strong> Oberbürgermeister für den Raum, da der eigene Kunstausstellungsraum auf<br />

Monate belegt war. Wittgen informierte Urmes über die Blockade Ackermanns und das<br />

Stillhalten Berlins. Ab November stellte die Stadt der NSKG den Raum kostenlos und bis auf<br />

weiteres zur Verfügung. <strong>Die</strong> NSKG verpflichtete sich zur Übernahme der Unterhaltungs-<br />

kosten und jederzeitigen Rückgabe an die Stadt. Im Gegenzug sollten städtische Zuschüsse<br />

entfallen. <strong>Die</strong> NSKG revanchierte sich mit einem Brief an Smits, den er beliebig verwenden<br />

könne. Darin schilderte sie ihre eigenen erheblichen Probleme mit Ackermann, dem sie eine<br />

„sonderbare Einstellung“ attestierte. Seine „geradezu feindliche[n] Haltung“, die zu Lasten<br />

der Künstler gehe, habe er erst geändert, nachdem Urmes ihm sein „Missfallen“ ausgedrückt<br />

hätte. 621<br />

Der Zank mit Ackermann endete für die Stadt mit einem Sieg auf ganzer Linie. Der DGT<br />

bezeichnete die Forderungen Ackermanns <strong>im</strong> November 1936 als „in jeder Beziehung<br />

unbillig“ und kündigte einen Vermittlungsversuch des Geschäftsführers der Reichskammer<br />

an. Ende November verweigerte der Präsident der Reichskammer seinem Landesleiter die von<br />

ihm erbetene Bestätigung für sein Vorgehen und gab damit der Stadt Recht. 622<br />

Der Künstlerladen wurde danach gelegentlich genutzt, 623 stand aber auch oft leer. Einen von<br />

Urmes unterstützten Zuschussantrag der NSG KdF vom März 1939 für deren Ausstellungs-<br />

raum in der Schloßstraße lehnte Wittgen unter Hinweis auf den Künstlerladen ab. Außerdem<br />

seien an die NSG KdF in den letzten Jahren be<strong>im</strong> Ankauf von Bildern zeitgenössischer<br />

Künstler Provisionen geflossen. Auch Habicht und S<strong>im</strong>mer wehrten die wiederholten<br />

Zuschussanträge ab. Ab September 1939 war der Künstlerladen ein Jahr lang für ein<br />

Reifenlager beschlagnahmt. Danach wurde er nicht allzu häufig von Künstlern für kleine<br />

Ausstellungen genutzt, bis ein Luftangriff am 20. April 1944 das Gebäude Goebenplatz 20<br />

zerstörte. 624<br />

6.3.7 Kunstkreis, Konkurrenz und Konflikte<br />

Mit Kriegsbeginn sank der Stellenwert der städtischen Kunstpflege zunächst drastisch. <strong>Die</strong><br />

entsprechende Haushaltsposition, die unter Wittgen deutlich gestiegen war, schrumpfte in der<br />

Haushaltssatzung 1940 <strong>im</strong> Vergleich zum Vorjahr um ca. 70 %. Erst in der letzten<br />

621 StAK 623 Nr. 7128, S. 35-44, 46 f. (Zitate).<br />

622 StAK 623 Nr. 7128, S. 45 (Zitat), 51, 54 f.<br />

623 Beispiele: NB, 16.2.1937: Der Bühnenbildner Hermann Kühne; NB, 5.12.1940: Kunstausstellung am<br />

Goebenplatz.<br />

624 StAK 623 Nr. 7128, S. 56-140.


411<br />

überlieferten Haushaltssatzung für 1943 erreichte sie wieder fast das Vorkriegsniveau. 625<br />

Andererseits erklärte S<strong>im</strong>mer das Kulturressort zur Chefsache, indem er es 1940 in sein<br />

eigenes Dezernat übernahm, 626 während es unter Wittgen die Angelegenheit von Binhold<br />

gewesen war. <strong>Die</strong> Empfangsräume seiner <strong>Die</strong>nstwohnung ließ S<strong>im</strong>mer mit repräsentativen<br />

Gemälden aus der städtischen Sammlung ausstatten. <strong>Die</strong> Bilder mussten 1941 auf seinen<br />

Wunsch mit Erläuterungshinweisen versehen werden. 627<br />

Zu einer Wende in der städtischen Kulturpolitik kam es 1941, als S<strong>im</strong>mer anfing, Kunst nicht<br />

nur offensiv zu Propagandazwecken, sondern vor allem als Mittel zur Wahrung bzw. Hebung<br />

des Status „seiner“ Gauhauptstadt einzusetzen. Äußeres Zeichen für die erhöhte Aufmerk-<br />

samkeit S<strong>im</strong>mers in Sachen Kunst- und Kulturpflege war die Gründung des „Kunstkreises<br />

<strong>Koblenz</strong>“ <strong>im</strong> Dezember 1941. Gauleiter S<strong>im</strong>on hatte schon am 28. April 1940 den<br />

Kulturverband Gau Moselland ins Leben gerufen, 628 dem sich auf lokaler Ebene die Städte<br />

und Kreise mit neu eingerichteten Kunstkreisen anschlossen. Anfang Dezember 1941 berief<br />

S<strong>im</strong>mer die Mitglieder des „Arbeitsausschusses“, die sich der Programmgestaltung für<br />

best<strong>im</strong>mte Themengebiete widmen sollten: Oberstudiendirektor Dr. Karl Jacobi für<br />

Wissenschaften, Sprung für Bildende Kunst, Provinzialbaurat und Fachgruppenwalter für<br />

Bauwesen <strong>im</strong> NSBDT Dr.-Ing. Werner Gensel für Architektur, Studienrat und Schriftsteller<br />

Dr. Anton Gabele für Schrifttum, Gausängerführer Dr. Josef Heinrichs für Musik und Dr.<br />

med. Dr. h.c. Fritz Michel für He<strong>im</strong>atpflege. Ende Dezember ergänzte S<strong>im</strong>mer den<br />

Arbeitsausschuss durch die Berufung von Regierungsvizepräsident Dr. Edmund Strutz. Zu<br />

seinem Stellvertreter best<strong>im</strong>mte er <strong>im</strong> Februar 1942 Jacobi. Im Oktober 1942 berief S<strong>im</strong>mer<br />

zusätzlich den Lehrer und Schriftsteller Hanns Maria Lux. 629 Weiteres Organ des<br />

Kunstkreises war der „Ehrenbeirat“, dessen Mitglieder keinerlei Funktion auszuüben hatten.<br />

Für dieses Gremium gewann S<strong>im</strong>mer den Stellvertretenden Gauleiter Fritz Reckmann,<br />

Kreisleiter Willi Cattepoel, Vize-Oberpräsident Karl Eugen Dellenbusch, Regierungs-<br />

präsident Dr. Gerhard Mischke, Standortkommandant Oberst Max Hoffmann, Wehrersatz-<br />

inspekteur Generalleutnant Kurt von Berg, Arbeitsgauführer Arthur Etterich und<br />

Brauereibesitzer Wilhelm Schultheis. <strong>Die</strong> Geschäfte des Kunstkreises führte Smits. 630<br />

625 Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1933, S. 32; dito 1934, S. 32; dito 1935, S. 36;<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1936, S. 37; dito 1937, S. 38: jeweils „Museen und<br />

Gemäldesammlung“. Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1938, S. 46-49; dito 1939, S.<br />

48-51; dito 1940, S. 56-59; dito 1941, S. 54 f.; dito 1942, S. 54-57; dito 1943, S. 60-63: jeweils „Kunstpflege“.<br />

<strong>Die</strong> beiden Zuschuss-Positionen weisen <strong>im</strong> Lauf der Jahre zwar nicht exakt dieselben Einnahmen- und<br />

Ausgabenposten aus, spiegeln aber trotzdem gut die Tendenz der Haushalte.<br />

626 StAK 623 Nr. 9568, S. 48-50.<br />

627 StAK 623 Nr. 7068, S. 608-640.<br />

628 NB, 29.4.1940: Feierliche Gründung des Kulturverbandes der Westmark; Bongers: Der Kulturverband Gau<br />

Moselland, Abb. nach S. 16.<br />

629 StAK 623 Nr. 7136, S. 1-13, 27; ebd. Nr. 7197, S. 35.<br />

630 StAK 623 Nr. 7197. Ratsherr und IHK-Präsident Ocklenburg lehnte die Berufung ab, da er sich für Dauer des<br />

Krieges nicht in <strong>Koblenz</strong> befinde.


412<br />

<strong>Die</strong> festliche Eröffnung des Kunstkreises fand am 7. Dezember 1941 <strong>im</strong> Stadttheater statt.<br />

Zum Schluss der „klaren best<strong>im</strong>menden Ausführungen“ seiner Eröffnungsansprache kündigte<br />

S<strong>im</strong>mer vor allem Kunstausstellungen an. Ziel des Kunstkreises sei neben der Kultur-<br />

förderung, <strong>im</strong> Sinne des Führers mitzuhelfen, „den inneren Widerstand der Herzen zu<br />

stärken.“ Der Festakt bildete gleichzeitig die erste Veranstaltung des Kunstkreises. Passend<br />

zum Mozartjahr spielte das Fehse-Streichquartett, und Friedrich Herzfeld aus Berlin hielt den<br />

Festvortrag. 631<br />

Der Kulturverband hatte für die ihm angeschlossenen Kunstkreise eine Rahmensatzung<br />

vorgegeben. 632 Geschäftsführender Vorsitzender des Kulturverbandes und gleichzeitig<br />

einflussreicher Verleger der Zeitschrift „Moselland. Kulturpolitische Blätter“ 633 war Aurel<br />

Bongers. S<strong>im</strong>mer erreichte 1941 in Verhandlungen mit Bongers, dass der Kulturverband auf<br />

die vorgesehene Beteiligung an den dem Kunstkreis einmalig zufließenden Zuschüssen bis<br />

auf weiteres verzichtete. Zum Verzicht auf den vorgesehenen hälftigen Anteil an den<br />

Mitgliederbeiträgen war Bongers aber nicht zu bewegen. Daraufhin machte S<strong>im</strong>mer als Leiter<br />

des Kunstkreises <strong>Koblenz</strong> keinerlei Anstalten mehr, die Satzung in Kraft zu setzen. Sie stand<br />

auch nie auf der Tagesordnung des Arbeitsausschusses, eine Mitgliederversammlung fand erst<br />

gar nicht statt. 634 <strong>Die</strong> Kassenprüfung erledigte das städtische Rechnungsprüfungsamt. 635<br />

In einer Rundverfügung rief S<strong>im</strong>mer Anfang Februar 1942 die städtischen Bediensteten auf,<br />

dem Kunstkreis beizutreten und dessen Veranstaltungen zu besuchen: „Jeder von uns braucht<br />

in dieser schicksalschweren Zeit mehr denn je seelische Erlebnisse, wie sie durch kulturelle<br />

Darbietungen vermittelt werden.“ 636 Der Jahresmindestbeitrag betrug 12 RM. Der Kunstkreis<br />

startete mit 58 Einzelmitgliedern und 24 Firmen, die ihre Mitgliedschaft schon über den<br />

Kulturverband angemeldet hatten. Am 31. März 1942 zählte der Kunstkreis 270 Mitglieder, 637<br />

<strong>im</strong> Oktober waren es schon 465. 638 Zur Werbung weiterer Mitglieder gab der Kunstkreis 1942<br />

„Weihnachtsurkunden“ heraus, mit denen eine Jahresmitgliedschaft verschenkt werden<br />

konnte. 639<br />

631<br />

NB, 9.12.1941: Kunstkreis <strong>Koblenz</strong> eröffnet. Vgl. StAK V 3 Nr. 4, Programmblatt zum Mozartjahr mit<br />

Ankündigung der Eröffnungsveranstaltung.<br />

632<br />

Satzung des Kulturverbandes in: BArch R 36/2459. Laut § 9 waren die Oberbürgermeister von <strong>Koblenz</strong> und<br />

Trier sowie vier weitere Bürgermeister Mitglieder des Finanzbeirats.<br />

633<br />

<strong>Die</strong> Zeitschrift erschien in der Verlagsanstalt Moselland GmbH Luxemburg. Als Hauptschriftleiter zeichnete<br />

Dr. Emil Glaß verantwortlich, der während seiner Einberufung durch Albert Perizonius und dieser während<br />

seiner Einberufung wiederum durch Dr. Arno Kupferschmidt vertreten wurde. Moselland. Kulturpolitische<br />

Blätter, Oktober-Dezember 1942, o. S.; ebd., Januar-März 1944, Impressum, o. S.<br />

634<br />

StAK 623 Nr. 7194. Als ein neues Mitglied <strong>im</strong> Februar 1942 um Zusendung der Satzung bat, antwortete<br />

Geschäftsführer Smits, sie sei noch nicht gedruckt und werde den Mitgliedern später zugehen; ebd. Nr. 7037, S.<br />

84 f.<br />

635<br />

StAK 623 Nr. 7136, S. 23 f.<br />

636<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 36; ebd. Nr. 6192, S. 222.<br />

637<br />

StAK 623 Nr. 7136, S. 21 f.<br />

638<br />

StAK 623 Nr. 7197, S. 16. Vgl. Mitgliederlisten ebd. Nr. 7206.<br />

639 StAK 623 Nr. 7037.


413<br />

Im Januar 1942 wurde der Große Sitzungssaal des Rathauses für die geplanten<br />

Vortragsveranstaltungen hergerichtet und eine Filmleinwand installiert. <strong>Die</strong> Malerin<br />

Hyazinthe Clemens erhielt den Auftrag zur Restaurierung der beiden repräsentativen<br />

Kurfürstengemälde. 640 Wie bei den städtischen Konzerten legte S<strong>im</strong>mer größten Wert auf ein<br />

„vorzügliches Niveau“ der Vorträge, das den Besuchern den Anspruch des Kunstkreises<br />

verdeutlichen sollte. Den Anfang machte am 18. Januar 1942 Professor Dr. Hans Kauffmann<br />

mit einem Referat über Rubens. 641 <strong>Die</strong> Einzelvorträge strebten eine „gedankliche<br />

Geschlossenheit“ an, indem sich die Veranstaltungsreihen jeweils einer Kunstepoche<br />

widmeten. 642 Eine außergewöhnliche Attraktion war die Eröffnungsveranstaltung der Saison<br />

1942/43. Der gefeierte Staatsschauspieler Heinrich George las am 25. September 1942 aus<br />

deutschen und nordischen Dichtungen, umrahmt wurde die Veranstaltung durch das<br />

Klaviertrio um die <strong>Koblenz</strong>er Pianistin Emma Sagebiel. Der letzte überlieferte Vortrag des<br />

Kunstkreises am 25. Juni 1944 galt Rembrandt. 643<br />

<strong>Die</strong> Gründung des Kunstkreises war genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgt. Ende Mai 1942<br />

vermerkte Bürgermeister Hüster anlässlich einer Ausstellungseröffnung der international<br />

erfolgreichen und umworbenen Trierer Bildhauerin Anni(e) Höfken-Hempel 644 durch den<br />

Gauleiter, dass Trier <strong>im</strong> letzten Jahr mehrere gute Kunstausstellungen veranstaltet habe.<br />

Deswegen sei „bei weiterem Stagnieren dieses Kunstgebietes in <strong>Koblenz</strong> zu befürchten, daß<br />

das Ansehen der Gauhauptstadt Schaden leidet.“ Das <strong>Koblenz</strong>er Ausstellungsleben müsse<br />

daher unbedingt wieder in Gang gebracht werden. Das Hochbauamt sollte die Kosten für die<br />

entsprechende Herrichtung des Schlosses ermitteln. 180 laufende Meter Stellwände waren zu<br />

z<strong>im</strong>mern, für die Smits aus Trier eine Musterzeichnung besorgte. 645 Im November 1942<br />

schlug S<strong>im</strong>mer seinem Trierer Amtskollegen Dr. Konrad Gorges und Gaupropagandaleiter<br />

Urmes für Weihnachten eine gemeinsame Kunst- und Verkaufsausstellung in <strong>Koblenz</strong>, Trier<br />

und Luxemburg vor, die für je zwei Wochen durch die Städte wandern sollte. Gorges war<br />

nicht abgeneigt, befürchtete aber, dass die Qualität der zu erwartenden Bilder nicht sehr hoch<br />

sein werde. Der Kulturverband sammele nämlich schon eifrig bei den he<strong>im</strong>ischen Künstlern<br />

für die Ausstellung zur Eröffnung des neuen Luxemburger Kunsthauses. 646 Urmes<br />

640<br />

StAK 623 Nr. 7037, 89-94, 97-113. Clemens wurde nur mit einem der Bilder fertig, beide wurden 1944 auf<br />

der Festung Ehrenbreitstein sichergestellt.<br />

641<br />

StAK 623 Nr. 7136, S. 16 f.<br />

642<br />

StAK 623 Nr. 7117, S. 3-5, Zitat S. 4.<br />

643<br />

StAK 623 Nr. 7037, S. 241-428 (Zeitungsausschnittsammlung).<br />

644<br />

NB, 30./31.5.1942: Beglückung aus den inneren Kraftquellen; NB, 1.6.1942: Von den Kräften des Geistes;<br />

Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2007, S.<br />

254. Höfken-Hempel war die mit Abstand erfolgreichste Künstlerin des Gaues. Sie schuf Porträtbüsten von<br />

höchsten Parteifunktionären (Göring, Rosenberg) und präsentierte ihre Werke bei Ausstellungen u. a. in Paris,<br />

Rom und Budapest. NB, 5.11.1941: Rom ehrte eine moselländische Künstlerin; NB, 24./25.1.1942:<br />

Moselländische Kunst in Ungarn.<br />

645<br />

StAK 623 Nr. 6705, S. 725-727, Zitat S. 726.<br />

646<br />

StAK 623 Nr. 7181, S. 35-51. Gorges und S<strong>im</strong>mer vereinbarten für 1943 längerfristige Planungen, die<br />

S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Oktober 1943 für „überholt“ erklärte; ebd., S. 130. An der Luxemburger Ausstellung beteiligten sich<br />

auch <strong>Koblenz</strong>er Künstler, nämlich Sprung, Robert Gerstenkorn und Toni Christmann. Ausstellung


414<br />

übergab das Kunsthaus am 5. Dezember 1942 „seiner Best<strong>im</strong>mung als Mittelpunkt des<br />

moselländischen Kunstschaffens“. Gleichzeitig verlieh er den von Gauleiter S<strong>im</strong>on gestifteten<br />

„Kunstpreis des Mosellandes“ 1941 an den Dichter Hanns Maria Lux und den des Jahres<br />

1942 an den „Senior der moselländischen Künstler“, Hanns Sprung. 647 Urmes’ Worte mussten<br />

in <strong>Koblenz</strong> wie eine Kampfansage klingen. Zwar war es spätestens, seitdem S<strong>im</strong>on 1941 den<br />

Generalbebauungsplan gebilligt hatte, klar, dass <strong>Koblenz</strong> Verwaltungszentrum des Gaues<br />

bleiben und Trier zum kulturellen und weltanschaulichen Mittelpunkt ausgebaut werden<br />

sollte, doch nun lag mit Luxemburg ein neuer Konkurrent gut <strong>im</strong> Rennen. Der Schwerpunkt<br />

des kulturellen Lebens schien sich noch weiter nach Westen zu verlagern, und zwar ganz<br />

offensichtlich auf Wunsch und mit Unterstützung des Gauleiters. S<strong>im</strong>on versuchte, das ihm<br />

als CdZ unterstellte Luxemburg durch Anknüpfen an gemeinsame „völkische“ Ursprünge und<br />

kulturelle Traditionen in seinen „Grenzgau“ zu integrieren. 648<br />

Wie Hüster bereits erkannt hatte, gehörte zum Prestige einer Gauhauptstadt auch ein<br />

blühendes Kulturleben. Um die Trierer und Luxemburger Rivalen in ihre Schranken zu<br />

verweisen, reagierte S<strong>im</strong>mer schnell und gründlich. Noch <strong>im</strong> Dezember 1942 begann er mit<br />

der Planung für eine Kunstausstellung <strong>im</strong> Jahre 1943. Von Anfang an wurde ein hoher<br />

Maßstab für das Niveau der Ausstellung und ihres Rahmens angelegt. Das Hochbauamt<br />

erhielt die Weisung, dass die Qualität der Ausstellungstische, Vitrinen etc. auf keinen Fall<br />

hinter der Ausstattung des Luxemburger Kunsthauses zurückbleiben dürfe. 649 <strong>Die</strong> ermittelten<br />

Kosten für die Herrichtung des Schlosses von 27.000 RM und ein städtischer Zuschussbedarf<br />

von 12.500 RM waren kein Problem. <strong>Die</strong> Konditionen für die Künstler, die zur Beteiligung<br />

eingeladen wurden, gestaltete man hinsichtlich der Transportkosten der Kunstwerke günstiger<br />

als das Luxemburger Konkurrenzinstitut. Der <strong>im</strong> Schloss betriebene Aufwand erregte schon<br />

bald den Unmut des Gaubeauftragten des Generalbevollmächtigten für die Regelung der<br />

Bauwirtschaft <strong>im</strong> Gau Moselland. Er ermahnte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Juni 1943, dass mitten <strong>im</strong> Krieg<br />

knappe Arbeitskräfte sinnvoller einzusetzen und Kunstausstellungen nur einfach zu gestalten<br />

seien. Doch selbst bei der Titelwahl gab man sich nicht bescheiden. War erst von einer<br />

„Sommerausstellung“ die Rede, wurde am 18. Mai 1943 bei der Reichskammer der Bildenden<br />

Künste die „Große Kunstausstellung 1943“ angemeldet. Dort musste man erst noch<br />

begründen, warum das Einzugsgebiet der eingeladenen Künstler sich nicht, wie vorge-<br />

schrieben, mit den Gaugrenzen deckte, sondern darüber hinausging. Hatte die Stadt zunächst<br />

einen Alleingang als Veranstalter geplant, einigte sich S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> April mit Urmes darauf,<br />

Moselländischer Künstler. Vom 5. Dezember 1942 bis 31. Januar 1943. Kunsthaus Luxemburg/Kulturverband<br />

Gau Moselland. Luxemburg 1942.<br />

647 NB, 7.12.1942: Kultur steigert unsere Wehrkraft; Kunsthaus Luxemburg eröffnet. In: Moselland.<br />

Kulturpolitische Blätter, Januar-März 1943, S. 35 (Zitate); Heinz Hart: Porträt eines Moselland-Malers.<br />

Kunstpreisträger Hanns Sprung. In: Ebd., S. 8 f. Leiter des Kunsthauses wurde der Trierer Maler Hans Dornoff.<br />

648 Kramp: „Mögen wir Kraft schöpfen …“, S. 63 f., 74.<br />

649 StAK 623 Nr. 6293, S. 37 f. <strong>Die</strong> gelieferten Stellwände bemängelte Smits be<strong>im</strong> Hochbauamt mit dem<br />

Hinweis, sie sollten „bei repräsentativen Ausstellungen der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> verwendet werden“; ebd. Nr.<br />

6705, S. 717 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).


415<br />

dass als Träger die „Stadt <strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit dem Kulturverband Gau Moselland“<br />

auftreten sollte. 650 Vor dem Kunstkreis-Arbeitsausschuss begründete S<strong>im</strong>mer diese<br />

Umfirmierung damit, dass Urmes ihn über „das Wesen des Gaukulturverbandes als<br />

Schutzorganisation gegenüber zentralistischer Bestrebungen der K.d.F. aufgeklärt“ habe und<br />

der Kulturverband dagegen die kulturellen Aufgaben der Städte nicht antasten wolle. 651<br />

S<strong>im</strong>mers Entgegenkommen hinderte das kulturpolitische Blatt des Gaues nicht daran, in<br />

seiner Berichterstattung die Reihenfolge der Veranstalter und damit ihre Wertigkeit einfach<br />

umzudrehen. 652<br />

Noch während der Vorbereitungen zur Ausstellung entwickelte sich ein regelrechter Streit<br />

über die Stellung des Kunstkreises zwischen S<strong>im</strong>mer und Urmes, der das „volle Vertrauen“<br />

des Gauleiters genoss und eine „stark hervorgehoben[e]“ Stellung unter den Gauamtsleitern<br />

einnahm. 653 Das Verhältnis zwischen beiden – Urmes war acht Jahre jünger, ebenfalls<br />

Akademiker und Abteilungsleiter be<strong>im</strong> CdZ – war offenbar ohnehin nicht ganz<br />

spannungsfrei. 654 Immerhin verhängte das Reichspropagandaamt 1943 ein Redeverbot für<br />

S<strong>im</strong>mer in seiner Eigenschaft als Gauredner. 655 Als der Kulturverband vom Kunstkreis die<br />

Vorlage von Unterlagen für eine Kassenprüfung verlangte, ordnete S<strong>im</strong>mer Anfang April<br />

1943 an, dass „insbesondere ein Zusammenhang mit dem Kulturverband nicht in die Satzung<br />

gebracht werden soll. Der Kunstkreis soll allein eine kulturelle Angelegenheit der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> sein […]. <strong>Die</strong> Satzung ist noch nicht spruchreif.“ 656 Nachdem er zwe<strong>im</strong>al ohne<br />

Begründung die Herausgabe der Kassenbelege verweigert hatte, vertrat S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> August<br />

gegenüber Urmes als dem Präsidenten des Kulturverbandes die Ansicht, die Führung des<br />

Kunstkreises sei eine Angelegenheit der <strong>Stadtverwaltung</strong>. <strong>Die</strong>se Auffassung bezeichnete<br />

Urmes <strong>im</strong> September als „völlig irrig“. Er bestehe darauf, dass alle Kunstkreis-Leiter, die<br />

durch den Gaupropagandaleiter (also ihn) berufen seien, die Grundsätze der Arbeit „absolut“<br />

anerkennen würden. Dazu gehöre selbstverständlich das Recht der Kassenprüfung. Auf<br />

Wunsch des Gauleiters solle S<strong>im</strong>mer das Thema Kunstkreis mit ihm selbst, seinem<br />

Kulturreferenten und Cattepoel besprechen. Ergänzend betonte Geschäftsführer Bongers, dass<br />

eine „separatistische Stellung“ des <strong>Koblenz</strong>er Kunstkreises nicht akzeptiert werde. Ob die<br />

Besprechung stattfand, ist fraglich. Zwei von Urmes kurzfristig quasi diktierte Termine<br />

650 StAK 623 Nr. 6293.<br />

651 StAK 623 Nr. 7136, S. 35 f.<br />

652 Moselland. Kulturpolitische Blätter, Juli-September 1943, S. 85-89, 117.<br />

653 So jedenfalls der übereinst<strong>im</strong>mende Eindruck von zwei Beamten des Reichspropagandaministeriums<br />

anlässlich ihrer Inspektionsreisen nach <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> März 1942 und November 1943; BArch R 55/1211, Bl. 265<br />

(Zitate); ebd. R 55/20737, Bl. 2.<br />

654 Im Juni 1941 hatte der Leiter des Gaurings für Propaganda, Wilhelm Rolle, S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Auftrag von Urmes in<br />

sarkastischen Ton mitgeteilt, Urmes habe eine Rechnung über 1,30 RM – die auf das Schlossmuseum ausgestellt<br />

und irrtümlich der Gaupropagandaleitung zugegangen war – aus seiner eigenen Tasche beglichen. Er wolle<br />

damit verhindern, dass das nächste Haushaltsdefizit der Stadt auf diesen Betrag zurückgeführt werden könne.<br />

StAK 623 Nr. 6280, S. 604.<br />

655 Vgl. Kapitel 5.3.2.<br />

656 StAK 623 Nr. 7194, S. 34.


416<br />

konnte S<strong>im</strong>mer nicht wahrnehmen. Er schrieb Urmes zurück, ob er nicht den unter<br />

Parteigenossen üblichen Weg eines kurzen Anrufs wählen könne, damit man sich „in<br />

kameradschaftlicher Weise“ auf einen Termin einigen könne. 657<br />

Bis kurz vor der Anmeldung der Ausstellung bei der Reichskammer war die Frage des<br />

künstlerischen Ausstellungsleiters noch nicht geklärt. Der frisch gekürte Moselland-<br />

Kunstpreisträger Sprung, der bei der Weihnachtsausstellung <strong>Koblenz</strong>er Künstler 1942 <strong>im</strong><br />

Schloss wie gewohnt Ausstellungsleiter gewesen war, 658 kam dafür offenbar von vorneherein<br />

nicht in Frage. Smits notierte Anfang Mai 1943 für S<strong>im</strong>mer, es sei <strong>im</strong> Interesse der<br />

Ausstellung, „eine Persönlichkeit mit gewichtigem Namen“ zu gewinnen und zog sogar eine<br />

Parallele zu Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, der mit der nächsten Münchener<br />

Ausstellung beauftragt sei. S<strong>im</strong>mer st<strong>im</strong>mte Smits zu, die Frage sei ganz entscheidend, und<br />

verpflichtete ihn zu strengstem Stillschweigen. Nachdem sich hochfliegendere Pläne<br />

zerschlagen hatten, 659 wurde Ludwig Stähler, freischaffender Architekt, Horchhe<strong>im</strong>er<br />

NSDAP-Ortsgruppenleiter und Landesleiter der Reichskammer der Bildenden Künste, als<br />

Kurator verpflichtet. S<strong>im</strong>mer gab erst am Tag der Anmeldung sein Einverständnis, und zwar<br />

unter der Voraussetzung, dass die Ausstellung „erstklassig“ werde und Stähler sich<br />

hundertprozentig einsetze. 660<br />

Von den eingereichten rund 2.000 Arbeiten suchte die Jury, zu der außer Stähler der<br />

Kunstmaler Karl Dörrbecker und der Bildhauer Karl Wagner, beide aus Frankfurt am Main, 661<br />

gehörten, ca. 800 Kunstwerke aus. Sie wurden mit 500.000 RM versichert. 662 Bei den<br />

Kunstwerken überwogen Landschaftsdarstellungen des Gaugebiets, aber auch besetzter<br />

Gebiete, Stillleben und Charakterporträts. Daneben gab es Tendenzwerke, die dem politischen<br />

Zeitgeist und ihren Protagonisten huldigten. So steuerten der Schöpfer des Schängel-<br />

Brunnens, Karl Burger 663 , eine überlebensgroße „Führerbüste“, „BDM-Mädel mit<br />

Sammelbüchse“, „He<strong>im</strong>atfront“ und „Sammelnder Hitlerjunge“ bei, der Trierer Maler Martin<br />

Mendgen die Zeichnung „Der Sohn des Gauleiters“, der <strong>Koblenz</strong>er Toni Christmann eine<br />

Marmorbüste der Gaufrauenschafsleiterin „Frl. E. Schr<strong>im</strong>pf“ und Höfken-Hempel eine Büste<br />

von „Mussolini“. 664 Sprung war nicht vertreten. 665 <strong>Die</strong> Ausstellung wurde am 10. Juli mit<br />

657<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 66-71, Zitate S. 66, 69, 71. Den Vorgang ließ S<strong>im</strong>mer in seiner Handakte <strong>im</strong><br />

Vorz<strong>im</strong>mer abheften.<br />

658<br />

StAK 623 Nr. 7181, S. 59-61. Sprung hatte angesichts schlechter Wege und abgelegener Lage das Rathaus<br />

favorisiert. Er erzielte für eine Eifellandschaft mit 1.000 RM den zweithöchsten Verkaufspreis, außerdem<br />

800 RM für ein Blumenstillleben. Ebd., S. 100.<br />

659<br />

Smits hatte Werner Peiner (1897-1984), Professor an der Düsseldorfer Akademie und seit 1936 Leiter der<br />

Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei in Kronenburg/Eifel, vorgeschlagen. S<strong>im</strong>mer hatte an den Aachener<br />

Architektur-Professor Hans Mehrtens (1892-1976) gedacht, der <strong>im</strong> März 1943 einen Vortrag be<strong>im</strong> Kunstkreis<br />

gehalten hatte. StAK 623 Nr. 6293, S. 280, 282; NB, 24.3.1943: Ein Städtebaumeister <strong>im</strong> Kunstkreis.<br />

660<br />

StAK 623 Nr. 6293, S. 280-283, Zitate S. 280, 283.<br />

661<br />

Vgl. auch StAK 623 Nr. 6839, S. 126.<br />

662<br />

StAK 623 Nr. 7205.<br />

663<br />

Vgl. Kapital 6.3.12.<br />

664<br />

StAK 623 Nr. 6293; ebd. Nr. 6705, S. 99-140; ebd. Nr. 7205.


417<br />

einem Festakt <strong>im</strong> Stadttheater eröffnet, zu dem S<strong>im</strong>mer neben Prominenz aus Staat, Partei<br />

und Gesellschaft auch 20 verwundete Soldaten eingeladen hatte. S<strong>im</strong>mer betonte in seiner<br />

Eröffnungsansprache die Bedeutung der Kunst, die Kraft schenken solle für das Bestehen der<br />

schicksalsschweren Zeit. Urmes hetzte in seiner Rede gegen die von ausländischen Juden<br />

gelenkten Angriffe auf die deutsche Kultur, die „kanadische und amerikanische Niggerboys<br />

vernichten“ wollten. 666 <strong>Die</strong> Zuschauerresonanz der Kunstausstellung war so überwältigend,<br />

dass sie um eine Woche bis 19. September verlängert wurde. 30.240 Besucher sprachen für<br />

sich. Sie bestätigten S<strong>im</strong>mers Konzept und enthoben das Ausstellungsprojekt nach seinen<br />

Worten „jeder Fragwürdigkeit“. Gaupropagandaleiter Urmes, den noch 1941 die nur mäßige<br />

Beachtung des moselländischen Kulturschaffens <strong>im</strong> Reich gewurmt hatte, 667 neidete der Stadt<br />

die überregionale Anerkennung, wie Museumsdiener Kohlhoff zugetragen wurde. S<strong>im</strong>mer<br />

zeigte sich mit seinem Ausstellungsleiter Stähler zufrieden und überwies ihm ein großzügiges<br />

Honorar von 1.000 RM. 668<br />

Nach der Berufung Stählers war es zu einer „Aussprache“ zwischen S<strong>im</strong>mer und Sprung<br />

gekommen, auf die sich Sprung in einem Schreiben an den Oberbürgermeister vom Juni 1943<br />

bezog. Jahrelang habe er jeden „Krach […] bei unserer verschiedenen Auffassung in<br />

Kunstdingen“ vermieden, selbst als S<strong>im</strong>mer die „eigenartige Bemerkung“ gemacht habe,<br />

systematisches Kunstsammeln und Heben des künstlerischen Niveaus des Museums seien<br />

„kein Ziel“. Jetzt habe ihm S<strong>im</strong>mer „<strong>im</strong> wahrsten Sinne des Wortes den Stuhl vor die Tür“<br />

gesetzt. Er sei sich bewusst, dass S<strong>im</strong>mer seiner Tätigkeit keine Bedeutung beigemessen<br />

habe. Öfter habe er an Rücktritt gedacht, sei aber froh, dass er unter „Witgen [sic], der wohl<br />

Sinn aber keine grösseren Mittel zur Verfügung hatte“, einen Teil seiner Ideen habe<br />

verwirklichen können. Eindringlich appellierte der Kustos an S<strong>im</strong>mer, angesichts der<br />

Luftgefahr schnellstens eine Neutaxierung und -versicherung des Museumsbestandes<br />

vornehmen zu lassen. 669 Sprung, der keine allzu umgängliche Persönlichkeit gewesen zu sein<br />

scheint, 670 war tief gekränkt. Smits gegenüber erklärte er, es sei für die Künstlerschaft eine<br />

„Beleidigung“ gewesen, dass man einen Architekten zum Ausstellungsleiter gemacht hatte. 671<br />

Das Zerwürfnis zwischen Oberbürgermeister und Kustos resultierte demnach aus Differenzen<br />

665<br />

Sprung hatte zwar zwei Gemälde angemeldet, nachdem es um seine unklar ausgefüllte Anmeldekarte schon<br />

Irritationen gegeben hatte; StAK 623 Nr. 8944, S. 115-117. Er taucht aber weder in der Liste der ausgestellten<br />

noch in der Liste der abgelehnten Kunstwerke auf; ebd., Nr. 7205, S. 15-56.<br />

666<br />

NB, 12.7.1943: Kunst als Kraftquelle zu Kampf und Sieg; Moselland. Kulturpolitische Blätter, Juli-<br />

September 1943, S. 117 (Zitat). Den Festvortrag hielt der Bonner Kunsthistoriker Prof. Dr. Alfred Stange. Für<br />

die Eröffnungsveranstaltung wurde – wie schon be<strong>im</strong> Gaujubiläum 1941 – für die Schlosstreppe ein Teppich aus<br />

dem Luxemburger Schloss herbeigeschafft; StAK 623 Nr. 6293, S. 71, 73.<br />

667<br />

StAK 623 Nr. 8979, S. 36.<br />

668<br />

StAK 623 Nr. 6293; ebd. Nr. 6705, S. 256-524; ebd. Nr. 8152, S. 62 (Zitat).<br />

669<br />

StAK 623 Nr. 8944, S. 113 f.<br />

670<br />

Im Kulturausschuss vor 1933 hatte er den Spitznamen „Stänkerer“; NB, 8.9.1933: Von der Rumpelkammer<br />

zum Volksmuseum. Ab 1933 sind z. B. in Beiratssitzungsprotokollen verschiedentlich polemische Äußerungen<br />

oder Unterstellungen Sprungs überliefert; StAK 623 Nr. 6726, S. 670 f., 677-680; ebd. Nr. 6727, S. 35; ebd. Nr.<br />

6875, S. 856-864; ebd. Nr. 7032, S. 262 f.<br />

671<br />

StAK 623 Nr. 7181, S. 152.


418<br />

in der Kunstauffassung und Sprungs Gefühl der Zurücksetzung. Anfang Oktober 1943 trat<br />

Sprung aufgrund der „Erfahrungen, die ich mit dem Herrn Oberbürgermeister gemacht habe“,<br />

aus dem Kunstkreis und dessen Arbeitsausschuss aus. 672 Als Sprung <strong>im</strong> März 1944 seinen<br />

60. Geburtstag feierte, war das Verhältnis zumindest oberflächlich wieder gekittet. S<strong>im</strong>mer<br />

gratulierte sowohl persönlich als auch <strong>im</strong> Namen der Stadt, wofür Sprung „bestens“ dankte.<br />

Eine von S<strong>im</strong>mer vorgeschlagene Ausstellung seiner Werke lehnte Sprung ab, weil er dem<br />

Kulturverband bereits eine Zusage für Luxemburg gegeben hatte. 673 Der Künstler Sprung<br />

stellte sich also nach wie vor in den <strong>Die</strong>nst der nationalsozialistischen Kulturpropaganda, und<br />

das ausgerechnet <strong>im</strong> doppelten Sinne bei der „Konkurrenz“: be<strong>im</strong> Kulturverband und in<br />

Luxemburg. Seinen Posten als Ratsherr behielt Sprung offiziell, er fehlte aber bei den drei<br />

letzten Sitzungen entschuldigt. 674 Als <strong>im</strong> Herbst 1944 sein Wohnhaus mit Atelier von<br />

Bomben getroffen wurde und 120 seiner Arbeiten verbrannten, zog er nach Bendorf. In seiner<br />

letzten Schaffensperiode wandte sich Sprung neben Trümmerlandschaften und Selbst-<br />

bildnissen religiösen Themen zu. „Krank an Körper und Seele“, vollendete er 1947 eine<br />

„Kreuzigung vor <strong>Koblenz</strong>“ und einen Passionsaltar. Am 6. Februar 1948 starb er in<br />

Bendorf. 675<br />

Bei der Weihnachtsausstellung 1943 <strong>im</strong> Schloss blieb Sprung wieder außen vor. <strong>Die</strong><br />

Gestaltung der Ausstellung lag in den Händen des Kunstmalers Josef („Jupp“) Schneider 676 ,<br />

Referent der Reichskammer der Bildenden Künste und Kreispropagandaleiter, Schüler und<br />

Freund Sprungs. Auch diese Ausstellung verlief erfolgreich. 117 der 235 ausgestellten<br />

Kunstwerke wurden verkauft, und die Stadt konnte aufgrund ihrer 15-prozentigen Provision<br />

sogar einen Überschuss von knapp 4.000 RM erwirtschaften. <strong>Die</strong> Stadt hatte die Künstler<br />

zuvor zu moderater Preisgestaltung aufgerufen und dabei an ihre „völkische[n] Berufung“<br />

erinnert. <strong>Die</strong> Machtprobe zwischen S<strong>im</strong>mer und dem Kunstkreis auf der einen sowie Urmes<br />

und dem Kulturverband auf der anderen Seite setzte sich fort. Eine Anmeldung der<br />

Weihnachtsausstellung be<strong>im</strong> Kulturverband hatte S<strong>im</strong>mer mit dem Argument „keine<br />

Einschaltung überflüssiger Stellen“ ebenso abgelehnt wie die Abführung eines Anteils am<br />

Verkaufserlös. Auch ein Fragebogen über das wirtschaftliche Ergebnis der Ausstellung blieb<br />

672 StAK 623 Nr. 9948, S. 289.<br />

673 StAK 623 Nr. 7108, S. 765-768, Zitat S. 765; NB, 14.3.1944: Hanns Sprung wird 60 Jahre.<br />

674 StAK 623 Nr. 7217, S. 201 f., 233, 253. <strong>Die</strong> Sitzungen fanden am 16.7.1943 (also kurz nach Eröffnung der<br />

Großen Kunstausstellung), am 7.1.1944 und am 12.5.1944 statt. Das Protokoll der letzten Sitzung des Beirats für<br />

Kunst und Wissenschaft vom 21.6.1944 erwähnt Sprung nicht; StAK 623 Nr. 6693, S. 298.<br />

675 Hardy: Der Maler Hanns Sprung, Zitat aus „Daten des Lebens und Wirkens“ (o. S.).<br />

676 * 10.10.1901 Xanten, + 18.11.1976 Hohenems/Vorarlberg, katholisch, 1939 Kirchenaustritt, gottgläubig.<br />

1923 Zuzug von Xanten zunächst nach Pfaffendorf, 1929 Freundschaft mit Sprung, 1930 Reise u. a. mit Sprung<br />

nach Südfrankreich, 1938 als „Jupp von Tubendorff“ Prinz Karneval in <strong>Koblenz</strong>. StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>,<br />

Heiratsurkunde Nr. 177/1944; ebd. M 36, Hausblatt Hindenburgstraße 24 a, Schlosskaserne; ebd. Passive<br />

Meldekartei; E-Mail-Auskunft des Standesamtes Xanten vom 5.2.2010; Eitelbach: Hanns Sprung, S. 17; Kramp:<br />

„Mögen wir Kraft schöpfen …“, S. 62 f. (mit Abb. 5 und 6), 65, 74; Hardy: Der Maler Hanns Sprung, S. 100<br />

sowie „Daten des Lebens und Wirkens“ (o. S.); NB, 12./13.2.1938: Jupp von Tubendorff regiert.


419<br />

trotz mehrfacher Erinnerung des Kulturverbandes auf Weisung S<strong>im</strong>mers unbeantwortet. 677<br />

Noch <strong>im</strong> Februar 1944 bestätigte S<strong>im</strong>mer gegenüber dem Leiter des Trierer Kunstkreises,<br />

Oberbürgermeister Gorges, er habe die Mustersatzung noch nicht in Kraft gesetzt. Da eine<br />

Gegenleistung fehle, sehe er keinen Grund, die Hälfte der Mitgliedsbeiträge an den<br />

Kulturverband abzuführen. 678<br />

Bei der nächsten Kunstschau <strong>im</strong> Schloss, der „Professor-Müller-Ewald-Gedächtnis-<br />

ausstellung“ vom 12. Februar bis 2. April 1944, war wieder Jupp Schneider künstlerischer<br />

Ausstellungsleiter. Aufgrund der häufigen Luftalarme am Tag blieb die Besucherzahl diesmal<br />

hinter den Erwartungen zurück. 679 <strong>Die</strong> von S<strong>im</strong>mer für seine <strong>Die</strong>nste bei der Weihnachts- und<br />

der Müller-Ewald-Ausstellung angebotene Honorierung lehnte Schneider ab. Er habe die<br />

Leitung als Kreisreferent der Reichskammer der Bildenden Künste übernommen und sich als<br />

„Vertreter der Künstlerschaft“ dazu verpflichtet gefühlt – auch diese einstige Position hatte<br />

sein Malerfreund Sprung also inzwischen verloren. S<strong>im</strong>mer schickte Schneider <strong>im</strong> Februar<br />

1944 zum Dank zehn Flaschen Wein. 680<br />

Jährliche Kunstausstellungen sollten in <strong>Koblenz</strong> „als Fremdenverkehrszentrale des<br />

Mittelrheingebietes“ zu einer festen Einrichtung werden. 681 Für die Zweite Große<br />

Kunstausstellung <strong>im</strong> Sommer 1944 meldeten sich schon vor einem Aufruf viele Interessenten.<br />

Hatten sich 1943 vorwiegend Künstler aus der Region, aber auch über das Gaugebiet hinaus<br />

beteiligt, war dies S<strong>im</strong>mer jetzt schon zu eng gesteckt. Er lud unter Verweis auf den<br />

„durchschlagenden Erfolg“ der vorjährigen Ausstellung „alle Künstler [ein], die sich<br />

rheinisch-moselländischer Art irgendwie verbunden fühlen“. Selbst Künstler wie die vom<br />

NS-Reg<strong>im</strong>e hofierten Bildhauer Josef Thorak und Arno Breker beteiligten sich. Wieder<br />

dominierten Landschaftsbilder, Stillleben und Idyllen aus der ländlich-bäuerlichen Welt.<br />

Mit dem Maler Oskar Hagemann ist den Akten lediglich einer der beiden Juroren zu<br />

entnehmen. 682 Gauleiter S<strong>im</strong>on hatte <strong>im</strong> Vorfeld seine Schirmherrschaft zugesagt. Nachdem<br />

das Nationalblatt die Kunstausstellung noch am 22. Juni angekündigt hatte, 683 notierte Smits<br />

am 16. Juli, das Parteiorgan habe ein Veröffentlichungsverbot für die städtische Presse-<br />

mitteilung von der Propagandaleitung erhalten. Auf deren Veranlassung sei wahrscheinlich<br />

auch der inzwischen erfolgte Rücktritt S<strong>im</strong>ons von der Schirmherrschaft zurückzuführen. Zur<br />

677<br />

StAK 623 Nr. 7181, S. 140-221, Zitate S. 155, 214; NB, 26.11.1943: Weihnachts-Kunstausstellung <strong>im</strong><br />

Schloß.<br />

678<br />

StAK 623 Nr. 7194, S. 37.<br />

679<br />

StAK 623 Nr. 6705, S. 525-626; HStA Wiesbaden Abt. 483 Nr. 7325, Bericht des SD-Abschnitts <strong>Koblenz</strong><br />

vom 6.3.1944, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 2, S. 554-556; Kramp: „Mögen wir<br />

Kraft schöpfen …“, S. 65 f. (mit Abb. 11), 74 f.; Moselland. Kulturpolitische Blätter, April-Juni 1944, S. 84.<br />

680<br />

StAK 623 Nr. 6705, S. 566 f.<br />

681<br />

Hans Bellinghausen: <strong>Die</strong> kulturelle Arbeit der Stadt <strong>Koblenz</strong> während des Krieges. In: Kultur- und<br />

Hochschulwoche, veranstaltet von der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> und der Rhein. Friedr.-Wilh.-Universität Bonn.<br />

<strong>Koblenz</strong> 1944, o. S.<br />

682<br />

StAK 623 Nr. 6705, Zitate S. 143.<br />

683<br />

NB, 22.6.1944: Zweite <strong>Koblenz</strong>er Kunstausstellung.


420<br />

Eröffnung der Ausstellung erschien <strong>im</strong>merhin ein größerer Artikel, 684 in der die Gauhaupt-<br />

stadt als „Kulturzentrum am Mittelrhein“ bezeichnet wurde. Danach musste Smits bei<br />

Kulturschriftleiter Heinrich („Heinz“) Hart 685 intervenieren, damit einige kleinere Notizen 686<br />

veröffentlicht wurden. Als eine weitere Berichterstattung ausblieb, erklärte Hart Smits am<br />

23. August, Urmes habe ihm „jede weitere, auch die kleinste Notiz verboten“. Er habe ihn<br />

außerdem gerügt, weil er eine Besprechung über einen Faust-Leseabend in der Stadtbücherei<br />

687 gebracht hatte. 688<br />

<strong>Die</strong> Zweite Große Kunstausstellung stand schon ganz <strong>im</strong> Schatten des nahenden<br />

Zusammenbruchs. Der Ausstellungsbeginn wurde vom 22. auf den 28. Juli 1944 verlegt: Am<br />

21. Juli organisierte Urmes vor dem Schloss eine große Treuekundgebung anlässlich des<br />

Attentats auf Hitler, und am 22. Juli fand in der Stadthalle die Trauerfeier für die 74<br />

Todesopfer des Bombenangriffs vom 19. Juli statt. 689 Wegen der steigenden Gefahr von<br />

Luftangriffen wurde die Ausstellung anstatt wie geplant am 1. Oktober schon am<br />

3. September vorzeitig geschlossen. Nur ein Teil der Kunstwerke konnte aufgrund der<br />

geringen Transportkapazitäten an die Künstler zurückgeschickt werden, der Rest wurde eilig<br />

zusammen mit der städtischen Sammlung evakuiert 690 – gerade noch rechtzeitig, denn das<br />

Schloss wurde am 12. und 19. Oktober durch zwei Volltreffer schwer beschädigt und brannte<br />

be<strong>im</strong> Angriff vom 6. November 1944 völlig aus. <strong>Die</strong> Pläne S<strong>im</strong>mers für die nächste<br />

Ausstellung 1945 mit Werken aus Holland, Belgien, Frankreich und Lothringen waren damit<br />

„überholt“. 691<br />

Von den 1944 ausgestellten Werken erwarb die Stadt für 1.500 RM ein Gemälde<br />

„Apfelblüten“ von Jupp Schneider. <strong>Die</strong> NSV musste wegen einiger kleinerer Ankäufe für<br />

insgesamt 455 RM mehrfach gemahnt werden. Auch die Gauleitung, die neben<br />

kriegsverherrlichenden Druckgrafiken von Georg Sluytermann von Langeweyde zwei<br />

beschauliche Motive auswählte („Äpfel“ von Gustav Rüschhoff für 1.500 RM und<br />

„Sonnenblumen“ von Fritz Schönhagen für 1.000 RM), ließ sich mehrfach an die Zahlung<br />

erinnern. 692 Den mit Abstand höchsten Preis von 8.000 RM erzielte das Bild „Öslinger Bauer“<br />

684<br />

NB, 29./30.7.1944: Glückliches Geleit zur neuen großen Kunstausstellung.<br />

685<br />

Nicht der „<strong>Koblenz</strong>er Maler Heinz Hartung“ [Heinrich Hartung IV], wie Kramp irrtümlich ann<strong>im</strong>mt. Kramp:<br />

„Mögen wir Kraft schöpfen …“, S. 65 (Zitat), 67, 74 f. Anm. 60, 73, 81, 87. Vgl. StAK 623 Nr. 6705, S. 699,<br />

701, 705.<br />

686<br />

Beispiel: NB, 17.8.1944: Anzeige unter „Veranstaltungen“.<br />

687<br />

NB, 17.8.1944: Kraft des Dichterwortes.<br />

688<br />

StAK 623 Nr. 6705, S. 698-705, Zitat S. 705. Vgl. Rundschreiben des Reichspropagandaamtes Moselland<br />

vom 29.7.1944 mit Richtlinien für Presseveröffentlichungen; LHAKo Best. 662,5 Nr. 28, veröffentlicht in:<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 2, S. 767-769, hier S. 768 f.<br />

689<br />

NB, 21.7.1944 [Anzeige auf Titelseite]; ebd.: <strong>Koblenz</strong> ehrt die Gefallenen des Bombenterrors; NB,<br />

22./23.7.1944: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Kunstausstellung.<br />

690<br />

Vgl. Listen für die Nachversicherung in: StAK 623 Nr. 7190, S. 3-17.<br />

691<br />

StAK 623 Nr. 6705, Zitat S. 763; Kramp: „Mögen wir Kraft schöpfen …“, S. 66-68, 75.<br />

692 StAK 623 Nr. 7190, S. 34-235.


421<br />

des Luxemburgers Mett Hoffmann (1914-1993) 693 , das der VDA erwarb. <strong>Die</strong> Überweisung<br />

des um die städtische Provision und die Transportkosten gekürzten Betrags verhinderte<br />

Schneider aber <strong>im</strong> November 1944. Das Kulturamt sollte das Geld „vorläufig“ zurückhalten,<br />

weil der Maler von deutschem Geld studiert habe und jetzt in Luxemburg geblieben sei. 694<br />

6.3.8 Hochschulwochen und Vortragsreihen des Kulturamtes<br />

Angeregt durch einen Zeitungsartikel griff S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> November 1942 die Idee zur<br />

Veranstaltung einer Hochschulwoche auf. Sofort begann er mit den Planungen. S<strong>im</strong>mer<br />

plädierte gegenüber Urmes, der seine eigene ehemalige Universität Bonn bevorzugt hätte, für<br />

seine frühere Hochschule, die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, als<br />

ersten Kooperationspartner, die auch sofort zusagte. Smits und Bellinghausen spornte S<strong>im</strong>mer<br />

an, sich „mit aller Energie auf die Vorbereitungen der Hochschulwoche [zu] stürzen, damit<br />

auch ein voller Erfolg garantiert ist.“ Intensiv wurde besonders bei der Hochschule für<br />

Lehrerinnenbildung und den höheren Schulen von <strong>Koblenz</strong> und der näheren Umgebung für<br />

die Erste Hochschulwoche vom 13. bis 19. Februar 1943 geworben. S<strong>im</strong>mer verhandelte mit<br />

Parteidienststellen, Behörden und Wirtschaftsvertretern wegen der Freistellung der<br />

Bediensteten für die Vorlesungen, die mit Rücksicht auf die höhere Luftgefahr am Abend<br />

schon ab 17 Uhr stattfinden sollten. Für die Vorbereitungen sollte jeder Betrieb einen<br />

Vertrauensmann als Ansprechpartner benennen. Smits war gehalten, bei zu geringen<br />

Teilnehmermeldungen sofort nachzuhören und S<strong>im</strong>mer zu benachrichtigen. 695<br />

Den Eröffnungsvortrag hielt der Rektor der Frankfurter Universität, der Historiker Professor<br />

Dr. Walter Platzhoff, über „Englands Stellung zum Kontinent“. Am Abend gab es eine<br />

Festaufführung von Beethovens „Fidelio“. Urmes musste seine Teilnahme aus dienstlichen<br />

Gründen absagen und schickte Bongers als Vertreter, auch Frau Urmes nahm teil. Für die<br />

Partei erschienen u. a. Kreisleiter Cattepoel und Gaufrauenschaftsleiterin Schr<strong>im</strong>pf, der Staat<br />

war durch Vize-Oberpräsident Dellenbusch und Regierungspräsident Mischke repräsentiert,<br />

die Wehrmacht durch Oberst Dzialas und Oberstleutnant Rosenmüller 696 . Täglich fanden <strong>im</strong><br />

Festsaal des Oberpräsidiums ab 17 Uhr ein oder zwei Vorlesungen statt, die von Konzerten<br />

und Theateraufführungen begleitet wurden. Im Programmheft 697 spannte Bellinghausen in<br />

693 Abb. in: Moselland. Kulturpolitische Blätter, April-Juni 1944, nach S. 68. Zu Hoffmann vgl. Linda Eischen:<br />

Mett Hoffmann. In: Ons Stad Nr. 90/2009, http://www.onsstad.lu/uploads/media/ons_stad_90-2009_69-71.pdf,<br />

Zugriff am 29.6.2010.<br />

694 StAK 623 Nr. 6705, S. 784 f., Zitat S. 785; ebd. Nr. 7190, S. 86; ebd. Nr. 9941, S. 14 f.<br />

695 StAK 623 Nr. 6839, S. 1-117, Zitat S. 25; ebd. Nr. 8852.<br />

696 Seit Dezember 1942 Wehrmachtskommandant von <strong>Koblenz</strong>; StAK 623 Nr. 9670, S. 495.<br />

697 Erste Hochschulwoche der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> vom Samstag, dem 13. Februar, bis Freitag, dem 19.<br />

Februar 1943, veranstaltet durch die Stadt <strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit der Volksbildungsstätte und dem<br />

Kunstkreis <strong>Koblenz</strong> unter Mitwirkung des Lehrkörpers der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am<br />

Main. <strong>Koblenz</strong> 1943. Weitere Vorlesungsthemen waren: Von der kapitalistischen Unternehmung zur<br />

nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft, Ergebnisse in der neueren Rachitisforschung, <strong>Die</strong> Römer am


422<br />

einem von S<strong>im</strong>mer persönlich redigierten Artikel über „<strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> als geistiger und<br />

kultureller Mittelpunkt <strong>im</strong> Mittelrheingebiet“ den Bogen von der Römerbefestigung zur<br />

Gauhauptstadt, die sich durch ihre kulturellen Kraftanstrengungen die ihr gebührende<br />

Stellung schaffe. Offiziell traten die Volksbildungsstätte der DAF und der Kunstkreis als<br />

Mitveranstalter auf, für deren Hörer bzw. Mitglieder es verbilligte Eintrittspreise gab, genauso<br />

wie für Schüler und Wehrmachtsangehörige. 698 <strong>Die</strong> Parteipresse stellte mit Erstaunen fest,<br />

wie „über alles Erwarten stark die Anteilnahme aller Bevölkerungskreise“ an den geistes- und<br />

naturwissenschaftlichen, wirtschafts- und weltpolitischen Vorlesungen war. 699<br />

Im März 1943 thematisierte S<strong>im</strong>mer die Hochschulwoche <strong>im</strong> Arbeitsausschuss des<br />

Kunstkreises, „um zu zeigen, mit welchen Schwierigkeiten die Gemeinde bei der<br />

Durchführung kultureller Veranstaltungen zu kämpfen habe. Von einer gewissen Seite seien<br />

[…] ernste Bedenken geltend gemacht worden.“ Inzwischen habe die Propagandaleitung<br />

– also Urmes – mitgeteilt, dass während des Krieges keine derartigen Veranstaltungen mehr<br />

stattfinden sollten. Von anderer Seite sei die Woche dagegen „sehr begrüßt“ worden. S<strong>im</strong>mer<br />

kündigte geradezu trotzig an, die Stadt werde ihren kulturpolitischen Aufgaben insbesondere<br />

<strong>im</strong> Krieg nachkommen und weitere Hochschulwochen und Kunstausstellungen veranstalten,<br />

was bei den Anwesenden „freudig[e]“ Zust<strong>im</strong>mung fand. 700<br />

Dass S<strong>im</strong>mer sich keine Zurückhaltung auferlegte, bewies er schon <strong>im</strong> Herbst 1943. Er rief<br />

eine neue, vom städtischen Kulturamt veranstaltete Vortragsreihe ins Leben, die sich an ein<br />

breiteres Publikum wenden sollte. <strong>Die</strong> Vorträge sollten, wie Stadtbibliotheksdirektor Dr.<br />

Franz Grosse in der Programmvorschau 1943/44 schrieb, die kulturellen Leistungen<br />

Deutschlands zu Beginn des fünften Kriegsjahres aufzeigen und dienten „nur dem einen Ziel,<br />

der ‚Wehrhaftmachung der deutschen Seele’“. Der kurze Überblick solle zeigen, „daß ein<br />

Volk, das die besten Soldaten der Welt besitzt, den Anspruch auf die kulturelle Führung<br />

niemals aufgeben wird.“ Zur Auftaktveranstaltung der neuen Reihe am 18. Oktober 1943<br />

gelang es S<strong>im</strong>mer, mit Professor Dr. Max Planck einen hoch angesehenen, den National-<br />

sozialisten distanziert gegenüber stehenden Wissenschaftler zu gewinnen. Planck hielt einen<br />

Vortrag über „Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft“. S<strong>im</strong>mer sprach in seiner<br />

Festrede die Hoffnung aus, dass die Vortragsveranstaltungen „als ein neuer Baustein <strong>im</strong><br />

kulturellen Leben unserer Stadt“ ihren Beitrag leisteten, „die Brücke zu schlagen zwischen<br />

echter Wissenschaft und dem einzelnen Volksgenossen“. 701<br />

Rhein, Ordnung und Lenkung der gewerblichen Wirtschaft, <strong>Die</strong> biologische Zukunft Englands, Deutsche<br />

Leistungswirtschaft, <strong>Die</strong> Meteore und ihr Einfluß auf die Erdoberfläche, Geistesströmungen <strong>im</strong> Ostraum.<br />

698<br />

StAK 623 Nr. 6839, S. 118-307; ebd. Nr. 8852.<br />

699<br />

Moselland. Kulturpolitische Blätter, Januar-März 1943, S. 35.<br />

700<br />

StAK 623 Nr. 7136, S. 31 f.<br />

701<br />

StAK 623 Nr. 7117, S. 3-5, 12-14, 44-46, 52-56, Zitate S. 5, 13. Planck war <strong>im</strong> Arbeitsausschuss des<br />

Kunstkreises als Referent vorgeschlagen worden; ebd. Nr. 7136, S. 33. Unter Wittgen hatte es nur eine große<br />

städtische Vortragsveranstaltung gegeben. Am 25.1.1938 hatte er die <strong>Koblenz</strong>er Prominenz zu einem von


423<br />

Damit hatte S<strong>im</strong>mer einen Monat nach Schließung der erfolgreichen Großen Kunstausstellung<br />

eine Konkurrenz zum Volksbildungswerk 702 der DAF geschaffen, für das als Gauvolks-<br />

bildungswalter KdF-Gauwart Minter in Personalunion zuständig war. Während Minter mit<br />

seinen KdF-Veranstaltungen andauernd dem Stadttheater in die Quere kam, drehte sich der<br />

Spieß hinsichtlich Terminabsprachen in diesem Fall zugunsten der Stadt um. Das<br />

Volksbildungswerk war nämlich auf den Festsaal des Oberpräsidiums angewiesen, der jedoch<br />

nach einer älteren Absprache vorzugsweise der Stadt zur Verfügung stand, die außerdem<br />

Eigentümerin der vorhandenen Bestuhlung war. Nach ersten Querelen – Minter hatte <strong>im</strong><br />

September 1943 <strong>im</strong> Interesse einer fruchtbaren Zusammenarbeit Rücksichtnahme erwartet –<br />

teilte S<strong>im</strong>mer der DAF Anfang Oktober 1943 unmissverständlich mit, dass das „bevorzugte<br />

Benutzungsrecht […] selbstverständlich bei der Stadt” bleibe und eine Zusammenarbeit auf<br />

der Grundlage bereits festgesetzter Termine nicht möglich sei. DAF-Gauobmann Dörner<br />

verteidigte Mitte Oktober das Vorgehen des Volksbildungswerks als korrekt. Minter habe<br />

S<strong>im</strong>mer zwecks einer Terminabsprache nicht erreicht und deshalb mit Smits verhandelt.<br />

Angesichts des wenig entgegenkommenden Tons in S<strong>im</strong>mers Schreiben schlug Dörner nun<br />

seinerseits gegenüber dem Oberbürgermeister fast einen Befehlston an: „Daher erwarte ich,<br />

dass nunmehr ein reibungsloser Ablauf des beiderseitigen Vortragswesens keinen Anlass<br />

mehr zu Unklarheiten, Missverständnissen oder gar zu voreingenommener Einstellung von<br />

irgend einer Seite gibt. Demzufolge wird das Deutsche Volksbildungswerk programmässig<br />

mit seinen Vorträgen beginnen.” S<strong>im</strong>mer gab das Schreiben kommentarlos an Smits weiter.<br />

Ungerührt bestand Smits gegenüber dem Oberpräsidium auf der Nutzung des Festsaals für<br />

einen Kammermusikabend am 23. November, an dem das Volksbildungswerk einen Vortrag<br />

angesetzt hatte. Minter machte daraufhin einen Rückzieher und verlegte die Veranstaltung. 703<br />

Trotz der ablehnenden Haltung des Reichspropagandaamtes begann S<strong>im</strong>mer bereits <strong>im</strong> März<br />

1943 mit den Vorbereitungen für die Zweite Hochschulwoche. Dabei galt es zunächst<br />

Bedenken des Rektors der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, des neuen<br />

Partners, hinsichtlich der Firmierung auszuräumen. Aus Prestigegründen verlangte er auf die<br />

Nennung der Universität als Veranstalter. Schließlich einigte man sich auf „Zweite <strong>Koblenz</strong>er<br />

Kultur- und Hochschulwoche“, bei der Stadt und Universität als gemeinsame Veranstalter<br />

auftraten. Das musikalische Rahmenprogramm des Vorjahres wurde um die „Professor-<br />

Müller-Ewald-Gedächtnisausstellung“ <strong>im</strong> Schloss sowie eine Dichterlesung erweitert. So<br />

Bellinghausen gehaltenen Vortrag „<strong>Koblenz</strong>, einst und jetzt“ in die Stadthalle eingeladen. Ebd. Nr. 6553, S. 103-<br />

159; NB, 27.1.1938: <strong>Koblenz</strong> und seine Soldaten.<br />

702 <strong>Die</strong> „Volksbildungsstätte <strong>Koblenz</strong>” wurde <strong>im</strong> Januar 1937 eröffnet. StAK 623 Nr. 6137, S. 267; NB,<br />

13.1.1937: „Man lernt doch <strong>im</strong>mer noch dazu!“. Sie befand sich Am Plan 16, auch Bellinghausen und Wittgen<br />

hielten dort Vorträge; NB, 19.3.1937: Dr. Bellinghausen spricht; NB, 14.4.1937: Das Wesen<br />

nationalsozialistischer Gemeindepolitik.<br />

703 StAK 623 Nr. 7117, S. 21-42, Zitate S. 27, 30.


424<br />

präsentierte S<strong>im</strong>mer vom 12. bis 20. Februar 1944 in geballter Form die gesamte Palette der<br />

städtischen Kulturaktivitäten. 704<br />

Nur wenige Wochen vor Beginn der Zweiten Hochschulwoche gab es noch ein Störfeuer des<br />

Reichspropagandaamtes. Dr. Heinz Marquardt teilte am 20. Januar mit, die Veranstaltung sei<br />

be<strong>im</strong> Reichspropagandaministerium genehmigungspflichtig. <strong>Die</strong> Bitte von Smits, den<br />

entsprechenden, bisher unbekannten Erlass zu schicken, wurde von Urmes abgelehnt. Es blieb<br />

Smits nichts anderes übrig, als noch am selben Tag den Antrag zu stellen, von dem man nie<br />

wieder etwas hörte. Zwei Tage später teilte ein Rundschreiben des Reichspropagandaamtes<br />

aus aktuellem Anlass mit, die Bezeichnung „Kulturwochen“ sei Parteiveranstaltungen<br />

vorbehalten und derartige Veranstaltungen seien genehmigungspflichtig, wobei <strong>im</strong> totalen<br />

Krieg nicht mehr mit einer Genehmigung zu rechnen sei. Der Leiter des Volksbildungswerks<br />

zeigte Smits angesichts dessen Anfrage zu Kartenvorbestellungen die kalte Schulter und<br />

verteilte Seitenhiebe. Man habe selbst schon seit langem <strong>im</strong> Februar zwei weltanschauliche<br />

Vorträge geplant und wolle seine Hörer bei den derzeitigen Verhältnissen und der<br />

angespannten Arbeitslage nicht darüber hinaus beanspruchen. Außerdem dürfte kein<br />

„allzugroßes Interesse […] für die zu spezialwissenschaftlich gehaltenen Themen“ bestehen.<br />

Auf die Werbung in den Behörden und Betrieben war die Resonanz tatsächlich verhaltener als<br />

1943. <strong>Die</strong> Regierung teilte mit, man habe einen Aushang am Schwarzen Brett gemacht. Auf<br />

die Benennung eines Vertrauensmannes müsse man verzichten, da die wenigen verbliebenen<br />

Beamten voll in Anspruch genommen seien. Bei der Eröffnungsveranstaltung zeigte sich der<br />

Bonner Rektor vom Rahmen des festlich geschmückten, fast voll besetzten Stadttheaters dann<br />

angenehm überrascht. Der Festvortrag des Altphilologen Professor Dr. Hans Herter, eines<br />

gebürtigen <strong>Koblenz</strong>ers, über „Platons Akademie“ hinterließ laut Smits’ Bericht für den<br />

verhinderten S<strong>im</strong>mer, der von Fuhlrott vertreten wurde, einen tiefen Eindruck. <strong>Die</strong><br />

anschließende Opernaufführung wurde von einem einstündigen Vollalarm unterbrochen. 705<br />

Der SD-Abschnitt <strong>Koblenz</strong> schickte Anfang März einen detaillierten Bericht über die<br />

Veranstaltungsreihe, in dem jeder Vortrag ausführlich vorgestellt und kommentiert wurde, an<br />

das Reichssicherheitshauptamt. Angesichts der Themenauswahl erscheine es fragwürdig, ob<br />

die rein wissenschaftlichen Vorträge einen Beitrag zum aktuellen Schicksalskampf hätten<br />

leisten können. <strong>Die</strong> von S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Geleitwort des Programmhefts angesprochene Brücke<br />

zwischen Wissenschaft und Volksgenossen werde nicht geschlagen. <strong>Die</strong> Bevölkerung<br />

empfinde <strong>im</strong> Gegenteil die städtische Kulturarbeit als zu exklusiv, weil sie nur auf einen<br />

kleinen Kreis des gehobenen Bürgertums und nicht auf die Allgemeinheit zugeschnitten sei.<br />

Durch die fehlende Teilnahme des Volksbildungswerks sei die Hörerzahl von 5.000 <strong>im</strong><br />

704 StAK 623 Nr. 8852, S. 1-3; ebd. Nr. 6839, S. 315-342; Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong>/Rheinische Friedrich-<br />

Wilhelm-Universität Bonn (Hg.): Kultur- und Hochschulwoche, veranstaltet von der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> und<br />

der Rhein. Friedr.-Wilh.-Universität Bonn. <strong>Koblenz</strong> 1944.<br />

705 StAK 623 Nr. 6839, S. 309-832, Zitat S. 487.


425<br />

Vorjahr auf nur 3.500 gesunken. 706 Anders der Kulturkritiker Heinrich Hart in der<br />

parteiamtlichen Presse, für den der „wieder ungewöhnliche[n] Zuspruch“ der Teilnehmer<br />

schon „keine besondere Überraschung“ mehr war. Er zeigte sich aber unzufrieden mit der<br />

„etwas unsysthematischen [sic] Buntheit“ der Vorlesungsthemen, denn gerade jetzt suchten<br />

die Teilnehmer nach Orientierung. Mit Selbstverständlichkeit ging Hart von einer Fortsetzung<br />

der Hochschulwochen aus, indem er die künftige Ausrichtung auf ein einziges Thema anregte,<br />

„schon <strong>im</strong> Hinblick auf die unausgesetzt vielfältigen Vortragszyklen von Kunstkreis und<br />

Kulturamt.“ 707<br />

Es gab noch zwei Nachspiele. Einen Tag nach Beendigung der Zweiten Hochschulwoche<br />

beanstandete Kreispropagandaleiter Klos, dass be<strong>im</strong> Festauftakt <strong>im</strong> Stadttheater „weder ein<br />

Hoheitszeichen, ein Hakenkreuz noch sonst ein nationalsozialistisches Zeichen angebracht<br />

war“, genausowenig bei einer Kunstkreisveranstaltung. S<strong>im</strong>mer einigte sich mit Klos auf die<br />

künftige Aufstellung einer Führerbüste. Dabei stellte sich heraus, dass das Oberpräsidium<br />

„weder über eine geeignete Büste noch über ein brauchbares Führerbild“ verfügte, sodass<br />

Smits die Theaterintendanz anwies, die Dekoration aus städtischem Besitz zu beschaffen.<br />

Mitte April wies Marquardt vom Reichspropagandaamt dann Bellinghausen zurecht, dessen<br />

Artikel aus dem Programmheft 1943 für einen Zeitungsbericht <strong>im</strong> Westdeutschen Beobachter<br />

benutzt worden war. Es könne nicht gebilligt werden, dass in seinen Ausführungen der<br />

Eindruck erweckt werde, die Stadt sei die einzige Trägerin der Kulturpflege. 708<br />

6.3.9 Beirat für Kunst und Wissenschaften<br />

In der Ratsherrensitzung vom 5. Dezember 1934 wurden die neuen Beiräte ins Leben gerufen,<br />

die gemäß § 4 der Hauptsatzung mindestens zur Hälfte aus Ratsherren bestehen mussten. In<br />

den Beirat für Kunst und Wissenschaften wurden die Ratsherren Hanns Sprung, Wilhelm<br />

Koenig und Karl Ackermann berufen, infolge der Eingemeindungen kam Ende 1937 als<br />

vierter Ratsherr Fritz Horn dazu 709 . Während der Einberufung Koenigs zur Wehrmacht rückte<br />

zeitweise Hugo Dörner an dessen Stelle. Im Laufe der Zeit wechselte und wuchs die<br />

Zusammensetzung des Beirats, wobei stets ein Vertreter der Gaupropagandaleitung, der<br />

NSG KdF, der Städtische Musikbeauftragte und fast durchgängig der jeweilige Kultur-<br />

redakteur des Nationalblatts zu den Mitgliedern zählten. Zugezogen wurden bei Bedarf z. B.<br />

der Intendant des Musik-Instituts oder des Stadttheaters. Den Vorsitz führte in der Regel<br />

Bürgermeister Binhold, in wichtigen Sitzungen Wittgen. S<strong>im</strong>mer, in dessen Dezernat Kunst<br />

und Kultur fielen, führte in seiner Amtszeit persönlich den Vorsitz. Protokollführer war<br />

706 LHAKo Best. 662,6 Nr. 782, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 2, S. 564-573.<br />

707 Moselland. Kulturpolitische Blätter, April-Juni 1944, S. 83.<br />

708 StAK 623 Nr. 6839, S. 673-675, 832, Zitate S. 673 f.<br />

709 StAK 623 Nr. 7215, S. 7; ebd. Nr. 7216, S. 245.


426<br />

Smits. Jahrelang tagte der Beirat für Theater- und Konzertangelegenheiten getrennt, erst seit<br />

1942 fand eine gemeinsame Beratung statt. 710<br />

Der Kunstbeirat liefert ein Beispiel dafür, wie einerseits die Handhabung der rechtlichen<br />

Vorschriften aufweichte und sich andererseits Mitglieder von Parteiorganisationen die<br />

Teilnahme an Sitzungen erzwangen. Schon <strong>im</strong> August 1936 war Bongers als Vertreter für das<br />

verhinderte Mitglied Urmes zu einer Sitzung erschienen. Binhold stellte fest, dass eine<br />

Vertretung eigentlich nicht möglich sei, da Bongers aber nun einmal da sei, könne er als Gast<br />

bleiben. Als Beiratsmitglied Varges, Schriftleiter be<strong>im</strong> Nationalblatt, Ende 1936 nicht mehr<br />

auf Claussens neuer Vorschlagsliste stand, wandte er sich deswegen an die Stadt. Wittgen<br />

einigte sich mit Claussen, dass Varges trotzdem weiter eingeladen werden solle, weil die<br />

Stadt auf ihn als Sachverständigen Wert lege. Der Leiter der DAF-Ämter Feierabend, NSKG<br />

und Volksbildungswerk, Alfred Witte, beschwerte sich <strong>im</strong> August 1937 bei der Stadt-<br />

verwaltung, er habe wieder keine Einladung erhalten. Nicht-Mitglied Witte, der aus Gründen<br />

der Zweckmäßigkeit nur an best<strong>im</strong>mten Sitzungen hatte teilnehmen sollen, bekam dann<br />

regelmäßig Einladungen, auch weil er inzwischen zum Vorgesetzten des Beiratsmitglieds<br />

Bongers aufgestiegen war. Smits hielt dies <strong>im</strong> Oktober 1939 in einer Vorlage für Binhold für<br />

ein „Unding“, worauf die Einladungen tatsächlich eingestellt wurden. In der Sitzung vom<br />

Oktober 1939 erschien Urmes einfach für das einberufene Mitglied Perizonius. 711 Im Mai<br />

1943 kam Marquardt wiederum als Vertreter für Urmes. Als Marquardt es <strong>im</strong> Oktober für<br />

„wünschenswert“ hielt, offiziell Mitglied zu werden und schon die Sitzungstermine wissen<br />

wollte, vermerkte Smits, nach mehrfacher Anordnung S<strong>im</strong>mers käme ein Vertreter des<br />

Reichspropagandaamtes nicht in Frage. 712<br />

Dr. Emil Glaß, seit Oktober 1940 Beiratsmitglied, hatte als Kulturredakteur des Nationalblatts<br />

<strong>im</strong> August 1941 eine Vorschau auf den kommenden Theater- und Konzertwinter<br />

veröffentlicht. Daraufhin beschwerte sich der General-Anzeiger, der sich benachteiligt sah.<br />

Smits vermerkte, diese „Indiskretion“ von Glaß widerspreche dem Wunsch der Stadt nach<br />

Gleichbehandlung der beiden Zeitungen. Wie Wittgen 1935 <strong>im</strong> Fall des Ehrenbürgerrechts<br />

des Oberpräsidenten Fuchs ging S<strong>im</strong>mer der Sache nach und bestellte den zu Stillschweigen<br />

verpflichteten Ehrenbeamten zu einem Gespräch ein. 713<br />

Das zahlenmäßige Verhältnis Ratsherren zu Beiratsmitgliedern entsprach unterdessen längst<br />

nicht mehr der Maßgabe der Hauptsatzung, worauf Smits einige Male hinwies. Als der Beirat<br />

<strong>im</strong> September 1943 auf 15 Mitglieder angewachsen war, hätten zu den vier vorhandenen<br />

Ratsherren sieben weitere berufen werden müssen. S<strong>im</strong>mer hatte einem Vorschlag Trampps<br />

710 StAK 623 Nr. 6583; ebd. Nr. 6693, S. 130-325; ebd. Nr. 6726, S. 480-824; ebd. Nr. 6727.<br />

711 StAK 623 Nr. 6583; ebd. Nr. 6693, Zitat S. 190.<br />

712 StAK 623 Nr. 6873, S. 1043-1045, Zitat S. 1043.<br />

713 StAK 623 Nr. 6693, S. 159-161, Zitat S. 159.


427<br />

vom August 1942 zugest<strong>im</strong>mt, sich für die Dauer des Krieges stillschweigend über die<br />

Best<strong>im</strong>mung der Hauptsatzung hinwegzusetzen, da eine Änderung dem Gebot der<br />

Verwaltungsvereinfachung widerspreche. Sogar mit dem erforderlichen Ariernachweis der<br />

Ehrenbeamten nahm man es nicht mehr so genau. Als Albert Bürger vom gleichnamigen<br />

Pianohaus <strong>im</strong> Oktober 1942 mitteilte, er könne infolge fehlender Kirchenbücher keinen<br />

lückenlosen Nachweis liefern, ließ man dies auf sich beruhen und berief ihn trotzdem. Der<br />

Beirat tagte zuletzt am 21. Juni 1944. Auch hier erschien noch einmal ein Nicht-Mitglied,<br />

nämlich der von S<strong>im</strong>mer unerwünschte Marquardt als „Beauftragter des Reichspropagandaamtes“.<br />

714<br />

6.3.10 Besatzungs- und Separatisten-Ausstellung<br />

Zu einem <strong>Koblenz</strong>er „Exportschlager“ entwickelte sich die „National-historische Ausstellung<br />

Rheinlands Freiheitskampf gegen Besatzung und Separatismus“. Sie war entstanden aus einer<br />

Sammlung von Dokumenten, Fotos, Fahnen usw., die Polizeichef Dr. Ernst Biesten seit 1923<br />

angelegt hatte. Bei der Verstaatlichung der Polizei 1929 verblieb die Sammlung bei der Stadt,<br />

und Oberbürgermeister Russell übertrug Bellinghausen deren Verwaltung. Als sie <strong>im</strong><br />

November 1932 erstmals anlässlich der „Deutschen Woche“ <strong>im</strong> Casino gezeigt wurde, regte<br />

Bellinghausen bei Oberpräsident Fuchs die Fortführung der Ausstellung an. Fuchs griff dies<br />

auf und setzte sich mit Rosendahl in Verbindung. Es wurde eine Wanderausstellung<br />

beschlossen, für die Fuchs Mittel zur Verfügung stellte und die Schirmherrschaft übernahm,<br />

die auch seine Nachfolger beibehielten. <strong>Die</strong> Ausstellung selbst ist nicht erhalten, aber die<br />

Presseberichte sowie Bellinghausens eigene Beschreibung und Geleitworte belegen, dass sie<br />

nationalistisch gefärbt war und rassistische Ressent<strong>im</strong>ents gegen die farbigen Besatzungs-<br />

angehörigen bediente, die damals allerdings weit verbreitet waren. In den nach der<br />

Remilitarisierung erschienenen Geleitworten 715 lobte Bellinghausen Hitler als den wahren<br />

Vollender der Freiheit des Rheinlandes und empfahl die Ausstellung nicht nur der<br />

Schuljugend, sondern auch der Partei und ihren Gliederungen für Schulungszwecke. Acht<br />

Jahre lang, bis Ende 1941, wanderte die Ausstellung durch etliche deutsche Städte, wobei<br />

Bellinghausen in Vertretung des Oberbürgermeisters den Eröffnungsvortrag hielt und<br />

gleichzeitig Fremdenverkehrswerbung betrieb. <strong>Die</strong> Ausstellung fand bei Presse und Publikum<br />

stets großen Anklang, wie Bellinghausen Schirmherr Terboven <strong>im</strong> Januar 1942 voller Stolz<br />

mitteilte. 716 <strong>Die</strong>ses Schreiben spielte in Bellinghausens Spruchkammerverfahren 717 eine<br />

714 StAK 623 Nr. 6554, S. 12-34; ebd. Nr. 6583; ebd. Nr. 6693, Zitat S. 298.<br />

715 Hans Bellinghausen: Geleitworte durch die national-historische Ausstellung Rheinlands Freiheitskampf<br />

gegen Besatzung und Separatismus 1918-1935. <strong>Koblenz</strong> o. J. [ca. 1936/37], hier S. 12: „<strong>Die</strong> volle Freiheit aber<br />

hat erst Adolf Hitler, unser Führer und Reichskanzler, dem Rheinland [durch die Remilitarisierung am<br />

7.3.1936] gebracht.“<br />

716 StAK 623 Nr. 8853. <strong>Die</strong> Akte enthält u. a. Zeitungsartikel über die Ausstellungen in <strong>Koblenz</strong>, Köln und Bonn<br />

bis Oktober 1933. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Presse berichtete auch später regelmäßig über die Eröffnungsveranstaltungen<br />

in größeren Städten, z. B. NB, 24./25.8.1935: Wahres Geschichtsbuch der Rheinlandes [Magdeburg]; NB,<br />

2.9.1936: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Besatzungsausstellung in Würzburg. Vgl. ebd. N 12, Karton „Separatisten“. 1939


428<br />

zentrale Rolle als Belastungsdokument, denn nicht nur darin gab er die Ausstellung als ein<br />

von ihm begründetes und ausgebautes Werk aus. 718<br />

6.3.11 Stadtbibliothek: Dr. Hans Bellinghausen und Dr. Franz Grosse<br />

<strong>Die</strong> 1827 gegründete Stadtbibliothek (Abb. 16) verfügte über einen beachtlichen und<br />

wertvollen Buchbestand von ca. 85.000 Bänden, davon ca. 70.000 <strong>im</strong> Krämerzunfthaus in der<br />

Kornpfortstraße 17 und ca. 15.000 in der Casinostraße 39 (ab 1937 Herbert-Norkus-<br />

Straße 51), deren Wert auf ca. eine Million RM geschätzt wurde. 719 Sie unterstand seit 1927<br />

Kulturamtsleiter Smits. 720 <strong>Die</strong> erste „Säuberung“ des Büchereiwesens setzte bald nach der<br />

Machtergreifung ein. Dem Beispiel der Bücherverbrennungen durch Studenten am 10. Mai<br />

1933 folgend, fanden am 19. Mai in allen höheren Schulen der Regierungsbezirke <strong>Koblenz</strong><br />

und Trier „Fichte-Gedächtnisfeiern“ statt, bei denen Schüler – meist HJ-Angehörige – auf<br />

dem Schulhof die Verbrennung von „Schmutzschriften“ aus den Schülerbüchereien<br />

inszenierten. 721 <strong>Die</strong> Gleichschaltung der Bibliotheken leitete der Preußische und spätere<br />

Reichserziehungsminister Bernhard Rust mit einem Erlass vom 28. Dezember 1933 ein, der<br />

einen massiven staatlichen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellte, indem er<br />

neue Aufsichts- und „Beratungs“organe schuf. Für <strong>Koblenz</strong> war die Staatliche Beratungsstelle<br />

für volkstümliches Büchereiwesen Köln (später Staatliche Volksbüchereistelle Köln)<br />

zuständig, die fortan die Erwerbungspolitik steuerte und den Bestandsaufbau vorgab. 722<br />

<strong>Die</strong> erste Überlieferung zur Bestandssäuberung der Stadtbibliothek datiert vom Mai 1935, als<br />

es hieß, dass Bücher „wegen Verbotes zurückgestellt[en]“ wären. Da man die entschädigungs-<br />

lose Beschlagnahme der Bücher durch die Gestapo befürchtete, vereinbarte Binhold mit<br />

Wittgen, dass sie <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nstz<strong>im</strong>mer des Oberbürgermeisters deponiert werden sollten, um sie<br />

gleichzeitig vor dem Zugriff Unbefugter und der Beschlagnahme zu schützen. Der Umfang<br />

zerschlug sich die Anmietung von Räumen in der südlichen Schlosskaserne zur dauerhaften Unterbringung der<br />

Ausstellung, über die man seit 1937 mit der Regierung verhandelt hatte; StAK 623 Nr. 7183.<br />

717 LHAKo Best. 856 Nr. 110118.<br />

718 In seinem Entwurf für den Verwaltungsbericht 1933-1937 schrieb Bellinghausen, die Ausstellung sei von ihm<br />

„begründet[e]“ und mit Dokumenten aus seinem Privatbesitz „bedeutend vergrößert“ worden. StAK 623 Nr.<br />

8867, S. 8 (Zitate); VB 1933-1937, S. 70 f. Vgl. auch VB 1937/38, S. 72; VB 1938/39, S. 77 f. Im Briefbogen<br />

für die Ausstellungskorrespondenz gab Bellinghausen unter „Leitung“ seine Privatanschrift an; StAK 623 Nr.<br />

8867, S. 41.<br />

719 StAK 623 Nr. 8882, S. 1.<br />

720 StAK 623 Nr. 3915, S. 439; NB, 2./3.11.1935: Besuch bei achtzigtausend Büchern. Gose/Kerber übergehen<br />

Smits als Leiter der Stadtbibliothek und nennen an seiner Stelle den Beigeordneten „Gilbert [sic] Binhold“, zu<br />

dessen Dezernat die Stadtbibliothek gehörte; Walther Gose/<strong>Die</strong>ter Kerber: Buch und Bild. Kostbarkeiten der<br />

Stadtbibliothek aus sieben Jahrhunderten. Dokumentation zur Ausstellung in der Alten Burg<br />

(Veröffentlichungen der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 31). <strong>Koblenz</strong> 1992, S. 37 f.<br />

721 In <strong>Koblenz</strong> beteiligten sich sämtliche Gymnasien (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, Kaiser-Wilhelm-<br />

Realgymnasium, Staatliche Hildaschule, Ursulinenschule); NB, 20.5.1933: Fichte-Gedächtnisfeiern. Zu den<br />

Bücherverbrennungen vgl. Christine Koch: Das Bibliothekswesen <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Eine<br />

Forschungsstandanalyse. Marburg 2003, S. 33-40.<br />

722 Engelbrecht Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen <strong>im</strong> Dritten Reich (Bibliothek und Gesellschaft). Bad<br />

Honnef 1987, S. 99-115, 125-131.


429<br />

der aus dem Verkehr gezogenen Bücher scheint also gemessen am Gesamtbestand zunächst<br />

bescheidene Ausmaße gehabt zu haben. Am 20. Mai 1935 überbrachte ein Gestapobeamter<br />

eine Liste von ca. 250 verbotenen Büchern, von denen sich nach Smits’ Feststellung nur<br />

einige wenige „früher“ <strong>im</strong> Bestand befunden hatten. Als der Gestapobeamte einen Monat<br />

später das verlangte Verzeichnis der heraussortierten Bücher abholte, kündigte er eine<br />

gelegentliche Überprüfung ihres Verbleibs an. 723 Im März 1936 bezifferte Wittgen die von der<br />

Säuberung betroffenen Bücher mit 450. Trotz stark eingeschränkter Haushaltsmittel seien<br />

rund 2.000 neue Titel, „vor allem die fehlende nat.soz. Literatur“, beschafft worden. 724 Der<br />

reichsweit unsystematische und uneinheitliche Charakter der Säuberungsaktionen anhand von<br />

„Schwarzen Listen“ änderte sich erst 1936 mit der Herausgabe von amtlichen Listen<br />

unerwünschter, verbotener und schädlicher Bücher durch die Reichsschrifttumskammer, 725<br />

die jeweils erneute Revisionen nach sich zogen. So vermerkte Smits z. B. <strong>im</strong> November 1936:<br />

„Genaue Durchsicht des Bestandes ist inzwischen nochmals erfolgt. Verbotene usw. Schriften<br />

sind herausgezogen.“ <strong>Die</strong> Bücher wurden magaziniert, eine Vernichtung ist weder<br />

nachweisbar noch war sie vorgesehen. 726<br />

Neuer Leiter der Stadtbücherei und des Stadtarchivs 727 war seit Anfang 1936 Bellinghausen.<br />

Er war seit 1920 als wissenschaftlicher Hilfsangestellter bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>, wo er <strong>im</strong><br />

Presseamt, Statistischen Amt, <strong>im</strong> Verkehrsamt und als Volkshochschuldozent arbeitete. Von<br />

1931 bis zu dessen Auflösung 1936 war er Leiter des Presse- und des Statistisches Amtes. 728<br />

In der Stadtbücherei sollte Bellinghausen vor allem die von der Feuerversicherung verlangte<br />

Katalogisierung vornehmen, die zu Smits’ merklicher Verärgerung nur schleppend voranging<br />

und bei Kriegsbeginn ganz eingestellt wurde. Stattdessen widmete sich Bellinghausen lieber<br />

der Aufstellung der Abteilungen „<strong>Koblenz</strong>“ und „Rheinland“. 729<br />

Wittgen ordnete <strong>im</strong> September 1936 eine Überprüfung der Patientenbücherei des Kemperhofs<br />

an. Ihr Bestand müsse „dem Staatsgeist und dem Staatsinhalte gerecht werden“, außerdem<br />

sollten das Nationalblatt und mindestens zwei Exemplare des Völkischen Beobachters<br />

bezogen werden. Bellinghausen beauftragte Bibliotheksassistentin Erna Minkwitz mit der<br />

723 StAK 623 Nr. 7097, S. 690 f.<br />

724 StAK 623 Nr. 7216, nach S. 60 Anlage 5, S. 17.<br />

725 <strong>Die</strong> erste Liste ging der <strong>Stadtverwaltung</strong> am 9.4.1936 als „Streng vertraulich“ zu; StAK 623 Nr. 7097, S.<br />

694-707, Zitat S. 707. <strong>Die</strong> vorher kursierenden „Schwarzen Listen“ waren z. B. vom Kampfbund für deutsche<br />

Kultur oder übereifrigen Bibliothekaren zusammengestellt worden; Koch: Das Bibliothekswesen, S. 52-56.<br />

Vgl. Gudrun Vogts: Verbotene SchriftstellerInnen 1933-1945 in der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong><br />

(Veröffentlichungen der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 35). <strong>Koblenz</strong> 1993.<br />

726 StAK 623 Nr. 7097, Zitat S. 722; ebd. Nr. 6676, S. 49-72. Art und Ort der Magazinierung bleiben unklar, laut<br />

Bellinghausen wurde das entfernte Schrifttum „bei Seite gestellt“; ebd. Nr. 8898 (unpaginiert), Bellinghausen<br />

vom 9.5.1936.<br />

727 Das Stadtarchiv (Urkunden und Akten) befand sich seit 1882 als Depositum <strong>im</strong> Staatsarchiv (heute<br />

Landeshauptarchiv); StAK 623 Nr. 6001, S. 155 f. Bei der Stadt verblieben die stadtgeschichtliche Literatur,<br />

Quellensammlungen etc. Im Verwaltungsbericht für 1937 heißt es, Bellinghausen sei „die ständige Pflege der<br />

Stadtarchivs, welches mit dem Staatsarchiv verbunden ist, übertragen“ worden; VB 1937/38, S. 24.<br />

728 StAK 623 Nr. 8882, S. 93, 96; LHAKo Best. 856 Nr. 110118, Bellinghausen vom 24.12.1945.<br />

729 StAK 623 Nr. 8882, S. 93-110.


430<br />

Revision. Obwohl sie keine Beanstandungen hatte, zog die Überprüfung einen Vermerk<br />

Wittgens nach sich. Es habe sich gezeigt – wodurch, bleibt offen –, dass Ordensschwestern<br />

Patienten Bücher „aus angeblichem Privatbesitz“ überlassen und der Nachprüfung entzogen<br />

hätten. Lesestoff sei aber nur aus der amtlichen Bücherei erlaubt. <strong>Die</strong> Oberin erhielt den<br />

Vermerk zur Beachtung. 730 Am 18. Februar 1937 erschien Dr. Anton Fest von der Gestapo zu<br />

einer Überprüfung in der Stadtbibliothek, die sich in Anwesenheit Bellinghausens<br />

„vollkommen reibungslos“ vollzog. Erbeten wurde nur eine schriftliche Bestätigung über die<br />

Entfernung des schädlichen und unerwünschten Schrifttums. Wittgen gab die gewünschte<br />

Erklärung ab und versicherte, dass nicht nur Bücher aufgrund der offiziellen Listen entfernt<br />

würden, sondern darüber hinaus auch solche, „die noch zufällig […] gefunden werden, die<br />

zwar nicht auf den Verbotslisten stehen, aber trotzdem schädlichen und unerwünschten<br />

Inhaltes sind.“ Bei Neuanschaffungen würden die Bestelllisten sowohl der Kölner<br />

Beratungsstelle als auch einem besonderen Beirat, dem der Gaukulturwart angehöre, zur<br />

Prüfung und Genehmigung vorgelegt. 731<br />

<strong>Die</strong>ser Beirat war der Beirat für Kunst und Wissenschaften, diesmal mit dem Zusatz<br />

„Büchereiangelegenheiten“ versehen. Das bis einschließlich 1937 überlieferte Beschlussbuch<br />

weist zwei Sitzungen pro Jahr unter dem Vorsitz Binholds aus. Als Vertreter der Verwaltung<br />

nahmen Kulturamtsleiter Smits und Minkwitz sowie ab 1936 zusätzlich Bellinghausen teil.<br />

Bei Buchbestellungen, unterteilt in „unterhaltende“ und „belehrende“ Literatur, wurden die<br />

von der Stadtbücherei erstellten Vorschlagslisten sowohl der Staatlichen Beratungsstelle zur<br />

Genehmigung als auch den Beiratsmitgliedern zur Durchsicht übersandt, wobei nur<br />

Perizonius vom Reichspropagandaamt sich die Mühe schriftlicher Stellungnahmen machte.<br />

Nach Besprechung der Vorschläge beschloss der Beirat die Anschaffungen. Ende 1937 wurde<br />

das Verfahren dahingehend vereinfacht, dass die Vorschlagslisten nach einer ca. achttägigen<br />

Widerspruchsfrist als genehmigt galten. 1938 hielten sowohl Perizonius als auch die Kölner<br />

Beratungsstelle Hanns Maria Lux in Unkenntnis der Tatsache, dass es sich um den Dichter<br />

des Saarliedes handelte, für nicht förderungswürdig. Trotzdem verfügte Smits die<br />

Anschaffung von zwei Büchern für die Abteilung <strong>Koblenz</strong>. Ende 1936 beriet man das<br />

Problem, dass Benutzer den Lesesaal nur als Wärmehalle aufsuchten, worauf die NSV um<br />

Abhilfe gebeten wurde. Ein Jahr später waren die Schwierigkeiten durch einen neuen Lesesaal<br />

der NSV am Goebenplatz 732 nicht wie erhofft behoben. <strong>Die</strong> Benutzung für die Wärme<br />

suchenden Zeitungsleser wurde daher auf die Vormittagsstunden beschränkt, damit<br />

nachmittags in Ruhe wissenschaftliches Arbeiten 733 möglich war. 1937 wurde eine<br />

„Lesekarte“ eingeführt, mit der sich die Gebühren unter die der konkurrierenden privaten<br />

730 StAK 623 Nr. 6579, S. 180 f. (Zitate); ebd. Nr. 7564, S. 80 f.<br />

731 StAK 623 Nr. 7097, S. 673 f.<br />

732 Der Speisesaal der NSV-Volksküche am Goebenplatz wurde für den Winter 1937/38 zusätzlich zum<br />

Aufenthalts- und Lesesaal umfunktioniert; NB, 5.10.1937: Gutes Mittagessen für 30 Pfennig.<br />

733 Dabei dachte man hauptsächlich an die Studentinnen der neu eröffneten Hochschule für Lehrerinnenbildung<br />

auf dem Oberwerth.


431<br />

Leihbüchereien ermäßigten. Das Schaufenster sollte mit Buchauslagen und bunten<br />

Buchhüllen für die Bücherei werben, ebenso ein Ausstellungsschrank mit den Neuer-<br />

werbungen. 734 Das Nationalblatt veröffentlichte regelmäßig eine kurze Notiz zu<br />

Neuanschaffungen, 735 <strong>im</strong> Oktober 1937 warb Bellinghausen in einem Beitrag mit den<br />

10.000 Bänden neuzeitlichen Schrifttums, die alle Anforderungen „fortschrittliche[r] Leser“<br />

erfüllten. 736<br />

Aufgrund eines Ministerialerlasses sollten bis 1. August 1937 ausgesonderte Schriften an die<br />

Preußische Staatsbibliothek abgegeben werden. Eine Ausnahmeregelung bestand für<br />

wissenschaftliche Büchereien und die wissenschaftlichen Bestände von Einheitsbüchereien.<br />

Da die Stadtbibliothek sich als „Volksbücherei“ mit wissenschaftlicher Abteilung verstand,<br />

versuchte Smits unauffällig eine Klärung herbeizuführen, ohne Gefahr zu laufen, wertvolle<br />

Bestände entschädigungslos zu verlieren. Auf seinen Vorschlag fragte Binhold be<strong>im</strong> DGT an,<br />

ob die Bücher nicht auch in <strong>Koblenz</strong> gesondert aufbewahrt werden könnten. Geschickt<br />

argumentierte der Bürgermeister <strong>im</strong> Sinne der NS-Ideologie: Später, wenn „diese Bücher<br />

keinen Schaden mehr anrichten“ könnten, gäben sie Wissenschaftlern vor Ort die Möglichkeit<br />

zur Erforschung der „unsinnige[n] Ideen“ der „marxistischen Periode“. Dabei sei die<br />

Sicherheit durch die getrennte Unterbringung in zwei Gebäuden gewährleistet. Der DGT<br />

erhob nach einem Kontakt mit dem Reichserziehungsministerium keine Einwände<br />

gegen diese Vorgehensweise, sodass Abteilung VII am 22. Juli 1937 an die Preußische<br />

Staatsbibliothek lediglich 55 Bände schöngeistiger Literatur schickte, die einen vergleichs-<br />

weise kleinen Verlust darstellten. 737 Im Januar 1938 stellte sich heraus, dass Minkwitz <strong>im</strong><br />

Herbst 1937 drei Bücher, „die sie für unerwünscht hielt“, in vorauseilendem Gehorsam nach<br />

Berlin geschickt hatte, obwohl sie wusste, dass sie zunächst an Abteilung VII abzugeben<br />

waren. Smits und Binhold missbilligten den Vorfall einhellig. Binhold wies die Stadtbücherei<br />

ausdrücklich auf das bestehende Verbot solcher Eigenmächtigkeiten hin. 738 Im Oktober 1938<br />

trennte Wittgen die Stadtbücherei von Abteilung VII ab und machte sie zu einer selb-<br />

ständigen <strong>Die</strong>nststelle (Abteilung VII B) unter der Leitung Bellinghausens, der damit nicht<br />

mehr Smits, sondern direkt Dezernent Binhold unterstand. 739<br />

Auf Veranlassung der Berliner Reichsstelle für volkstümliches Büchereiwesen (ab 1937<br />

Reichsstelle für Volksbüchereiwesen) wurde der Büchereibestand <strong>im</strong> Frühjahr 1939 einer<br />

734<br />

StAK 623 Nr. 8894. Zu den Vorschlagslisten und Buchbestellungen s. ebd. Nr. 8879, S. 121-143; ebd. Nr.<br />

8893; ebd. Nr. 8898; ebd. Nr. 8899.<br />

735<br />

Beispiel: NB, 13.2.1934: Neuerwerbungen der Stadtbibliothek.<br />

736<br />

NB, 30./31.10.1937: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Stadtbücherei lädt ein.<br />

737<br />

StAK 623 Nr. 7097, S. 622-672, Zitate S. 669. Es handelte sich u. a. um Bücher von Vicki Baum, Colette,<br />

Jack London, Arthur Schnitzler, Erich Maria Remarque, Thomas Mann, Franz Kafka. Ebd. Nr. 7097, S. 662 f.;<br />

ebd. Nr. 6676, S. 71 f. Zu den „Schlupflöchern“, die sich Wissenschaftlichen Bibliotheken boten, vgl. Boese:<br />

Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 142. Vgl. auch StAK 623 Nr. 6613, S. 418.<br />

738<br />

StAK 623 Nr. 6676, S. 50, 58 f, Zitat S. 59. Es handelte sich um „Besonnte Vergangenheit“ von Carl Ludwig<br />

Schleich und zwei Werke von Arthur Schnitzler, „Der Weg ins Freie“ und „Leutnant Gustl“.<br />

739<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 211.


432<br />

„vollständigen räumlichen Umgestaltung und sachlichen Neuordnung unterzogen“. 740 Dabei<br />

handelte es sich um die Trennung in „eine (wissenschaftliche) Stadtbibliothek und eine<br />

(volkstümliche) Volksbücherei“, die „in Zusammenarbeit mit dem Gauschulungsamt<br />

durchgeführt“ wurde. <strong>Die</strong>se Arbeiten sowie das Schließen der Lücken, die durch das<br />

„Herausziehen vieler hunderte Bände jüdischen und unerwünschten Schrifttums“ entstanden<br />

waren, hinderten Bellinghausen wieder an der Fortführung der Katalogisierung. In der<br />

Volksbücherei sollten außerdem veraltete Bücher entfernt und durch 3.000 bis 4.000 neue<br />

Bände ersetzt werden. 741 Auslöser dieser Aktion war wahrscheinlich der Leiter der<br />

Reichsstelle persönlich, Dr. Fritz Heiligenstaedt 742 , der die Stadtbibliothek bei einer<br />

Inspektionsreise besichtigt hatte. Laut Minkwitz „kritisierte [er] dieselbe und das ganze<br />

Personal als politisch und in jeder Hinsicht ‚hinter dem Mond zurück’“. 743 Immerhin wurden<br />

aber die gängigsten NS-Zeitungen und -Zeitschriften bezogen. 744 Dass es organisatorische<br />

Mängel gab, hatte bereits Smits beanstandet, 745 außerdem fehlte Bellinghausen – wie zuvor<br />

auch seinem Vorgänger Smits selbst – jede bibliothekarische Vorbildung. Schon die 1937<br />

vom Innenministerium erlassenen „Richtlinien für das Volksbüchereiwesen“ sahen für<br />

Gemeinden ab 30.000-40.000 Einwohner eine fachliche Leitung vor. 746<br />

Mitte Juli 1939 informierte Smits Oberbürgermeister Habicht über ein Gesuch des NSDAP-<br />

Ortgruppenleiters von Moselweiß, Josef Marhoffer, der um einen Zuschuss für die<br />

Anschaffung von Büchern gebeten hatte. In Moselweiß gebe es nur Leihbücher aus der vom<br />

katholischen Pfarramt unterhaltenen Borromäus-Bibliothek, von der die Bevölkerung „wohl<br />

oder übel Gebrauch“ mache. Smits schlug Habicht angesichts der in anderen Stadtteilen<br />

ähnlichen Situation die Anschaffung eines Büchereiwagens vor, der „die Volksgenossen mit<br />

gutem Lesestoff nationalsozialistischen Gedankengutes versieht“. Wie für Habicht typisch,<br />

erhielt Smits keine Antwort. 747 Erst unter S<strong>im</strong>mer wurde das Problem angepackt, nachdem die<br />

Regierung <strong>im</strong> März 1941 zusammen mit der Kölner Staatlichen Volksbüchereistelle den<br />

Aufbau von Zweigstellen angeregt hatte. Im April 1941 beantragte die Stadt einen<br />

Sonderzuschuss für die Einrichtung von Volksbücherei-Zweigstellen in acht Stadtteilen und<br />

740 StAK 623 Nr. 8887, S. 16. <strong>Die</strong> dem Reichserziehungsministerium angegliederte Reichsstelle war die oberste<br />

staatliche Lenkungsbehörde, die über die ihr angeschlossenen Landesstellen die Erwerbungen der Büchereien<br />

steuerte und ihre Bestände überprüfte; Koch: Das Bibliothekswesen, S. 20.<br />

741 StAK 623 Nr. 8882, S. 102.<br />

742 Zur aktiven Rolle Heiligenstaedts bei der Bücherverbrennung 1933 in Hannover s. Carola Schelle: <strong>Die</strong><br />

Bücherverbrennung in Hannover. In: Nils Schiffhauer/Carola Schelle: Stichtag der Barbarei. Anmerkungen zur<br />

Bücherverbrennung 1933. Braunschweig 1983, S. 55-63, hier S. 58 f. Boese nennt ihn eine „blasse, profillose<br />

Gestalt“, die „für die politische Kontrolle des Büchereiwesens stand, für ihre Anbindung an die Vorgaben des<br />

Staates.“ Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 330.<br />

743 LHAKo Best. 856 Nr. 110118, Minkwitz vom 4.4.1949. Heiligenstaedt zog 1939 bis 1941 eine insgesamt<br />

düstere Bilanz des städtischen Büchereiwesens und auch das Reichserziehungsministerium stellte sich gegen die<br />

zwar „traditionsreichen, […] jedoch zum Teil stark heruntergekommenen wissenschaftlichen Stadtbibliotheken“;<br />

Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 141 (Zitat), 144 f.<br />

744 StAK 623 Nr. 8888, S. 47; vgl. ebd. Nr. 8879, S. 222-233.<br />

745 StAK 623 Nr. 8899 (unpaginiert), 17.12.1937, 31.12.1937, 7.1.1938.<br />

746 LHAKo Best. 403 Nr. 17330, S. 321-329.<br />

747 StAK 623 Nr. 6676, S. 74 f.


433<br />

führte als Gründe die ungünstige Verkehrsanbindung zur Hauptstelle in der Altstadt und die<br />

bisher starke Bedeutung der Borromäus-Büchereien ins Feld. <strong>Die</strong> Hälfte der Kosten von<br />

36.000 RM für eine provisorische Erstausstattung der Zweigstellen wollte die Stadt selbst<br />

übernehmen. Das zuständige Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und<br />

Volksbildung ließ durch die Reichsstelle für das Volksbüchereiwesen ein Gutachten erstellen,<br />

das Ende Oktober 1941 der <strong>Koblenz</strong>er Regierung zuging und in dem es hieß, der Aufbau so<br />

vieler Zweigstellen sei fachlich nur zu verantworten, „wenn eine vollausgebaute und sehr<br />

leistungsfähige Hauptbücherei vorhanden wäre. <strong>Die</strong>se besteht aber, wie bekannt, in <strong>Koblenz</strong><br />

keineswegs, vielmehr muß ihre Reorganisation den ersten Abschnitt einer Büchereiplanung<br />

ausfüllen.“ Der Gutachter „Dr. H.“ [Heiligenstaedt] riet zu höchstens vier bis fünf<br />

Zweigstellen, wobei die fachlich einwandfreie Planung Aufgabe des neuen Büchereileiters<br />

wäre, um den sich die Stadt „neuerdings“ bemühe. S<strong>im</strong>mer legte daraufhin <strong>im</strong> Dezember<br />

1941 einen neuen Antrag vor, in dem er nur noch fünf Zweigstellen in Niederberg,<br />

Ehrenbreitstein, Horchhe<strong>im</strong>, Pfaffendorf und Metternich vorsah und dem Gutachten<br />

beipflichtete, dass das „hiesige Volksbüchereiwesen überhaupt sehr <strong>im</strong> argen liegt“. <strong>Die</strong><br />

neuen Zweigstellen seien auch als Ersatz für die Borromäus-Büchereien 748 notwendig, die bei<br />

der Bevölkerung früher starken Zuspruch gefunden und ihre Tätigkeit inzwischen praktisch<br />

eingestellt hätten. Für den planmäßigen Neuaufbau sei jetzt der Volksbibliothekar Dr. phil.<br />

Franz Grosse 749 von der Reichstelle für das Volksbüchereiwesen in Berlin zum neuen<br />

Volksbücherei-Direktor berufen worden. 750<br />

Grosse trat am 1. April 1942 seinen <strong>Die</strong>nst an. Am selben Tag wurden Stadtarchiv und<br />

Stadtbücherei getrennt. Stadtarchivdirektor Bellinghausen, seit September 1941 auch Leiter<br />

des Pressereferats, 751 zog zum 1. Dezember aus der Herbert-Norkus-Straße in die ehemalige<br />

Klinik Dr. Reich in der Schloßstraße 1 752 , zusammen mit einer ca. 5.000 Bände umfassenden<br />

Handbibliothek. Dort verwaltete er auch das durch eine Verfügung S<strong>im</strong>mers <strong>im</strong> Herbst 1941<br />

eingerichtete Bildarchiv 753 . <strong>Die</strong> wertvollsten Altbestände und die stadtgeschichtliche<br />

Fachliteratur wurden auf Fort Hübeling sichergestellt, dafür waren allein 1943 auf<br />

748<br />

Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 187-198. <strong>Die</strong> Borromäus-Büchereien wurden durch einen<br />

Ministerialerlass vom 14.8.1940 ab 1.1.1941 faktisch ausgeschaltet.<br />

749<br />

* 10.8.1910 Wanzleben, + 29.7.1995 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet, 1935 Promotion, 1935-1937<br />

Ausbildung zum Bibliothekar in Berlin, Abschluss als Diplom-Bibliothekar für den <strong>Die</strong>nst an Volksbüchereien,<br />

1937-1939 Leiter der Staatlichen Kreisfachstelle für Büchereiwesen in Dresden, 1939-1942 Bibliothekar an der<br />

Reichsstelle für volkstümliches Büchereiwesen in Berlin und Dozent an der Berliner Bibliotheksschule,<br />

1.4.1942-1954 Direktor der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong>. StAK N 91.<br />

750<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 739-765, Zitate S. 755, 758. Der Zuschussantrag wurde von Berlin<br />

abgelehnt, da die Stadt den verhältnismäßig geringen Betrag von 18.000 RM selbst aufbringen müsse. Zu den<br />

Zweigstellen Niederberg und Neuendorf (die <strong>im</strong> zweiten Antrag nicht aufgeführt war) vgl. StAK 623 Nr. 8875;<br />

ebd. Nr. 8876; ebd. Nr. 8881; ebd. Nr. 8884, ebd. Nr. 8891; ebd. Nr. 8892.<br />

751<br />

StAK 623 Nr. 9569, S. 97, 112 f.<br />

752<br />

Vgl. Kapitel 7.2.8.<br />

753<br />

StAK 623 Nr. 8879, S. 153-155; ebd. Nr. 6687, S. 55. Vgl. auch ebd. Nr. 7237, S. 1 f., 8 f.; ebd. Nr. 3502, S.<br />

25. Der Stempel des Bildarchivs trug noch die alte Hausanschrift „Kasinostraße 39“ statt Herbert-Norkus-Straße<br />

51 nach der Straßenumbenennung 1937. Ebd. Nr. 8879, S. 155; ebd. Nr. 6280, S. 501.


434<br />

Veranlassung Bellinghausens noch einmal 400 Holzkisten bereitgestellt worden. 754 Nach den<br />

ersten schweren Luftangriffen ordnete S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> April 1944 an, das Geschehen auf Fotos<br />

und für die Stadtchronik zu dokumentieren. 755 Im Mai 1944 erhielt Bellinghausen auf<br />

Vorschlag S<strong>im</strong>mers das Kriegsverdienstkreuz verliehen, weil er am 22. April aus dem nach<br />

einem Bombentreffer brennenden Bibliotheksgebäude in der Kornpfortstraße mit Hilfe<br />

einiger Pioniere „keine Gefahr achtend […] noch wertvolle Bestände aus der Bücherei<br />

gerettet“ hatte. 756<br />

Der knapp 32-jährige promovierte Anglist 757 und Diplom-Bibliothekar Grosse, seit 1. April<br />

1937 NSDAP-Mitglied, hatte andere Karrierechancen zugunsten von <strong>Koblenz</strong> ausgeschlagen.<br />

Er war seit 1939 Erster Bibliothekar an der Reichsstelle und Dozent an der Berliner<br />

Bibliotheksschule 758 gewesen. An der <strong>Koblenz</strong>er Stelle hatte Grosse die Möglichkeit gereizt,<br />

gleichzeitig die Stelle des nebenamtlichen Leiters der Staatlichen Volksbüchereistelle für den<br />

Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> anzutreten, 759 die – wohl kaum zufällig – am 1. April 1942 vom<br />

Reichserziehungsminister neu errichtet worden war. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Verhältnisse kannte<br />

Grosse nicht nur durch die Gutachten seines Chefs Heiligenstaedt, sondern auch durch einen<br />

persönlichen Besuch <strong>im</strong> Oktober 1941, der ihm den krassen Gegensatz zwischen dem Zustand<br />

der Stadtbücherei und den sonstigen städtischen Kulturbestrebungen vor Augen geführt hatte.<br />

Danach hatte er S<strong>im</strong>mer einen Aufbauplan vorgelegt, den er als Grundlage für seine künftige<br />

Arbeit ansah und der S<strong>im</strong>mers Zust<strong>im</strong>mung gefunden hatte. Doch bei seinem <strong>Die</strong>nstantritt<br />

754<br />

StAK 623 Nr. 8888, S. 50-69; vgl. Inventarlisten ebd. Nr. 9384. <strong>Die</strong> Bezeichnung der <strong>Die</strong>nststelle<br />

„Städtisches Archiv“ erhielt mit Rücksicht auf den Leihverkehr den Zusatz „Stadtbibliothek“; ebd. Nr. 3222 MF<br />

Nr. 3 (unpaginiert). Vgl. Stempel ebd. Nr. 3794, S. 68.<br />

755<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 108; ebd. Nr. 7008, S. 4.<br />

756<br />

StAK 623 Nr. 6751, S. 43-45, Zitat S. 45; ebd. Nr. 3502, S. 17. Abb. des ausgebrannten Gebäudes in:<br />

Gose/Kerber: Buch und Bild, nach S. 34.<br />

757<br />

Franz Grosse: Das englische Renaissancedrama <strong>im</strong> Spiegel zeitgenössischer Staatstheorien. Breslau 1935.<br />

Grosse promovierte bei Prof. Dr. Paul Meißner (1897-1945), einem „besonders und explizit Linientreuen“; K.<br />

Ludwig Pfeiffer: Anglistik. In: Frank-Rutger Hausmann (Hg.): <strong>Die</strong> Rolle der Geisteswissenschaften <strong>im</strong> Dritten<br />

Reich 1933-1945 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 53). München 2002, S. 39-62, hier S. 53. Das<br />

von Meißner herausgegebene Werk „Grundformen der englischen Geistesgeschichte“, Stuttgart 1941, besprach<br />

Grosse in: <strong>Die</strong> Bücherei 10 (1943), S. 156 f. Zum „Kriegseinsatz“ der Anglisten und Amerikanisten vgl. Frank-<br />

Rutger Hausmann: Anglistik und Amerikanistik <strong>im</strong> „Dritten Reich“. Frankfurt am Main 2003, S. 297-364.<br />

758<br />

In Grosses Berliner Zeit erschien sein Beitrag „Zur Statistik des Deutschen Gemeindetages über das<br />

Volksbüchereiwesen in den Städten mit über 20000 Einwohnern“. Darin polemisierte er gegen die frühere<br />

„Volksbücherei als geistige Wohlfahrtseinrichtung“ einer „liberalistische[n] Vergangenheit […]. D i e<br />

N i c h t b e a c h t u n g d e r L e b e n s g e s e t z e e i n e r n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n<br />

G e m e i n d e b ü c h e r e i i s t e i n e l i b e r a l i s t i s c h e R ü c k s t ä n d i g k e i t . “; <strong>Die</strong> Bücherei<br />

H. 6 (1939), S. 510-515, hier S. 512 (Hervorhebung <strong>im</strong> Original). Bei folgenden Schriften handelt es sich<br />

aufgrund ihres außen- und wirtschaftspolitischen Inhalts wahrscheinlich nur um eine Namensgleichheit des<br />

Autors: Franz Grosse: Deutschland und der Südosten (<strong>Die</strong> Wirtschaftskraft des Reiches 8). Stuttgart/Berlin<br />

1940; ders.: England kämpft bis zum letzten Franzosen. Eine Verlustbilanz des Weltkrieges (Schriften des<br />

Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung 30). Berlin 1940 (übersetzt ins Japanische: Yôroppa no<br />

Higeki. Tokyo 1940); ders.: Klassenkampf in Frankreich. Das ungelöste französische Sozialproblem (Schriften<br />

des Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung 58). Berlin 1940.<br />

759<br />

S<strong>im</strong>mer hatte Grosse erklärt, er habe Mischke mit seiner Einstellung einen Gefallen tun wollen; StAK N 91<br />

Nr. 4, Grosse vom 30.4.1942. Zu den Staatlichen Volksbüchereistellen und ihren Aufgaben vgl. NB, 16.4.1942:<br />

Jedes Dorf soll seine Bücherei haben; NB, 10.1.1944: Schönster Weg vom Buch zum Volk; Boese: Das<br />

Öffentliche Bibliothekswesen, S. 125-131.


435<br />

wurde Grosse zu seiner unangenehmen Überraschung sofort mit ganz anderen Arbeiten<br />

betraut und die Bibliothek zur Nebensache erklärt. Als Ersatz für den seit Januar 1942 zur<br />

Wehrmacht einberufenen Verwaltungsrat Ackermeier bestellte ihn S<strong>im</strong>mer zusätzlich zum<br />

Leiter der Schulverwaltung. <strong>Die</strong>s war ein Amt, für das ihm die Verwaltungserfahrung fehlte<br />

und in dem ihn erst <strong>im</strong> Februar 1943 Verwaltungsdirektor Jakob Müller ablöste. 760<br />

In der Stadtbibliothek widmete sich Grosse laut Minkwitz, die sich von ihm zurückgesetzt<br />

fühlte, „mit energischen u. scharfen Massnahmen“ der „gänzliche[n] Umgestaltung, die<br />

durchaus <strong>im</strong> nationalsozialistischen Sinne waren“. 761 Grosse selbst nannte seine neue<br />

Wirkungsstätte einen „Saustall“ mit einem „nur einmalig in Deutschland bestehenden<br />

Museumscharakter“. 762 Ende 1942/Anfang 1943 wurden zwei junge Diplom-Volks-<br />

bibliothekarinnen eingestellt, die den Bibliotheksdienst versahen, während Minkwitz<br />

Büroarbeiten verrichtete. <strong>Die</strong> Stadtbücherei wurde für eine grundlegende Neugestaltung und<br />

Bestandsrevision geschlossen. 763 Grosse selbst hatte 1941 eine Beschreibung des neuen<br />

Berufsbilds der Volksbibliothekarin veröffentlicht, die sich als Mitarbeiterin einer<br />

„‚kulturkämpferischen’ politischen Einrichtung[en]“ ganz in den <strong>Die</strong>nst „national-<br />

sozialistischer Volkserziehung“ stellen solle. 764 In seinem Vortrag „Idee und Aufbau der<br />

Stadtbücherei in <strong>Koblenz</strong>“ in der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung vom 20. Oktober 1942<br />

bekannte sich Grosse zur „positive[n] Erziehungsarbeit“ anstelle des „Bildungsopt<strong>im</strong>ismus<br />

alter Prägung“. <strong>Die</strong> Bücherei müsse „Instrument nationalsozialistischer Menschführung und<br />

[…] Mittler zwischen Volksgemeinschaft und Schrifttum“ sein. Seine Pläne für den Ausbau<br />

des städtischen Büchereiwesens sahen u. a. auch kleinere literarische Veranstaltungen und<br />

Dichterlesungen vor. 765 Damit fügten sich Grosses Vorstellungen in S<strong>im</strong>mers kulturpolitische<br />

Ambitionen.<br />

Am 9. März 1943 eröffnete S<strong>im</strong>mer die umgestaltete Stadtbücherei in der Herbert-Norkus-<br />

Straße in Anwesenheit von Vertretern der Partei, der Behörden und Kulturschaffenden<br />

wieder. Grosse bezeichnete sie in seiner Ansprache als „eine nationalsozialistische<br />

Schulungsstätte“, die den Volksgenossen Orientierung und Entspannung biete sowie mit<br />

ihrem wissenschaftlichen und Fachbücherbestand der Leistungssteigerung diene.<br />

Einschreibgebühren entfielen in Zukunft, die Ausleihe war in der ersten Woche kostenlos.<br />

Gleichzeitig kündigte Grosse eine neue Jugendbücherei an, die „auch als HJ-Schulungsraum<br />

760 StAK 623 Nr. 9542, S. 13; ebd. N 91 Nr. 4.<br />

761 LHAKo Best. 856 Nr. 110118, Minkwitz vom 4.4.1949.<br />

762 StAK N 91 Nr. 4 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Noch in seinem Nachruf spöttelte seine Nachfolgerin Trapp<br />

über die von ihm vorgefundene „literarische[n] Suppenküche“; Hildegard Trapp: Regierungsdirektor a. D. Dr.<br />

Franz Grosse zum Gedenken. In: <strong>Die</strong> Bücherei 39 (1995) H. 2, S. 231-233, hier S. 232.<br />

763 NB, 24.2.1943: Zur Neugestaltung der Stadtbücherei; Franz Grosse: Neugestaltung der Stadtbücherei<br />

<strong>Koblenz</strong>. In: <strong>Die</strong> Bücherei H. 7-9 (1943), S. 244; StAK 623 Nr. 9382, S. 14 f.<br />

764 Franz Grosse: Ein Feiertagsberuf. Voraussetzungen für den Beruf der Volksbibliothekarin. In: Reclams<br />

Universum Jg. 57, Nr. 47, 6.11.1941, S. 1042. Der Volksbibliothekar sollte in der Lage sein, „alle Aspekte der<br />

Bibliotheksarbeit dem Pr<strong>im</strong>at des Politischen zu unterwerfen“; Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 209.<br />

765 StAK N 91 Nr. 4.


436<br />

gedacht“ sei. 766 Sie wurde für die Zehn- bis Sechzehnjährigen dann am 2. Mai 1943 <strong>im</strong> ersten<br />

Obergeschoss eröffnet. <strong>Die</strong> Jugendbücherei arbeitete ganz fortschrittlich nach dem völlig<br />

neuen Prinzip der Freihand-Aufstellung und bot neben typischer Kinder- und Jugendliteratur<br />

auch Kriegsgeschichten und Lehrreiches zu Führer und Reich. 767 In der von Heiligenstaedt<br />

herausgegebenen Fachzeitschrift „<strong>Die</strong> Bücherei“ erschien ein Bericht Grosses über die<br />

„Neugestaltung der Stadtbücherei <strong>Koblenz</strong>“, deren vorheriger Zustand „unter Fachgenossen“<br />

bekannt gewesen sei. Den räumlichen Verbesserungsmaßnahmen vorausgegangen sei die<br />

„durchgreifende Sichtung des vorhandenen Bestandes. Überalterter Ballast und politisch<br />

untragbares Schrifttum wurden ausgeschieden.“ Es hätten mangels Fachkräfte die einfachsten<br />

bibliothekarischen Verwaltungsformen gefehlt, die jetzt aufgebaut würden, damit „die sichere<br />

Ausschöpfung eines äußerlich wie innerlich sauberen Bestandes“ gewährleistet sei. Es folge<br />

der Aufbau der seinerzeit „<strong>im</strong>provisierten Zweigstellen“, und mit dem städtischen<br />

Musikdirektor sei eine Musikbücherei verabredet. 768<br />

Kurz darauf wurde Grosse zur Wehrmacht einberufen. Während seines viermonatigen<br />

Einsatzes wurde mit seiner Vertretung nicht etwa Bellinghausen oder Minkwitz betraut,<br />

sondern die 25-jährige Volksbibliothekarin Gisela Fischer. 769 . Eine Kontrolle des Bestands<br />

durch den SD <strong>im</strong> August 1943 verlief ohne Beanstandungen. 770 Nach seiner Rückkehr Anfang<br />

September 1943 erhielt Grosse von S<strong>im</strong>mer wieder eine zusätzliche Aufgabe. Er bestellte ihn<br />

zum Leiter des Kulturamtes, wobei Smits <strong>Die</strong>nststellenleiter blieb und Grosse vor allem<br />

S<strong>im</strong>mer in seiner Eigenschaft als Kulturdezernent entlasten sollte. 771 Mit der von Grosse<br />

nebenamtlich geleiteten Staatlichen Volksbüchereistelle schloss die Stadt <strong>im</strong> November 1943<br />

einen Vertrag zum Ausbau der Patientenbücherei <strong>im</strong> Kemperhof. 772<br />

<strong>Die</strong> Ausleihzahlen der Stadtbücherei stiegen von 700 Ausleihen <strong>im</strong> März 1943 auf 3.450 <strong>im</strong><br />

Februar 1944 an. <strong>Die</strong> Gesamtausleihe betrug 27.300 Bände, davon 60 % Romane und<br />

40 % Sachbücher, wobei der ausleihfertige Gesamtbestand 12.000 Bände umfasste. 773 Eine<br />

Konkurrenzsituation durch Parteiorganisationen wie <strong>im</strong> übrigen Kulturbereich gab es nicht,<br />

doch existierten 1943 15 private Leihbüchereien, die ebenfalls eine stark erhöhte<br />

766 NB, 24.2.1943: Zur Neugestaltung der Stadtbücherei; NB, 10.3.1943: Stadtbücherei neu eröffnet (Zitate).<br />

Vgl. Hildegard Trapp: Notizen zur einhundertfünfzigjährigen Geschichte der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong>. Eine<br />

Dokumentation. <strong>Koblenz</strong> 1977, S. 10, mit falscher Datierung 16.3.1943.<br />

767 NB, 5.5.1943: Vom Struwwelpeter bis Knut Hamsun. Grosses Nachfolgerin Trapp nennt die Jugendbücherei<br />

die erste „in Rheinland-Pfalz“, die als Freihand-Bibliothek aufgestellt war; Trapp: Notizen, S. 10. Zum<br />

„Phänomen“, dass die ersten Versuche mit der Freihand-Aufstellung ausgerechnet <strong>im</strong> Dritten Reich stattfanden,<br />

vgl. Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 287-297, sowie zur „Gruppenbücherei und Hitlerjugend“ ebd.,<br />

S. 302-309.<br />

768 Grosse: Neugestaltung, S. 243 f. Grosse begründete 1953 eine neue Fachzeitschrift, ebenfalls unter dem<br />

Namen „<strong>Die</strong> Bücherei“, die er bis zu seiner Pensionierung 1966 herausgab.<br />

769 StAK 623 Nr. 9542, S. 35. Minkwitz war 1892 geboren, Fischer 1918, eine weitere Volksbibliothekarin war<br />

Jahrgang 1921; StAK 623 Nr. 9382, 14 f.<br />

770 LHAKo Best. 662,6 Nr. 964.<br />

771 StAK 623 Nr. 9542, S. 68 f.<br />

772 StAK 623 Nr. 7588, S. 14, 16 f.<br />

773 StAK 623 Nr. 8879, S. 220.


437<br />

Lesernachfrage verzeichneten. Sie unterstanden <strong>im</strong> Gegensatz zu den öffentlichen Büchereien<br />

nicht der Kontrolle des Reichserziehungs-, sondern des Reichspropagandaministeriums, das<br />

die Bevölkerung seit Kriegsbeginn auf diesem Weg mit ablenkender Unterhaltungslektüre<br />

versorgte. 774 Am 1. Oktober 1944 waren in der Stadtbücherei neben Grosse noch drei<br />

Bibliothekarinnen, vier technische Angestellte, zwei Stenotypistinnen, ein Buchbinder und ein<br />

Praktikant beschäftigt. 775 Während die Reichsschrifttumskammer <strong>im</strong> August 1944 die<br />

Schließung der Buchhandlungen anordnete, blieben die öffentlichen Bibliotheken – wo<br />

möglich – bis Kriegsende geöffnet. 776 Im August 1944 wurden die Öffnungszeiten erweitert,<br />

die Ausleihzahlen waren auf 30.000 gestiegen. 777<br />

Grosse, der seit November 1943 schwer erkrankt war, verließ <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Dezember 1944 in<br />

Richtung Breslau und hielt sich bei Kriegsende in Aschersleben auf. Er kehrte <strong>im</strong> Juni 1945<br />

nach <strong>Koblenz</strong> zurück, wo er auf Befehl der Militärregierung entlassen wurde. Doch schon <strong>im</strong><br />

Sommer 1946 wurde er mit einer auf zwei Jahre befristeten Gehaltskürzung um 20 % wieder<br />

eingestellt. Dass ihm dies so schnell gelang, dürfte an verschiedenen Faktoren gelegen haben:<br />

Das Bibliothekswesen nahm weder in der nationalsozialistischem Kulturpolitik einen<br />

prominenten Platz ein 778 noch bei S<strong>im</strong>mer, der öffentlichkeitswirksamere Formen wie<br />

Kunstausstellungen und Theatervorstellungen bevorzugte, sodass Grosse und sein Wirken<br />

auch aufgrund seiner Einberufung und Erkrankung dem breiten Publikum weitgehend<br />

unbekannt geblieben sein dürften. Schon 1946 veröffentlichte Grosse sein Buch „<strong>Die</strong> falschen<br />

Götter. Vom Wesen des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ 779 , eine scharfsichtige Analyse der Struktur und<br />

Methoden des Dritten Reiches, die streckenweise den Charakter einer apologetischen<br />

Rechtfertigungsschrift besitzt und seine innere Distanz zum <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

dokumentieren sollte. Nach seiner Rückkehr arbeitete Grosse zunächst ehrenamtlich für den<br />

Stolzenfelser Pfarrer Dr. Matthias Laros 780 , einen Führer der Una-Sancta-Bewegung und<br />

früheren Gegner des NS-Reg<strong>im</strong>es. Bald engagierte sich Grosse in der CDP (spätere CDU), an<br />

deren Programm 781 er mitarbeitete. 782 1954 verließ er die <strong>Stadtverwaltung</strong> und wurde Leiter<br />

774 LHAKo Best. 662,6 Nr. 964; NB, 24.3.1943: Ausleihecken in unseren Buchhandlungen; Koch: Das<br />

Bibliothekswesen, S. 101-105.<br />

775 StAK 623 Nr. 6662, S. 66.<br />

776 Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 333-335.<br />

777 NB, 1.8.1944: Amtliche Anzeigen. Stadtbücherei, Hauptstelle; NB, 24.8.1944: Büchereien sind auch <strong>im</strong><br />

Kriege wichtig.<br />

778 Boese: Das Öffentliche Bibliothekswesen, S. 347. Zu Klagen Heiligenstaedts über desinteressierte<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>en vgl. ebd., S. 335.<br />

779 Franz G. Grosse: <strong>Die</strong> falschen Götter. Vom Wesen des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Heidelberg 1946. Zu den<br />

Beamten in der NS-Zeit vgl. insbesondere S. 66-69. Gleichzeitig diskreditierte Grosse die Nicht-Parteigenossen,<br />

die jetzt als die „‚besseren’ Menschen die führende Rolle <strong>im</strong> Volksleben übernehmen“ als das „ewig neutrale<br />

Mittelmaß“; ebd. S. 11.<br />

780 Franz Grosse: Dr. theol. Matthias Laros. Der große geistige Brückenbauer. Werkgeleit und Bibliographie<br />

(Veröffentlichungen der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 9). <strong>Koblenz</strong> 1970; Jörg Seiler (Hg.): Matthias Laros (1882-<br />

1965). Kirchenreform <strong>im</strong> Geiste Newmans. Regensburg 2009.<br />

781 Franz Grosse: Weg und Ziel der Christlich-Demokratischen Partei. Landessekretariat der Christlich-<br />

Demokratischen Partei Rheinland-Hessen-Nassau. <strong>Koblenz</strong> [1946]. Vgl. LHAKo Best. 714 Nr. 689. 1989 trat


438<br />

der von ihm schon seit 1948 nebenamtlich geführten Staatlichen Landesfachstelle für<br />

Büchereiwesen in <strong>Koblenz</strong>. Bei seiner Pensionierung 1966 war Grosse Regierungsdirektor. Er<br />

selbst und seine spätere Nachfolgerin, die seit 1. Mai 1944 in <strong>Koblenz</strong> beschäftigte Diplom-<br />

Bibliothekarin Hildegard Trapp 783 , die mit dem Ehepaar Grosse seit Ende 1949 in häuslicher<br />

Gemeinschaft lebte, 784 achteten sorgfältig auf die „Entnazifizierung“ von Bibliographie und<br />

Lebenslauf. 785<br />

Anders erging es Bellinghausen. Wittgen habe von ihm 1933 den Eintritt in die NSDAP<br />

verlangt, so Bellinghausen in seinem Spruchkammerverfahren. Er habe dem angesichts seiner<br />

unsicheren Berufsposition und mangels Alternativen nachgegeben. Tatsache ist, dass<br />

Bellinghausen Wittgen anlässlich seiner erfolglosen Bewerbung zum Museumsdirektor <strong>im</strong><br />

Juli 1933 versprach, sich <strong>im</strong> Sinne des neuen Staates für das Wohl seiner He<strong>im</strong>atstadt<br />

einzusetzen. Im November 1933 erhielt er einen neuen <strong>Die</strong>nstvertrag, der ihn rückwirkend ab<br />

1927 zum Dauerangestellten machte. Am 20. April 1938 wurde Bellinghausen verbeamtet. In<br />

diesem Zusammenhang verstieg sich Bellinghausen zu einem Schreiben an Wittgen, in dem<br />

er angab, er habe der Bewegung schon 1932 nahe gestanden, was die <strong>Koblenz</strong>er Spruch-<br />

kammer später als „Notlüge“ wertete. In mehreren Artikeln, die sowohl in der Tagespresse als<br />

auch in parteiamtlichen Blättern erschienen, 786 feierte Bellinghausen das Deutschtum und<br />

Hitlers Verdienste. Nach der Annexion Luxemburgs hielt er sich knapp vier Monate zu<br />

Studien in der dortigen Nationalbibliothek auf. S<strong>im</strong>on hatte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> August 1940 um die<br />

Freistellung Bellinghausens für die Luxemburger Außenstelle des Reichspropagandaamtes<br />

gebeten. 787 In den daraus resultierenden Veröffentlichungen stellte Bellinghausen die<br />

historischen Verbindungen des Landes zum Altreich heraus. Mit seiner Seriosität als<br />

Stadtarchivar und anerkannter He<strong>im</strong>atforscher verschaffte er damit der „He<strong>im</strong> ins Reich“-<br />

Parole eine wissenschaftliche Legit<strong>im</strong>ation. 788 Der Direktor der Nationalbibliothek stellte ihm<br />

1947 dennoch ein gutes Leumundszeugnis aus. 789<br />

Grosse wegen Differenzen in den „gesellschaftspolitischen und kulturellen Zielsetzungen“ aus der CDU aus; RZ,<br />

4./5.2.1989: Privatanzeige „Persönliche Erklärung“.<br />

782 StAK 623 Nr. 8907, S. 59; ebd. Nr. 9756, S. 493 f.; ebd. N 91 Nr. 3-5.<br />

783 * 10.7.1922 Trier, + 11.5.2006 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, ledig, 1954-31.7.1982 Nachfolgerin von Grosse als<br />

Direktorin der Stadtbibliothek. Hildegard Trapp: Tätigkeitsbericht in Stichworten, Daten und bibliographischen<br />

Angaben vom 1. Mai 1944 - 31. Juli 1982 (Bildung, Information, Dokumentation 30). <strong>Koblenz</strong> 1982; StAK,<br />

Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 731/2006.<br />

784 StAK M 155, Hausblatt Schillerstraße 26; AB 1950, S. 143.<br />

785 Z. B. in Trapp: Notizen, S. 10 f.; dies.: Regierungsdirektor a. D. Dr. Franz Grosse [mit falschem Geburtsort<br />

Aschersleben, wo Grosse das Gymnasium besuchte, statt richtig Wanzleben].<br />

786 Hans Bellinghausen: <strong>Die</strong> wehrpolitische Bedeutung des moselländischen Raumes. In: Moselland.<br />

Kulturpolitische Monatshefte, Juni 1941, S. 95-99; ders.: <strong>Koblenz</strong> als Auswandererzentrale nach Ungarn und den<br />

Balkanländern. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 9<br />

(1942), S. 239, 241, sowie in: Moselland. Kulturpolitische Monatshefte Mai 1942, S. 17-19; ders.: Der<br />

Königsstuhl bei Rhens. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und<br />

Volksaufklärung H. 10 (1942), S. 265 f.<br />

787 StAK 623 Nr. 3835, S. 14 f., 20 f.<br />

788 Hans Bellinghausen: <strong>Die</strong> große Zeit des Hauses Luxemburg 1307-1437. In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 5 (1941), S. 8-11; ders.: <strong>Die</strong> Zerstörung von Esch an<br />

der Alzig durch die Franzosen <strong>im</strong> Jahre 1794. In: Ebd. h. 3 (1942), S. 72 f.; ders.: Balduin von Luxemburg wird


439<br />

1945 wurde Bellinghausen kurzzeitig entlassen, von Oberbürgermeister Kurth <strong>im</strong> Juli 1945<br />

aber wieder eingestellt. Im September 1945 wurde er dann verhaftet und nach verschiedenen<br />

Zwischenstation schließlich in <strong>Die</strong>z interniert, nachdem ihn Oswald Oehmen, Sohn des<br />

separatistischen „Regierungspräsidenten“ Theodor Oehmen, bei der französischen<br />

Militärregierung denunziert hatte. Oehmen versuchte wiederholt, Bellinghausen als<br />

antifranzösischen Hetzer zu belasten. Erschwerend kam hinzu, dass das Nationalblatt während<br />

einer Italienreise Bellinghausens 1938 ohne sein Wissen einen antisemitischen Hetzartikel<br />

veröffentlicht hatte, der sich ausdrücklich auf seine Forschungen berief. Hauptschriftleiter<br />

Franz Jenrich habe seine Arbeit sinnentstellt und durch die neue Überschrift „<strong>Koblenz</strong>er<br />

Juden stets eine Landplage“ 790 verfälscht, verteidigte sich Bellinghausen. Auf seinen Protest<br />

nach seiner Rückkehr habe ihn Jenrich nur ausgelacht. War Bellinghausen vor 1945 nicht<br />

müde geworden, seine persönliche Urheberschaft der Besatzungs- und Separatistenaus-<br />

stellung herauszustellen, verwies er jetzt darauf, dass er die Leitung der bereits vorhandenen<br />

Ausstellung lediglich auf dienstliche Anordnung übernommen habe. 791<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Spruchkammer stufte Bellinghausen <strong>im</strong> Februar 1948 als Mitläufer ein. <strong>Die</strong><br />

stadtbekannte Persönlichkeit habe überall „als ein bescheiden lebender Forscher“ gegolten,<br />

der sich nicht mit Parteipolitik beschäftigte. Seine Stellung bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> sei eines<br />

Gelehrten 792 unwürdig gewesen. Bellinghausen habe die Stadt bei allen möglichen<br />

Gelegenheiten repräsentieren müssen, wenn der Oberbürgermeister oder die Beigeordneten<br />

keine Zeit oder Lust gehabt hätten. Seine sachliche Geschichtsschreibung über die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Juden sei vom Nationalblatt verzerrt und missbraucht worden, so die Spruchkammer. Seine<br />

sonstigen Artikel hätten die Parteipropaganda nur „mittelbar“ unterstützt. Erst <strong>im</strong> Oktober<br />

1948 kam Bellinghausen frei, nachdem mehrere prominente <strong>Koblenz</strong>er ein Gnadengesuch an<br />

den Militärgouverneur gerichtet hatten. Aus formalen Gründen musste das Verfahren aber in<br />

<strong>Die</strong>z neu aufgerollt werden. Auch die dortige Kammer stufte ihn <strong>im</strong> Februar 1949 als<br />

Mitläufer ein, 500 DM Sühneleistung galten durch die lange Internierung als abgegolten.<br />

Bellinghausen sei ein „weicher, stiller Mensch, der in erster Linie seinen Forschungen gelebt<br />

[…] hat“, der das Z<strong>im</strong>mer seiner Vorgesetzten „auf den Zehenspitzen gehend“ zu betreten<br />

Pfandinhaber der englischen Königskrone. In: Ebd. h. 11 (1942), S. 295 f.; ders.: Luxemburger kämpfte für<br />

Indiens Freiheit. In: Ebd. h. 11 (1942), S. 297. <strong>Die</strong> Legit<strong>im</strong>ationsfunktion erfüllte z. B. auch der Münsteraner<br />

Stadtarchivsdirektor; Mecking: „Immer treu“, S. 191.<br />

789 LHAKo Best. 856 Nr. 110118; Prof. Pierre Frieden vom 20.1.1947.<br />

790 NB, 17.11.1938. Der Artikel erschien unter einer Liste noch bestehender jüdischer Betriebe, die „nun gottlob<br />

ausgespielt“ hätten; ebd.: Cha<strong>im</strong>-Leib Wächter und Konsorten. Als Vorlage diente Jenrich Bellinghausens<br />

Aufsatz „<strong>Die</strong> Juden von <strong>Koblenz</strong>“. In: Hans Bellinghausen (Hg.): Alt-<strong>Koblenz</strong>. Eine Sammlung geschichtlicher<br />

Abhandlungen. Bd. 1. <strong>Koblenz</strong> 1929, S. 228-233. Bereits <strong>im</strong> Sommer 1938 war eine Artikelserie erschienen, bei<br />

deren letzter Folge ebenfalls Bellinghausen als Autor genannt worden war: NB, 30./31.7.1938: Alt-<strong>Koblenz</strong> und<br />

die Judenplage; NB, 2.8.1938: dito, I. Fortsetzung; NB, 10.8.1938: dito, II. Fortsetzung; NB, 16.8.1938: dito<br />

[Schluss].<br />

791 LHAKo Best. 856 Nr. 110118; StAK 623 Nr. 3502, S. 7-13.<br />

792 Bellinghausen hatte nach Abschluss von Studium und Promotion einen Posten als Privatdozent angestrebt,<br />

was der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Verlust des väterlichen Vermögens durch die Inflation<br />

verhinderten; StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 2, „Biographische Angaben“.


440<br />

pflegte, der sich aber gleichzeitig „als eitler Mensch gerne in den Vordergrund stellte […], um<br />

sich als unentbehrlich hinzustellen“. 793<br />

Noch während seines Spruchkammerverfahrens bemühte sich Bellinghausen 1947 um seine<br />

Wiedereinstellung und stellte gegenüber Stadtamtmann Otto Braun, jetzt Leiter des<br />

Kulturamtes, seine Verdienste als He<strong>im</strong>athistoriker und Retter des Altbestands heraus. Einmal<br />

mehr fühlte er sich zurückgesetzt. Es sei für ihn „bitter“, dass nun andere, nämlich sein alter<br />

Widersacher Grosse, die Früchte seiner Arbeit ernteten und schon wieder in Amt und Würden<br />

seien. Braun befürwortete Bellinghausens Wiedereinstellung: „Politisch wird Dr. B. allgemein<br />

als Kind bezeichnet.“ Erst am 21. Juli 1949 konnte Bellinghausen seinen <strong>Die</strong>nst wieder<br />

aufnehmen, 794 Ende März 1952 wurde er pensioniert. 795<br />

6.3.12 Volkspark, Karneval und Schängel-Brunnen<br />

Selbst vermeintlich ideologie- und propagandafreie Oasen <strong>im</strong> Alltag der <strong>Koblenz</strong>er blieben<br />

nur vordergründig unpolitisch, wie die drei Beispiele Volkspark 796 , Karneval 797 und Schängel-<br />

Brunnen 798 zeigen.<br />

<strong>Die</strong> Umgestaltung der Bubenhe<strong>im</strong>er Flesche in einen Volkspark war eine Notstands-<br />

maßnahme, die sich bald zu einem Vorzeigeobjekt der <strong>Stadtverwaltung</strong> entwickelte. 799 <strong>Die</strong>s<br />

lag nicht zuletzt daran, dass Walter Frischling als Leiter des Gartenamtes einen kostspieligen<br />

Ehrgeiz bei der Anlage des Parks an den Tag legte. Im August 1935 rügte Stadtkämmerer<br />

Wirtz scharf die notwendige Nachbewilligung von Mitteln für den Volkspark, weil der<br />

vorgesehene Jahresetat schon nach vier Monaten aufgebraucht war: „Es geht nicht an, eine<br />

einzige Anlage in der Stadt derartig bevorzugt zu behandeln […].“ 800 <strong>Die</strong> Eröffnung fand am<br />

13. Juni 1936 statt. Wittgen schrieb in der Einladung: „Der Volkspark ist nicht nur eine Stätte<br />

793<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110118 (unpaginiert), Säuberungsspruch vom 17.2.1948, Urteilsbegründung vom<br />

12.2.1949. Bellinghausen gab an, während seiner Internierung sei seine Privatbibliothek beschlagnahmt worden.<br />

Oehmen, der sich ihm gegenüber als „Rächer meines Vaters“ ausgegeben habe, habe Ölgemälde und seine<br />

Briefmarkensammlung gestohlen. Kulturamtsleiter Braun notierte am 1.6.1949, Oehmen habe Bellinghausens<br />

Wohnung „ausgeräubert“ und sei verhaftet worden; StAK 623 Nr. 3502, S. 30. Zu Oehmen vgl. LHAKo Best.<br />

540,1 Nr. 1403.<br />

794<br />

StAK 623 Nr. 9594, S. 51. Oberbürgermeister Schnorbach hatte entschieden, das Spruchkammerverfahren<br />

müsse abgewartet werden; ebd. Nr. 6774, S. 340.<br />

795<br />

StAK 623 Nr. 3502, Zitate S. 18, 31; ebd. Nr. 3222, MF Nr. 3.<br />

796<br />

Matthias Kellermann: Vom Festungswerk zur Parkanlage. <strong>Die</strong> Bubenhe<strong>im</strong>er Flesche 1920-1969. In: Feste<br />

Kaiser Franz. Zur Geschichte des Festungswerks und des Systems Feste Franz in <strong>Koblenz</strong>-Lützel. Festschrift<br />

zum 10-jährigen Jubiläum Feste Kaiser Franz e. V. <strong>Koblenz</strong> 2008, S. 81-98, hier S. 86-92; ders.: 75 Jahre<br />

Lützeler Volkspark. Zur Geschichte der Parkanlage in <strong>Koblenz</strong>-Lützel. <strong>Koblenz</strong> 2011.<br />

797<br />

<strong>Die</strong>ter Buslau: 2000 Jahre Fasenacht in <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1976, S. 46-51, sowie kritischer Karin Adelfang<br />

u. a.: 175 Jahre Karneval in <strong>Koblenz</strong>. Faasenacht an Rhein und Mosel von den Anfängen bis heute. Im Auftrag<br />

der Arbeitsgemeinschaft <strong>Koblenz</strong>er Karneval. <strong>Koblenz</strong> 1999, S. 56-60.<br />

798<br />

Heinrich Denzer: Augenroller und Schängelbrunnen. Zwei Wahrzeichen der Stadt <strong>Koblenz</strong> (Mittelrheinische<br />

Hefte 17). <strong>Koblenz</strong> 1990, S. 39-49, 53 f.<br />

799<br />

NB, 24./25.11.1934: Wie unser <strong>Koblenz</strong>er Volkspark einst aussehen wird.<br />

800<br />

StAK 623 Nr. 9858, S. 90-101, Zitat S. 98; vgl. ebd. Nr. 7216, S. 49.


441<br />

der Erholung, sondern auch eine wahre Kulturstätte geworden.“ 801 Das Areal wurde bald ein<br />

sehr beliebtes Ausflugsziel, 802 wo man <strong>im</strong> Gegensatz zu den von Fremden bevölkerten<br />

Rheinanlagen ganz familiär „unter sich“ blieb. <strong>Die</strong> Attraktivität des Volksparks steigerte sich<br />

<strong>im</strong> Juni 1937 nochmals, als ein Café-Restaurant <strong>im</strong> Reduit eröffnet wurde 803 .<br />

Doch selbst der Volkspark bot sich der Partei als Propagandaplattform. Wittgen hatte dem<br />

Turnverein Lützel auf dessen Antrag einen Platz für ein Gefallenendenkmal zur Verfügung<br />

gestellt, das der <strong>Koblenz</strong>er Bildhauer Wilhelm Tophinke 804 gestaltete. <strong>Die</strong> Einweihung am<br />

17. November 1936 fand ganz <strong>im</strong> Stil des nationalsozialistischen Totenkults statt. Kein<br />

Vereinsvertreter, sondern Kreisleiter Claussen hielt die Weiherede, während Wittgen das<br />

Mahnmal in die Obhut der Stadt nahm. Das Nationalblatt brachte dazu in kurzen Abständen<br />

gleich drei den Heldentod verherrlichende Artikel. 805 Als das Amt für Volksgesundheit die<br />

Stadt <strong>im</strong> Februar 1938 zu „Propagandazwecken für den Verbrauch von Heilpflanzen“ um ein<br />

kostenloses Gartengrundstück für einen Schaugarten bat, antwortete Stadtoberbaurat<br />

Neumann, <strong>im</strong> Sommer sei die Anpflanzung von Heil- und Gewürzkräutern in einem Teil des<br />

Volksparks geplant. Das Amt könne diesen Sondergarten, dessen Fläche <strong>im</strong> Krieg fast<br />

verdoppelt wurde, propagandistisch nutzen und sich Material daraus entnehmen. 806<br />

Zu seinem speziellen Anliegen machte Wittgen die Pflege rheinischen Brauchtums. Jedes Jahr<br />

unterstützte er den „Kinder-Mertes-Fackelzug“ (Martinszug) finanziell aus seinem<br />

Dispositionsfonds. 807 Er besuchte und eröffnete Kirmesfeste wie in der Weißer Gasse oder in<br />

Lützel, die nach seinen Worten als Ausdruck wahren Volkstums besondere Förderung<br />

verdienten, nachdem der nationalsozialistische Staat „alles Volksfremde […] hinweggefegt“<br />

habe. 808 Den Karneval förderte Wittgen ganz besonders. In einer Fastnachtssitzung der<br />

Großen <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsgesellschaft, die er <strong>im</strong> Januar 1934 zusammen mit seinem<br />

Trierer Amtskollegen Christ und den Beigeordneten besuchte, ehrte ihn der Präsident Jupp<br />

Flohr 809 mit einer Narrenkappe. 810 Sie hatte zuvor dem Elferratsmitglied und Büttenredner<br />

801<br />

StAK 623 Nr. 6553, S. 14-29, Zitat S. 14. Zur Eröffnung vgl. NB, 13./14.6.1936: Ein Volkspark – wo einst<br />

eine Festung stand; KVZ, 15.3.1936: Blumenparadies <strong>im</strong> alten Fort.<br />

802<br />

In den ersten beiden Monaten besuchten 35.000 Menschen den Volkspark; NB, 26.8.1936: Rekordzahlen <strong>im</strong><br />

<strong>Koblenz</strong>er Volkspark. Zu bewundern waren auch exotische Pflanzen; NB, 29./30.6.1936: Frische Feigen aus<br />

<strong>Koblenz</strong> gefällig; NB, 10./11.9.1938: Ein Palmenhaus zwischen Blumenbeeten; NB, 15.12.1938: Ein Paradies<br />

für Palmen und Farne.<br />

803<br />

StAK 623 Nr. 8047; ebd. Nr. 9569, S. 37; NB, 3.6.1937: Allerlei Erfrischungen – <strong>im</strong> Volkspark-Café. <strong>Die</strong><br />

Gaststätte musste <strong>im</strong> September 1944 wegen Kriegsschäden geschlossen werden.<br />

804<br />

NB, 11.8.1938: Wilhelm Tophinke und sein Werk. Tophinke (1892-1961) lebte und arbeitete viele Jahre in<br />

<strong>Koblenz</strong>.<br />

805<br />

NB, 11.11.1936: Ein Heldenmal <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Volkspark; NB, 17./18.11.1936: Der Helden ewige Mahnung<br />

an uns; NB, 19.11.1936: „Sie kämpften, sie starben, sie leben“.<br />

806<br />

StAK 623 Nr. 9858, S. 207, 215 f.; NB, 24.4.1942: Treffpunkt: Volkspark.<br />

807<br />

StAK 623 Nr. 6579, S. 195 f., 343 f.; ebd. Nr. 6586, S. 252-255; ebd. Nr. 6642, S. 168-171.<br />

808<br />

NB, 4.10.1937: Zo Kowelenz en der Weissergass do war dä Kermes scheen; NB, 11.10.1937: In Lützel ist ein<br />

lustig Leben! (Zitat).<br />

809<br />

* 13.2.1904 <strong>Koblenz</strong>, + 19.11.1958 <strong>Koblenz</strong>, Bäcker, Unterhaltungskünstler, Filmschauspieler, 1934-1938<br />

„Bürgermeister“ des Weindorfs, 1938-1953 in Berlin. Jupp Flohr: Das ist doch lächerlich. Ein Brevier der


442<br />

Dr. Eugen Stern gehört. Der jüdische Arzt hatte sie zurückgelassen, als er 1933 freiwillig die<br />

Gesellschaft verließ, um seine Freunde nicht in Verlegenheit zu bringen. 811 Als sinnfälliger<br />

Beleg für die Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens unter den Nationalsozialisten<br />

fand am 12. Februar 1934 erstmals nach 20 Jahren wieder ein Rosenmontagszug statt. <strong>Die</strong><br />

Organisation lag be<strong>im</strong> Zugausschuss unter der Leitung des Vorsitzenden der Großen<br />

<strong>Koblenz</strong>er Karnevalsgesellschaft, dem Hotelier und Gastwirt Johannes Dahm, der dann auch<br />

als Prinz Karneval auftrat. Unterstützt wurde die Arbeit des Ausschusses durch die Gau-<br />

leitung, vertreten durch Gaupropagandaleiter Michels, sowie die <strong>Stadtverwaltung</strong>, vertreten<br />

durch Wittgen. 812 Zwei Motivwagen des Rosenmontagszuges griffen alte Propagandathemen<br />

der NSDAP auf, nämlich Rosendahls „Tintenfaß“ und Roggs „Hochhaus“. 813<br />

Wittgen blieb nicht nur ständiges Mitglied des Organisationskomitees für den Rosen-<br />

montagszug, sondern er gab alljährlich in seiner Privatwohnung einen Empfang für den<br />

Karnevalsprinzen, dessen Gefolge und die lokale (Partei-)Prominenz. 814 1938 war die Session<br />

besonders erfolgreich, nachdem Claussen für eine noch engere Zusammenarbeit von Partei,<br />

Stadt und Vereinen gesorgt hatte. Passend dazu wurde der NSDAP-Kreispropagandaleiter und<br />

Kunstmaler Jupp Schneider zum Prinzen Karneval gekürt, und die Vereinigten <strong>Koblenz</strong>er<br />

Karnevalsvereine gaben ihre Karnevalszeitung zusammen mit der NSG KdF heraus. In<br />

seinem Grußwort schrieb Wittgen: „Im Dritten Reiche steht neben der Arbeit auch die Freude,<br />

die der schaffenden Gemeinschaft fröhlichen Lebensausdruck verleiht“. 815 Er kündigte an, die<br />

Stadt übernehme in Zukunft die Prinzenausstattung, damit das Amt nicht vom Geldbeutel<br />

abhängig sei. 816 Für die Session 1939 lag die Vorbereitung fast völlig in Händen der Partei<br />

und der NSG KdF. 817 <strong>Die</strong> Karnevalszeitung hatte diesmal der Lokalredakteur des<br />

Nationalblatts, Franz Jenrich, besorgt. 818 Als Karnevalsprinz ließ sich der inzwischen in<br />

Berlin als Berufshumorist lebende Jupp Flohr einspannen, der ein Erfolgsgarant in Sachen<br />

Lebensfreude. Köln o. J. [um 1951]; ders.: Prinz Karneval. Neue verb. Aufl. Köln o. J. [um 1952]; Alexander<br />

Ilgner: Kowelenzer He<strong>im</strong>atkläng. <strong>Koblenz</strong> 1956, S. 198 f.; RZ, 16.8.1985: Nur einmal ein Filmstar sein.<br />

810 NB, 15.1.1934: Auftakt zum Karneval 1934.<br />

811 NB, 15.1.1934: Auftakt zum Karneval 1934; Buslau: 2000 Jahre Fasenacht, S. 179; Adelfang u. a.: 175 Jahre<br />

Karneval, S. 59. Dr. med. Eugen Stern, geb. 25.11.1894 <strong>Koblenz</strong>, flüchtete 1937 vor der Gestapo nach Köln,<br />

1939 von dort nach Brüssel, Todesdaten und -umstände sind unbekannt. Seine Frau beging in Berlin Selbstmord,<br />

Tochter und Sohn wurden 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Thill: Lebensbilder, S. 261-263.<br />

812 NB, 10.1.1934: <strong>Koblenz</strong>er Rosenmontagszug.<br />

813 NB, 13.2.1934: Das Narrenzepter Johannes I. über <strong>Koblenz</strong>. Eine Abbildung zeigt den Motivwagen<br />

„Hochhaus“ mit einer Nachbildung des Kopfgebäudes, darunter die Aufschrift „Teuerster Rock“ (statt Rogg).<br />

814 Beispiel: NB, 9.2.1937: Se[ine]. Tollität <strong>im</strong> Hause des Stadtoberhauptes.<br />

815 NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ und Vereinigte <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsvereine (Hg.): <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong><br />

geckige Bilderbooch. <strong>Koblenz</strong> 1938, S. 8 (in: StAK KH 166).<br />

816 NB, 12./13.2.1938: Jupp von Tubendorff regiert; NB, 1.3.1938: <strong>Die</strong> ganze Stadt außer Rand und Band.<br />

817 NB, 23.12.1938: Es soll ein Volksfest werden wie noch nie …!; NB, 21./22.1.1939: <strong>Koblenz</strong>er!<br />

Karnevalsfreunde weit und breit! Mitglieder des Organisationskommitees waren außerdem Urmes, Claussen,<br />

Dörner, Minter, Standortoffizier Major v. Wallenberg, Arbeiter Pg. Beck, Betriebsführer Pg. Walter Zernikow<br />

(Propagandaleiter und späterer Leiter der Ortsgruppe Süd), He<strong>im</strong>atdichter Pg. Josef Cornelius, Exprinz und<br />

Kreispropagandaleiter Pg. Jupp Schneider sowie Wittgen.<br />

818 <strong>Koblenz</strong>er Karnevals-Zeitung 1939 mit Rosenmontagszugs-Programm "Dat geckig’ Schängelche" in: StAK<br />

KH 166.


443<br />

Frohsinn war. Be<strong>im</strong> Rosenmontagszug – laut Nationalblatt dem schönsten seit Jahren –<br />

rollten propagandaträchtige Motivwagen 819 durch die Straßen, darunter eine antisemitische<br />

„Glossierung des Weltfeindes Alljuda“ und eine Verherrlichung des Westwalls als<br />

unüberwindliches Hindernis für einen französischen „Kartoffelkäfer“, der mit einer „typisch<br />

jüdischen“ Physiognomie ausgestattet war. Be<strong>im</strong> traditionellen Prinzenempfang <strong>im</strong> Hause<br />

Wittgen verriet der Gastgeber, man wolle den Julius-Wegeler-Saal <strong>im</strong> Alten Kaufhaus für<br />

repräsentative Zwecke der Stadt ausbauen. Dort könne man in Zukunft einen der Jokusstadt<br />

würdigen Empfang ausrichten. Da der Karneval für den Fremdenverkehr inzwischen eine<br />

nicht unerhebliche Rolle spielte, konnten Wittgen und Claussen zufrieden feststellen, dass<br />

<strong>Koblenz</strong> achtbar neben Köln und Mainz stehe und Flohrs Regentschaft weite Resonanz<br />

gefunden habe. 820 Dass es in <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Gegensatz zu Trier zwischen 1934 und 1939 zu<br />

einem „wirklich glanzvollen Zwischenspiel“ der „Fasenacht“ kam, 821 ist insofern richtig.<br />

Doch die Karnevalisten zahlten dafür ihren Preis, indem sie sich weitgehend mit den<br />

Machthabern arrangierten und sich für Propagandazwecke vereinnahmen ließen. 822<br />

<strong>Koblenz</strong> fehlte <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Städten eine plastische Verkörperung der<br />

lokalpatriotischen Identifikationsfigur, die <strong>im</strong> „Schängel“ an sich bereits vorhanden war. Im<br />

September 1938 war der Wunsch nach einem Schängel-Denkmal auf einer Versammlung der<br />

Großen <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsgesellschaft wieder laut geworden. 823 Smits hatte die Idee dazu<br />

bereits Jahre zuvor aufgreifen wollen, doch erst bei Wittgen stieß er auf offene Ohren. Das<br />

neue Denkmal kündigte Wittgen bei der Feier zum 90. Geburtstag des Schängellied-Dichters<br />

und Parteigenossen Josef Cornelius 824 am 13. April 1939 öffentlich an. 825 Seine Ver-<br />

wirklichung in Form eines Brunnens in der Ecke des Platzes vor dem Rathausgebäude I war<br />

von Wittgen und Smits zunächst fast <strong>im</strong> Alleingang vorangetrieben worden. Zwar hatte<br />

Wittgen die Ratsherren in der Sitzung vom 21. Dezember 1938 über die Pläne für einen<br />

819<br />

Entwürfe vgl. NB, 24.1.1939: „Frau Karins Töchter“ sind auch dabei.<br />

820<br />

NB, 21.2.1939: Prinz Jupp regiert unsere Stadt; ebd.: Rosenmontagszug am Straßenrand; KVZ, 21.2.1939:<br />

Jupps großer Triumphzug; ebd.: Das Stadtoberhaupt empfängt Se. Tollität. Zu den Plänen, den Julius-Wegeler-<br />

Saal zur „Ratsstube der Stadt“ umzugestalten, vgl. StAK 623 Nr. 7216, S. 346.<br />

821<br />

Buslau: 2000 Jahre Fasenacht, S. 46. In Trier fanden nur 1934 und 1939 Rosenmontagszüge statt, nicht<br />

zuletzt, weil sich KdF und Kreispropagandaamt 1935 um die Federführung stritten. <strong>Die</strong> Beteiligung der Trierer<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> an den Vorbereitungen der Sessionen ab 1936 ging auf eine Initiative der Presse zurück. Erst<br />

1939, nachdem die KdF sich massiv einsetzte und die Stadt finanzielle Mittel bereitstellte, gab es noch einmal<br />

einen eindrucksvollen Rosenmontagszug. Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 380-383.<br />

822<br />

<strong>Die</strong> Vorstellung, „dass der organisierte Karneval sich dem politischen Totalitätsanspruch widersetzt habe“<br />

musste z. B. auch für Köln völlig revidiert werden. Horst Matzerath: Köln in der Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

1933-1945 (Geschichte der Stadt Köln 12). Köln 2009, S. 199.<br />

823<br />

NB, 7.9.1938: Das Denkmal des Kowelenzer Schängelchen; NB, 10./11.9.1938: Historische Wahrzeichen<br />

unserer Stadt.<br />

824<br />

Ilgner: Kowelenzer He<strong>im</strong>atkläng, S. 195.<br />

825<br />

NB, 14.4.1939: Gratulanten kamen von früh bis spät. Der He<strong>im</strong>atdichter Cornelius war schon „früh“<br />

Parte<strong>im</strong>itglied geworden und hatte an seine Kinder Zettel und Stempel mit antisemitischen Spottversen verteilt.<br />

Zu seinem Geburtstag erhielt er schriftliche Glückwünsche des Führers und des Gauleiters, Kreisleiter Claussen<br />

gratulierte persönlich und der SA-Musikzug gab ein Ständchen. Das NB berichtete über dieses volkstümliche<br />

Ereignis mit mehreren Abbildungen exklusiv. Der KGA durfte nur am eigentlichen Geburtstag eine allgemeine<br />

Würdigung von Cornelius’ Lebenswerk veröffentlichen; KGA, 13.4.1939: Josef Cornelius zum vollendeten 90.<br />

Lebensjahr.


444<br />

Schängel-Brunnen informiert, 826 doch selbst Stadtkämmerer Wirtz wusste nichts über das<br />

Projekt, als <strong>im</strong> Mai 1939 die erste Zahlung fällig war. Wittgen warb emsig bei den<br />

finanzkräftigsten <strong>Koblenz</strong>er Bürgern und Firmen um Spenden, bis schließlich mit genau<br />

10.000 RM der Löwenanteil der Kosten zusammengekommen war. 827<br />

Den Auftrag für den Brunnen erhielt Professor Karl Burger (1885-1950), Leiter der<br />

„Steinmetzfachschule der Stadt Mayen“. Mit Burger war ein von der Partei geförderter<br />

Künstler gewählt worden, der in seinen monumentalen Werken die Blut- und Bodenideologie<br />

interpretierte. 828 Der Schängel ist in der Art der Darstellung des gewitzten „Kowelenzer Jung“<br />

bemerkenswert, vergleicht man ihn z. B. mit der Brunnenfigur eines trommelnden HJ-<br />

P<strong>im</strong>pfes, die Wilhelm Tophinke 1938 für Bad Hönningen schuf. 829 Dagegen spuckt der<br />

Schängel seine Betrachter frech und respektlos in hohem Bogen an. Während Smits später<br />

die geistige Urheberschaft am Schängel ganz für sich reklamierte, notierte Wittgen<br />

handschriftlich <strong>im</strong> März 1939 nach einem Atelierbesuch bei Burger: „Als Brunnenfigur ist ein<br />

von oben in das Becken spuckender Schängel – auf meinen Vorschlag – in Aussicht<br />

genommen.“ Smits selbst schrieb 1941 zur Entstehungsgeschichte, es sei „durch Anregungen<br />

des Herrn Oberbürgermeister Wittgen […] schließlich auch die Form für den Schängel<br />

gefunden [worden], die heute in Erz gegossen den Brunnen krönt.” 830<br />

Wittgen interessierte sich trotz Pensionierung und Erkrankung noch lebhaft für den Fortgang<br />

der Arbeiten an „unserm Schmerzenskind“, wie er Burger 1940 schrieb. 831 <strong>Die</strong> Fertigstellung,<br />

die sich wegen kriegsbedingter und technischer Probleme verzögerte, erlebte er nicht mehr.<br />

Der 1935 – nach dem Skandal um den Kaufhof-Einkauf von Wittgens Frau – von der NS-<br />

Hago aufgestellte „Stürmer-Kasten“ musste ebenso wie ein Telefonhäuschen <strong>im</strong> September<br />

1940 für den Brunnen weichen. <strong>Die</strong> Einweihung blieb schließlich S<strong>im</strong>mer überlassen, von<br />

826<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 328. <strong>Die</strong> Kölnische Zeitung hatte sogar schon am 14.12.1938 über die Pläne berichtet;<br />

ebd. Nr. 7059, S. 675 (Zeitungsausschnitt).<br />

827<br />

StAK 623 Nr. 7059, S. 675-737, 832-835.<br />

828<br />

NB, 25.11.1935: <strong>Die</strong> Westmark ehrt einen Künstler; Arnold Müller: Der Bildhauer Karl Burger. In:<br />

Moselland. Kulturpolitische Monatshefte, Mai 1942, S. 27-32; Michael Loose: Der Bildhauer Carl Burger und<br />

die Steinmetz-Fachschule Mayen (1922-1966). In: Eifel-Jahrbuch 1995, S. 135-143; Thomas Schnitzler:<br />

Vorgeführt: Kulturpropaganda <strong>im</strong> Gau Moselland. <strong>Die</strong> Instrumentalisierung der bildenden Künste, der Literatur<br />

und des Sports in den Kriegsjahren 1939-1944 (Teil 1). In: Kurtrierisches Jahrbuch 49 (2009), S. 307-354, hier<br />

S. 319 f. Burger hatte für <strong>Koblenz</strong> schon 1928 den „Traubenträgerbrunnen“ geschaffen, dessen „komplexe<br />

Ikonografie […] als Symbol für den deutschen Nationalismus“ interpretiert werden könne, so jüngst die Gegner<br />

der Wiedererrichtung des Brunnens; RZ, 2.1.2010: Umstrittener Brunnen wird nicht aufgebaut.<br />

829<br />

NB, 11.8.1938: Wilhelm Tophinke und sein Werk.<br />

830<br />

StAK 623 Nr. 7059, Zitate S. 692, 834 f., vgl. auch S. 745; ebd. N 150 Nr. 9. Burger hatte Wittgen zu Hause<br />

mehrere Entwurfszeichnungen vorgelegt, für die sich seine Tochter Elisabeth interessierte. Als sie auf ihre Frage,<br />

was denn der eine Schängel da mache, die Auskunft erhielt, der spucke, meinte sie: „Och, das ist ja doll!“ Damit<br />

war die Wahl gefallen. Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009. Auch für die Reliefs des<br />

Brunnenbeckens hatte Wittgen bei einem Atelierbesuch Vorschläge gemacht, die später verwirklicht wurden;<br />

StAK 623 Nr. 7059, S. 691 f. Abb. in: Stadt <strong>Koblenz</strong>, Presse- und Informationsamt (Hg.): Historisches Rathaus<br />

der Stadt <strong>Koblenz</strong>. Dokumentation zur Generalsanierung des Rathauses – Gebäude II – 1985. <strong>Koblenz</strong> 1985, S.<br />

62.<br />

831<br />

StAK 623 Nr. 7059, S. 753, 756 (Zitat).


445<br />

dem keine Vorliebe für das „Volkstümliche“ überliefert ist. Zur Feierstunde am 15. Juni 1941<br />

mit anschließendem Frühstück lud er neben den Spendern Gaupropaganda-leiter Urmes,<br />

Kreisleiter Cattepoel, Burger, Cornelius, die Witwe des Komponisten Karl Kraehmer, den<br />

Steinlieferanten, Smits, die drei Stadträte und Frau Wittgen ein, die jedoch ebenso wie<br />

Cattepoel und einige Spender absagte. Hob sich das neue Wahrzeichen schon wohltuend von<br />

der gängigen Propagandabildern ab, war es auch die Einweihungsfeier selbst, die auffallend<br />

„zivil“ und „volkstümlich“ verlief. S<strong>im</strong>mer erschien, wie es für ihn die Regel war, 832 in<br />

Zivilkleidung. Auf Fotos 833 sind als einzige Uniformierte einige Schutzpolizisten zu sehen,<br />

die St<strong>im</strong>mung war sichtlich heiter und gelöst. Ein Chor von Schülern ohne HJ-Uniformen<br />

sang unter der Leitung von Studienrat Fritz Koenig 834 den „Kowelenzer Jung“ und natürlich<br />

das Schängellied, S<strong>im</strong>mer hielt eine Ansprache und enthüllte den Brunnen. 835 Burger<br />

interpretierte seine Darstellung des Schängels, der sich froh und unbeschwert seines Daseins<br />

freue, als „Symbol der Lebensbejahung, […] die der Jugend eigen ist“, spannte aber dann den<br />

Bogen zur Blut- und Bodenideologie: Der bodenständige Schängel stehe „mit beiden Beinen<br />

fest und frei auf deutschem Grund“, nämlich auf für „ewige Zeiten“ beständiger Mayener<br />

Basaltlava. 836<br />

Als Ausdruck jugendlicher Lebensfreude kann der Brunnen aufgrund seines Standorts als<br />

hochbrisante Replik auf einen Gedenkstein angesehen werden, der sich genau gegenüber an<br />

der Wand des Rathausgebäudes II befand und in dessen Richtung der Schängel spuckte<br />

(Abb. 28). 837 Der Stein war am 24. Januar 1937 anlässlich der von Ratsherrn Karbach<br />

beantragten Umbenennung der Casino- und Gymnasialstraße in „Herbert-Norkus-Straße“ von<br />

Polizeipräsident Wetter enthüllt worden. Er trug die Inschrift „Herbert-Norkus-Straße, so<br />

benannt als Mahnung und Appell an die deutsche Jugend am 24.1.1937“, rief also zur<br />

Nachahmung von Norkus’ „Opfertod“ auf. 838 Jeweils am Jahrestag zelebrierte die HJ am<br />

Gedenkstein ihren Totenkult um den jüngsten Märtyrer der Bewegung. 839 Aufmerksamen<br />

Zeitgenossen mag vielleicht diese sonderbare Nachbarschaft zweier sowohl räumlich als auch<br />

inhaltlich entgegen gesetzter Sinnstiftungen von Jugend aufgefallen sein.<br />

832<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 24.2.2011.<br />

833<br />

StAK FA2 2016-2021. <strong>Die</strong> Teilnahme von Urmes geht aus den Akten nicht hervor, auf den Fotos ist er nicht<br />

abgebildet.<br />

834<br />

* 5.6.1892 Löwen (Kreis Brieg/Schlesien), + 9.6.1971 Bad Berleburg, evangelisch, verheiratet. Seit 1928<br />

Musiklehrer am Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium, daneben Kustos der Stadthallenorgel, Konzerttätigkeit als<br />

Organist u. a. be<strong>im</strong> Musik-Institut <strong>Koblenz</strong>, 1939 NSDAP-Mitglied, Fachstellenleiter für Volksmusik der<br />

Reichsmusikkammer <strong>im</strong> Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier/Moselland, Mitglied des Beirats für Kunst und Wissenschaften.<br />

StAK 623 Nr. 6693; ebd. Nr. 6314, S. 2.<br />

835<br />

StAK 623 Nr. 7059, S. 738-876.<br />

836<br />

NB, 16.6.1941: Das Denkmal <strong>im</strong> Rathauswinkel.<br />

837<br />

StAK FA2 Nr. 2021.<br />

838<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 149; NB, 19.1.1937: Herbert-Norkus-Straße in <strong>Koblenz</strong>; NB, 20.1.1937: Unsterblicher<br />

Mahner der Jugend; NB, 25.1.1937: Jugend weihte die Herbert-Norkus-Straße.<br />

839<br />

NB, 25./26.1.1941: Jugend <strong>im</strong> Geiste Herbert Norkus’; NB, 26.1.1942: Der jüngste Blutzeuge der Bewegung;<br />

NB, 25.1.1943: Dem Andenken an Herbert Norkus; NB, 25.1.1944: In selbstloser Pflichterfüllung.


446<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er jedenfalls schlossen den „Schängel“ schnell in ihr Herz. 840 Als S<strong>im</strong>mer die<br />

Herausgabe eines Heftchens für die Frontsoldaten aus <strong>Koblenz</strong> plante, wählte er als Titel<br />

„Dä Kowelenzer Schängel“. Das von Dr. Hans Roth vom Verkehrsamt <strong>im</strong> Mai 1943<br />

zusammengestellte Heft sollte in einer Auflage von 5.000 Stück in einem Berliner Verlag<br />

erscheinen, der als Titel aber „He<strong>im</strong>atgrüße für die Front“ vorschlug und <strong>im</strong> Interesse der<br />

Papierfreigabe zur Einbeziehung des Gauleiters riet. Warum es nicht erschien, ist nicht<br />

überliefert. 841<br />

6.4 Zwischenergebnis<br />

<strong>Die</strong> routinemäßige und routinierte Umsetzung von „Recht“ und Gesetz durch die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> „förderte […] die Transformation der bürgerlichen Gesellschaft in die<br />

‚Volksgemeinschaft’“. 842 <strong>Die</strong>s lässt sich auch für <strong>Koblenz</strong> feststellen. Drei Alte Kämpfer in<br />

Folge als Wohlfahrtsdezernenten (Christ, Klaeber, Fuhlrott) sorgten für die Umsetzung der<br />

nationalsozialistischen Wohlfahrtspolitik, die auch vom DGT unterstützt wurde. Schnell und<br />

ohne erkennbare Übergangsprobleme funktionierte das Wohlfahrtsamt nach den national-<br />

sozialistischen Förderungs- bzw. Selektionskriterien. <strong>Die</strong> ideologischen Vorgaben zur<br />

Formierung der neuen Volksgemeinschaft konnten offenbar an Würdigkeitsanforderungen in<br />

den Köpfen der Beamten anknüpfen, und ihre Umsetzung befreite die Kommune mittelfristig<br />

von finanziellen Lasten. Bei der Gewährung der Wohlfahrtsunterstützung für „Asoziale“<br />

bewegte sich die Stadt <strong>Koblenz</strong> „<strong>im</strong> Mittelfeld“ der rheinischen Kommunen. Im Übrigen<br />

wurde die Wohlfahrtserwerblosen <strong>im</strong>mer wieder „ausgekämmt“, bis sie zumindest statistisch<br />

verschwunden waren. Schon früh gab es eine vertraglich geregelte, organisatorische<br />

Verzahnung des Wohlfahrtsamtes mit der NSV, die sich auch in einer steigenden<br />

Bezuschussung und sonstigen vielfältigen Förderung niederschlug. <strong>Die</strong> NSV war allerdings<br />

personell und fachlich zunächst ihrer konfessionellen Konkurrenz klar unterlegen, und die<br />

vorgesehenen Bearbeitungswege verlangsamten den <strong>Die</strong>nstbetrieb. Insbesondere für den KFV<br />

ließ sich nachweisen, dass er nicht gänzlich ausgeschaltet, sondern für die Betreuung der von<br />

Kommune und Partei gleichermaßen unerwünschten Restklientel weiter gebraucht und<br />

beansprucht wurde. Indem er in dieser Nische überlebte, erfüllte er eine nicht zu unter-<br />

schätzende Systemfunktion. Einzelne Sachbearbeiter wie Pfannschmidt versuchten, eine<br />

weiter gehende Ausschaltung konfessioneller Institutionen (Kindergärten) zu verhindern.<br />

Unter Fuhlrott entwickelte die Stadt eigene Initiativen, die ganz der nationalsozialistischen<br />

Ideologie vom „gesunden Volkskörper“ entsprachen (Ehrenkarten für kinderreiche Mütter,<br />

840 StAK 623 Nr. 7116. Juwelier Eichert verkaufte sogar gegen eine Lizenzgebühr von 10 %, die gemäß<br />

Vereinbarung mit Burger ganz der Stadt zufloss, silberne Schmuckanhänger mit dem Schängelmotiv; ebd., S. 5.<br />

841 StAK 623 Nr. 8865, S. 43-79. Vgl. Manuskripte Bellinghausens für die „He<strong>im</strong>atgrüße für die Front“; ebd. Nr.<br />

3572. Gauamtsleiter Josef Ackermann hatte als „Beauftragter des Gauleiters für Wehrmachtsfragen“ S<strong>im</strong>mer<br />

schon <strong>im</strong> September 1941 einen „He<strong>im</strong>atbrief“ vorgeschlagen. S<strong>im</strong>mer hatte dies damals – unter Hinweis auf die<br />

He<strong>im</strong>atbriefe der NSDAP-Ortsgruppen – bei 2.500 Soldaten als unmöglich abgelehnt. Ebd. Nr. 9945, S. 66-69.<br />

842 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 426.


447<br />

Kurse für asoziale weibliche Wohlfahrtsempfängerinnen, Ausweitung der Pflichtarbeit,<br />

Pflichtarbeit als Selektionsinstrument, Kr<strong>im</strong>inalisierung „asozialer Elemente“). Mit seinem<br />

Vorstoß, gemeinsam mit dem Jugendamt den HJ-Streifendienst einzuführen, scheiterte<br />

Fuhlrott aber am Widerspruch der Ratsherren, dem Wittgen folgte.<br />

Bei Bauprojekten für die Partei zeigte sich Wittgen <strong>im</strong> Allgemeinen großzügig und<br />

nachgiebig. Nur in Einzelfällen, wie bei der Miethöhe für das Gauhaus, war für ihn eine<br />

Schmerzgrenze erreicht, die zu unterschreiten er nicht bereit war. Klose erwies sich als<br />

willfähriger, in S<strong>im</strong>mers Augen aber wenig befähigter Gefolgsmann des Gauleiters, der das<br />

Prinzip „dem Gauleiter entgegenarbeiten“ verkörperte. Auf dem Gebiet des Wohnungsbaues,<br />

wo Anspruch und Wirklichkeit der NS-Politik besonders weit auseinanderklafften, musste<br />

auch die <strong>Stadtverwaltung</strong> versagen, weil sie sich der propagierten, staatlich geförderten<br />

Kleinsiedlungsromantik anschloss. Andererseits wäre sie finanziell mit eigenen Wohnungs-<br />

bauprogrammen größeren Stils auch überfordert gewesen. Als sich die Wohnungsnot durch<br />

die Remilitarisierung verschärfte, kam die eingeleitete Wende zum Mietwohnungsbau zu spät.<br />

Es blieb bei einer Mangelverwaltung. Das Großprojekt am Bahnhofsplatz scheiterte aber an<br />

Verzögerungen, die durch die städtebaulichen Vorgaben des Regierungspräsidenten und des<br />

Gauleiters entstanden. In der Stadtplanung waren viele Überlegungen und Ideen S<strong>im</strong>mers,<br />

sieht man von ihrer zeittypischen Gigantomanie und ihrem ideologischem Hintergrund ab,<br />

durchaus vernünftig (Verlängerung der Schlossachse, Schaffung eines Stadtmittelpunkts,<br />

Verlegung von Industriegebiet und Hafen). Zur Legit<strong>im</strong>ierung der Pläne, die mehr oder<br />

weniger Kopien anderer Gauforen darstellten, wurde versucht, eine historische Traditionslinie<br />

herzustellen. S<strong>im</strong>mers Vorhaben der Altstadterneuerung zeugt einerseits von der<br />

unsent<strong>im</strong>entalen Radikalität und Zweckrationalität seines Denkens. Andererseits zeigt es, dass<br />

<strong>im</strong> Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung durchaus noch Raum für eigenständige<br />

Projekte vorhanden war, auch wenn sie aufgrund der Zeitumstände nicht verwirklicht werden<br />

konnten.<br />

S<strong>im</strong>mers Auffassung von Kunst war von rein instrumentellen Überlegungen geprägt.<br />

Während bei Wittgen noch Kunstsinn und -verstand herrschten, die ein volkserzieherisches<br />

Ideal verfolgten, war Kunst für S<strong>im</strong>mer nur ein Mittel seiner Struktur- und Imagepolitik. <strong>Die</strong>s<br />

kam auch in seinem Verhalten gegenüber Sprung und Grosse zum Ausdruck. Der Status der<br />

Gauhauptstadt als Verwaltungszentrum sollte durch ein vielfältiges und anspruchsvolles<br />

Kulturleben erhalten und gehoben werden. Im Kultursektor wurden Konkurrenz und<br />

Konflikte mit der Partei besonders offensichtlich. Vor allem die Zusammenarbeit mit der<br />

NSG KdF war schlecht. Ständig versuchte die der DAF angeschlossene Organisation die<br />

Stadt einseitig für ihre Zwecke vor den Karren zu spannen, während sie mit Terminen und<br />

Veranstaltungen wenig Rücksicht auf städtische Belange nahm. Es bedurfte einer<br />

Persönlichkeit wie Schmidt-Scherf, der als Städtischer Musikbeauftragter der NSG KdF und<br />

dem Kreispropagandaleiter Paroli bot, wobei ihm ausgerechnet Kreisleiter Cattepoel durch


448<br />

die Verleihung eines Parteiamtes sekundierte. Auch einen angemessenen Anteil am<br />

Fördertopf Truppenbetreuung musste sich die Stadt erst erkämpfen. Von besonderer Qualität<br />

oder besser gesagt Rivalität war das Verhältnis zwischen S<strong>im</strong>mer und Gaupropagandaleiter<br />

Urmes. S<strong>im</strong>mer wollte unter keinen Umständen den Kunstkreis, den er als autonomes<br />

städtisches Kulturinstitut führte, dem Gaukulturverband unterordnen und entzog sich<br />

hartnäckig diesbezüglichen Forderungen. Schon Wittgen pochte <strong>im</strong> Kulturbereich in der<br />

Auseinandersetzung mit Ackermann auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht. S<strong>im</strong>mer<br />

verstand es, der Stadt ein eigenes kulturelles Profil zu verschaffen, wobei ihn die Konkurrenz<br />

zu Trier und Luxemburg sowie zum Gaukulturverband anstachelte. Seine ambitionierte, von<br />

Teilen der Bevölkerung als elitär empfundene Kulturpolitik erfüllte neben ihrer Prestige-<br />

funktion aber auch eine ideologische, nämlich die „seelische Stärkung“ der He<strong>im</strong>atfront.<br />

Doch insgesamt wurden der Selbstverwaltung <strong>im</strong> Kulturbereich durch den NS-Staat sehr enge<br />

Grenzen gesteckt, was z. B. <strong>im</strong> Prozedere der Bestellung des Städtischen Musikbeauftragten,<br />

in den Aufführungsverboten bzw. -geboten <strong>im</strong> Theater- und Konzertwesen sowie in der<br />

Reglementierung und Kontrolle der Bibliotheksbestände deutlich wird. Auch gegen das<br />

Diktat der Theaterschließung war S<strong>im</strong>mer machtlos. Wie tief die Einschnitte auch die<br />

vermeintlich ideologiefreie „Freizeit“ der Bürger betrafen, zeigt die Gleichschaltung der<br />

Gesangvereine und des Karnevals, an der die <strong>Stadtverwaltung</strong> wesentlichen Anteil hatte.<br />

Auch ein Erholungsraum wie der städtische Volkspark war kein „Freiraum“, sondern bot der<br />

Partei eine Propagandaplattform. <strong>Die</strong> ideologische Verbrämung des Schängel-Denkmals<br />

durch den Künstler bei der Einweihungsfeier blieb dagegen oberflächlich. <strong>Die</strong> Figur hob sich<br />

wohltuend vom heroisch-martialischen Zeitgeist ab und bildete einen bemerkenswerten<br />

Kontrast zur gegenüberliegenden Norkus-Gedenktafel.<br />

Ackermann, Klos und erst recht Michels sind hervorragende Beispiele für das Selbstver-<br />

ständnis führender Parteifunktionäre und ihren Machtanspruch gegenüber der Verwaltung.<br />

Michels’ Auftreten zeugt davon, dass er das revolutionäre Gehabe aus der Kampfzeit noch<br />

nicht abgelegt hatte und trotz der Lippenbekenntnisse über die Wertschätzung von Kunst und<br />

Kultur ein anti-intellektuelles Vorurteil pflegte. Mit Poltern und Brüllen schüchterte er andere<br />

ein und ließ durch Ignoranz sowohl Regierung als auch <strong>Stadtverwaltung</strong> ins Leere laufen. 843<br />

Gleichzeitig schuf er sich ihm ergebene Mitarbeiter, denen er das Gefühl seiner uneinge-<br />

schränkten Rückendeckung vermittelte. Gauleiter S<strong>im</strong>on trat in Zusammenhang mit dem<br />

Stadttheater mehrfach als „Strippenzieher“ <strong>im</strong> Hintergrund in Erscheinung: Vehement<br />

plädierte er für die Beibehaltung des Dreispartenhauses, fällte die Entscheidung zur<br />

Einstellung Kämmels und vergrößerte die Balletttruppe. Zwar regte sich <strong>im</strong> Fall Kämmel in<br />

Berlin Unmut, aber es blieb bei S<strong>im</strong>ons Personalentscheidung.<br />

843 Allerdings eckte er mit seinem ungezügelten Charakter bald innerhalb der Partei an, sodass er 1937 nach<br />

Differenzen mit S<strong>im</strong>on wegen Disziplinlosigkeit nach München versetzt wurde. Auch dort trennte man sich 1939<br />

aus demselben Grund von ihm, und er kehrte nach <strong>Koblenz</strong> zurück. Maier: Organisationshandbuch, S. 352.


7 Reibungslos und effizient? –<br />

449<br />

<strong>Die</strong> Unterstützung der NS-Verfolgungspolitik<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> hatte selbstverständlich auch diejenigen Gesetze, Erlasse und<br />

Verordnungen umzusetzen, die Verfolgungsmaßnahmen darstellten. Dass die Kommunen<br />

durch diese Verletzung traditioneller Rechtsnormen zu einem Teil des Maßnahmenstaates<br />

wurden, steht mittlerweile außer Frage. 1 In der bisherigen Darstellung klang dies z. B. in der<br />

Umsetzung des BBG, der Unterstützung der Exklusionspolitik <strong>im</strong> Wohlfahrtswesen und der<br />

Marginalisierung des KFV infolge der kirchenfeindlichen Politik des NS-Reg<strong>im</strong>es an. Im<br />

Zentrum dieses Kapitels steht die Frage, inwieweit die <strong>Stadtverwaltung</strong> die Verfolgungs-<br />

politik aktiv unterstützte oder sogar mit eigenen Initiativen förderte. Deckte sie sich mit<br />

städtischen Interessen? Machte sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> mehr oder weniger<br />

bereitwillig zum Komplizen, oder wurde sie gar Nutznießer der NS-Verfolgungspolitik?<br />

Waren die Beamten den „rechtlichen“ Zwängen ausgeliefert oder blieben ihnen Handlungs-<br />

spielräume, die sie zugunsten Verfolgter ausnutzten?<br />

7.1 Katholische und evangelische Kirche<br />

7.1.1 Allgemeines<br />

Wittgen war sich seiner außergewöhnlichen Stellung als erster evangelischer Ober-<br />

bürgermeister wohl bewusst. Von seiner Familie verlangte er respektvolle Rücksicht auf<br />

katholische Gläubige, indem er z. B. seiner wenig religiös eingestellten Frau Hausarbeiten<br />

wie Teppichklopfen an katholischen Feiertagen verbot. 2 <strong>Die</strong> Übung seiner Vorgänger, die<br />

jährliche Einladung des Pfarrers von Liebfrauen bzw. St. Kastor an die „katholischen Herren<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong>“ zur Teilnahme an der Fronleichnamsprozession durch Rundverfügung<br />

bekanntzumachen, setzte Wittgen noch bis 1935 fort. 3 Einladungen zu größeren kirchlichen<br />

Veranstaltungen wurde weiterhin Folge geleistet, wobei Bürgermeister Binhold die Termine<br />

bei der katholischen Kirche wahrnahm. 4<br />

Bei der Wahl der Gemeindeverordneten der Evangelischen Gemeinde <strong>Koblenz</strong> am 23. Juli<br />

1933 gab es eine Einheitsliste, die von den Deutschen Christen dominiert war. <strong>Die</strong> vorderen<br />

Listenplätze belegten Alte Kämpfer. Auf den beiden ersten Plätzen standen die späteren<br />

Ratsherren Heinrich Koch und Fritz Röding, auf Platz drei und vier Rudolf Klaeber und Hugo<br />

1 Vgl. zuletzt Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>. Er untersuchte die Frage, inwieweit die <strong>Stadtverwaltung</strong> Hannover<br />

normen- bzw. maßnahmenstaatlich agierte, und wies nach, „dass die Kommunen stärker als bislang<br />

angenommen Teil des Maßnahmenstaates waren.“ Ebd., S. 19 (Zitat), 363.<br />

2 Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009.<br />

3 StAK Best. 723 Nr. 9561, S. 100; ebd. Nr. 9562, S. 123; ebd. Nr. 9563, S. 130. <strong>Die</strong> katholischen Damen der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> erwähnten die Pfarrer Dr. Heinrich Chardon bzw. Albert Homscheid nicht.<br />

4 StAK 623 Nr. 6556, S. 710 f.


450<br />

Hinkel, auf Platz zwölf Walter Frischling. Wittgen kandidierte auf Platz fünf. 5 Er wurde<br />

Mitglied der Größeren Gemeindevertretung (Repräsentation) der Kirchengemeinde. 6 Im<br />

Gegensatz zu Frischling blieb der Oberbürgermeister bis zu seinem Tod Mitglied der<br />

evangelischen Kirche. Mit seiner Tochter, die ihn als religiös und gläubig beschreibt,<br />

besuchte er die Sonntagsgottesdienste von Pfarrer Friedrich Hennes in der Schlosskapelle.<br />

Hennes war zwar Mitglied der NSDAP und der Deutschen Christen, galt aber als gemäßigt<br />

und „auf Ausgleich bedacht“. 7 Zu Wittgens Begräbnis 1941 kam Pfarrer Paul Coerper. 8<br />

Coerper war bis 1933 DNVP-Stadtverordneter gewesen, anschließend NSDAP-Mitglied,<br />

trotzdem aber Mitglied der Bekennenden Kirche. Er hatte <strong>Koblenz</strong> schon <strong>im</strong> Oktober 1934<br />

verlassen, um einem Ruf als Geistlicher Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Waldbröl zu<br />

folgen. 9<br />

Als <strong>im</strong> Juli 1933 erste Gerüchte auftauchten, das seit 1816 in <strong>Koblenz</strong> ansässige Konsistorium<br />

solle verlegt werden, versuchte Wittgen ohne Erfolg, sowohl den Regierungspräsidenten als<br />

auch den Gauleiter zu Gegenaktivitäten zu mobilisieren. Als die Verlegung nach Düsseldorf<br />

zum 1. Oktober 1934 bekannt gegeben wurde, notierte Abteilung I, eine Beschwerde sei<br />

sinnlos, zumal dies nicht <strong>im</strong> Einklang mit dem Führerprinzip stehe. 10<br />

Durch ein Vermächtnis von 1238 war die Stadt dazu verpflichtet, für die Seelsorge der<br />

Hospitalinsassen zu sorgen. Sie wurde seit 1914 durch den katholischen Geistlichen Dr. phil.<br />

Georg Reitz 11 ausgeübt, der erst <strong>im</strong> Bürgerhospital, dann <strong>im</strong> Kemperhof lebte. Seit Juli 1933<br />

wurde die Frage geprüft, ob nicht eine „Verbilligung“ der Seelsorge und die Versetzung des<br />

erst 58-jährigen Reitz in den Ruhestand möglich seien. Zu diesem Zweck wurde Reitz, der<br />

sich <strong>im</strong> Dauerangestelltenverhältnis befand, mit Einverständnis der Trierer Kirchenbehörde<br />

bei der Kirche zunächst nachversichert, damit er später Ruhegehaltesansprüche dort und nicht<br />

5<br />

NB, 21.7.1933: Bekanntmachung zur Kirchenwahl.<br />

6<br />

Thomas Martin Schneider: „Unsere Gemeinde bedarf heute eines Pfarrers, der durch seine Bewährung in der<br />

NSDAP Zugang hat zu den Herzen der SA …“ <strong>Die</strong> Evangelische Gemeinde <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> „Dritten Reich“. In:<br />

Pragmatisch, preußisch, protestantisch … <strong>Die</strong> Evangelische Gemeinde <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Spannungsfeld von<br />

rheinischem Katholizismus und preußischer Kirchenpolitik (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische<br />

Kirchengeschichte 161). Hg. v. Markus Dröge u. a. Bonn 2003, S. 95-122, hier S. 101. Nach der Wahl erklärte<br />

ein Wahlausschuss die Inhaber der ersten zehn Listenplätze als für das Presbyterium gewählt, wozu dann auch<br />

Wittgen zählte; Walter Ecker: Der Kirchenkampf in der evangelischen Kirchengemeinde <strong>Koblenz</strong> und seine<br />

Bedeutung für heute. O. O., o. J. [<strong>Koblenz</strong> 1984], S. 15 f.<br />

7<br />

StAK 623 Nr. 6627, S. 13-15; Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009; Schneider: Unsere<br />

Gemeinde bedarf, S. 109 f., 121, Zitat S. 109.<br />

8<br />

KVZ, 5.2.1941: Abschied von Oberbürgermeister i. R. Otto Wittgen. Der <strong>Koblenz</strong>er Pfarrer Wilhelm<br />

Winterberg, Mitglied der Bekennenden Kirche, hatte Wittgen während seiner Krankheit besucht und seiner<br />

Witwe brieflich kondoliert; Mitteilung von Frau Elisabeth Holzer vom 28.2.2009.<br />

9<br />

Schneider: Unsere Gemeinde bedarf, S. 99 f.; Walter Ecker: Der Kirchenkampf in der evangelischen<br />

Kirchengemeinde <strong>Koblenz</strong> und seine Bedeutung für heute. O. O., O. J. [<strong>Koblenz</strong> 1984], S. 15 f.<br />

10<br />

StAK 623 Nr. 6556, S. 628-641; Heinz Boberach: <strong>Koblenz</strong> als Zentrum für das evangelische Rheinland. Das<br />

Konsistorium 1816-1934. In: Pragmatisch, preußisch, protestantisch, S. 269-277, hier S. 276 f.<br />

11<br />

* 15.1.1875 Ernst/Mosel, + 16.5.1944 <strong>Koblenz</strong>. Reitz betätigte sich als He<strong>im</strong>atforscher, er verfasste zahlreiche<br />

Ortsgeschichten von <strong>Koblenz</strong>er Pfarrgemeinden. StAK N 88 Nr. 1, S. 11; LHAKo Best. 700,018; RZ, 25.4.1984:<br />

Dr. Georg Reitz: Ein Chronist der Stadt- und Pfarrgeschichte; RZ, 2.5.1984: Werke aus Nachlaß.


451<br />

gegen die Stadt geltend machen sollte. Im Februar 1934 erkrankte Reitz und musste eine Kur<br />

antreten. Währenddessen kamen Dezernent Dahm, Chefarzt Hohmeier, Verwaltungsleiter<br />

Konrad Z<strong>im</strong>mers und die Schwester Oberin zu der Einsicht, dass die Anwesenheit eines<br />

katholischen Seelsorgers direkt <strong>im</strong> Krankenhaus doch notwendig sei. <strong>Die</strong> überwiegend<br />

katholischen Patienten würden einen Pfarrer verlangen. Es bestehe die Gefahr eines<br />

Patientenrückgangs, weil andere Krankenhäuser über einen Geistlichen verfügten. Reitz solle<br />

nach seiner Genesung weiterbeschäftigt werden, er leide nur noch an einem „gewissen<br />

Depressionszustand“. Am 1. August 1934 nahm er seinen <strong>Die</strong>nst <strong>im</strong> Kemperhof wieder auf. 12<br />

Im Zuge der Inventarisierung von Museumsgut vertrat Z<strong>im</strong>mers <strong>im</strong> Januar 1934 die Meinung,<br />

ein in der St.-Kastor-Kirche hängendes Madonnengemälde gehöre aufgrund einer Schenkung<br />

der Hospitalverwaltung. Binhold sprach sich zwar für die Klärung der Eigentumsfrage aus,<br />

wandte sich aber sofort gegen auftauchende Pläne, das Bild ins Museum zu holen, da es sich<br />

seit 85 Jahren in der Kirche befinde und von den Gläubigen als wundertätiges Gnadenbild<br />

verehrt werde. Georg Fischbach stellte dann in seinem Rechtsgutachten fest, die Hospitalverwaltung<br />

und damit die Stadt hätten nie Eigentumsrechte an dem Gemälde besessen. 13<br />

Am 14. Juli 1936 hängten weltliche Hausangestellte <strong>im</strong> Kemperhof „selbständig <strong>im</strong><br />

Nähz<strong>im</strong>mer“ ein Hitlerbild auf. Als Ordensschwester Gitta diese Aktion tadelte, wurde das<br />

„dem Herrn Inspektor Z<strong>im</strong>mers gemeldet, der es auch sofort der Gestapo weitergab.“ Der<br />

drohenden Verhaftung konnte sich die Schwester nur durch ihre umgehende Flucht nach<br />

Holland entziehen. 14 Als Z<strong>im</strong>mers Hohmeier <strong>im</strong> Februar 1937 mitteilte, es sei beanstandet<br />

worden, dass zu wenig Hitlerbilder <strong>im</strong> Haus hingen, konnte sich der Chefarzt noch die<br />

Antwort erlauben: „Wir haben in jedem Z<strong>im</strong>mer ein Kreuz, das genügt uns. Wir arbeiten <strong>im</strong><br />

Zeichen des Kreuzes.“ 15<br />

In den ersten Jahren nach der Machtergreifung ließ sich die lokale Parteiprominenz noch<br />

kirchlich trauen, und das Nationalblatt berichtete mit Hochzeitsfotos. 16 Dann versuchte die<br />

Parteiführung, diesen religiösen Ritus zurückzudrängen. Gaupropagandaleiter Willi Michels<br />

beschwerte sich am 29. Dezember 1936 bei Wittgen über die Gestaltung der standesamtlichen<br />

Trauungen, wobei er sich auf einen Parteigenossen berief, der als Trauzeuge eines SA-<br />

Mannes fungierte hatte: „<strong>Die</strong> standesamtlichen Trauungen <strong>im</strong> Stadthaus <strong>Koblenz</strong> sind ohne<br />

jeglichen tiefen Eindruck! Der amtierende Beamte liest in einer monotonen und hastenden<br />

Form Formalitäten und Ansprache herunter, dass er direkt langweilt. Dem Brautpaar und den<br />

12 StAK 623 Nr. 7538, S. 164-220, Zitate S. 165, 205.<br />

13 StAK 623 Nr. 7071, S. 609-625.<br />

14 StAK S 4 Nr. 3, S. 67 f.<br />

15 StAK S 4 Nr. 3, S. 69 (Zitat); Kallenbach u. a.: 200 Jahre <strong>Die</strong>nst, S. 61 f.<br />

16 Beispiele für kirchliche Trauungen: SS-Standartenführer Karl Zenner in der Abteikirche Maria Laach (NB,<br />

28.11.1933), Gaugeschäftsführer Wilhelm Koenig in der Kastorkirche (NB, 29.1.1934), Geschäftsführer des<br />

Nationalverlags und Gauamtsleiter Georg Schmidt in der Abteikirche Maria Laach (NB, 4.9.1934), Gauleiter-<br />

Adjutant Claus Jakobs in der Herz-Jesu-Kirche (NB, 26.9.1934).


452<br />

Zeugen kommt die Wichtigkeit der Handlung dadurch nicht zum Bewusstsein. Dabei<br />

versäumt der Beamte jedoch nicht, zwe<strong>im</strong>al auf die noch ausstehende kirchliche Trauung<br />

aufmerksam zu machen!“ Michels empfahl für den Fall, dass sich die Angaben bei<br />

einer unauffälligen Überprüfung bestätigen sollten, „einen anderen schwungvolleren<br />

Standesbeamten […] einzusetzen. Wir haben allen Grund, die standesamtliche Trauung<br />

würdig und nett umrahmt zu gestalten, damit nicht die Sehnsucht nach kirchlichen Trauungen<br />

neue Nahrung erhält.“ Wittgen ließ die Vorwürfe nicht gelten, sondern nahm <strong>im</strong> Januar 1937<br />

den Hauptstandesbeamten Clemens Henn in Schutz und bat um Nennung des Standes-<br />

beamten oder des Hochzeitpaares. Henn habe für seine „inhaltvollen Trauungen besondere<br />

Anerkennungen erhalten“, die Regierung habe den „Trauvorgang als besonders gut<br />

bezeichnet“ und ihn den anderen Standesämtern empfohlen. Das Amt für Kommunalpolitik<br />

habe einen Aufsatz veröffentlicht, 17 wie Eheschließungen geleitet werden sollten und dabei<br />

die <strong>Koblenz</strong>er Zeremonie zum Maßstab erhoben. Der Hinweis auf die kirchliche Trauung sei<br />

<strong>im</strong> Personenstandsgesetz vorgeschrieben. 18 Schon seit Februar 1936 trug der Standesbeamte<br />

mit Genehmigung Wittgens bei den Trauungen einen schwarzen Talar, um der Amtshandlung<br />

den Anstrich „größerer Feierlichkeit“ zu verleihen, 19 außerdem gab es eine musikalische<br />

Umrahmung. 20<br />

Wenn es um Leistungen der Stadt an die katholische oder evangelische Kirche ging, wirkte<br />

die Ratsherrenversammlung mehrfach dahingehend, dass sie Vorlagen der Verwaltung<br />

ablehnte bzw. – da sie nur beratend tätig sein konnte – erfolgreich ihre Abänderung zu Lasten<br />

der Kirchen verlangte. Aufgrund einer Besprechung <strong>im</strong> Finanzbeirat hatte Wittgen Anfang<br />

1935 den Ratsherrn und Landgerichtsrat Hermann Goens um Durchsicht der Akten über die<br />

städtischen Zuschüsse zu den Kultuskosten der christlichen Kirchengemeinden gebeten. 21 <strong>Die</strong><br />

Frage war schon 1934 auf Initiative von Wirtz <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Bezuschussung der<br />

jüdischen Kultusgemeinde 22 geprüft worden. Fischbach hatte ein Rechtsgutachten angefertigt,<br />

das offenbar zu dem Ergebnis kam, dass die Zuschüsse rechtens waren. 23 Nun aber wurde<br />

be<strong>im</strong> Minister für kirchliche Angelegenheiten ein Antrag auf Befreiung von den bisherigen<br />

Leistungen gestellt. Als die Ratsherren <strong>im</strong> September 1936 von der Entscheidung des<br />

Regierungspräsidenten erfuhren, dass die Zuschüsse zur Pfarrbesoldung von jährlich<br />

17 Im „N.-S. Mitteilungsblatt des Gauamtes für Kommunalpolitik <strong>Koblenz</strong> – Trier – Birkenfeld“, 3. Jg. Folge 7<br />

vom 5.4.1937, erschien ein Beitrag von Henn über „<strong>Die</strong> Tätigkeit des Standesbeamten und ihre Bedeutung <strong>im</strong><br />

Dritten Reich“, der aber keine Angaben zur Trauzeremonie enthält; LHAKo Best. 714 Nr. 1270, S. 162 f.<br />

18 StAK 623 Nr. 9660, S. 42 f. (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original). <strong>Die</strong> Beschwerde Michels’ war gleichzeitig ein<br />

Auszug aus seinem Tätigkeitsbericht.<br />

19 NB, 17.2.1936: Trauung <strong>im</strong> Talar. Vgl. StAK 623 Nr. 9671, S. 238-241: Der Talar war bereits angeschafft und<br />

sein Tragen von Wittgen genehmigt, als ein Runderlass des Innenministeriums vom 5.2.1936 best<strong>im</strong>mte, dass<br />

von der Einführung einer Amtstracht für Standesbeamte vorerst abzusehen sei, da die Frage noch geprüft werde.<br />

20 StAK 623 Nr. 9670, S. 58, 499; NB, 28.12.1939: 280 Paare in <strong>Koblenz</strong> kriegsgetraut.<br />

21 StAK 623 Nr. 7080, S. 183.<br />

22 Vgl. Kapitel 7.2.1.<br />

23 StAK 623 Nr. 6669, S. 287, 293, 298, 301. Fischbach gab in seinem Spruchkammerverfahren an, er habe das<br />

von ihm gewünschte „Zweckgutachten“ zur Einstellung der Zuschussleistungen nicht abgeliefert; LHAKo Best.<br />

856 Nr. 210925 (unpaginiert), Fischbach vom 9.4.1948.


453<br />

3.190 RM an die katholische und 2.173 RM an die evangelische Kirche für 1936 weiter zu<br />

zahlen seien und eine neue gesetzliche Regelung abgewartet werden solle, protestierten sie<br />

einst<strong>im</strong>mig. Sie beantragten, über die Regierung einen entsprechenden Antrag an den DGT zu<br />

stellen, wozu Wittgen dann die entsprechende Entschließung fasste. 24 Kreisleiter Claussen<br />

stellte <strong>im</strong> Oktober 1936 sogar den Antrag, die vom Regierungspräsidenten angeordnete<br />

Zahlung der Kultuskosten vorerst zu sperren. 25 Tatsächlich mussten für das Haushaltsjahr<br />

1937 an Zuschüssen für die Kirchengemeinden 8.000 RM nachbewilligt werden, da zunächst<br />

gar keine Ausgaben mehr veranschlagt worden waren. 26<br />

HJ-Gebietsführer und Ratsherr Rolf Karbach beschwerte sich Mitte März 1936 bei Fuhlrott,<br />

der <strong>im</strong> Wohlfahrtsetat vorgesehene Posten von 1.200 RM für konfessionelle Einrichtungen sei<br />

nicht, wie in der letzten Ratsherrensitzung besprochen, für die Aufnahme und Einkleidung<br />

bedürftiger P<strong>im</strong>pfe und Jungmädel eingesetzt worden. Es sei ihm mitgeteilt worden, der<br />

Betrag – es handelte sich um den bislang üblichen Zuschuss zur Einkleidung Not leidender<br />

Kommunionkinder und Konfirmanden 27 – sei bereits ausgezahlt. Karbach bat um Untersuchung,<br />

„welche Herren der <strong>Stadtverwaltung</strong>“ dies genehmigt hätten. 28<br />

Am 4. März 1937 stellte Ratsherr Wilhelm Koenig den Antrag, das auf der Leichenhalle<br />

befindliche Kreuz zu entfernen. Das Symbol des christlichen Glaubensbekenntnisses „gehöre<br />

nicht mehr in die heutige Zeit. Es könne einem Nichtchristen nicht zugemutet werden, sich<br />

unter dem Zeichen des Kreuzes beerdigen zu lassen.“ Karbach und Hugo Dörner unterstützten<br />

den Antrag, während Heinrich Koch die Regelung für verfrüht hielt und vorschlug, den Punkt<br />

bis nach den Kirchenwahlen zu verschieben. Wittgen wollte keine sofortige Entscheidung<br />

treffen, sagte aber zu, die Angelegenheit „an höherer Stelle“ zu klären. In der Sitzung am<br />

13. Mai teilte der Oberbürgermeister dann mit, dass das Kreuz nach Rücksprache mit dem<br />

Gauleiter und dem Regierungspräsidenten auf der Leichenhalle bleiben solle. 29 Ratsherr<br />

Karbach versuchte auch außerhalb der Sitzungen Einfluss zu nehmen. Im Juli 1937 bat er das<br />

Standesamt, das Kruzifix aus dem Trauz<strong>im</strong>mer zu entfernen. 30 Ob er Erfolg hatte, lässt die<br />

Akte offen.<br />

Ratsherr Wilhelm Heß erkundigte sich in der Sitzung vom 23. Juli 1937, ob die Einziehung<br />

der Kirchensteuer auf gesetzlicher Grundlage geschehe und warum nur die katholische durch<br />

die Stadt eingezogen werde. Wirtz erläuterte, die Einziehung erfolge freiwillig, da die<br />

24<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 106.<br />

25<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 118. Dazu reichte er Schriftsätze für Abt. III und VII ein, die nicht überliefert sind.<br />

26<br />

StAK 623 Nr. 6398, S. 325.<br />

27<br />

StAK 623 Nr. 7111, S. 119.<br />

28<br />

StAK 623 Nr. 8921, S. 7. Claussen erhielt eine Durchschrift von Karbachs Schreiben.<br />

29<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 159 (Zitate), 176 f.<br />

30<br />

StAK 623 Nr. 9671, S. 247-249. Karbach hatte sich noch 1935 öffentlich zum „positiven Christentum“<br />

bekannt; NB, 20.5.1935: Gegner der HJ sind Verräter der deutschen Einigkeit.


454<br />

Hebegebühr für die Stadt eine große Einnahmequelle darstelle. Er erwarte eine gesetzliche<br />

Regelung, die auch die evangelische Kirchensteuer betreffe. 31<br />

Bei den Beratungen zum Nachtragshaushalt 1937 am 11. November 1937 beanstandeten<br />

die Ratsherren Hans Göbel und Josef Koch die Zuschüsse für die Kirchengemeinde<br />

Ehrenbreitstein. Das zugrunde gelegte Gesetz vom 14. März 1845 32 gelte nach ihrer<br />

Meinung nicht für die rechtsrheinischen Gemeinden. Sie baten die Verwaltung, es auf eine<br />

Klage be<strong>im</strong> Bezirksverwaltungsgericht ankommen zu lassen, worauf Wittgen die Zahlung der<br />

vorgesehenen 2.635 RM vorläufig aussetzte. 33 Regierungsvizepräsident Dr. Edmund Strutz<br />

beschied ihn <strong>im</strong> März 1938 aber, dass ein Rechtsstreit wenig Aussicht auf Erfolg habe. Es sei<br />

zweckmäßiger zu versuchen, auf dem Verhandlungsweg eine Herabsetzung der Leistungen zu<br />

erreichen. Dabei blieb die Regierung ihrer bisherigen Linie treu, denn bereits <strong>im</strong> Oktober<br />

1936 hatte die noch selbständige Stadt Ehrenbreitstein die Einstellung der Zuschüsse<br />

beantragt, also zu dem Zeitpunkt, als Claussen in der <strong>Koblenz</strong>er Ratsherrensitzung seinen<br />

Vorstoß in die selbe Richtung unternahm. Der Regierungspräsident hatte <strong>im</strong> April 1937<br />

entschieden, die gesetzliche Zahlungspflicht bestehe und „die – allerdings nicht mehr<br />

zeitgemässen – Leistungen der Zivilgemeinde“ seien weiterhin zu erbringen. In diesem Sinne<br />

hatte er <strong>im</strong> September 1937, also nach der Eingemeindung, auch den Oberbürgermeister<br />

informiert. 34 <strong>Die</strong> jährliche Bezuschussung der katholischen und evangelischen Kirchen-<br />

gemeinden in Höhe von 6.507,57 RM wurde fortgesetzt. <strong>Die</strong> größten Einzelposten waren<br />

dabei die Zuschüsse für die drei Kapläne der beiden katholischen Stadtpfarreien St. Kastor<br />

und Liebfrauen sowie die Wohnungsmiete für den zweiten evangelischen Pfarrer. 35<br />

In der Ratsherrensitzung am 11. November 1937 trug Wirtz vor, die Stadt habe einen<br />

Vergleichsvorschlag von Rechtsanwalt Georg Loenartz angenommen, der die Missions-<br />

gesellschaft der Pallottiner von Ehrenbreitstein vertrat. <strong>Die</strong> Angelegenheit habe aufgrund<br />

eines Gerichtstermins geeilt. Claussen reagierte verärgert, die Ratsherren würden vor<br />

vollendete Tatsachen gestellt. <strong>Die</strong> Vorgeschichte hatte sich noch vor der Eingemeindung<br />

Ehrenbreitsteins abgespielt. Auf Beschluss des Gemeinderats hatte der Bürgermeister der<br />

Stadt Ehrenbreitstein am 21. Dezember 1936 in einem Schreiben, das über Kreisleiter<br />

Claussen an den Landrat ging, die Enteignung von Grundbesitz der Pallottiner beantragt und<br />

dies mit der akuten Wohnungsnot begründet. Aus deren Wirtschaftsgelände „Eichhof“ sollte<br />

31 StAK 623 Nr. 7216, S. 206 f.<br />

32 Gesetz, betreffend die Verpflichtung zur Aufbringung der Kosten für die kirchlichen Bedürfnisse der<br />

Pfarrgemeinden in den Landestheilen des linken Rheinufers vom 14.3.1845; PrGS, S. 163.<br />

33 StAK 623 Nr. 7216, S. 221 f.<br />

34 StAK 623 Nr. 7082, S. 14-16, Zitat S. 14.<br />

35 Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1939, S. 59 (10 RM weniger, da die<br />

Kirchengemeinde Neudorf noch fehlte); dito 1940, S. 73; dito 1941, S. 71; dito 1942, S. 71 (die Einzelposten <strong>im</strong><br />

Feld „Bemerkungen“ sind in beiden überlieferten Exemplaren überklebt); dito 1943, S. 77 (kein Eintrag bei<br />

„Bemerkungen“). Am 5.8.1939 bat das Pfarramt Liebfrauen, den „althergebrachten Beitrag der Stadt <strong>Koblenz</strong> zu<br />

den Kultuskosten“ mit der Steuerschuld zu verrechnen; StAK 623 Nr. 6889, S. 155 f.


455<br />

Siedlungsgelände entstehen. Dass die Enteignung aber nicht nur Siedlungszwecke verfolgte,<br />

sondern daneben auf die wirtschaftliche Schwächung der Pallottiner abzielte, machte der<br />

Gemeinderat schon <strong>im</strong> September 1936 deutlich, als er bekundete, die Stadt Ehrenbreitstein<br />

habe „kein Interesse daran, die Anstalt erhalten zu wissen.“ Der Regierungspräsident verfügte<br />

am 4. März 1937 die Enteignung von ca. 46 Hektar gegen eine Entschädigungssumme von<br />

0,50 RM pro qm und begründete dies mit der Brüningschen Notverordnung von 1931.<br />

Rechtsmittel waren nicht zugelassen. <strong>Die</strong> Pallottiner klagten jedoch auf Schadenersatz, weil<br />

die Enteignungssumme zu gering bemessen sei. Rechtsanwalt Dr. August von Davidson<br />

argumentierte als Vertreter des beklagten Fiskus <strong>im</strong> Juni 1937 gegenüber dem Landgericht,<br />

dass „Verwaltungsakte staatspolitischer Natur einer richterlichen Nachprüfung nicht<br />

unterworfen sind.“ Dabei führte er dem Gericht die Siedlungsabsichten deutscher<br />

Volksgenossen vor Augen und stellte sie in Kontrast zu „einer von einem Ausländer<br />

gegründeten Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in fremden Erdteilen die<br />

Bevölkerung zu missionieren“. Loenartz und Wirtz handelten dann <strong>im</strong> September 1937 den<br />

umstrittenen Vergleich aus, der die Rückgabe von etwa 8.000 qm Gartengelände mit<br />

Gebäuden an die Pallottiner und die Erhöhung der Entschädigung auf 1 RM pro qm für<br />

die restlichen ca. 37.000 qm vorsah. Dafür zogen die Ordensbrüder ihre Klage zurück<br />

und verzichteten auf ihren Rückübereignungsanspruch für den in der Notverordnung<br />

vorgesehenen Fall, dass das Gelände nicht innerhalb eines Jahres für den vorgesehenen<br />

Zweck 36 verwendet würde. <strong>Die</strong> Debatte in der Ratsherrensitzung über den Vergleich endete<br />

damit, dass die Ehrenbreitsteiner Ratsherren Hans Goebel und Heinrich Koch den Auftrag zu<br />

Nachverhandlungen erhielten. <strong>Die</strong>se blieben offenbar ohne Ergebnis, denn am 3. Dezember<br />

1937 bestätigte Wittgen gegenüber Loenartz die mit Wirtz getroffenen Vereinbarungen. 37<br />

Gut zwei Wochen später äußerte Claussen gegenüber Wittgen den „dringenden Verdacht“,<br />

dass sich der Leiter der Bauverwaltung, Stadtoberinspektor Wilhelm van Rühden, in der<br />

Sache „nicht einwandfrei verhalten hat, denn er war es, der den Vergleichsvorschlag mit<br />

einer sonderbaren Eiligkeit den Pallottinern gemacht hat, sodass nachher ein Eingreifen<br />

parteilicherseits nicht mehr möglich war.“ Seine starke konfessionelle Bindung erhärte diesen<br />

Verdacht, so habe van Rühden noch vor wenigen Wochen „in der Kirche die Kollekte<br />

eingesammelt.“ Wittgen nahm Claussens streng vertrauliches Schreiben zur Personalakte.<br />

36<br />

Vgl. StAK K 119 und 1281 (Bebauungsplan Gruppensiedlung Eichhof vom Juli 1937); ebd. K 92 (Lageplan<br />

Siedlung Eichhof vom August 1938).<br />

37<br />

LHAKo Best. 583,1 Nr. 4399, Zitate Bl. 98, 108, 117; StAK 623 Nr. 7216, S. 223 f. und Anlage 3 nach S.<br />

234. <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> erschloss das Gelände und verkaufte einen Teil der Parzellen an die Gemeinnützige<br />

Siedlungsgesellschaft Westmark bzw. (ab 1941) Moselland. 1949 klagten die Pallottiner gegen die Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> und die Siedlungsgesellschaft Moselland auf Nichtigerklärung des Enteignungsbeschlusses des RP,<br />

Rückübertragung des Grundbesitzes, Nichtigkeitserklärung der Weiterveräußerung an Dritte, Berichtigung des<br />

Grundbuchs, Rechnungslegung über erzielte Gewinne und Zahlung des Überschusses. Das Verfahren endete<br />

1953 mit einem außergerichtlichen Vergleich. LHAKo Best. 583,1 Nr. 4399; StAK 623 Nr. 3397, S. 36 f., 168<br />

f., 223.


456<br />

Unmittelbare Folgen für van Rühden, ehemaliges Zentrumsmitglied und Mitglied des<br />

Katholischen Lesevereins, 38 sind nicht ersichtlich. 39<br />

Als <strong>im</strong> Februar 1938 wieder einmal Kreditüberschreitungen beraten wurden, sollte Fischbach<br />

auf Wunsch der Ratsherren überprüfen, ob wegen der Instandsetzungsarbeiten an der<br />

Grenzmauer am Vorplatz der Heilig-Kreuz-Kirche nicht Forderungen gegen die Kirchen-<br />

gemeinde geltend gemacht werden könnten. 40 Als die Verwaltung dagegen <strong>im</strong> Juli 1938<br />

vorschlug, die Ehrenbreitsteiner Turmuhr der Kirchengemeinde zu schenken, um die<br />

laufenden Unterhaltungskosten einzusparen, waren die Ratsherren dagegen. <strong>Die</strong> Turmuhr<br />

solle Eigentum der Stadt bleiben, ein Geschenk an die Kirche – und sei es zum Vorteil der<br />

Stadt – kam für sie nicht in Frage. 41<br />

In der Sitzung vom 22. September 1938 geriet die religiöse Betreuung der Kranken und<br />

Pfründner des Bürgerhospitals in die Kritik der Ratsherren. Das Thema wurde zurückgestellt,<br />

da juristisch geprüft werden sollte, ob nach dem alten Vermächtnis von 1238 eine<br />

Verpflichtung der Stadt zur Übernahme der Seelsorge bestehe. 42 Dabei war der Text der<br />

Stiftungsurkunde in dieser Hinsicht klar und eindeutig. Nach dem Willen des Stifters sollte<br />

dem städtischen Hospital ein geistlicher Rektor vorstehen, der dort leben sollte. 43 Kurze Zeit<br />

später, Ende November, teilte Dechant Albert Homscheid mit, der dritte Kaplan von<br />

St. Kastor, der <strong>im</strong> Hospital gegen freie Kost und Logis die Insassen seelsorgerisch betreue,<br />

müsse wegen seiner Ernennung zum Pfarrer ersetzt werden. Jetzt ergriff Verwaltungschef<br />

Z<strong>im</strong>mers die Initiative. Anfang März 1939 machte er Abteilung I in einem als gehe<strong>im</strong><br />

gekennzeichneten Vermerk darauf aufmerksam, dass die Stadt vertraglich nicht für die<br />

Seelsorge der Ordensschwestern verantwortlich sei und die Seelsorge der Kranken und Alten<br />

nach seiner Ansicht ohne Weiteres von der Pfarrgemeinde St. Kastor aus erfolgen könne. <strong>Die</strong><br />

Stellung von Wohnung und Verpflegung für den Kaplan beruhe nur auf einem Stadtver-<br />

ordnetenbeschluss von 1923. Wittgen ergriff die Gelegenheit sofort und hob wenige Tage<br />

später diesen Beschluss als Leiter der Gemeinde auf. Homscheid versuchte Wittgen Anfang<br />

April umzust<strong>im</strong>men. Aber auch nach einer neuerlichen Prüfung der Rechtslage teilte<br />

Abteilung I Homscheid Ende April mit, die Stadt erfülle das Vermächtnis, nämlich <strong>im</strong><br />

38<br />

Katholischer Leseverein e. V. <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1978, o. S., Mitglieder- und Verstorbenenverzeichnis.<br />

39<br />

StAK 623 Nr. 3233 (unpaginiert), Claussen vom 29.11.1937.<br />

40<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 252.<br />

41<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 252, 280 f. Weitere Einzelheiten zur Turmuhr ebd. Nr. 7082, S. 1-12, 17-21.<br />

42<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 294. Der Posten „Hausgeistlicher“ erschien sogar <strong>im</strong> Gegensatz zu allen Vorjahren für<br />

das Rechnungsjahr 1938 nicht in der Haushaltssatzung; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das<br />

Rechnungsjahr 1938, S. 75.<br />

43<br />

LHAKo Best. 112 Nr. 8; Ulrike Grundmann: Das Hospital in <strong>Koblenz</strong> (1110-1945) (Studien zur Geschichte<br />

des Krankenhauswesens 33). Herzogenrath 1992, S. 26 f., 270-272 [Übersetzung der Stiftungsurkunde von<br />

Clemens Brentano].


457<br />

Kemperhof 44 durch Reitz. 1923 habe man ein „besonderes Wohlwollen“ gezeigt, das „die<br />

Grenzen der durch die Stadt gebotenen Fürsorglichkeit überschreitet.“ 45<br />

Sogar <strong>im</strong> öffentlichen Raum wurden konfessionelle Anklänge getilgt. Im September 1936<br />

wurde der erste Ehrenbürger der Stadt, der in <strong>Koblenz</strong> geborene Kardinal Philipp Krementz,<br />

aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt. <strong>Die</strong> nach ihm seit 1903 benannte Straße erhielt den<br />

Namen des <strong>im</strong> Juni verstorbenen nationalsozialistischen Arbeiterdichters Heinrich Lersch. 46<br />

Straßenbenennungen erfolgten jeweils auf Vorschlag der <strong>Stadtverwaltung</strong> mit Genehmigung<br />

des Polizeipräsidenten. Dass Claussen auch dort ein Mitspracherecht erwartete, wo es ihm gar<br />

nicht zustand, bewies er <strong>im</strong> November 1938, als er von Wittgen eine Stellungnahme zu der<br />

Umbenennung zweier Straßen in Metternich verlangte. Im Zuge der Eingemeindung war<br />

aufgrund von Doppelbenennungen dort eine neue Namensgebung notwendig geworden.<br />

Nach den früheren Grundherren benannte man zwei Straßen in „Marienstätter Straße“ und<br />

„H<strong>im</strong>eroder Straße“ um. Claussen pochte <strong>im</strong> Januar 1939 auf die Rückgängigmachung dieser<br />

Entscheidung: „Eine Zeit, die den Wunsch hat, die Klöster als widernatürlich 47 abzuschaffen,<br />

kann nicht die Erinnerung an bereits verschwundene Klöster durch Strassenbenennung<br />

wachhalten.“ Schließlich erhielten beide Straßen <strong>im</strong> Februar wieder einen anderen Namen. 48<br />

S<strong>im</strong>mer, der erste konfessionslose Oberbürgermeister, musste gleich zu Beginn seiner<br />

Amtszeit erfahren, dass die von den Nationalsozialisten bereits weit vorangetriebene<br />

Entkonfessionalisierung des Schulwesens für die Stadt zu einer neuen finanziellen und<br />

organisatorischen Belastung führte. Zu Ostern 1940 wurde die private Oberschule der<br />

Ursulinen auf Weisung des Oberpräsidenten geschlossen. Damit gab es für die Mädchen aus<br />

<strong>Koblenz</strong> und der ländlichen Umgebung nur noch ein Gymnasium, nämlich die staatliche<br />

Hilda-Schule 49 . <strong>Die</strong> Stadt sah sich gezwungen, in aller Eile die Trägerschaft für eine zweite<br />

Mädchenoberschule zu übernehmen. Sie wurde am 3. April 1940 in der Thielenschule<br />

eröffnet, wo bereits eine Volksschule und die Mittelschule der Mädchen untergebracht waren.<br />

Trotz der beengten Verhältnisse versprach S<strong>im</strong>mer eine „mustergültige Schule“, die sich an<br />

44 <strong>Die</strong> Stiftung Bürgerhospital war 1936 mit der Städtischen Krankenhausverwaltung zusammengelegt worden.<br />

Zusammen mit dem Wöchnerinnenhe<strong>im</strong> Kaiserin-Augusta-Haus sprach man deshalb von den „Städtischen<br />

Krankenanstalten“. StAK 623 Nr. 7216, S. 127 f.<br />

45 StAK 623 Nr. 7538, S. 221-234, Zitat S. 233.<br />

46 NB, 11.9.1936: <strong>Koblenz</strong> ehrt Heinrich Lersch.<br />

47 Mit der Bezeichnung „widernatürlich“ spielte Claussen auf die Aufsehen erregende Prozessserie der Jahre<br />

1936/37 an, in denen zahlreiche Klosterbrüder vor dem <strong>Koblenz</strong>er Landgericht wegen homosexueller<br />

Handlungen angeklagt wurden. Vgl. insbesondere Hans Günter Hockerts: <strong>Die</strong> Sittlichkeitsprozesse gegen<br />

katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen<br />

Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 6). Mainz<br />

1971.<br />

48 StAK 623 Nr. 8116, S. 146-151, Zitat S. 148.<br />

49 Als ehemalige evangelische Mädchenschule wurde sie bis dahin traditionell kaum von katholischen Mädchen<br />

besucht.


458<br />

den „Lebensnotwendigkeiten der Nation“ orientiere werde. 50 S<strong>im</strong>mer hatte sich gegenüber<br />

dem Oberpräsidium vorbehalten, dass die Trägerschaft nur vorläufig sei und die Stadt<br />

staatliche Zuschüsse zu den laufenden Kosten und Unterstützung bei der Beschaffung eines<br />

Schulgebäudes erhalten müsse. Doch der zuständige Reichserziehungsminister erkannte diese<br />

Bedingungen nicht an und sagte nur für das laufende Jahr einen Zuschuss von 50.000 RM zu.<br />

Daraufhin versuchte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Juli, von der Trägerschaft zurückzutreten. Das Ober-<br />

präsidium zeigte zwar Verständnis für die finanziellen Nöte der Stadt, die schon rund<br />

200.000 RM jährlich für die Oberschule für Jungen aufbringen musste, konnte aber nichts<br />

an der Berliner Entscheidung ändern. 51<br />

Fischbach gab in seinem Spruchkammerverfahren an, er habe den Auftrag für ein Rechts-<br />

gutachten gehabt, wie die Ursulinenschule entschädigungslos einzuziehen sei: „[…] als ich<br />

[gegenüber S<strong>im</strong>mer] dabei der Partei bezw. dem Staat jedes Recht zur Enteignung absprach,<br />

wurde mir erwidert, dann werde die Frage eben mit Hilfe des SD gelöst.“ 52 Ein Aktenvermerk<br />

S<strong>im</strong>mers über eine Besprechung <strong>im</strong> Reichserziehungsministerium am 19. September 1940, in<br />

dessen Verteiler neben Bürgermeister Hüster, den Stadträten Klose und Fuhlrott auch<br />

Fischbach stand, bestätigt den Wahrheitsgehalt seiner Aussage. S<strong>im</strong>mer hatte in Berlin zur<br />

Kenntnis nehmen müssen, dass eine Zurücknahme der Trägerschaft nicht in Frage käme.<br />

Gleichzeitig wurde ihm aber Unterstützung in der Gebäudefrage zugesichert. Man wolle einen<br />

Rechtsstreit anstrengen, um das seinerzeit mit staatlichen Mitteln errichtete Gebäude der<br />

Ursulinenschule in staatliches Eigentum zu überführen und anschließend kostenlos der Stadt<br />

zu übereignen. Für den Fall, dass der Staat <strong>im</strong> Rechtsstreit unterliege, hielt S<strong>im</strong>mer fest,<br />

„halte ich es für richtig, daß mit Hilfe der Sicherheitspolizei der Ursulinengenossenschaft<br />

Verfehlungen nachgewiesen werden und daß <strong>im</strong> Zuge dieser Feststellung der Vorstand<br />

der Genossenschaft durch einen Kommissar ersetzt wird, der dann <strong>im</strong> Wege eines<br />

Schenkungsaktes das […] Ursulinengebäude an die Stadt <strong>Koblenz</strong> übereignet.“ 53 S<strong>im</strong>mer war<br />

also bereit, sich bewusst und gezielt maßnahmenstaatlicher Methoden zu bedienen, wenn ihm<br />

dies opportun erschien. Der Zivilprozess wurde angestrengt, doch Anfang 1942 beschlagnahmte<br />

die Wehrmacht das Schulgebäude, sodass sich S<strong>im</strong>mers Pläne zerschlugen. 54<br />

Als Schulleiter hatte S<strong>im</strong>mer Wilhelm Könen berufen, den er vom Wittlicher Lehrerseminar<br />

her kannte und der als „strenger Katholik“ bekannt war. Könen bestätigte S<strong>im</strong>mer 1948, dass<br />

50 NB, 4.4.1940: Neue Mädchenoberschule für <strong>Koblenz</strong> (Zitat); KGA, 4.4.1940: Feierstunde in der Schule; KVZ,<br />

4.4.1940: <strong>Die</strong> neue Oberschule begann mit dem Unterricht. Abb. einer Klasse mit dem obligatorischen<br />

„Führerbild“ an der Wand vom März 1944 in: Erwin Schaaf: Das Schulwesen in <strong>Koblenz</strong> von 1794 bis heute. In:<br />

Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 517-541, 599-601, hier S. 535, Abb. 100.<br />

51 LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 707-719; Ella Volkers: Ursulinenschule und Bischöfliches Gymnasium<br />

<strong>Koblenz</strong>. Eine katholische Schule <strong>im</strong> 20. Jahrhundert 1902 bis 1992. Hg. v. Bischöflichen Cusanus-Gymnasium<br />

<strong>Koblenz</strong>, <strong>Koblenz</strong> 1992, S. 54 f.<br />

52 LHAKo Best. 856 Nr. 210925 (unpaginiert), Fischbach vom 9.4.1948.<br />

53 StAK 623 Nr. 6712, S. 16 (Zitat). Vgl. ebd. Nr. 7325, S. 3.<br />

54 LHAKo Best. 403 Nr. 17680 f.; ebd. Best. 910 Nr. 2462; StAK 623 Nr. 9570, S. 46.


459<br />

S<strong>im</strong>mer über den Lehrkörper seine schützende Hand gehalten habe und auf die von der Partei<br />

geforderte Entlassung von zwei katholischen Lehrkräften verzichtete. Um seine Beförderung<br />

zum Oberstudiendirektor habe S<strong>im</strong>mer sich mehrmals bemüht, der Reichserziehungsminister<br />

habe aber Altersgründe für die Ablehnung vorgeschoben. 55<br />

Dechant Homscheid bescheinigte S<strong>im</strong>mer, er habe sich gegen die zwangsweise Enteignung<br />

des Klosters Maria Trost ausgesprochen, das 1939 aufgrund des Reichsleistungsgesetzes als<br />

Hilfskrankenhaus beschlagnahmt worden war. 56 Be<strong>im</strong> Waisenhaus des Katholischen<br />

Männervereins für arme Knaben (KMV), 57 das in direkter Nachbarschaft zum Kemperhof lag<br />

und am 6. November 1939 ebenfalls für die Einrichtung eines Hilfskrankenhauses<br />

beschlagnahmt wurde, lagen die Dinge anders. Hier plante die Stadt von Anfang an, die<br />

Einrichtung endgültig zu vereinnahmen, um dadurch einen 1921/22 versäumten Kauf 58<br />

nachzuholen. <strong>Die</strong>s machten Wirtz und Fischbach den Vorstandsmitgliedern Landgerichts-<br />

direktor i. R. Arnold Schlüter und Rechtsanwalt Theodor Dronke in einem Gespräch am<br />

1. Dezember 1939 unmissverständlich klar. Laut Aktenvermerk, den Wirtz für Fuhlrott<br />

anfertigte, wurde ihnen schonungslos vor Augen geführt, konfessionelle Waisenhäuser<br />

„entsprächen nicht den Tendenzen der nationalsozialistischen Regierung und Verwaltung“,<br />

sodass sie abgebaut bzw. in andere Trägerschaft überführt werden sollten. Der Verein sei gut<br />

beraten, sich mit dem Gedanken an die Auflösung des Waisenhauses oder den Erwerb<br />

einer anderen Immobilie anzufreunden. In einem weiteren, höchstwahrscheinlich von Wirtz<br />

verfassten Vermerk der Abteilung III (Finanzverwaltung) hieß es, die Stadt dürfe<br />

„das Gebäude niemals mehr preisgeben.“ 59 Bei der Abnahme des zum Krankenhaus<br />

umfunktionierten Waisenhauses <strong>im</strong> Juli 1940 stand die dauerhafte städtische Nutzung in<br />

der öffentlichen Berichterstattung bereits außer Frage. 60<br />

Der KMV brachte seine Zöglinge <strong>im</strong> zufällig leer stehenden, aber für seine Zwecke<br />

unzulänglichen Johanneskolleg in Bendorf unter. Im April 1940 bot die Stadt dem Verein eine<br />

jährliche Entschädigungszahlung von 13.272 RM für die Inanspruchnahme des Waisenhauses<br />

ab 16. November 1939 an. Eine von Schmitz vorgesehene Umzugskostenpauschale von<br />

5.000 RM strich Fuhlrott. Dem KMV genügte dieses Angebot nicht, sondern er machte auch<br />

Aufwendungen geltend, die ihm durch den Betrieb in Bendorf entstünden. <strong>Die</strong> Stadt erhöhte<br />

<strong>im</strong> Februar 1941 zwar ihr Entschädigungsangebot auf 15.200 RM, lehnte aber in Bendorf<br />

55 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Studiendirektor i. R. Könen vom 23.8.1948.<br />

56 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), Spruchkammer Trier vom 15.11.1949.<br />

57 Joseph Jonas: Geschichte der kath. Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten <strong>im</strong> Kemperhof bei Coblenz. Fest-<br />

Schrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Knaben-Waisenhauses. <strong>Koblenz</strong> 1901.<br />

58 1921/22 hatte die Stadt das dem Verein gehörende Knaben-Pensionat gekauft und zum Krankenhaus<br />

Kemperhof umgebaut. Kallenbach u. a.: 200 Jahre <strong>Die</strong>nst, S. 38-41.<br />

59 StAK 623 Nr. 7568, Zitate S. 149, 206. Vgl. die von Dronke 1947 verfasste Vereinschronik, in der er die Pläne<br />

zur Vereinnahmung des Waisenhauses „recht kennzeichnend für die Naziführer“ nennt. StAK 623 Nr. 8192, S.<br />

11-17, Zitat S. 15.<br />

60 NB, 11.7.1940: Zivilkrankenhaus Kemperhof in Betrieb; KGA, 11.7.1940: Neues Zivilkrankenhaus<br />

Kemperhof. Vgl. auch StAK S 4 Nr. 3, S. 83 f.


460<br />

entstehende Zusatzkosten ab. Daraufhin legte der KMV be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten<br />

Beschwerde ein, denn er hätte das Bendorfer Haus erst herrichten müssen, um die Kinder so<br />

unterzubringen, „wie dies einer verantwortungsbewussten Leitung eines Waisenhauses bei der<br />

Erziehung der ihr anvertrauten Kinder deutscher Volksgenossen <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Geiste obliegt.“ Der Beschwerde folgte am 7. Mai 1941 eine Verhandlung über die<br />

Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme bei der Regierung, an der Regierungspräsident Dr.<br />

Mischke, sein Stellvertreter Dr. Strutz, Regierungsdirektor von Kirchbach, Obermedizinalrat<br />

Dr. Dittrich, Regierungsrat Dr. Truhetz, Landrat Dr. Statz, Bürgermeister Hüster und<br />

Stadtrechtsrat Hansmeyer teilnahmen. <strong>Die</strong> Stadt machte geltend, dass sie aufgrund einer<br />

– nicht überlieferten – Gehe<strong>im</strong>verfügung vom 10. November 1939 ermächtigt gewesen sei,<br />

selbst als Bedarfsstelle <strong>im</strong> Sinne des Reichsleistungsgesetzes aufzutreten. Auch nachdem die<br />

Wehrmacht den Kemperhof inzwischen wieder freigegeben habe, 61 könne die Stadt die<br />

Beschlagnahme nicht aufheben, da die Wehrmacht <strong>im</strong>mer noch rund 500 Krankenbetten in<br />

<strong>Koblenz</strong> beanspruche. In der Frage der Ersatzpflicht für die Erfüllung der Betriebsauflagen in<br />

Bendorf zog sich Hüster auf einen Gehe<strong>im</strong>erlass des Regierungspräsidenten vom 20. April<br />

1940 zurück. Darin habe er <strong>im</strong> Falle einer Beschlagnahme konfessioneller Jugendein-<br />

richtungen die Zurücknahme seiner Betriebsgenehmigung vorgesehen. <strong>Die</strong> Stadt habe dies<br />

nur deshalb nicht vorgeschlagen, weil der Betrieb jetzt außerhalb von <strong>Koblenz</strong> liege. Teure<br />

Kosten seien nicht angebracht, denn der Entzug der Genehmigung und die Übertragung auf<br />

die NSV oder öffentliche Fürsorgeeinrichtungen seien nur noch eine Frage der Zeit. Mischke<br />

erklärte, der Gehe<strong>im</strong>erlass sei nicht anwendbar, da er nur bei einer Beschlagnahme durch die<br />

Wehrmacht gelte. Im Übrigen seien die meisten der rund 80 Kinder krank, sodass deren<br />

Aufnahme in NSV-Einrichtungen nicht in Frage komme. Schließlich einigte man sich, eine<br />

anderweitige Unterbringung wenigstens eines Teils der Kinder zu prüfen, um die Auflagen<br />

und damit die Kosten reduzieren zu können. Über das von Hansmeyer verfasste Protokoll<br />

hinaus informierte Hüster Fuhlrott, die Stadt müsse umgehend selbst mit dem Landes-<br />

jugendamt wegen der anderweitigen Unterbringung der kranken Kinder Kontakt aufnehmen.<br />

Nur dann sei der Regierungspräsident bereit, dem KMV die Genehmigung zum Waisen-<br />

hausbetrieb zu entziehen. Ansonsten fielen der Stadt auch die Kosten für die Herrichtung des<br />

Bendorfer Hauses zur Last. 62<br />

Ende Oktober 1941 bat Schlüter wiederholt dringend um eine weitere Abschlagszahlung, die<br />

die Stadt „bisher stillschweigend aus best<strong>im</strong>mten Gründen hinausgezögert“ hatte, wie Fuhlrott<br />

notierte. Offenbar hoffte man auf die Zurücknahme der Betriebsgenehmigung durch den<br />

Regierungspräsidenten, der die Zahl der Zöglinge aber nur ab 1. April 1942 auf 60 reduzierte.<br />

Der Regierungspräsident beschied den KMV <strong>im</strong> April 1942, die Beschlagnahme sei rechtens<br />

61 Ende Oktober 1940; StAK S 4 Nr. 3, S. 85. Durch einen Bombentreffer war schon am 17./18.6.1940 ein<br />

Flügel des Kemperhofs schwer beschädigt worden; ebd. S. 78-82.<br />

62 StAK 623 Nr. 7568, S. 39-45; ebd. Nr. 7768, Zitat S. 43. Auch die Stadt Bendorf beschwerte sich 1941, sie<br />

hätte durch den Schulbesuch von 94 der 101 Waisenhauszöglinge erhebliche Kosten zu tragen. S<strong>im</strong>mer lehnte<br />

eine Kostenbeteiligung ab. Ebd. Nr. 7568, S. 44; ebd. Nr. 7768, S. 44-51


461<br />

gewesen. Entweder solle er sich mit der Stadt einigen oder die Regierung um Festsetzung der<br />

Entschädigung anrufen. Hansmeyer befragte den DGT nach den Erfahrungen anderer Städte<br />

bei der Beschlagnahme konfessioneller Wohlfahrtseinrichtungen, da ihm die Eigenkapital-<br />

verzinsung mit den üblichen Sätzen zu hoch schien. Der DGT empfahl <strong>im</strong> Juni 1942 die<br />

Vergleichsmieten von 1936 als Richtschnur. Nach weiteren Verhandlungen unterzeichneten<br />

Stadt und KMV erst am 27. März 1944 einen Vergleich: Danach zahlte die Stadt dem KMV<br />

jährlich an Miete und Pacht für Gebäude und Garten 19.039 RM sowie für die Kosten des<br />

Umzugs nach Bendorf sowie die Her- und Einrichtung des dortigen Gebäudes einmalig<br />

19.162,38 RM. Für die spätere Rückgabe des Waisenhausgebäudes wurde ein Wertausgleich<br />

zu Lasten des KMV für die bauliche Verbesserung des Waisenhauses vereinbart. 63<br />

<strong>Die</strong> Beschlagnahme blieb nach Ende des Zweiten Weltkrieges bestehen, auch wenn sich<br />

Oberbürgermeister Schnorbach als Kuratoriumsmitglied des KMV dessen Zielen verbunden<br />

fühlte. Als Grund wurde der <strong>im</strong>mer noch bestehende Bedarf aufgrund der Zerstörung<br />

mehrerer Krankenhäuser ins Feld geführt. Im August 1950 forderte der KMV die Aufhebung<br />

der Beschlagnahme, da die dauerhafte Inanspruchnahme einem Entzug gleichkomme, der den<br />

Stiftungszweck vereitele. Den Vorwurf, die Beschlagnahme durch die Stadt 1939 habe „nur<br />

den Zweck gehabt habe, die Stiftung und zwar wegen ihrer religiösen Bindung zu treffen“,<br />

wies Schnorbach zurück und führte als mögliche Zeugen Wirtz und Schmitz an. Wie bereits<br />

1941 schaltete der KMV den Regierungspräsidenten ein und beantragte, die Beschlagnahme<br />

zu beendigen. Als sich eine Entscheidung zugunsten des KMV abzeichnete, bemühte sich die<br />

Stadt um den Erwerb des Waisenhauses, den der Stadtrat am 23. November 1950 einst<strong>im</strong>mig<br />

zum Kaufpreis von 465.000 DM beschloss. 64<br />

Schwester M. Aloysia Goebel, Oberin der <strong>im</strong> Kemperhof tätigen Borromäerinnen, bezeugte in<br />

S<strong>im</strong>mers Spruchkammerverfahren, er habe die Forderungen von Parteiseite, die katholischen<br />

Ordensschwestern durch „Braune Schwestern“ zu ersetzen, abgelehnt. Kruzifixe und religiöse<br />

Bilder seien hängen geblieben. Sie bescheinigte S<strong>im</strong>mer außerdem, er habe nach dem Tod<br />

von Rektor Reitz am 16. Mai 1944 65 die Wiederbesetzung der Stelle durch Pfarrer Josef<br />

Schmitt, seit 1942 Krankenhausseelsorger und Reitz’ Vertreter, gegen den Willen der Partei<br />

geduldet. <strong>Die</strong> Kemperhof-Chronik vermerkt dagegen nicht näher beschriebene, erfolglose<br />

Versuche der Stadt, Schmitt aus dem Krankenhaus zu vertreiben. Auf jeden Fall stand<br />

Schmitt <strong>im</strong> Gegensatz zu Reitz nicht mehr auf der Gehaltsliste der Stadt. Schwester M.<br />

Aloysia schickte S<strong>im</strong>mer ihr entlastendes Zeugnis <strong>im</strong> Oktober 1948 mit den Worten: „Ich<br />

63 StAK 623 Nr. 7768, Zitat S. 59.<br />

64 StAK 623 Nr. 9538, S. 1-285, Zitat S. 25. Außerdem übernahm die Stadt eine Bürgschaft über 300.000 DM,<br />

um dem KMV den Kauf der ehemaligen Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn zu ermöglichen.<br />

65 Schmitz zeigte Abt. I am 16.5.1944 an, der „<strong>im</strong> Krankenhaus Kemperhof angestellte Pfarrer Dr. Georg Reitz“<br />

sei heute verstorben; StAK 623 Nr. 9794, S. 112. Der Posten „Geistlicher“ wird noch in der letzten überlieferten<br />

Haushaltssatzung für 1943 aufgeführt; Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1943, S. 95.


462<br />

freue mich, daß Sie wieder frei sind 66 und für Ihre Familie sorgen können. Ihnen und Ihrer<br />

Frau Gemahlin freundliche Grüße Ihre ergebene Schwester M. Aloysia“. 67<br />

S<strong>im</strong>mer hatte am Beispiel der Ursulinenschule erfahren, dass die Stadt ein erhebliches<br />

finanzielles Interesse am Verbleib der Borromäerinnen haben musste, denn ihr Ersatz durch<br />

weltliches Personal hätte bedeutende Mehrausgaben mit sich gebracht. Der Orden erhielt für<br />

die Krankenpflegetätigkeit der 50 bis 64 Ordensschwestern 68 pro Schwester jährlich 240 RM<br />

Kleidergeld und 30 RM für Erholungsurlaub. 2.400 RM gingen an die Schwester Oberin als<br />

Wirtschaftsgeld für kleinere Ausgaben, d. h. eine Schwester kostete die Stadt nur ca. 310 RM<br />

jährlich zuzüglich freie Kost und Logis. 69 Der Verbleib der konfessionellen Schwestern in<br />

den Krankenhäusern überhaupt war aber auch ein Verdienst des Leiters des Amtes für<br />

Volkswohlfahrt, Christian Ackermann 70 , der seit 1938 als ehrenamtlicher Vorsitzender des<br />

Zweckverbandes der Krankenhäuser am Mittelrhein e. V. fungierte. Er hatte anders lautende<br />

Forderungen der Gau- und Kreisleitung zurückgewiesen. Vorgesehen für das Amt, das zuvor<br />

Dahm innehatte, war zunächst „der für uns Beiratsmitglieder völlig untragbare städt.<br />

Beigeordnete Fullroth [sic], der als radikaler Nationalsozialist bekannt war“, wie ein<br />

Gründungsmitglied des Zweckverbands 1947 aussagte. 71<br />

Dass NSDAP-Mitglieder der katholischen Kirche nicht fern stehen mussten, zeigt selbst noch<br />

1941 der Todesfall von Stadtinspektor Rudolf Bode, Leiter der Abteilung Familienunterhalt.<br />

Parte<strong>im</strong>itglied Bode hatte bis zu seiner Erkrankung die NSV-Ortsgruppe Falckenstein geleitet.<br />

Er starb am 17. Februar 1941 nach dem Empfang der Sterbesakramente und wurde kirchlich<br />

beerdigt. Seine Familie veröffentlichte nicht nur <strong>im</strong> Nationalblatt, sondern gleichzeitig auch<br />

in der Volkszeitung eine Todesanzeige. 72 S<strong>im</strong>mer lehnte dagegen die Teilnahme an<br />

kirchlichen Beerdigungen ab und schickte meist Bellinghausen als Vertreter der Stadt.<br />

Bellinghausen gab an, 1944 an ca. 100 Beerdigungen von Bombenopfern teilgenommen zu<br />

haben. Pfarrer Gladischefksi bescheinigte ihm 1947: Er „blieb entgegen der Gewohnheit der<br />

meisten Parteivertreter bei der Trauergemeinde während der konfessionellen Feier und sprach<br />

66 Vom Februar 1947 bis Juli 1948 befand sich S<strong>im</strong>mer in Luxemburg in Untersuchungshaft wegen des<br />

Verdachts auf Kriegsverbrechen; vgl. Kapitel 9.<br />

67 LHAKo Best. 856 Nr. 90202 (unpaginiert), „Mein Lebenslauf“, S. 14, sowie Anlagen 10 und 10a, Schwester<br />

M. Aloysia vom 15.10.1948, Zitat Anlage 10; StAK S 4 Nr. 3, S. 92, 111-113.<br />

68 1935 50 Schwestern, 1944 64 Schwestern; StAK 623 Nr. 9536, S. 28 f.<br />

69 StAK 623 Nr. 9536, S. S. 10-38, 41-49, 54, 57 f., 60, 64, 69, 76, 90, 96 f., 117 f. Grundlage bildete ein Vertrag<br />

zwischen dem Trierer Mutterhaus und der Stadt vom Mai 1909; ebd. S. 3-5.<br />

70 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 113 f.<br />

71 LHAKo Best. 856 Nr. 134671 (unpaginiert), Zweckverband vom 13.1.1947. <strong>Die</strong>se Aussage bestätigte<br />

Johannes Roedig, Bürgermeister a. D., 1940-1943 Geschäftsführer des Zweckverbands; ebd., Roedig vom<br />

28.9.1948.<br />

72 NB, 18.2.1941: Nachruf und Todesanzeige; NB, 19.2.1941: Nachruf; KVZ, 18.2.1941: Todesanzeige. Vgl.<br />

Todesfall Peter Nilles 1937 in Kapitel 4.2.2. Umgekehrt veröffentlichten auch Nicht-Parte<strong>im</strong>itglieder und<br />

praktizierende Katholiken wie Stadtinspektor Schnorbach Familienanzeigen <strong>im</strong> NB; NB, 27.6.1938:<br />

Todesanzeige von Schnorbachs Mutter.


463<br />

als Vertreter der Stadt schlichte herzliche Worte, die ich wohltuend für die Angehörigen der<br />

Opfer empfunden habe.“ 73<br />

7.1.2 <strong>Die</strong> Abschaffung der Konfessionsschule<br />

Anfang 1937 hatte man mit der Belassung des Kreuzes auf der Leichenhalle den religiösen<br />

Gefühlen der Bevölkerung noch Rechnung getragen. Handelte es sich dabei um ein<br />

äußerliches Symbol des Glaubens, folgten <strong>im</strong> selben Jahr tief greifende Eingriffe in das<br />

traditionelle Schulsystem, das vielen Christen als wesentlicher Bestandteil der rechten<br />

Erziehung ihrer Kinder galt. Am 15. September 1937 wurde die Erteilung des Religions-<br />

unterrichts durch Geistliche abgeschafft, an ihre Stelle traten weltliche Religionslehrer. 74 <strong>Die</strong><br />

Regelung wurde, wie das Amt für Kommunalpolitik angenehm überrascht feststellen konnte,<br />

„wider Erwarten ruhig von der Bevölkerung aufgenommen.“ Schnell richteten die Geistlichen<br />

nämlich einen Ersatzunterricht für die Kinder ein, den selbst die Kinder von Beamten und<br />

Parteigenossen besuchten, wie das Gauamt gleichzeitig erkennen musste. 75 So schickte z. B.<br />

Stadtinspektor Franz Wüst, während des Krieges kommissarischer Ortsgruppenleiter seines<br />

Wohnorts Urbar, seine Tochter zur Seelsorgestunde. 76<br />

Im November 1937 setzten Partei und <strong>Stadtverwaltung</strong> gemeinsam der Konfessionsschule ein<br />

Ende. Der Ablauf des Verfahrens zeigt, dass es sich um eine abgest<strong>im</strong>mte Aktion handelte.<br />

<strong>Die</strong> Angelegenheit befand sich am 11. November 1937 nicht auf der Tagesordnung der<br />

Ratsherrensitzung, sondern laut Protokoll ergriff Kreisleiter Claussen das Wort und<br />

beantragte die Einführung der Gemeinschaftsschule und Aufhebung der bisherigen<br />

Bekenntnisschulen. Es könnten hohe Kosten eingespart werden, indem die erforderliche<br />

Einstellung mehrerer Lehrer durch Zusammenlegung von Schulen entfiele. Er bat Wittgen,<br />

noch in dieser Sitzung den entsprechenden Beschluss zu fassen. Der Oberbürgermeister ließ<br />

sich nicht lange bitten. Dazu wird beigetragen haben, dass sich Wittgen unlängst erneut einem<br />

öffentlichen Angriff durch ein nationalsozialistisches Blatt ausgesetzt gesehen hatte. Am<br />

3. Juni 1937 war in der SS-Wochenschrift „Das Schwarze Korps“ ein Artikel „Offene<br />

Stellen“ erschienen. Er polemisierte unter Anspielung auf die vor dem <strong>Koblenz</strong>er Landgericht<br />

verhandelten Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensleute und Geistliche 77 gegen eine<br />

73<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110118 (unpaginiert), Bellinghausen vom 31.3.1947, Gladischefski vom 14.4.1947<br />

(Zitat).<br />

74<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 7, 8 f. Anm. 1.<br />

75<br />

BArch NS 25/241, S. 138. Der Trierer Bischof Bornewasser hatte die ersatzweise religiöse Unterweisung der<br />

Kinder in der Kirche oder einem anderen geeigneten Raum durch sein Hirtenwort vom 18.8.1937 eingeführt.<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 17 Anm. 3.<br />

76<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110136 (unpaginiert), Bescheinigung des Pfarrers von Urbar.<br />

77<br />

Hockerts: <strong>Die</strong> Sittlichkeitsprozesse; Ewald J. Thul: Das Landgericht <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Unrechtsstaat. In: 150 Jahre Landgericht <strong>Koblenz</strong> (Veröffentlichungen der landeskundlichen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> e. V. 9). Boppard 1970, S. 63-134, hier S. 78-86; Alois<br />

Thomas: Kirche unterm Hakenkreuz. Erinnerungen und Dokumente (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs<br />

Trier 27). Trier 1992, S. 237-313. <strong>Die</strong> Prozesse wurden auch in der „Parole der Woche“ Nr. 29/1937 (8.-


464<br />

vom Oberbürgermeister gezeichnete Stellenausschreibung. Gesucht wurden darin „mehrere<br />

katholische Lehrer und Lehrerinnen für die Volksschulen“, wobei es aber nach Meinung des<br />

Blattes gerade bei diesen Berufen auf die weltanschauliche Zuverlässigkeit ankomme. Zugute<br />

gehalten wurde dem namentlich nicht genannten Wittgen, dass die Anzeige wahrscheinlich<br />

von einem „untergeordneten Organ aufgesetzt“ worden sei. 78 Immerhin war der Artikel für<br />

die <strong>Koblenz</strong>er Gestapo Grund genug, eine Karteikarte Wittgen anzulegen und einen ersten<br />

Eintrag vorzunehmen. 79<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> Protokoll aufgeführten Argumente für Claussens Antrag, die von Verwaltungsseite<br />

offensichtlich wohl vorbereitet waren, und die Tatsache, dass die Schulbeiräte bereits gehört<br />

waren, sprechen dafür, dass der Antrag keineswegs überraschend kam. Für die vorherige<br />

Vereinbarung spricht auch, dass die Bekenntnisschule bereits kurz zuvor in Trier, nämlich am<br />

2. November, abgeschafft worden war. 80 Da es sich bei der Einheitsschule um eine alte<br />

bildungspolitische Forderung der Nationalsozialisten handelte, wollte man die offizielle<br />

Initiative dazu offenbar dem Parteibeauftragten überlassen. <strong>Die</strong> Entschließung des Ober-<br />

bürgermeisters zur Aufhebung der katholischen und evangelischen Volksschulen erfolgte<br />

gemäß § 36 des Volkschulunterhaltungsgesetzes vom 28. Juli 1906 mit sofortiger Wirkung.<br />

Außer der „erzieherischen Bedeutung“ nennt das Protokoll als Gründe Einsparmöglichkeiten,<br />

besser ausgestattete Schulen statt unvollkommener kleiner Schulen, kürzere Schulwege,<br />

anderweitige Nutzungsmöglichkeit frei werdender Räume und Aufgabe unwürdiger Räume<br />

wie z. B. in der Kastorschule. 81<br />

<strong>Die</strong> sofortige Einführung der „Deutschen Gemeinschaftsschule“ als christliche S<strong>im</strong>ultan-<br />

schule ab Montag, dem 18. November 1937, wurde erst am Wochenende zuvor in der Presse<br />

veröffentlicht. 82 Der Trierer Bischof Franz Rudolf Bornewasser protestierte am nächsten Tag<br />

be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten gegen diese völlige Neuorganisation des Volksschulwesens. <strong>Die</strong><br />

Einführung der Gemeinschaftsschule widerspreche dem Volksschulunterhaltungsgesetz und<br />

dem Reichskonkordat. Generalvikar Heinrich von Meurers 83 wies den <strong>Koblenz</strong>er Klerus an,<br />

am folgenden Sonntag alle Glocken schweigen zu lassen. Es sollten nur stille heilige Messen<br />

ohne Orgelspiel und Gesang gefeiert werden. <strong>Die</strong> Pfarrer sollten über die Bedeutung der<br />

Bekenntnisschule und die Best<strong>im</strong>mungen von Gesetz und Konkordat aufklären. Sowohl be<strong>im</strong><br />

Regierungspräsidenten als auch bei Reichserziehungsminister Rust legte von Meurers am<br />

24. November schärfsten Protest ein. Er verband dies mit dem Hinweis, die mit der<br />

14.7.1937) thematisiert; Franz-Josef Heyen (Hg.): Parole der Woche. Eine Wandzeitung <strong>im</strong> Dritten Reich 1936-<br />

1943. München 1963, S. 43, 133 f.<br />

78 Das schwarze Korps Nr. 22, 3.6.1937: Offene Stellen.<br />

79 LHAKo Best. 727 Nr. 2, Img 29822_0.<br />

80 Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 207 f.; Bollmus: Trier und der NS, S. 553.<br />

81 StAK 623 Nr. 7216, S. 226 f.<br />

82 NB, 16./17.11.1937: Bekanntmachung; ebd.: Gemeinschaftsschule in <strong>Koblenz</strong>. Zum nationalsozialistischen<br />

Schulwesen vgl. Schaaf: Das Schulwesen in <strong>Koblenz</strong>, S. 532-535, 600 f.<br />

83 Biografisches s. Thomas: Kirche unterm Hakenkreuz, S. 61-79, 325-330.


465<br />

Maßnahme beabsichtigte Vertiefung der Volksgemeinschaft dürfe man sich nicht<br />

versprechen. Parallel wurde der Apostolische Nuntius in Berlin über die Vorgänge in Trier<br />

und <strong>Koblenz</strong> informiert. Als gesetzeswidrig prangerten die Trierer Kirchenvertreter<br />

insbesondere die Umsetzung des Beschlusses an, noch bevor die <strong>im</strong> Volksschulunter-<br />

haltungsgesetz vorgesehene vierwöchige Einspruchsfrist der „Beteiligten“ abgelaufen war. In<br />

der <strong>Koblenz</strong>er Bekanntmachung wurden als Beteiligte nur die Erziehungsberechtigten der<br />

schulpflichtigen Kinder sowie der ab Ostern 1938 schulpflichtigen Kinder genannt, die ihre<br />

Beschwerden vom 16. bis 22. November mündlich vortragen konnten. Während in Trier die<br />

Gläubigen noch rund zwei Wochen vorher zu öffentlichem Protest aufgerufen und in den<br />

Kirchen Protestlisten ausgelegt wurden, verzichtete man in <strong>Koblenz</strong> darauf. 84 <strong>Die</strong> Partei hatte<br />

in Trier Druck auf die Unterzeichner ausgeübt, sodass die Kirche die Listen schließlich<br />

verbrennen ließ, um niemanden zu gefährden. 85 Von den Kanzeln der <strong>Koblenz</strong>er Kirchen<br />

wurde die Notwendigkeit der Bekenntnisschule bekräftigt 86 und am 5. Dezember 1937 fanden<br />

sich vor der völlig überfüllten Herz-Jesu-Kirche Tausende von <strong>Koblenz</strong>er Katholiken ein, um<br />

zwei scharf formulierte Predigten des Bischofs Bornewasser zu hören, was einer politischen<br />

Demonstration gleichkam. 87 Weiterer öffentlicher Protest regte sich aber nicht. Der Rückzug<br />

der Kirchenoffiziellen in Trier war nicht dazu angetan gewesen, den Befürwortern der<br />

Konfessionsschule den Rücken zu stärken. Während der Oberpräsident in einigen Kreisen,<br />

wie z. B. <strong>Koblenz</strong>-Land, die Einführung der Gemeinschaftsschule stoppte, blieb es in <strong>Koblenz</strong><br />

dabei, da ein Verzicht ein „schwerer Prestigeverlust für Staat und Partei“ gewesen wäre. 88<br />

Der Oberpräsident ließ die Beamten am 21. Dezember durch ein Rundschreiben wissen, dass<br />

er die Unterzeichnung von Protestlisten gegen die Erteilung von Religionsunterricht durch<br />

weltliche Lehrer oder gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule als nicht mit den<br />

Beamtenpflichten vereinbar ansehe und disziplinarisch verfolgen werde. Wittgen verfügte am<br />

Mitte Januar 1938, dass die Kenntnisnahme des Rundschreibens zu bescheinigen sei, wobei er<br />

den Adressatenkreis wie so oft um Angestellte und Arbeiter erweiterte. 89 Am 15. Februar<br />

1938 konnte Wittgen dem DGT zufrieden melden, dass nur vier Erziehungsberechtigte sowie<br />

der katholische Dechant Einspruch erhoben hätten: „Irgendwelche Schwierigkeiten haben sich<br />

84<br />

Otmar Mentgen: Der Kampf gegen die Aufhebung der Bekenntnisschule durch die Nationalsozialisten <strong>im</strong><br />

Bistum Trier. Diplomarbeit Univ. Trier 1979, S. 43-47. <strong>Die</strong> Verfasserin dankt Herrn Pfarrer Otmar Mentgen,<br />

Freisen, für die freundliche Überlassung von Fotokopien.<br />

85<br />

Heyen: NS <strong>im</strong> Alltag, S. 237-239; Bollmus: Trier und der NS, S. 553. <strong>Die</strong> Eintragung in diese Listen führte<br />

bei Parte<strong>im</strong>itgliedern zum Parteiausschluss.<br />

86<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 978, Bericht des SD-Unterabschnitts <strong>Koblenz</strong> über die Abendpredigt in der Herz-<br />

Jesu-Kirche am 24.11.1937, veröffentlicht in: Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> NS, S. 405-407.<br />

87<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 977; Wolfram Werner: Bischof Bornewasser in der Herz-Jesu-Kirche in <strong>Koblenz</strong>.<br />

Eine Episode des Kirchenkampfes <strong>im</strong> Dritten Reich vom Dezember 1937. In: JbwestdtLG 19 (1993) S. 531-538.<br />

Der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, hielt Hitler sogar Vortrag über Bornewassers Predigten,<br />

deren Inhalt die Gestapo an den zuständigen Minister Hanns Kerrl gemeldet hatte.<br />

88<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 978, Lagebericht des SD-Unterabschnitts <strong>Koblenz</strong> vom 28.11.1937, veröffentlicht in:<br />

Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> NS, S. 404 f., Zitat S. 404.<br />

89<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 22.


466<br />

bei der Durchführung der Maßnahme nicht ergeben.“ 90 Am 13. August 1938 wies der<br />

Regierungspräsident den Einspruch von Dechant Homscheid als unbegründet zurück. Der<br />

Reichserziehungsminister ließ dem Trierer Generalvikariat am 11. Oktober 1938 mitteilen,<br />

dass er die Aufhebung der Bekenntnisschulen in <strong>Koblenz</strong> genehmigt habe. Generalvikar von<br />

Meurers musste Homscheid gegenüber feststellen, dass nun alle Rechtsmittel ausgeschöpft<br />

seien. 91<br />

7.2 Juden<br />

7.2.1 Bezuschussung der Synagogengemeinde und Einziehung der<br />

jüdischen Kirchensteuern<br />

Neben der bereits in Kapitel 5.1.2 geschilderten Unterstützung des Wirtschaftsboykotts gegen<br />

die Juden war Wittgen für eine weitere antisemitische Aktion verantwortlich. Dabei ging es<br />

um die Streichung des städtischen Zuschusses für die jüdischen Kultuskosten rückwirkend<br />

zum Beginn des Haushaltsjahres 1933/34. Zunächst prüfte Abteilung VII die Frage einer<br />

Zahlungspflicht. Binhold kam <strong>im</strong> November 1933 zu dem Schluss: „Irgendeine Handhabe,<br />

die Zahlungen einzustellen oder ihre Herabsetzung zu fordern“ bestehe nicht. Wirtz gab sich<br />

mit dieser Antwort nicht zufrieden und forderte die Schulverwaltung auf anzugeben, ob die<br />

Rechtsgrundlage ein Gesetz oder ein Vertrag sei, ein Stadtverordnetenbeschluss könne<br />

aufgehoben werden. Abteilung VII erklärte, die Rechtslage sei unklar. Es habe sich<br />

ursprünglich um einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 1849 gehandelt,<br />

wonach die Stadt einen jährlichen Zuschuss für die Kultus- und Schulzwecke der<br />

israelitischen Gemeinde leisten wollte. <strong>Die</strong> damalige Religionsschule bestehe aber nicht mehr,<br />

die jüdischen Kinder besuchten jetzt die Volksschulen. Daraufhin verlangte Wirtz <strong>im</strong><br />

Dezember die Vorlage aller einschlägigen Akten und notierte: „Es scheint mir, daß auch die<br />

übrigen Kirchen die bisherigen Zuschüsse nicht verlangen können, weil die Verhältnisse sich<br />

grundlegend geändert haben.“ 92 <strong>Die</strong>s belegt erstens, dass die in Kapitel 7.1.1 beschriebene<br />

Initiative gegen eine Bezuschussung der christlichen Kirchen ihren Ursprung in einer<br />

antisemitischen Aktion hatte, die sich zu einer insgesamt antikonfessionellen ausweitete.<br />

Zweitens ging diese Ausweitung offensichtlich auf Stadtkämmerer Wirtz zurück, der<br />

möglicherweise eine günstige Gelegenheit zu einer Sparmaßnahme erblickte. Es ist aber nicht<br />

auszuschließen, dass er sich durch die Überprüfung ausnahmslos aller Zuschüsse an<br />

90 BArch R 36/2127, zit. n. Renate Booms: Kurze Geschichte der evangelischen Schulen in <strong>Koblenz</strong>. In:<br />

Pragmatisch, preußisch, protestantisch, S. 279-296, hier S. 289 Anm. 18. Vgl. BArch NS 25/243, S. 41.<br />

91 Mentgen: Der Kampf gegen die Aufhebung der Bekenntnisschule, S. 47 f. Vgl. auch Ottwilm Ottweiler: <strong>Die</strong><br />

Volksschule <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. Weinhe<strong>im</strong> 1979, S. 42-44. <strong>Die</strong> Schließung der beiden privaten<br />

katholischen Volksschulen, der Knabenwaisenhausschule Kemperhof und der Mädchenwaisenhausschule St.<br />

Barbara, zum 1.10.1938 ging auf das Betreiben des Kreisschulrats und des Regierungspräsidenten zurück;<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 32292.<br />

92 StAK 623 Nr. 6669, S. 285-289, Zitate S. 285, 287.


467<br />

kirchliche Institutionen bemühte, <strong>im</strong> Sinne einer Gleichbehandlung gerecht vorzugehen und<br />

dadurch ein einseitiges Vorgehen gegen die Juden zu verhindern.<br />

Dem Vorsitzenden der Synagogengemeinde, Moritz Moser 93 , war bekannt, dass die städtische<br />

Leistung auf dem Prüfstand war. Trotzdem bat er 1934 wiederholt um Überweisung, zuletzt<br />

mit dem Argument, dass der Zuschuss von 660 RM in dem vom Regierungspräsidenten<br />

genehmigten Haushalt der Gemeinde eingeplant sei. <strong>Die</strong> Angelegenheit war <strong>im</strong>mer noch bei<br />

Wirtz in Bearbeitung. Er gab der Schulverwaltung <strong>im</strong> August 1934 an, er sei noch nicht zum<br />

Diktieren gekommen, wobei er hinzufügte, er wäre „für Ablehnung, weil <strong>im</strong> Jahr 1845 <strong>im</strong><br />

Etat keine Kultusmittel für die Juden vorgesehen waren.“ Er habe die Sache Fischbach<br />

übergeben, der zum selben Ergebnis gekommen sei. Fischbach war zu diesem Zeitpunkt mit<br />

der Nachprüfung der Zuschüsse für die beiden christlichen Kirchen befasst, die auf dem<br />

Gesetz vom 14. März 1845 beruhten. Danach waren Zuschüsse der Zivilgemeinde für die<br />

Pfarrgemeinde, welche zum Zeitpunkt der Gesetzesverkündung <strong>im</strong> Haushalt standen, auch<br />

künftig zu gewähren, weshalb sich Wirtz auf den Etat dieses Jahres berief. 94<br />

Fischbach kam schnell zu einem Ergebnis, das er juristisch allerdings anders fundierte, denn<br />

das Gesetz von 1845 bezog sich nur auf christliche Pfarrgemeinden: Nach einem Beschluss<br />

des Gemeinderats von 1849 zahlte die Stadt der israelitischen Gemeinde einen jährlichen<br />

Zuschuss für Kultus- und Schulzwecke, der sich zunächst nach der Seelenzahl richtete und<br />

1868 auf 220 Taler (660 RM) festgesetzt wurde. Nachdem die Synagogengemeinde 1923<br />

aufgrund der Geldentwertung auf eine Zahlung verzichtet hatte, 95 waren die Zuschüsse für die<br />

beiden christlichen Kirchen wieder eingesetzt und der Zuschuss für die israelitische<br />

Gemeinde mit jährlich 660 RM am 29. Oktober 1925 von der Stadtverordnetenversammlung 96<br />

erneut festgesetzt worden. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Zahlung bestehe somit<br />

nicht, die Stadt habe 1849 bzw. 1868 nur eine privatrechtliche übernommen, die weder durch<br />

Vertrag noch durch Gesetz zwischenzeitlich aufgehoben sei. Fischbach wies dennoch einen<br />

Ausweg, wie der Zuschuss zumindest ermäßigt werden könne. Er zog dazu die Paragrafen<br />

157 und 242 BGB heran, wonach eine Auslegung bzw. Leistung nach „Treu und Glauben mit<br />

Rücksicht auf die Verkehrssitte“ gerechtfertigt sei. Danach sei der Zuschuss 1849 für eine<br />

Schule <strong>im</strong> Verhältnis zur Seelenzahl gedacht gewesen. Nun errechnete Fischbach, dass der<br />

prozentuale Anteil der Juden an der <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung zum 16. Juli 1933 1,03 % betrug<br />

93 Eigentlich Moritz Moses, geb. 14.3.1870 Köln, gest. Juli 1942 Amsterdam, verheiratet mit Pauline geb. Mayer<br />

(gest. 18.4.1937 <strong>Koblenz</strong>), Kaufmann, 1914-1918 Kriegsteilnehmer, 1921-1924 Stadtverordneter, Vorsitzender<br />

der Eintracht-Loge, Inhaber des <strong>im</strong> Januar 1936 arisierten Hutgeschäfts Gustav Hergershausen, Firmungstraße 1,<br />

emigrierte <strong>im</strong> Januar 1939 nach Amsterdam. StAK 623 Nr. 5993, S. 110 f.; Thill: Lebensbilder, S. 119, 135, 265<br />

f., 355; Peter Brommer u. a.: <strong>Koblenz</strong> in der Rückblende. Fotografischer Streifzug durch die Jahre 1862 bis<br />

1945. <strong>Koblenz</strong> 2004, S. 30.<br />

94 StAK 623 Nr. 6669, S. 288-293, Zitat S. 293.<br />

95 StAK 623 Nr. 7080, S. 129-139. Der Verzicht bezog sich lediglich auf das Rechnungsjahr 1923; ebd. S. 129.<br />

96 Der Beschluss lautete wörtlich: „Der Zuschuß an die israelitische Gemeinde Coblenz in Höhe von 660 Mk.<br />

[Mark] jährlich ist weiter zu zahlen.“ StAK 623 Nr. 5995, S. 110.


468<br />

(Katholiken 78,68 %, Protestanten 18,96 %), der Anteil der Ausgaben für kirchliche Zwecke<br />

laut Etat 1933 bei 660 RM aber 10,61 % (Katholiken 3.385,44 RM = 54,44 %, Protestanten<br />

2.173,13 RM = 34,95 %). Daraus ergebe sich, dass der Anteil in der bisherigen Höhe „auf<br />

jeden Fall ungerechtfertigt ist“, sodass die Stadt „wenn nicht gar eine völlige Streichung, so<br />

doch jedenfalls m. E. mit gutem Recht eine erhebliche Herabsetzung des Zuschusses<br />

vornehmen kann“. Wirtz schloss sich dieser Auffassung an. In seinem Briefentwurf für<br />

Wittgen übernahm er Passagen aus Fischbachs Gutachten, stellte darüber hinaus aber die<br />

falsche Behauptung auf, der Zuschuss beruhe auf einer „jährlich zu erneuernden Zusage der<br />

Stadt“. <strong>Die</strong> Zahlung werde zum 1. April 1933 eingestellt, da eine Schule nicht mehr bestehe.<br />

„Ich [Wittgen] vermag deshalb meinen bisherigen ablehnenden Standpunkt nicht zu ändern.“<br />

Der Synagogengemeinde nahm diese Entscheidung hin, eine schriftliche Reaktion gab es<br />

nicht. 97 Auch die städtischen Zahlungen von netto 2.350 RM, die <strong>im</strong> Haushaltsjahr 1938 zum<br />

ersten Mal für die „Judenschule“ geleistet wurden, nachdem den jüdischen Kindern ab<br />

15. November 1938 der Besuch „deutscher“ Schulen verboten war, entfielen schon 1939<br />

wieder. 98<br />

Auf Anregung von Trampp wurde bei der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der leitenden<br />

Bürobeamten <strong>im</strong> DGT, Provinzialdienststelle Rheinland und Hohenzollern, am 5. Juli 1935 in<br />

Köln der Punkt „Einziehung jüdischer Kirchensteuern“ behandelt. Trampp hatte vorgebracht,<br />

die Ratsherren hätten Bedenken, weil die Einziehung <strong>im</strong> Widerspruch zu den heutigen Zielen<br />

der Staatsführung stehe. Bei der Beratung stellte sich heraus, dass noch mehrere andere<br />

Kommunen für die jüdische Gemeinde die Steuern einzogen, nicht zuletzt, weil die<br />

Hebegebühren eine gute Einnahmequelle darstellten. Trier zog dagegen nur für Katholiken<br />

und Protestanten ein. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft erklärte, es handele sich um<br />

eine freiwillige Aufgabe der Gemeinde, die sie ablehnen könnten. 99<br />

7.2.2 <strong>Die</strong> jüdischen Viehhändler und der städtische Nutzviehmarkt<br />

Auch der Beschlussausschuss beteiligte sich 1933 an der Verdrängung der Juden aus dem<br />

öffentlichen Leben. Nachdem der jüdische Viehhändler Hermann Daniel 100 , Ehrenpräsident<br />

des in Berlin ansässigen Bundes der Viehhändler e. V., schon Ende Dezember 1932 ohne<br />

Angabe von Gründen sein Amt als Mitglied <strong>im</strong> Schlachthofausschuss niedergelegt hatte, 101<br />

97 StAK 623 Nr. 6669, S. 294-300, Zitate S. 297-299.<br />

98 Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1938, S. 30 f.; dito 1939, S. 32 f. <strong>Die</strong> Ausgaben<br />

hatten 3.000 RM, die Einnahmen 650 RM betragen. <strong>Die</strong> jüdischen Schulkinder wurden in der Leichenhalle des<br />

jüdischen Friedhofs unterrichtet, die auch als Synagoge dienen musste; Thill: Lebensbilder, S. 96.<br />

99 LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 53, S. 89, 95 f., 133 f. Trampp selbst konnte nicht an der Sitzung teilnehmen.<br />

100 Geb. 24.9.1867 Großmaischeid, gest. 14.6.1934 Goch. Thill: Lebensbilder, S. 271, 284-286; Hans<br />

Lehnet/Hans Werner Seul: Von der Fleischer-Zunft zur Fleischer-Innung. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Fleischer-Innung und<br />

ihre Geschichte. Ein Überblick. <strong>Koblenz</strong> 2006, S. 124 f.<br />

101 StAK 623 Nr. 6544, S. 581.


469<br />

wurde am 19. Juli 1933 beschlossen, dass als Ersatz ein christlicher Viehhändler berufen<br />

werden solle. Dessen Wahl erfolgte dann <strong>im</strong> September. 102<br />

<strong>Die</strong> städtische Abteilung XVIII, der Schlacht-, Vieh- und Nutzviehhof unter der Leitung des<br />

Veterinärmediziners und Parte<strong>im</strong>itglieds Dr. Ernst-Peter Beyer 103 , kam von allen städtischen<br />

<strong>Die</strong>nststellen am engsten mit Juden in Berührung. Traditionell spielten sie <strong>im</strong> Viehhandel eine<br />

zentrale Rolle. Der Nutzviehmarkt, der nach der Zahl der Auftriebe reichsweit an erster Stelle<br />

lag, 104 lebte von der Beschickung mit Vieh durch die jüdischen Händler. 105 In Trier hatte die<br />

NSDAP schon <strong>im</strong> März und April 1933 massiv in den Betrieb des städtischen Schlacht- und<br />

Nutzviehhofes eingegriffen, indem sie ein Schächtverbot und, wenn auch nur vorübergehend,<br />

ein Zutrittsverbot für jüdische Viehhändler durchsetzen konnte. 106 Am 26. Januar 1934 kam<br />

es während des <strong>Koblenz</strong>er Nutzviehmarktes zu einem „Vorkommnis“, das Beyer Wittgen<br />

ausführlich beschrieb. Gegen 10 Uhr habe man ihm gemeldet, dass der Gauleiter des<br />

Nationalen Viehhändlerverbandes, Heinrich Brinkmann aus Essen, auf dem Markt erschienen<br />

sei „mit den ungefähren Worten, die Juden müssten hier in <strong>Koblenz</strong> erzogen werden, das<br />

müsse aufhören mit dem Hausiererhandel, er werde mal Ordnung schaffen auf dem Markt, bis<br />

April werde die Sache geklärt sein“. Er habe Brinkmann daraufhin erklärt, er sei nicht gewillt,<br />

Eingriffe in den Markt von außerhalb hinzunehmen. Brinkmann habe erwidert, er habe nur<br />

die Gänge fre<strong>im</strong>achen wollen. Beyer besprach sich telefonisch mit dem Kreisbauernführer<br />

und späteren Ratsherrn Hermann Knaudt und erinnerte Brinkmann an eine Unterredung vom<br />

November, wonach er nichts ohne vorherige Abst<strong>im</strong>mung unternehmen solle. Beyer sorgte<br />

sich vor allem um seine Umsätze und warnte Wittgen vor finanziellen Einbußen. Es bestehe<br />

die „Gefahr, dass die <strong>Koblenz</strong>er Märkte sehr beeinträchtigt, wenn nicht um Jahre […]<br />

zurückgeworfen werden, wenn Schritte unternommen werden, die heutigen Beschicker und<br />

Käufer vom Markte zu verdrängen“, bevor gleichwertiger Ersatz vorhanden sei. Es sei „unter<br />

den Hallenbesuchern eine grosse Aufregung entstanden“. 107<br />

Anfang Februar 1934 drängte Beyer Wittgen, die Führerfrage in der Interessentengemein-<br />

schaft, deren Vorsitz Daniel früher innehatte, 108 sofort zu lösen. Als neuen Vorsitzenden<br />

schlug er Knaudt vor, der einen Beirat bilden sollte. <strong>Die</strong>s sei aber schwierig, weil „fast keine<br />

christlichen Händler vorhanden sind und deshalb hauptsächlich auf die Landwirte<br />

102 StAK 623 Nr. 6544, S. 585-593. Der am 18.9.1933 gewählte Jean Ledosquet legte sein Amt am 7.11.1934<br />

wegen Denunziationen unbekannten Inhalts nieder; ebd. S. 687 f. Hintergrund dürfte gewesen sein, dass der Jude<br />

Benni Kahn Mitgesellschafter von Ledosquets Firma war; Thill: Lebensbilder, S. 342 f.<br />

103 * 29.6.1884 Antwerpen, + 18.3.1943 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet; StAK 623 Nr. 6551, S. 1; ebd.,<br />

Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 448/1943.<br />

104 VB 1933-1937, S. 92.<br />

105 Lehnet/Seul: Von der Fleischer-Zunft, S. 121-127.<br />

106 Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S. 51. Das Verbot wurde wieder aufgehoben, nachdem der<br />

Schlachthofdirektor darauf verwies, dass er die Fleischversorgung der Trierer nicht mehr sicherstellen könne.<br />

107 StAK 623 Nr. 6583, S. 270-273.<br />

108 StAK 623 Nr. 6583, S. S. 255-269. <strong>Die</strong> Interessentenvertretung bestand aus christlichen und jüdischen<br />

Marktteilnehmern. Sie unterhielt z. B. einen Seuchenfonds.


470<br />

zurückgegriffen werden muss. Um die jüdischen Händler nicht vor den Kopf zu stossen,<br />

wird Herr Knaudt auch den einen oder andern anerkannten jüdischen Viehhändler berufen<br />

müssen.“ Wittgen beauftragte Knaudt, einen höchstens vierköpfigen Beirat zu bilden, wobei<br />

er sonstige Vorgaben vermied. Ansonsten wies er Beyer an, das weitere Vorgehen<br />

Brinkmanns abzuwarten. 109<br />

Am 19. Februar 1936 legte Kreisleiter Claussen Wittgen ein Schreiben des Kreisleiters<br />

Unterwesterwald in Montabaur vom Januar vor, dem mehrere Vernehmungsprotokolle<br />

beigefügt waren. Demnach hatte der jüdische Viehhändler Hermann Isselbächer in<br />

Montabaur 110 <strong>im</strong> November 1935 von Schlachthofdirektor Beyer eine freundliche Einladung<br />

zur Teilnahme am Nutzviehmarkt erhalten. <strong>Die</strong> Karte war von mehreren Partei- und<br />

Volksgenossen gelesen worden, denn Isselbächer hatte sie herumgezeigt, um zu beweisen,<br />

dass in <strong>Koblenz</strong> Juden noch willkommen seien. Für die Ortsgruppe Montabaur war das Grund<br />

genug, Nachforschungen anzustellen und den Kreisleiter zu alarmieren. Wittgen verlangte<br />

von Beyer eine Stellungnahme, worauf dieser am 24. Februar eine grundsätzliche Erklärung<br />

zum Problem des jüdischen Viehhandels abgab. Auch drei Jahre nach der Machtergreifung sei<br />

der Viehhandel noch weitestgehend in jüdischer Hand, und der Markt werde regelmäßig von<br />

Juden beschickt und besucht. Allen beteiligten Stellen sei dies bekannt. Bisher ständen zu<br />

„wenige fähige und jüdischen Machenschaften nicht folgende arische Händler“ als Ersatz zur<br />

Verfügung. Beyer plädierte eindringlich dafür, den heiklen Wirtschaftszweig vor Schaden zu<br />

bewahren. <strong>Die</strong>se Ansicht teile auch der Führer der Landesbauernschaft Rheinland, Kuno<br />

Freiherr von Eltz-Rübenach 111 . Eine vorschnelle Verdrängung der Juden sei unklug und führe<br />

nur dazu, dass sich der Umsatz auf das Land verlagere, wo die Bevölkerung die Anordnungen<br />

des Reichsnährstandes bisher wenig beachte. <strong>Die</strong> Folgen seien Umsatzrückgang, Steuer-<br />

verluste, weniger Möglichkeiten zur Kontrolle der Juden und zunehmender Bedeutungsverlust<br />

der Märkte. 112<br />

Zum Fall Isselbächer erklärte Beyer, seit 1930 würden regelmäßig an alle Marktbesucher,<br />

Käufer und Verkäufer, Einladungen in Form von Postkartenvordrucken verschickt. <strong>Die</strong>se<br />

Karten hätten viel zum Erfolg des <strong>Koblenz</strong>er Nutzviehmarkts beigetragen. In der Sitzung des<br />

Schlachthofausschusses <strong>im</strong> März 1934 habe er darauf hingewiesen, dass der Versand nicht<br />

mehr angebracht sei. Der Ausschuss habe sie jedoch aus wirtschaftlichen Gründen für<br />

zweckmäßig gehalten und staatliche Best<strong>im</strong>mungen abwarten wollen. Auch die national-<br />

sozialistischen Vertreter in der Landwirtschaft hätten <strong>im</strong>mer wieder betont, der Markt sei<br />

109<br />

StAK 623 Nr. 6583, S. 274. Welche Personen von Knaudt in den Beirat berufen wurden, ist unbekannt. Da es<br />

sich nicht um eine gesetzlich vorgeschriebene Kommission oder einen Beirat <strong>im</strong> Sinne der Hauptsatzung<br />

handelte, wäre ein formeller Ariernachweis nicht erforderlich gewesen.<br />

110<br />

Zur Judenverfolgung <strong>im</strong> Westerwald vgl. Uli Jungbluth: Nationalsozialistische Judenverfolgung <strong>im</strong><br />

Westerwald. 2. Aufl. <strong>Koblenz</strong> 1994.<br />

111<br />

Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 209 f.<br />

112<br />

StAK 623 Nr. 6636, S. 117-132, Zitat S. 117.


471<br />

„selbst in der jetzigen unbefriedigenden Form nicht entbehrlich“. Der Versand sei erst <strong>im</strong><br />

Dezember 1935, nachdem „nunmehr 27 arische Händler den Markt ziemlich regelmäßig<br />

beschickten“, eingestellt worden. Abschließend versicherte Beyer, dass die arischen Händler<br />

„die besten Plätze auf dem Markte angewiesen“ bekämen und „selbstverständlich […] in<br />

jeder Weise bevorzugt behandelt“ würden. Wittgen konnte offenbar kaum glauben, dass der<br />

Schlachthofausschuss so entschieden haben sollte, denn er erkundigte sich deswegen noch bei<br />

Wirtz, der dies bestätigte. Claussen erhielt von Wittgen am 18. März 1936 die Auskunft, die<br />

Einladungen, die er beschwichtigend „Benachrichtigungsschreiben“ nannte, seien mit<br />

Zust<strong>im</strong>mung des Schlachthofbeirats an alle Besucher des Nutzviehmarkts verschickt worden,<br />

um die erforderliche Frequenz zu gewährleisten. Der Versand sei aber seit Dezember 1935<br />

„auf ausdrückliche Anordnung“ eingestellt worden. 113<br />

Der Schlachthof war auch Schauplatz antisemitischer Aktionen. Im November 1935 wurden<br />

das Haupteingangstor und die Umfassungsmauer eines Nachts mit antisemitischen Parolen<br />

beschmiert. Beyer ließ die Aufschriften morgens mit Decken überhängen, und auf Anordnung<br />

Binholds wurden sie nach Schließung des Marktes am Abend überstrichen. 114 Von der<br />

Gedenktafel der Fleischerinnung für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, die sich an der<br />

Stirnseite der großen Markthalle befand, wurden <strong>im</strong> Juli 1936 die Namen der beiden<br />

jüdischen Metzgermeister Otto Morgenthau und S<strong>im</strong>on Kombert heruntergehauen. Beyer<br />

meldete die Schändung Abteilung I, denn die Tafel war bei ihrer Einweihung 1932 115 der<br />

Schlachthofverwaltung zu treuen Händen übergeben worden. Der Obermeister der Innung,<br />

der Ehrenbreitsteiner Metzgermeister Kaufmann, erklärte Binhold auf dessen Anfrage, er<br />

habe keine Anweisung zur Entfernung der Namen gegeben. Durch die Zusammenlegung der<br />

Fleischerinnungen <strong>Koblenz</strong>-Stadt und <strong>Koblenz</strong>-Land sei eine „Neuanordnung der Namen auf<br />

der Gedenktafel“ notwendig, möglicherweise habe „eine andere Stelle“ daraufhin vermutet,<br />

dass Namen entfernt werden sollten. <strong>Die</strong> Fleischerinnung werde die Tafel jetzt „vollständig<br />

neu herrichten“. Dabei ließ Kaufmann offen, ob die Namen der beiden jüdischen<br />

Metzgermeister wieder genannt werden sollten. 116<br />

Wenig Bereitschaft zeigte die Schlachthofverwaltung, bei Parteigerichtsverfahren wegen des<br />

Viehhandels mit Juden Belastungsmaterial zu liefern. Als am 17. Juli 1936 das NSDAP-<br />

Kreisgericht Montabaur anfragte, ob der Viehhändler Leopold Gottschalk aus Mülhe<strong>im</strong> Jude<br />

sei und ob ein Parteigenosse aus Marienrachdorf dies be<strong>im</strong> Kauf einer Kuh hätte wissen<br />

müssen oder annehmen können, antwortete Beyer zunächst nicht. Er fragte bei Abteilung I<br />

113 StAK 623 Nr. 6636, S. 117-132, Zitate S. 122 f., 132.<br />

114 Lehnet/Seul: Von der Fleischer-Zunft, S. 126. <strong>Die</strong> Parolen lauteten „Halt!! Judenfreie Märkte“, „Bauer, kaufe<br />

nicht bei Juden. Juden sind unser Unglück, Der Jude ist dein Feind.“ und „Der Jude ist unser Unglück“.<br />

115 Zur Einweihungsfeier vgl. Lehnet/Seul: Von der Fleischer-Zunft, S. 90.<br />

116 StAK 623 Nr. 6636, S. 177-180, Zitate S. 178. <strong>Die</strong> Tafel wurde bei einem Bombenangriff 1944 zerstört und<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue für „unsere gefallenen Kollegen der beiden Weltkriege“ angebracht;<br />

Kampmann: Wenn Steine reden, S. 261 f.


472<br />

nach, ob „derartige Rückfragen überhaupt und in welchem Sinne beantwortet werden sollen“.<br />

Binhold bestätigte daraufhin dem Kreisgericht <strong>im</strong> August, dass Gottschalk Jude sei, allerdings<br />

könnten die anderen Fragen „von hier aus nicht ohne weiteres bejaht werden“. 117<br />

Dass die jüdischen Viehhändler bis 1937 noch nicht vollkommen verdrängt werden konnten,<br />

belegt der Verwaltungsbericht: „<strong>Die</strong> Zahl der arischen Händler auf dem hiesigen Nutzvieh-<br />

markt konnte wesentlich erhöht werden, ebenso die Zahl der von diesen aufgetriebenen<br />

Tiere.“ 118 Sogar durch Baumaßnahmen wurde der Ausschluss der jüdischen Viehhändler<br />

konsequent vorangetrieben. 1937 wurde eine 500 Großtiere fassende, geschlossene Verkaufs-<br />

und Übernachtungshalle errichtet, „die nur von arischen Händler in Anspruch genommen<br />

werden darf und eine Trennung von den nichtarischen Händlern gewährleistet.“ 119 Beyers<br />

wirtschaftlich motiviertes Eintreten für eine „organische allmähliche Umstellung“ 120 trat<br />

gegenüber der Umsetzung der Rassenideologie – deren Richtigkeit Beyer <strong>im</strong> Übrigen nie in<br />

Frage stellte – klar in den Hintergrund. 1937 und 1938 sorgte dann nicht nur die Maul- und<br />

Klauenseuche für einen Rückgang der Auftriebe, sondern auch das Ausbleiben der jüdischen<br />

Viehhändler. Trotzdem sei die Marktentwicklung „unter Berücksichtigung der besonderen<br />

Verhältnisse zufriedenstellend, da nach Ausschaltung der nichtarischen Händler, die ebenfalls<br />

Ende 1938 restlos durchgeführt“ war, <strong>im</strong>mer noch überdurchschnittliche Zahlen erreicht<br />

würden. 121 1939 war man sich allerdings bewusst, dass der Markt „wohl seine frühere<br />

Bedeutung in absehbarer Zeit nicht mehr erlangen“ werde. 122<br />

7.2.3 Jüdische Gaststätten und Beherbergungsbetriebe<br />

Für die Konzessionierung von Gaststätten, Getränkeausschank und Fremdenhe<strong>im</strong>en war das<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht zuständig. Das am 1. Januar 1934 in Kraft getretene Gesetz über die<br />

Anpassung der Landesverwaltung an die Grundsätze des nationalsozialistischen Staates vom<br />

15. Dezember 1933 hatte den früheren Stadtausschuss als Beschlussbehörde aufgelöst und<br />

seine Zuständigkeit gemäß dem Führerprinzip an den (Ober-)Bürgermeister übertragen. In<br />

seiner Funktion als Verwaltungsgericht führte der Stadtausschuss jetzt die Bezeichnung<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht. <strong>Die</strong>s galt analog für die Berufungsinstanz, den bisherigen<br />

117 StAK 623 Nr. 6636, S. 181 f.<br />

118 VB 1933-1937, S. 92.<br />

119 VB 1937/38, S. 87. Julius Kallmann, Sohn von Sigmund Kallmann aus Vallendar, einem der größten<br />

Viehhändler der Umgebung, datierte 1952 die Verdrängung der jüdischen Händler aus den Hallen schon auf<br />

1933: „Wir hatten auf dem <strong>Koblenz</strong>er Nutz- & Zuchtviehmarkt, deren Mitbegründer mein Vater war, die größte<br />

Viehagentur, unmittelbar nach der Machtergreifung wurden uns die Stallungen, in denen unser Vieh <strong>im</strong>mer<br />

untergebracht gewesen, und unser Verkaufsstand in der Viehverkaufs-Halle ohne jeglichen Grund<br />

weggenommen u. an arische Händler ohne Entschädigung abgegeben. Infolgedessen waren wir gezwungen, das<br />

uns in Commission geschickte Vieh und unsere eigenen Tiere <strong>im</strong> freien vor der Halle ungeschützt gegen Wind<br />

und Wetter abzusetzen. Dasselbe geschah mit unserer auf dem Schlachtviehmarkt in <strong>Koblenz</strong> befindlichen<br />

Viehagentur.“ LHAKo Best. 583,1 Nr. 3675, Bl. 122.<br />

120 StAK 623 Nr. 6636, S. 118.<br />

121 VB 1938/39, S. 99.<br />

122 LHAKo Best. 441 Nr. 43530, S. 863.


473<br />

Bezirksausschuss, dessen Kompetenz an den Regierungspräsidenten bzw. das Bezirks-<br />

verwaltungsgericht überging. Neu geregelt war auch die Zusammensetzung der Gremien:<br />

Waren die Mitglieder des Stadt- und Bezirksausschusses früher gewählt worden, wurden sie<br />

jetzt ernannt, wodurch die Ausschaltung politisch unzuverlässiger Laien bei der Kontrolle der<br />

Verwaltung gewährleistet war. 123 Am 12. Oktober 1934 hatte der Preußische Innenminister<br />

eine Verordnung über neu zu errichtende Gast- und Schankwirtschaften („Konzessionssperr-<br />

verordnung“) erlassen, die u. a. ein Überangebot an Betrieben mit Ausschankerlaubnis<br />

verhindern sollte. Für eine Neukonzession war die Ausnahmegenehmigung des Regierungs-<br />

präsidenten erforderlich. Reine Speisewirtschaften waren nicht genehmigungspflichtig, eine<br />

vorläufige Schankerlaubnis konnte bis zur Entscheidung des <strong>Stadtverwaltung</strong>sgerichts der<br />

Polizeipräsident erteilen. Beteiligte be<strong>im</strong> Genehmigungsverfahren waren der Gemeinde-<br />

vorstand, die Deutsche Arbeitsfront 124 , die Wirtschaftsgruppe Gaststätten- und Beherber-<br />

gungsgewerbe 125 , der Polizeipräsident sowie der Kommissar zur Wahrnehmung des<br />

öffentlichen Interesses 126 . Sie mussten Stellungnahmen zum Konzessionsantrag abgeben, die<br />

dem <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht als Entscheidungsgrundlage dienten und die sich hauptsächlich<br />

um die Klärung der Bedürfnisfrage sowie die persönliche und fachliche Eignung des<br />

Antragstellers drehten. Für zwei jüdische Gaststätten bzw. Privatpensionen 127 sind die Akten<br />

zur Konzessionserteilung überliefert. 128<br />

Wilhelm Erben 129 hatte <strong>im</strong> November 1932 die Erlaubnis zum Betrieb einer Fremdenpension<br />

mit Ausschank alkoholfreier Getränke in der Viktoriastraße 14 erhalten, wo er bereits seit<br />

drei Jahren ein Speiserestaurant führte. Am 5. März 1935 beantragte er die Verlegung<br />

seiner Pension nach dem Kaiser-Wilhelm-Ring 35, weil ihm durch die Unsauberkeit des<br />

Hauses Viktoriastraße dort die Gäste ausblieben. Er sei verheiratet und habe ein Kind,<br />

sei nicht vorbestraft, habe einen einwandfreien Ruf und sei gelernter Küchenmeister.<br />

123<br />

PrGS 1933, S. 479; VB 1933-1937, S. 33. <strong>Die</strong> „Anpassung“ betraf das Gesetz über die allgemeine<br />

Landesverwaltung vom 30.7.1883 (Landesverwaltungsgesetz) (PrGS, S. 195) sowie das Gesetz über die<br />

Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1.8.1883 (PrGS, S. 236), beide am<br />

1.7.1888 in der Rheinprovinz eingeführt. <strong>Die</strong>ter Gotthardt: <strong>Die</strong> Stadt- und Kreisrechtsausschüsse in Rheinland-<br />

Pfalz – ein Erbe Preußens? Eine Untersuchung über den Ursprung der Stadt- und Kreisrechtsausschüsse in<br />

Rheinland-Pfalz. Diss. Universität Mainz 1984.<br />

124<br />

DAF Gauwaltung <strong>Koblenz</strong>-Trier, Gaubetriebsgemeinschaft Handel, Fachgruppe Gaststättengewerbe; StAK<br />

623 Nr. 6338, S. 29, 72.<br />

125<br />

1935 noch als Reichseinheitsverband des deutschen Gaststättengewerbes e. V. Gau Rheinland; StAK 623 Nr.<br />

6338, S. 32.<br />

126<br />

Nicht zu verwechseln mit einem Kommissar nationalsozialistischer Prägung. § 74 Landesverwaltungsgesetz<br />

schrieb die Bestellung eines Kommissars zur Wahrung des öffentlichen Interesses vor, „wenn das Gesetz die<br />

öffentliche Behörde, welche die Rolle des Klägers oder des Beklagten wahrzunehmen hat, nicht bezeichnet.“<br />

PrGS 1883, S. 195.<br />

127<br />

Jüdische Pensionshäuser in <strong>Koblenz</strong> sollen 1939 an der illegalen Auswanderung von Juden beteiligt gewesen<br />

sein; Kurt Düwell: <strong>Die</strong> Rheingebiete in der Judenpolitik des <strong>Nationalsozialismus</strong> vor 1942. Beitrag zu einer<br />

vergleichenden zeitgeschichtlichen Landeskunde (Rheinisches Archiv 65). Bonn 1968, S. 202.<br />

128<br />

StAK 623 Nr. 6337; ebd. Nr. 6338.<br />

129<br />

* 12.8.1888 <strong>Koblenz</strong>, + 3.1.1941 <strong>Koblenz</strong>, Küchenchef, katholisch, Eheschließung am 17.11.1924 in<br />

<strong>Koblenz</strong> mit Johanna geb. Kahn, geb. 12.9.1884 Schweich, gest. 23.11.1942 <strong>Koblenz</strong>, Verkäuferin, ein<br />

außerehelicher Sohn Josef, geb. 30.10.1917 <strong>Koblenz</strong>, von Wilhelm Erben an Kindesstatt angenommen.<br />

Thill: Lebensbilder, S. 371.


474<br />

Gemeindevorstand (Bürgermeister Binhold), Kommissar (Stadtinspektor Gross) und<br />

Polizeipräsident erhoben keine Bedenken, wobei Letzterer noch hervorhob, Erben „entstammt<br />

einer alten <strong>Koblenz</strong>er Familie und ist als zuverlässig […] anzusehen“. <strong>Die</strong> DAF lehnte den<br />

Antrag ab. Da der Antragsteller bisher seine Familie ernähren konnte, sei anzunehmen, dass<br />

er „höher hinaus will und wahrscheinlich eine Kletterkonzession in Scene setzen will“. Auch<br />

die Wirtschaftsgruppe verwies auf die Gefahr einer Kletterkonzession, da Erben in absehbarer<br />

Zeit einen Antrag auf Ausschank alkoholhaltiger Getränke stellen wolle, um so in den Besitz<br />

einer Vollkonzession zu gelangen. Das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht entschied am 4. Mai 1935<br />

unter Vorsitz von Wirtz, die Bedürfnislage werde bejaht und es handele sich um eine<br />

Betriebsverlegung zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse. Der Regierungspräsident<br />

erteilte <strong>im</strong> Anschluss die beantragte Ausnahmegenehmigung. 130<br />

Im April 1936 beantragte Erben die Verlegung des Speiserestaurants und der Pension „Ring-<br />

Hotel“ an den Kastorhof 4. Nachdem er für das Haus am Kaiser-Wilhelm-Ring einen<br />

Pachtvertrag bis 31. März 1936 mit anschließendem Kaufangebot abgeschlossen und schon<br />

Umbauten getätigt hätte, habe er die fällige Anzahlung wegen Zuteilungsproblemen seiner<br />

Bausparkasse nicht leisten können. Der jetzige Käufer des Hauses habe ihn zur sofortigen<br />

Räumung aufgefordert. Er befinde sich dadurch in einer „verzweifelten“ wirtschaftlichen<br />

Lage. Einen Ausweg böte der Kauf des Hauses Kastorhof 4. Während Gemeindevorstand,<br />

Kommissar, Polizeipräsident und auch die Baupolizei keine Bedenken erhoben, traten als<br />

Gegner des Antrags wieder DAF und Wirtschaftsgruppe auf, die <strong>im</strong> Mai diesmal ein ganz<br />

neues Argument ins Feld führten, nämlich die jüdische Ehefrau Erbens. <strong>Die</strong> Wirtschafts-<br />

gruppe verneinte die Bedürfnisfrage und machte darauf aufmerksam, dass die Ehefrau Jüdin<br />

sei. <strong>Die</strong> politische Zuverlässigkeit des Antragstellers sei „daher nicht gegeben“, wenn auch<br />

bezüglich seiner fachlichen Eignung keine Einwände beständen. Ähnlich äußerte sich die<br />

DAF. Erben sei bekannt „als tüchtiger Fachmann, den wir als solchen unbedingt schätzen<br />

müssen. Dagegen sprechen wir ihm die politische Zuverlässigkeit ab, weil er eine Jüdin zur<br />

Frau hat.“ Zum Aufbau eines beständigen Gaststättengewerbes müssten „die Betriebe von<br />

guten deutschen Männern geführt werden. Der Betrieb […] wird <strong>im</strong>mer einen jüdischen<br />

Einschlag behalten, eben weil die Ehefrau Jüdin ist.“ 131<br />

Am 2. Juli verhandelte das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht den Fall unter Vorsitz von Wirtz, als<br />

weitere Mitglieder waren die beiden Ratsherren und Ortsgruppenleiter Wilhelm Krings und<br />

Wilhelm Heß sowie Herbert Katterbach 132 anwesend. Erben argumentierte, in der Gegend<br />

Kastorhof bestehe ein großes Bedürfnis, da nur noch ein weiteres Lokal Mittagstisch anbiete.<br />

Seine Ehefrau sei eine getaufte Jüdin, aber nicht <strong>im</strong> Betrieb tätig. Trotzdem wurde der Antrag<br />

abgelehnt, weil eine Vermehrung der Betriebe am Kastorhof unerwünscht sei. Unverhohlen<br />

130 StAK 623 Nr. 6337, S. 1-126, Zitate S. 29, 33.<br />

131 StAK 623 Nr. 6337, S. 1-126, Zitate S. 52 f., 72 f.<br />

132 Steuerassistent, Hohenzollernstraße 120 a; AB 1937/38, S. II 52.


475<br />

hieß es weiter: „Der Hauptgrund für die Versagung der Genehmigung war der, dass einmal<br />

endgültig klare Verhältnisse geschaffen werden müssen.“ <strong>Die</strong> Ehefrau sei Volljüdin und die<br />

eigentliche Seele des Geschäfts, Juden verkehrten und wohnten am Kaiser-Wilhelm-Ring.<br />

„Nach Aussen führt der Betrieb die Fahne des 3. Reiches, während nach Innen der jüdische<br />

Einfluss sich breit macht. <strong>Die</strong>ser unklare Zustand musste beseitigt werden. Der Gesetzgeber<br />

will ja den Juden nicht verbieten, dass sie überhaupt in Lokalen verkehren dürfen, er will aber<br />

eine scharfe, reinliche Trennung zwischen arischen und nichtarischen Gast- und Schank-<br />

betrieben herbeigeführt haben.“ Erben legte am 3. August Widerspruch 133 ein: „Wenn ich vor<br />

12 Jahren eine Jüdin zur Frau nahm, konnte ich nicht wissen, daß mir diese Heirat einmal zum<br />

Verhängnis werden und mich um meine Existenz bringen könnte. Will und kann man von<br />

mir verlangen, daß ich diese Frau die mir 12 Jahre lang als Lebensgefährtin gut war, heute<br />

fortjage oder mich von ihr scheiden lasse? […] ich bin Arier und habe auch durch die Heirat<br />

mit einer Jüdin meine arische Rassezugehörigkeit nicht verloren.“ <strong>Die</strong> Staatspolizei habe<br />

ihm die Erlaubnis zum Hissen der Reichsflagge erteilt und er habe eine Eingabe an den<br />

Stellvertreter des Führers gemacht, ob sein Geschäft als arisch oder jüdisch zu gelten habe. Er<br />

führe das Geschäft, kaufe ein, koche etc., „kurzum ich bin die Seele des Geschäftes“. Seine<br />

Frau führe lediglich die Aufsicht über Bedienung, was er nicht gleichzeitig leisten könne.<br />

Juden zählten zu seinen Gästen, er sei „infolge des he<strong>im</strong>lichen Boykotts gegen mich darauf<br />

angewiesen“ und dies sei nicht verboten. Er sei aber bereit, seine Frau vollkommen aus dem<br />

Betrieb herauszuhalten, wenn dadurch seine Existenz gerettet werde. 134<br />

Anfang August informierte A. Thelen von der DAF Assessor Habbel vom städtischen<br />

Rechtsamt, gegen Erben schwebten Ermittlungen der Gestapo wegen Rassenschande. Ein<br />

<strong>Die</strong>nstmädchen hatte angegeben, der Sohn Erbens habe sie durch Redensarten belästigt,<br />

außerdem habe eine Frau, die nach ihrer Ansicht Arierin gewesen sei, mit einem Juden in<br />

Erbens Hotel übernachtet und es sei zum Geschlechtsverkehr gekommen. Habbel notierte,<br />

dass Thelen fordere, das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht „müsse die politische Leitung unbedingt<br />

unterstützen, dass ein derartiger Betrieb verschwinde“. <strong>Die</strong> Gestapo teilte dem Bezirks-<br />

verwaltungsgericht am 7. September mit, gegen Erben schwebe be<strong>im</strong> Oberstaatsanwalt ein<br />

Verfahren wegen Kuppelei, außerdem gegen Unbekannt wegen Blutschande und einer<br />

strafbarer Handlung in Erbens Pension. Das Bezirksverwaltungsgericht setzte daraufhin das<br />

Verfahren bis zum Abschluss des schwebenden Strafverfahrens aus. Da Erben seinen<br />

Widerspruch am 6. April 1937 zurückzog, fand eine Berufungsverhandlung aber nie statt . 135<br />

Es folgte am 22. April 1937 ein neuer Konzessionsantrag von Wilhelm Franken, der<br />

den Betrieb von Erben gepachtet und vom Polizeipräsidenten bereits eine vorläufige<br />

133 <strong>Die</strong> Wahrung der zweiwöchigen Widerspruchsfrist war noch Gegenstand verwaltungsinterner<br />

Untersuchungen, wurde aber von Wirtz bejaht; StAK 623 Nr. 6337, S. 102-106.<br />

134 StAK 623 Nr. 6337, S. 1-126, Zitate S. 87, 99 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original).<br />

135 StAK 623 Nr. 6337, S. 1-126, Zitat S. 96.


476<br />

Genehmigung erhalten hatte. Nachdem geklärt war, dass Erben sich völlig aus dem Geschäft<br />

zurückgezogen hatte und es außer dem Pachtverhältnis keine weiteren Beziehungen zwischen<br />

Erben und Franken gab, stand einer Genehmigung durch das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht nichts<br />

mehr <strong>im</strong> Wege. Es bejahte ein Bedürfnis und beschloss am 15. Juli unter dem Vorsitz von<br />

Wirtz und in Anwesenheit der beiden Mitglieder Ratsherr und Ortsgruppenleiter Heß sowie<br />

Rechtsanwalt Otto Rausch, den entsprechenden Antrag be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten auf<br />

Erteilung der Ausnahmegenehmigung zu stellen. Obwohl das Gremium bei Anwesenheit von<br />

drei Mitgliedern – darunter zwei Juristen – beschlussfähig war, 136 fällte das <strong>Stadtverwaltung</strong>s-<br />

gericht sein Urteil nur unter Vorbehalt, weil das vierte Mitglied, Kreisleiter Claussen, fehlte.<br />

<strong>Die</strong>s war umso überflüssiger, als Claussen, wäre er anwesend gewesen, als jüngstes Mitglied<br />

gar nicht st<strong>im</strong>mberechtigt 137 gewesen wäre. Trotzdem unterrichtete Wirtz „Herrn Kreisleiter<br />

und Parteibeauftragten Clausen, auch in seiner Eigenschaft als Mitglied des <strong>Stadtverwaltung</strong>s-<br />

gerichts“, am 21. Juli <strong>im</strong> Tonfall eines Bittstellers, das anliegende Urteil sei „unter dem<br />

Vorbehalt erlassen, dass sein Inhalt Ihnen vorher noch bekanntgegeben würde. Da [sic] tue<br />

ich hiermit.“ Claussen erklärte sich einverstanden. Doch der Regierungspräsident versagte <strong>im</strong><br />

September die Genehmigung wegen fehlender Zuverlässigkeit des Wilhelm Franken, der<br />

seinen Antrag am 5. Oktober 1937 zurückzog. 138<br />

Nur einen Tag später unternahm Erben einen weiteren Versuch und stellte einen<br />

Konzessionsantrag für einen nicht-arischen Gast- und Hotelbetrieb, nachdem das Pacht-<br />

verhältnis mit Franken aufgelöst war. Während Habbel keine grundsätzlichen Probleme sah,<br />

lehnte der Polizeipräsident die vorläufige Schankerlaubnis jetzt wegen Unzuverlässigkeit<br />

Erbens ab. <strong>Die</strong> DAF verneinte ein Bedürfnis, es gebe schon eine Gaststätte für Nichtarier 139 .<br />

Binhold als Vertreter des Gemeindevorstands sah ebenfalls kein Bedürfnis, denn das jüdische<br />

Hotel Continental sei wahrscheinlich wegen Unrentabilität verkauft worden. „Dazu kommt,<br />

dass in der Nähe des Rheines der Fremdenverkehr ganz besonders stark ist und ein<br />

nichtarisches Gasthaus in dieser Gegend unerwünscht ist.“ Kommissar Fuhlrott meinte,<br />

außerdem könne einem Arier, selbst wenn er mit einer Jüdin verheiratet sei, keine Konzession<br />

für einen nicht-arischen Betrieb erteilt werden. Erben zog seinen Antrag daraufhin schon am<br />

19. Oktober 1937 wieder zurück. 140<br />

Der nächste Antrag vom April 1938 des Parteigenossen S<strong>im</strong>on Geisen, der bereits die<br />

Gaststätte „Zur Stadt <strong>Koblenz</strong>“ in der Weißer Straße 32 führte, scheiterte an der ablehnenden<br />

Haltung des Regierungspräsidenten. Kommissar Fuhlrott hatte den Antrag mit den Worten<br />

136 § 40 Landesverwaltungsgesetz.<br />

137 Nach einer Regelung in § 40 Landesverwaltungsgesetz nahm bei Anwesenheit einer geraden Anzahl von<br />

Mitgliedern das jüngste nicht an der Abst<strong>im</strong>mung teil. Claussen war 1909 geboren, Rausch 1898, Heß 1891.<br />

Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom 30.7.1883; PrGS, S. 195. Vgl. StAK 623 Nr. 6338, S. 72.<br />

138 StAK 623 Nr. 6337, S. 127-177, Zitat S. 164.<br />

139 <strong>Die</strong> Gaststätte der Familie von der Walde, Löhrstraße 28; StAK 623 Nr. 6338.<br />

140 StAK 623 Nr. 6337, S. 185-192, Zitat S. 191.


477<br />

„weil er das Ring-Hotel aus jüdischen bzw. halbjüdischen Händen n<strong>im</strong>mt und einer<br />

angemessenen Verwendung zuführt“ befürwortet. 141<br />

Am 9. Dezember 1935 stellte Julie von der Walde 142 für ihre Privatpension in der<br />

Löhrstraße 28 einen Antrag für den Ausschank von Getränken, vornehmlich Kaffee und<br />

alkoholfreie Getränke. Ihre Pension betreibe sie seit ca. 25 Jahren mit ihrem Sohn Rudolf.<br />

„Da es sich bei mir um die einzige jüdische Pension am Platze handelt, und die meisten<br />

arischen Gaststätten von Juden nicht mehr aufgesucht werden können, besteht für die<br />

Erteilung obiger Konzession ein unbedingtes Bedürfnis. Erwähnen möchte ich noch,<br />

dass meine Pension ausschliesslich jüdischen Gästen zugängig ist, und dass derartige<br />

Genehmigungen in sämtlichen andern rheinischen Städten aus vorerwähnten Gründen erteilt<br />

wurden.“ Nachdem sie zunächst über die Formalitäten belehrt wurde, nämlich die<br />

Einreichung eines Antrags in sechsfacher Ausfertigung mit Zeichnungen, legte sie diesen<br />

Ende Januar 1936 vor. Gemeindevorstand (Bürgermeister Binhold), Kommissar<br />

(Stadtinspektor Gross) und Polizeipräsident verneinten ein Bedürfnis ebenso wie die<br />

Wirtschaftsgruppe, die außerdem darauf aufmerksam machte, dass die Antragstellerin den<br />

Ausschank in der Löhrstraße und nicht <strong>im</strong> ursprünglich in der Schloßstraße konzessionierten<br />

Pensionsbetrieb einrichten wolle. <strong>Die</strong> DAF lehnte <strong>im</strong> Februar scharf ab: „Außerdem können<br />

wir es nicht verantworten, daß eine rein jüdische Privat-Pension ins Leben gerufen wird. Wir<br />

ersehen darin eine eventuelle Brutstätte, wo sich jüdische Elemente zusammenfinden, um<br />

ungestört ihre Zersetzungsarbeit gegen den <strong>Nationalsozialismus</strong> weiter betreiben zu können.“<br />

Es gebe in <strong>Koblenz</strong> genug jüdische Hotels, Frau von der Walde biete „keinesfalls die Gewähr<br />

für eine saubere Führung des Betriebes“ und man erwarte, dass „das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht<br />

mit uns gleicher Meinung ist.“ Unter dem Vorsitz von Wirtz lehnte das <strong>Stadtverwaltung</strong>s-<br />

gericht am 10. März 1936 die Genehmigung des Ausschanks ab, weil die Bedürfnisfrage<br />

verneint wurde. Es handele sich nur um eine kleine Pension, die für den Fremdenverkehr<br />

nicht von außerordentlicher Bedeutung sei. <strong>Die</strong> Entscheidungen des <strong>Stadtverwaltung</strong>sgerichts<br />

wurden mehrheitlich gefällt. Vorsitzender Wirtz machte in diesem Fall seine abweichende<br />

Haltung handschriftlich unter dem Entwurf deutlich: „Ich möchte nicht verhehlen, daß ich<br />

persönlich anderer Ansicht bin; einmal weil jede Pension zwecks Vermeidung von<br />

Ungerechtigkeiten in d.[er] Behandlung die alkoholfreie Ausschankerlaubnis haben soll,<br />

sodann aber weil bei der Ausschließung der Juden überall die [?] rein jüdischen Pensionen<br />

auch diese Konzession haben müssen. Wo soll denn der Jude essen und trinken und sich<br />

zusammenschließen?“ 143<br />

141 StAK 623 Nr. 6337, S. 197-233, Zitat S. 212.<br />

142 Julie von der Walde geb. Marx, geb. 23.2.1868 Kaisersesch, zuletzt wohnhaft in Bonn, getrennt lebend<br />

von ihrem Ehemann Julius von der Walde (geb. 28.7.1876 Wittlich), vier Kinder, als Julie Walde am<br />

15.6.1942 von Köln nach Theresienstadt und von dort am 19.9.1942 nach Treblinka deportiert; StAK M 28,<br />

Familienblatt Julius Walde in Hausblatt Löhrstraße 28; BArch, Gedenkbuch-CD-Rom (2006).<br />

143 StAK 623 Nr. 6338, S. 1-24, Zitate S. 1 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original), 15, 24.


478<br />

Julie von der Walde legte am 23. April Einspruch ein. Verschiedene Verwaltungsgerichtshöfe<br />

hätten Schankerlaubnisse erteilt, wenn der Betrieb nur für Juden zugänglich und sichtbar<br />

gekennzeichnet sei. Außerdem sei ihre Pension nicht klein, sondern sie biete 80 Personen<br />

Sitzgelegenheit. Assessor Habbel musste von der Walde belehren, dass ihr Einspruch erst<br />

nach der vierzehntägigen Frist eingegangen und somit zu spät sei. Er vermerkte, von der<br />

Walde habe gebeten, ihn dann als Neuantrag anzusehen. Erwartungsgemäß blieben<br />

Wirtschaftsgruppe und DAF bei ihrer Ablehnung. Binhold und Gross bemerkten mit gleichem<br />

Wortlaut, eine Stellungnahme erübrige sich, weil der abgelehnte Bescheid durch das<br />

Versäumnis der Antragstellerin Rechtskraft erlangt habe. Der Polizeipräsident erklärte, es<br />

liege kein Bedürfnis vor, da das Hotel Continental vorhanden sei, was Wirtz zu der<br />

Randbemerkung „nur ein Haus für alle Juden ohne Wohnung?“ veranlasste. Habbel schätzte<br />

in einer Notiz für Wirtz die Rechtslage so ein, dass der Antrag abgelehnt werden müsse. Am<br />

besten solle man von der Walde empfehlen, den Antrag zurückzuziehen, um ihr weitere<br />

unnötige Kosten zu ersparen. 144<br />

Doch jetzt ließ Wirtz nicht locker in seinem Bemühen, der Antragstellerin zu helfen, und<br />

nahm den Hinweis der Wirtschaftsgruppe auf. Er ließ sich die alte Konzessionsakte vorlegen<br />

und von der Walde mitteilen, sie solle unter Vorlage ihrer alten Konzessionsurkunde<br />

vorsprechen. Am 17. Juni erschien dann der Sohn, Paul von der Walde. Er gab an, die<br />

Pension bestehe seit 27 Jahren und sei mehrfach umgezogen, von Schloßstraße 12, Mainzer<br />

Straße 16 und Schloßstraße 23 schließlich seit 1. Dezember 1935 in die Löhrstraße 28, als<br />

sich dort die Gelegenheit bot, das rein jüdische Gasthaus Hein wegen Auswanderung nach<br />

Palästina zu erwerben. „Auch wir sind ein rein rituelles Speisehaus“, erklärte von der Walde.<br />

Sie verkaufe aufgrund der neuen Gesetzgebung „neu koscheres Fleisch“ und führe ihre<br />

Pension nach streng rituellen Best<strong>im</strong>mungen. Ein Bedürfnis sei vorhanden, da nicht-arische<br />

Personen die christlichen Gaststätten nicht mehr besuchen dürften und „die Juden sich auch<br />

infolge dieser Gesetzgebung wieder auf sich selbst besonnen haben und vielfach zu ihrer<br />

Religion zurückgekehrt sind.“ Früher hätte auf einen Ausschank verzichtet werden können,<br />

da Juden in einer der nächsten Gaststätten ihre Getränke hätten zu sich nehmen können.<br />

Ihre Kunden könnten teils aus finanziellen, teils aus religiösen Gründen nicht ins Hotel<br />

Continental ausweichen, das nicht religiös geführt werde und keine jüdischen Speisen<br />

anbiete. Seine Mutter habe die Frist krankheitsbedingt versäumt. Da sie alt sei und um<br />

Schwierigkeiten zu vermeiden, wolle er die Konzession für sich beantragen. Der Gastraum<br />

fasse 80 bis 100 Personen, derzeit würden ca. 40 Essen mittags und abends ausgegeben. Von<br />

der Walde wurde aufgegeben, die Bauzeichnung sofort zu aktualisieren, damit über den<br />

Antrag noch in der nächsten Sitzung des <strong>Stadtverwaltung</strong>sgerichts entschieden werden könne.<br />

Noch am selben Tag wurden alle Abschriften für die Stellungnahmen verschickt. Habbel<br />

besichtigte am nächsten Tag die neu hergerichteten Gasträume und stellte fest, sie „machen<br />

144 StAK 623 Nr. 6338, S. 32-49, Zitat S. 48.


479<br />

einen freundlichen Eindruck“ – eine bemerkenswert positive Einschätzung, da Juden in der<br />

nationalsozialistischen Rassenideologie als schmutzig und unordentlich galten. Polizei-<br />

präsident und Wirtschaftsgruppe verneinten ein Bedürfnis. <strong>Die</strong> DAF lehnte den Antrag<br />

kategorisch ab: „Unser Standpunkt ist, dass wir in Deutschland keinen Juden mit der Führung<br />

eines Betriebes betrauen können. Es ist hier die Gefahr vorhanden, dass eine Brutstätte ins<br />

Leben gerufen wird, um staatsfeindliche Machenschaften auszuarbeiten.“ 145<br />

Das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht beriet den Antrag in seiner Sitzung vom 2. Juli 1936. Unter dem<br />

Vorsitz von Wirtz tagten als weitere Mitglieder die Ratsherren und Ortsgruppenleiter Krings<br />

und Heß 146 sowie Katterbach. Vorbehaltlich der Genehmigung des Regierungspräsidenten<br />

erteilte das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht die Konzession zum Ausschank von alkoholfreien<br />

Getränken, Flaschenbier und -wein unter der „Auflage, dass der Wirtschaftsbetrieb lediglich<br />

auf Juden beschränkt bleibt und diese Beschränkung durch deutlich lesbare Aufschrift<br />

kenntlich gemacht wird.“ Der Regierungspräsident erteilte die Ausnahmegenehmigung am<br />

30. Juli und verwies zusätzlich auf einen neuen Runderlass des Reichsführers SS und Chefs<br />

der deutschen Polizei vom 11. Juli 1936. Danach enthielt die Erlaubnisurkunde vom<br />

31. August als weitere Auflage ein Beschäftigungsverbot für deutschblütiges weibliches<br />

Personal. Ein Jahr später, Anfang September 1937, stellte Paul von der Waldes Bruder Josef<br />

einen Antrag auf Übertragung der Konzession. Kommissar Fuhlrott erhob ebensowenig<br />

Bedenken wie die Wirtschaftsgruppe, die allerdings darauf hinwies, dass der jetzige Inhaber<br />

noch nicht die vorgeschriebene Kennzeichnung des Betriebes vorgenommen habe. <strong>Die</strong> DAF<br />

lehnte in gewohnter Schärfe ab: „Wir vermögen keinen Grund zu erkennen, warum nunmehr<br />

der Bruder den Betrieb übernehmen will. Sicherlich steckt irgend eine jüdische Spitz-<br />

findigkeit dahinter.“ Der Polizeipräsident bat am 10. Dezember um Ablehnung des Antrags.<br />

Von der Walde gelte als unzuverlässig, Unterlagen dazu könne die Staatspolizei liefern.<br />

Umgehend suchte Habbel dort um nähere Angaben nach. Bloße Behauptungen, so schrieb er,<br />

genügten für eine Ablehnung nicht, es müssten Tatsachen vorliegen. <strong>Die</strong> Absendung der<br />

Anfrage erübrigte sich jedoch, da von der Walde seinen Antrag laut Notiz vom 16. Dezember<br />

zurücknahm. 147<br />

Nun beantragte am 14. Dezember 1937 Wilhelm Kahn 148 die Konzession für die Übernahme<br />

des Betriebs. Kahn war als Kriegsteilnehmer mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem<br />

Frontkämpferabzeichen ausgezeichnet worden, Moser stellte ihm als Vorsitzender der<br />

Synagogengemeinde ein Leumundszeugnis aus. Doch alle beteiligten Institutionen lehnten<br />

145 StAK 623 Nr. 6338, S. 49-69, Zitate S. 51, 54, 69.<br />

146 Da eine gerade Anzahl von Mitgliedern anwesend war, nahm Heß als jüngstes Mitglied gemäß § 40<br />

Landesverwaltungsgesetz nicht an der Abst<strong>im</strong>mung teil; StAK 623 Nr. 6338, S. 72.<br />

147 StAK 623 Nr. 6338, S. 70-110, Zitate S. 72, 107.<br />

148 Geb. 19.11.1879 Kottenhe<strong>im</strong>, Kaufmann (Mehlgroßhandel), verheiratet mit Jenny geb. Salomon, geb.<br />

5.8.1888 Kruft, beide am 22.3.1942 von <strong>Koblenz</strong> nach Izbica deportiert. Ihre beiden Kinder emigrierten<br />

1939 nach Großbritannien. Thill: Lebensbilder, S. 181-184, 351.


480<br />

den Antrag ab, da ein Bedürfnis verneint wurde. Eine Ausnahme bildete der Kommissar zur<br />

Wahrung des öffentlichen Interesses, Stadtrat Fuhlrott. Er bleibe bei seiner Stellungnahme<br />

wie bei Josef von der Walde, dass er keine Bedenken erhebe unter der Bedingung, dass der<br />

Betrieb nur für Juden best<strong>im</strong>mt sei und kein deutschblütiges Personal beschäftigt werde. Das<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht tagte am 17. Januar 1938 unter dem Vorsitz von Wittgen, weil Wirtz<br />

aufgrund des John-Prozesses beurlaubt war. Der Antrag wurde angesichts der überwiegend<br />

negativen Stellungnahmen abgelehnt. <strong>Die</strong> Begründung hob hervor, dass der Polizeipräsident<br />

einen von einer nicht-arischen Person geführten und von nicht-arischen Personen besuchten<br />

Betrieb als dem öffentlichen Interesse entgegenstehend bezeichnet hatte. Rechtsanwalt Dr.<br />

Arthur Salomon legte daraufhin für Kahn Berufung ein. Er legte dar, ein Bedürfnis bestehe<br />

für Ortsansässige, Besucher der Viehmärkte und Durchreisende. <strong>Die</strong> Auffassung, der Betrieb<br />

stehe dem öffentlichen Interesse entgegen, verkenne, dass die Rechtslage sogar die<br />

Neuerrichtung jüdischer Gaststätten erlaube. Das <strong>Stadtverwaltung</strong>sgericht Hannover habe<br />

entschieden, dies entspreche dem Geist der Nürnberger Gesetze. Dazu legte Salomon der<br />

Berufungsinstanz, dem Bezirksverwaltungsgericht, drei positive Entscheidungen des<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>sgerichts Köln, des Bezirksverwaltungsgerichts Berlin und sogar des<br />

Reichsinnenministers zu einem Fall in Mannhe<strong>im</strong> vor. 149 Als Beleg für das bestehende<br />

Bedürfnis lieferte die Synagogengemeinde am 26. Januar 1938 statistische Zahlen zur<br />

jüdischen Gemeinde, die danach noch aus 120 Familien, 142 allein stehenden Männern und<br />

Frauen, insgesamt ca. 470 Seelen bestand. Ein Bedürfnis sei also durchaus vorhanden, denn<br />

dazu kämen noch Geschäftsreisende, Viehhändler, Besucher und Teilnehmer jüdischer<br />

Hochzeiten. 150<br />

Am 3. März 1938 kam es zu einer der seltenen Berufungsverhandlungen 151 vor dem<br />

Bezirksverwaltungsgericht unter Vorsitz von Verwaltungsgerichtsdirektor Karl Müller.<br />

Weitere Mitglieder waren Regierungsrat Otto Gock, Gauinspekteur Josef Ackermann, die<br />

beiden Kreisleiter Karl August Venter und Ernst <strong>Die</strong>denhofen sowie Gaurichter Dr. Paul<br />

Brauer. Als Vertreter der Wirtschaftsgruppe war auf deren Antrag Dr. Jakob Krämer<br />

beigeladen worden, was zeigt, welche grundlegende Bedeutung dem Fall von der<br />

gegnerischen Seite beigemessen wurde. Es ergab sich die kuriose Situation, dass der<br />

149 Reinhard Heydrich hatte sich als Vertreter des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei am<br />

1.2.1937 dem StdF gegenüber zur Frage der „Errichtung jüdischer Schankwirtschaften in München“<br />

befürwortend geäußert. Unter Auflagen und bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen bestünden<br />

grundsätzlich keine Bedenken. Als Vorteile nannte er die weitere Zurückdrängung der Juden in ein Ghetto, ihre<br />

schärfere Trennung von Deutschblütigen sowie die bessere polizeiliche Überwachungsmöglichkeit.<br />

Veröffentlicht in: Wolf Gruner (Bearb.): <strong>Die</strong> Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das<br />

nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Deutsches Reich 1933-1937. München 2008, Dok. 264, S. 635.<br />

<strong>Die</strong> auch für den Fall Erben einschlägigen Rechtsvorschriften ebd.<br />

150 StAK 623 Nr. 6338, S. 113-148. Zwischenzeitlich hatten sich außerdem die beiden Juden Julius Siegler,<br />

Trierer Straße 316, und Ernst Hirsch, Römerstraße 122, jeweils erfolglos be<strong>im</strong> Polizeipräsidenten um eine<br />

vorläufige Konzession bemüht; ebd., S. 112, 117.<br />

151 In der Zeit vom 1.4.1933 bis 31.3.1937 gingen von 249 Konzessionssachen nur 12, also knapp 5 %, in zweiter<br />

Instanz vor das Bezirksverwaltungsgericht; VB 1933-1937, S. 34.


481<br />

Kommissar als Beklagter – Fuhlrott ließ sich durch Stadtinspektor Rudolf Bode vertreten –<br />

gleichzeitig der einzige Befürworter des Antrags blieb. Das Bezirksverwaltungsgericht wies<br />

die Berufung zurück mit der Begründung, ein Bedürfnis sei nicht vorhanden. <strong>Die</strong> geringe<br />

Zahl der in <strong>Koblenz</strong> lebenden Juden und die Viehhändler könnten den Nachweis des<br />

Bedürfnisses nicht hinreichend stützen. 152 Mit der Verneinung dieser allgemeinen, auch für<br />

arische Betriebe geltenden Voraussetzung hatte das Bezirksverwaltungsgericht die rechtlich<br />

einzig stichhaltige Begründung gewählt, auch wenn sie nach den Darlegungen des Klägers<br />

nicht der Realität entsprach.<br />

7.2.4 Repräsentantenwahl der Synagogengemeinde<br />

In der Ratsherrensitzung am 11. November 1937 erkundigte sich Ratsherr Wilhelm Krings,<br />

ob am Vormittag „die Juden“ <strong>im</strong> Sitzungssaal getagt hätten. Wittgen musste dies bestätigen.<br />

Bei der Sitzung, die aufgrund gesetzlicher Best<strong>im</strong>mungen anberaumt worden sei, habe es sich<br />

um eine Wahl der Synagogengemeinde gehandelt. Doch der Oberbürgermeister „glaubte<br />

annehmen zu können, dass die Juden 1940 hier wohl nicht mehr tagen würden.“ 153<br />

<strong>Die</strong> Wahl der Repräsentanten der Synagogengemeinde fand gemäß Gesetz über die<br />

Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 regelmäßig <strong>im</strong> Rathaus statt. Als Wahlkommissar<br />

hatte diesmal Bürgermeister Binhold fungiert. <strong>Die</strong> Wahl war „ordnungsgemäss“ verlaufen,<br />

jedoch vermerkte Stadtoberinspektor Wilhelm Smits von Abteilung VII einen Tag später:<br />

„Ein Vertreter der Gehe<strong>im</strong>en Staatspolizei hat an der Wahlhandlung teilgenommen, ohne sich<br />

jedoch bei dem Wahlkommissar zu melden. Etwa eine Stunde nach der Wahl war Herr<br />

Gauinspekteur [Josef] Ackermann be<strong>im</strong> Herrn Oberbürgermeister, um sich nach dem<br />

Vorgang zu erkundigen, da bereits eine Beunruhigung in der Bevölkerung wegen des<br />

zahlreichen Besuches von Juden <strong>im</strong> Rathaus vorhanden sei. Vermutlich hat der zurzeit <strong>im</strong><br />

Rathaus beschäftigte Angestellte Stein eine entsprechende Anzeige erstattet.“ 154 Dass die<br />

Gestapo Kenntnis von der turnusmäßigen Wahl hatte, ergibt sich bereits daraus, dass die<br />

Wahl der Aufsicht der Regierung unterstand. <strong>Die</strong> Tatsache, dass sich ein Ortsgruppenleiter,<br />

nämlich Krings, und der Gauinspekteur erst bei Wittgen kundig machen mussten, zeigt, dass<br />

die Partei von diesem Vorgang zwar nicht informiert gewesen war, sich andererseits aber auf<br />

ihre Zuträger aus dem Rathaus verlassen konnte.<br />

152 StAK 623 Nr. 6338, S. 150-157.<br />

153 StAK 623 Nr. 7216, S. 233.<br />

154 StAK 623 Nr. 6669, S. 307-328, Zitate S. 328. Bei der Ratsherrensitzung am Nachmittag fehlte Binhold<br />

entschuldigt; ebd. Nr. 7216, S. 220. Auch die sich an die Repräsentantenwahl anschließende Wahl von zwei<br />

Vorstandsmitgliedern der Synagogengemeinde fand am 16.12.1937 unter dem Vorsitz von Binhold statt,<br />

allerdings wie üblich in der Synagogengemeinde am Florinsmarkt; ebd. Nr. 6669, S. 328-340, 372.


7.2.5 Jüdische Stiftungen<br />

482<br />

<strong>Die</strong> systematisch betriebene wirtschaftliche Benachteiligung der Juden setzte sich auch in<br />

Bereichen fort, die kaum <strong>im</strong> Blickfeld der Öffentlichkeit lagen. Im Juni 1938 verlangte das<br />

Berliner Wissenschaftsministerium, vertrauliche Vorarbeiten für ein Verzeichnis jüdischer<br />

Stiftungen und Vereine durchzuführen. Smits meldete, es sei dazu „hier nichts bekannt“. 155<br />

Ein Ministerialerlass des Reichsinnenministers vom 8. Mai 1939 best<strong>im</strong>mte dann, den<br />

Stiftungszweck bei paritätischen und jüdischen Stiftungen so zu ändern, dass Juden von<br />

Zuwendungen aus Stiftungsmitteln ausgeschlossen seien. Abteilung III musste die<br />

Angelegenheit begutachten. Wirtz stellte fest, dass ausgesprochen jüdische Stiftungen nicht<br />

bestünden. Nur bei zwei Stiftungen, die von Juden stammten (bei den „Zusammengelegten<br />

Wohlfahrtsstiftungen“ die Stiftung von Isaak Brag und Frau Johanna geb. Hirschmann und<br />

bei den „Zusammengelegten Studienstiftungen“ die Stiftung von August Seligmann), war der<br />

Ertrag paritätisch zu verwenden, „also für deutsche Volksgenossen und Juden“. Bei den<br />

übrigen Stiftungen seien Juden nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Wirtz urteilte: „Nach Lage<br />

der Sache wird es nicht für erforderlich gehalten, mit den Rechtsnachfolgern der Stifter wegen<br />

des vorzunehmenden Ausschlusses der Juden besonders zu verhandeln, da das Einverständnis<br />

der zuständigen Rechtsnachfolger – soweit solche überhaupt noch festzustellen wären – ohne<br />

weiteres als gegeben vorausgesetzt werden kann.“ Bei über 100 Einzelstiftungen sei die<br />

Einholung des Einverständnisses sowieso fast unmöglich. Zusammenfassend hielt es Wirtz<br />

für „grundsätzlich unbedenklich, für sämtliche unselbständigen, d. h. nicht rechtsfähigen<br />

Stiftungen, den Ausschluss der Juden durch eine Entschliessung des Verwaltungsleiters ohne<br />

weiter gehende Erörterung festzustellen.“ 156 <strong>Die</strong>se erfolgte dann in der Ratsherrensitzung am<br />

26. Oktober 1939, die Ratsherren erhoben erwartungsgemäß keine Bedenken. Bei allen<br />

Stiftungen, deren Erträge „ohne Rücksicht auf die Konfession“ auszuschütten waren, wurde<br />

das religiöse Bekenntnis für unerheblich erklärt, doch die „Zugehörigkeit zur jüdischen<br />

Rasse“ schloss in Zukunft dauernd vom Genuss der Stiftungsmittel aus. „<strong>Die</strong> Stiftungsmittel<br />

dürfen deshalb nur deutschblütigen Volksgenossen zugute kommen.“ 157<br />

7.2.6 Reichspogromnacht und Synagoge<br />

Wegen Organisation und aktiver Beteiligung an den Zerstörungen in der Reichspogromnacht,<br />

die am frühen Morgen des 10. November um ca. 4 Uhr begonnen hatten, 158 wurde Ratsherr<br />

und Ortsgruppenleiter Wilhelm Krings am 12. Juli 1951 als Hauptangeklagter vom<br />

155 StAK 623 Nr. 6669, S. 304-306, Zitat S. 306.<br />

156 StAK 623 Nr. 6669, S. 396-403, Zitate S. 400-402. Bei den drei Vermächtnisnehmern der Stiftung Mohr<br />

wurde angenommen, dass sie arisch seien. <strong>Die</strong> Liegenschaftsverwaltung wurde mit entsprechenden<br />

Nachforschungen beauftragt.<br />

157 StAK 623 Nr. 7216, S. 381 f. <strong>Die</strong> Entschließung nahm sowohl auf den Ministerialerlass als auch auf § 66<br />

Abs. 2 DGO Bezug. Danach war noch die Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich.<br />

158 Ries: Wozu Menschen fähig sind, S. 53-55.


483<br />

Landgericht <strong>Koblenz</strong> zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.<br />

Krings war geständig gewesen. Seine Strafe galt durch die erlittene Internierungs- und<br />

Untersuchungshaft als verbüßt. 159 Stadtrat Fuhlrott und Sparkassendirektor Plönissen, beide<br />

ebenfalls Leiter einer Ortsgruppe, konnte bei den Ermittlungen der Spruchkammer eine<br />

direkte Beteiligung nicht nachgewiesen werden. Dass sie von der bevorstehenden Aktion<br />

Kenntnis hatten 160 oder in der Nacht informiert wurden, kann aber als wahrscheinlich gelten.<br />

Plönissen, in dessen Ortsgruppe Altstadt viele Juden wohnten und den ein Zeuge als scharfen<br />

Antisemiten bezeichnete, soll „Genugtuung und lebhaftes Interesse“ an der „Judenaktion“<br />

gezeigt haben. 161 Als Beweis für seine Nichtteilnahme legte Plönissen eine Bescheinigung<br />

von drei Zeugen vor, die „in der Nacht vom 8. zum 9.11.38“ bei ihm zu Hause als Gäste<br />

gewesen seien. 162 Keinem Angehörigen der Spruchkammer fiel das falsche Datum auf.<br />

Fuhlrott behauptete 1948, in seiner Ortsgruppe sei nichts passiert, obwohl auf dem in seinem<br />

Hoheitsgebiet, seiner Privatwohnung direkt gegenüber liegenden jüdischen Friedhof 163<br />

Zerstörungen angerichtet wurden. 164 Erst auf dem morgendlichen Weg ins Büro habe er die<br />

Verwüstungen in der Stadt gesehen. Er und Wittgen hätten darüber gesprochen und „kamen<br />

zu dem Schluss, dass dies ein Wahnsinn 165 war, deren Kosten schließlich nur das deutsche<br />

Volk wieder zu tragen hatte“. Vorher habe er nichts von dieser Aktion der SA gewusst, denn<br />

als Nicht-<strong>Koblenz</strong>er sei er auch nicht über alles informiert worden. Seine Machtposition<br />

spielte Fuhlrott herunter: In <strong>Koblenz</strong> als Sitz der Gau- und Kreisleitung seien „wir<br />

Ortsgruppenleiter […] praktisch nur den Blockleitern auf dem Lande zu vergleichen“<br />

gewesen. 166<br />

159 LHAKo Best. 584,1 Nr. 1332; ebd. Nr. 1105, Bl. 5 f.; Ries: Wozu Menschen fähig sind, S. 186-196, 199-208;<br />

RZ, 13.7.1951: Urteile <strong>im</strong> „Kristallnachtprozeß“ [alle Namen der Verurteilten abgekürzt!].<br />

160 So fand in der Stadthalle am 9.11.1938 ab 20.30 Uhr eine Gedenkveranstaltung für die Toten des 9.11.1923<br />

statt. Es sprachen SA-Brigadeführer Conrad Boese und der evangelische Pfarrer und Gauamtsleiter Rudolf<br />

Wolfrum. <strong>Die</strong> Teilnahme aller Politischen Leiter war eine selbstverständliche Pflicht. NB, 8.11.1938: Der 9.<br />

November in <strong>Koblenz</strong>; NB, 9.11.1938: <strong>Koblenz</strong> gedenkt des 9. November.<br />

161 LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Karl Fischbach vom 18.10.1947, Mohr vom 18.10.1947 (Zitate).<br />

Der Fotograf Karl Stiebel erklärte dagegen, Plönissen habe ihm keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt, auch<br />

nicht nach Kenntnis „meiner nichtarischen Abstammung (Halbjude)“; ebd., Stiebel vom 4.12.1946.<br />

162 Der undatierte Persilschein ist u. a. unterschrieben von Plönissens Schwester Elfriede und deren Ehemann<br />

Franz Ackermann, Bruder des Gauinspekteurs Josef Ackermann; LHAKo Best. 856 Nr. 110984.<br />

163 Fuhlrott wohnte von 1934 bis 1943 in der Moselweißer Straße 16, einem Eckhaus an der Schwerzstraße;<br />

StAK M 83. <strong>Die</strong> auf dem Judenfriedhof befindliche Allee aus 64 Kastanienbäumen stellte die Städtische<br />

Kreisstelle für Naturdenkmalpflege <strong>im</strong> November 1934 unter Naturschutz. Auf Bitte der Synagogengemeinde<br />

gab das städtische Garten- und Friedhofsamt dem katholischen Friedhofsgärtner Peter Decker Tipps zur<br />

Baumpflege. StAK 623 Nr. 9492, S. 136-139, 230 f. 1942 wurden unter der Aufsicht von Ortsgruppenleiter<br />

Fuhlrott jüdische Grabsteine abtransportiert. Udo Liessem/Hildburg-Helene Thill: Zur Erinnerung an die<br />

<strong>Koblenz</strong>er Synagoge (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek <strong>Koblenz</strong> 17). <strong>Koblenz</strong> 1986, S. 15. Vgl. StAK 623<br />

Nr. 8191.<br />

164 Ries: Wozu Menschen fähig sind, S. 79, 89.<br />

165 Tatsächlich empörten sich viele Deutsche über die durch die Verwüstungen angerichtete Verletzung<br />

allgemein anerkannter Werte (Sparsamkeit, Schutz des Eigentums, Ruhe, Ordnung, Abscheu vor roher Gewalt,<br />

Anstand gegenüber dem Nachbarn, Mitleid etc.). William S. Allen: <strong>Die</strong> deutsche Öffentlichkeit und die<br />

„Reichskristallnacht“ – Konflikte zwischen Werthierarchie und Propaganda <strong>im</strong> Dritten Reich. In:<br />

Peukert/Reulecke (Hg.): <strong>Die</strong> Reihen fast geschlossen, S. 397-411. Auch Göring war verärgert über die<br />

Zerstörung von Sachwerten: „Mir wäre lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und nicht solche Werte<br />

vernichtet.“ Zit. n. Wildt: Geschichte des <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 129.<br />

166 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Fuhlrott vom 6.4.1948.


484<br />

<strong>Die</strong> Inneneinrichtung der Synagoge wurde restlos zertrümmert, das Gebäude aber wegen<br />

der engen Altstadtbebauung nicht in Brand gesteckt. „<strong>Die</strong> zwanzig Thorarollen mit<br />

Thoraschmuck konnten von Stadtarchivdirektor Bellinghausen und seinen Mitarbeitern<br />

Peter Kloke und Anton Mauer geborgen und <strong>im</strong> Krämerbau an der Danne, der Teile des<br />

Stadtarchivs enthielt, in einer Mauernische versteckt werden“. Dort verbrannten sie jedoch<br />

<strong>im</strong> Juni 1944 bei der Zerstörung des Gebäudes durch einen Bombenangriff. 167 Im Januar<br />

1939 verbuchte Museumsdiener Kohlhoff den Neuzugang von zwei Gemälden, die <strong>im</strong><br />

Eingangsbereich der Synagoge gehangen hatten, mit den Worten: „schwer beschädigt bei<br />

dem Aufstand gegen die Juden vom Schloßmuseum übernommen“. 168<br />

In der Sitzung vom 24. November 1938 wurden die Ratsherren über die in <strong>Koblenz</strong> noch<br />

vorhandenen 50 jüdischen Gewerbebetriebe informiert: „24 Handelsvertreter, 14 offene<br />

Geschäfte, aber alle kleinerer Art bis auf Speier (Schuhe), Textilverkaufsgenossenschaft<br />

Fortschritt, Betty Vogel (Korsett) wird arisiert, hinzukommt aber wahrscheinlich die Firma<br />

Laeis, Pollack ist inzwischen arisiert, 9 Grosshandlungen, insbesondere Günther (Wein &<br />

Mehl), Koppel, Osterburg 169 , Treidel (Weine), Kahn (Mehl), Gutmann & Peiser (Holz),<br />

2 Handwerker, 1 ärztliche Klinik, Dr. Reich“. 170 Nach der Verordnung zur Ausschaltung der<br />

Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 mussten die Geschäfte<br />

zum 1. Januar 1939 geschlossen werden. 171 Der Verwaltungsbericht für 1938 nannte<br />

34 geschlossene jüdische Handelsbetriebe sowie einen arisierten Betrieb: „Seit 1.1.1939 ist<br />

das <strong>Koblenz</strong>er Geschäftsleben judenfrei.“ 172<br />

Nachdem die Synagoge <strong>im</strong> Dezember 1938 entschädigungslos in städtisches Eigentum<br />

übergegangen war, 173 griff die <strong>Stadtverwaltung</strong> einen Vorschlag des Ratsherrn Karbach vom<br />

Oktober zur Verlegung des Standesamtes auf. 174 Am 21. Januar 1939 gab Wittgen dem<br />

Stadtgestaltungsamt den Auftrag, den entsprechenden Umbau der ehemaligen Synagoge zu<br />

prüfen und einen Kostenvoranschlag zu erstellen. Nach Ortsbesichtigungen legte Stadtbaurat<br />

Karl Stanienda schon drei Tage später einen Erläuterungsbericht „Umbau Bürreshe<strong>im</strong>er Hof“<br />

vor, der für den Provinzialkonservator der Rheinprovinz in Bonn best<strong>im</strong>mt war. <strong>Die</strong><br />

167 Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 324. Vgl. LHAKo Best. 856 Nr. 110118 (unpaginiert), Bellinghausen vom<br />

26.6.1947. Kritisch dazu Ries: Wozu Menschen fähig sind, S. 59 f.<br />

168 Zit. n. Klaus Weschenfelder: „Be<strong>im</strong> Aufstand gegen die Juden ... übernommen“. Zur Rückgabe zweier<br />

Gemälde an die Jüdische Kultusgemeinde <strong>Koblenz</strong>. In: Beiträge öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik<br />

Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischem Besitz. Magdeburg 2001, S. 160-169,<br />

hier S. 161. <strong>Die</strong> beiden Bilder wurden bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung 1998/99 <strong>im</strong> Depot des<br />

Mittelrhein-Museums wiederentdeckt und der Jüdischen Kultusgemeinde zurückgegeben, die sie als<br />

Dauerleihgabe <strong>im</strong> Museum beließ. RZ, 29.9.2000: Bilder aus Nazi-Kunstraub zurückgegeben.<br />

169 Wahrscheinlich der Vieh- und Weinhändler Sally Oster, der am 22.3.1942 zusammen mit seiner Familie nach<br />

Izbica deportiert wurde; Thill: Lebensbilder, S. 178, 271 f.<br />

170 StAK 623 Nr. 7216, S. 316. Vgl. ebd. Nr. 3261.<br />

171 RGBl. I, S. 1580. Schon <strong>im</strong> Sommer hatten die Gemeinden ein öffentliches Verzeichnis der „Judenbetriebe“<br />

erstellen müssen; NB, 29.8.1938: Oeffentliches Verzeichnis der Judenbetriebe.<br />

172 VB 1938/39, S. 93.<br />

173 Vgl. Kapitel 7.2.8.<br />

174 StAK 623 Nr. 7216, S. 310.


485<br />

Synagogengemeinde habe be<strong>im</strong> Einbau des Synagogensaals in die oberen Geschosse<br />

„rücksichtslos“ die Gebäudegestalt zerstört. Jetzt wolle die Stadt als neue Eigentümerin bei<br />

ihren Umbau- und Renovierungsmaßnahmen die ursprüngliche Form wiederherstellen und in<br />

einem zweiten Bauabschnitt den Renaissance-Giebel rekonstruieren. Im Bericht hieß es jetzt<br />

aber, das Gebäude solle durch die Partei und ihre Gliederungen genutzt werden, die Interesse<br />

angemeldet hatten. 175 Wittgen beantragte am 25. März 1939 be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten<br />

einen Zuschuss für den mit 100.000 RM veranschlagten Umbau des ehemaligen Adelshofes,<br />

dessen wunderbaren Barockstil „die Juden […] vollständig verschandelt“ hätten. Das<br />

Standesamt, repräsentative Trausäle 176 und andere städtische <strong>Die</strong>nststellen sollten dort<br />

untergebracht werden. Vorläufig aber bitte die Partei um Überlassung der Räume „für das<br />

unbedingt notwendige HJ-He<strong>im</strong> und einen NSV-Kindergarten in der Altstadt“. 177 Das<br />

Nationalblatt hatte den neuen Kindergarten der NSV schon Wochen vorher vollmundig<br />

angekündigt. 178 Mischke besprach die Angelegenheit <strong>im</strong> Reichsinnenministerium, worauf er<br />

den Antrag Wittgens kassierte. Der Regierungspräsident beantragte Mitte April in Berlin eine<br />

Sonderzuweisung von 40.000 RM, ohne die geplante Nutzung durch die Partei mit einem<br />

Wort zu erwähnen. Trotzdem wies die von Staatssekretär Surén unterzeichnete Bewilligung<br />

einer Beihilfe über 30.000 RM vom 12. Mai ausdrücklich darauf hin, dass das Gebäude nur<br />

städtischen Zwecken dienen dürfe. Als die NSV-Kreisleitung noch Mitte 1939 mehrfach auf<br />

Abschluss eines langfristigen Mietvertrags für den Kindergarten drängte, teilte die Stadt<br />

mit, dass die ehemalige Synagoge nach Absprache mit dem Gau- und Kreisleiter für<br />

Verwaltungszwecke umgebaut werde. Trotzdem versuchte die Partei, einen Anteil vom<br />

Kuchen zu bekommen. Wirtz bat am 25. Juli die Regierung um Überweisung der Beihilfe:<br />

„Hierbei erwähne [!] ich, daß auf Antrag des Vorstandes des Vereins zur Förderung der NS-<br />

Schülerinnenhe<strong>im</strong>e ein Betrag von 10000 RM abgetrennt werden und zur Förderung des NS-<br />

Schülerinnenhe<strong>im</strong>es in <strong>Koblenz</strong>, Mainzerstraße 32, Verwendung finden soll.“ Eine Reaktion<br />

der Regierung ist nicht überliefert. Der Zweite Weltkrieg durchkreuzte ohnehin sämtliche<br />

Pläne. Anfang September erklärte Fuhlrott, die Unterbringung des neuen Wirtschafts- und<br />

Ernährungsamtes in der Thielenschule sei unzureichend, als Standort sei jetzt die ehemalige<br />

Synagoge vorgesehen. Im Oktober war der Umzug nach einer notdürftigen Wiederherrichtung<br />

der Räume bewerkstelligt, außerdem hatte der Polizeipräsident <strong>im</strong> Erdgeschoss eine<br />

Luftschutz-Rettungsstelle eingerichtet. 179<br />

175<br />

StAK 623 Nr. 3601, Zitat S. 1.<br />

176<br />

Im ersten Obergeschoss waren ein „Großer Trausaal“ von 200 qm und ein „Kleiner Trausaal“ von 44 qm<br />

vorgesehen; StAK K 1363.<br />

177<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 613 f. (Zitate); StAK 623 Nr. 9672, S. 324-331, 355.<br />

178<br />

NB, 8.3.1939: Frühere Synagoge wird NSV-Kindergarten.<br />

179<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 43514, S. 611-694, Zitat S. 620; StAK 623 Nr. 6590, S. 1-12, 16, 18 f. Zum Hin und<br />

Her der Nutzungsabsichten vgl. die Entwürfe des Stadtgestaltungsamtes vom April 1939 bis 1.9.1939, u. a. auch<br />

für den NSV-Kindergarten; StAK K 41 f., 690-692, 724-727, 789-807, 1363, 1384. Der Kindergarten wurde<br />

schließlich Anfang September <strong>im</strong> Nordflügel des Schlosses eröffnet; NB, 7.9.1939: Spielen und Lachen <strong>im</strong><br />

NSV-Kindergarten.


486<br />

7.2.7 Preisüberwachung bei der „Arisierung“ von Immobilien 180<br />

Kurz vor der Reichspogromnacht, am 5. November 1938, ermahnte Regierungspräsident<br />

Mischke in einer Verfügung zur „Preisüberwachung bei der Veräusserung jüdischer<br />

Grundstücke“ die Landräte und (Ober-)Bürgermeister als zuständige Preisbehörde, „bei der<br />

Veräusserung jüdischer Grundstücke – seien sie bebaut oder unbebaut – nur in ganz<br />

besonderen Ausnahmefällen Preise zu genehmigen, die den Einheitswert übersteigen.“ Bei<br />

besonders schlechtem Erhaltungszustand von Gebäuden seien „nur solche Preise zuzulassen,<br />

die entsprechend unter dem Einheitswerte liegen.“ 181 Am 18. November verfügte der<br />

Regierungspräsident die Aufstellung eines Verzeichnisses des <strong>im</strong> Stadtkreis gelegenen, „<strong>im</strong><br />

Eigentum von Juden befindlichen land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz“. <strong>Die</strong> von<br />

Abteilung XII (Liegenschaftsverwaltung) erstellte Liste diente zunächst Kontrollzwecken,<br />

denn Veräußerungen waren gemäß Runderlass des Reichsministers für Ernährung und<br />

Landwirtschaft vom 15. November vorerst zurückzustellen. Der Kreisbauernführer erhielt<br />

eine Abschrift der Liste. 182<br />

Eine weitere Verfügung des Regierungspräsidenten vom 26. November 1938 beschäftigte<br />

sich dann mit der „Arisierung jüdischen Grundbesitzes“. Seine Erwartungen formulierte<br />

Mischke unmissverständlich: „Neben der Entjudung der Wirtschaft muß nunmehr auch der<br />

jüdische Grundbesitz, sei er bebaut oder unbebaut, in deutsche Hände mit Energie überführt<br />

werden.“ Er forderte eine Liste des bebauten Grundbesitzes an, von der eine Ausfertigung<br />

Kreisleiter Claussen zugehen sollte, denn Kaufinteressenten waren zur Einsichtnahme an ihn<br />

zu verweisen. Das „Verzeichnis über den bebauten und unbebauten Grundbesitz, der sich <strong>im</strong><br />

Eigentum von Juden befindet, <strong>im</strong> Stadtkreis <strong>Koblenz</strong>“ enthielt dann nicht nur – wie verlangt –<br />

den bebauten, sondern auch den unbebauten Grundbesitz. Aufgeführt waren maschinen-<br />

schriftlich 114 laufende Nummern, handschriftlich wurden später die Nummern 115 bis 120<br />

ergänzt. In der Rubrik Bemerkungen gab es bereits Eintragungen „verkauft“, zum Teil<br />

wurden sie später ebenfalls ergänzt. 183<br />

<strong>Die</strong> Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 184<br />

regelte die Preisüberwachung neu. Verfügungen von Juden über Grundstücke bedurften zu<br />

ihrer Wirksamkeit jetzt der Genehmigung des Regierungspräsidenten. <strong>Die</strong>s betraf alle<br />

Grundstücksverkäufe ab dem 9. November. Insbesondere, so Mischke, solle sichergestellt<br />

sein, dass der Arisierungsgewinn dem Reich zufiel. Am 9. Januar 1939 verlangte er ein<br />

180<br />

Zum Folgenden vgl. Walter Rummel/Jochen Rath: „Dem Reich verfallen“ – „den Berechtigten<br />

zurückzuerstatten“. Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens <strong>im</strong> Gebiet des heutigen Rheinland-<br />

Pfalz 1938-1953 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 96). <strong>Koblenz</strong> 2001, S. 65-74;<br />

NB, 12.8.1938: Ausschaltung der Juden aus Haus- und Grundbesitz.<br />

181<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 11.<br />

182<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 8-10, 12-15, Zitat S. 9.<br />

183<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 1-7, 16-18, Zitat S. 16 f.<br />

184 RGBl. I, S. 1709.


487<br />

Verzeichnis aller vorliegenden Kaufverträge, außerdem verfügte er, „sofort mit der<br />

Abschätzung sämtlicher verkaufter jüdischer Grundstücke (ohne die land- und forst-<br />

wirtschaftlichen) zu beginnen“. 185 Am 3. Februar schickte der Regierungspräsident<br />

„Vorläufige Richtlinien über den Verkauf jüdischer Grundstücke“ mit ersten genaueren<br />

Direktiven über den Ablauf des Verfahrens. Er sei bereit, besonders eilige Verträge schon<br />

jetzt zu genehmigen, wenn die Einreisegenehmigung des Auswanderungslandes 186 vorliege.<br />

Es dürften dabei nur Verträge vorgelegt werden, die „von Juden freiwillig abgeschlossen<br />

worden sind.“ Nur er selbst, so erklärte er ganz offen und wie selbstverständlich, dürfe<br />

„Juden zum Verkauf zwingen“. Als weitere Auflagen nannte der Regierungspräsident: Das<br />

Grundstück muss amtlich abgeschätzt worden sein, der Käufer muss den Schätzungswert<br />

sofort bar zahlen. Als Kaufpreis an den Juden darf nur Dreiviertel des Schätzungswerts gehen,<br />

wobei unbedeutende Abweichungen möglich sind. Nur ausnahmsweise darf in voller Höhe<br />

des Schätzungswerts gezahlt werden, wenn dies zur Begleichung von Schulden, Steuern und<br />

Finanzierung der Auswanderung notwendig ist. <strong>Die</strong> Kosten der Abschätzung und die<br />

Grundbuchumschreibung muss der Jude tragen, die Grunderwerbssteuer der Erwerber. Der<br />

Erwerber muss die Differenz zwischen Schätzungswert und Kaufpreis sofort und in bar an das<br />

Reich zahlen. 187 <strong>Die</strong>ser „Arisierungsgewinn“, also der eigentliche Profit des Käufers an<br />

diesem Geschäft, wurde als „Ausgleichsabgabe“ vom Reich abgeschöpft. 188<br />

In der Praxis ergaben sich schnell die ersten Unsicherheiten <strong>im</strong> Umgang mit jüdischen<br />

Verkaufswilligen. Stadtvermessungsrat Oswald Breuer erkundigte sich am 8. Februar bei der<br />

Bauverwaltung, ob schon Abschätzungen gegen Zahlung der Gebühr vorgenommen werden<br />

dürften. Man hielt Rücksprache mit Regierungsrat Billing 189 , der keine Bedenken erhob.<br />

Unsicherheiten und Unklarheiten bestanden aber ganz offenbar noch mehr und auch<br />

andernorts, denn Mischke ließ am 21. Februar und am 1. März zwei weitere Verfügungen<br />

folgen, die Detailfragen behandelten und eine Besprechung mit seinem Sachbearbeiter Billing<br />

ankündigten. Seit Mischkes Anweisung vom 5. November, dass der Immobilienwert nicht<br />

zu hoch angesetzt werden dürfe, war es zu einer deutlichen Wende gekommen. Um die<br />

Gewinnabschöpfung für das Reich zu erhöhen, sollte sich die Abschätzung durch die<br />

Gemeindeverwaltung jetzt nicht mehr am niedrigen steuerlichen Einheitswert, sondern am<br />

realen Verkehrswert der Immobilie orientieren: „Ich bitte Sie, streng darauf zu achten, dass<br />

bei der Abschätzung der Grundstücke der wirkliche Wert festgestellt wird. Jede zu niedrige<br />

Schätzung schädigt die Interessen des Reiches.“ <strong>Die</strong> Gemeindeverwaltung hatte festzustellen,<br />

ob der Jude eventuell mehr als Dreiviertel zur Bezahlung von Schulden bei Ariern, die<br />

185 StAK 623 Nr. 8960, S. 23 f., 33 f., Zitat S. 33 f. (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

186 Seit der Ermordung von Erich vom Rath, die das Nationalblatt fälschlich auf Oktober 1938 datierte, hatte die<br />

Passstelle <strong>im</strong> Polizeipräsidium 256 Reisepässe für Juden ausgestellt; NB, 8.8.1939: Wir besuchten die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Paßstelle.<br />

187 StAK 623 Nr. 8960, S. 40-42, Zitate S. 40.<br />

188 Rummel/Rath: „Dem Reich verfallen“, S. 67-70.<br />

189 Im AB lediglich nachweisbar Gerhard Billing, Regierungsassistent, Ellingshohl; AB 1939/40, S. II 15.


488<br />

natürlich nicht geschädigt werden sollten, und zur Auswanderung brauchte. Dazu empfahl<br />

Mischke die Juden vorzuladen, Verzeichnisse und Belege zu prüfen. <strong>Die</strong> Verzeichnisse<br />

sollten zur Akte genommen werden, die Belege zurückgegeben werden: „Sie haben<br />

festzustellen, ob dem Juden etwa, wenn ihm Dreiviertel des Schätzungswertes überlassen<br />

wird, zu viel bleibt.“ <strong>Die</strong>se finanziell besser gestellten Juden werde er dann gegebenenfalls<br />

zur Mitnahme armer Juden verpflichten. 190<br />

Klose ordnete daraufhin Anfang März 1939 die beschleunigte Erledigung aller vorliegenden<br />

Abschätzungsaufträge an und regelte die Aufgabenverteilung. <strong>Die</strong> Liegenschaftsverwaltung<br />

hatte die Abschätzung der Grundstücke vorzunehmen, die Abschätzung der Gebäude erfolgte<br />

durch Technische Stadtinspektoren des Hochbauamtes, später meist durch Stadtbaurat<br />

Stanienda vom Stadtgestaltungsamt. Trotz oder vielleicht gerade wegen der vielen<br />

Richtlinien 191 kam es zu Differenzen mit der Regierung. Stadtinspektor Ignaz Altenvoerde<br />

hielt in einem Vermerk vom 31. Mai die Ergebnisse einer Aussprache anlässlich der<br />

„Entjudungssache Daniel / Vogt-Keller“ 192 fest. Dabei hatte Regierungsrat Billing geklagt,<br />

dass die <strong>Koblenz</strong>er Schätzungen als zu hoch völlig aus dem Rahmen der Schätzungen des<br />

gesamten Regierungsbezirks fielen. Das ließ die Bauverwaltung nicht unwidersprochen. Sie<br />

verteidigte sich gegen Billings Vorwurf, indem sie ihn darauf hinwies, dass die Ursache für<br />

die „erhöhten Schätzungen einzig in seinen eigenen Richtlinien zu suchen wären. Verlangt<br />

wäre der höchste Verkehrswert.“ Dem werde „selbstverständlich“ entsprochen. Doch weiter<br />

heißt es, „Herr Billing legte sehr nahe, die Schätzungen auf einem mässigen Verkehrswerte<br />

aufzubauen. <strong>Die</strong> Objekte müssten abgestoßen werden; aber es würde nicht zu verantworten<br />

sein, wenn die arischen Käufer unverhältnismäßig hohe Verkehrswerte zahlen müssten.“<br />

Klose fügte für Stadtinspektor Lutz erläuternd hinzu, es handele sich bei den noch<br />

vorliegenden Schätzungen meist um „Vorausschätzungen, d. h. erst Schätzung und dann wird<br />

der Verkauf angebahnt.“ Da die Juden kurz vor der Auswanderung ständen, ergäben sich<br />

durch langwierige Verhandlungen und eventuell später erforderliche Abstriche bei den<br />

Schätzungen unnötige Zeitverluste. Auch bei der Berücksichtigung von Reparaturen solle<br />

nicht zu kleinlich verfahren werden. <strong>Die</strong> Richtlinien für die Kaufpreisermittlung und die<br />

Erhebung der Ausgleichsabgabe gingen schließlich bei der Abschätzung von einem mäßigen<br />

Verkehrswert aus, der 90 % des Verkehrswerts betrug. 193<br />

Etwas pikiert reagierte Klose auf eine Bemerkung eines Regierungsassessors. Am 5. Juli 1939<br />

informierte Klose Breuer, dass man „glaubte […] darauf hinweisen zu müssen“, dass es bei<br />

einigen Entjudungssachen Widersprüche zwischen der amtlichen Abschätzungsurkunde und<br />

der dazugehörigen Berichterstattung gäbe, aber beides durch Stadtrat Klose unterzeichnet<br />

190 StAK 623 Nr. 8960, S. 43-50, Zitate S. 46, 50.<br />

191 Vgl. z. B. Sonderdruck „Einsatz des jüdischen Vermögens“; StAK 623 Nr. 8960, S. 59-64.<br />

192 Schloßstraße 43; StAK 623 Nr. 8960, S. 158 f., lfd. Nr. 59.<br />

193 StAK 623 Nr. 8960, S. 69, 74-86, Zitate S. 69 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original, dazu mehrere<br />

Unterstreichungen in rot durch Empfänger).


489<br />

wäre. Um Zweifel an der Objektivität von vorneherein auszuschließen, verfügte Klose, dass<br />

die Abschätzungsurkunde künftig von einem anderen Beamten zu vollziehen sei. 194 Das<br />

Detail verdeutlicht, dass beide Seiten Wert auf die bürokratisch korrekte Abwicklung der<br />

Arisierung legten.<br />

Am 1. November 1939 folgte eine weitere Verfügung des Regierungspräsidenten zur<br />

„Erhebung von Ausgleichszahlen [sic] bei der Entjudung nicht land- oder forstwirtschaftlich<br />

genutzten Grundbesitzes“, mit der Mischke auf neue ministerielle Erlasse reagierte. Er hob<br />

seine bisherigen Verfügungen auf und gab neue Verfahrensgrundsätze bekannt. Dabei ging es<br />

in der Hauptsache wieder um die Wertermittlung und die Ausgleichszahlung. Er empfahl<br />

dazu das von der <strong>Stadtverwaltung</strong> bereits praktizierte Verfahren, bei der Feststellung des<br />

Verkehrswerts den Mittelwert zwischen Real- und Ertragswert zugrunde zu legen. Der<br />

mäßige Verkehrswert ergab sich durch einen zehnprozentigen Abschlag. Vertragskosten und<br />

Grunderwerbsteuer hatten Käufer und Verkäufer je zur Hälfte zu tragen, die Wertzuwachs-<br />

steuer nur der Verkäufer. <strong>Die</strong> Abschätzungskosten gingen ab sofort in jedem Fall zu Lasten<br />

des jüdischen Verkäufers. Sollte der Kaufpreis über dem nicht ermäßigten Verkehrswert<br />

liegen, werde er den Vertrag nur unter der Auflage der Herabsetzung auf die Höhe des<br />

mäßigen Verkehrswerts genehmigen. Bei erkennbaren Spekulationen zu überhöhten<br />

Kaufpreisen werde er eine Ausgleichszahlung erheben: „Es besteht kein Anlass, dem<br />

jüdischen Veräusserer einen Preis zu zahlen, der über dem Wert des Vermögensgegenstandes<br />

in seiner Hand liegt. Ich werde in den genannten Fällen den vereinbarten Preis auf den Wert<br />

herabsetzen, der sich unter Berücksichtigung der steuerlichen Verhältnisse des Juden ergibt.<br />

Den hierdurch ersparten Betrag werde ich als Ausgleichszahlung zu Gunsten des Reiches von<br />

dem Erwerber erheben.“ 195<br />

Im Januar 1940 ging die Zuständigkeit für die Genehmigung von Immobiliengeschäften bei<br />

der Entjudung des Grundbesitzes an die unteren Verwaltungsbehörden, also den Landrat bzw.<br />

Oberbürgermeister, über. 196 In der Praxis hatte die <strong>Stadtverwaltung</strong> bereits <strong>im</strong> Frühjahr 1939<br />

den beurkundenden Notaren die Genehmigung zur Auflassung erteilt. 197 Mischke hatte<br />

also bereits zu diesem Zeitpunkt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, seine Genehmi-<br />

gungsbefugnis zu übertragen. 198 In Ausübung seiner Aufsichtsfunktion verfügte der<br />

Regierungspräsident am 29. Mai 1940 die Abänderung der Genehmigungsverfügung des<br />

Oberbürgermeisters vom 5. März in der Entjudungssache Moltkestraße 8. Der Veräußerer Dr.<br />

Max „Israel“ Loeb habe glaubwürdig dargelegt, dass seine Auswanderung durch die Kürzung<br />

194<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 92.<br />

195<br />

StAK 623 Nr. 3769, S. 1-5, Zitate S. 1, 3 f. Vgl. ebd. Nr. 8960, S. 82-86.<br />

196<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 88-90. Vgl. Zweite VO zur Durchführung der VO über den Einsatz des jüdischen<br />

Vermögens vom 18.1.1940; RGBl. I, S. 188.<br />

197<br />

Überliefert sind drei Genehmigungen, die den Notaren zugestellt wurden; StAK 623 Nr. 3933, S. 153, vom<br />

12.5.1939; ebd. Nr. 6680, S. 24, vom 3.6.1939; ebd. Nr. 6724, S. 12, vom 10.6.1939.<br />

198<br />

§ 8 VO über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938; RGBl. I, S. 1709.


490<br />

des Kaufpreises von 54.000 RM auf 51.000 RM um die Ausgleichszahlung von 3.000 RM<br />

gefährdet erscheine. <strong>Die</strong> Herabsetzung wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, „wenn bei der<br />

Berechnung des Grundstückswertes der nicht ermässigte Verkehrswert zugrundegelegt<br />

worden wäre.“ Er bitte um Abänderung der Verfügung dahingehend, dass dem Veräußerer der<br />

Gesamtverkaufspreis ausgezahlt und von der Ausgleichszahlung Abstand genommen werde.<br />

Loeb sei von ihm bereits dahingehend informiert. 199<br />

Eine „Liste über die Abschätzungen von jüdischen Grundstücken“ bzw. „Liste über den<br />

Verkauf des jüdischen Grundbesitzes nach dem 1.11.1938“ enthält für 98 Immobilien<br />

Angaben zu Kaufpreis, Einheitswert und Schätzungswert. Der letzte Abschätzungsantrag<br />

wurde am 15. Juli 1943 von Toni Fey für das Objekt Entenpfuhl 1 gestellt und am 31. Januar<br />

1944 durch die <strong>Stadtverwaltung</strong> erledigt. 200<br />

Drei überlieferte Fälle vom Frühjahr 1939 dokumentierten das Bearbeitungsverfahren bei den<br />

„Entjudungssachen“. In der Regel war es der jüdische Eigentümer, der bei der Stadtver-<br />

waltung einen Antrag auf Abschätzung zur Feststellung des Verkaufswerts stellte. Er hatte<br />

<strong>im</strong> Voraus die anfallende Gebühr zu entrichten. Dann musste er einen Mietnachweis,<br />

Grundbuchunterlagen, Angaben zu Wassergeld, Schönheitsreparaturen und Nebenleistungen<br />

der Mieter beibringen. Stadtvermessungsrat Breuer von der Liegenschaftsverwaltung, dem die<br />

Abschätzung des Grundstückswerts oblag, schickte den Vorgang danach zum Stadtge-<br />

staltungsamt. Dabei hat Breuer in zwei Fällen um eine beschleunigte Bearbeitung gebeten.<br />

Im Fall der Eheleute Hermann Schmitz 201 , Görgenstraße 40, lautete der Betreff in rot<br />

„Judensache! Eilt“, 202 <strong>im</strong> Fall der Witwe Johanna Bravmann 203 , Herbert-Norkus-Straße 20 204 ,<br />

begründete er seine Bitte um „möglichst umgehende Erledigung“ damit, dass „die<br />

Auswanderung der Frau Bravmann nach England unter Umständen in kürzester Frist erfolgen<br />

kann.“ 205 Stanienda vom Stadtgestaltungsamt schickte den Vorgang dann zusammen<br />

mit seiner Abschätzung des Gebäudes zurück. Klose unterzeichnete schließlich die<br />

Abschätzungsurkunde, die eine Beschreibung von Lage, Gebäude, Erhaltungszustand etc.<br />

sowie die Berechnungen zur Feststellung des Verkehrswerts enthielt. <strong>Die</strong>ser ergab sich aus<br />

dem Mittel von Realwert (Grund- und Bodenwert plus Gebäudewert) und Ertragswert. Den<br />

199 StAK 623 Nr. 8960, S. 94. Vgl. ebd., S. 181 f., lfd. Nr. 52.<br />

200 StAK 623 Nr. 8960, S. 173-190.<br />

201 Hermann Schmitz, geb. 27.10.1886 Kettig (Kreis <strong>Koblenz</strong>), Schreiner, Kaufmann (Partiewaren) und<br />

seine Frau Hilda geb. Siegmann, geb. 21.4.1886 Mogendorf (Kreis Unterwesterwald), konnten 1940 von<br />

Köln aus nach Argentinien zu Sohn Julius emigrieren, während Tochter Rosa, geb. 1.3.1911 <strong>Koblenz</strong>, 1943<br />

unter dem Namen Ruth Haas von Mainz nach Auschwitz deportiert wurde. BArch, Gedenkbuch-CD-Rom;<br />

Thill: Lebensbilder, S. 214-216, 352; Thill: Lebensbilder, Personenregister und Nachträge, S. 55; RZ,<br />

7.11.1961: <strong>Koblenz</strong> lebt in ihren Gedanken. <strong>Die</strong> He<strong>im</strong>at nicht vergessen.<br />

202 StAK 623 Nr. 6724, S. 172.<br />

203 Johanna (Hannchen, Ännchen) Bravmann geb. Hankel, geb. 15.6.1885 Nürnberg, Witwe von Abraham<br />

Bravmann, deportiert am 22.3.1942 von <strong>Koblenz</strong> nach Izbica; StAK 623 Nr. 6680, S. 7, 24;<br />

http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de, Zugriff am 14.5.2011.<br />

204 Später Casinostraße 8.<br />

205 StAK 623 Nr. 6680, S. 12.


491<br />

Richtlinien entsprechend erfolgte die Berechnung des mäßigen Verkehrswerts durch einen<br />

zehnprozentigen Abschlag auf den Verkehrswert. In allen drei Fällen wurden dann noch<br />

Beträge für notwendige Instandsetzungsarbeiten und Reparaturen in Abzug gebracht. <strong>Die</strong><br />

Abschätzungsurkunde schrieb den für „angemessen“ gehaltenen Verkaufspreis fest. <strong>Die</strong><br />

Wertzuwachsstelle des Steueramts berechnete einen eventuellen Arisierungsgewinn, 206 der<br />

dem Kaufpreis zugeschlagen und ans Reich abgeführt wurde. Gemäß Verordnung über den<br />

Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 erhielt der beurkundende Notar die<br />

Genehmigung zur Auflassung zugestellt. Von der Antragstellung bis zum Abschluss des<br />

notariellen Kaufvertrags vergingen in den beiden eiligen Fällen ca. sieben bzw. acht Wochen,<br />

<strong>im</strong> dritten Fall ca. neun Wochen. In allen drei Fällen wurden die Immobilien unter dem von<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong> als angemessen bezeichneten Verkaufspreis „arisiert“, was zeigt, unter<br />

welchem Druck die jüdischen Verkäufer standen. Das Objekt Görgenstraße erzielte statt der<br />

ermittelten 12.000 RM nur 11.000 RM, das Objekt Herbert-Norkus-Straße sogar nur<br />

40.000 RM statt der ermittelten 51.000 RM. Das Ehepaar Schmitz konnte noch 1940 von<br />

Köln aus emigrieren, während Johanna Bravmann am 22. März 1942 von <strong>Koblenz</strong> nach<br />

Izbica deportiert wurde. Im dritten Fall der Gebrüder Bernd, Balduinstraße 41, hatte der<br />

berechnete Verkaufspreis 37.000 RM betragen, verkauft wurde für 35.500 RM. 207<br />

Waren von den Ausgleichszahlungen zunächst nur die Erwerbungen nach dem 3. Dezember<br />

1938 betroffen, weitete die Verordnung über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften vom<br />

10. Juni 1940 die Ansprüche des Reichs auf die Zeit bis zum Tag der Machtergreifung, dem<br />

30. Januar 1933, aus. Das bedeutete, dass das gesamte Bewertungsverfahren erneut<br />

durchlaufen werden musste: Beibringen von Unterlagen durch den Eigentümer, Besichtigung<br />

und Abschätzung der Immobilie durch Liegenschaftsverwaltung und Stadtgestaltungsamt,<br />

Berechnung des mäßigen Verkehrswerts durch die Preisbehörde. 208 Eine vom Steueramt<br />

erstellte „Nachweisung der entjudeten Grundstücke in der Zeit vom 30.1.1933 bis 3.12.1938“<br />

enthält 69 laufende Nummern. 209<br />

Wie versucht wurde, von Seiten der arischen Kaufinteressenten Einfluss auf die Preisbehörde<br />

(Abteilung XI) und die Liegenschaftsverwaltung (Abteilung XII) zu nehmen, belegt das<br />

Beispiel der Parteigenossin Maria Eichert. Sie sprach am 25. November 1941 in Begleitung<br />

eines Maklers bei Stadtinspektor Otto Rausch von Abteilung XI vor. Es ging um die<br />

Bewertung des zu arisierenden Hauses von Julius Halberstadt 210 , Löhrstraße 16/18. Eichert<br />

206 Vordruck „Berechnung des Entjudungsgewinnes“; StAK 623 Nr. 12026, S. 50.<br />

207 StAK 623 Nr. 6680, S. 3-26, ebd. Nr. 6724, S. 162-178; ebd. Nr. 3933, S. 139-164.<br />

208 Dazu ist als Beispiel die Überprüfung der Entjudungssache Gebrüder Bernd / Wilhelm Benning, Objekt<br />

Balduinstraße 41/Ecke Görgenstraße, <strong>im</strong> Jahre 1941 überliefert; StAK 623 Nr. 3933, S. 155-162.<br />

209 StAK 623 Nr. 8960, S. 124, 155-168.<br />

210 Julius Jakob Halberstadt, geb. 23.7.1876 Schupbach (Kreis Oberlahn), Kaufmann, Geschäftsführer,<br />

„Frankfurter Damenkonfektion“, zog 1939 nach Köln-Ehrenfeld, zusammen mit seiner Frau Babette geb.<br />

Schneider, geb. 8.9.1876 Nenzenhe<strong>im</strong> (Bayern), am 27.7.1942 von Köln nach Theresienstadt deportiert und<br />

dort gestorben 11.3.1943 bzw. beide 1953 für tot erklärt. Thill: Lebensbilder, S. 178, 328; Thill:


492<br />

behauptete, die Immobilie sei ihr „stillschweigend zugesichert“ worden, als sie ihr Haus in<br />

der Von-Werth-Straße an die Heeresverwaltung verkaufte. Rausch fand darüber zwar nichts<br />

in den Akten, doch Eicherts Antrag auf Erwerb des Gebäudes datierte schon von 1939 und die<br />

Stadt hatte andere Kaufinteressenten auf ihr Vorrecht verwiesen. Seitdem war das Haus<br />

dre<strong>im</strong>al unterschiedlich bewertet worden: <strong>Die</strong> Taxen lauteten 145.000 RM, 85.000-<br />

90.000 RM und zuletzt 97.500 RM. Eichert und ihr Makler wandten sich gegen einen Antrag<br />

Halberstadts auf Höherbewertung seines Hauses. Ausführlich begründeten die beiden, warum<br />

ihnen seine Forderung von mindestens 110.000 RM zu hoch schien. Rausch sicherte Eichert<br />

eine Nachprüfung insbesondere des Ertragswerts zu, dabei gehe er von einem Höchstwert von<br />

110.000 RM aus. Für Abteilung XII fertigte er einen Aktenvermerk über den Besuch und<br />

kündigte an, den bestehenden Mietvertrag zur Prüfung beiziehen zu wollen und die IHK zu<br />

hören. Seine Bitte um Feststellung des Ertragswerts erfüllte die IHK erst über drei Monate<br />

später. Am 5. März 1942 kam sie nach langen Ausführungen und Berechnungen kam zu dem<br />

Ergebnis, dass 1.300 RM als monatlicher Mietzins angemessen seien: „<strong>Die</strong>ser Betrag ist unter<br />

Abwägung des Für und Wider m. E. als ein volkswirtschaftlich gerechtfertigter Mietzins<br />

anzusehen, weil er den für beide Mietparteien in Betracht kommenden Umständen und<br />

Verhältnissen Rechnung trägt.“ 211<br />

Bei der nochmaligen, eingehenden Prüfung und Besichtigung, auch von Vergleichsobjekten,<br />

zog Rausch Sparkassendirektor Hütte und Stadtoberbaurat Hübler hinzu. Am 19. März 1942<br />

teilte Abteilung XI der Liegenschaftsverwaltung mit, dass 121.500 RM als voller<br />

Verkehrswert für das Wohn- und Geschäftsgrundstück „des Juden Halberstadt“ festgesetzt<br />

worden sei, und sich danach ein mäßiger Verkehrswert von rund 110.000 RM ergebe – also<br />

genau der Betrag, den Halberstadt gefordert und den Rausch schon <strong>im</strong> November grob<br />

geschätzt hatte. Eichert wurde am 31. März mitgeteilt, dass es von Seiten der Preisbildungsstelle<br />

keine Einwände gegen die Vereinbarung eines Kaufpreises bis zu 110.000 RM gebe. 212<br />

Der Fall belegt anhand der Rückfrage bei der IHK und der zusätzlichen Einschaltung Hüttes<br />

und Hüblers, wie sehr sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> bemühte, ihre Abschätzung objektiv<br />

vorzunehmen und sich gleichzeitig nach allen Seiten abzusichern.<br />

Oberbürgermeister Schnorbach gab <strong>im</strong> Januar 1948 vor den Stadtverordneten zu den<br />

Grundstücksangelegenheiten während der NS-Zeit eine Ehrenerklärung für den 1945<br />

verstorbenen Oswald Breuer 213 ab: „<strong>Die</strong>se Angelegenheiten wurden seinerzeit von<br />

Liegenschaftsrat Breuer bearbeitet. Für Breuer kann ich in Anspruch nehmen, dass er in<br />

Lebensbilder, Personenregister und Nachträge S. 52; BArch, Gedenkbuch-CD-Rom; StAK, Standesamt<br />

<strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde Nr. 74/1908; ebd. Fach 76, Bauakte Löhrstraße 16/18.<br />

211<br />

StAK 623 Nr. 3769, S. 7-27, Zitate S. 7, 19 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

212<br />

StAK 623 Nr. 3769, S. 28-43, Zitat S. 28.<br />

213<br />

* 11.2.1880 Köln, + 3.7.1945 Beulich (Kreis St. Goar), katholisch, verheiratet, 1905-1933 Zentrumsmitglied,<br />

1927 Leiter der städtischen Liegenschaftsverwaltung mit Amtsbezeichnung Liegenschaftsrat, 1.10.1933 neue<br />

Amtsbezeichnung Stadtvermessungsrat, Leiter des Vermessungs- und Liegenschaftsamts (unbebaute<br />

Grundstücke), 31.10.1944 Pensionierung wegen <strong>Die</strong>nstunfähigkeit. StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 6 und 7.


493<br />

keiner Weise etwas gemacht haben würde, was für die Nazi [sic] zum Vorteil gewesen wäre,<br />

da Breuer ein scharfer Gegner der Nazis war.“ 214<br />

7.2.8 <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> als Erwerber „jüdischer“ Immobilien<br />

<strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong> taucht in den verschiedenen Listen insgesamt fünfmal als Erwerber einer<br />

„jüdischen“ Immobilie auf.<br />

Tabelle 22: Von der Stadt <strong>Koblenz</strong> erworbene „jüdische“ Immobilien 215<br />

Art und Lage<br />

des Objekts<br />

Wohn- und<br />

Geschäftshaus<br />

Pfuhlgasse 13<br />

Grundstück<br />

Schlachthofstraße 43<br />

Synagoge<br />

Florinsmarkt 11<br />

Wohnhaus und<br />

Privatklinik<br />

Schloßstraße 1<br />

Wohn- und<br />

Geschäftshaus<br />

Görgenstraße 31<br />

Jüdischer<br />

Veräußerer<br />

Datum des<br />

Erwerbs<br />

Kaufpreis<br />

in RM<br />

Johann Eppmann 14.1.1938 7.000<br />

Einheitswert<br />

in RM<br />

15.100<br />

(1935)<br />

Sigmund Kallmann 15.3.1938 8.000 13.400<br />

Synagogen-<br />

gemeinde<br />

Eheleute<br />

Dr. Richard und<br />

Friederike Reich<br />

16.12.1938 -<br />

4.5.1939 90.000<br />

Rosa Rosenblatt 7.6.1939 11.050<br />

50.000<br />

(korrigiert aus<br />

52.900)<br />

65.000 bzw.<br />

65.800 216<br />

11.900<br />

(1935)<br />

Das Objekt Pfuhlgasse 13 erwarb die Stadt <strong>Koblenz</strong> als Bieterin bei einer Zwangsver-<br />

steigerung, die wegen Überschuldung des Eigentümers Johann Eppmann, eines Kaufmanns<br />

aus Herten, eingeleitet worden war. Das Interesse der Stadt galt in erster Linie dem 199 qm<br />

großen Grundstück, von dem ein schmaler Geländestreifen für die geplante Verbreiterung der<br />

Straße gebraucht wurde. Da sich das sehr alte, zum Teil noch in Fachwerkbauweise errichtete<br />

Gebäude in einem sehr schlechten und verwahrlosten Zustand befand, wollte die Stadt trotz<br />

des letzten Einheitswerts von 15.000 RM nur bis 12.000 RM mitbieten, erhielt aber mangels<br />

anderer Interessenten be<strong>im</strong> Versteigerungstermin am 14. Januar 1938 schon bei 7.000 RM<br />

den Zuschlag. Noch bevor es zum Abbruch des Gebäudes kam, meldete ein langjähriger<br />

214<br />

StAK 623 Nr. 9752, S. 603. Auch Breuers Nachfolger, Liegenschaftsrat Hans Fink, seit 1921 bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>, nannte Breuer einen „Gegner des Nazismus“ bzw. „Nazigegner“; ebd. Nr. 11730 (unpaginiert),<br />

Fink vom 17.6. und 20.6.1946.<br />

215<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 3-5 (lfd. Nr. 35, 51, 91), 156 f. (lfd. Nr. 38), 158 f. (lfd. Nr. 41); ebd. Nr. 6724, S. 1-<br />

54; ebd. Nr. 11661; ebd. Nr. 11942.<br />

216<br />

StAK 623 Nr. 8960, S. 183 f., lfd. Nr. 63: Dr. Reich war Antragsteller für die Abschätzung, die einen<br />

Einheitswert von 65.000 RM und einen Verkaufswert von 90.000 RM ergab. Geringfügig abweichend wird ebd.,<br />

S. 5, lfd. Nr. 91, ein Einheitswert von 65.800 RM genannt.


494<br />

Mieter bei der Stadt Kaufinteresse an. Der Kaufmann unterhielt in dem Haus ein Warenlager.<br />

Er wollte einen Neubau errichten und die für die Straße benötigte Fläche jederzeit auf<br />

Verlangen zur Verfügung stellen. <strong>Die</strong> Stadt erklärte sich einverstanden. Sie wollte den<br />

gezahlten Kaufpreis zuzüglich Unkosten und abzüglich des Werts der abzutretenden<br />

Quadratmeter erlösen, was 7.350 RM ergab; der Mieter war bereit, bis zu 7.500 RM zu<br />

zahlen. Am 9. März 1939 wurde das Grundstück für 7.500 RM von der Stadt weiterveräußert.<br />

Ein gezielt als Arisierung angelegter Kauf lag hier nicht vor, ob Eppmann überhaupt Jude<br />

war, ist nach einer Auskunft des Stadtarchivs Herten 217 zudem fraglich. Einen Gewinn erlöste<br />

die Stadt aus dem Weiterverkauf ebenfalls nicht, sieht man davon ab, dass zunächst von<br />

benötigten 25 qm die Rede war, dem Käufer aber nur der Wert von 10 qm verrechnet wurde –<br />

möglicherweise wurden <strong>im</strong> Laufe der Planungen weniger qm benötigt als ursprünglich<br />

vorgesehen. 218<br />

<strong>Die</strong> zweite Erwerbung eines „jüdischen“ Grundstücks ergab sich, ohne dass es zuvor ein<br />

konkretes Kaufinteresse der Stadt gegeben hatte. Der jüdische Viehhändler Sigmund<br />

Kallmann 219 aus Vallendar hatte 1927 <strong>im</strong> Wege der Zwangsversteigerung ein 1.569 qm<br />

großes Grundstück zwischen den Straßen Im Rauental, Merlstraße und Schlachthofstraße<br />

erworben, auf dem seit 1919 eine Auflassungsvormerkung für die Stadt <strong>Koblenz</strong> lastete. Am<br />

15. Januar 1938 trat Kallmann über einen Makler an die Stadt heran mit dem Angebot, das<br />

Grundstück zu verkaufen oder gegen ein Siedlungshaus zu tauschen. Man einigte sich auf<br />

einen Kaufpreis von 8.000 RM, der Kaufvertrag kam am 15. März 1938 zustande. Kallmann,<br />

der 1939 nach Kapstadt geflüchtet war und später in Lusaka (Sambia) lebte, reichte am 3. Mai<br />

1949 durch seinen Rechtsvertreter Wilhelm Meyers Klage bei der Wiedergutmachungs-<br />

kammer des Landgerichts <strong>Koblenz</strong> ein, in der er u. a. die Stadt <strong>Koblenz</strong> verklagte. Demnach<br />

sei der zu niedrige Kaufpreis eine „Ausplünderungsmassnahme“ gewesen. Das vom Gericht<br />

in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten schien dies zunächst zu bestätigen. Es gelang<br />

dem Rechtsvertreter der Stadt <strong>Koblenz</strong> allerdings, einige schwer wiegende Mängel <strong>im</strong><br />

Gutachten aufzudecken, die das Gericht anerkannte. Es ordnete zur Klärung eine<br />

Ortsbesichtigung an, worauf sich der Gutachter korrigierte. Noch während des Verfahrens<br />

starb Kallmann am 20. April 1952, sein Rechtsnachfolger wurde sein Sohn und Alleinerbe<br />

Julius Kallmann. <strong>Die</strong> Wiedergutmachungskammer wies die Klage am 21. Januar 1953 ab. <strong>Die</strong><br />

beklagte Stadt <strong>Koblenz</strong> habe den Nachweis erbringen können, dass der Kaufpreis angemessen<br />

gewesen sei, auch habe ein Tauschvorschlag über den Makler vorgelegen, sodass nicht von<br />

einem Zwangsverkauf ausgegangen werden könne. Kallmann legte Berufung ein. Sein neuer<br />

Rechtsvertreter machte geltend, dass sehr wohl eine Zwangssituation und die Zerstörung der<br />

wirtschaftlichen Existenz vorgelegen hätten, wobei er sich vor allem auf eine entsprechende<br />

217 StAK, Az. 47-7-9.24 Eppmann.<br />

218 StAK 623 Nr. 11661.<br />

219 Schreibweise auch: Siegmund Kallmann, geb. 11.11.1868 Neuwied, gest. 20.4.1952 Lusaka/Sambia. 1939<br />

Flucht nach Kapstadt/Südafrika. StAK 655,10 Nr. 847, S. 13; Cla<strong>im</strong>s Resolution Tribunal, Certified Denial vom<br />

31.5.2005; http://www.crt-ii.org/_awards/_denials/_apdfs/Kallmann_Sigmund_den.pdf, Zugriff am 20.12.2009.


495<br />

Entscheidung des Obergerichts Rastatt in einem anderen Fall berief. Auch zerpflückte er das<br />

zwar korrigierte, aber nach wie vor widersprüchliche Gutachten zum Grundstückswert. Auf<br />

Empfehlung des Oberlandesgerichts kam es schließlich zu einem Vergleich, dem die Stadt am<br />

12. November 1953 zust<strong>im</strong>mte und den das Gericht <strong>im</strong> Februar 1954 bestätigte: <strong>Die</strong> Stadt<br />

zahlte 3.500 DM zur Abgeltung aller Rückerstattungsansprüche, dafür bestätigte der Kläger<br />

den Kaufvertrag und die Auflassung. <strong>Die</strong> Kosten des Verfahrens übernahm die Stadt. 220<br />

Noch während sich die Synagoge <strong>im</strong> ehemaligen Bürreshe<strong>im</strong>er Hof <strong>im</strong> Eigentum der<br />

Synagogengemeinde befand, hatte das Stadterweiterungsamt <strong>im</strong> Oktober 1937 den Auftrag,<br />

den Umbau zu einer Judenschule zu planen, 221 obwohl der Besuch „deutscher“ Schulen durch<br />

jüdische Kinder erst 1938 verboten wurde. Ratsherr Karbach schlug in der Ratsherrensitzung<br />

am 27. Oktober 1938 – also noch vor der Reichspogromnacht – vor, die Synagoge anzukaufen<br />

oder zu mieten und als Trausaal einzurichten. In den Nebenräumen solle das Standesamt<br />

untergebracht werden. Wittgen sagte eine Weiterverfolgung der Idee zu. 222 In dem <strong>im</strong><br />

Dezember 1938 erstellten „Verzeichnis über den bebauten und unbebauten Grundbesitz, der<br />

sich <strong>im</strong> Eigentum von Juden befindet, <strong>im</strong> Stadtkreis <strong>Koblenz</strong>“ wird der Einheitswert des<br />

Gebäudes am Florinsmarkt 11 mit 50.000 RM angegeben, der Betrag ist aus 52.900 RM nach<br />

unten korrigiert. <strong>Die</strong> nebenstehende Bemerkung „schweben Kaufverhandlungen“ ist<br />

durchgestrichen und ersetzt durch „Stadt verkauft“. 223 Eine Überlieferung zu den angeblichen<br />

Kaufverhandlungen ist nicht vorhanden. Mit Kaufvertrag vom 16. Dezember 1938 ging das<br />

Eigentum an die Stadt <strong>Koblenz</strong> über. Ein Kaufpreis wurde nicht gezahlt. 224<br />

Am 14. April 1947 bat Addi Bernd als Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde für eine<br />

Meldung an die französische Militärregierung um eine Aufstellung des <strong>im</strong> städtischen Besitz<br />

befindlichen jüdischen Eigentums. Zum 915 qm großen Grundstück des ehemaligen<br />

Bürreshe<strong>im</strong>er Hofs antwortete die Stadt am 30. April: „Ein Zwangsverkauf lag hier nicht<br />

vor.“ <strong>Die</strong>se Antwort löste Bernds helle Empörung aus. Er schrieb am 14. Mai zurück, es<br />

war „ein Zwangsverkauf […]. Wenn Sie uns heute also schreiben, dass die Synagoge kein<br />

Zwangsverkauf ist, so ist das eine Verdrehung der Tatsachen, die wir unter keinen<br />

Umstaenden anerkennen koennen, obwohl das <strong>im</strong> Endefekt [sic] keine Rolle spielt.“ Er habe<br />

sich be<strong>im</strong> Amt für Vermögensverwaltung erkundigt, die Stadt habe noch keine Meldung<br />

erstattet und sich dadurch strafbar gemacht. Er bat um die Überweisung sämtlicher<br />

seit Kriegsende eingezogener Mieten und nachträgliche Erstattung der Meldung. <strong>Die</strong><br />

Liegenschaftsverwaltung räumte in ihrer Stellungnahme vom Juni plötzlich eine andere<br />

Sachlage ein, ließ den Zwangscharakter des Verkaufs aber weiterhin offen: „Aus den Akten 225<br />

220 LHAKo Best. 583,1 Nr. 3675.<br />

221 StAK 623 Nr. 6720, S. 271.<br />

222 StAK 623 Nr. 7216, S. 310.<br />

223 StAK 623 Nr. 8960, S. 4, lfd. Nr. 51 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Zum Verzeichnis vgl. Kapitel 7.2.7.<br />

224 StAK 623 Nr. 9752, S. 662; vgl. ebd. Nr. 7216, S. 328.<br />

225 <strong>Die</strong> genannte Akte der Liegenschaftsverwaltung ist nicht überliefert.


496<br />

über den Erwerb der Synagoge ist nicht ersichtlich, ob es sich um einen Zwangsverkauf der<br />

jüdischen Gemeinde handelt. <strong>Die</strong> Stadt hat das Grundstück am 16.12.38 erworben. Ein<br />

Kaufpreis ist nicht gezahlt worden.“ <strong>Die</strong> Stadtverordnetenversammlung beschloss in ihrer<br />

Sitzung vom 4. September 1947 einst<strong>im</strong>mig die kostenfreie Rückübertragung der ehemaligen<br />

Synagoge an die Jüdische Kultusgemeinde. Vor der Wiedergutmachungskammer des<br />

Landgerichts <strong>Koblenz</strong> schlossen Stadt und Kultusgemeinde am 20. Dezember 1949 einen<br />

Vergleich, der neben der entschädigungslosen Rückgabe des Grundstücks die Rechnungs-<br />

legung der Stadt über Nutzungen und Aufwendungen bis zum 31. Januar 1950 gegenüber dem<br />

Sondervermögen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts vereinbarte.<br />

Gemäß Beschluss der Wiedergutmachungskammer vom 23. Oktober 1950 galt die Stadt als<br />

nicht-gutgläubiger Erwerber, der für die Entziehungszeit vom 16. Dezember 1938 bis zum<br />

10. November 1947 226 nach Verrechnung von Nutzungswert, Aufwendungen und<br />

Abschreibungen einen Gewinnanteilsbetrag von 6.999,18 RM (699,91 DM) an den Fonds<br />

des Sondervermögens zu zahlen hatte. 227<br />

<strong>Die</strong> zweifellos wertvollste Erwerbung war die Privatklinik von Dr. Richard Reich 228 . Der<br />

Chirurg hatte eine Hälfte des mit einem stattlichen, zweigeschossigen Gebäude 229 bebauten,<br />

1.223 qm großen Grundstücks 1920 erworben. <strong>Die</strong> andere Hälfte gehörte seit 1919 seinem<br />

Schwiegervater, der sie 1936 an seine Tochter, Reichs Ehefrau Friederike („Frieda“) geb.<br />

Lichtenstein, übergeben hatte. 230 <strong>Die</strong> Klinik war weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt,<br />

so kamen z. B. aus der gesamten Rheinprovinz Frauen hierher zur Entbindung. 231 <strong>Die</strong> Stadt<br />

hatte aufgrund von Raummangel ein erhebliches Interesse am Erwerb des Gebäudes. 232 Reich<br />

wiederum wollte auswandern. Ein Sohn war bereits <strong>im</strong> März nach England emigriert, und<br />

Reich hatte die Abschätzung seiner Immobilie beantragt. 233 Am 30. März 1939 bat er den<br />

Regierungspräsidenten um eine beschleunigte „Klarstellung der gegenseitigen Rechtsver-<br />

hältnisse“. Obwohl schon am 13. März eine Besichtigung stattgefunden habe, warte er bis<br />

heute auf eine Antwort auf sein Verkaufsangebot. Mit der Stadt habe es eingehende<br />

Verhandlungen gegeben, diese habe aber ohne ihn zu informieren, ohne seine Genehmigung,<br />

ohne zu kaufen oder zu mieten „mit der baulichen Veränderung des Erdgeschosses 234 und<br />

der Kanalisation begonnen“. Erst am 4. Mai 1939 wurde der notarielle Kaufvertrag<br />

abgeschlossen. Der Kaufpreis von 90.000 RM war be<strong>im</strong> Notar zu hinterlegen und daraus<br />

226<br />

Datum der Veröffentlichung der maßgeblichen VO Nr. 120 der französischen Militärregierung.<br />

227<br />

StAK 623 Nr. 11942, Zitate S. 4 f., 7 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original); ebd. Nr. 7218, S. 155; ebd. Nr. 9572, S.<br />

662.<br />

228<br />

Zur Klinik vgl. Thill: Lebensbilder, S. 204.<br />

229<br />

StAK Fach 100 II, Bauakte Schloßstraße 1.<br />

230<br />

LHAKo Best. 583,1 Nr. 2623, Bl. 1 f., 47 f.<br />

231<br />

Davon zeugen zahlreiche Geburtsurkunden des Standesamtes <strong>Koblenz</strong>.<br />

232<br />

Schon <strong>im</strong> Januar 1939 war u. a. die Unterbringung der Gesundheitsbehörde in der Klinik „in der Schwebe“;<br />

StAK 623 Nr. 7572, S. 232.<br />

233<br />

StAK M 41, Hausblatt Schloßstraße 1; ebd. 623 Nr. 8960, S. 183 f., lfd. Nr. 63.<br />

234<br />

In einem Vermerk von Amtmann Schmitz vom 25.4.1939 wird eine Besichtigung des ersten Obergeschosses<br />

der Klinik wegen baulicher Veränderungen erwähnt; StAK 623 Nr. 7572, S. 231.


497<br />

waren die Steuerforderungen des Reiches zu begleichen. Rückwirkend ab 1. April gingen<br />

Besitz und Nutzung auf die Stadt <strong>Koblenz</strong> über. Reich und seiner Familie, seiner Mutter,<br />

seinem Schwiegervater und einer Hausangestellten wurde bis zu ihrer Auswanderung ein<br />

unentgeltliches Wohnrecht eingeräumt. 235 <strong>Die</strong> Eheleute meldeten sich mit drei Kindern am<br />

28. August 1939 nach Brüssel ab. 236<br />

Im Februar 1949 stellten die Eheleute durch ihren Rechtsanwalt Franz Wittmann 237 be<strong>im</strong><br />

Landgericht <strong>Koblenz</strong> einen „Antrag auf Rückerstattung von unter Nötigung weggenommenen<br />

Vermögens“. 238 Dazu wurden die Beschädigungen durch die „Judenaktion“ an Möbeln und<br />

Kunstgegenständen, die Zurücklassung von Möbeln, Röntgengeräten und Schmuck bzw. die<br />

Zwangsabgabe ans Pfandhaus, die Reichsfluchtsteuer, die Judenzwangsabgabe etc.<br />

aufgezählt, insgesamt wurde eine Entschädigungssumme von 1,5 Millionen RM gefordert.<br />

<strong>Die</strong> Frage in einem Vordruck, ob der Immobilienverkauf „unter Nötigung“ stattgefunden<br />

habe, wurde mit „ja Bedrohung durch Nazi-Gauamtsleiter Bastians 239 u. Beigeordneten<br />

Fuhlrodt [sic] als Beauftragten der Stadt <strong>Koblenz</strong>“ beantwortet. Auf das Sperrkonto des<br />

Notars seien nach Abzug von willkürlichen Steuern nur noch 39.764,50 RM eingezahlt<br />

worden. Im April 1949 reichte Wittmann die Klageschrift auf Nichtigkeitserklärung des 1939<br />

geschlossenen Kaufvertrages, Rückerstattung, Rechnungslegung über die Nutznießung und<br />

Erstattung des erzielten Gewinns ein. Der Fall wurde vor der Wiedergutmachungskammer des<br />

Landgerichts <strong>Koblenz</strong> mit Sitz in Niederlahnstein verhandelt. Da am 16. Mai 1949, dem<br />

ersten Verhandlungstag, kein Vertreter der beklagten Stadt <strong>Koblenz</strong> erschien, erging ein<br />

Versäumnisurteil, das die Nichtigkeitserklärung des Kaufvertrags, die Berichtigung des<br />

Grundbuchs und die Herausgabe des Grundstücks an den Kläger anordnete. <strong>Die</strong> von der Stadt<br />

anschließend vorgelegte Rechnungslegung zeigt, dass die Stadt drei Altmieter (elf Räume)<br />

von Reich übernommen hatte und ansonsten seit 1. Juni bzw. 1. Juli 1939 die Räume selbst<br />

nutzte oder vermietete. An städtischen Einrichtungen befanden sich <strong>im</strong> Gebäude die neu<br />

235 LHAKo Best. 583,1 Nr. 2623, Bl. 35 (Zitate), 47-53.<br />

236 StAK M 41, Hausblatt Schloßstraße 1.<br />

237 Wittmann hatte 1933 Stadtinspektor Heinz Bastians verteidigt; StAK 623 Nr. 6564, S. 686.<br />

238 Im Mai 1950 erhoben die Eheleute außerdem Klage gegen das Land Rheinland-Pfalz auf Feststellung und<br />

Wiedergutmachung betreffend ihren an das Pfandhaus abgegebenen Schmuck, die Reichsfluchtsteuer, die<br />

Judenvermögensabgabe etc. Das Oberfinanzpräsidium erklärte Wittmann <strong>im</strong> Juli, die Klagegegenstände seien<br />

nicht mehr identifizierbar, die Erlöse etc. als Reichseinnahmen „verbucht und […] verbraucht“ und nicht mehr<br />

feststellbar. Seine Klage sei daher „nicht schlüssig“. Man solle Anspruch auf Schadenersatz stellen gemäß<br />

Landesgesetz über die Entschädigung der Opfer des <strong>Nationalsozialismus</strong> vom 22.5.1950. Wittmann zog<br />

daraufhin die Klage <strong>im</strong> Dezember 1950 zurück. LHAKo Best. 583,1 Nr. 4485. Am Schluss der Akte LHAKo<br />

Best. 583,1 Nr. 2623 befindet sich Schriftverkehr mit dem Bezirksamt für Wiedergutmachung. Demnach zog<br />

sich ein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz vom 29.6.1956 bis mindestens 1964 hin, ohne dass<br />

der Ausgang erkennbar ist.<br />

239 Es gab keinen Gauamtsleiter Bastians. Wahrscheinlich ist der Leiter der zuständigen NSDAP-Ortsgruppe<br />

Schenkendorf gemeint, Richard Bastian, der von Beruf Gauhauptstellenleiter war (* 15.8.1907 Frücht, Kreis St.<br />

Goarshausen, + 8.9.2000 <strong>Koblenz</strong>, 1960-1979 FDP-Stadtratsmitglied). NB, 27.1.1938: Zuerst kommt die<br />

Gemeinschaft!; StAK 623 Nr. 9962, S. 44-49.


498<br />

errichtete Schulzahnklinik 240 (vier Räume), die Verwaltungsschule (drei Räume), die<br />

Bauverwaltung (zehn Räume) sowie die Volksbücherei (drei Räume ab Oktober 1942).<br />

Mieter der Stadt waren das Rote Kreuz (drei Räume), die Landesversicherungsanstalt (fünf<br />

Räume), das Staatliche Gesundheitsamt 241 (vier Räume, zusätzlich fünf Räume der<br />

Landesversicherungsanstalt ab April 1943), die Nähstube 242 (drei Räume), zwei neue<br />

Privatmieter (zehn Räume der Bauverwaltung ab Oktober 1943) und das Kroatische<br />

Konsulat 243 (sieben Räume der Schulzahnklinik und des Roten Kreuzes ab Dezember 1943).<br />

Durch einen Luftangriff wurde das Gebäude zerstört, die Nutzung endete laut Rechnungs-<br />

legung am 30. September 1944. Deshalb verzichtete die Stadt bei ihrer Berechnung auf die<br />

Abschreibung der Wertminderung. 244<br />

<strong>Die</strong>s blieb das einzige Entgegenkommen der Stadt. Sie sträubte sich zwar nicht generell gegen<br />

die Anerkennung von Reichs Ansprüchen, versuchte sie aber zu schmälern, indem sie die<br />

Rechnung von Gegenforderungen aufmachte. Das wertvolle Mobiliar sei angeblich an die<br />

jüdische Gemeinde bzw. vom Deutschen Reich verkauft worden. Wittmann versuchte der<br />

Kammer die damaligen Umstände der Enteignung vor Augen zu führen, um darzulegen, dass<br />

von einem gutgläubigen Erwerb – dem entscheidenden rechtlichen Kriterium – keine Rede<br />

sein konnte. Dazu zitierte er <strong>im</strong> September 1949 Passagen aus einem Brief Reichs und kürzte<br />

sogar die Namen der Beteiligten ab, „um unnötige Schärfen zu vermeiden.“ Aus Reichs<br />

Zeilen spricht Enttäuschung, aber auch Verärgerung: „Wenn ich die Schriftsätze der<br />

Gegenseite lese, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Stadt den begangenen<br />

‚Raub’ als einen legalen ‚Kauf’ hinstellen will. Es scheint der Nazismus und Antisemitismus<br />

noch in voller Blüte zu sein. Interessieren würde ich mich dafür, ob noch Dr. W.[irtz] 245 , B.,<br />

Amtmann Sch.[mitz], und vor allem ein F.[uhlrott] am Ruder sind.“ <strong>Die</strong> Rechnungslegung sei<br />

willkürlich und unglaubhaft. „<strong>Die</strong> Methoden der Stadt sind noch klar in meiner Erinnerung,<br />

wie sie bei der Entjudung meines Grundstückes angewandt wurden.“ Der Wert sei taxiert<br />

worden, ohne dass jemals ein Taxator das Hausinnere betreten habe. <strong>Die</strong> Hauseinrichtung<br />

habe er nicht mehr veräußern können, „weil wir von der vertragsbrüchigen Stadt vom [sic]<br />

4. Juli sozusagen aus dem Hause getrieben wurden. Genossen, wie ein Beigeordneter F. und<br />

240<br />

<strong>Die</strong> dem Wohlfahrtsamt angegliederte Schulzahnklinik wurde <strong>im</strong> Mai 1939 eröffnet. Mit längeren<br />

Unterbrechungen wurden den Berichten des städtischen Schulzahnarztes zufolge bis Juni 1944 Schulkinder von<br />

ihm untersucht und behandelt. Im September 1942 erhielt die weibliche Bereitschaft des DRK auf Anordnung<br />

Fuhlrotts das Arztz<strong>im</strong>mer zur Verfügung gestellt. StAK 623 Nr. 6396; ebd. Nr. 7216, S. 308; ebd. Nr. 9567, S.<br />

66.<br />

241<br />

Im ersten Obergeschoss wurde die Gesundheitsbehörde des Staatlichen Gesundheitsamtes untergebracht, die<br />

mit der städtischen Beratungsstelle für Geschlechtskranke zusammengelegt worden war. <strong>Die</strong> Beratungsstelle<br />

befand sich zuvor <strong>im</strong> Bürgerhospital. StAK 623 Nr. 7572, S. 231-242.<br />

242<br />

<strong>Die</strong> städtische Nähstube war zunächst 1938 „von der NSV fortgeführt“ worden; Haushaltssatzung der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1938, S. 67. Ab 1.4.1939 wurde sie von der NS-Frauenschaft übernommen;<br />

StAK 623 Nr. 6120, S. 7.<br />

243<br />

Das Konsulat verlegte seinen Sitz wegen eines Bombentreffers von Essen nach <strong>Koblenz</strong>; StAK 623 Nr. 6545,<br />

S. 151 f.<br />

244<br />

LHAKo Best. 583,1 Nr. 2623, Zitate Bl. 1a, 3.<br />

245<br />

Wirtz hatte am 1.7.1939 die Wertzuwachssteuererklärung von Reich beanstandet; LHAKo Best. 583,1 Nr.<br />

2623, Bl. 34.


499<br />

ein Heizungsingenieur C. ließen gemeinsam mit einem B. <strong>im</strong>mer wieder das Konzentrations-<br />

lager mir drohend aufs Tapet kommen. Ohne mich zu befragen und ohne, daß eine<br />

Abmachung mit der Stadt bestanden [sic], sind z. Zt. die Burschen bei mir eingedrungen und<br />

haben bereits Umbauten gemacht und mein Brennmaterial gestohlen, Dinge, die unter einem<br />

anständigen Reg<strong>im</strong>e mit hohen Freiheitsstrafen entgolten worden wären.“ 246<br />

<strong>Die</strong> Stadt erhob <strong>im</strong> August 1951 sogar Widerklage auf Zahlung einer Forderung,<br />

anschließende Vergleichsverhandlungen scheiterten. Das Landgericht fällte schließlich am<br />

30. April 1952 das Urteil, das durch die Bestätigung des Obergerichts in Rastatt <strong>im</strong> November<br />

1952 rechtskräftig wurde. Das Urteil stellte klar: „<strong>Die</strong> Beklagte ist schon mit Rücksicht auf<br />

den unangemessenen Kaufpreis nicht als loyale Erwerberin zu betrachten.“ Danach war<br />

zwischen beiden Parteien unstrittig, dass der Kläger vom Kaufpreis nur 16.040,55 RM<br />

erhalten hatte. <strong>Die</strong> beklagte Stadt behauptete, noch 24.020,47 RM an Judenvermögensabgabe<br />

und 1.167 RM an die jüdische Synagogengemeinde gezahlt zu haben, weswegen sie einen<br />

Wiedergutmachungsanspruch in Höhe von 20 % dieses Betrages habe. Als nicht-gutgläubiger<br />

Erwerberin sprach ihr das Gericht jedoch einen Anspruch auf Rückerstattung ab. Der<br />

Nutzungsgewinn von 3.386,75 DM wurde mit dem geflossenen Kaufpreis von 1.604,05 DM<br />

verrechnet, sodass Reich ein Erstattungsbetrag von 1.782,70 DM zugesprochen wurde. 247<br />

Zum Fall Rosenblatt ist die Akte der „Entjudungssache Rosenblatt / Stadt <strong>Koblenz</strong>“<br />

überliefert. Eigentümerin des 155 qm großen Grundstücks Görgenstraße 31 war die<br />

geschiedene Rosa „Sara“ Rosenblatt geb. Siegmann. Bei dem Gebäude handelte es sich um<br />

ein dreigeschossiges Wohnhaus mit einem Ladenlokal <strong>im</strong> Erdgeschoss, das zum Zeitpunkt der<br />

Veräußerung leer stand. Rosenblatt hatte das Haus 1923 für 40.000 Mark erworben, 1927<br />

hatte sie an den Vorbesitzer vereinbarungsgemäß weitere 8.000 RM gezahlt, für die eine<br />

Buchhypothek eingetragen wurde. Rosenblatt bewohnte <strong>im</strong> Erdgeschoss und ersten<br />

Obergeschoss drei Z<strong>im</strong>mer mit Küche. Mieter waren zwei weitere Juden, Robert Jonas und<br />

Karoline Daniel geb. Kaufmann, außerdem ein nicht-jüdischer Schlosser. Der steuerliche<br />

Einheitswert betrug zum 1. Januar 1935 11.900 RM. Als Kaufpreis zahlte die Stadt einen<br />

Betrag, der darunter lag, nämlich 11.050 RM. Der notarielle Kaufvertrag wurde am 7. Juni<br />

1939 geschlossen, bis 31. März 1940 durfte Rosenblatt mietfrei in ihrer Wohnung bleiben.<br />

Am 11. April ging sie mit Leo Mayer eine zweite Ehe ein und zog zu ihm in das „Judenhaus“<br />

Wambachstraße 191. 248 <strong>Die</strong> Eheleute wurden am 27. Juli 1942 von <strong>Koblenz</strong> nach<br />

246 LHAKo Best. 583,1 Nr. 2623, Zitate Bl. 33.<br />

247 LHAKo Best. 583,1 Nr. 2623, Bl. 116 f. (Zitat), 145. Da die Kosten des Verfahrens durch die unterlegene<br />

Stadt zu tragen waren, folgte 1952 eine Auseinandersetzung über die für die Kostenberechnung relevante Höhe<br />

des Streitwerts, den die Stadt zunächst nur auf 40.000 DM festsetzen wollte. Wittmann nannte diese Höhe<br />

angesichts der Grundstückslage und der erhalten gebliebenen Fundamente „geradezu absurd“. Schließlich wurde<br />

ein Vergleich über 55.000 DM angenommen. Ebd., Bl. 121-139, Zitat Bl. 121.<br />

248 StAK 623 Nr. 6724, S. 1-54.


500<br />

Theresienstadt deportiert, wo Leo Mayer am 3. März 1944 starb. Rosa Mayer wurde von dort<br />

am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und 1952 für tot erklärt. 249<br />

<strong>Die</strong> Stadt machte aus dem Haus Görgenstraße 31 ein „Judenhaus“, in das sie ab Frühjahr 1940<br />

mehrere jüdische Einzelpersonen bzw. Familien einwies. 250 In einem von der Liegenschafts-<br />

verwaltung aufgestellten Mietverzeichnis vom 26. Januar 1942 – also kurz vor der ersten<br />

Deportation am 22. März – tauchen als städtische Mieter jedoch nur die Familien Loeb und<br />

Herz sowie die Altmieter auf, sodass die übrigen Personen bzw. Familien Untermieter<br />

gewesen sein müssen. 251<br />

Im Krieg wurde das Gebäude völlig zerstört. Ende 1948 überprüfte die Liegenschaftsver-<br />

waltung <strong>im</strong> Zuge der Rückerstattung die frühere Bewertung der Immobilie. <strong>Die</strong> Kaufpreise in<br />

der dicht besiedelten Görgen- und Balduinstraße lagen demnach zwischen 1938 und 1942 <strong>im</strong><br />

Durchschnitt nur 1,1 % über dem Einheitswert. Ertragswert und Verkehrswert der<br />

Görgenstraße 31 wurden für das Jahr 1939 mit 12.000 RM errechnet: „Herr Liegenschaftsrat<br />

Breuer hatte s.Zt. den Verkehrswert des Grundstücks mit 12480 RM ermittelt.“ Vom<br />

Verkehrswert hätten 2.000 RM für dringend notwendige Instandsetzungsarbeiten abgezogen<br />

werden können. Be<strong>im</strong> Eigentumsübergang auf die Stadt habe sich das alte und renovierungs-<br />

bedürftige Gebäude in einem schlechten Bauzustand befunden, außerdem habe es Leerstände<br />

gegeben. Stadtinspektor Lutz ermittelte 1948 einen Ertragswert von 12.000 RM. Erklärend<br />

fügte er hinzu: „M. E. hätten die o. a. Mieten von 1830 RM auch 1939 erzielt werden können,<br />

wenn nicht durch die Judenaktion von 1938 zwangsweise jüdische Mitbürger in dem Hause<br />

untergebracht worden wären, da diese ihre früheren Wohnungen aufgeben mußten. Da diese<br />

z. T. in sehr schlechten Verhältnissen lebten, waren die Mieten von 1935 nicht mehr zu<br />

erzielen.“ Nochmals wurde – offenbar als Beleg für die Korrektheit der früheren Berechnung<br />

– betont, dass die Wertermittlung von Breuer zusammen mit dem Hochbauamt durchgeführt<br />

worden sei. Eine weitere Nachprüfung der Ertragswertberechnung ergab schließlich 1949<br />

einen Verkaufswert von ca. 11.100 RM. Dabei wies die Liegenschaftsverwaltung das<br />

Rechtsamt darauf hin, dass die Stadt am Grundstückserwerb „ein erhebliches Interesse“<br />

gehabt hatte, da von dem jetzigen Trümmergrundstück ca. 25 qm zur Verbreiterung der<br />

Görgenstraße gebraucht wurden. 252 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> einigte sich mit Rosenblatts<br />

Rechtsnachfolgerin auf einen Vergleich. Der Finanzausschuss st<strong>im</strong>mte <strong>im</strong> April 1949 der<br />

Zahlung von 2.000 DM zu. Im Gegenzug sollte das Trümmergrundstück in städtisches<br />

Eigentum übergehen. 253<br />

249<br />

BArch, Gedenkbuch-CD-Rom.<br />

250<br />

StAK M 18, Hausblatt Görgenstraße 31, sowie Familienblätter Siegler, Leikauf und Herz <strong>im</strong> Hausblatt. Vgl.<br />

Kapitel 7.2.9.<br />

251<br />

StAK 623 Nr. 6724, S. 26.<br />

252<br />

StAK 623 Nr. 6724, S. 27-54, Zitate S. 27, 31, 34. <strong>Die</strong> Restfläche wurde als Parkplatz genutzt.<br />

253<br />

StAK Protokoll Finanzausschuss vom 25.4.1949, TOP 12.


501<br />

Als das Haus Jesuitenplatz 1 wegen Steuerrückständen zur Zwangsversteigerung anstand,<br />

hatte die Stadt Interesse am Erwerb gezeigt. Im Fall der beiden jüdischen Eigentümerinnen,<br />

der Schwestern Frieda Schiffmann geb. Jülich und Hedwig Levy geb. Jülich, war die<br />

Immobilie aber je zur Hälfte dem Reich verfallen bzw. in Treuhandverwaltung des Reichs,<br />

weil eine Schwester ins Ausland emigriert und die andere französische Staatsbürgerin war.<br />

Nachdem das Reich die rückständigen Steuern beglichen hatte, wurde die Zwangsvoll-<br />

streckung aufgehoben. Abteilung XI notierte <strong>im</strong> März 1944, jetzt seien nur noch<br />

Kaufverhandlungen mit den Finanzbehörden möglich. 254<br />

7.2.9 Preisbildung bei Mieten und „Judenhäuser“<br />

Durch das Verbot von Preiserhöhungen vom 26. November 1936 („Preisstoppverordnung“) 255<br />

waren Mieterhöhungen nur mit Genehmigung der Preisbehörde zulässig. Bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> war Abteilung XI zuständige Preisbehörde, 256 die von Fischbach geleitet<br />

wurde. <strong>Die</strong> amtliche Festsetzung der Miete erfolgte gegen Zahlung einer Gebühr auf Antrag<br />

des Vermieters oder des Mieters. Gegenstand des Antrags konnte nicht nur die Höhe der<br />

Miete überhaupt sein, über deren Angemessenheit es auch innerhalb der Volksgemeinschaft<br />

zu den üblichen Auseinandersetzungen kam, wie die städtischen Akten zur Genüge belegen.<br />

Auch jede noch so geringfügige Mieterhöhung, z. B. wegen baulicher Verbesserungen oder<br />

Erhöhung des Wassergelds wegen gestiegenen Verbrauchs, unterlag der Verordnung. <strong>Die</strong><br />

beiden Mietparteien wurden zunächst schriftlich gehört und mussten gegebenenfalls<br />

Unterlagen einreichen. Nach Besichtigung des Mietobjekts verfasste in der Regel<br />

Stadtinspektor Rausch vom Stadtgestaltungsamt als Bausachverständiger das Gutachten,<br />

welcher Mietzins als gerechtfertigt und angemessen angesehen wurde. <strong>Die</strong> Gutachten trugen<br />

fast <strong>im</strong>mer den Sichtvermerk seines Vorgesetzten Stanienda, gelegentlich auch noch von<br />

Klose. Auf Basis dieses Gutachtens erfolgte dann die amtliche Festsetzung der Miete unter<br />

dem Absender „Der Oberbürgermeister als Preisbehörde Abt. XI“. Das Original erhielt der<br />

Antragsteller, eine Durchschrift ging an die jeweils andere Mietpartei, eine weitere an den<br />

Polizeipräsidenten. 257<br />

Überliefert sind zwei Fälle einer Mietfestsetzung, bei denen es um ein Mietverhältnis<br />

zwischen einem Juden und einem „Arier“ ging. Rechtsanwalt Gerhard Prengel 258 stellte <strong>im</strong><br />

254<br />

StAK 623 Nr. 9531, S. 494-531; vgl. ebd. Nr. 11033.<br />

255<br />

RGBl. I, S. 955.<br />

256<br />

Gesetz zur Durchführung des Vierjahresplanes – Bestellung eines Reichskommissars für die Preisbildung –<br />

vom 29.10.1936; RGBl. I, S. 927.<br />

257<br />

StAK 623 Nr. 9682-9686.<br />

258<br />

* 9.5.1907 Marienwerder (Westpreußen), + 11.1.1990 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, Rechtsanwalt, 1933 NSDAP-<br />

Mitglied, 11.9.1944-31.12.1946 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> als Hilfsdezernent be<strong>im</strong> städtischen<br />

Kriegsschädenamt, Leiter des Wohnungsamtes, Leiter des Rechtsamtes und Bearbeiter von Sonderaufgaben,<br />

1969 Justizrat. StAK 623 Nr. 3853; RZ, 27.5.1969: Ernennung zum Justizrat; RZ, 8./9.5.1982: 75. Geburtstag;<br />

RZ, 20./21.1.1990: Todesanzeige.


502<br />

Mai 1939, einen Monat nach seinem Einzug in eine Wohnung <strong>im</strong> ersten Obergeschoss <strong>im</strong><br />

Haus des jüdischen Arztes Dr. Hugo Bernd 259 , Kaiser-Wilhelm-Ring 39, einen Antrag auf<br />

Festsetzung der Miete. Wie Rausch feststellte, hatte Bernd bereits dem Vormieter, seinem<br />

„Rassegenossen Beck 260 “, Inhaber eines Modehauses, die Wohnung gegen einen<br />

verhältnismäßig niedrigen Preis für private und gewerbliche Nutzung vermietet. Auch Prengel<br />

nutzte die Räume nicht nur privat, sondern auch für seine Rechtsanwaltspraxis. Rausch<br />

beurteilte die 134 qm große Wohnung mit Balkon <strong>im</strong> Juli und kam zu dem Schluss, der<br />

bereits genehmigte Mietpreis von 140 RM monatlich „ist auch für diesen Mieter ein<br />

angemessener (um nicht zu sagen billiger) Mietzins.“ Dagegen brachte Prengel einige<br />

Einwände vor, die von Rausch aber schnell entkräftet werden konnten und der es außerdem<br />

„eigentümlich“ fand, dass Prengel einen Monat nach Vertragsabschluss <strong>im</strong> April die Miete<br />

beanstandete. Jedenfalls setzte die Preisbehörde die Miete in unveränderter Höhe fest. 261 Im<br />

Dezember 1939 beantragte Prengel erneut eine Herabsetzung der Miete, da er seine Praxis<br />

aufgrund seiner Tätigkeit be<strong>im</strong> Oberpräsidenten in Essen nicht mehr persönlich ausübe,<br />

sondern sich durch den Kollegen Mand vertreten lasse. Ein Mietaufschlag für gewerbliche<br />

Nutzung sei nicht mehr gerechtfertigt. Bernd bat <strong>im</strong> Januar 1940 um Zurückweisung des<br />

Antrags, weil die Miete inklusive aller Nebenkosten <strong>im</strong>mer noch als preiswert zu betrachten<br />

sei. Ein zusätzliches Z<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> dritten Obergeschoss, über das Beck nie verfügt habe, sei<br />

von Prengel untervermietet. Bernd machte geltend, dass eine Mietherabsetzung eine große<br />

Härte für ihn darstelle, weil ihm und seiner Frau nach Zahlung der Judenvermögensabgabe<br />

außer dem Haus kein nennenswertes Vermögen mehr geblieben sei und er aus seiner<br />

Arztpraxis, die er nur noch in beschränktem Umfang ausüben könne, nur geringfügige<br />

Einnahmen erziele. Rausch lehnte die Mietherabsetzung nach wie vor als ungerechtfertigt ab.<br />

Prengel nahm seinen Antrag <strong>im</strong> März 1941 wieder auf. Seine Praxis sei fast völlig zum<br />

Erliegen gekommen, und er könne nach seiner Einberufung aufgrund seiner geringen<br />

Wehrmachtsbesoldung die Miete nicht aufbringen. Wieder lehnte die Preisbehörde ab, weil<br />

Mietsenkungen für gewerblich genutzte Räume bei kriegsbedingtem Umsatzrückgang nur in<br />

Betracht kämen, wenn der Mietzins objektiv zu hoch sei, was hier nicht der Fall sei. 262 Der<br />

zweite „arische“ Mieter war der HJ-Bannführer Franz Peter („Pitt”) Schneider, der <strong>im</strong> April<br />

1942 noch vor seinem Einzug in das Haus Bernd die Abschätzung einer Wohnung in der<br />

zweiten Etage beantragte. 263<br />

259 Geb. 21.4.1878 <strong>Koblenz</strong>, Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, verheiratet mit Senta geb. Fuchs, geb. 19.3.1886<br />

Karlsruhe, beide am 28.2.1943 von <strong>Koblenz</strong> zunächst nach Düsseldorf und von dort am 1.3.1943 nach<br />

Auschwitz deportiert. <strong>Die</strong> drei Kinder konnten ins Ausland emigrieren. Thill: Lebensbilder, S. 206 f.; Thill:<br />

Lebensbilder, Personenregister und Nachträge, S. 50.<br />

260 Paul Joseph Beck, geb. 12.3.1892 Pölling (Bayern), Kaufmann, Damenschneider, abgemeldet nach Köln<br />

August 1939; StAK M 15, Hausblatt Friedrich-Ebert-Ring 39; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Heiratsurkunde<br />

Nr. 1147/1920.<br />

261 StAK 623 Nr. 9682, S. 144-154, Zitate S. 147, 149.<br />

262 StAK 623 Nr. 9682, S. 454-475, Zitate S. 464, 466.<br />

263 StAK 623 Nr. 9685, S. 53-65. Zu Schneider vgl. NB, 30.9.1936: Neuer Führer des Jungbanners 28.


503<br />

Zwar hatte Prengel hartnäckig versucht, eine Herabsetzung der Miete durchzusetzen, doch<br />

hatte er sich mit keinem Wort diffamierend über Bernd geäußert. Dagegen konnte ein<br />

angeblich „jüdisches Verhalten“ des Vermieters als Argument missbraucht werden. So<br />

machte Michael Eckerskorn <strong>im</strong> Mietfestsetzungsverfahren gegen die Firma Hako Hammer<br />

KG, „arische“ Nachfolgerin der Firma J. Speier KG, <strong>im</strong> April 1942 geltend, die Firma Speier<br />

hätte „seine seinerzeitige geschäftliche Notlage in echt jüdischer Weise“ ausgenutzt und ihn<br />

als Vermieter auf die Hälfte der Vertragsmiete herabgedrückt. 264<br />

Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 265 schuf einen neuen<br />

Sachverhalt, mit dem sich die Preisbehörde beschäftigen musste. <strong>Die</strong> Durchführung des<br />

Gesetzes lag allein bei den Kommunen. Sie wurde am 22. Mai 1939 dem Stadtwirtschaftsamt<br />

(Abteilung X) in der Thielenschule übertragen, dem die Mietverhältnisse schriftlich zu<br />

melden waren und das die zwangsweise Einweisung von Juden in von Juden gemietete oder<br />

in deren Eigentum befindliche Wohnobjekte betrieb. 266 Fälle von Zwangseinweisungen durch<br />

das Stadtwirtschaftsamt sind erstmals für Anfang Juli 1939 nachweisbar. 267 So wies das Amt<br />

beispielsweise zum 1. August bzw. 1. September 1939 vier jüdische Familien und eine<br />

Einzelperson in eine Wohnung mit sechs Z<strong>im</strong>mern, Küche und Bad in der Mainzer Straße 14<br />

ein. 268 Auf engstem Wohnraum zusammengepfercht, wurde die jüdische Bevölkerung nach<br />

und nach durch Abteilung X in „Judenhäusern“ 269 konzentriert. Eine Aktenüberlieferung<br />

hierzu fehlt.<br />

Paragraf 4 des Gesetzes regelte nicht nur die Aufnahme von Juden als Mieter oder<br />

Untermieter „auf Verlangen der Gemeindebehörde“. <strong>Die</strong> Gemeindeverwaltung konnte bei<br />

Verweigerung eines Mietvertrags einen Vertrag mit von ihr festgelegtem Inhalt best<strong>im</strong>men<br />

und außerdem als Preisbehörde die Miete festlegen. In diesen Fällen stellte das Stadtwirt-<br />

schaftsamt bei der Preisbehörde den Antrag auf Mietfestsetzung. So wurde Stadtinspektor<br />

Hugo Tilsner vom Stadtwirtschaftsamt <strong>im</strong> August 1939 in zwei Fällen tätig, als eine<br />

freiwillige Einigung zwischen den Vermietern Josefine Marx, Trierer Straße 297, und Bruno<br />

Daniel, Marktstraße 5, mit den bei ihnen zwangseingewiesenen jüdischen Familien nicht<br />

264<br />

StAK 623 Nr. 9684, S. 171-222, Zitat S. 203. Zu Speier, Schuhwaren, Entenpfuhl 27, vgl. Thill:<br />

Lebensbilder, S. 284, 352. Ein Beispiel dafür, dass Juden überteuerte Mieten zahlen mussten, s. StAK 623 Nr.<br />

7256, S. 856: <strong>Die</strong> „Wohnung des Juden Berlin“ war kleiner, dunkler und teurer als eine andere Wohnung <strong>im</strong><br />

selben Haus, deren Miete 1938 herabgesetzt werden musste.<br />

265<br />

RGBl. I, S. 864.<br />

266<br />

NB, 25.5.1939: Bekanntmachung; StAK 623 Nr. 9567, S. 76. Zweifelsfälle waren <strong>im</strong> Benehmen mit Abt. I zu<br />

klären.<br />

267<br />

StAK 623 Nr. 9682, S. 156, 176.<br />

268<br />

StAK 623 Nr. 9682, S. 357.<br />

269<br />

<strong>Die</strong>s waren: An der Liebfrauenkirche 11, Bahnhofstraße 27, Balduinstraße 16/18 und 37,<br />

Görgenstraße 31, Hohenzollernstraße 131 und 146, Kaiser-Friedrich-Straße [Südallee] 20, Kaiser-Wilhelm-Ring<br />

[Friedrich-Ebert-Ring] 39, Kastorpfaffenstraße 12, Lortzingstraße 3, Marktstraße 5, Moselweißer Straße 52,<br />

Ravensteynstraße 10, Rizzastraße 22, Wambachstraße 191, Weißer Straße 28. Vgl. Thill: Lebensbilder, S. 375;<br />

StAK M, Hausblätter der jeweiligen Straßen.


504<br />

zustande kam. 270 Der bei Siegfried Cohn in dessen Haus Rizzastraße 27 zwangseingewiesene<br />

Julius Daniel sprach <strong>im</strong> Oktober 1939 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> wegen der in seinen Augen<br />

überhöhten Mietforderung vor. Da er „<strong>im</strong> Interesse eines friedlichen Zusammenlebens mit<br />

seinem Mieter nicht selbst in Erscheinung treten will“, erklärten sich Fischbach und Tilsner<br />

bereit, das Verfahren von Amts wegen einzuleiten. Rausch kürzte als Gutachter den Mietzins<br />

von 100 auf 73 RM und schlug zur Vermeidung „der bekannten Unzuträglichkeiten bei der<br />

gemeinschaftlichen Küchenbenutzung“ eine andere Raumverteilung zwischen Vermieter und<br />

Mieter vor. Doch das Stadtwirtschaftsamt stellte sich <strong>im</strong> Januar 1940 auf den Standpunkt, es<br />

handele sich „um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Juden, in die es nicht eingreifen<br />

kann.“ 271 Im Fall der Brüder Alfred und Sally Bernd, die <strong>im</strong> April 1940 ebenfalls Cohn<br />

zugewiesen wurden, stellte dieser als Vermieter zur Vermeidung von „Streitigkeiten“ und<br />

„Differenzen“ den Antrag auf amtliche Mietfestsetzung. Dabei lassen die Stellungnahmen<br />

von Vermieter und Mietern auf ein bereits gestörtes Verhältnis schließen. 272<br />

<strong>Die</strong> Zwangs-Wohngemeinschaften führten angesichts der gemeinsamen Verfolgungssituation<br />

nicht unbedingt zur Solidarisierung der Juden untereinander. <strong>Die</strong> räumliche Enge und die<br />

gegenseitigen Beschränkungen lösten nicht selten typische Mieter-Vermieter-Konflikte aus,<br />

die sich bei unangemessenen Mietforderungen verschärfen konnten. <strong>Die</strong>s zeigt auch der Fall<br />

von Philipp Falk, der <strong>im</strong> Juli 1939 mit seiner dreiköpfigen Familie in ein teilmöbliertes<br />

Z<strong>im</strong>mer bei Wilhelm Kahn, Rizzastraße 22, eingewiesen wurde. „Da durch die Zwangsweise<br />

[sic] Einweisung bei dem Vermieter Kahn, kein zu freundliches Mietverhältnis besteht, ist<br />

eine gütliche Einigung auf dieser Basis nicht zu erzielen […]“, begründete Falk seinen Antrag<br />

auf Mietfestsetzung. 273 Weitere Beispiele für problematische Mietsituationen ließen sich<br />

anführen. 274 Als 1941 die Wohnraumbeschaffung für Ausgebombte akut wurde, prüfte<br />

Stadtbaurat Friedrich Bode <strong>im</strong> September die Frage, ob es sich empfehle, die Juden nach dem<br />

Beispiel anderer Städte in Baracken und die Fliegergeschädigten in deren Wohnungen<br />

unterzubringen. Er verwarf diese Möglichkeit jedoch sofort wieder: Da die noch verbliebenen<br />

238 Juden in „60, meist sehr kleinen und schlechten Wohnungen“ lebten, „viele […]<br />

gemeinsam von mehreren jüdischen Familien“ bewohnt, werde nur für bedeutend weniger als<br />

270 StAK 623 Nr. 9682, S. 298-306 (Marx), 323-329 (Daniel).<br />

271 StAK 623 Nr. 9682, S. 395-404, Zitate S. 399, 401.<br />

272 StAK 623 Nr. 9682, S. 194-219, Zitat S. 195.<br />

273 StAK 623 Nr. 9682, S. 175-186, Zitat S. 176. Der Antrag wurde schließlich zurückgezogen, da sich Falk noch<br />

vor seiner Auswanderung mit Kahn einigen konnte.<br />

274 StAK 623 Nr. 9682, S. 155-166 (Josef Herz vs. Klara Süßmann, Görgenstraße 6); ebd. S. 438-453 (Mathilde<br />

Capell vs. Babette Anschel, Dammstraße 8); ebd. Nr. 9683, S. 220-247 (Moses Isidor vs. Semmy Pollack,<br />

Kaiser-Friedrich-Straße 20); ebd. Nr. 9684, S. 1-8 (Lothar Münch vs. S<strong>im</strong>on Daniel, An der Liebfrauenkirche<br />

11). In einigen anderen Fällen erledigte sich die Mietfestsetzung durch Auswanderung bzw. Umzug des Mieters<br />

oder weil sich der Antragsteller nicht mehr bei der Preisbehörde meldete; StAK 623 Nr. 9682, S. 433-437, 543-<br />

555; ebd. Nr. 9683, 1-3.


505<br />

60 Familien Platz geschaffen. 275 Für arische Fliegergeschädigte waren diese Wohnver-<br />

hältnisse also unzumutbar.<br />

Gemäß der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 276 verfiel<br />

das jüdische Eigentum mit der Deportation an das Reich. Mit der Verwaltung und Verwertung<br />

des ehemaligen jüdischen Vermögens wurden die Finanzämter betraut. 277 Im Oktober 1942<br />

bat Oberregierungsrat Nikolaus Geisbüsch 278 von der Liegenschaftsverwaltung des <strong>Koblenz</strong>er<br />

Finanzamts um Mitteilung der ortsüblichen Miete für das Haus Rizzastraße 27, das vormals<br />

Siegfried Cohn gehört hatte und der am 22. März 1942 zusammen mit seiner Frau nach Izbica<br />

deportiert worden war. 279 Einen weiteren Antrag stellte Geisbüsch <strong>im</strong> April 1943 für das<br />

Objekt Bismarckstraße 17. <strong>Die</strong> Jahresmiete der vier Mieter von insgesamt 3.360 RM<br />

inklusive Heizung, Wassergeld und Schornsteinfeger hielt er für zu gering und bat um<br />

Neufestsetzung: „<strong>Die</strong> niedrigen Mietbeträge sind offenbar so zu erklären, daß sie seinerzeit<br />

unter den bestehenden besondern Verhältnissen gegenüber dem jüdischen Hauseigentümer<br />

[sic] entstanden sind.“ Mit anderen Worten: Der jüdische Vermieter 280 hatte bei seinen<br />

arischen Mietern – darunter ein Landgerichtsrat und ein NSDAP-Gauhauptstellenleiter –<br />

keine höheren Mieten durchsetzen können. In diesem Fall nahm nicht nur Rausch, sondern<br />

parallel auch Stadtoberbaurat Hübler eine Abschätzung vor. Ihre geringfügige Abweichung<br />

wurde in einer Besprechung geklärt und <strong>im</strong> Mai 1943 eine neue Jahresmiete von 3.180 RM<br />

zuzüglich Heizkosten von 600 RM festgesetzt, d. h. die Einzelmieten erhöhten sich ganz <strong>im</strong><br />

Sinne des Finanzamts. 281<br />

7.2.10 Wohlfahrtsunterstützung für Juden<br />

Den Anstoß zu einer Minderung der Unterstützungsleistungen für bedürftige Juden gab Mitte<br />

Oktober 1935 Regierungspräsident Turner, als er einen entsprechenden Bericht seiner<br />

Abteilung W „zur Kenntnis und Beachtung“ gab. Danach sah das Fürsorgerecht die Pflicht<br />

275<br />

StAK 623 Nr. 7020, S. 22. Bode nennt als Quelle für das Zahlenmaterial eine „<strong>Die</strong>nststelle für<br />

Judenangelegenheiten“.<br />

276<br />

RGBl. I, S. 722.<br />

277<br />

Rummel/Rath: „Dem Reich verfallen“, S. 88-116.<br />

278<br />

* 10.7.1881 Allenz (Kreis Mayen). Geisbüsch hatte 1929 auf dem letzten Listenplatz des Zentrums für die<br />

Stadtverordnetenversammlung kandidiert; KGA, 11.11.1929: Öffentliche Bekanntmachung. <strong>Die</strong> Gauleitung hielt<br />

ihn 1937 für politisch unzuverlässig; Thul, Ewald J.: Das Landgericht <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Unrechtsstaat. In: 150 Jahre Landgericht <strong>Koblenz</strong> (Veröffentlichungen der landeskundlichen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>im</strong> Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong> e. V. 9). Boppard 1970, S. 63-134, hier S. 66. Als<br />

Finanzbeamter war er ein „unverzichtbarer Experte“ auf dem Gebiet (ehemaligen) jüdischen Vermögens, für das<br />

er sowohl vor als auch nach 1945 zuständig war: 1933-1936 Oberregierungsrat be<strong>im</strong> Landesfinanzamt Köln,<br />

1936-1945 Oberregierungsrat be<strong>im</strong> Finanzamt <strong>Koblenz</strong>, 1945 als Nicht-NSDAP-Mitglied Belassung <strong>im</strong> Amt,<br />

Oberregierungsrat in der Finanzabteilung des OP der Nordrheinprovinz, 1946-1949 Leiter des Landesamtes für<br />

kontrollierte Vermögen in <strong>Koblenz</strong>; Rummel/Rath: „Dem Reich verfallen“, S. 287. 1949 war Geisbüsch<br />

Regierungsdirektor und stellvertretender Vorsitzender des Katholischen Lesevereins; StAK 623 Nr. 7179, S. 11.<br />

279<br />

StAK 623 Nr. 9685, S. 112-122. Alle jüdischen Bewohner einschließlich Cohn hatten das Haus schon <strong>im</strong><br />

Februar 1941 verlassen und in andere Judenhäuser umziehen müssen; StAK M 145, Hausblatt Rizzastraße 27.<br />

280<br />

Hauseigentümer war Karl Hirsch, Karden; AB 1937/38, S. III 12.<br />

281 StAK 623 Nr. 9686, S. 72-85.


506<br />

zur Unterstützung jedes hilfsbedürftigen Deutschen als auch Ausländers vor. Es sei derzeit<br />

„keine gesetzliche Handhabe vorhanden, den hilfsbedürftigen Juden fürsorgerechtlich anders<br />

als den Hilfsbedürftigen deutschen Blutes zu behandeln. <strong>Die</strong>se gesetzliche Verpflichtung<br />

schließt naturgemäß nicht aus, an den Fürsorgefall des hilfsbedürftigen Juden einen besonders<br />

strengen Maßstab anzulegen und gegebenenfalls nur eine Unterstützung zu gewähren, die<br />

unter dem Richtsatz liegt. Denn der festgesetzte Richtsatz bietet für keinen Hilfsbedürftigen<br />

einen Rechtsanspruch, es kann grundsätzlich, je nach Lage des Einzelfalles, von ihm nach<br />

oben oder unten abgewichen werden.“ 282<br />

In diesem Zusammenhang diffamierte die <strong>Stadtverwaltung</strong> öffentlich, aber nicht namentlich<br />

einen Juden. Im Verwaltungsbericht für das Rechnungsjahr 1938 hieß es, ein „Unter-<br />

stützungsempfänger (Jude)“ sei wegen Unterstützungsbetrugs angezeigt und zu drei Monaten<br />

Gefängnis verurteilt worden. Es handelte sich um den Metzger Karl Siegler, der zu Unrecht<br />

341 RM bezogen hatte, weil er Nebeneinkünfte verschwiegen hatte. 283<br />

Bis 1. Januar 1939 gewährte das Wohlfahrtsamt hilfsbedürftigen Juden eine „Unterstützung<br />

nach den Reichsgrundsätzen und den örtlichen Richtlinien“, danach wurde „keinerlei<br />

Unterstützung“ mehr gezahlt. 284 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> schöpfte damit die max<strong>im</strong>ale<br />

Möglichkeit aus, die sich durch die Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden vom<br />

19. November 1938 285 bot. Nach dieser Verordnung waren Juden bei Hilfsbedürftigkeit<br />

zunächst an die jüdische freie Wohlfahrtspflege 286 zu verweisen. Erst wenn diese nicht helfen<br />

konnte, sollte die öffentliche Fürsorge eingreifen. Aber selbst diese – rechtlich vorgesehene –<br />

Subsidiaritätsleistung wurde in <strong>Koblenz</strong> gestrichen, wodurch „rd. 40 Parteien [Haushalte]“<br />

jegliche öffentliche Unterstützung verloren, 287 während in Trier noch <strong>im</strong> Mai 1939 die<br />

sogenannte ergänzende Fürsorge für 10 Parteien mit 18 Personen gewährt wurde. 288 <strong>Koblenz</strong><br />

stand mit seiner rigiden Praxis zwar <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Stadt- und Landkreisen der<br />

Rheinprovinz nicht allein, die Mehrzahl praktizierte aber die ergänzende Fürsorge. 289<br />

282<br />

StAK 623 Nr. 6114, S. 83.<br />

283<br />

VB 1938/39, S. 91; NB, 18./19.6.1938: Ein Jude betrog das Wohlfahrtsamt. Zu Siegler vgl. Hildburg-<br />

Helene Thill: Geschichte der Juden in Metternich. In: He<strong>im</strong>atfreunde/Weiß (Hg.): Metternich <strong>im</strong> Spiegel der<br />

Jahrhunderte, S. 233-262, hier S. 259 f. (mit falschem Sterbedatum 22.4.1971 statt 16.11.1967), 262.<br />

284<br />

LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 413, Bl. 31. Vgl. BArch R 36/1022, veröffentlicht in: Düwell: <strong>Die</strong> Rheingebiete<br />

in der Judenpolitik, S. 287.<br />

285<br />

RGBl. I, S. 1649. <strong>Die</strong> VO war am 1.1.1939 in Kraft getreten.<br />

286<br />

Zu den jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen in <strong>Koblenz</strong> vgl. Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden<br />

(Hg.): Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-33. Berlin<br />

1932, S. 221.<br />

287<br />

VB 1938/39, S. 85. Der Verwaltungsbericht nennt als Datum der Einstellung der Unterstützungsleistungen<br />

sogar den 1.12.1938, obwohl die entsprechende VO erst zum 1.1.1939 in Kraft trat.<br />

288<br />

LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 413, Bl. 43. Vgl. BArch R 36/1022, veröffentlicht in: Düwell: <strong>Die</strong> Rheingebiete<br />

in der Judenpolitik, Anhang V, S. 286-293, hier S. 289.<br />

289<br />

Ergebnis einer Umfrage der DGT-Provinzialdienststelle vom 25.5.1939; LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 413,<br />

Bl. 19, 98-101.


507<br />

Im Mai 1939 lebten in <strong>Koblenz</strong> noch 336 „Geltungsjuden“ <strong>im</strong> Sinne der Nürnberger Gesetze<br />

(davon 308 Glaubensjuden), dazu 73 (7) Mischlinge I. Grades sowie 56 Mischlinge II. Grades<br />

(keine). 290 <strong>Die</strong> Ausgrenzung der Juden wurde auch bei der Ausgabe von Lebensmittelmarken<br />

und anderen Bezugsscheinen vollzogen: Be<strong>im</strong> Stadtwirtschaftsamt war die Abteilung D für<br />

„Kohlen, Seife, Sammelbezugscheine für Anstalten, Flüchtlinge, Juden“ zuständig. 291<br />

7.2.11 Mitwirkung bei den Deportationen<br />

Auf Anordnung Fuhlrotts waren bei zwei Judendeportationen städtische Fürsorgerinnen am<br />

Güterbahnhof in Lützel anwesend. Karl Scherer, damals stellvertretender Leiter des<br />

Wohlfahrtsamtes, gab in seinem Entnazifizierungsverfahren an, „daß zwei städtische<br />

Fürsorgerinnen bei der Judenverschickung in zwei Fällen die Leibesvisitation der jüdischen<br />

Frauen und Mädchen unmittelbar vor ihrem Abtransport durchführen mussten. Auf meinen<br />

dieserhalb bei ihm [Fuhlrott] erhobenen Einspruch, daß dies doch nicht Aufgabe der städt.<br />

Fürsorgerinnen sei, erhielt ich eine gründliche Zurechtweisung, erreichte aber keine Änderung<br />

der Anordnung“. 292<br />

Zur Deportation vom 22. März 1942 schickte Fuhlrott Agnes Hassler 293 , eine erfahrene<br />

Fürsorgerin, und Susanne Hilleshe<strong>im</strong> 294 (Abb. 24), eine damals knapp 23-jährige<br />

Berufsanfängerin, die erst seit Mai 1941 ihr Anerkennungsjahr bei der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

absolvierte. Er teilte den beiden mit, die Gestapo hätte Fürsorgerinnen angefordert, die sich<br />

um die Frauen und Kinder kümmern sollten. Während die Parteigenossin Hassler als forsch<br />

und robust galt, 295 empfand Hilleshe<strong>im</strong> die ihr zugewiesene Aufgabe sofort als großes<br />

Unglück. Erfolglos versuchte sie, sich bei Fuhlrott gegen den Einsatz zu wehren. Am<br />

Güterbahnhof war Hilleshe<strong>im</strong> beeindruckt von Dr. Hugo Bernd, der sich um die ärztliche<br />

Betreuung bemühte und noch rastlos Medikamente und Beruhigungsmittel besorgte. Sie<br />

290<br />

Düwell: <strong>Die</strong> Rheingebiete in der Judenpolitik, S. 65, Tabelle 3. In Trier lag die Zahl der Geltungsjuden mit<br />

383 (davon 366 Glaubensjuden) etwas höher, dazu 39 (3) Mischlinge I. und 26 (1) Mischlinge II. Grades. Ebd.<br />

291<br />

Stand November 1939; StAK 623 Nr. 9567, S. 191. Zu den drastisch reduzierten Lebensmittelrationen für<br />

Juden vgl. die streng vertrauliche Propaganda-Weisung Nr. 10 des Reichspropgandaamtes Moselland vom<br />

6.10.1942; LHAKo Best. 714 Nr. 1236, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 262 f.<br />

292<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 190313 (unpaginiert), Scherer vom 20.12.1946.<br />

293<br />

* 12.4.1897 Köln, ledig, seit 1927 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>; StAK 623 Nr. 8918, S. 11, 38, 87; ebd. Nr. 9382,<br />

S. 16.<br />

294<br />

StAK 623 Nr. 8918, S. 101. Susanne („Susi“) Hermans geb. Hilleshe<strong>im</strong>, * 26.8.1919 Güls (heute <strong>Koblenz</strong>),<br />

katholisch, 1938 Abitur, Studium an der Sozialen Frauenschule in Aachen, 1943 Staatlich anerkannte<br />

Sozialarbeiterin [damals: Volkspflegerin; StAK 623 Nr. 9382, S. 16], 1951-1983 CDU-Landtagsabgeordnete,<br />

1981-1983 Landtagsvizepräsidentin, 1953 Heirat mit Ministerialdirektor Hubert Hermans (* 1909 Köln, + 1989<br />

<strong>Koblenz</strong>), über 20 Jahre Vorsitzende des Sozialdienstes Katholischer Frauen, heute Ehrenvorsitzende. Elisabeth<br />

Weiler: Susanne Hermans (geb. 1919). In: Hedwig Brüchert: Rheinland-Pfälzerinnen. Frauen in Politik,<br />

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in den Anfangsjahren des Landes Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der<br />

Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 23), Mainz 2001, S. 196-199.<br />

295<br />

Ihr Arbeitsgebiet war seit 1936 <strong>im</strong> Pflegeamt bzw. bei der Gesundheitsbehörde die Betreuung von<br />

Geschlechtskranken, d. h. in der Regel von Prostituierten, was Hassler den internen Spitznamen „Dirnen-Agnes“<br />

eintrug. Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009. Vgl. StAK 623 Nr. 6114, S. 162, 170; ebd. Nr.<br />

6467.


508<br />

selbst kümmerte sich besonders um eine junge Mutter mit ihrem wenige Monate alten<br />

Säugling, für den sie in der Nachbarschaft des Bahnhofs um heißes Wasser zur Auflösung<br />

von Trockenmilch bat. Mehrmals wurde sie von verängstigten Anwohnern abgewiesen, bis<br />

schließlich eine Familie half, die der Partei angehörte. Hilleshe<strong>im</strong> versuchte, die Mutter zu<br />

trösten und ihr Mut zuzusprechen. Im Gegensatz zu Hassler beteiligte sie sich nicht an<br />

Leibesvisitationen. Als ein Gestapo-Beamter Hilleshe<strong>im</strong>s Bemühungen und Mitleid<br />

beobachtete, herrschte er Hassler an, ihre Kollegin brauche gar nicht so viel Aufheben zu<br />

machen. <strong>Die</strong> Leute würden sowieso alle umgebracht. <strong>Die</strong>se Nachricht erschütterte sogar<br />

Hassler. Sichtlich bewegt informierte sie Hilleshe<strong>im</strong>, die ebenso geschockt reagierte und sich<br />

abends bei ihrer Kollegin Maria Bach ausweinte. <strong>Die</strong> ihr aufgezwungene Mitwirkung bei der<br />

Deportation machte Hilleshe<strong>im</strong> regelrecht krank, sie litt unter Schlafstörungen. Im Luft-<br />

schutzkeller des Rathauses vertraute sie sich später einem Jesuitenpater an, der sie zu trösten<br />

versuchte. Nur Hassler kam noch einmal zum Einsatz. 296 Hilleshe<strong>im</strong> war auch Zeugin der<br />

Verladeaktion geworden: „Wie sie die Leute da hineingepresst haben in die Waggons, die<br />

alten Leute, die Frauen mit den Kindern. Da wusste man, wo man dran war.“ 297<br />

Möglicherweise verzichtete die Gestapo <strong>im</strong> Anschluss bewusst auf die professionellen<br />

Fürsorgerinnen, nachdem diese – quasi ganz „unprofessionell“ – Mitleid und Anteilnahme<br />

gezeigt hatten. Dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> von einer bevorstehenden Deportation durch einen<br />

Sachbearbeiter der Regierung (wahrscheinlich der Gestapo) Kenntnis hatte, ist zumindest für<br />

den Transport am 27. Juli 1942 belegt. 298<br />

7.2.12 Juden als Zwangs- und Lohnarbeiter<br />

Im April 1941 stellte das Tiefbauamt be<strong>im</strong> Arbeitsamt <strong>Koblenz</strong> einen Antrag auf Zuweisung<br />

70 polnischer Juden als Arbeitskräfte für den Straßenbau für zunächst ein Jahr. Bürgermeister<br />

und Stadtkämmerer Hüster hatte den Einsatz auf Antrag der Abteilung XII „grundsätzlich<br />

genehmigt“. Wegen der Unterbringung, „Bewachung“ und Verpflegung der „Gefangenen“<br />

verhandelte das Tiefbauamt auf Veranlassung des Arbeitsamtes mit dem DAF-Kreisobmann<br />

296<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 11.7.2011. Frau Hermans wollte zunächst nicht über ihren<br />

Einsatz bei der Judendeportation sprechen. In mehreren Telefonaten sprach sie nur allgemein davon, wie „ganz,<br />

ganz schl<strong>im</strong>m“ es gewesen sei. In einem persönlichen Gespräch am 11.7.2011 begann sie doch noch zu erzählen.<br />

Auch nach 69 Jahren wühlte das damalige Geschehen die knapp 92-Jährige sehr auf und sie fragte mehrmals:<br />

„Was hätte ich denn tun können?“ <strong>Die</strong> Darstellung von Elmar Ries: <strong>Die</strong> Deportationen von jüdischen Mitbürgern<br />

aus <strong>Koblenz</strong> und Umgebung, in: Beiträge zur jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz, 3. Jg., Ausg. 2/1993, H.<br />

5, S. 32-45, hier S. 36, korrigierte Frau Hermans in zwei Punkten: 1. Der Gestapo-Beamte sprach nicht mit ihr,<br />

sondern nur mit Hassler. 2. Weder duzte Fuhlrott sie noch versuchte er, sie nach der Deportation zu trösten. <strong>Die</strong><br />

von Ries genannte Kollegin „M. L.“ war Maria Bach geb. Lenartz (vgl. StAK 623 Nr. 9382, S. 16).<br />

297<br />

Susanne Hermans in einem Interview mit SWR 1 vom 17.2.2008;<br />

http://www.swr.de/swr1/rp/programm/aktionen/-<br />

/id=616164/nid=616164/did=3016094/mpdid=3053516/15zu3bf/index.html, Zugriff am 10.7.2009.<br />

298<br />

StAK 623 Nr. 7670, S. 140. Es ging in diesem Fall um den Abtransport von jüdischen Insassen der<br />

Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn, wo die Stadt ein Ausweichkrankenhaus einrichten sollte.<br />

Vgl. Kapitel 8.2.


509<br />

Heinrich Sarg, der für die Lagerunterbringung zuständig war. Sarg machte zur Bedingung,<br />

dass mit der Aufsicht <strong>im</strong> vorgesehenen Lager des Lützeler Bauunternehmers Paul Julius<br />

Selbach <strong>im</strong> Wellingsweg Emil Faust 299 beauftragt werde. Faust war nicht nur seit der<br />

Kampfzeit ein stadtbekannter Schläger, sondern ein wegen seiner sadistischen Brutalität<br />

gefürchteter ehemaliger KZ-Kommandant. 1933 war er nach nur kurzer Tätigkeit wegen<br />

schweren Misshandlungen von Schutzhäftlingen, an denen er sich aktiv beteiligte hatte, und<br />

mehreren Morden unter seiner Mitwirkung bzw. Verantwortung abgesetzt worden. Der<br />

SS-Obersturmführer war 1936 aufgrund fortgesetzter Disziplinlosigkeit aus der SS<br />

ausgeschlossen worden, 1937 folgte der Ausschluss aus der NSDAP. Um 1938 bis 1939/40<br />

war Faust bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> als Schulhausmeister untergekommen, 300 obwohl<br />

inzwischen weder Parteigrößen ihm Arbeit vermitteln wollten noch Arbeitgeber bereit waren,<br />

den cholerischen Gewalttäter einzustellen. Er schien Sarg jedoch für die Beaufsichtigung der<br />

Juden „sehr geeignet zu sein, weil Faust in der Lage sei, die Verwaltung des Lagers mit der<br />

hier gebotenen Härte wahrzunehmen.“ Nichts deutet darauf hin, dass die Bauverwaltung<br />

– Sachbearbeiter des Vorgangs war Stadtinspektor Schnorbach – nicht bereit gewesen wäre,<br />

diesen Lagerleiter zu akzeptieren. An Arbeitslohn sollte der Tiefbauarbeiterlohn für<br />

ungelernte Arbeiter gezahlt werden, wobei die Bauverwaltung eine geringere Arbeitsleistung<br />

als die eines deutschen Arbeiters erwartete. Bei Antragstellung bat man das Arbeitsamt noch<br />

um Prüfung, „in welcher Weise die Juden an den Verpflegungs- und Unterkunftskosten<br />

beteiligt werden können.“ Der Antrag wurde jedoch <strong>im</strong> selben Monat hinfällig, weil Hitler<br />

den Einsatz polnischer Juden <strong>im</strong> Reichsgebiet generell ablehnte. 301<br />

<strong>Die</strong> Einsatzbesprechung bei Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer am 25. Juli 1944 regelte den Einsatz<br />

von Juden als Zwangsarbeiter bei den umfangreichen Räum- und Instandsetzungsaktionen<br />

nach Bombenangriffen. Im Protokoll heißt es lapidar: „Zur Verstärkung der Arbeitskräfte<br />

werden 200 Juden eingesetzt. Stadtoberinspektor Smits und Stadtinspektor Wüst regeln die<br />

Quartierfrage.“ 302 Dabei kann es sich nur um Juden gehandelt haben, die in „Mischehe“ lebten<br />

und dadurch vor Deportationen geschützt waren. Näheres ist nicht überliefert.<br />

299<br />

Vgl. handschriftliche Notiz „Faust Emil Lagerführer?“; StAK 623 Nr. 3535, S. 1. Faust (* 3.3.1899<br />

Oberlahnstein, + 13.4.1966 Emden) hatte 1933 den zum KPD-Stadtverordneten gewählten Richard Christ<br />

schwer misshandelt (vgl. Kapitel 4.3.2). Er war von August bis November 1933 stellvertretender Kommandant<br />

des KZ Esterwegen II bzw. Kommandant des KZ Neusustrum. 1950 wurde Faust wegen u. a. wegen Verbrechen<br />

gegen die Menschlichkeit und Mordes vom Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft verurteilt. LHAKo<br />

Best. 584,1 Nr. 1085; Hans-Peter Klausch: Tätergeschichten. <strong>Die</strong> SS-Kommandanten der frühen<br />

Konzentrationslager <strong>im</strong> Emsland (DIZ-Schriften 13). Bremen 2005, S. 215-264; Erich Kosthorst/Bernd Walter:<br />

Konzentrations- und Strafgefangenenlager <strong>im</strong> Emsland 1933-1945. Zum Verhältnis von NS-Reg<strong>im</strong>e und Justiz.<br />

Darstellung und Dokumentation. Düsseldorf 1985, S. 70-79; Karl August Wittfogel: Staatliches<br />

Konzentrationslager VII. Eine "Erziehungsanstalt" <strong>im</strong> Dritten Reich (DIZ-Schriften 4). Bremen 1991; Hennig:<br />

Verfolgung und Widerstand I, S. 50 f.; StAK M 126, Familienblatt Ablage Hohenzollernstraße 130-149.<br />

300<br />

Undatierter Eintrag als „Schulhausmeister“ in einer Besoldungsgruppenliste, um 1939/40; StAK 623 Nr. 8919<br />

(unpaginiert).<br />

301<br />

StAK 623 Nr. 3535, Zitate S. 3, 5, 7 f. (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

302 StAK 623 Nr. 7026, S. 234.


510<br />

Grotesk mutet auf den ersten Blick die Tatsache an, dass ab 1. November 1942 drei Juden auf<br />

der Lohnliste der <strong>Stadtverwaltung</strong> standen. Es handelte sich um ehemalige Angestellte der<br />

liquidierten Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf-<br />

Sayn, die 1942 als Ausweichkrankenhaus 303 eingerichtet wurde. Der ehemalige Arzt der<br />

Anstalt, Dr. Wilhelm Rosenau, der Oberpfleger Denny Hermanns und die Pflegerin Lina<br />

Koch geb. Gerolstein lebten in privilegierter Mischehe. Der Verwalter Paul Kochanek, der<br />

nach außen den strammen Parteigenossen gab, hatte deren Verbleib schon der Reichsver-<br />

einigung der Juden vorgeschlagen, in deren Trägerschaft die Anstalt stand, bevor sie <strong>im</strong><br />

November 1942 dem Reich „verfiel“. Auch der <strong>Stadtverwaltung</strong> als Mieterin gegenüber<br />

argumentierte Kochanek, die Juden seien notwendig, um die ständige Einsatzbereitschaft der<br />

Anstalt gewährleisten zu können. Amtmann Schmitz nahm dies auf, und weder Fuhlrott noch<br />

die Gestapo äußerten Bedenken oder Einwände, zumal Arbeitskräfte knapp waren. Ein<br />

handschriftlicher Vermerk Fuhlrotts vom 29. Oktober 1942, laut telefonischer Mitteilung der<br />

Gestapo sei die Planung für den Arbeitseinsatz „überholt! Juden werden abtransportiert“,<br />

bewahrheitete sich nicht. Rosenau wurde als Nachtwächter und Pfleger der medizinischen<br />

Einrichtungen, Hermanns als Heizer und Koch als Putzfrau beschäftigt. Sie wurden dafür von<br />

der Stadt <strong>Koblenz</strong> entlohnt, bis die Wehrmacht Anfang September 1944 die Anstalt<br />

beschlagnahmte. 304<br />

7.2.13 Sonstiges<br />

Schon 1933 war die Mendelssohnstraße auf dem Oberwerth umbenannt worden. 305 Im Januar<br />

1939 griff Klose einen wiederholten Vorschlag des Ratsherrn Heinrich Koch vom Oktober<br />

1938 auf, eine Straße nach Theodor Fritsch, „dem völkischen Vorkämpfer und Bekämpfer<br />

des Judentums“, zu benennen. Wittgen war ebenso einverstanden wie der zuständige<br />

Polizeipräsident. 306<br />

1934 erwarb das jüdische Ehepaar Moses und Henriette Sternberg aus Bad Ems von der Stadt<br />

einen verbilligten Bauplatz an der S<strong>im</strong>merner Straße, ebenso der <strong>Koblenz</strong>er Jude Nathan<br />

Blumenthal. <strong>Die</strong> Eheleute Sternberg errichteten ein kleines Haus für ihre Tochter und deren<br />

Familie, während Blumenthal sein Bauvorhaben nicht verwirklichte. <strong>Die</strong> Abwicklung durch<br />

303 Vgl. Kapitel 8.2.<br />

304 StAK 623 Nr. 7670, S. 39 (Zitat), 41, 43 f., 59, 72, 80, 130 f., 136; <strong>Die</strong>ter Schabow: <strong>Die</strong> Heil- und<br />

Pflegeanstalten für Nerven- und Gemütskranke (Jacoby’sche Anstalt, 1869-1942) und die spätere Verwendung<br />

der Gebäude. In: Rheinisches Eisenkunstguss-Museum (Hg.): <strong>Die</strong> Heil- und Pflegeanstalten für Nerven- und<br />

Gemütskranke in Bendorf. Bendorf 2008, S. 55-95, hier S. 67-87, 92-95.<br />

305 StAK 623 Nr. 8121, S. 123. Der ersten Umbenennung in Standartenstraße folgte 1935 die zweite in<br />

Lortzingstraße; ebd. Nr. 7215, S. 37. Im 1937 eingemeindeten Horchhe<strong>im</strong> war die Mendel(s)gasse 1933 in<br />

Bogenstraße, 1938 in Reiffenbergstraße umbenannt worden; ebd. Nr. 8121, S. 123; ebd. Nr. 8116, S. 78 f.<br />

306 StAK 623 Nr. 8116, S. 144 f., 149-152, Zitat S. 149. <strong>Die</strong> Straße (heute: An der Eisbreche) befand sich in<br />

Privateigentum, die Kosten für das Straßenschild hatte der Eigentümer zu tragen; ebd., S. 154. Schon 1935 hatte<br />

der DGT eine Umfrage zu Straßenbenennungen nach Fritsch durchgeführt; ebd. Nr. 8121, S. 152.


511<br />

die Liegenschaftsabteilung und die Baupolizei zeigen keine Besonderheiten oder Auffälligkeiten.<br />

307<br />

Juden war das Betreten des städtischen Residenzbades in der Kastorpfaffenstraße 8 spätestens<br />

seit 1935 verboten. Am Eingang hing ein entsprechendes Schild. Auch in Trier hatte der<br />

Oberbürgermeister Mitte 1935 den Juden die Hallenbadbenutzung untersagt, nachdem er sich<br />

1933 entsprechenden Forderungen der Partei noch widersetzt hatte. 308<br />

Anfang 1939 best<strong>im</strong>mte das Reich die kommunalen Pfandleihanstalten zu öffentlichen<br />

Ankaufsstellen für die Edelmetallgegenstände, Edelsteine und Perlen, die die Juden binnen<br />

zwei Wochen dort abzuliefern hatten. 309 Das Pfandamt (Abteilung XXI) der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

mit seinen insgesamt fünf Bediensteten 310 unter der Leitung von Stadtinspektor Wilhelm<br />

Bensiek 311 befand sich <strong>im</strong> ehemaligen Bassenhe<strong>im</strong>er Hof, An der Moselbrücke 2. Der<br />

Auszahlungspreis, den die jüdischen „Verkäufer“ für ihre Wertgegenstände erhielten, wurde<br />

geschätzt. Meist betrug er nur einen Teil des Materialwerts. Den Pfandämtern stand eine<br />

zehnprozentige Verwaltungsgebühr zu. 312 Das Rechnungsergebnis des städtischen Pfandamtes<br />

verzeichnete für 1939 unter „Verschiedenes“ eine Einnahme von 65.867 RM. Veranschlagt<br />

gewesen waren nur 80 RM. <strong>Die</strong>ser ganz enorme und zudem völlig unerwartete Zuwachs<br />

findet mit dieser Gebühr eine plausible Erklärung. Im Rechnungsjahr 1938, das am 31. März<br />

1939 endete und damit bereits die ersten Ablieferungen abdeckte, 313 waren die Einnahmen<br />

schon auf ungewöhnliche 2.907 RM gestiegen (Voranschlag: 0 RM). Gegenstände mit einem<br />

Preis bis zu 300 RM (ab 21. März 1939 150 RM) konnten von den Pfandleihanstalten auf<br />

eigene Rechnung angekauft werden (mit Ausnahme von Goldgegenständen). Auch dies hat<br />

sich <strong>im</strong> Rechnungsergebnis für 1939 niedergeschlagen: Statt der veranschlagten 350 RM<br />

verbuchte die Stadt auf der Ausgabenseite – ebenfalls unter dem nichtssagenden Posten<br />

„Verschiedenes“ – stolze 60.726 RM. Es scheint also sehr wahrscheinlich, dass die Stadt wie<br />

andere Kommunen zu den Profiteuren dieser Zwangsabgabe zählte, indem sie einerseits<br />

307<br />

StAK 623 Nr. 11483; ebd. Fach 104, Bauakte Moses Sternberg; ebd. Fach 105 II, Bauakte Nathan<br />

Blumenthal.<br />

308<br />

Thill: Lebensbilder, S. 262; Hermann: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong>, S. 26; Zenz: Geschichte der Stadt Trier, S.<br />

51 f., 116.<br />

309<br />

VO zur Durchführung der VO über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 16.1.1939; RGBl. I, S. 37;<br />

Dritte Anordnung auf Grund der VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 21.2.1939; RGBl. I, S.<br />

282. Vgl. Fleiter : <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 166.<br />

310<br />

StAK 623 Nr. 6170, S. 215-223.<br />

311<br />

* 3.6.1883, evangelisch, seit 1919 bei der <strong>Stadtverwaltung</strong>; StAK 623 Nr. 6170, S. 218 f. Spätestens 1935<br />

NSDAP-Mitglied; ebd. Nr. 6643, S. 133. Im Februar 1952 wurde ein Antrag auf Wiedergutmachung des 1949<br />

pensionierten Bensiek wegen Nichtbeförderung in der NS-Zeit abgelehnt, weil die Voraussetzungen nicht<br />

vorlagen; ebd. Nr. 9742, S. 455.<br />

312<br />

Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 165 f.<br />

313 Thill: Lebensbilder, S. 365 f.


512<br />

Gebühren vereinnahmte und andererseits die günstige Gelegenheit zum „Einkaufen“ nutzte. 314<br />

Genaueres ließ sich mangels Überlieferung nicht ermitteln.<br />

In den städtischen Akten fand sich keine ausdrücklich antisemitische Formulierung, sieht man<br />

einmal von Rauschs Titulierung der jüdischen Mietparteien als „Rassegenossen“ ab. Es findet<br />

sich aber auf dem Schreiben des Metzgers Josef Herz an die Preisbehörde vom 4. Juli 1939<br />

eine andere, fast unscheinbare antijüdische Äußerung. Herz schrieb, er verdiene nur<br />

66 Pfennig pro Stunde „bei schwerer Arbeit“. Von diesen Worten führt in Bleistift ein<br />

Verbindungspfeil zum Zwangsvornamen „Israel“ in Herz’ Unterschrift. 315 <strong>Die</strong>s kann nur als<br />

Verhöhnung verstanden werden, da Juden der NS-Propaganda nach nicht zu schwerer Arbeit<br />

bzw. Arbeit überhaupt fähig oder gewillt waren. 316<br />

Sowohl Stadtinspektorin Hanna Pfannschmidt vom Jugendamt als auch der Leiter des<br />

Jugendamtes, Stadtoberinspektor Karl Scherer, brachten bei ihrer Entnazifizierung<br />

unabhängig voneinander zu ihrer Entlastung vor, dass sie einen jüdischen Jungen vor der<br />

Deportation nach Theresienstadt gerettet hätten. Er war 1939 als Kind eines „Mischling I.<br />

Grades“ und eines „Volljuden“ geboren worden. Seine Eltern wurden 1941 von Köln aus<br />

nach Lodz deportiert. <strong>Die</strong> beiden Beamten gaben an, trotz aller Schwierigkeiten die Adoption<br />

des Jungen durch die in Mischehe lebende Tante, die „Mischling I. Grades“ war, ermöglicht<br />

zu haben. Eine Vernehmung der Tante durch die Spruchkammer erfolgte nicht. 317 Tatsache<br />

ist, dass das Kind als Pflegekind seiner Tante überlebte. Es wurde aber erst 1952 adoptiert<br />

und wanderte kurz darauf mit seiner neuen Familie nach den Vereinigten Staaten von<br />

Amerika aus. 318 Pfannschmidt gab außerdem an, sie habe „seiner Zeit dem israelitischen<br />

Kindergarten <strong>im</strong> Hotel Continental [Bahnhofplatz 1] die Genehmigung erwirkt“. 319<br />

Das Kulturamt erkundigte sich <strong>im</strong> Dezember 1942 bei Gauinspekteur Josef Ackermann,<br />

Leiter der Abteilung IV Juden- und Emigrantenvermögen be<strong>im</strong> CdZ, 320 ob aus früherem<br />

Besitz luxemburgischer Juden oder Emigranten noch Teppiche, Vorhänge und sonstige<br />

Dekorationsmaterialien vorhanden seien, die vom Stadttheater dringend benötigt würden.<br />

Ackermann bedauerte <strong>im</strong> Januar 1943, es sei bereits alles anderweitig verteilt. 321 Ob die<br />

314<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1939, S. 162; dito 1940, S. 160 f.; dito 1941, S.<br />

158, 161. Zu Hannover und Frankfurt am Main vgl. Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 166-179. Den finanziellen<br />

„Löwenanteil“ aus dieser Verfolgungsmaßnahme strich das Reich ein; ebd., S. 178.<br />

315<br />

StAK 623 Nr. 9682, S. 156.<br />

316<br />

Kurt Hermann berichtet von einem Bäckergesellen, der sagte, er hätte ihn für einen Juden gehalten, wenn er<br />

ihn nicht hätte arbeiten sehen, und das tue kein Jude. Hermann: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong>, S. 33 f.<br />

317<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Pfannschmidt vom 18.2.1947; ebd. Nr. 190313 (unpaginiert),<br />

Scherer vom 20.12.1946.<br />

318<br />

StAK M 343, Ablage 1952.<br />

319<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110475 (unpaginiert), Anlage zum Fragebogen. 1932 gab es in <strong>Koblenz</strong> noch keinen<br />

jüdischen Kindergarten; Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden (Hg.): Führer durch die jüdische<br />

Gemeindeverwaltung, S. 220 f.<br />

320<br />

Dostert: Luxemburg, S. 80.<br />

321 StAK 623 Nr. 8778, S. 679 f.


513<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> wie andere Kommunen die Notlage von Juden zum billigen Erwerb von<br />

Gegenständen ausnutzte bzw. sich nach den Deportationen ihre zurückgebliebene Habe<br />

widerrechtlich aneignete, 322 ist unbekannt. <strong>Die</strong> Verwertung jüdischen Vermögens war Sache<br />

des Oberfinanzpräsidenten und der Kreis der „Berechtigten“ genau geregelt. Noch 1942<br />

wurde den <strong>Koblenz</strong>er Juden zugestanden, ihr Mobiliar selbst zu verkaufen. Das Trierer<br />

Wohlfahrtsamt übte gemeinsam mit der NSV <strong>im</strong> August 1942 Druck auf das Finanzamt aus,<br />

wertvollen Hausrat und begehrte Möbel zugunsten von (zukünftigen) Fliegergeschädigten von<br />

Versteigerungen auszunehmen. Ein Ministerialerlass vom selben Monat erlaubte dann die<br />

Übernahme enteigneten Mobiliars durch die städtischen Wirtschaftsämter zum Taxwert,<br />

wovon offenbar auch <strong>Koblenz</strong> Gebrauch machte, denn es entstand ein Depot in der<br />

Fischelstraße. 323 Fuhlrott bat das Finanzamt <strong>im</strong> August 1944, von der Veräußerung von<br />

Mobiliar der ehemaligen jüdischen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn abzusehen, weil<br />

es eine Reserve für Bombengeschädigte bilden sollte. 324<br />

7.3 „Zigeuner“<br />

7.3.1 Zigeuner 325 als städtische „Untermieter“ auf der Feste Franz<br />

Am 13. April 1933 bat Gartenbauinspektor Frischling die Polizeidirektion um Unterstützung,<br />

wobei er den Bericht eines Bediensteten dramatisierte: „Auf der Baustelle Bubenhe<strong>im</strong>er<br />

Flesche n<strong>im</strong>mt in letzter Zeit das Lagern von Zigeunern und Aufstellen ihrer Wohnwagen<br />

<strong>im</strong>mer mehr zu. Es stehen dort nicht weniger als 10 Wohnwagen, deren Insassen die für den<br />

neu zu schaffenden Volkspark angelegten Böschungen und Einplanierungen zerstören, den<br />

Bäumen die Rinde entfernen u. dergl. mehr; ein Zustand der unmöglich fortbestehen kann.“ 326<br />

Baurat Bode von der Liegenschaftsverwaltung bat den Polizeipräsidenten <strong>im</strong> Juli 1936, für<br />

die Entfernung der etwa zehn Zigeunerfamilien zu sorgen, die sich einiger Zeit in der<br />

ehemaligen Feste Franz in Lützel eingenistet hätten. <strong>Die</strong> Anwesenheit wirke sich „zu einer<br />

wahren Plage“ und „demoralisierend“ auf die dortigen städtischen Mieter aus. <strong>Die</strong>bstähle<br />

seien an der Tagesordnung, schon wiederholt seien Anzeigen erstattet worden. <strong>Die</strong> darauf<br />

folgenden Ermittlungen durch die Kr<strong>im</strong>inalpolizei ergaben, dass die ersten Zigeuner etwa <strong>im</strong><br />

322 Für Hannover vgl. Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 233-235, 241 f.<br />

323 Rummel/Rath: „Dem Reich verfallen“, S. 184, 193-195, 425-428.<br />

324 StAK 623 Nr. 7590, S. 16 f.<br />

325 Der Begriff wird <strong>im</strong> Folgenden nicht abwertend gebraucht. Zur Verwendung des Begriffs<br />

„Zigeuner“ in der Historiografie sowie der Begriffe Zigeuner, Sinti und Roma vgl. Michael<br />

Z<strong>im</strong>mermann: Rassenutopie und Genozid. <strong>Die</strong> nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“<br />

(Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 33). Hamburg1996, S. 17-20; Michael<br />

Z<strong>im</strong>mermann: Zigeunerpolitik und Zigeunerdiskurse <strong>im</strong> Europa des 20. Jahrhunderts. In: ders. (Hg.):<br />

Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerverfolgung <strong>im</strong> Europa des 20.<br />

Jahrhunderts“ (Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3). Stuttgart 2007, S.<br />

13-70, hier S. 23-27; Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 277.<br />

326 StAK 623 Nr. 9858, S. 20. Ein Bautechniker hatte Frischling erst einen Tag vorher gemeldet: „Seit 2 Tagen<br />

stehen hier oben rd. 10 Wohnwagen mit ihrer z. Teil fragwürdigen Besatzung.“; ebd., S. 19.


514<br />

Dezember 1932 auf der Feste aufgetaucht waren und zwar als Untermieter des städtischen<br />

Mieters Georg Adenau, der Festungsteile als Garagen und Schuppen gemietet hatte. <strong>Die</strong><br />

Untervermietung war gegen den Willen der Stadt erfolgt und hatte sogar zu einer<br />

Räumungsklage gegen Adenau geführt, die aber erst <strong>im</strong> Juni 1936 Erfolg hatte, während die<br />

Untermieter selbst verblieben. Eine Vermietung zu Wohnzwecken war laut Liegenschafts-<br />

verwaltung wegen Baufälligkeit nie in Frage gekommen und sei auch jetzt zu gefährlich. <strong>Die</strong><br />

elf Familien bzw. allein stehenden Personen waren polizeilich gemeldet, bezogen z. T.<br />

Wohlfahrtsunterstützung, ein Mann erhielt eine Kriegsbeschädigtenrente. Sie hausten in<br />

Wohnwagen, Verschlägen oder <strong>im</strong> Restmauerwerk. Ein Wasseranschluss war zwar<br />

vorhanden, aber keinerlei Sanitäranlagen. <strong>Die</strong> Kr<strong>im</strong>inalpolizei kam zu dem Ergebnis, auf<br />

Dauer müssten „derartige Zustände volksschädigend wirken“. 327<br />

Fuhlrott folgerte als Ortspolizeibehörde, die Zigeuner dürften sich wegen der Baufälligkeit<br />

des Kernwerks dort nicht länger aufhalten. Da nach dem ministeriellen Erlass zur<br />

„Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 6. Juni 1936 328 die Sesshaftmachung der Zigeuner<br />

anzustreben war, forderte er die Liegenschaftsverwaltung auf, sich mit dem Wohlfahrtsamt in<br />

Verbindung zu setzen. Dessen Leiter Johannes Schmitz sah sich angesichts des herrschenden<br />

Wohnungsmangels <strong>im</strong> August jedoch nicht in der Lage, die Zigeuner anderweitig<br />

unterzubringen. <strong>Die</strong> Kr<strong>im</strong>inalpolizei kam nach einer neuerlichen Kontrolle <strong>im</strong> Oktober zu<br />

dem Schluss, dass die Zigeuner als sesshaft anzusehen seien, da sie polizeilich gemeldet<br />

waren und zum Teil zu Notstandsarbeiten herangezogen wurden. Trotzdem drängte Bode das<br />

Wohlfahrtsamt <strong>im</strong> November erneut zu Maßnahmen und führte als Argumente Beschwerden<br />

von Heeresdienststellen am Fuße des Kernwerks, die fehlenden Sanitäranlagen und die<br />

Gefahren durch Baufälligkeit an. 329<br />

Daraufhin erklärte sich das Wohlfahrtsamt bereit, die Gippsche Grube in Metternich für die<br />

zwölf Familien, davon acht mit Wohnwagen, als neuen Lagerplatz herzurichten. <strong>Die</strong><br />

Bauverwaltung sollte unter Mitarbeit der männlichen Zigeuner für ca. 2.000 RM<br />

Abortanlagen und eine Wohnbaracke errichten. Doch noch vor Baubeginn hatten <strong>im</strong><br />

Dezember neun Familien die Feste Franz verlassen, worauf das Umquartierungsprojekt<br />

eingestellt wurde. Im Februar 1937 bat Bode das Wohlfahrtsamt erneut um die Umsiedlung,<br />

weil die Heeresverwaltung die Feste übernehmen wolle, aber keinesfalls mit den Zigeunern.<br />

Ende Februar waren noch drei kinderreiche Halbzigeunerfamilien vorhanden, die meisten<br />

anderen Familien waren in die Hafenstraße 8 verzogen. Wieder wurde die Liegenschafts-<br />

verwaltung vertröstet, man habe keinen Wohnraum. Zum vierten Mal hakte Bode <strong>im</strong> Januar<br />

1938 nach. Fuhlrott erklärte diesmal als zuständiger Dezernent offen, das Wohlfahrtsamt habe<br />

327 StAK 623 Nr. 6105, S. 1-3, Zitate S. 1, 3. Dagegen verbreitete das NB noch Zigeunerromantik; NB,<br />

9./10.6.1934: Wo der Wind weht, der Wind weht …; NB, 16./17.3.1935: Fahrendes Volk – sesshaft geworden …<br />

328 LHAKo Best. 714 Nr. 1270, S. 280 f.; NB, 19.6.1936: Bekämpfung der Zigeunerplage.<br />

329 StAK 623 Nr. 6105, S. 4-9.


515<br />

sich nicht weiter bemüht, da es dringendere Fälle gebe, und er sehe auch in nächster Zeit<br />

keine Möglichkeit. 330<br />

7.3.2 Abschiebungsaktion <strong>im</strong> Juli 1938 331<br />

Eine Lösung des Zigeunerproblems schien <strong>im</strong> Juli 1938 eine Anordnung des Wiesbadener<br />

Regierungspräsidenten Friedrich von Pfeffer 332 in seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter<br />

des Reichsinnenministers für die Westbauten zu bringen. Von Pfeffer verfügte am 21. Juli die<br />

Abschiebung der Zigeuner nach Mitteldeutschland. Hintergrund war die Absicht, das<br />

Grenzgebiet zu „säubern“ 333 . <strong>Die</strong> Abschiebung erfolgte am 5. und 6. August mit Polizeiautos<br />

bzw. mit den eigenen Wohnwagen. Der damals sechsjährige Sinto-Junge Daweli Reinhardt<br />

bringt die Aktion in seiner Erinnerung – fälschlich – mit der <strong>Stadtverwaltung</strong> in Zusammen-<br />

hang: „<strong>Die</strong> ‚Wegschaffung’ war mit unserer späteren Deportation nicht zu vergleichen, wir<br />

wurden noch ‚normal’ behandelt. Unterwegs bekamen wir auch zu essen und litten keine Not.<br />

Man hat uns aber einfach fortgeschafft, das war natürlich nicht normal. <strong>Die</strong> Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

wollte uns Sinti loswerden.“ 334<br />

Doch schon am 17. und 18. August wurden auf Anordnung H<strong>im</strong>mlers nicht nur die <strong>Koblenz</strong>er<br />

Zigeuner, sondern weitere aus Wiesbaden, Frankfurt am Main, Mannhe<strong>im</strong> und Worms,<br />

zusammen ca. 260 Personen, „in geschlossenen Eisenbahntransporten“ zurückgebracht. Sie<br />

mussten vom Fürsorgeamt mit Lebensmitteln versorgt und <strong>im</strong> Obdachlosenasyl in der<br />

Boninstraße untergebracht werden. Sowohl bei der Abschiebung als auch be<strong>im</strong> Rücktransport<br />

kam es nach einem Bericht des Wohlfahrtsamtes an den Regierungspräsidenten vom<br />

3. Oktober „zu manchen unliebsamen Auseinandersetzungen“. Jetzt sei der Hausrat<br />

beschädigt zurückgekommen: „Bei der bekannten Unsauberkeit und Nachlässigkeit der<br />

Zigeuner darf man aber behaupten, dass der Schaden nicht so sehr groß gewesen ist, obwohl<br />

sie selbst den Verlust und die Beschädigung begreiflicherweise auf die Transporte<br />

zurückzuführen versuchen.“ Gleichzeitig musste das Wohlfahrtsamt zugeben, dass<br />

330 StAK 623 Nr. 6105, S. 10-20.<br />

331 Es besteht kein Zusammenhang mit der „Aktion Arbeitsscheu Reich“, die <strong>im</strong> Juni 1938 eine<br />

Verhaftungswelle und Einweisungen ins KZ zur Folge hatte. Karola Fings/Frank Sparing: Rassismus<br />

- Lager - Völkermord. <strong>Die</strong> nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Köln (Schriften des NS-<br />

Dokumentationszentrums der Stadt Köln 13). Köln 2005, S. S. 93-108.<br />

332 Friedrich („Fritz“) Pfeffer von Salomon, * 1892, + 1961, 1928 NSDAP-Mitglied, SA-Gruppenführer, 1933-<br />

1936 Polizeipräsident und Gestapostellenleiter in Kassel, 1936-1943 Regierungspräsident in Wiesbaden. Gunnar<br />

Richter: <strong>Die</strong> Gehe<strong>im</strong>e Staatspolizeistelle Kassel 1933-1945. In: Zeitschrift für hessische Geschichte und<br />

Landeskunde 106 (2001), S. 229-270; Wolfgang Ayaß (Bearb.): „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur<br />

Verfolgung von „Asozialen“ 1933-1945. <strong>Koblenz</strong> 1998, S. 90 Anm. 2.<br />

333 <strong>Die</strong>s sah auch wenige Monate später der Runderlass des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei<br />

zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 8.12.1938 vor, der sich aber nicht auf sesshafte Zigeuner bezog. Vgl.<br />

StAK 623 Nr. 9669, S. 255-258, hier S. 257. Das NB sprach bereits <strong>im</strong> August 1938 von „Säuberungsaktionen“,<br />

die die Registrierung, „rassenkundliche“ Erforschung und Erziehung zur Arbeit der Zigeuner zum Ziel hätten;<br />

NB, 16.8.1938: Zigeuner werden zur Arbeit erzogen.<br />

334 Daweli Reinhardt/Joach<strong>im</strong> Hennig: Hundert Jahre Musik der Reinhardts. Daweli erzählt sein Leben. 2. erg.<br />

Aufl. <strong>Koblenz</strong> 2007, S. 20.


516<br />

Schadenersatzansprüche bisher nicht geltend gemacht wurden. Nicht nur dieser Bericht<br />

bediente alle gängigen Klischees. Schon <strong>im</strong> September hatte es geheißen: „<strong>Die</strong> Betten[,]<br />

insoweit man von solchen sprechen kann, starrten vor Schmutz. Das Hab u. Gut dürfte jedoch<br />

be<strong>im</strong> Abtransport nicht in einem besseren Zustand gewesen sein.“ 335 Nach der vorüber-<br />

gehenden Einweisung der Zigeunerfamilien ins Obdachlosenasyl wurden sie <strong>im</strong> ehemaligen<br />

Militärgefängnis Fischelstraße 32 b 336 untergebracht, da alle durch die Abschiebung frei<br />

gewordenen Wohnungen sofort wieder belegt worden waren. 337<br />

Unter den Abgeschobenen und den Rückkehrern hatten sich nicht nur Zigeuner, sondern auch<br />

Schausteller befunden. Ihre Abschiebung hatte sie sehr empört, wie das Wohlfahrtsamt dem<br />

Regierungspräsidenten berichtete: „<strong>Die</strong> Erregung unter den zurückgekehrten Schaustellern<br />

war besonders groß; sie fühlten sich ungerecht behandelt und lehnten es auf das Ent-<br />

schiedenste ab, mit den Zigeunern auf eine Stufe gestellt zu werden.“ Sie hätten sich mit<br />

Beschwerden sowohl an die Regierung als auch an die Partei gewandt. Insgesamt wurden der<br />

Stadt die Frachtkosten für mehrere Zigeuner- bzw. Schaustellerwagen in Rechnung gestellt, 338<br />

die für den Straßenverkehr nicht mehr tauglich waren und als Frachtgut zurückkamen. Der<br />

Gesamtaufwand, den die Abschiebungsaktion für Verpflegung, Unterbringung, Frachtkosten<br />

usw. verursacht hatte, betrug für die Stadt 1.632,45 RM, darunter auch eine RM, die<br />

Amtmann Schmitz am 17. August einem Familienvater für „Milch und Brot für meine<br />

Kinder“ in bar ausgehändigt hatte. Im November 1938 teilte Regierungspräsident Mischke<br />

mit, er habe von Pfeffer um Kostenerstattung gebeten, die dann <strong>im</strong> Mai 1939 auch tatsächlich<br />

erfolgte. 339<br />

Regressansprüche der Gemeinden Suhl und Ulrichstein für die Unterstützung der dort<br />

durchziehenden Rückkehrer lehnte das Wohlfahrtsamt ab. Es bestritt die Zuständigkeit, weil<br />

in der von den Zigeunern angegebenen Hafenstraße 8 niemand seinen gewöhnlichen<br />

Aufenthalt haben könne – das entscheidende Kriterium für die Fürsorgepflicht 340 . Es handele<br />

sich um „ein unbebautes Grundstück, auf dem fahrende Leute und Zigeuner zu halten<br />

pflegen“. Das entsprach nicht ganz den Tatsachen, denn die meisten Abgeschobenen waren<br />

335<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 58-61, Zitate S. 59, 61. Vgl. Reinhardt/Hennig: Hundert Jahre Musik, S. 20 f.<br />

336<br />

Das ehemalige Militärgefängnis wurde als Notquartier und Familienasyl genutzt. <strong>Die</strong> pr<strong>im</strong>itiven<br />

Wohnverhältnisse sorgten bereits seit Ende der 1920er Jahre für Kritik. StAK 623 Nr. 6190, S. S. 337-359.<br />

337<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 61; ebd. M 12, Hausblatt Fischelstraße 32 b; Reinhardt/Hennig: Hundert Jahre Musik,<br />

S. 21 f.<br />

338<br />

<strong>Die</strong> Schadenersatzansprüche für einen in Unterweid/Rhön zurückgelassenen Wohnwagen, dessen Wert der<br />

Eigentümer mit 250 RM angegeben hatte, ließ das Wohlfahrtsamt be<strong>im</strong> dortigen Bürgermeister überprüfen. Als<br />

dieser mitteilte, der Wert habe nur 50 RM betragen und der Wagen sei zwischenzeitlich vermutlich von<br />

Zigeunern (!) demoliert worden, erklärte Fuhlrott die Angelegenheit für erledigt. StAK 623 Nr. 6105, S. 63-66,<br />

70.<br />

339<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 34-55, 60 f., 67-69, 71-78, Zitate S. 34, 61.<br />

340<br />

§ 7 VO über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924; RGBl. I, S. 100. Vgl. Paul Schoen: Armenfürsorge <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. <strong>Die</strong> Wohlfahrtspflege in Preußen zwischen 1933 und 1939 am Beispiel der<br />

Wirtschaftsfürsorge. Weinhe<strong>im</strong>/Basel 1985, S. 27 f.


517<br />

dort seit mehreren Monaten ordnungsgemäß polizeilich gemeldet 341 gewesen. Außerdem hafte<br />

die öffentliche Fürsorge nicht für staatspolizeiliche Maßnahmen. Korrekt war dagegen der<br />

dritte Ablehnungsgrund der <strong>Stadtverwaltung</strong>, in <strong>Koblenz</strong> hätte keine fortgesetzte Hilfs-<br />

bedürftigkeit bestanden. Im Bericht vom September 1938 hieß es ausdrücklich, dass die<br />

Zigeuner und Schausteller „sämtlich bei ihrer Abschiebung in Arbeit und Verdienst standen“.<br />

Sie wurden bis auf einen arbeitsunfähigen Schausteller wieder alle vermittelt, schon am<br />

19. August hatte sich Schmitz deswegen mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt. 342<br />

7.3.3 Zigeunerkinder als Mündel des Jugendamtes<br />

Für die fünf zwischen 1930 und 1939 unehelich geborenen Kinder eines Zigeunerpaares ist<br />

die Vormundschaftsakte des Jugendamtes überliefert. Der Vater war Musiker, die Mutter<br />

Händlerin. Sie waren gemäß ihrer Tradition, aber nicht zivilrechtlich verheiratet und zogen<br />

zeitweise mit ihrem Wohnwagen durch Deutschland. 1938 zählte die Familie zu den<br />

vorübergehend Abgeschobenen. Mehrfach ist in der Akte zwischen 1935 und 1939 vermerkt,<br />

dass der Vater für den Unterhalt seiner Kinder sorgte und keine Unterstützung geleistet<br />

wurde. 1938/39 arbeitete er für die Heeresverwaltung in der Flakbatterie Niederberg. Nur<br />

zwe<strong>im</strong>al zahlte das Wohlfahrtsamt eine kurzfristige Unterstützung für die Familie. 1935<br />

erhielt die Mutter einen Tag vor der Geburt ihres dritten Kindes 5 RM in Form eines<br />

Lebensmittelgutscheins sowie nach der Geburt die üblichen 5 RM Wochengeld 343 , außerdem<br />

Wohlfahrtsunterstützung für die Dauer ihrer durch die Geburt bedingten Arbeitsunfähigkeit.<br />

1938 musste sie wegen Ablaufs ihres Wandergewerbescheins ebenfalls Wohlfahrtsunter-<br />

stützung beantragen. Erst <strong>im</strong> Januar 1940 wird Arbeitslosenunterstützung für den Vater<br />

erwähnt. 344 Das Wohlfahrtsamt wurde also nur in geringem Maße beansprucht.<br />

Auch wenn die Lebensweise der Familie nicht den gängigen bürgerlichen Mustern entsprach,<br />

äußerte sich Bezirksfürsorgerin Elisabeth Meyer in den Berichten über ihre Kontrollbesuche<br />

nie abfällig, sondern <strong>im</strong>mer sachlich über die Lebensumstände der Mündel. Zwar stellte<br />

Meyer <strong>im</strong> Januar 1936 fest, es handele sich um „regelrechtes Zigeunermilieu“ und die<br />

Verhältnisse <strong>im</strong> Wohnwagen seien sehr einfach und beengt, aber <strong>im</strong> April 1936 schrieb sie<br />

anerkennend: „<strong>Die</strong> Kinder sind prächtig entwickelt und verhältnismässig gut gepflegt.“ Im<br />

Dezember 1937 hieß es: „Be<strong>im</strong> Hausbesuch wurde der Wohnwagen wieder in sehr gut<br />

aufgeräumten sauberen Zustand angetroffen. <strong>Die</strong> Kinder machen einen verhältnismässig gut<br />

gepflegten Eindruck und entwickeln sich körperlich gut.“ Bis Oktober 1939 hatte der<br />

Kindsvater – nach mehrmaliger Aufforderung – alle Kinder legit<strong>im</strong>iert. Dem Amtsgericht<br />

bestätigte Stadtinspektorin Pfannschmidt vom Jugendamt <strong>im</strong> November 1939, die Mündel<br />

341 StAK M 405, Hausblatt Hafenstraße 8.<br />

342 StAK 623 Nr. 6105, S. 49-59, Zitate S. 52, 54, 59.<br />

343 Vgl. Bewilligung von 5 RM Wochengeld für ein arisches Kind am 17.9.1935; StAK 623 Nr. 9812, S. 27.<br />

344 StAK 623 Nr. 3968.


518<br />

würden „gut gehalten“. <strong>Die</strong> Betreuung der Zigeuner lag ausschließlich in Händen des<br />

Jugendamtes. Es gibt keinerlei Schriftverkehr mit der NSV oder dem KFV, obwohl die<br />

Familie katholisch war. 345<br />

7.3.4 Deportationen <strong>im</strong> Mai 1940, März 1943 und April 1944<br />

In auffälligem Kontrast zu den sachlich gehaltenen Aussagen der Vormundschaftsakte steht<br />

die Eingabe, die Fuhlrott am 18. März 1940 an den Regierungspräsidenten richtete. Darin<br />

führte er aus, das Wohlfahrtsamt werde von den zahlreichen Zigeunern, die sich in <strong>Koblenz</strong><br />

aufhielten, durch Anträge auf Wohlfahrtsunterstützung, Bewilligung von Krankenscheinen<br />

und Lebensmittelgutscheinen „sehr stark belästigt.“ Dabei verhielten sich die Zigeuner „ihrem<br />

Wesen entsprechend äußerst aufdringlich.“ Da die Regierung die Erteilung von Gewerbe-<br />

scheinen für 1940 abgelehnt habe, glaubten sie jetzt, auf Kosten anderer leben zu können.<br />

<strong>Koblenz</strong> diene in der Mittelrheinregion als Sammelplatz für Zigeuner und zigeunerähnliche<br />

Elemente, und diese „asozialen Menschen“ verstünden es, einer geregelten Arbeit aus dem<br />

Weg zu gehen. Im Straßenbild stellten sie ein Ärgernis dar, und die Bevölkerung verstehe es<br />

angesichts des Arbeitermangels nicht, warum die meist jungen Zigeuner nicht zwangsweise<br />

zur Arbeit herangezogen würden. Schließlich bildeten diese „Herumlungerer“ auch eine<br />

Gefahr für die Landesverteidigung, da <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Operationsgebiet liege. Fuhlrotts Fazit<br />

war, dass dringend Abhilfe geschaffen werden müsse: „Das Richtige wäre, alle hier in Frage<br />

stehenden Personen in ein Lager unterzubringen, wo sie unter ständiger Aufsicht stehen und<br />

zur Arbeit erzogen werden.“ 346 Dem Polizeipräsidenten schickte Fuhlrott eine Abschrift mit<br />

der Bitte um Unterstützung. Seine Schilderungen lösten eine Polizeikontrolle aus, die seine<br />

Angaben aber kaum bestätigte. Im April 1940 standen von sechs überprüften Zigeunern drei<br />

in einem Arbeitsverhältnis, die anderen drei waren ohne feste Arbeit, bezogen aber auch keine<br />

Fürsorgeleistungen. 347<br />

Vermutlich konnte Fuhlrott nicht wissen, dass er mit seiner Forderung offene Türen einrannte.<br />

Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, hatte auf einer Konferenz am<br />

30. Januar 1940 nochmals die Absicht bekräftigt, die Zigeuner aus dem Reich ins General-<br />

gouvernement zu „evakuieren“. Mit einem gehe<strong>im</strong>en Runderlass vom 27. April 1940 ordnete<br />

H<strong>im</strong>mler die Deportation von 2.500 Zigeunern aus der westlichen und nordwestlichen<br />

Grenzzone an. 348 Im Vorfeld der Deportation begutachtete Dr. Adolf Würth 349 , Mitarbeiter<br />

345 StAK 623 Nr. 3968, Zitate S. 170 f., 178, 202.<br />

346 StAK 623 Nr. 6105, S. 81 f.<br />

347 LHAKo Best. 517,1 Nr. 211, Bl. 1 f.<br />

348 „Richtlinien für die Umsiedlung von Zigeunern (Erster Transport aus der westlichen und nordwestlichen<br />

Grenzzone)“; LHAKo Best. 517,1 Nr. 209, Bl. 21-24. Zur reichsweiten Erfassung und „Festschreibung“ der<br />

Zigeuner und Zigeunermischlinge <strong>im</strong> Oktober 1939 vgl. ebd., Bl. 10-13, 15 f., 85.<br />

349 <strong>Die</strong> Kr<strong>im</strong>inalpolizeileitstelle Köln hatte am 4.5.1940 telefonisch einen „Dr. Wirtz“ vom<br />

Erbbiologischen Forschungsinstitut Berlin angekündigt; LHAKo Best. 517,1 Nr. 209, Bl. 20. Würth<br />

beschäftigte sich seit Jahren mit Rassenbiologie und Zigeunerforschung, wobei er sich bis 1940 u. a.


519<br />

der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ be<strong>im</strong> Reichsgesundheitsamt, 350 am 6. Mai <strong>im</strong><br />

Polizeipräsidium 26 Zigeuner, darunter einen aktiven Flak-Soldaten. Wenig später, am<br />

17. Mai, wurden 78 Zigeuner mit Kraftfahrzeugen in das Zigeunerlager Köln-Messegelände<br />

transportiert, von wo sie am 21. Mai ins Generalgouvernement deportiert wurden. 351 63 der<br />

Zigeuner stammten aus <strong>Koblenz</strong>. Von den zehn Zigeunerfamilien hatten zwei in der<br />

Wöllersgasse 17 und acht in der Fischelstraße 32 b, dem ehemaligen Militärgefängnis,<br />

gewohnt. 352 Elf der deportierten Zigeuner hatten Wehrdienst geleistet, die Kr<strong>im</strong>inalpolizei<br />

schickte dem Wehrbezirkskommando am 25. Mai die Wehrpässe zurück. 353 Das<br />

„Transportbüro“ des Kölner Polizeipräsidenten stellte der Stadt <strong>Koblenz</strong> am 27. Mai anteilige<br />

Verpflegungskosten von 225,89 RM für die „Umsiedlung von Zigeunern“ nach Warschau in<br />

Rechnung. 354 <strong>Die</strong> Stadt übernahm die Kosten für 77 der insgesamt 938 Deportierten, also<br />

nicht nur für die 63 aus <strong>Koblenz</strong> 355 , sondern auch für die übrigen aus dem Zuständigkeitsbereich<br />

der Kr<strong>im</strong>inalpolizei <strong>Koblenz</strong>, dem Regierungsbezirk <strong>Koblenz</strong>. 356<br />

<strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Kr<strong>im</strong>inalpolizei hatte die zurückgelassene Habe der Zigeuner, 357 die nur<br />

je 50 Kilo Handgepäck hatten mitnehmen dürfen, sichergestellt. Laut Weisung des<br />

Reichskr<strong>im</strong>inalpolizeiamtes wurde ein Abwesenheitspfleger bestellt. Zur Unterbringung der<br />

Sachen bat der Polizeipräsident die <strong>Stadtverwaltung</strong> am 5. Juni 1940 um die kostenlose<br />

Überlassung von ein oder zwei Räumen. Eine Verwertung käme vorerst nicht in Frage,<br />

obwohl eine Rückkehr der Zigeuner ausgeschlossen sei. Der Polizeipräsident verwies<br />

darauf, dass der Stadt durch die Abschiebung der Zigeuner erhebliche Wohlfahrts- und<br />

Unterstützungskosten erspart blieben. Fuhlrott vermerkte an dieser Stelle „nein! erhalten<br />

nichts!“ Das belegt, dass das Wohlfahrtsamt den Zigeunern zumindest 1940 gesetzliche<br />

Leistungen vorenthielt, 358 obwohl es angeblich, wie Fuhlrott in seiner Eingabe vom 18. März<br />

speziell den südwestdeutschen Sinti-Gruppen widmete. Er gehörte zu den Sachverständigen der<br />

Rassenhygienischen Forschungsstelle, die <strong>im</strong> Auftrag des Reichskr<strong>im</strong>inalpolizeiamtes Gutachten<br />

erstellten. Z<strong>im</strong>mermann: Rassenutopie und Genozid, S. 131, 141, 143-145, 426, 429-431.<br />

350<br />

Z<strong>im</strong>mermann: Rassenutopie und Genozid, S. 139-146, 429-433; ders.; „Mit Weigerungen würde<br />

also nichts erreicht“ – Robert Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle <strong>im</strong><br />

Reichsgesundheitsamt. In: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hg.): Karrieren <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Frankfurt am Main 2004, S.<br />

291-317; Fings/Sparing: Rassismus, S. 201, 435. Am 17.11.1941 fand <strong>im</strong> Polizeipräsidium eine<br />

weitere Begutachtung von als Zigeuner verdächtigen Personen durch drei Mitarbeiterinnen der<br />

Rassenhygienischen Forschungsstelle statt; LHAKo Best. 517,1 Nr. 209, Bl. 38 f.<br />

351<br />

LHAKo Best. 517,1 Nr. 209, Bl. 25 f.; StAK 623 Nr. 6105, S. 86.<br />

352<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 85; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 7.<br />

353<br />

LHAKo Best. 517,1 Nr. 211, Bl. 3 f. Auch Daweli Reinhardts Vater, sein ältester Bruder und ein Onkel<br />

waren aktive Soldaten gewesen; Reinhardt/Hennig: Hundert Jahre Musik, S. 24-26.<br />

354<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 86, veröffentlicht in: Fings/Sparing: Rassismus, S. 213.<br />

355<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 85.<br />

356<br />

Wie bei der späteren Deportation vom 10.3.1943 weichen die Listen und Zahlenangaben voneinander ab: <strong>Die</strong><br />

Berechnung erfolgte für 77 Personen, ansonsten taucht die Zahl 78 auf; LHAKo Best. 517,1 Nr. 209, Bl. 25 f.;<br />

ebd. Nr. 211, Bl. 6. Vgl. LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 20-23; ebd. Nr. 211, Bl. 70-72.<br />

357<br />

Vgl. Verzeichnisse in LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 8-16.<br />

358<br />

<strong>Die</strong> Angabe Gruners, wonach Zigeuner und „Asoziale“ in <strong>Koblenz</strong> bereits 1936 geringere Leistungen<br />

erhielten, konnte nicht bestätigt werden. Wolf Gruner: Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung.<br />

Wechselwirkungen lokaler und zentraler Politik <strong>im</strong> NS-Staat (1933-1942) (Studien zur Zeitgeschichte 62).


520<br />

behauptet hatte, stark durch Anträge belästigt wurde. <strong>Die</strong> Bitte des Polizeipräsidenten lehnte<br />

Fuhlrott kurz und bündig ab, die Stadt verfüge zu seinem Bedauern nicht über freie Räume. 359<br />

Für die Auswahl der Deportationsopfer war die Kr<strong>im</strong>inalpolizei verantwortlich, die sich dabei<br />

vor allem an den Gutachten zu orientieren hatte. Eine Beteiligung der Kommunalverwaltung<br />

an der Auswahl war weder vorgesehen noch ist sie in <strong>Koblenz</strong> aktenkundig geworden. Nur<br />

zwei der zehn Familien hatten in einer städtischen Unterkunft gelebt, und Wohlfahrts-<br />

unterstützung hatte laut Vermerk Fuhlrotts niemand bezogen. 360 Kurz nach der Deportation<br />

veranstaltete die Kr<strong>im</strong>inalpolizei eine Razzia unter den in <strong>Koblenz</strong> verbliebenen Zigeunern.<br />

Von den 68 Personen waren laut Vermerk vom 5. Juni 1940 alle in Arbeit, zwei waren<br />

Wehrmachtssoldaten, einer war Kraftfahrer be<strong>im</strong> NSKK. 361<br />

Auch die Zigeunerfamilie, deren Kinder vom Jugendamt als Mündel betreut wurden, befand<br />

sich unter den Deportierten. Pfannschmidt hatte <strong>im</strong> Oktober 1940 einen Vermerk über die<br />

Evakuierung nach Polen gemacht, eine neue Anschrift sei noch unbekannt. Am 4. Dezember<br />

1941 richtete der Familienvater einen dringenden schriftlichen Hilferuf an Pfannschmidt aus<br />

Radom 362 , wo man die Familie ihrem Schicksal überlassen hatte. Er arbeite in einer Firma<br />

und erhalte trotz seiner deutschen Staatsangehörigkeit polnischen Lohn und polnische<br />

Lebensmittelkarten. Er zählte auf, dass er Kriegswaise gewesen sei, <strong>im</strong>mer fleißig gearbeitet<br />

habe und nicht vorbestraft sei, „und doch hat man mich und meine Familie nach Polen getan“,<br />

wo sie in großer Not seien. Eindringlich bat er Pfannschmidt um eine Bescheinigung seiner<br />

deutschen Staatsangehörigkeit, 363 um in den Genuss deutscher Lebensmittelkarten und damit<br />

größerer Rationen zu kommen. Pfannschmidt stellte <strong>im</strong> Januar 1942 die Richtigkeit seiner<br />

Angaben fest, doch ihr war bewusst, dass hier ein Sonder“recht“ galt: „Er ist aber Zigeuner<br />

und diese unterliegen heute besonderen Gesetzen.“ Sie erkundigte sich deshalb bei der<br />

Kr<strong>im</strong>inalpolizei, die ihr zu verstehen gab, eine Antwort sei „nicht ratsam“. Anschließend gab<br />

sie den Vorgang zu den Akten. <strong>Die</strong> Familie überlebte. In Radom war 1943 ein sechstes Kind<br />

zur Welt gekommen, und die Eltern hatten standesamtlich geheiratet. 364 Der Vater und ein<br />

München 2002, S. 102; E-Mail-Auskunft von Frau Horn-Kolditz, Stadtarchiv Leipzig, vom 9.7.2009 an die<br />

Verfasserin zu der von Gruner genannten Quelle.<br />

359<br />

StAK 623 Nr. 6105, S. 83 f., Zitat S. 84; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 6. <strong>Die</strong> Habe wurde schließlich<br />

entseucht und in zwei Räumen Fischelstraße 32 b untergebracht; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 20-23.<br />

360<br />

Bei Fings/Sparing heißt es fälschlich: „Es wurden die Familien aus <strong>Koblenz</strong> ins Sammellager gebracht, die<br />

die Stadt erfolglos zu vertreiben versucht hatte [gemeint ist wahrscheinlich die von Regierungspräsident von<br />

Pfeffer 1938 initiierte Abschiebungsaktion] und die kurz vor der Deportation in einer städtischen Unterkunft<br />

lebten und von Wohlfahrtsunterstützung abhängig waren.“ Fings/Sparing: Rassismus, S. 202 (Zitat), 436.<br />

361<br />

LHAKo Best. 517,1 Nr. 211, Bl. 7-10. <strong>Die</strong> Zigeuner lebten Kastorstraße 80, 92, 94, 134, 100, Feste Franz 11,<br />

Wasserturmsmauer 16, Fischelstraße 32 b, Weißer Straße 18.<br />

362<br />

Im Distrikt Radom verteilte man die Zigeuner auf die Dörfer und Kleinstädte oder überließ sie sich selbst.<br />

Vgl. dazu und zu den dortigen Verhältnissen Z<strong>im</strong>mermann: Rassenutopie und Genozid, S. 177 f., 183, 278, 443-<br />

445, 476.<br />

363<br />

Ausweise und sonstige Papiere hatte man den Zigeunern in Köln abgenommen; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210,<br />

Bl. 2.<br />

364<br />

StAK 623 Nr. 3968, S. 203-211, Zitate S. 205, 207. Das städtische Jugendamt hatte das Paar in den Jahren<br />

vor der Deportation mehrfach auf eine Heirat angesprochen.


521<br />

Sohn stellten 1956 bzw. 1961 Anträge auf Entschädigung wegen Freiheitsentzugs, die aber<br />

wenig Aussicht auf Erfolg hatten. 365 Der Bundesgerichtshof hatte nämlich am 7. Januar 1956<br />

entschieden, dass die Umsiedlung von Zigeunern aus dem westlichen Grenzgebiet 1940 eine<br />

sicherheitspolizeiliche Maßnahme dargestellt habe, für die keine Entschädigungsansprüche<br />

geltend gemacht werden könnten. 366<br />

Am 10. März 1943 wurden 149 oder 150 Zigeuner bzw. Zigeunermischlinge – die Zahlen-<br />

angaben schwanken 367 – von <strong>Koblenz</strong> aus ins KZ Auschwitz deportiert. 368 84 der Deportierten<br />

hatten in <strong>Koblenz</strong> gewohnt, 369 66 von ihnen schieden aus der Versorgung des städtischen<br />

Wirtschaftsamtes aus, 370 d. h. sie hatten Lebensmittelkarten und sonstige Bezugsscheine<br />

erhalten. Am 25. April 1944 gab es eine weitere Deportation von 13 Zigeunern. 371 Eine<br />

Mitwirkung der <strong>Stadtverwaltung</strong> an den Deportationen ist nicht überliefert.<br />

7.4 Erbkranke<br />

Wichtige neue Aufgaben, heißt es <strong>im</strong> Verwaltungsbericht für die Jahre 1933 bis 1937, gebe es<br />

auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge. Aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses vom 14. Juli 1933 372 wurde „eine grössere Zahl erbkranker Personen sterilisiert<br />

[…]. Für einen grossen Teil dieses Personenkreises, nämlich 211, 373 musste das Wohlfahrts-<br />

amt die Kostenfrage regeln.“ 374 Den ärztlichen Eingriff musste bei krankenversicherten<br />

Personen die Krankenkasse bezahlen. Bei den anderen Personen hatte <strong>im</strong> Falle der<br />

Hilfsbedürftigkeit der Fürsorgeverband, also die Stadt, die Kosten überzunehmen. 375 Zur<br />

Rechtfertigung dieser Ausgaben stellte der Verwaltungsbericht die „segensreichen<br />

365 LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, nach Bl. 217 (unpaginiert).<br />

366 RZ, 9.1.1956: Zigeuner-Umsiedlung. Der Bundesgerichtshof hatte mit dieser Entscheidung auf die Revision<br />

des Landes Rheinland-Pfalz ein Urteil des Oberlandesgerichts <strong>Koblenz</strong> aufgehoben.<br />

367 Am 10.3.1943 wurden der KZ-Kommandantur in einem Fernschreiben 149 Personen (40 Männer, 44 Frauen,<br />

65 Kinder) angekündigt; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 213, veröffentlicht in: Fings/Sparing: Rassismus, S.<br />

304. Auf Anfrage des Gauhauptamtes für Volkstumsfragen Abt. Fremdvolk vom 28.6.1943, wie viele Zigeuner<br />

abtransportiert wurden, gab SS-Hauptsturmführer und Kr<strong>im</strong>inalrat Maisch am 6.7.1943 die Zahl 150 an, davon<br />

148 aus dem Kr<strong>im</strong>inalpolizeibezirk <strong>Koblenz</strong> und zwei aus dem Kr<strong>im</strong>inalpolizeibezirk Trier; ebd. Bl. 215 f. Trier<br />

meldete am 25.2.1943 zwei Personen nach <strong>Koblenz</strong> für den Transport an; ebd. Bl. 186. Eine „Liste der<br />

einzuweisenden Zigeuner aus dem Kr<strong>im</strong>inalpolizeileitstellenbezirk <strong>Koblenz</strong>“ weist 148 Namen aus; ebd. Nr.<br />

211, Bl. 27-33. Fings/Sparing geben 156 Zigeuner an; Fings/Sparing: Rassismus, S. 305, 307, 458.<br />

368 LHAKo Best. 517,1 Nr. 210, Bl. 212-214. Vgl. RZ, 2.9.2010: Rudolf Steinbach hat die KZ-Hölle überlebt.<br />

Auch Daweli Reinhardt und seine Familie wurden deportiert; Reinhardt/Hennig: Hundert Jahre Musik, S. 27-42.<br />

369 LHAKo Best. 517,1 Nr. 211, Bl. 27-30.<br />

370 LHAKo Best. 517,1 Nr. 211, Bl. 36.<br />

371 Fings/Sparing: Rassismus, S. 311 f., 459; LHAKo Best. 517,1 Nr. 210 Bl. 110 (die dort genannte<br />

Liste fehlt).<br />

372 RGBl. I, S. 529. Das „Erbgesundheitsgesetz“ trat am 1.1.1934 in Kraft.<br />

373 <strong>Die</strong> tatsächliche Zahl lag also bis 31.3.1937 über 211. Anfang 1934 waren Schätzungen von „nur“ ca. 200<br />

<strong>Koblenz</strong>ern, die sterilisiert werden müssten, ausgegangen, da es laut Statistik 372 Gebrechliche gab; NB,<br />

17.2.1934: Etwa 200 erbkranke <strong>Koblenz</strong>er werden sterilisiert.<br />

374 VB 1933-1937, S. 84.<br />

375 Vgl. § 13 des „Erbgesundheitsgesetzes“. <strong>Die</strong> Kosten des Verfahrens vor dem Erbgesundheitsgericht trug die<br />

Staatskasse.


522<br />

Auswirkungen dieses Gesetzes“ für spätere Zeiten in Aussicht. 376 Im Jahr 1937 zahlte die<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> die Krankenhauspflegekosten für „23 unfruchtbar gemachte Personen“, 1938<br />

für 29 Personen. 377 Im Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1936 taucht erstmals ein<br />

Voranschlag von 4.000 RM für „Kosten der Unfruchtbarmachung erbkranker Personen“ auf.<br />

Im Haushaltsplan für 1937 ist der Betrag auf 2.500 RM reduziert. 378 Obwohl, wie der<br />

Verwaltungsbericht für 1938 belegt, auch in den Folgejahren noch Sterilisierungskosten<br />

aufzubringen waren, ist der Posten in den Haushalten ab 1938 nicht mehr offen ausgewiesen.<br />

Für die Anordnung zur Durchführung einer Sterilisierung, die nur in den seltensten Fällen auf<br />

Antrag des Betroffenen selbst erfolgte und deshalb in aller Regel als eine Zwangsmaßnahme<br />

anzusehen ist, war das Erbgesundheitsgericht <strong>Koblenz</strong> 379 zuständig. War die Anordnung<br />

rechtskräftig geworden, folgte die Aufforderung der Gesundheitsbehörde, den Eingriff binnen<br />

zwei Wochen vornehmen zu lassen. Erschien der Betroffene nicht freiwillig, wurde er von der<br />

Polizei zwangsweise vorgeführt. In <strong>Koblenz</strong> standen dem Betroffenen für den Eingriff drei<br />

Krankenhäuser zur Verfügung, unter denen er frei auswählen konnte: 380 das Städtische<br />

Krankenhaus Kemperhof, das Krankenhaus Evangelisches Stift St. Martin 381 und das<br />

Elisabeth-Krankenhaus 382 . Nach einer „Aufstellung über vorgenommene Sterilisationen“ vom<br />

1. Juli 1946, angefertigt auf Anordnung des Oberpräsidenten von der Krankenhausverwaltung<br />

Kemperhof für das Gesundheitsamt, wurden <strong>im</strong> Kemperhof zwischen dem 9. Mai 1934 und<br />

dem 13. September 1944 mindestens 931 Frauen und Männer sterilisiert. <strong>Die</strong> Verteilung über<br />

die Jahre erreichte 1935 mit 268 Sterilisationen ihren Höhepunkt und mit nur fünf <strong>im</strong> Jahr<br />

1940 ihren Tiefpunkt.<br />

376<br />

VB 1933-1937, S. 84. Man erhoffte sich einen „gesünderen Volkskörper“ und eine Entlastung der<br />

Fürsorgeanstalten. NB, 11.9.1933: Rheinprovinz und Sterilisierungsgesetz; NB, 14.12.1933: Sterilisation und<br />

völkischer Aufstieg; NB, 7./8.9.1935: Ein Erbkranker kostet 50.000 RM.<br />

377<br />

VB 1937/38, S. 81; VB 1938/39, S. 87.<br />

378<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1936, S. 45; dito 1937, S. 47. Vgl. StAK 623 Nr.<br />

6398, S. 12, S. 238 f., 290 f.<br />

379<br />

Das Erbgesundheitsgericht war be<strong>im</strong> Amtsgericht ansässig und residierte in der Hindenburgstraße. Der<br />

Zuständigkeitsbereich des <strong>Koblenz</strong>er Erbgesundheitsgerichts war besonders weitläufig. Er umfasste 30<br />

Amtsgerichtsbezirke. Angela Erbacher/Ulrike Höroldt: Erbgesundheitsgerichtsbarkeit. In: Justiz <strong>im</strong> Dritten<br />

Reich. Justizverwaltung, Rechtsprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz<br />

(Schriftenreihe des Ministeriums der Justiz 3). Frankfurt am Main 1995, S. 1141-1394, hier S. 1214, 1226 f.,<br />

1227 Anm. 430. <strong>Die</strong> personelle Zusammensetzung des Gerichts wird in dem Beitrag verschwiegen, vgl. dazu<br />

NB, 14.2.1934: Einrichtung des Erbgesundheitsgerichts in <strong>Koblenz</strong>.<br />

380<br />

NB, 22./23.6.1935: <strong>Koblenz</strong> und das Sterilisationsgesetz. Abb. einer Verfügung des Staatlichen<br />

Gesundheitsamtes Ahrweiler vom 9.7.1936 in: Leonhard Janta: „… erbbiologisch minderwertig …“ –<br />

Zwangssterilisation und „Euthanasie“, dargestellt am Beispiel des Kreises Ahrweiler. In: Meyer/Berkessel (Hg.):<br />

<strong>Die</strong> Zeit des NS in Rheinland-Pfalz, S. 323-332, hier S. 326. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Krankenhäuser wurden also auch<br />

Betroffenen aus benachbarten Kreisen genannt.<br />

381<br />

Kurfürstenstraße 72-74.<br />

382<br />

Mainzer Straße 39-41. Privatklinik von Dr. Gustav Kreglinger jun., die bereits sein Vater, Sanitätsrat Dr.<br />

Gustav Kreglinger sen. (1854-1944, Facharzt für Chirurgie, 1928 NSDAP-Mitglied; NB, 17.5.1933: Ein<br />

Kämpfer feiert Geburtstag), aufgebaut hatte. NB, 1./2.4.1944: 25 Jahre Elisabeth-Krankenhaus.


523<br />

Tabelle 23: Im Krankenhaus Kemperhof vorgenommene Zwangssterilisierungen 383<br />

Jahr Anzahl<br />

1934 110<br />

1935 268<br />

1936 214<br />

1937 154<br />

1938 36 [+ ca. 40 = ca. 76] 384<br />

1939 50<br />

1940 5<br />

1941 48<br />

1942 15<br />

1943 20<br />

1944 11<br />

Gesamt 931 [+ ca. 40 = ca. 971]<br />

<strong>Die</strong> Liste enthält Name, Vorname, Datum und Begründung. 1941 wurden auch neun jüdische<br />

Frauen und Männer sterilisiert, denn den Vornamen sind die Zwangsvornamen „Israel“ und<br />

„Sara“ beigefügt. 385 <strong>Die</strong> Begründungen weisen entweder die anordnende Stelle oder das<br />

Krankheitsbild aus. Danach hätte 1934 in vier Fällen noch allein die „Anweisung des<br />

Kreisarztes“ für die Durchführung der Sterilisation genügt. 184-mal findet sich die Angabe<br />

„Erbgesundheitsgericht“ 386 , viermal ist die Berufungsinstanz „Erbgesundheitsobergericht“<br />

genannt, das in Köln seinen Sitz hatte. <strong>Die</strong> in den übrigen Fällen angegebenen „Erb-<br />

krankheiten“ orientieren sich an den <strong>im</strong> Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

geforderten Indikationen. Es dominiert mit 526 Nennungen (angeborener) Schwachsinn,<br />

außerdem werden erbliche Fallsucht, Schizophrenie, Depression, manisch-depressives<br />

Irresein, Psychosen, (schwerer) Alkoholismus, Epilepsie, Taubstummheit, Taubheit,<br />

Blindheit, Debilität, schwere (erbliche) körperliche Missbildung(en) und Zwergwuchs als<br />

Grund angegeben. 387 Im Aufnahmebuch des Kemperhofs setzt <strong>im</strong> April 1936 in der Spalte<br />

„Operation“ die sprachliche Verschleierung der Zwangssterilisationen ein. Während bis<br />

383 StAK 623 Nr. 7774, S. 124-148. Im Jahr 1936 sind 215 Personen aufgelistet, bei einem Mann ist jedoch<br />

„nicht sterilisiert worden“ vermerkt; ebd. S. 136.<br />

384 Für das Jahr 1938 fehlt Blatt 21 der Liste; StAK 623 Nr. 7774, nach S. 143. Da eine Seite jeweils ca. 40<br />

Namen aufführt, liegt die tatsächliche Zahl der Sterilisationen 1938 sowie die Gesamtzahl entsprechend höher.<br />

385 Es handelte sich um drei Frauen und sechs Männer. Juden fielen eigentlich nicht unter das Gesetz zur<br />

Verhütung erbkranken Nachwuchses, trotzdem kamen Sterilisationen vor. Erbacher/Höroldt:<br />

Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, S. 1293.<br />

386 An einigen Stellen auch “Erbgesundheitsgesetz”, wahrscheinlich ein Schreibfehler.<br />

387 StAK 623 Nr. 7774, S. 122-148, Zitate S. 122, 124. Nicht <strong>im</strong>mer führen die angegebenen Krankheiten die <strong>im</strong><br />

Gesetzestext enthaltenen Zusätze „angeboren“, „schwer“ oder „erblich“. Ob dies nur eine Unterlassung be<strong>im</strong><br />

Anfertigen der Liste 1946 war oder bereits zum Zeitpunkt der Sterilisation der Fall war, ist unbekannt. <strong>Die</strong><br />

Zwangssterilisierung der sogenannten Rheinlandbastarde erfolgte nicht über das Gesetz zur Verhütung<br />

erbkranken Nachwuchses, sondern wurde 1937 unauffällig durch eine Sonderkommission der Berliner Gestapo<br />

„geregelt“; Reiner Pommerin: Sterilisierung der Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen deutschen<br />

Minderheit 1918-1937. Düsseldorf 1979, S. 77-84.


524<br />

3. April bei Frauen und Männern einfach „Sterilisation“ eingetragen wurde, findet sich<br />

ab 7. April 1936 der medizinische Fachterminus für die angewandte Operationstechnik:<br />

„Tubenresektion“ bei Frauen und „Vasoresektion“ bei Männern. 388<br />

<strong>Die</strong> Sterilisierungen <strong>im</strong> Kemperhof wurden ohne Mithilfe der katholischen Ordensschwestern<br />

durchgeführt. Auf eine entsprechende Anfrage des Regierungspräsidenten antwortete<br />

Verwaltungschef Konrad Z<strong>im</strong>mers am 8. September 1934: „<strong>Die</strong> katholischen Ordens-<br />

schwestern des städt. Krankenhauses Kemperhof verweigern die Hilfeleistung bei<br />

Operationen, die Unfruchtbarmachung bezwecken. Schwierigkeiten sind jedoch hier nicht<br />

aufgetreten, da das vorhandene weltliche Personal zu diesen Operationen herangezogen<br />

wird.“ Auch in anderen Krankenhäusern war es zu Weigerungen gekommen, worauf der<br />

Preußische Innenminister angeordnet hatte, auf konfessionelles Personal solle in dieser<br />

Hinsicht kein Druck ausgeübt werden. 389 Im Trierer Herz-Jesu-Krankenhaus weigerten sich<br />

die katholischen Ordensfrauen, an behinderten Kindern Sterilisationen vornehmen zu<br />

lassen. 390 Darüber hinaus soll es <strong>im</strong> Trierer Raum schwierig gewesen sein, Ärzte zu finden,<br />

die sich zu Sterilisierungen bereit fanden, 391 auch „versagten“ die Ärzte des Trierer Bezirks<br />

bei der Anzeige von erbkranken Personen, 392 zu der sie gesetzlich verpflichtet waren.<br />

Ähnliche Klagen gab es für <strong>Koblenz</strong> nicht. <strong>Die</strong> Bevölkerung, insbesondere die katholische<br />

und die in ländlichen Gegenden, stand dem Gesetz trotz massiver Propaganda aber eher<br />

ablehnend gegenüber. 393 Der Vorsitzende des <strong>Koblenz</strong>er Erbgesundheitsgerichts, Hermann<br />

Arntz, berichtete Anfang 1935 über seine bisherigen Erfahrungen, dass sich „die Durch-<br />

führung des Gesetzes <strong>im</strong> allgemeinen reibungslos vollzieht. Gewisse Widerstände sind in<br />

best<strong>im</strong>mten Kreisen zweifellos vorhanden.“ 394 Landrat Struve, Leiter des Amtes für<br />

Kommunalpolitik, hatte die Amtsbürgermeister des Landkreises <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> August 1935<br />

angewiesen, bei Fällen von „Widerstand und Hetze“ gegen das Gesetz <strong>im</strong> Benehmen mit der<br />

zuständigen Kreisleitung „sofort Strafanzeige zu erstatten“. 395<br />

Über den Zwangscharakter der Operation und deren dramatischen Umstände berichtete<br />

nach 1945 ein Sterilisationsopfer aus Bad Neuenahr, das <strong>im</strong> Frühjahr 1938 polizeilich<br />

<strong>im</strong> Kemperhof vorgeführt wurde. Das Erbgesundheitsobergericht Köln hatte die<br />

388<br />

StAK 623 Nr. 7336. <strong>Die</strong> Spalte „Krankheit“ blieb durchgängig ohne Eintrag.<br />

389<br />

StAK 623 Nr. 7631, S. 538-541, Zitat S. 540. Vgl. Erbacher/Höroldt: Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, S. 1303.<br />

390<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 612, Berichte des SD-Unterabschnitts Trier vom 22.9.1936 und 6.10.1936,<br />

veröffentlicht in: Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> NS, S. 299 f., 302 f.<br />

391<br />

LHAKo Best. 403 Nr. 16848, S. 439-441, Bericht eines Arztes aus Vallendar an den Gauamtsleiter des Amtes<br />

für Volksgesundheit, Pg. Dr. Kreglinger, vom 18.4.1935, veröffentlicht in: Brommer: Das Bistum Trier <strong>im</strong> NS,<br />

S. 173 f. Wegen ihrer Weigerung, Zwangssterilisierungen vorzunehmen, wurde vier Trierer Ärzten ihre<br />

Gutachtertätigkeit entzogen; LHAKo Best. 662,6 Nr. 612, Bericht des SD-Unterabschnitts Trier vom 22.9.1936,<br />

veröffentlicht in: Ebd., S. 299 f.<br />

392<br />

Bericht des Kölner OLG-Präsident am 14.1.1935 an den Reichsjustizminister; Erbacher/Höroldt:<br />

Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, S. 1373.<br />

393<br />

Erbacher/Höroldt: Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, S. 1292-1309.<br />

394<br />

LAV NRW R 168/633, Bl. 172, zit. n. Erbacher/Höroldt: Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, S. 1372.<br />

395 StAK 655,10 Nr. 847, S. 5.


525<br />

Sterilisierungsanordnung des Erbgesundheitsgerichts <strong>Koblenz</strong> wegen erblicher Fallsucht<br />

bestätigt. Im Kemperhof bat der Mann Chefarzt Hohmeier noch „persönlich um Hilfe“. Ein<br />

Polizist stand „während der Operation mit seiner Waffe in der Tür […], um meine Flucht zu<br />

verhindern. Ich besinne mich, wie der Arzt, nachdem ich auf den Operationstisch gezwungen<br />

worden bin, sagte, er wolle eine Blutprobe nehmen und wie ich die Narkosekappe zuerst<br />

weggeschleudert habe, alles in der Gegenwart von […] mit seiner Pistole in der Hand.“ 396<br />

Für drei Amtsmündel ist eine Zwangssterilisierung dokumentiert. Bei der niedrigen Zahl<br />

von 26 überlieferten Vormundschafts- bzw. Pflegschaftsfällen ergibt dies eine Quote von<br />

<strong>im</strong>merhin 11,5 %. 397<br />

Bei einem 1919 geborenen Mädchen war 1936 auf Antrag des Jugendamtes durch das<br />

Vormundschaftsgericht Fürsorgeerziehung angeordnet worden. <strong>Die</strong> Kindsmutter war<br />

Alkoholikerin, das Mädchen war ständig zwischen einer auswärtigen Pflegefamilie und der<br />

überforderten Großmutter, in deren Haushalt auch die Mutter lebte, hin- und hergependelt.<br />

Der KFV hatte 1928 die nicht ungewöhnliche Bitte von Jugendamtsleiterin Anna Loenartz,<br />

die Familie zu betreuen und sich um eine anderweitige Unterbringung des Kindes zu<br />

kümmern, mit der seltsamen Begründung abgelehnt, das Kind stehe unter Vormundschaft des<br />

Jugendamtes. Damit war alles be<strong>im</strong> Alten geblieben. Erst 1934 hatte Schmitz auf eine<br />

Änderung der Verhältnisse gedrängt und dabei wieder den KFV eingeschaltet, der sich<br />

diesmal des Falles annahm. Nach einer vorübergehenden Unterbringung in einem anderen<br />

He<strong>im</strong> kam das Mädchen <strong>im</strong> Oktober 1934 ins Bonner St.-Agnesstift, das sich als<br />

Erfüllungsgehilfe der nationalsozialistischen Rassenpolitik besonders hervortat. Im Mai 1936<br />

erhielt das Jugendamt eine Vorladung zur Sitzung des Erbgesundheitsgerichts Bonn <strong>im</strong> Juni,<br />

in der über die Sterilisierung des Mädchens entschieden werden sollte. Das St.-Agnesstift<br />

teilte mit, man habe neuerdings Schwachsinn bei ihm festgestellt. Sachbearbeiter Ludwig<br />

Dolle befand, die Wahrnehmung des Termins sei nicht nötig. Das Erbgesundheitsgericht war<br />

sich seiner Sache jedoch nicht sicher und setzte das Verfahren für zwei Jahre aus. 1937 wurde<br />

das Mädchen wieder begutachtet, worauf der Bonner Amtsarzt einen neuen Gerichtstermin<br />

beantragte, der für August festgesetzt wurde. <strong>Die</strong>smal wurde Schmitz persönlich aktiv und<br />

beantragte bei Abteilung I für Jugendamtsleiter Karl Scherer eine <strong>Die</strong>nstreise nach Bonn:<br />

„Von einer Erbkrankheit ist hier nichts bekannt.“ Schmitz war sich wohl bewusst, dass sich<br />

das Jugendamt Versäumnisse gegenüber seinem Mündel vorzuwerfen hatte. Dolle,<br />

inzwischen bei Abteilung I, befürwortete die <strong>Die</strong>nstreise. Man sei an dem Fall, der „schon<br />

viel Ärger und Arbeit verursacht“ habe, „stark interessiert“. Da das Mädchen einer alten<br />

<strong>Koblenz</strong>er Familie entstamme, könne die Verhandlung vielleicht Aufschluss über andere<br />

Fälle geben. Es ist nicht zu entscheiden, ob Dolle die Gewinnung neuer Erkenntnisse nur<br />

396 Janta: „… erbbiologisch minderwertig …“, S. 327 f.<br />

397 Susanne Hermans, seit 1941 städtische Fürsorgerin, berichtete, Zwangssterilisationen bei Mündeln seien<br />

„häufig“ vorgekommen. Mitteilung vom 7.10.2009.


526<br />

vorschob, oder ob er inzwischen selbst an der ordnungsgemäßen Behandlung des Falles in der<br />

Vergangenheit zweifelte. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstreise wurde jedenfalls genehmigt, und Scherer legte in<br />

einem Aktenvermerk den Verlauf der Gerichtsverhandlung nieder. Das Mädchen sei von einer<br />

Schwester des St.-Agnesstifts vorgeführt worden. Der Amtsarzt habe Auskunft über seine<br />

Beobachtungen und die ausgeführten „Proben“ gegeben. Er, Scherer, habe dargelegt, dass die<br />

Mutter zwar Trinkerin sei, aber nach Aktenlage und soweit bekannt kein erblicher<br />

Schwachsinn bei dem Mädchen aufgetreten sei. In der Schule sei sie viel krank gewesen und<br />

zu Hause hätte es nur eine mangelhafte Erziehung und Ausbildung genossen. <strong>Die</strong> vom<br />

Gericht gestellten Fragen hätte das Mädchen „in klaren Sätzen“ beantworten können, aber es<br />

„versagte vollkommen in der Lösung der einfachsten Rechenaufgaben“. Das Gericht habe<br />

daraufhin die Sterilisation angeordnet. Eine Beschwerde halte er mit Rücksicht auf die „früh<br />

eingetretene sittliche Verkommenheit“ für „zwecklos, gegenteilig vielmehr die Sterilisation<br />

[…] für angebracht“, wobei das Urteil noch abzuwarten bleibe. Nach Rücksprache mit<br />

Fuhlrott unterblieb die Beschwerde schließlich. 398<br />

1936 wurde eine 1921 geborene Jugendliche nach Ohnmachten und Verhaltensauffälligkeiten<br />

vom Krankenhaus Kemperhof in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach überwiesen, wo<br />

Schizophrenie diagnostiziert wurde. Von der Sterilisierung des Mädchens erfuhr<br />

Sachbearbeiter Hans Auster 399 erst <strong>im</strong> Oktober 1937 nach dessen Entlassung durch ein<br />

Gespräch mit der vom Jugendamt als „Vormünderin“ beauftragten Katharina Schu. Das<br />

Jugendamt als Amtsvormund war in keiner Weise informiert oder beteiligt worden. <strong>Die</strong><br />

Vormünderin beklagte bei Auster die häuslichen Verhältnisse des Mädchens: Der Untermieter<br />

der Mutter stelle ihm nach, und die Großmutter laste dem Mann die Schuld an der<br />

Geisteskrankheit an. Da die Mutter ihr gegenüber frech sei, bat Schu bei ihrem nächsten<br />

Hausbesuch um Begleitung durch eine städtische Fürsorgerin. Scherer benachrichtigte<br />

Abteilung I, weil die Mutter als Putzfrau <strong>im</strong> städtischen Kaiser-Wilhelm-Gymnasium<br />

arbeitete. Der Untermieter und Lebensgefährte der Mutter wurde unter Androhung des<br />

Arbeitshauses aufgefordert, für seine drei Kinder zu sorgen, die auf Kosten eines anderen<br />

Jugendamtes untergebracht waren. Auster erklärte der Vormünderin <strong>im</strong> November, die<br />

Personalabteilung sei informiert. Sein kaltschnäuziger interner Vermerk verrät, dass er die<br />

nationalsozialistische Trennung seiner Klientel in „wertvoll“ und „minderwertig“ ganz<br />

verinnerlicht hatte: „Im übrigen ist die Angelegenheit nicht allzu tragisch zu nehmen, da das<br />

Mädchen geistig minderwertig und daher schwer erziehbar ist.“ <strong>Die</strong> NSV gab die Betreuung<br />

1939 bei Bekanntwerden der näheren Umstände umgehend an den KFV ab. Das Mädchen<br />

landete nach einer vorübergehenden Beschäftigung in einem Haushalt 1940 in der Anstalt<br />

398 StAK 623 Nr. 3970, Zitate S. 395 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original), 397. Zu den Zwangssterilisationen in den<br />

rheinischen Fürsorgeanstalten vgl. Steinacker: Der Staat als Erzieher, S. 780-821, zum St.-Agnesstift ebd., S.<br />

790.<br />

399 * 24.2.1899 Oberlahnstein, 1933 NSDAP-Mitglied, 1945 Entlassung, 1947 Wiedereinstellung unter<br />

Zurückversetzung ins Angestelltenverhältnis und mit 20-prozentiger Gehaltskürzung für zwei Jahre. LHAKo<br />

Best. 856 Nr. 111148.


527<br />

Maria Trost, nachdem es u. a. 1939 von einer gemeinsamen Streife von NSV und<br />

Kr<strong>im</strong>inalpolizei in einem Lokal mit schlechtem Ruf in Begleitung von RAD-Männern<br />

aufgegriffen worden war. Im Juli 1942 beantragte der KFV be<strong>im</strong> Jugendamt die Ent-<br />

mündigung und begründete dies mit der sittlichen Verwahrlosung des Mädchens, seiner<br />

unehelichen Geburt als Kind eines Besatzungssoldaten und dem unsittlichen Lebenswandel<br />

der Mutter. Der KFV ging also – zumindest in seiner offiziellen Begründung – genau wie die<br />

nationalsozialistische Rassenideologie von der Erblichkeit asozialen Verhaltens aus. Scherer<br />

schloss sich dem Antrag an, dem das Amtsgericht wegen Geistesschwäche folgte. 400<br />

Wegen Schwachsinns war ein 1923 geborenes Mädchen seit frühester Kindheit <strong>im</strong> Herz-Jesu-<br />

Haus Kühr 401 in Niederfell untergebracht. Durch einen Mündelberichts des Anstaltsarztes<br />

wurde Sachbearbeiterin Pfannschmidt <strong>im</strong> März 1938 informiert, dass das Kind bereits <strong>im</strong> Juli<br />

1935 dem zuständigen Gesundheitsamt St. Goar gemäß Gesetz zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses gemeldet worden war. Als die Anstalt 1942 die versuchsweise Entlassung des<br />

Mädchens nach Hause vorschlug, drängte Pfannschmidt mehrfach darauf, vorher die<br />

Unfruchtbarmachung durchzuführen. Damit bewegte sie sich innerhalb der rechtlichen<br />

Vorschriften 402 , die vor eine Entlassung oder Beurlaubung eines Erbkranken aus einer<br />

geschlossenen Anstalt den Antrag auf Unfruchtbarmachung und dessen Entscheidung<br />

verlangten. Der Antrag be<strong>im</strong> Erbgesundheitsgericht verzögerte sich jedoch wegen fehlender<br />

Papiere, sodass der Fall erst <strong>im</strong> Mai 1943 in <strong>Koblenz</strong> verhandelt wurde. Das Jugendamt als<br />

Vormund entsandte keinen Vertreter zu der Sitzung. Stattdessen schickte Pfannschmidt <strong>im</strong><br />

Vorhinein die Einwilligungserklärung. <strong>Die</strong> Sterilisation wurde angeordnet, wenn auch der<br />

Schwachsinn als „nicht hochgradig“ eingestuft wurde. Den erbetenen sofortigen Verzicht auf<br />

Beschwerde bei der Berufungsinstanz schickte Pfannschmidt umgehend zurück. <strong>Die</strong><br />

Sterilisation wurde <strong>im</strong> August 1943 <strong>im</strong> Krankenhaus Kemperhof durchgeführt. Pfannschmidt<br />

behandelte den Fall formal völlig korrekt. Doch ihr mangelte es nicht an Mitgefühl für ihr<br />

Mündel. Sie hatte sich 1941 ein halbes Jahr lang hartnäckig und engagiert darum gekümmert,<br />

dass die auswärts lebende Mutter wieder Kontakt zu ihrer Tochter aufnahm. Pfannschmidt<br />

hatte erfahren, das Mädchen gräme sich, weil es nie Post von Angehörigen erhalte. 403<br />

Das Jugendamt war Amtsvormund für die beiden 1921 und 1922 geborenen unehelichen<br />

Kinder eines Besatzungssoldaten und einer Frau, die 1912 wegen Schwachsinns entmündigt<br />

worden war. Im Dezember 1934 beauftragte Auster die zuständige Bezirksfürsorgerin,<br />

„wegen evtl. Sterilisierung der Kindsmutter das Erforderliche zu veranlassen“. Das<br />

Jugendamt war zwar Amtsvormund der Kinder, nicht aber der 42-jährigen Mutter. Eine<br />

400<br />

StAK 623 Nr. 3980, Zitat S. 84.<br />

401<br />

<strong>Die</strong> „Festschrift anläßlich des 125-jährigen Bestehens des Herz-Jesu-Hauses Kühr“, Niederfell 1997, erwähnt<br />

die Zwangssterilisationen nicht. Es gab dort 1943 330 Pfleglinge und 70 Schwestern; ebd. S. 13.<br />

402<br />

Art. 1 VO zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5.12.1933; RGBl. I, S.<br />

1021.<br />

403<br />

StAK 623 Nr. 3971, Zitat S. 203; ebd. Nr. 7774, S. 147.


528<br />

Anzeigepflicht 404 , wie sie für Ärzte, Anstaltsleiter usw. galt, bestand hier nicht. Weitere<br />

Schritte erledigten sich <strong>im</strong> Januar 1935 von selbst, als sich herausstellte, dass die Frau<br />

inzwischen in einer Anstalt untergebracht worden war. Dabei entlarvte gerade dieser Fall die<br />

wissenschaftliche Fragwürdigkeit der Unfruchtbarmachung von angeblich Erbkranken. Der<br />

ältere der beiden Jungen – der jüngere war <strong>im</strong> Kleinkindalter verstorben – wurde wenige<br />

Monate nach Austers Initiative als „sehr intelligent“ geschildert. Er begann eine<br />

Drogistenlehre, für die ihm Pater Ladislaus Lohoff vom Seraphischen Liebeswerk Latein-<br />

Kenntnisse vermitteln wollte. 405<br />

7.5 Behinderte<br />

Dr. med. Gustav Kreglinger jun. 406 , von 1931 bis 1939 Leiter des Amtes für Volksgesundheit<br />

und einer der ärztlichen Beisitzer des <strong>Koblenz</strong>er Erbgesundheitsgerichts, verfasste als „Der<br />

Gausachverständige in der Gebrechlichenfürsorge“ ein Rundschreiben, das die Ärzte des<br />

Bürgerhospitals und des Kemperhofs Ende März 1936 abzeichnen mussten. Darin heißt es,<br />

unheilbare Fälle sollten zur Einsparung von Mitteln so schnell wie möglich in die häusliche<br />

Pflege gegeben werden. Auch sollten keine operativen Eingriffe bei „geistig Minderwertigen“<br />

durchgeführt werden, sondern sie sollten zu Hause oder in Anstalten untergebracht werden. 407<br />

Ganz ähnliche Forderungen hatte der DGT schon <strong>im</strong> Januar 1934 in einem Rundschreiben zur<br />

„Handhabung der öffentlichen Fürsorge“ gestellt. <strong>Die</strong> Bewilligung teuerster Medikamente für<br />

unheilbar Kranken und die kostspielige Anstaltspflege für Behinderte anstelle der<br />

Familienunterbringung dienten als Beispiele für nicht zu verantwortende Ausgaben. Bei<br />

Körperbehinderten müsse die Erwerbsfähigkeit hergestellt werden, wo dies nicht möglich sei,<br />

seien sie in einfachster Weise zu verwahren. 408<br />

Ob und mit welchen Konsequenzen diese Rundschreiben in <strong>Koblenz</strong> beachtet wurden, ist<br />

nicht überliefert. <strong>Die</strong> frühere Fürsorgerin Susanne Hermans geb. Hilleshe<strong>im</strong> erinnert sich<br />

aber an Todesmeldungen von behinderten Mündeln aus Hadamar, die ihr merkwürdig<br />

vorkamen. 409 <strong>Die</strong> Trennung in „wertvolle“ und „minderwertige“ Behinderte, die sich an<br />

Wirtschaftlichkeitsberechnungen einer erfolgreichen Eingliederung von körperlich<br />

Behinderten ins Arbeitsleben orientierte, war aber nicht neu. 410 So war die Behandlung von<br />

„Krüppeln“ schon in den 1920er Jahren selektiv erfolgt. Im Bürgerhospital bzw. ab 1923 <strong>im</strong><br />

404<br />

Art. 3 VO zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5.12.1933; RGBl. I, S.<br />

1021. Zur Mitwirkung der kommunalen Fürsorgerinnen bei der Erfassung und Vorauswahl von eventuell zu<br />

sterilisierenden Personen vgl. Sachße/Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge. Bd. 3, S. 192 f.<br />

405<br />

StAK 623 Nr. 9810, Zitate S. 52, 54.<br />

406<br />

Vgl. Kapitel 3.3 und 4.1.4.<br />

407<br />

StAK 623 Nr. 7534, S. 800 f.<br />

408<br />

StAK 623 Nr. 6432, S. 229-231.<br />

409<br />

Mitteilung von Frau Susanne Hermans vom 7.10.2009.<br />

410<br />

Klaus-<strong>Die</strong>ter Thomann: „Aus Krüppeln werden leistungsfähige Glieder der Volksgemeinschaft“ – die<br />

nationalsozialistische Politik gegenüber Körperbehinderten. In: Meyer/Berkessel (Hg.): <strong>Die</strong> Zeit des NS in<br />

Rheinland-Pfalz, S. 297-310.


529<br />

Kemperhof wurden <strong>im</strong> Rahmen der gesetzlichen Krüppelfürsorge jugendliche Körper-<br />

behinderte aus den umliegenden Landkreisen <strong>im</strong> Auftrag des Landesfürsorgeverbandes der<br />

Rheinprovinz behandelt. 1922 verweigerte der <strong>Die</strong>nst habende Arzt die Aufnahme eines<br />

zweieinhalbjährigen Jungen aus dem Landkreis Daun, worauf sich der Landrat angesichts der<br />

für Kind und Eltern strapaziösen, kostspieligen und vergeblichen An- und Rückreise<br />

beschwerte. Chefarzt Hohmeier verteidigte die Entscheidung, da das „Kind Vollidiot ist und<br />

chirurgische und ortopädische [sic] Behandlung nicht in Frage kam.“ Gleichzeitig betonte er,<br />

dass zur Behandlung geeignete Kinder jederzeit aufgenommen würden. Bis mindestens 1938<br />

wurden laufend jugendliche „Krüppel“ <strong>im</strong> Kemperhof behandelt. 411 Stadtinspektor Josef<br />

Z<strong>im</strong>mermann hatte dem Berliner Reichswalter des Reichsbundes der Körperbehinderten<br />

anlässlich eines Vortrags <strong>im</strong> Juli 1935 die Unterstützung der <strong>Stadtverwaltung</strong> bei der<br />

Integration von Körperbehinderten zugesagt. 412<br />

7.6 Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene<br />

Nach einer Statistik vom 30. September 1944 waren <strong>im</strong> Arbeitsamtsbezirk <strong>Koblenz</strong><br />

5.206 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt, 3.198 Männer und 2.008 Frauen, davon waren<br />

2.353 Ostarbeiter. 413 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> kam in mehrfacher Hinsicht mit ausländischen<br />

Zivilarbeitern, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen 414 in Berührung: als Verwalterin eines<br />

Kriegsgefangenenlagers, als Arbeitgeberin und als <strong>Die</strong>nstleisterin in der medizinischen<br />

Versorgung. 415<br />

411 StAK 623 Nr. 7410, Zitat S. 88.<br />

412 NB, 22.7.1935: Der Körperbehinderte ist kein Außenseiter.<br />

413 Mark Spoerer: NS-Zwangsarbeiter <strong>im</strong> Deutschen Reich. Eine Statistik vom 30. September 1944 nach<br />

Arbeitsamtsbezirken. In: VfZ 49 (2001), S. 665-684, hier S. 679.<br />

414 Zur Zwangsarbeit und den fließenden Übergängen zwischen „freiwillig“ angeworbenen ausländischen<br />

Zivilarbeitern, Zwangsarbeitern (einschließlich der Häftlinge aus Konzentrations- und Arbeitslagern) und<br />

Kriegsgefangenen (einschließlich der italienischen Militärinternierten), die z. T. in den Zivilarbeiterstatus<br />

„überführt“ wurden, vgl. grundlegend Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-<br />

Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. 2. Aufl. Bonn 1986, und Mark Spoerer: Zwangsarbeit<br />

unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge <strong>im</strong> Deutschen Reich und<br />

<strong>im</strong> besetzten Europa 1939-1945. Stuttgart/München 2001, sowie die Lokalstudie Clemens von Looz-<br />

Corswarem (Hg.): Zwangsarbeit in Düsseldorf: "Ausländereinsatz" während des Zweiten Weltkrieges in einer<br />

rheinischen Großstadt (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-<br />

Westfalens 62). Essen 2002.<br />

415 Zur Rolle der Kommunen bei der Zwangsarbeit u. a. Roland Schlenker: Vom Personalmangel zur<br />

Zwangsarbeit. Aufgabenstellung und Beschäftigungssituation rheinischer und westfälischer Kommunen 1936-<br />

1945. In: Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 181-199; Karola Fings: Kommunen und<br />

Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte (Neue<br />

Kleine Bibliothek 68). Köln 2000, S. 108-129; Annette Schäfer: Zwangsarbeit in den Kommunen.<br />

„Ausländereinsatz“ in Württemberg 1939-1945. In: VfZ 49 (2001), S. 53-75. Vgl. auch die Hinweise zu<br />

Forschungsstand und Projekten sowie ausführliche Literaturangaben in: Informationen zur modernen<br />

Stadtgeschichte 2/2001, Themenschwerpunkt: Zwangsarbeit und Kommunen.


530<br />

7.6.1 Lager für Kriegsgefangene und Ostarbeiter<br />

Durch die Bereitstellung und Verwaltung einer Unterkunft lieferte die Stadt ortsansässigen<br />

Betrieben eine der Grundvoraussetzungen dafür, vom Arbeitsamt ausländische Arbeitskräfte<br />

zugewiesen zu bekommen. Eine Verpflichtung hierzu bestand nicht. Trotzdem übernahmen<br />

viele Kommunen diese Aufgabe freiwillig, um einerseits durch diese Vorleistung die eigenen<br />

Chancen für die Zuweisung von Arbeitskräften zu erhöhen, andererseits die he<strong>im</strong>ische<br />

Wirtschaft in Gang zu halten und dadurch auch Gewerbesteuereinnahmen zu erzielen. 416<br />

Das Kriegsgefangenen-Arbeitskommando 107, ein Außenlager von Stalag XII C Oberwesel<br />

am Rhein 417 , brachte die Stadt <strong>im</strong> ehemaligen Obdachlosenasyl in der Boninstraße unter. Das<br />

Lager beherbergte französische Kriegsgefangene, die tagsüber in ihren <strong>Koblenz</strong>er<br />

Einsatzfirmen arbeiteten. Überliefert sind Lohnlisten und Abrechnungen vom 13. April bis<br />

30. Juni 1941, die vom Tiefbauamt bearbeitet wurden. Danach waren die Kriegsgefangenen<br />

vorwiegend bei Straßen- und Kanalbaufirmen, in Gartenbau- und Handwerksbetrieben, bei<br />

der Energieversorgung Mittelrhein sowie den städtischen <strong>Die</strong>nststellen Tiefbauamt,<br />

Friedhofsamt, Fuhrpark und Straßenreinigung eingesetzt. Das Tiefbauamt rechnete mit den<br />

knapp 50 Firmen den vereinbarten Lohn von 0,33 RM pro Stunde oder 4 RM pro Arbeitstag<br />

zuzüglich Lohnsteuer ab. Dazu kam eine Kosten-beteiligung für die Einrichtung und<br />

Unterhaltung des Lagers pro Tag und Gefangenen von 0,90 RM, die sich bei Krankheitstagen<br />

auf 1 RM erhöhte. <strong>Die</strong> Löhne wurden anschließend auf ein Konto der Heeresstandortkasse<br />

<strong>Koblenz</strong> abgeführt. Für die Bewachung der Kriegsgefangenen sorgte ein Wehrmachtkommando,<br />

418 auch für die Krankenbehandlung war die Wehrmacht zuständig. 419<br />

Wahrscheinlich um eine Flucht zu erschweren, mussten die Gefangenen ihre Schuhe abends<br />

in einem gesonderten Raum abstellen. 420 Im September 1944 erhielt das Lager drei große<br />

Öfen für den Aufenthalts-und den Schlafraum als Ersatz für die vorhandenen schadhaften<br />

Öfen sowie einen Heiz-und Kochofen für den Wachraum. Noch am 26. Januar 1945<br />

beantragte die <strong>Stadtverwaltung</strong> bei der Gauwirtschaftskammer zehn 50-Liter-Gefäße für den<br />

Speisentransport für die Kriegsgefangenen. 421 Es ist unbekannt, inwieweit sie auch für die<br />

eigentliche Verpflegung sorgte. <strong>Die</strong> Berechnung der den Zwangsarbeitern zustehenden<br />

Lebensmittelmengen war kompliziert, da sich die Mengenzuteilung nach ihrer „rassischen<br />

Wertigkeit“ und der Schwere der Arbeit richtete. Be<strong>im</strong> Ernährungsamt gab es ein eigenes<br />

416<br />

Schäfer: Zwangsarbeit in den Kommunen, S. 61-67.<br />

417<br />

Stammlager (genauer: Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager), Wehrkreis XII Wiesbaden, C Oberwesel<br />

am Rhein [Wiebelshe<strong>im</strong>]. <strong>Die</strong> Stalags unterstanden der Wehrmacht.<br />

418<br />

Vgl. StAK 623 Nr. 6757, S. 2.<br />

419<br />

StAK 623 Nr. 8933. Vorgänge z. T. bearbeitet von Stadtinspektor Schnorbach. Vgl. auch StAK K 1325,<br />

1327, 1360.<br />

420<br />

StAK 623 Nr. 9428, S. 1.<br />

421<br />

StAK 623 Nr. 6038. Nach einem Erlass des RMindI vom 4.11.1939 war der Unterbringung der<br />

Wachkommandos besonderes Augenmerk zu schenken. Ihnen sollte ein freundlicher, großer, gut beheizbarer<br />

Raum zur Verfügung stehen. <strong>Die</strong> Kriegsgefangnen mussten Gelegenheit zum Trocknen von durchnässter<br />

Kleidung haben. StAK 623 Nr. 6757, S. 3a, 4.


531<br />

Arbeitsgebiet, das neben den Zuschlägen für Lang-, Nacht- und Schwerarbeitern für die<br />

Ausländer zuständig war. 422 Ob die Stadt mit dem Lager wie andere Kommunen Überschüsse<br />

erwirtschaftete, 423 ließ sich nicht ermitteln.<br />

Be<strong>im</strong> größten <strong>Koblenz</strong>er Ostarbeiterlager 424 in der ehemaligen städtischen Jugendherberge,<br />

Nagelsgasse 5, stellte die Stadt nur das Gebäude zur Verfügung. Der Bauhilfe der DAF waren<br />

<strong>im</strong> August 1943 200 bis 300 Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter als Bauarbeiter für den<br />

Behelfshe<strong>im</strong>bau zugeteilt worden, von denen die ersten am 7. September 1943 das Lager<br />

bezogen. 425 Der Oberlagerführer des „Gemeinschaftslager[s] der DAF / Bauhof Moselland“<br />

informierte den Kemperhof am 25. Juni 1944, für alle Ostarbeiter gebe es am nächsten Abend<br />

eine Theateraufführung <strong>im</strong> Evangelischen Gemeindesaal. Es sollte früher Arbeitsschluss sein,<br />

damit noch alle essen, sich waschen und umkleiden könnten. Das Schreiben erreichte den<br />

Kemperhof wahrscheinlich zu spät. 426<br />

7.6.2 Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in<br />

städtischen <strong>Die</strong>nststellen<br />

Ab wann die <strong>Stadtverwaltung</strong> Zivilarbeiter, Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene<br />

beschäftigte, ist unklar. 427 <strong>Die</strong> Chronik des Kemperhofs nennt erstmals Anfang Juli 1940<br />

polnische Kriegsgefangene als Gartenarbeiter, die am 18. Juli 1940 von französischen<br />

Kriegsgefangenen, darunter auch einem Geistlichen, abgelöst wurden. <strong>Die</strong> Franzosen wurden<br />

mit den Erdarbeiten für die beiden Bunkerneubauten beschäftigt. Im Winter erschwerte der<br />

gefrorene Boden die „äußerst mühevoll[e]“ Arbeit, und die Gefangenen litten unter der für sie<br />

ungewohnten Kälte. 428<br />

Ende 1941 und <strong>im</strong> März 1942 bemühte sich Amtmann Schmitz, der neben dem Wohl-<br />

fahrtsamt seit spätestens 1941 zusätzlich die Krankenanstalten leitete, 429 be<strong>im</strong> Arbeitsamt<br />

erfolgreich um die Rücküberweisung von drei französischen Kriegsgefangenen. Einer war zur<br />

Krankenbehandlung ins Kriegsgefangenenlazarett Lützel gekommen und zwei waren zu<br />

422 StAK 623 Nr. 9571, S. 42.<br />

423 Fings: Kommunen und Zwangsarbeit, S. 117, 128.<br />

424 Judith Höhn-Engers: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich bitte Sie um Verzeihung, dass ich Ihre<br />

Arbeitszeit wegnehme (...)“. Über die Suche nach Aufenthalts- und Beschäftigungsnachweisen für ehemalige<br />

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Ein Forschungsbericht aus dem Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong>. In: Unsere<br />

Archive 49 (2004), S. 26-38, hier S. 32.<br />

425 StAK 623 Nr. 7682, S. 29, 33; ebd. Nr. 7326, S. 1; ebd. M 51, Mappe „Russenlager“ bzw. „Ostarbeiterlager“.<br />

Zur Bauhilfe vgl. Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik, S. 420.<br />

426 StAK 623 Nr. 7720, S. 227. Das Schreiben, das keinen Eingangsstempel trägt, wurde von Schmitz nur mit<br />

einem Ablagevermerk versehen. <strong>Die</strong> DAF war u. a. für die Freizeitgestaltung der Ostarbeiter zuständig. Sie<br />

konnte „Bringeveranstaltungen“ z. B. in Form von Tourneegastspielen veranstalten; LHAKo Best. 662,5 Nr. 16,<br />

veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 323-328, hier S. 324 f.<br />

427 Wirtz verfügte bereits am 17.11.1939 die Anlage einer Akte „Kriegsgefangene“; StAK 623 Nr. 6757, S. 1.<br />

428 StAK S 4 Nr. 3, S. 85 f.<br />

429 StAK 623 Nr. 6751, S. 216.


532<br />

anderen Einsätzen abgezogen worden. Im Februar 1943 unterließ ein schon länger erkrankter<br />

Kriegsgefangener seine Krankmeldung, um dem Kriegsgefangenenlazarett zu entgehen.<br />

Schmitz meldete den Fall jedoch dem Kriegsgefangenen-Arbeitskommando Boninstraße, weil<br />

eine Behandlung von Kriegsgefangenen <strong>im</strong> Kemperhof nicht zulässig war. 430<br />

Im Juli 1941 kamen drei Hausangestellte aus Kroatien in den Kemperhof. Im November 1943<br />

besprach Fuhlrott mit dem kroatischen Konsul das „vertragswidrige Verlassen des<br />

Arbeitsplatzes“ durch eine der Frauen. 431 Neben Kriegsgefangenen beschäftigten der<br />

Kemperhof und das Bürgerhospital seit 30. November 1942 ca. zehn vom Arbeitsamt<br />

zugewiesene Zivilarbeiter aus Frankreich als Bäcker, Metzger, Gartenarbeiter, Heizer und<br />

Hausangestellte. Rein äußerlich erscheint das Arbeitsverhältnis fast normal. <strong>Die</strong> Zivilarbeiter<br />

mussten von ihrem Lohn 2 RM Kostgeld pro Tag zahlen. Auf Antrag erhielten mehrere von<br />

ihnen He<strong>im</strong>aturlaub, der von der DAF organisiert wurde. <strong>Die</strong> Fahrtkosten wurden vom Lohn<br />

einbehalten. Ein Zivilarbeiter schied <strong>im</strong> Februar 1943 <strong>im</strong> Einvernehmen mit dem Arbeitsamt<br />

aus, um als Bäcker zu arbeiten. Ein anderer Bäcker durfte <strong>im</strong> Juni 1943 wegen Krankheit in<br />

seine französische He<strong>im</strong>at zurückkehren. Einen <strong>im</strong> April 1943 zugewiesenen Zivilarbeiter<br />

lehnte Schmitz nach zwei Wochen als unsauber und ungebildet ab und entließ ihn. Im Mai<br />

1944 st<strong>im</strong>mte er auf Bitte des Chefs der französischen Militärverwaltung in Paris der<br />

Entpflichtung eines Zivilarbeiters aus familiären Gründen zu. 432<br />

Am 20. Mai 1943 bat das Arbeitsamt die <strong>Stadtverwaltung</strong> um Prüfung der Frage, welche<br />

Kriegsgefangenen, Ostarbeiter und Polen zugunsten eines Einsatzes in der Landwirtschaft<br />

abgegeben werden könnten, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei. <strong>Die</strong> Anfrage wurde<br />

lediglich in Bezug auf französische Kriegsgefangene beantwortet. <strong>Die</strong> zwölf aufgelisteten<br />

Kriegsgefangenen waren <strong>im</strong> Krankenhaus Kemperhof (2), be<strong>im</strong> Stadttheater (3), be<strong>im</strong><br />

Friedhofsamt (1), bei der Müllabfuhr (4), be<strong>im</strong> Entwässerungsamt (1) und be<strong>im</strong> Werftamt (1)<br />

beschäftigt, ein weiterer, be<strong>im</strong> Werftamt als Kranführer eingesetzter Kriegsgefangener 433<br />

fehlt. Zwischenzeitlich hatte das Stadttheater bereits einen Landwirt unter den Kriegs-<br />

gefangenen gegen Ersatz abgegeben. Nur die Krankenhausverwaltung gab ihre beiden<br />

Kriegsgefangenen frei, alle anderen Ämter sträubten sich mit dem Argument des<br />

Arbeitskräftemangels erfolgreich gegen die Freigabe. Stadtbaurat Mohaupt machte z. B.<br />

geltend, bei der Müllabfuhr und dem Friedhofsamt brauche er gesunde, kräftige Männer, und<br />

beide Betriebe seien aus hygienischer und gesundheitspolitischer Sicht lebenswichtig für<br />

die Bevölkerung. 434 Im Zuge des Projekts „Nachweisbeschaffung für ehemalige<br />

430 StAK 623 Nr. 7715, S. 64-75.<br />

431 StAK 623 Nr. 7720, S. 198 f.; ebd. M 81 Kemperhof, Mappe Personal.<br />

432 StAK 623 Nr. 7720, S. 103-232; ebd. Nr. 7765, S. 64, 67, 71; ebd. Nr. 7766; ebd. M 22, Hausblatt<br />

Kastorstraße 94 [Bürgerhospital]; ebd. M 81, Hausblatt Kemperhof, Mappe Personal.<br />

433 StAK 623 Nr. 6881, S. 116.<br />

434 StAK 623 Nr. 6757, S. 9-20.


533<br />

NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter“ 435 konnte das Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong> insgesamt<br />

ca. 35 französische Zivilarbeiter 436 und Kriegsgefangene ermitteln, die in städtischen<br />

<strong>Die</strong>nststellen und Ämtern gearbeitet hatten. 437<br />

Ende Mai 1942 wurden Schmitz vom Arbeitsamt Ostarbeiterinnen regelrecht angeboten. Es<br />

fragte an, ob die städtischen Krankenanstalten bereit seien, „russische Frauen und Mädchen<br />

für die gröbsten Arbeiten einzustellen“. <strong>Die</strong> genauen Bedingungen seien noch unbekannt,<br />

„aber sehr günstig“. <strong>Die</strong> Unterbringung müsse entweder getrennt vom übrigen Personal oder<br />

in einem Sammellager erfolgen. <strong>Die</strong> Bedarfsermittlung ergab für Kemperhof und<br />

Bürgerhospital je drei Ostarbeiterinnen, Josefshaus Horchhe<strong>im</strong> zwei sowie Josefinenstift<br />

Lützel und Haus Emmaus Pfaffendorf je eine. Schon am 8. Juni wurden die Arbeitsverträge<br />

für sechs junge Frauen (mit Geburtsjahrgängen zwischen 1913 und 1924) für Kemperhof und<br />

Bürgerhospital abgeschlossen. Auf Veranlassung des Arbeitsamtes waren die Frauen bereits<br />

zwe<strong>im</strong>al entlaust worden, 438 bevor sie ihre Arbeit aufnahmen. Als das Finanzamt Mitte<br />

Oktober die Zahlung der Ostarbeiterabgabe anmahnte, schickte die Krankenhausverwaltung<br />

am 22. Oktober eine bemerkenswerte Begründung, weshalb keine Zahlungspflicht bestehe:<br />

„Nach Mitteilung des Arbeitsamtes <strong>Koblenz</strong> sind die <strong>im</strong> städt. Krankenhaus beschäftigten<br />

Ukrainerinnen nicht als Ostarbeiter zu betrachten.“ Im November 1942 traf eine vierte<br />

Ukrainerin als Hausangestellte <strong>im</strong> Kemperhof ein. Sie war ohne Winterbekleidung<br />

angekommen und bekam wie die anderen drei vom Wirtschaftsamt eine Zuteilung aus der<br />

Spinnstoffsammlung. 439<br />

Im November 1943 stellte Schmitz bei der DAF einen Antrag auf Urlaubsgewährung für die<br />

ukrainischen Arbeitskräfte. <strong>Die</strong> DAF Gauwaltung Moselland, Arbeitseinsatz, Abteilung<br />

Ausländer, schickte umfangreiche Formulare, die vorher genauestens auszufüllen, mit<br />

zwei Lichtbildern und Dokumenten zu ergänzen waren. Es war offensichtlich, dass hier<br />

unüberwindliche bürokratische Hürden aufgebaut wurden. Dass die Ostarbeiter, die teils sogar<br />

ohne Winterkleidung ankamen, viele Ausweispapiere mit sich führten, war unwahrscheinlich.<br />

Schmitz, der seinen guten Willen gezeigt hatte, legte den Vorgang mit der wohl realistischen<br />

Bemerkung „Zwecklos“ ab. 440<br />

435<br />

Vgl. § 11 Abs. 2 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom<br />

2.8.2000; BGBl. I, S. 1263.<br />

436<br />

Es handelte sich zumindest z. T. in den Zivilarbeiterstatus überführte ehemalige Kriegsgefangene; StAK 623<br />

Nr. 8265, S. 70 f. Ihr Lohn wurde über die Deutsche Bank, Berlin, nach Frankreich überwiesen; ebd. Nr. 7766.<br />

437<br />

StAK, Datei KGFADP.<br />

438<br />

<strong>Die</strong> Entlausung und Überprüfung des Gesundheitszustands wurde in Durchgangslagern vorgenommen. Das<br />

zentrale Durchgangslager für das Landesarbeitsamt Rheinland befand sich in Köln-Deutz. Annette Schäfer: Zur<br />

Funktion von Durchgangslagern und Krankensammellagern be<strong>im</strong> Zwangsarbeitereinsatz <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg.<br />

In: Christoph Kropke (Hg.): Medizin und Verbrechen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wuttke. Ulm<br />

2001, S. 143-162, hier S. 144 f.<br />

439<br />

StAK 623 Nr. 7720, Zitate S. 1, 94; ebd. M 22, Hausblatt Kastorstraße 94 [Bürgerhospital];<br />

ebd. M 81, Hausblatt Kemperhof, Mappe Personal.<br />

440<br />

StAK 623 Nr. 7765, S. 44 f. <strong>Die</strong>se Einschätzung war auch deshalb realistisch, weil aufgrund fehlender<br />

Dokumente und Verständigungsproblemen schon die Namensangaben in den Quellen mehrfach variieren.


534<br />

In drei Fällen bemühte sich Schmitz 1942/43 be<strong>im</strong> Arbeitsamt mit Erfolg um die Zuweisung<br />

von Zwangsarbeiterinnen, die als Patientinnen kurz vor ihrer Entlassung standen. Sie waren<br />

aufgrund ihrer Erkrankung für ihren alten Arbeitsplatz ungeeignet oder bedurften der weiteren<br />

ärztlichen Überwachung – so lautete jedenfalls seine Begründung. Dagegen lehnte er <strong>im</strong> April<br />

1943 eine polnische Zwangsarbeiterin wegen hochgradiger Kurzsichtigkeit als ungeeignet<br />

ab. 441 Eine der seit Juni 1942 <strong>im</strong> Kemperhof beschäftigten Hausangestellten, Martha Schuch,<br />

kam <strong>im</strong> März 1943 in den Haushalt von Fuhlrott, wenige Tage vor dessen Umzug von<br />

Moselweiß in den früheren <strong>Die</strong>nstsitz des Oberbürgermeisters, Julius-Wegeler-Straße 4. Von<br />

dort kehrte die Ukrainerin erst <strong>im</strong> September 1944 zurück, obwohl Fuhlrotts Familie mit zwei<br />

Kindern keineswegs zu den kinderreichen Haushalten zählte, in denen Ostarbeiterinnen<br />

bevorzugt einzusetzen waren, denn Hausgehilfinnen waren gefragt. 442 Fuhlrott hielt sich in<br />

seinem Spruchkammerverfahren zugute, die Ostarbeiterin habe in ihrem geheizten Z<strong>im</strong>mer<br />

Freundinnen empfangen dürfen und kein Ost-Abzeichen tragen müssen. Er habe deswegen<br />

eine Geldstrafe erhalten, und sie sei vorübergehend von der Gestapo verhaftet worden. Zu<br />

Weihnachten habe sie eine Flasche Wein und eine alte Armbanduhr geschenkt bekommen. 443<br />

<strong>Die</strong> 20-jährige polnische Hausgehilfin Janina Basiuk kam <strong>im</strong> Mai 1944 für über zwei Monate<br />

in Gestapo-Haft, und zwar am Todestag ihrer sechsmonatigen Tochter. <strong>Die</strong> Frau hatte zuvor<br />

in Gondorf gearbeitet, war aber nach der Entbindung <strong>im</strong> Dezember 1943 mit ihrem<br />

– möglicherweise kranken – Kind 444 <strong>im</strong> Kemperhof geblieben. Der gegen die Frau bestehende<br />

Verdacht des Giftmordes bestätigte sich nicht. Sie kehrte <strong>im</strong> Juli aus der Haft in den<br />

Kemperhof zurück. 445<br />

Am 7. März 1944 hielt der Leiter des Kreisamtes für Volkstumsfragen, Schlemmer 446 , einen<br />

Vortrag über „Best<strong>im</strong>mungen für Ostarbeiterinnen“. Es dürfe ihnen nur einmal wöchentlich<br />

drei Stunden Ausgang gewährt werden, wobei der Besuch von Kinos, Gaststätten oder<br />

kirchlichen Veranstaltungen ebenso verboten sei wie Auswärtsfahrten. Schwangerschaften<br />

seien zu melden, um „Abhilfe“ zu schaffen, und verdächtigte Post an die Gestapo zu senden.<br />

Das Ost-Abzeichen müsse an der Kleidung getragen werden. Schmitz veranlasste die<br />

Bekanntgabe der Best<strong>im</strong>mungen bei allen Ostarbeiterinnen und Ostarbeitern <strong>im</strong> Kemperhof<br />

441 StAK 623 Nr. 7720, S. 95, 146, 166, 193.<br />

442 StAK 623 Nr. 7720, S. 231; ebd. M 81, Hausblatt Kemperhof, Mappe Personal; ebd. M 120, Hausblatt Julius-<br />

Wegeler-Straße 4. Vgl. Ulrike Winkler: „Hauswirtschaftliche Ostarbeiterinnen“ – Zwangsarbeit in deutschen<br />

Haushalten. In: <strong>Die</strong>s. (Hg.): Stiften gehen, S. 148-168.<br />

443 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Fuhlrott vom 3.3.1948.<br />

444 <strong>Die</strong>s ist aber nicht als Indiz dafür zu werten, dass der Kemperhof bzw. die Krankenbaracke als eine der<br />

berüchtigten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ diente, denn dort wurden die Säuglinge und Kleinkinder i. d. R. von<br />

den Müttern getrennt, die an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten; Schäfer: Zur Funktion von Durchgangslagern, S.<br />

148 f.<br />

445 StAK 623 Nr. 7765, S. 105; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Geburtsurkunde Nr. 1930/1943; LHAKo Best. 727<br />

Nr. 2, <strong>im</strong>g_4880_0. Als Todesursache des Kindes gibt die Sterbeurkunde „Wahrscheinlich Erstickungstod“ und<br />

als Todeszeitpunkt 4 Uhr morgens an. StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1569/1944.<br />

446 Vgl. NB, 13.6.1944: Gründung der „Kameradschaft Salzmann“.


535<br />

und <strong>im</strong> Bürgerhospital. <strong>Die</strong> bisher von den größtenteils ukrainischen Zwangsarbeitern<br />

offensichtlich nicht getragenen Abzeichen, die schon <strong>im</strong> Februar 1942 durch die sogenannten<br />

Ostarbeitererlasse eingeführt worden waren, 447 erhielt die Krankenhausverwaltung erst nach<br />

dem Vortrag über das zuständige Polizeirevier. 448 Nach der 1942 erteilten Auskunft des<br />

Arbeitsamtes, die Ukrainer seien nicht als Ostarbeiter anzusehen, belegt diese späte<br />

Einführung der Kennzeichnungspflicht ihre unterschiedliche und wechselnde Behandlung. 449<br />

Insgesamt ließen sich namentlich knapp 50 Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter ermitteln, die<br />

zwischen 1942 und 1945 in den städtischen <strong>Die</strong>nststellen, hauptsächlich in den Krankenanstalten,<br />

als Arbeiter, Hausgehilfen und Krankenpflegepersonal arbeiteten. 450<br />

Bei den Sofortmaßnahmen nach Luftangriffen war die Arbeitskraft von Kriegsgefangenen<br />

und Zwangsarbeitern fest einkalkuliert. Schon in den städtischen Richtlinien vom<br />

20. November 1941 zählte die „Hinzuziehung von Kriegsgefangenen-Glaser- und<br />

Dachdeckerbataillonen usw.“ zu den Aufgaben der Feststellungsbehörde (Kriegsschäden-<br />

amt). 451 <strong>Die</strong> „Verpflegung und Entlohnung auswärtiger Arbeitskräfte einschließlich<br />

Kriegsgefangenen-Arbeiterbataillone“ war Angelegenheit der Gemeinden. Gemeinsam mit<br />

Wehrmachtsoldaten, RAD-Männern, Arbeitern und Handwerkern sollten Zwangsarbeiter und<br />

Kriegsgefangene Trümmer beseitigen, Straßen frei räumen und Wohnraum wiederher-<br />

stellen. 452 Da Maurer, also Fachkräfte, fehlten, wurde in der Einsatzbesprechung vom 9. Mai<br />

1944 erwogen, das Steineputzen „evtl. durch Russen“ erledigen zu lassen. 453 Konkret lassen<br />

sich 1944/45 folgende Einsätze unter der Regie des Einsatzstabes des Oberbürgermeisters 454<br />

feststellen: 455<br />

27. April 1944: „40 Russen (verminderte Zahl!)“, 456<br />

2. Mai 1944: 54 Ostarbeiter, 457<br />

9. Mai 1944: 99 Ostarbeiter, bei Reparaturen von Gas- und Wasserleitungen 7 Ostarbeiter, 458<br />

447<br />

<strong>Die</strong> Kennzeichenpflicht galt auch für Ukrainer; Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des<br />

„Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. 2. Aufl. Bonn 1986, S. 154-157, hier S. 155.<br />

<strong>Die</strong> rechtliche und begriffliche Abgrenzung der Ostarbeiter bereitete den Zeitgenossen allerdings Probleme;<br />

Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 94.<br />

448<br />

StAK 623 Nr. 7720, S. 224 f.<br />

449<br />

Katharina Hoffmann: Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. In: Winkler (Hg.): Stiften gehen, S. 130-147, hier<br />

S. 144 f. Anm. 17.<br />

450<br />

StAK, Datei KGFADP.<br />

451<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 259. 1943 war dafür Stadtinspektor Johann Käufer zuständig; ebd., S. 346. Zu den von<br />

der Wehrmacht aufgestellten und den Kommunen stark nachgefragten Kriegsgefangenenbataillonen vgl. Fings:<br />

Kommunen und Zwangsarbeit, S. 117, 128.<br />

452<br />

StAK 623 Nr. 7014, S. 9, 26; ebd. Nr. 7015, S. 1 f., Zitat S. 1; ebd. Nr. 7018, S. 54, 57; ebd. Nr. 7026, S. 259,<br />

346.<br />

453<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 15.<br />

454<br />

Vgl. Kapitel 8.4.<br />

455<br />

Angegeben ist je nach Quellenlage entweder das Datum des Einsatzes selbst oder der Einsatzbesprechung, die<br />

meist einen Tag vor oder nach den Einsätzen stattfand.<br />

456<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 5.<br />

457<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 11; ebd. Nr. 7026, S. 214.<br />

458<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 14 f.; ebd. Nr. 7026, S. 218 f.


536<br />

23. Mai 1944: noch 4 Ostarbeiter bei den fast abgeschlossenen Reparaturarbeiten, 459<br />

6. Juni 1944: 164 Arbeiter „einschl. der Ostarbeiter“, 460<br />

21. Juli 1944: 42 Ostarbeiter, 461<br />

27. September 1944: 60 Ostarbeiter und 430 Kriegsgefangene, 462<br />

11. Oktober 1944: 225 Kriegsgefangene, 463<br />

2. November 1944: etwa 30 indische Kriegsgefangene transportierten Möbel von<br />

Fliegergeschädigten. 464<br />

Für Gleisinstandsetzungs- und Aufräumarbeiten waren vom 17. bis 31. Januar 1945 nur bei<br />

der Hafen- und Bahnverwaltung zwischen 21 und 47 „vorwiegend frz. Kriegsgefangene<br />

(Dachdecker)“ sowie vom 27. bis 29. Januar 1945 35 bis 65 Ostarbeiter von der „Bauleitung<br />

Rumpel (Bunker Nagelsgasse)“ eingesetzt. Vom 5. bis 7. Februar 1945 wurden auf Antrag<br />

„vom russ. Gefangenenlager außer unseren 4 ständigen russ. Rottenarbeitern“ 7 bzw.<br />

8 Russen und vom Lager Nagelsgasse 5 bzw. 6 Ostarbeiter zur Verfügung gestellt. 465<br />

Außerdem waren <strong>im</strong> „Städt. Archiv […] seit einiger Zeit zwei Russenmädchen beschäftigt“,<br />

wie Bellinghausen am 29. Juli 1944 notierte. 466<br />

Am 8. Dezember 1944 ermahnte Fuhlrott Schmitz: „Ich vermisse noch die Vfg. [Verfügung],<br />

wonach das Hauspersonal (Ostarbeiterinnen) nicht mehr <strong>im</strong> Bunker schlafen darf. […] der<br />

jetzige Zustand ist untragbar & führt zu berechtigter Verärgerung der Bevölkerung.“ Noch am<br />

selben Tag verfasste Schmitz eine Anweisung, die Fuhlrott abzeichnete. Darin fand Schmitz<br />

eine salomonische Lösung: Er verbot dem gesamten Krankenhauspersonal mit Ausnahme der<br />

Nachtwachen, alten und kranken Gefolgschaftsmitgliedern das Schlafen <strong>im</strong> Bunker, da er von<br />

den Z<strong>im</strong>mern aus bei Alarm schnell aufgesucht werden könne. <strong>Die</strong> Ostarbeiterinnen werden<br />

mit keinem Wort erwähnt, also auch nicht am Aufsuchen des Bunkers bei Alarm gehindert. 467<br />

Als das Kriegsende nahte, wuchs bei der deutschen Bevölkerung, allen voran den<br />

Nationalsozialisten, die Angst vor Racheakten der Zwangsarbeiter. Es kam zu Erschießungen<br />

von – tatsächlich oder angeblich – stehlenden und plündernden Russen. 468 Gauleiter S<strong>im</strong>on<br />

459<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 18; ebd. Nr. 7026, S. 223.<br />

460<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 226.<br />

461<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 230.<br />

462<br />

StAK 623 Nr. 3583, S. 4.<br />

463<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 2; ebd. Nr. 7026, S. 240.<br />

464<br />

Hans Bellinghausen: Aufzeichnungen aus dem Kriegsjahr 1944. Eingeleitet von Helmut Schnatz. In:<br />

Jahrbuch für Geschichte und Kunst des Mittelrheins und seiner Nachbargebiete 22/23 (1970/71), S. 161-184,<br />

hier S. 182.<br />

465<br />

StAK 623 Nr. 6881, S. 110. <strong>Die</strong> Arbeiten wurden teils durch Frost und Schnee, teils durch Hochwasser nach<br />

Einsetzen des Tauwetters erschwert. <strong>Die</strong> bis Ende Januar eingesetzten Kriegsgefangenen und Ostarbeiter wurden<br />

auf Anweisung S<strong>im</strong>mers für Straßenräumarbeiten abgezogen; vgl. Kapitel 8.8.<br />

466<br />

StAK N 12, Zug. 81/1993, S. 29.<br />

467<br />

StAK 623 Nr. 7746, S. 237 f.<br />

468<br />

StAK 623 Nr. 7024, S. 32-34; Ewald J. Thul: Justiz in der Stunde Null - ein St<strong>im</strong>mungsbild. In: 50 Jahre<br />

Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft <strong>Koblenz</strong> 1996. Frankfurt 1996 (Schriftenreihe des


537<br />

widmete ihnen noch am 15. Februar 1945 ein Rundschreiben: Zur „Bekämpfung des<br />

Arbeitsvertragsbruches ausländischer Arbeitskräfte“ sollten flüchtige Zwangsarbeiter<br />

aufgegriffen und der Polizei übergeben werden. 469 An Flucht dachten die <strong>im</strong> Kemperhof<br />

beschäftigten Ausländer nicht. <strong>Die</strong> Kemperhof-Chronik berichtet unter dem 12. März 1945<br />

vom Gegenteil: „Alle Ausländer werden heute von den Deutschen fort transportiert. Unsere<br />

Ukrainermädchen nehmen schweren Abschied von dem ihnen so lieb gewordenen Haus und<br />

wollen uns durchaus nicht verlassen. Unsere Franzosen verstecken sich <strong>im</strong> Keller, um nicht<br />

fort zu müssen. <strong>Die</strong> deutschen Transporte gehen mit ihnen über den Rhein. <strong>Die</strong> einzig<br />

passierbare Stelle ist noch Boppard.“ 470 Das weitere Schicksal der Frauen und Männer ist<br />

unbekannt.<br />

7.6.3 Krankenbehandlung <strong>im</strong> Kemperhof<br />

Einzelfälle der Behandlung kranker Polen und Ostarbeiter sind bereits seit Januar 1941<br />

nachweisbar. 471 In größerer Zahl wurden sie ab Herbst 1943 in den städtischen Kranken-<br />

anstalten aufgenommen: Chirurgische und innere Fälle <strong>im</strong> Kemperhof, Infektionskranke <strong>im</strong><br />

Josefshaus, Hautkranke <strong>im</strong> Bürgerhospital und Lungenkranke <strong>im</strong> Josefinenstift. 472 Im<br />

Kemperhof waren sie <strong>im</strong> Dachgeschoss in einer „Sonderabteilung“ untergebracht und wurden<br />

von einem deutschen Arzt und einer deutschen Krankenschwester versorgt. 473<br />

Schon seit Februar/März 1943 drängten Schmitz be<strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Arbeitsamt und Fuhlrott<br />

be<strong>im</strong> Landesarbeitsamt auf Zuweisung von Ostarbeiterpersonal für die Krankenpflege, deren<br />

Einsatz dort neuerdings möglich war. Schmitz argumentierte <strong>im</strong> Februar: „Es geht meines<br />

Erachtens nicht an, daß deutsches Personal Ostarbeiter usw. bedient. Für deutsches Personal<br />

kommt hier nur Aufsichtsdienst usw. infrage. Auch die Gestapo hält es für nötig, daß<br />

Bedienung und Pflegepersonal aus den Ostarbeitern usw. gestellt wird.“ 474 Im März 1943<br />

wandte er sich erneut an das Arbeitsamt. Es würden ständig 30 bis 50 Ostarbeiter behandelt,<br />

deren Verweildauer sich unnötig verlängere, weil sich die Stationsärzte „mit dem Ostarbeiter-<br />

volk nicht verständigen können“. Er bat daher um die Zuweisung von zwei genesenen<br />

Patientinnen, die aufgrund ihrer chronischen Erkrankung auswärts nicht mehr eingesetzt<br />

werden könnten, <strong>im</strong> Kemperhof aber als Hausgehilfinnen und Dolmetscherinnen gebraucht<br />

würden. <strong>Die</strong> 23-jährige Polin und die 38-jährige Ukrainerin seien „ruhig und gesittet“ und<br />

daher „besonders geeignet“. Schmitz untermauerte seine Bitte mit dem Hinweis, dass<br />

Ministeriums der Justiz, Rheinland-Pfalz 5), S. 89-105, hier S. 90 f., 574; Erich Engelke: Der Felsenbunker in<br />

Ehrenbreitstein. In: Dähler Blättchen 53 (2001), S. 5-9, 12, hier S. 8.<br />

469<br />

StAK 623 Nr. 7720, S. 233 f.<br />

470<br />

StAK S 4 Nr. 3, S. 142 f. (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

471<br />

StAK 623 Nr. 7715, S. 4 f.<br />

472<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 22.<br />

473<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 50.<br />

474<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 12, 81 (Zitat); ebd. Nr. 7720, S. 136.


538<br />

deutsche Hausgehilfinnen auf der „Ostarbeiterstation“ laut mehrfachem Wunsch der Gestapo<br />

nicht mehr beschäftigt werden sollten. 475<br />

Daraufhin bekam der Kemperhof erstmals <strong>im</strong> April 1943 zwei Krankenpflegerinnen und<br />

später auch Krankenpfleger zugewiesen, deren Kenntnis- und Ausbildungsstand aber nicht<br />

<strong>im</strong>mer zufrieden stellte. 476 Der ukrainische Krankenwärter Alexander Hordijuk, der Ende<br />

1944 seine Arbeit aufnahm, wurde von Schmitz am 29. Februar 1944 wegen <strong>Die</strong>bstahls mit<br />

sofortiger Wirkung entlassen. <strong>Die</strong> Gestapo verhaftete ihn noch am selben Tag und überführte<br />

ihn am 7. Juni ins KZ Buchenwald. 477 Im Juni 1944 meldete Betriebsobmann Kuhn der DAF,<br />

die von Schmitz als „ruhig und gesittet“ beschriebene Ukrainerin Sofia Michailitschenko habe<br />

eine NS-Schwester bespuckt, als diese mit einem Essenswagen unbeabsichtigt durch eine<br />

frisch geputzte Stelle <strong>im</strong> Flur gefahren sei. Den Wagen habe sie an die Wand geworfen. <strong>Die</strong><br />

Frau sei eine „ganz rohe Person“, die er für fähig halte, dass sie andere Ostarbeiterinnen<br />

aufhetze. DAF-Kreishauptstellenleiter Herwartz informierte Fuhlrott und bat erneut, dass<br />

Schmitz bei solchen Vorfällen „unter allen Umständen“ den Betriebsobmann einschalte. Eine<br />

Bestrafung durch die Gestapo sei nicht erfolgt, weil der Kemperhof für die Dauer der Haft<br />

offenbar nicht auf die Arbeitskraft habe verzichten wollen. <strong>Die</strong> Ostarbeiterin kam wenige<br />

Tage später wegen Beleidigung für knapp zwei Wochen in Gestapo-Haft. Wer die Verhaftung<br />

veranlasste, ist nicht ersichtlich. Bei Schmitz landete Herwartz’ Schreiben erst Anfang<br />

September. 478<br />

In den städtischen Akten ist die medizinische Versorgung von 834 ausländischen Arbeits-<br />

kräften, überwiegend <strong>im</strong> Kemperhof, nachweisbar. Eine nach Nationalitäten geordnete Liste<br />

von Anfang 1946 zählt 667 kranke Polen und Ostarbeiter vom 11. Januar 1941 bis 3. März<br />

1945. 479 <strong>Die</strong> Zahl der Behandlungsfälle erreichte ihren Höhepunkt 1944, als zwei<br />

„Absonderungsbaracken“ auf dem Gelände des Kemperhofs ihren Betrieb aufnahmen. Schon<br />

<strong>im</strong> April 1942 hatte Fuhlrott unter Hinweis auf eine Verfügung des Regierungspräsidenten<br />

und ministerielle Erlasse be<strong>im</strong> zuständigen Landesarbeitsamt Rheinland in Köln-Lindenthal,<br />

dessen Präsident seit 1940 Wilhelm Struve, der Leiter des Gauamtes für Kommunalpolitik<br />

und ehemalige Landrat von <strong>Koblenz</strong>-Land, war, eine Krankenbaracke beantragt. Im<br />

475<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 79 f. (Zitate); ebd. Nr. 7720, S. 146.<br />

476<br />

StAK 623 Nr. 7720, S. 160, 230 f.; ebd. Nr. 7765, S. 69 f., 73, 86, 91-94; ebd. M 81, Hausblatt Kemperhof,<br />

Mappe Personal. <strong>Die</strong> als Krankenpflegerin zugewiesene Weißrussin Anna Pochomenko hatte z. B. bereits<br />

mehrfach den Arbeitgeber gewechselt. 1943 hatte ihr Verhalten als Sanitäterin in einem Andernacher Betrieb<br />

große „Erbitterung“ unter den anderen Ostarbeitern ausgelöst. LHAKo Best. 662,6 Nr. 906 (unpaginiert), SD-<br />

Bericht vom 21.11.1943. Der Kemperhof beschäftigte sie schließlich als Hausangestellte; StAK 623 Nr. 7720, S.<br />

230 f.<br />

477<br />

StAK 623 Nr. 7765, S. 70, 92-94; LHAKo Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_32637_0 (abweichende Schreibweise:<br />

Hordyjuk).<br />

478<br />

StAK 623 Nr. 7720, S. 228 f. (Zitate, abweichende Schreibweise: Michalienko); ebd. Nr. 7765, S. 105;<br />

LHAKo Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_53041_0. Das Schreiben von Herwartz trägt den Sichtvermerk Fuhlrotts vom<br />

26.6.1944, die Gestapo-Haft begann am 29.6.1944, der Eingangsstempel des Kemperhofs datiert vom 4.9.1944.<br />

479<br />

StAK 623 Nr. 7715, S. 4-51. Höhn-Engers nennt 958 Fälle inklusive 124 Schwangerschaftsunterbrechungen;<br />

Höhn-Engers: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister (...)“, S. 33 f.


539<br />

Oktober/November 1942 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet und die ca.<br />

8 mal 20 Meter große Holzbaracke für 30 Kranke angeliefert. Für den Aufbau hatte das<br />

Reichsbauamt zu sorgen, die Inneneinrichtung stellte das Landesarbeitsamt. <strong>Die</strong> Baracke<br />

selbst ging in das Eigentum der Stadt über. Mit der Lieferung der von der Krankenhaus-<br />

verwaltung bestellten Badewanne erklärte sich das Gauarbeitsamt ausnahmsweise<br />

einverstanden, obwohl sie nach den Richtlinien des GB für den Arbeitseinsatz nicht<br />

vorgesehen war. Auf eine Anfrage der Kreisleitung des Amtes für Volksgesundheit meldete<br />

Schmitz <strong>im</strong> Mai 1943, die Baracke sei voraussichtlich <strong>im</strong> Juni 1943 betriebsbereit. Doch es<br />

scheint zu weiteren Verzögerungen gekommen zu sein, denn sie war erst am 15. Dezember<br />

1943 voll belegt, zunächst noch mit Ostarbeiterpatienten beiderlei Geschlechts. Im März 1943<br />

hatte das Landesarbeitsamt aber bereits mitgeteilt, dass es die Aufstellung einer zweiten<br />

Baracke für Frauen plane. <strong>Die</strong> Frauenbaracke konnte erst Anfang Februar 1944 bezogen<br />

werden. 480 Ende des Monats erwähnte Hohmeier in einer internen Anweisung zu<br />

Luftschutzmaßnahmen <strong>im</strong> Kemperhof die Ausländerbaracken mit keinem Wort. <strong>Die</strong><br />

Feuerwehr beanstandete bei einer Revision <strong>im</strong> März 1944, dass die beiden Holzbaracken über<br />

keinerlei Brandschutz verfügten. 481<br />

Zum Problem wurden die kranken Ostarbeiter, die nicht mehr arbeitsfähig waren.<br />

Grundsätzlich sollte sich die medizinische Behandlung bei Ostarbeitern nur auf die<br />

Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit beschränken und nicht länger als ca. acht Wochen<br />

dauern. Andernfalls sollten sie nur transportfähig gemacht und in die He<strong>im</strong>at zurückgeführt<br />

bzw. in Sammellager abgeschoben werden. Auf diese Best<strong>im</strong>mungen hatte der Leiter des<br />

Amtes für Volksgesundheit, Dr. med. Reinhold Daum 482 , in seiner Funktion als Leiter der<br />

Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, Bezirksstelle <strong>Koblenz</strong>, schon <strong>im</strong> Mai 1942<br />

hingewiesen. Schmitz bat das Landesarbeitsamt Moselland <strong>im</strong> Juni 1943 dringend, die<br />

kranken, nicht mehr arbeits-, aber transportfähigen Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter<br />

he<strong>im</strong>zuschaffen oder in die Sammellager zu bringen. Ansonsten müssten neue Kranke<br />

abgewiesen werden, insbesondere be<strong>im</strong> Tuberkulose-Krankenhaus Josefinenstift, das ständig<br />

voll belegt sei: „Es geht nicht an, dass unsere deutschen behandlungsbedürftigen Tbc.-<br />

Kranken abgewiesen werden müssen, weil nichtmehrbehandlungsfähige [sic] Ostarbeiter und<br />

Ostarbeiterinnen Ihnen [sic] die Betten wegnehmen.“ Das Landesarbeitsamt konnte nicht<br />

weiterhelfen, auch wenn es selbst in einem Rundschreiben klare Prioritäten gesetzt hatte: „<strong>Die</strong><br />

Krankenbetten sind unseren deutschen Kranken vorzubehalten.“ Es teilte Ende Juli mit, der<br />

vorgesehene Sonderzug hätte aufgrund der Kriegsverhältnisse noch nicht bereitgestellt<br />

480 StAK 623 Nr. 7755, Zitat S. 50; ebd. Nr. 7765; ebd. Bauakte Fach 113, Kemperhof. <strong>Die</strong> Chronik des<br />

Kemperhofs begründete den Umzug der ausländischen Patienten („Hauptsächlich Ukrainer“) in die<br />

Krankenbaracken mit Platzproblemen; StAK S 4 Nr. 3, S. 100.<br />

481 StAK 623 Nr. 7772, S. 196, 198.<br />

482 * 13.10.1892. NB, 27.9.1939: Wechsel in der Leitung des Gauamtes für Volksgesundheit; Maier:<br />

Biographisches Organisationshandbuch, S. 84, 175 f.


540<br />

werden können, und die Sammellager seien überfüllt. 483 Schwierigkeiten bereitete auch die<br />

Abholung der wieder einsatzfähigen Ostarbeiter durch ihre Arbeitgeber. Schmitz klagte<br />

gegenüber dem Arbeitsamt <strong>im</strong> August 1943, die Ostarbeiter hätten kein Reisegeld, und die<br />

telefonisch benachrichtigten Arbeitgeber kämen erst nach längerer Wartezeit oder gar nicht. 484<br />

Im Januar 1944 wurden die ersten Flecktyphuskranken eingewiesen. Hohmeier befürwortete<br />

ihre Isolierung, aber der Leiter der Inneren Abteilung versicherte ihm, es seien alle<br />

Vorsichtsmaßnahmen getroffen und vom Gesundheitsamt genehmigt. <strong>Die</strong> Krankenhaus-<br />

verwaltung schaffte <strong>im</strong> Februar auf Veranlassung des Gesundheitsamtes Krankenbekleidung<br />

an, um die Seuchengefahr für die Bevölkerung zu verringern: die Männer bekamen ein Hemd<br />

und eine Hose, die Frauen eine Jacke und eine Hose 485 . Trotzdem musste Hohmeier Mitte<br />

Februar Abteilung I alarmieren, der russische Arzt habe eine Laus an sich entdeckt, und die<br />

zur Aufsicht eingesetzte (deutsche) Schwester sei mit Verdacht auf Flecktyphus ins<br />

Isolierhaus nach Horchhe<strong>im</strong> eingeliefert worden. Hohmeier verlangte, die Infizierten <strong>im</strong><br />

Altbau des Bürgerhospitals zu isolieren, sonst müsse er die ärztliche Verantwortung ablehnen.<br />

Doch dessen Bezug verzögerte sich. Fuhlrott drängte die Bauverwaltung <strong>im</strong> Mai, die<br />

Entlausungseinrichtung <strong>im</strong> Bürgerhospital fertig zu stellen. Gauamtsleiter Daum habe ihm<br />

einen ukrainischen Arzt versprochen, und die Belegung durch Ostarbeiter sei dringend<br />

erforderlich. Im Juni 1944 erhielt die Krankenhausverwaltung 1.000 Meter Stacheldraht zur<br />

Einfriedung der beiden Baracken und eines Nebengebäudes. <strong>Die</strong> Bestellung wurde damit<br />

begründet, dass „fortgesetzt von aussen her fremde Ostarbeiter durch Ueberklettern usw.<br />

eindringen“, was die Gefahr der Verbreitung von Infektionskrankheiten erhöhe. Hintergrund<br />

der Eindringversuche war vermutlich das <strong>im</strong> Februar vom Gauarbeitsamt ausgesprochene<br />

Verbot von Krankenbesuchen, die nur noch in besonderen Ausnahmefällen gestattet waren. 486<br />

1943 gab es einen und 1944 acht Todesfälle, darunter einen nach dem Bombenangriff vom<br />

19. April eingelieferten Verletzten. Damit betrug die Sterblichkeitsrate unter den zwischen<br />

Januar 1941 und März 1945 <strong>im</strong> Kemperhof bzw. in den Krankenbaracken aufgenommenen<br />

667 Polen und Ostarbeitern 1,3 % (ohne das Fliegeropfer 1,2 %). 487<br />

483<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 5-8, 24 f., 29-31, 62, 67, Zitate S. 6, 62. <strong>Die</strong> Krankensammellager entwickelten sich<br />

zu Sterbelagern und Zwischenstationen für Tötungseinrichtungen; Schäfer: Zur Funktion von Durchgangslagern,<br />

S. 149-154.<br />

484<br />

StAK 623 Nr. 7720, S. 195.<br />

485<br />

StAK 623 Nr. 7765, S. 113-116.<br />

486<br />

StAK 623 Nr. 7755, S. 42 f., 45-48, Zitat S. 47.<br />

487<br />

StAK 623 Nr. 7715, S. 16, 22, 28, 32, 35, 44, 45.


541<br />

7.6.4 Entbindungen und Zwangsabtreibungen<br />

Von Oktober 1943 bis zum 27. Januar 1945 sind Entbindungen russischer, ukrainischer und<br />

polnischer Frauen <strong>im</strong> Kemperhof bzw. der Frauenbaracke nachweisbar. 488 Das erste Kind, die<br />

am 21. Oktober 1943 geborene Tochter einer Ostarbeiterin aus Traben-Trarbach, starb einen<br />

Tag später an „Lebensschwäche“. Schmitz zeigte Geburt und Tod der Gestapo an, das Kind<br />

wurde auf dem Hauptfriedhof beerdigt. 489<br />

Bis zum Sommer 1942 wurden schwangere Polinnen und Ostarbeiterinnen in ihre<br />

He<strong>im</strong>atländer zurückgeschickt. Als man argwöhnte, dass Schwangerschaften bewusst als<br />

Möglichkeit zur He<strong>im</strong>kehr genutzt wurden, 490 wurden die Abschiebungen gestoppt. 491 <strong>Die</strong><br />

Schwangerschaft sollte – theoretisch mit Einverständnis der Frauen – straffrei unterbrochen<br />

werden können. Vorausgehen sollte eine Entscheidung durch die Gutachterstelle für<br />

Schwangerschaftsunterbrechungen bei den örtlichen Ärztebezirksvereinigungen der<br />

Ärztekammern in Zusammenarbeit mit dem Beauftragten des Reichskommissars für die<br />

Festigung des deutschen Volkstums. Der Schwangerschaftsabbruch sollte nicht in deutschen<br />

Krankenhäusern, sondern in den Krankenbaracken für Ostarbeiter durchgeführt werden. <strong>Die</strong><br />

Einweisung erfolgte durch das Arbeitsamt, dem die Schwangerschaft vom Arbeitgeber<br />

anzuzeigen war, 492 und das auch die Kosten des Eingriffs übernahm. 493<br />

Dr. Petzsch, Leitender Arzt der Gauarbeitsämter Westmark und Moselland mit Sitz in<br />

Saarbrücken, kündigte Hohmeier am 3. Januar 1944 russisches Arzt- und Pflegepersonal aus<br />

den „Russentransporten“ an: „<strong>Die</strong> Einstellung eines russischen Arztes resp. einer Hilfs-Ärztin<br />

halte ich auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Vornahme von Unterbrechungen, die aus rasse-<br />

hygienischen Gründen bei schwangeren Ostarbeiterinnen zugelassen sind, für wichtig. Je<br />

weniger deutsche Ärzte und deutsches Heilpersonal mit diesen Eingriffen beschäftigt werden,<br />

desto besser wird es sein.“ 494 Hohmeier dankte ihm am 10. Januar. Er freue sich auf das<br />

zusätzliche Personal, weil die Fälle zunähmen und die Behandlung seinen Assistenzärzten zu<br />

viel werde. Da an der zweiten, für Frauen vorgesehenen Baracke die Arbeiten schon seit<br />

Monaten nicht mehr vorangingen, bat er Petzsch, sich um die Fertigstellung zu kümmern.<br />

488 StAK 623 Nr. 7774, S. 62-118; ebd. Nr. 7335, S. 260 f., 272, 278 (Geburtenbuch des Kaiserin-Augusta-<br />

Hauses, das seit 4.12.1943 in den Kemperhof verlegt worden war).<br />

489 StAK 623 Nr. 7774, S. 115-119, Zitat S. 115. Weitere Meldungen dieser Art an die Gestapo sind nicht<br />

überliefert, obwohl es noch weitere Todesfälle von Ostarbeitersäuglingen gab; StAK, Datei KGFADP.<br />

490 Vgl. LHAKo Best. 662,6 Nr. 448, Bericht der SD-Außenstelle Daun v. 29.4.1943; veröffentlicht in:<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 313 f.<br />

491 Vgl. den nicht veröffentlichen H<strong>im</strong>mler-Erlass vom 27.7.1942; LAV NRW R, RW 50-53 Nr. 457, Bl. 2-4.<br />

492 StAK 623 Nr. 7720, S. 97; ebd. Nr. 7765, S. 9.<br />

493 Ra<strong>im</strong>ond Reiter: Unerwünschter Nachwuchs. Schwangerschaftsabbrüche bei „fremdvölkischen“ Frauen <strong>im</strong><br />

NSDAP-Gau Ost-Hannover. In: Dachauer Hefte 4 (1988), S. 225-236; Herbert: Fremdarbeiter, S. 248, 355, 421<br />

f.; Spoerer: Zwangsarbeit unterm Hakenkreuz, S. 205 f., 294. Inwieweit das Gebot der „Freiwilligkeit“ beachtet<br />

wurde, ist kaum nachzuvollziehen.<br />

494 StAK 623 Nr. 7755, S. 50 f.


542<br />

„Ausserdem bitte ich noch die Gauarbeitsämter anzuweisen, dass die Frauen und Mädchen<br />

zur Schwangerschaftsunterbrechung nicht ohne weiteres ins Krankenhaus gebracht werden,<br />

sondern dass vorher eine Anmeldung bei der Verwaltung erfolgt. Wir müssen uns mit unserm<br />

Platz einrichten, sonst kann es vorkommen, dass bei zu grosser Ueberweisung (neulich<br />

12 Frauen auf einmal) der Platz nicht ausreicht.“ 495<br />

Der 1915 in der Ukraine geborene Dr. Igor Sassalko wurde am 27. Januar 1944 polizeilich<br />

gemeldet. 496 In der Chronik des Kemperhofs heißt es: „Wir bekommen einen russischen Arzt.<br />

Er weiß zwar recht wenig, n<strong>im</strong>mt aber unseren Ärzten allerlei Arbeit ab. Ein Problem für sich<br />

ist die leider vom Staat geforderte Abtreibung.“ 497 Nachdem Anfang Februar 1944 die<br />

Frauenbaracke bezogen war, beantragte Schmitz be<strong>im</strong> Arbeitsamt am 8. Februar die<br />

umgehende Zuweisung von „2 befähigten Krankenschwestern aus dem Kreise der<br />

Ostarbeiterinnen“. Darunter sollte sich eine Hebamme befinden, denn die Frauenbaracke<br />

sollte auch dazu dienen, Ostarbeiterinnen aus dem südlichen Teil des Landesarbeits-<br />

amtsbezirks Köln zur Entbindung aufzunehmen. Ohne diese Kräfte könne die zweite Baracke<br />

nicht betrieben werden, da der Einsatz von deutschem Pflegepersonal nicht vorgesehen sei.<br />

Ende März 1944 trat eine 19-jährige russische Hebamme ihren <strong>Die</strong>nst an. 498 Sassalko geriet<br />

<strong>im</strong> Juli 1944 wegen des Verdachts des verbotenen Umgangs mit einer jungen deutschen<br />

Krankenschwester ins Visier der Gestapo, doch der Verdacht bestätigte sich nicht. 499 Im<br />

Laufe des Jahres 1944 wurden in der Frauenbaracke 22 Polinnen und Ostarbeiterinnen<br />

entbunden, 1945 kamen bis zur amerikanischen Besetzung <strong>im</strong> März noch fünf Kinder zur<br />

Welt. Schmitz beantragte für die Säuglinge be<strong>im</strong> Stadtwirtschaftsamt jeweils Bezugsscheine<br />

für die Erstlingsausstattung. 500<br />

Neben den Entbindungen und fünf zwischen 1942 und 1944 registrierten Aborten sind<br />

124 Schwangerschaftsabbrüche bei Polinnen und Ostarbeiterinnen nachweisbar. Laut einer<br />

Anfang 1946 für die französische Militärregierung erstellten Liste aller behandelten<br />

ausländischen Kranken wurden die Frauen nach der Abtreibung als „geheilt“ entlassen.<br />

Unklar sind dagegen die zahlreichen Fälle mit der Diagnose „Gravidität“, gelegentlich auch<br />

495 StAK 623 Nr. 7755, S. 49-51, Zitate S. 49, 51. Der überlieferte Entwurf enthält handschriftliche Korrekturen<br />

Hohmeiers und trägt den Abgangsvermerk vom 14.1.1944.<br />

496 * 31.10.1915 Charkow. StAK M 81, Hausblatt Kemperhof, Mappe Personal; ebd. 623 Nr. 7765, S. 119.<br />

497 StAK S 4 Nr. 3, S. 100 (Zitat); ebd. N 88 Nr. 1, S. 7, veröffentlicht in: Kallenbach u. a.: 200 Jahre <strong>Die</strong>nst, S.<br />

72. <strong>Die</strong> Ankunft des ukrainischen – nicht russischen – Arztes ist irrtümlich bereits auf den 3.12.1943 datiert.<br />

Unter diesem Datum subsumierte Schwester Humilitas noch weitere Ereignisse: die Verlegung des Kaiserin-<br />

Augusta-Hauses in den Kemperhof, die tatsächlich am 3.12. stattfand, sowie die Inbetriebnahme der<br />

Ausländerbaracken, von denen die zweite aber erst Anfang Februar 1944 bezugsfertig war.<br />

498 StAK 623 Nr. 7765, S. 86 (Zitat), 91; ebd. Nr. 7755, S. 10. <strong>Koblenz</strong> war wegen seiner zentralen Lage<br />

ausgewählt worden. Zu den Mehrfachfunktionen von Krankenlagern als Abtreibungslager, Entbindungsanstalt<br />

und z. T. auch „Ausländerkinder-Pflegestätten“ vgl. Schäfer: Zur Funktion von Durchgangslagern, S. 147-149;<br />

diess.: Zwangsarbeit in den Kommunen, S. 71-73. Im März 1942 hatte es noch geheißen, eine Hebamme sei<br />

nicht nötig, da eine der beiden Hebammen des Kaiserin-Augusta-Hauses zu Entbindungen kommen könne; ebd.<br />

Nr. 7755, S. 12.<br />

499 LHAKo Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_3767_0 (abweichende Schreibweise: Saskalko); ebd., <strong>im</strong>g_49041_0.<br />

500 StAK 623 Nr. 7715, S. 18-46; ebd. Nr. 7765, S. 95, 109, 117, 121, 125 f.; ebd. Nr. 7774, S. 62-118.


543<br />

mit Angabe des Schwangerschaftsmonats, bei denen ebenfalls „geheilt“ vermerkt wurde. 501<br />

Der Fall der knapp 37-jährigen ukrainischen Zwangsarbeiterin Elisabetha Petrowskaja zeigt<br />

aber, dass die Liste von 1946 unvollständig ist, denn sie fehlt. <strong>Die</strong> Frau war <strong>im</strong> Juni 1943<br />

zur Abtreibung in den Kemperhof eingeliefert worden, angeblich mit ihrem Einverständnis.<br />

Ihre Schwangerschaft war das Ergebnis des zwar einvernehmlichen, aber unerlaubten<br />

Geschlechtsverkehrs mit dem gleichaltrigen deutschen Landwirt, bei dem sie eingesetzt<br />

gewesen war. <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Gestapo sorgte dafür, dass der Mann für einige Monate ins KZ<br />

Buchenwald kam und Petrowskaja <strong>im</strong> August ins KZ Auschwitz eingewiesen wurde. 502 Das<br />

Arbeitsamt schickte einige Male Frauen in den Kemperhof, deren Schwangerschaft so weit<br />

fortgeschritten war, dass die Abtreibung unterblieb und sie wenig später ihr Kind zur Welt<br />

brachten. 503 Dass aber nicht nur <strong>im</strong> Frühstadium einer Schwangerschaft abgetrieben wurde,<br />

belegt ein Fall, bei dem die Abtreibung sogar vom Standesamt als Todesfall beurkundet<br />

wurde. Zur Todesursache der namenlosen Tochter einer Ostarbeiterin am 2. Januar 1944 heißt<br />

es in der Sterbeurkunde lakonisch: „Totgeburt, Schwangerschaftsunterbrechung 6. Monat“.<br />

Merkwürdig ist der mit 23.30 Uhr angegebene Todeszeitpunkt. 504<br />

Schmitz meldete dem Arbeitsamt vorschriftsmäßig die Schwangerschaft von zwei <strong>im</strong><br />

Kemperhof beschäftigten Ostarbeiterinnen. Auf die Meldung des ersten Falls <strong>im</strong> Juli 1944<br />

folgte <strong>im</strong> August die Abtreibung. Bei der Meldung des zweiten Falls vom September 1944<br />

informierte er gleichzeitig über das Einverständnis der Ostarbeiterin mit dem Schwangerschaftsabbruch,<br />

der sich aber in der Liste von 1946 ebenfalls nicht nachweisen lässt. 505<br />

Im Juni 1946 brachte Präsidialdirektor Dr. med. Ernst Reißland 506 , ein ehemaliger Verfolgter<br />

des NS-Reg<strong>im</strong>es, eine Untersuchung gegen Hohmeier ins Rollen, inwieweit dieser als<br />

Ärztlicher Direktor des Kemperhofs die Verantwortung für Abtreibungen und Sterilisationen<br />

bei Zwangsarbeiterinnen getragen habe. Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Guske beauftragte<br />

Mitte Juli 1946 Bürgermeister Schnorbach mit dem Fall. Der Leiter des Rechtsamtes, Gerhard<br />

Prengel, sollte die damaligen Vorgänge schnellstmöglich untersuchen. Prengel vernahm<br />

501<br />

StAK 623 Nr. 7715, S. 3-46; ebd., Datei KGFADP; Höhn-Engers: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister (...)“, S.<br />

33. Vgl. Einzelfälle aus den Arbeitsamtsbezirken Ahrweiler und Mayen; StAK 623 Nr. 7774, S. 1-44.<br />

502<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 906, Gestapo-Bericht vom 23.6.1943; ebd. Best. 727 Nr. 2, <strong>im</strong>g_45625_0,<br />

<strong>im</strong>g_45625_1, <strong>im</strong>g_62436_0, <strong>im</strong>g_62436_1.<br />

503<br />

Beispiele: Vorgesehene Einweisung 4.5.1944, Geburt 9.6.1944; vorgesehene Einweisung 19.4.1944, Geburt<br />

23.4.1944 (der Junge starb am 12.5.1944 in Kruft). StAK 623 Nr. 7774, S. 31, 36, 100-102, 105.<br />

504<br />

StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 14/1944. <strong>Die</strong> Mutter war Landarbeiterin in Urbar. Nach dem<br />

siebten Schwangerschaftsmonat konnte der Arzt eine Abtreibung ablehnen. Schäfer: Zur Funktion von<br />

Durchgangslagern, S. 148, 158 f. Eine Beurkundung <strong>im</strong> Sterbebuch musste erfolgen, wenn das totgeborene bzw.<br />

in der Geburt verstorbene Kind mindestens 35 cm groß war; Erste VO zur Ausführung des<br />

Personenstandsgesetzes vom 19.5.1938, RGBl. I, S. 533.<br />

505<br />

StAK 623 Nr. 7765, S. 102, 127; ebd. Nr. 7715, S. 44, lfd. Nr. 598.<br />

506<br />

Reißland (* 26.4.1888 Elberfeld) war seit 1920 mit einer getauften russischen Jüdin verheiratet und hatte<br />

deswegen seine Stellung als Medizinalrat und Direktor des Medizinaluntersuchungsamtes verloren. Im Oktober<br />

1945 war er Oberregierungs- und Obermedizinalrat, 1946 Präsidialrat be<strong>im</strong> Oberpräsidium der Provinz<br />

Rheinland-Hessen-Nassau. LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Reissland vom 4.5.1946; StAK 623 Nr.<br />

7719, S. 1; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 179/1962 (Ehefrau).


544<br />

daraufhin Hohmeier selbst, Oberarzt Dr. Gerhard Le<strong>im</strong>bach, Regierungsrat Johannes Schmitz<br />

als damaligen Verwaltungsleiter sowie zwei Verwaltungsangestellte. Danach hätten Fuhlrott<br />

als zuständiger Dezernent und Gauamtsleiter Daum von Hohmeier die Durchführung von<br />

Abtreibungen verlangt, was sowohl Hohmeier als auch seine Assistenzärzte aus Gründen der<br />

ärztlichen Ethik und religiösen Überzeugung abgelehnt hätten. Hohmeier habe außerdem<br />

versucht, Platzmangel vorzuschieben, danach seien die Baracken angeschafft worden. <strong>Die</strong><br />

Auseinandersetzung mit Daum über die Abtreibungsfrage sei, so Hohmeier, „sehr erregt“<br />

gewesen und Daum habe ihm gedroht. Auch Schmitz gab an, er habe bei Daum versucht, die<br />

Abtreibungen abzuwenden. Als die ersten Ostarbeiterinnen gekommen seien, habe man die<br />

Abtreibungen wegen zu weit fortgeschrittener Schwangerschaft abgelehnt. Daraufhin habe<br />

Daum Schmitz erklärt, er werde sich dieses Verhalten der Ärzte des Kemperhofs nicht bieten<br />

lassen. Le<strong>im</strong>bach und Hohmeier legten Wert auf die Feststellung, dass es sich ansonsten um<br />

Aborte gehandelt habe. Laut Le<strong>im</strong>bach wurden auch keine Schwangerschaftsabbrüche gegen<br />

den Willen der Frauen durchgeführt, sondern abgewiesene Ostarbeiterinnen hätten <strong>im</strong><br />

Gegenteil versucht, sie „mit allen Mitteln durchzusetzen“. Hohmeier gab an, er habe sich nach<br />

dem <strong>Die</strong>nstantritt von Dr. Igor Sassalko um die Abtreibungen „konsequent niemals<br />

gekümmert“. „Igor“ – Hohmeier und Le<strong>im</strong>bach nannten <strong>im</strong>mer nur seinen Vornamen – habe<br />

nicht zum Kreis seiner Assistenten gehört, sondern er habe völlig selbständig und in eigener<br />

Verantwortung gearbeitet. Soviel er damals gehört habe, habe „Igor“ Schwangerschafts-<br />

abbrüche nur in den ersten Monaten und „ohne Zwang ausgeführt“. Gegen Ende des Krieges<br />

sei „Igor“ spurlos verschwunden. 507<br />

Prengel kam in seinem zusammenfassenden Bericht an Guske vom 23. Juli 1946 zunächst zu<br />

dem Ergebnis, dass Sterilisationen bei Ostarbeiterinnen nicht vorgenommen worden seien.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Abtreibungen habe nicht geklärt werden können. Auch darüber, ab wann und<br />

durch wen sie durchgeführt worden waren, könnten wohl nur die von der französischen<br />

Militärregierung beschlagnahmten Krankenpapiere Auskunft geben. <strong>Die</strong> entscheidende Frage<br />

sei, ob Hohmeier die Schwangerschaftsunterbrechungen hätte verhindern können bzw. ob<br />

er für die von „Dr. Igor“ ausgeführten Abtreibungen strafrechtlich oder disziplinarisch<br />

verantwortlich zu machen sei. Prengel kam zu dem Fazit, dass „die Annahme eines<br />

schuldhaften Verhaltens nicht gerechtfertigt“ sei. 508<br />

Hohmeier verspürte nach 30-jährigem <strong>Die</strong>nst als Chefarzt nicht genügend Rückendeckung<br />

von der Stadtspitze. Nach einem Gespräch mit Schnorbach „über die dem Krankenhaus<br />

Kemperhof <strong>im</strong> Dritten Reich aufgezwungenen Operationen und die derzeitigen Schluß-<br />

folgerungen“ hatte er schon am 12. Juli 1946 sein Pensionierungsgesuch eingereicht und war<br />

507 StAK Nr. 3222, MF Nr. 14 (unpaginiert), Le<strong>im</strong>bach vom 19.7.1946, Hohmeier vom 23.6. und 22.7.1946,<br />

Schmitz vom 23.7.1946.<br />

508 StAK Nr. 3222, MF Nr. 14 (unpaginiert).


545<br />

damit einer wahrscheinlichen Suspendierung durch die Militärregierung zuvorgekommen. 509<br />

Guske teilte dem Oberpräsidenten <strong>im</strong> Oktober 1946 mit, die Überprüfung der „Frage des<br />

schuldhaften Mitwirkens“ Hohmeiers habe „zu keiner einwandfreien Feststellung des<br />

Tatbestandes“ geführt: „<strong>Die</strong> eingetretenen Verdunkelungen des Tatbestandes sind entweder<br />

zurückzuführen auf die zeitlich sehr weit zurückliegenden [!] Vorgänge oder sachlich und<br />

rechtlich verschleierndes Verhalten der zuständigen Nazi-<strong>Die</strong>nststellen.“ Vorhaltungen mit<br />

strafrechtlichen oder disziplinarischen Folgen könnten ihm daher nicht gemacht werden. Der<br />

Oberpräsident erklärte daraufhin die Angelegenheit vorbehaltlich der politischen Bereinigung<br />

für erledigt. Hohmeier wurde zum 1. Dezember 1946 in den Ruhestand versetzt. Auf<br />

Schnorbachs Anregung hin wurde eine kleine Abschiedsfeier veranstaltet, zu deren geladenen<br />

Gästen auch Reißland gehörte. <strong>Die</strong> Entscheidung der Bereinigungskommission vom Juli 1947<br />

lautete auf Versetzung in den Ruhestand mit Pension sowie Praxiserlaubnis als beratender<br />

Chirurg. 510<br />

Zu den an Deutschen vorgenommenen Zwangssterilisationen 511 hatte Hohmeier dem<br />

Oberbürgermeister <strong>im</strong> Juni 1946 erklärt, er habe deswegen ein längeres Gespräch mit<br />

Professor Schafer, dem obersten Arzt der französischen Medizinbehörde, gehabt. <strong>Die</strong>ser habe<br />

ihm aufgetragen, er „solle ruhig weiterarbeiten“, bis ihm ein anders lautender Bescheid<br />

zuginge. Von Skrupeln oder Protesten wie bei den Zwangsabtreibungen berichtete Hohmeier<br />

nicht. <strong>Die</strong> Sterilisationen waren offenbar als „eugenische“ Maßnahmen akzeptiert worden. 512<br />

So verteidigte sich auch Hohmeiers Chefarztkollege vom Krankenhaus Evangelisches Stift<br />

St. Martin, der spätere <strong>Koblenz</strong>er Ehrenbürger Dr. med. Dr. phil. h. c. Fritz Michel 513 ,<br />

in seinem Spruchkammerverfahren 1948, die von ihm durchgeführten Sterilisationen<br />

seien nur eugenisch, nicht rassisch motiviert gewesen. Er habe sich „stets innerhalb des<br />

zulässigen gesetzlichen Rahmens“ bewegt. 514 Mitte 1949 schwebte aber aufgrund der<br />

509<br />

StAK 623 Nr. 7685, S. 12 (Zitat); ebd. Nr. 3222, MF Nr. 14 (unpaginiert), Vermerk Schnorbachs vom<br />

13.7.1946.<br />

510<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 15 (unpaginiert), Zitat Guske vom 1.10.1946; ebd. Nr. 7685, S. 14-17. Der<br />

Abschied von seinem Arbeitsplatz fiel Hohmeier „sehr schwer“; ebd. S 4 Nr. 3, S. 159.<br />

511<br />

Vgl. Kapitel 7.4.<br />

512<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 14 (unpaginiert), Hohmeier vom 23.6.1946. Dr. Reißland vom Oberpräsidium<br />

bestätigte in einem Schreiben vom 18.6.1946, Hohmeier sei wegen der Sterilisationen schon vom französischen<br />

Kontrolloffizier für das Gesundheitswesen, Prof. Dr. Schafer, „vernommen worden“; ebd.<br />

513<br />

* 17.9.1877 Niederlahnstein, + 30.10.1966 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, 1937 Kirchenaustritt, verheiratet, DNVP-<br />

Mitglied, 1919-1929 Stadtverordneter, 1930 Stahlhelm-Mitglied, bei Stadtverordnetenwahl 1933 Kandidat des<br />

Deutschen Blocks Schwarz-Weiß-Rot, 1936 NSDAP-Mitglied, 1937 NS-Ärztebund, Gynäkologe und Chirurg,<br />

1927 bis 1946 Chefarzt des Krankenhauses Evangelisches Stift St. Martin, Kunsthistoriker und He<strong>im</strong>atforscher,<br />

1941 Dr. phil. h. c. Universität Bonn, 1948 Einstufung als Mitläufer, 1952 Ehrenbürger der Stadt <strong>Koblenz</strong>, 1962<br />

Sanitätsrat. KGA, 7.3.1933: Bekanntmachung betreffend die am 12. März 1933 stattfindende<br />

Stadtverordnetenwahl; StAK 623 Nr. 6583, S. 186-190; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr.<br />

1422/1966; LHAKo Best. 856 Nr. 111915; Eva-Christine Raschke: Dr. Dr. h. c. Fritz Michel (1877-1966) zum<br />

125. Geburtstag. In: <strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur NF 13, S. 115-127; Udo Liessem: Fritz<br />

Michel als Kunsthistoriker. In: Ebd., S. 129-135; Evangelisches Stift St. Martin zu <strong>Koblenz</strong> 1844-1994. Kleine<br />

Chronik über 150 Jahre <strong>Die</strong>nst am Menschen. <strong>Koblenz</strong> 1994, S. 42 f.<br />

514<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 111915 (unpaginiert), Begründung des Säuberungsspruchs vom 22.4.1948. Der<br />

Öffentliche Ankläger selbst hatte am 11.2. darauf hingewiesen, dass Michels Behauptung, die Sterilisationen


546<br />

Zwangssterilisationen be<strong>im</strong> Landgericht <strong>Koblenz</strong> eine Voruntersuchung gegen den<br />

pensionierten Hohmeier wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Anfang des Jahres<br />

hatte die Staatsanwaltschaft Akten des Kemperhofs beschlagnahmt. Noch vor Ende der<br />

Untersuchung starb Hohmeier am 9. Januar 1950. 515 In der Kemperhof-Chronik heißt es:<br />

„Schützend und schirmend stand er uns Schwestern zur Seite, in den schweren Jahren des<br />

dritten Reiches! Wir werden Seiner <strong>im</strong>mer in tiefer Dankbarkeit gedenken.“ 516<br />

7.7 Fre<strong>im</strong>aurer<br />

An der Verfolgung der Fre<strong>im</strong>auer war die <strong>Stadtverwaltung</strong> nicht unmittelbar beteiligt, aber sie<br />

ermöglichte es, dass letztlich die HJ den größten Nutzen daraus zog. <strong>Die</strong> Fre<strong>im</strong>aurerloge<br />

„Friedrich zur Vaterlandsliebe“ war am Münzplatz 11-13 ansässig. Im Juli 1934 wurde das<br />

wertvolle Inventar von der Gestapo beschlagnahmt und abtransportiert, 517 und Ende 1934<br />

nahm die HJ das Gebäude in Beschlag. 518 Nachdem sich die Loge 1935 „freiwillig“ aufgelöst<br />

hatte, forderte der HJ-Gebietsführer und Ratsherr Karbach Oberbürgermeister Wittgen <strong>im</strong><br />

April 1936 auf, mit dem Liquidator über den Ankauf des ehemaligen Logengebäudes zu<br />

verhandeln. <strong>Die</strong> Gelegenheit sei günstig, hier ein zusätzliches HJ-He<strong>im</strong> zu schaffen, und<br />

städtebaulich sei das Objekt für die Stadt wegen seiner Lage mitten in der Altstadt interessant.<br />

Über die Verhandlungen mit dem Liquidator ist nichts bekannt. In der Ratsherrensitzung vom<br />

3. September 1936 trug die Verwaltung ihre Argumente für den beabsichtigten Ankauf vor: 519<br />

Der günstige Preis von 25.000 RM liege erheblich unter dem Schätzwert, Teile des<br />

Grundstücks könnten für die Altstadtsanierung, die Vergrößerung des anstoßenden<br />

Marktplatzes oder als Wohnungen verwendet werden. Schon am 21. September 1936<br />

bewilligte das Innenministerium die von der Stadt beantragten Mittel aus dem Sonderfonds<br />

Preußische Westhilfe. Der Bescheid war mit der Auflage verbunden, die Mittel für die<br />

Schaffung eines HJ-He<strong>im</strong>s zu verwenden. Nachdem der Kaufvertrag am 5. November 1936<br />

notariell beurkundet worden war, überließ die Stadt der HJ das Gebäude unentgeltlich. 520 Es<br />

wurde 1937 nach dem „Arbeiterdichter“ Heinrich Lersch benannt. 521 <strong>Die</strong> Stadt löste mit der<br />

Übergabe schon Ende 1936 die erst <strong>im</strong> Jahre 1937, dem von der Reichsjugendführung<br />

seien aus eugenischen und nicht aus rassischen Gründen erfolgt, nicht zu widerlegen sei. Es handele sich nicht<br />

um Ideengut der NSDAP. Derartige Sterilisationen würden bis heute in anderen Ländern praktiziert.<br />

515 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 15; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 31/1950.<br />

516 StAK S 4 Nr. 3, S. 173 f. Als Motto für seine Grabrede hatte Hohmeier sich ein Wort des Apostels Paulus<br />

gewählt: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Glauben bewahrt.“<br />

517 http://www.fre<strong>im</strong>aurer-koblenz.de/, Zugriff am 4.1.2010.<br />

518 NB, 2.12.1935: Früher Logentempel – heute HJ-Sender.<br />

519 StAK 623 Nr. 7216, S. 110 f.<br />

520 LHAKo Best. 583,1 Nr. 3908; ebd. Best. 540,1 Nr. 868; http://www.fre<strong>im</strong>aurer-koblenz.de/, Zugriff am<br />

4.1.2010; Thill: Lebensbilder, S. 135.<br />

521 NB, 14.7.1937: Vom Logentempel zur <strong>Die</strong>nststelle der Westmark-HJ; NB, 21.7.1937: Der Gauleiter <strong>im</strong><br />

Heinrich-Lersch-Haus. <strong>Die</strong> HJ-Gebietsführung hatte das Gebäude zunächst mit „Münzeck“ bezeichnet. Im Juni<br />

1937 genehmigte Wittgen persönlich die Fällung eines Baumes auf dem Münzplatz, der dem Sitzungssaal<br />

Tageslicht nahm. StAK Fach 87, Bauakte Münzplatz 11; Werner Lindner/Erich Böckler (Bearb.): <strong>Die</strong> Stadt. Ihre<br />

Pflege und Gestaltung (<strong>Die</strong> landschaftlichen Grundlagen des deutschen Bauschaffens 2). München 1939, S. 280.


547<br />

ausgerufenen „Jahr der He<strong>im</strong>beschaffung“, erhobenen Forderungen ein, dass sich in erster<br />

Linie die Gemeinden an der He<strong>im</strong>beschaffung für die HJ beteiligen sollten. 522 Ende 1937<br />

bewilligte Wittgen für Renovierungsarbeiten „anteilmäßig“ 6.000 RM aus dem Wohl-<br />

fahrtsetat als überplanmäßige Ausgabe. 523 <strong>Die</strong> Pflicht zur Errichtung und Unterhaltung von<br />

HJ-He<strong>im</strong>en wurde den Gemeinden dann Anfang 1939 gesetzlich auferlegt. 524 Be<strong>im</strong><br />

Luftangriff vom 6. November 1944 wurde das Gebäude fast vollständig zerstört. 1952 erhielt<br />

die Fre<strong>im</strong>aurerloge das 667 qm große Trümmergrundstück <strong>im</strong> Wege eines Wiedergut-<br />

machungsverfahrens zurück. Der böswillige Erwerb war allein wegen des zu niedrigen<br />

Kaufpreises unstrittig. Da die Stadt von der HJ jedoch keine Miete erhalten hatte, eine<br />

unmittelbare Nutznießerschaft also nicht vorgelegen hatte, einigte man sich in einem<br />

Vergleich auf einen gegenseitigen Forderungsverzicht, die Stadt übernahm aber sämtliche<br />

Kosten des Rechtsstreits. 525<br />

7.8 Zwischenergebnis<br />

Das Verhalten gegenüber den Kirchen war nach anfänglicher Zurückhaltung bald davon<br />

geprägt, gesetzlich geregelte Zuschüsse oder alte, aus Stiftungen herrührende Verpflichtungen<br />

abzuschütteln und einzusparen. <strong>Die</strong>s geschah teils auf Initiative der Ratsherren, während die<br />

Regierung die Stadt zur Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen anhielt. Hatte sich in der<br />

Frage des Leichenhallenkreuzes zunächst noch die Rücksichtnahme auf das religiöse<br />

Empfinden der Bevölkerung gezeigt, waren derlei Skrupel bei der Abschaffung der<br />

Bekenntnisschule 1937 abgelegt. <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> unter Wittgen unterstützte hierin ganz<br />

und gar den antikirchlichen Kurs der Partei und des Staates, der sich insbesondere gegen die<br />

katholische Bevölkerungsmehrheit und gegen Trier richtete. Dem Krankenhaus Kemperhof,<br />

in dem die Krankenpflege zum größten Teil von „preiswerten“ Ordensschwestern geleistet<br />

wurde, ließ man offensichtlich einen gewissen Freiraum, was äußere Formen anbelangte.<br />

Hitlerfeindliche Äußerungen wurden aber vom Verwaltungsleiter denunziert. <strong>Die</strong> Kehrseite<br />

des antikirchlichen Kurses des NS-Staates musste die Stadt bei der Schließung der<br />

katholischen Ursulinenschule erleben, die sie zur Eröffnung einer eigenen Mädchenschule<br />

zwang. S<strong>im</strong>mers Aktenvermerk belegt in diesem Fall in einmaliger Deutlichkeit und<br />

Offenheit, dass er eine maßnahmenstaatliche Aktion gegen den Ursulinenorden befürwortete<br />

oder sogar initiieren wollte, deren Nutznießer die Stadt gewesen wäre. Aber auch be<strong>im</strong><br />

Waisenhaus Kemperhof wollte die Stadt ihre Interessen ohne jede Rücksicht auf die<br />

Bedürfnisse des Eigentümers und der Insassen durchsetzen. Vom ersten Moment an sah selbst<br />

Wirtz die vorübergehende Beschlagnahme als einmalige Chance für eine dauerhafte<br />

Besitzergreifung an, um eine früher verpasste Kaufgelegenheit wieder wettzumachen.<br />

522<br />

Vgl. StAK 623 Nr. 6412, S. 6, 8; ebd. Nr. 11747 (unpaginiert), Finanzamt vom 19.7.1938.<br />

523<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 240 f.<br />

524<br />

Gesetz zur Förderung der Hitler-Jugend-He<strong>im</strong>beschaffung vom 30.1.1939; RGBl. I, S. 215.<br />

525<br />

LHAKo Best. 583,1 Nr. 3908; ebd. Best. 540,1 Nr. 868; http://www.fre<strong>im</strong>aurer-koblenz.de/, Zugriff am<br />

4.1.2010.


548<br />

<strong>Die</strong> aufgrund eines alten Stadtverordnetenbeschlusses gewährte Bezuschussung der<br />

Synagogengemeinde schaffte Wittgen ab. <strong>Die</strong> rechtliche Legit<strong>im</strong>ation lieferten ihm dafür<br />

Wirtz und Fischbach. Sie prüften in diesem Zusammenhang auf Wirtz’ Betreiben die<br />

Rechtmäßigkeit der Zuschüsse für die beiden christlichen Kirchen. Das lässt sich einerseits<br />

als Suche nach einer Sparmöglichkeit, andererseits als einen Akt der Gleichbehandlung<br />

anstelle einseitiger Diskr<strong>im</strong>inierung interpretieren. Letzteres würde zwar auf das<br />

Weiterwirken rechtsstaatlicher Denkmuster schließen lassen, fügte sich in diesem Fall aber<br />

auch in die kirchenfeindliche NS-Politik. Wie der Wirtschaftsboykott gegen die Juden auch<br />

die wirtschaftlichen Interessen der Stadt schädigte, zeigt das Beispiel des Nutzviehmarktes.<br />

Dessen Direktor plädierte zwar für eine langsame Gangart bei der Verdrängung zugunsten<br />

arischer Händler, um den materiellen Schaden zu min<strong>im</strong>ieren. An sich wurde das Entfernen<br />

der Juden vom städtischen Markt aber nie in Frage gestellt, sondern sogar durch bauliche<br />

Maßnahmen gefördert. Bei den jüdischen Gaststätten- und Beherbergungsbetrieben war Wirtz<br />

merklich bemüht, den Antragstellern zu einer Konzession zu verhelfen. Im Gegensatz zur<br />

DAF, die sich als schärfster Gegner einer Konzessionierung erwies, zählte sogar Fuhlrott zu<br />

deren Befürwortern. Letztlich förderte sie nämlich die Segregation der Juden.<br />

Im Fall der Stiftungen setzte die Stadt den staatlich geforderten Ausschluss der Juden aus dem<br />

Kreis der Bezugsberechtigten anstandslos um. Mit der Preisüberwachung bei der Arisierung<br />

von Immobilien kam auf die Stadt ein erheblicher Arbeitssaufwand zu; die Wertabschätzung<br />

setzte z. B. eine Ortsbesichtigung voraus. Breuer drängte dabei auf die beschleunigte<br />

Bearbeitung der Fälle, in denen die Antragsteller ihre Auswanderung beabsichtigten. Sowohl<br />

bei der Preisüberwachung als auch bei der Preisbildung der Mieten, die ein weiteres Gebiet<br />

der Auftragsverwaltung darstellte, bearbeitete die Stadt die Vorgänge sachlich-objektiv. Eine<br />

Benachteiligung oder Ungleichbehandlung jüdischer Antragsteller bzw. Bevorzugung arischer<br />

Antragsteller lässt sich nicht erkennen. Auch der Verkauf von zwei Baugrundstücken an<br />

jüdische Erwerber und die anschließende Bauabwicklung zeigen keine Auffälligkeiten. Nur<br />

in einem einzigen Fall ist eine antisemitische Äußerung quasi zwischen den Zeilen zu<br />

entdecken. Be<strong>im</strong> Erwerb „jüdischer“ Immobilien war die Stadt bei der Synagoge und der<br />

Privatklinik Dr. Reich eindeutig Nutznießer. Angesichts ihrer Raumnot bemächtigte sie sich<br />

entschädigungslos der Synagoge und weit unter Wert der stattlichen Klinik. In beiden Fällen<br />

löste die Stadt <strong>im</strong> Restitutionsverfahren empörte Reaktionen der Betroffenen aus, indem sie<br />

den Zwangscharakter zunächst bestritt bzw. die Wiedergutmachungsforderungen zu<br />

schmälern versuchte. <strong>Die</strong> Erwerbungen Eppmann und Kallmann ergaben sich für die Stadt<br />

eher zufällig. <strong>Die</strong> Immobilie Rosenblatt funktionierte sie zu einem Judenhaus um. <strong>Die</strong>ser Fall<br />

dokumentiert gleichzeitig die Durchführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden<br />

vom 30. April 1939, die allein der Kommune oblag. Bei der Wohlfahrtsunterstützung der<br />

Juden schöpfte die Stadt unter Wohlfahrtsdezernent Fuhlrott ihre rechtlichen Möglichkeiten<br />

nicht nur aus, sondern umging – wie andere Städte – die Subsidiaritätsvorschrift. Auf<br />

Anforderung der Gestapo stellte Fuhlrott bei zwei Deportationen eine bzw. zwei städtische


549<br />

Fürsorgerinnen zur Verfügung, die sich durch ihr Mitleid als „unprofessionell“ erwiesen.<br />

<strong>Die</strong> Vorbereitungen für den Einsatz polnischer Juden zeigen, dass die Stadt sich deren<br />

Arbeitskraft wie der anderer Zwangsarbeiter bedienen wollte und sogar noch nach<br />

Möglichkeiten suchte, sie an den Kosten zu beteiligen. Der Plan der DAF, den brutalen<br />

Sadisten Emil Faust als Lagerleiter für die Juden zu beschäftigen, wurde von der Stadt<br />

unwidersprochen hingenommen. <strong>Die</strong>s kann als Beleg dafür genommen werden, dass das<br />

polykratische System das Abschieben von (moralischer) Verantwortung erleichterte.<br />

<strong>Die</strong> nationalsozialistische Verfolgung der Zigeuner wurde durch die städtische Verwaltung<br />

unterstützt, denn sie deckte sich mit ihren Interessen: <strong>Die</strong> Zigeuner waren als Bewohner der<br />

Feste Franz bzw. als zum Teil Nichtsesshafte unerwünscht. <strong>Die</strong> Abschiebeaktion 1938 ging<br />

aber auf eine Initiative des Wiesbadener Regierungspräsidenten zurück. Dass die Zigeuner,<br />

wie Fuhlrott behauptete, überwiegend von Wohlfahrtsunterstützung lebten, ist in den Akten<br />

vielfach widerlegt. Gleichzeitig stellte Fuhlrott die Zigeuner als Ärgernis für die Bevölkerung<br />

und als Sicherheitsrisiko dar. Sein Kr<strong>im</strong>inalisierungsversuch zielte auf die Unterbringung in<br />

einem Arbeitslager ab. An den Deportationen war die Stadt nicht unmittelbar beteiligt. Sie<br />

übernahm aber den Anteil der „Transportkosten“, sogar entgegen ihren sonstigen Spar-<br />

gepflogenheiten für die Zigeuner aus dem gesamten Regierungsbezirk und nicht nur aus dem<br />

Stadtkreis. Gesetzliche Unterstützungsleistungen enthielt die Stadt den Zigeunern vor. Wie in<br />

den Juden betreffenden Akten der Preisbehörde ist die Akte der Zigeunermündel frei von<br />

unsachlichen oder rassistischen Bemerkungen. Sachbearbeiterin Pfannschmidt war sich der<br />

rechtlichen „Sonderstellung“ der Zigeuner wohl bewusst und stellte die Bearbeitung des<br />

Falles nach der Deportation der Mündel nach Polen faktisch ein.<br />

Bei den Zwangssterilisierungen musste die Stadt als Bezirksfürsorgeverband bei Hilfs-<br />

bedürftigkeit der Betroffenen die Kosten übernehmen. Das städtische Krankenhaus<br />

Kemperhof war eines der Krankenhäuser, in dem die Eingriffe vorgenommen wurden. Nur<br />

für die katholischen Ordensschwestern ist die Verweigerung der Mithilfe bei den ca.<br />

971 Operationen überliefert. Be<strong>im</strong> ärztlichen Personal inklusive Chefarzt Professor Hohmeier<br />

gab es offenbar keine Bedenken auszuräumen oder gar Widerstände zu überwinden. Auch die<br />

französische Militärregierung scheint an diesen „eugenischen“ Maßnahmen nach 1945 keinen<br />

Anstand genommen zu haben. <strong>Die</strong> Zwangssterilisationen standen erst 1949 strafrechtlich zur<br />

Debatte. In den Sterilisierungsfällen „erbkranker“ Amtsmündel lassen sich den Akten des<br />

Jugendamtes keine prinzipiellen Einwände der Sachbearbeiter entnehmen.<br />

Der Einsatz von Zivilarbeitern, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern war für die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> wie für andere Betriebe alltäglich und willkommen. Angesichts des<br />

kriegsbedingten Mangels an eigenen Arbeitskräften bemühte sie sich aktiv um deren<br />

Zuteilung bzw. widersetzte sich deren Abzug. Für die Instandsetzungs- und Räumarbeiten<br />

nach Bombenangriffen waren die Zwangsarbeiter fest einkalkuliert. Den Krankenanstalten


550<br />

wurden vom Arbeitsamt zunächst ohne eigenes Zutun Ostarbeiterinnen angeboten. Glaubt<br />

man der Chronik des Kemperhofs, fühlten sich die „Ukrainermädchen“ dort wohl. Als der<br />

Kemperhof auch kranke Ostarbeiter zu versorgen hatte, versuchte Verwaltungsleiter Schmitz,<br />

Zwangsarbeiter als Pflegepersonal zu erhalten, indem er z. B. mit Forderungen der Gestapo<br />

als Argument operierte. Unbotmäßiges Verhalten einer Ostarbeiterin brachte er nicht zur<br />

Anzeige, aber einen <strong>Die</strong>bstahl durch einen ausländischen Krankenpfleger, der dessen<br />

KZ-Einweisung zur Folge hatte. Das von Fuhlrott für die Ostarbeiterinnen geforderte Verbot<br />

des Schlafens <strong>im</strong> Bunker umging Schmitz. In zwei Fällen meldete er vorschriftsmäßig die<br />

Schwangerschaft einer Ostarbeiterin. <strong>Die</strong> Zwangsabtreibungen bei Ostarbeiterinnen wurden<br />

zunächst von Hohmeier und seinen Assistenzärzten durchgeführt, wie sein Brief von Anfang<br />

1944 belegt. Dass er religiöse und ethische Bedenken geltend gemacht hätte, mit denen er sich<br />

gegen Fuhlrott und Daum nicht habe durchsetzen können, ist zwar glaubhaft. Wenig<br />

glaubwürdig sind aber Hohmeiers und Le<strong>im</strong>bachs Einlassungen, es habe sich nur um Aborte<br />

und freiwillige Abtreibungen gehandelt. Mit dem Eintreffen des 1945 spurlos verschwun-<br />

denen „Dr. Igor“ schob Hohmeier jede Verantwortung beiseite.<br />

Be<strong>im</strong> Logenhaus kam die Stadt bereitwillig Forderungen von Ratsherrn Karbach nach, der sie<br />

auf die günstige Kaufgelegenheit hingewiesen hatte. <strong>Die</strong> HJ war schließlich Nutznießer des<br />

Erwerbs, denn die Stadt stellte ihr das Gebäude kostenlos zur Verfügung noch bevor die<br />

Gesetzeslage sie zu dieser weitgehenden Fördermaßnahme zwang.


551<br />

8 Systemstabilisierung: <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Einsatz<br />

an der He<strong>im</strong>atfront<br />

Unter dem Motto „Der Führer befiehlt, die Nation folgt“ schwor Stadtkämmerer Wirtz als<br />

Vertreter des einberufenen Oberbürgermeisters Habicht die Bediensteten am 4. September<br />

1939 auf ihren Einsatz an der He<strong>im</strong>atfront ein: „Auch der Verwaltungsdienst der Stadt ist in<br />

dem großen Ringen lebensnotwendig. Von der guten Erledigung und dem verantwortungs-<br />

bewußten Einsatz aller Bediensteten hängt der Enderfolg ab. […] Es darf keine Lockerung<br />

der verwaltungsmäßigen Ordnung eintreten, sondern straffe Einhaltung aller Richtlinien und<br />

Anordnungen ist notwendig, um dadurch eine schnelle und reibungslose Durchführung der<br />

uns übertragenen staats- und volkswirtschaftlichen Aufgaben zu sichern. […] Der<br />

unbeugsame Wille der Front muß auch uns bei unserer Arbeit beherrschen und zur<br />

Höchstleistung führen.“ 1 Tatsächlich setzte die <strong>Stadtverwaltung</strong> bis Kriegsende unter<br />

erschwerten Bedingungen und mit erhöhten Anstrengungen das fort, was sie bereits seit<br />

1933 leistete: die Stabilisierung des NS-Herrschaftssystems.<br />

8.1 Verwaltungsvereinfachung und „Menschenführung“<br />

Mit dem Krieg begann innenpolitisch eine „zweite Etappe der nationalsozialistischen<br />

Revolution“, die auch für die Bürokratie eine tief greifende Zäsur bedeutete. 2 Schon kurz<br />

vor Kriegsbeginn, am 28. August 1939, erging ein Führererlass zur „Vereinfachung der<br />

Verwaltung“, der „schnelle, von bürokratischen Hemmungen freie Entscheidungen“<br />

ermöglichen sollte. 3 Er zog bei der <strong>Stadtverwaltung</strong> sofort mehrere Verfügungen allgemeiner<br />

Art nach sich, 4 konkrete Vereinfachungsmaßnahmen sind dagegen kaum überliefert. 5<br />

Auch reichsweit blieben die Bemühungen um eine Verwaltungsvereinfachung „ohne<br />

durchschlagenden Erfolg.“ 6 S<strong>im</strong>mer wiederholte <strong>im</strong> Februar 1940 die Appelle, die<br />

Verwaltungsarbeit „möglichst zu vereinfachen und von allem unnötigen, hemmenden Ballast<br />

(Bürokratismus) zu befreien.“ 7 Eine weitere Verfügung vom 4. März 1942 dokumentiert den<br />

fortschreitenden Wandel <strong>im</strong> Verständnis von Verwaltung. S<strong>im</strong>mers Sätze klingen geradezu<br />

pathetisch: „Das deutsche Verwaltungsleben hat über ein unendliches Stufenwerk von<br />

Verfeinerungen einen hohen Grad der Kompliziertheit erreicht. Schöpferische Entfaltung<br />

1<br />

StAK 623 Nr. 9567, S. 144. In der von ihm am 26.10.1939 geleiteten Ratsherrensitzung forderte Wirtz „die<br />

He<strong>im</strong>at zum geschlossenen Einsatz und zur unbedingten Gefolgschaftstreue auf und grüsste den Führer und<br />

ersten Soldaten des Reiches.“ Ebd. Nr. 7216, S. 377 f.<br />

2<br />

Broszat: Der Staat Hitlers, S. 381 (Zitat), 433. Vgl. Rebentisch/Teppe: Einleitung, S. 16 f.<br />

3<br />

RGBl. I, S. 1535. Vgl. Kapitel 5.2.2.<br />

4<br />

StAK 623 Nr. 9567, S. 164, 185, 190. Vgl. Kapitel 5.2.2.<br />

5<br />

StAK 623 Nr. 6687, S. 12-14: Vereinfachungen bei Lohn-, Gehaltsabrechung und Buchungswesen <strong>im</strong><br />

November 1939 und Februar 1940; ebd. Nr. 9570, S. 59: Vereinfachungen bei Kassenanordnungen der<br />

Bauverwaltung ab 1.4.1942; ebd. Nr. 6204, S. 68-79: Vereinfachungen bei der Stadtkasse-Einziehungsstelle ab<br />

1.4.1943 sowie bei den Mietbeihilfen ab 1.4.1944, wodurch be<strong>im</strong> Wohlfahrtsamt eine Kraft eingespart wurde.<br />

6<br />

Rebentisch: Innere Verwaltung, S. 767.<br />

7 StAK 623 Nr. 9568, S. 17.


552<br />

finden wir <strong>im</strong>mer da, wo das Leben einfach und in seinem Wesenskern gesehen und<br />

empfunden wird.“ Deshalb sei die Rückkehr zu „einfachsten Arbeitsformen“ nötig, um die<br />

„Fruchtbarkeit der Verwaltung“ zu erneuern. Abteilung I sollten Vereinfachungsvorschläge<br />

eingereicht werden, über die er persönlich entscheiden wolle. Nach Absprache mit dem<br />

Regierungspräsidenten sollten sogar Verfügungen der Aufsichtsbehörden, die dem<br />

Vereinfachsgrundsatz widersprachen, mit einer entsprechenden Stellungnahme zurück-<br />

geschickt werden. 8 S<strong>im</strong>mer hatte damit genau das Dilemma angesprochen, in dem sich die<br />

zeitgenössische verwaltungsrechtliche Diskussion befand: Mit der „schöpferischen<br />

Verwaltung“ war nämlich keineswegs die Verwirklichung kreativer Ideen gemeint, sondern<br />

eine Verwaltung mit möglichst wenig Paragrafen und hinderlichen Formalien. 9 Das lief nicht<br />

nur der Gesetzesbindung der Exekutive zuwider, sondern wurde von der um sich greifenden<br />

Regelungswut staatlicher Stellen hintertrieben. 10 <strong>Die</strong> Arbeitslast und das Verwaltungschaos,<br />

mit denen die Gemeinden vor Ort fertig werden mussten, kritisierten nicht wenige<br />

Stadtoberhäupter in Eingaben und auf Tagungen. 11 Dabei verfolgten sie das Ziel einer<br />

funktionaleren Gestaltung des NS-Staates. 12<br />

Ausgerechnet der mit dem Titel eines Verwaltungsdirektors ausgestattete Leiter des<br />

Rechnungsprüfungsamtes, Jakob Müller, machte sich für die „Schleifung der traditionalen<br />

Verwaltung“ 13 stark. Er forderte in seinem Referat zur Verwaltungsvereinfachung bei der<br />

erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung am 20. Oktober 1942 nicht mehr und nicht weniger als einen<br />

vollkommen neuen Verwaltungsstil. <strong>Die</strong> Leistungen der tatkräftigen und entschlussfreudigen<br />

Verwaltungs„pioniere“ in den besetzten Ostgebieten und <strong>im</strong> Generalgouvernement, die auch<br />

Goebbels gewürdigt habe, lobte Müller als mustergültig und erhob sie zum Vorbild für das<br />

Altreich. Auf viele Niederschriften könne verzichtet werden, eine Arbeitsweise „‚nach<br />

Vorgang’“ komme für den „aktivistischen Beamten und Behördenangestellten“ nicht in Frage.<br />

Spezialistentum sei zu verurteilen, Kompliziertheit müsse der Einfachheit weichen. Müller<br />

empfahl die Ausführungen des neuen Reichsjustizministers Otto Georg Thierack 14 . <strong>Die</strong><br />

Auslegung von Gesetzen müsse zum Besten des deutschen Volksgenossen erfolgen, was die<br />

Kenntnis des nationalsozialistischen Gedankenguts voraussetze. Das „Studium dicker<br />

Kommentare und vieler Ausführungsbest<strong>im</strong>mungen“ dürfe nicht das „Hauptmerkmal“ der<br />

Arbeit des öffentlichen <strong>Die</strong>nstes sein. Abschließend forderte Müller ein hohes Berufsethos<br />

des Beamten und Behördenangestellten zur Erfüllung seiner eigentlichen Aufgabe: „Ein<br />

8<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 47 f.<br />

9<br />

Stolleis: Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 711-717.<br />

10<br />

Anschauliche Beispiele bei Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 327.<br />

11<br />

Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 425-429; Wirsching: Probleme der<br />

Kommunalverwaltung, S. 434 f.<br />

12<br />

Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 299-307.<br />

13<br />

Rebentisch/Teppe: Einleitung, S. 17.<br />

14<br />

Vermutlich meinte Müller die von Thierack monatlich herausgegebenen „Richterbriefe“, die <strong>im</strong><br />

nationalsozialistischen Sinne vorbildliche Entscheidungen der Justiz vorstellten.


553<br />

Amtswalter des nationalsozialistischen Grossdeutschen Reiches“ zu sein. 15 Damit stellte<br />

Müller zwar das Prinzip des Berufsbeamtentums auf den Kopf, befand sich aber ganz auf dem<br />

Boden der zeitgenössischen Verwaltungs(rechts)lehre, 16 die eine neue Berufsauffassung der<br />

Beamten propagierte und dabei auf alte Vorurteile zurückgriff. Ein Handbuch für<br />

Gemeindebeamte forderte schon 1938, sie dürften nicht länger „lebensfremde und<br />

verknöcherte Büromenschen“ sein, sondern jeder Beamte müsse als „lebensnaher<br />

Nationalsozialist“ dem NS-Staat und seinem Führer dienen. Zu ihrer Berufspflicht, sich mit<br />

ganzer Hingabe in den <strong>Die</strong>nst des Staates zu stellen, fand das Handbuch markige Worte:<br />

„Der Staat kann nur ganze Kerle gebrauchen und keine Waschlappen.“ 17<br />

Reichsinnenminister Frick untersagte als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung<br />

(GBV) in einem Erlass vom 24. Februar 1942 insbesondere den Gemeindeverwaltungen die<br />

„Bearbeitung kriegsunwichtiger Einzeleingaben und Anfragen“. Acht Monate später empfahl<br />

er, die Eingaben in höflicher Form unter Verwendung eines Formulars zurückzuschicken, das<br />

nach Stichproben „bei fast allen <strong>Die</strong>nststellen verwendet“ werde. Der Regierungspräsident<br />

schloss sich Fricks Empfehlung an. In Anbetracht des „Massenverbrauchs“ konnte der<br />

Vordruck sogar kostengünstig geliefert werden. Der <strong>Stadtverwaltung</strong> war das Formblatt zwar<br />

bekannt, es wurde aber nicht bestellt. Im März 1943 musste Frick dann die Notbremse ziehen:<br />

Der Vordruck sei nur in geeigneten Fällen einzusetzen, er werde dagegen in zu großzügigem<br />

Umfang selbst dann benutzt, wenn der Volksgenosse zu Recht eine Bearbeitung erwarten<br />

könnte. Abteilung I vermerkte am Rand zum übermäßigen Gebrauch des Vordrucks voller<br />

Stolz: „Hier nicht!“ 18 <strong>Die</strong> geforderte Verwaltungsvereinfachung hatte also offenbar noch nicht<br />

dazu geführt, dass Bürger einfach abgefertigt wurden.<br />

Der Kriegsbeginn brachte auch die Verschärfung des Kontrastes zwischen national-<br />

sozialistischer „Menschenführung“ als alleiniger Aufgabe der Partei und bürokratischer<br />

„Durchführung“ als einer rein funktionalen Erledigung zugewiesener Aufgaben durch die<br />

Verwaltung. 19 <strong>Die</strong> „Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen“ vom<br />

28. Dezember 1939, die Göring, Heß und Frick gemeinsam herausgaben, 20 grenzte die<br />

Aufgaben des Kreisleiters und des Landrates bzw. des Oberbürgermeisters klar voneinander<br />

ab: <strong>Die</strong> Menschenführung war Sache des Kreisleiters, dem die Verantwortung für die<br />

„St<strong>im</strong>mung und Haltung“ der Bevölkerung, insbesondere für die „Stärkung der seelischen<br />

Kräfte aller Volksgenossen“ zur Reichsverteidigung, oblag. Für die „ordnungsmäßige<br />

15 StAK N 91 Nr. 4, Niederschrift vom 20.10.1942, S. 3 f. (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

16 Laux: Führung und Verwaltung. Laux resümiert, dass die Verwaltungsrechtslehre „weitgehend von der<br />

Kapitulation des juristischen Intellekts vor politischen Emotionen beherrscht“ war. Ebd., S. 62.<br />

17 Nischk: Der Gemeindebeamte, S. 330, 346.<br />

18 StAK 623 Nr. 6204, S. 59 f., 62, 64 f., Zitate S. 59, 65. Zum Einsatz des „Abw<strong>im</strong>melformulars“ bei der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> Augsburg vgl. Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 303 f.<br />

19 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 230-234; Rebentisch/Teppe: Einleitung, S. 15, 23-32.<br />

20 RGBl. I 1940, S. 45. Den Empfang der Anordnung mussten alle Landräte und Oberbürgermeister quittieren.<br />

S<strong>im</strong>mer unterschrieb die Quittung am 12.2.1940. LHAKo Best. 662,6 Nr. 456 (unpaginiert).


554<br />

Erfüllung aller Aufgaben der staatlichen Verwaltung“ war dagegen ausschließlich der<br />

Oberbürgermeister verantwortlich. Er wurde als die „in allen Fragen […] zusammenfassende<br />

maßgebende Stelle“ bezeichnet. Der Kreisleiter war zu „Anregungen“ zur Behördentätigkeit<br />

berechtigt, während der Oberbürgermeister ihn frühzeitig über Maßnahmen unterrichten<br />

sollte, die die St<strong>im</strong>mung beeinflussen konnten. Gleichzeitig verpflichtete die Anordnung<br />

beide zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit, verbot aber gegenseitige<br />

Einmischungen. 21 Der Monopolanspruch der Partei auf die „Menschenführung“ auf der Ebene<br />

der Kreise bzw. der kreisfreien Städte wie <strong>Koblenz</strong> war damit zwar erhoben, doch die Formel<br />

der „Menschenführung“ selbst blieb wenig konkret. Darunter wurde „gemeinhin die soziale<br />

‚Betreuung’, ideologische Indoktrination und propagandistische Mobilisierung der<br />

Bevölkerung verstanden.“ 22 In <strong>Koblenz</strong> richtete die Kreisleitung mit Kriegsbeginn eine<br />

Beratungsstelle ein. <strong>Die</strong> NSDAP-Ortsgruppen hielten zusätzliche Sprechstunden ab und<br />

versprachen „Betreuung auf Schritt und Tritt“, wozu auch die Kontaktpflege zu den an der<br />

Front stehenden Volks- und Parteigenossen gehörte. 23<br />

Dass der Oberbürgermeister in allen Verwaltungsfragen die maßgebliche verantwortliche<br />

Stelle einnahm, hat aktenmäßig zunächst keinen Niederschlag gefunden. Erst ein Schnellbrief<br />

des GBV vom 24. Juni 1941, der die fast eineinhalb Jahre alte Anordnung aufgriff und<br />

präzisierte, löste bei S<strong>im</strong>mer größere Aktivitäten aus. Danach war der Landrat bzw. der<br />

Oberbürgermeister „über alle Fragen, die politischer Natur sind oder durch ihre Bedeutung<br />

auf sonstigem Gebiet, insbesondere auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, an<br />

die grundsätzliche Linie der Verwaltungsführung rühren, rechtzeitig und ausreichend zu<br />

unterrichten.“ Ziel sei, „das <strong>im</strong>mer mehr sich zu einer unmittelbaren Gefährdung nationaler<br />

Belange besonders <strong>im</strong> Kriege auswachsende Nebeneinander und damit Durcheinander und<br />

Gegeneinander in der Verwaltung ein[zu]dämmen und [zu] beseitigen“, mit anderen Worten:<br />

die Bekämpfung der ausufernden Polykratie. 24<br />

Ende Juni 1941 verfasste der vom GBV dazu beauftragte RVK für den Wehrkreis XII, der<br />

Gauleiter von Hessen-Nassau Jakob Sprenger, Ausführungsbest<strong>im</strong>mungen zum Schnellbrief.<br />

Der Landrat bzw. Oberbürgermeister habe als zusammenfassende maßgebende Stelle und als<br />

politischer Beamter die Arbeit der übrigen <strong>Die</strong>nststellen nach den für die politische<br />

Verwaltung geltenden allgemeinen Gesichtspunkten auszurichten. Sprenger ordnete an, dass<br />

21 StAK 623 Nr. 6765, S. 1 f. Vgl. Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 315-319.<br />

22 Armin Nolzen: Rezension zu Wolfgang Stelbrink: <strong>Die</strong> Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe.<br />

Versuch einer Kollektivbiographie mit biographischem Anhang (Veröffentlichungen der Archive des Landes<br />

NRW C 48). Münster 2003. In: H-Soz-u-Kult, 24.09.2003, http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/rezensionen/2003-3-180.<br />

Der Würzburger Kreisleiter Dr. Heinz Wahl umriss 1944 das Prinzip der<br />

„Menschenführung“ mit der Formel, „die Menschen dazu zu bringen, daß sie wollen, was sie sollen.“ Zit. n.<br />

Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 315.<br />

23 NB, 13.9.1939: <strong>Die</strong> Partei hilft jedem!; NB, 15.11.1939: <strong>Die</strong> Ortsgruppe arbeitet weiter (Zitat); NB, 4.9.1940:<br />

<strong>Die</strong> Partei hilft jedem mit Rat und Tat; NB, 3.6.1941: Im Schutze der Volksgemeinschaft; NB, 9.3.1944: <strong>Die</strong><br />

Partei sorgt für die Kriegsopfer.<br />

24 StAK 623 Nr. 6765, S. 5-7.


555<br />

der Landrat bzw. Oberbürgermeister Arbeitsamt, Gewerbeaufsichtsamt, Hochbauamt,<br />

Straßenbauamt, Wasserwirtschaftsamt, Flurbereinigungsamt, Forstamt, Gesundheitsamt,<br />

Veterinäramt, Vermessungsamt, Schulamt und staatliche Polizeiverwaltung zu mindestens<br />

halbjährlichen Besprechungen grundsätzlicher Fragen einberufen sollte. Regierungspräsident<br />

Mischke setzte den Schnellbrief auf die Tagesordnung der Landrätekonferenz am<br />

12. August. 25<br />

S<strong>im</strong>mer beauftragte Bürgermeister Hüster mit der Erstellung einer Liste aller in <strong>Koblenz</strong> in<br />

Frage kommenden Behörden. Hüster ordnete sie nach der Intensität der Zusammenarbeit,<br />

nämlich von schriftlicher Unterrichtung in wichtigen Fragen bis zu enger, laufender<br />

Verbindung. Doch bald erkannten er und Beigeordneter Hansmeyer ein grundsätzliches<br />

Problem, das seine Wurzel genau in dem Übel hatte, das bekämpft werden sollte: Es ging um<br />

die Frage der Zuständigkeiten der <strong>im</strong> Rang gleich gestellten GBV und GBW. 26 Beide kamen<br />

zu dem Schluss, dass die Erstellung der Verwaltungseinheit <strong>im</strong> Sinne des Erlasses vom<br />

24. Juni 1941 nur für den Bereich des GBV gelten könne. Dass sie mit dieser Einschätzung<br />

Recht behielten, zeigte sich bald. <strong>Die</strong> Handwerkskammer lehnte die Teilnahme an<br />

regelmäßigen Treffen mit Hinweis auf die Größe ihres Kammerbezirks ab, die IHK sagte<br />

ebenfalls ab und berief sich dabei auf einen Bescheid des Reichswirtschaftsministers, dass der<br />

Erlass auf sie nicht zutreffe. Noch deutlicher war die Absage, die Polizeipräsident Wetter am<br />

4. Dezember 1941 an S<strong>im</strong>mer persönlich adressierte. Mit der Begründung, seine Behörde sei<br />

weder <strong>im</strong> Erlass vom 24. Juni noch vom 30. Juni aufgeführt, erklärte er klipp und klar: „Ich<br />

erkenne die Erlasse für meine Verwaltung daher nicht an.“ <strong>Die</strong>s war zumindest für den Erlass<br />

des RVK falsch, der die staatliche Polizeiverwaltung ausdrücklich nannte. Das galt auch für<br />

das Arbeitsamt, das sich einer direkten Mitarbeit ebenfalls verweigerte und lediglich<br />

Abschriften seiner Monatsberichte an das Landesarbeitsamt in Köln schickte. Nur der<br />

Reichsnährstand machte keine Schwierigkeiten. Für den Bereich der Polizeiverwaltung stellte<br />

H<strong>im</strong>mler als Vertreter des GBV sogar in einem Runderlass vom 20. August 1942 fest, die<br />

Anordnung vom 24. Juni 1941 sei „nicht überall richtig ausgelegt worden“. Es bestehe kein<br />

Unterstellungsverhältnis unter den Oberbürgermeister und es genüge, zu den Besprechungen<br />

einen Vertreter des Behördenleiters zu schicken. 27<br />

S<strong>im</strong>mer war nicht gewillt, sich mit diesen Absagen abzufinden. Mitte Dezember 1941 bat er<br />

den Regierungspräsidenten, be<strong>im</strong> Reichsinnenminister eine Klärung zur Zusammenarbeit mit<br />

IHK und Handwerkskammer zu erreichen, da er auch <strong>im</strong> wirtschaftlichen Bereich – seinem<br />

persönlichen Spezialgebiet – die Einheit der Verwaltungsführung für notwendig halte. <strong>Die</strong><br />

Düsseldorfer <strong>Die</strong>nststelle Westen des DGT, die eine Abschrift erhalten hatte, st<strong>im</strong>mte<br />

25 StAK 623 Nr. 6765, S. 10-12.<br />

26 Kompetenzgerangel zwischen GBV und GBW sollte eigentlich vermieden werden; Rebentisch: Führerstaat, S.<br />

148 f.<br />

27 StAK 623 Nr. 6765, Zitate S. 9, 110.


556<br />

S<strong>im</strong>mers Auffassung in einer ersten Stellungnahme Anfang Januar 1942 zu und kündigte an,<br />

man werde in Berlin in diesem Sinne mit dem Reichsinnenministerium Kontakt aufnehmen.<br />

Doch der Bericht des DGT Berlin vom 17. Januar fiel negativ aus. Das Problem sei, dass sich<br />

die Kammerbezirke und Landkreise nicht überall deckten, was z. B. in Ostpreußen dazu führe,<br />

dass sich die einzige IHK mit 48 Landräten und Oberbürgermeistern besprechen müsste.<br />

Auch wenn die <strong>Koblenz</strong>er Wünsche sachlich berechtigt seien, wolle man die Auseinander-<br />

setzung des GBV mit den Fachministern abwarten und keine Ausdehnung in den<br />

Geschäftsbereich des GBW anstreben. Es werde empfohlen, ohne Bezug auf den Erlass<br />

höfliche Einladungen zu den Besprechungen an die IHK zu richten, denen man sich dort<br />

kaum entziehen werde. 28<br />

Besonders durch Wetters Verweigerung der Kooperation fühlte sich S<strong>im</strong>mer zurückgesetzt.<br />

Am 6. März 1942 legte er dem Regierungspräsidenten in einem vierseitigen Schreiben die<br />

ungleiche „Verteilung der Kriegsaufgaben“ zwischen dem Oberbürgermeister und dem<br />

Polizeipräsidenten dar. <strong>Die</strong> Aufteilung der vielseitigen Arbeiten fiel nach Umfang und<br />

Bedeutung ganz zu Lasten des Oberbürgermeisters aus, wobei „eine 1000 fache Beziehung<br />

zur Bevölkerung“ bestehe: „Das geringste Versagen dieser <strong>Die</strong>nststellen [der Stadtver-<br />

waltung] führt zu Beeinträchtigungen in der St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung und damit zu<br />

politischen Rückwirkungen.“ Wie sehr S<strong>im</strong>mer seine ehrgeizigen persönlichen Ambitionen<br />

durch den Widerstand anderer Behördenleiter gehemmt sah, offenbart auch ein Briefentwurf<br />

vom 10. Oktober 1942. Darin trug S<strong>im</strong>mer als Mitglied des Kriegsgremiums der Ober-<br />

bürgermeister dem Vorsitzenden des DGT, Fiehler, seine Probleme bei der Durchführung der<br />

Anordnung vom 28. Dezember 1939 vor, die noch „nicht Allgemeingut aller Behördenleiter“<br />

geworden sei. Der Oberbürgermeister sei gewissermaßen als „Pr<strong>im</strong>us inter pares“ das<br />

„schöpferische vorwärtsstrebende Element in einer kriegswichtigen Gemeinschaftsarbeit aller<br />

Behördenleiter“. Es seien deswegen weitere Regelungen notwendig. Insbesondere wies<br />

S<strong>im</strong>mer auf die mangelnde Unterstützung durch den GBW hin. Es ist nicht klar, ob der Brief<br />

nach den negativen Erfahrungen mit dem DGT vom Januar abgeschickt wurde, denn in einem<br />

Vermerk wird die Frage aufgeworfen, ob ein Gespräch mit RVK Sprenger nicht viel<br />

versprechender sei. 29<br />

Am 19. August 1942 führte S<strong>im</strong>mer den „Gemeinschaftsdienst der städtischen Verwaltung“<br />

ein. Da die Aufgaben und Arbeiten der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Krieg „sehr stark in die<br />

persönliche Freiheit des Einzelnen eingreifen“, sollte jeder Bedienstete, egal ob <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst, in<br />

der Freizeit oder <strong>im</strong> Parteidienst, die Auswirkungen beobachten und etwaige Mängel sofort<br />

Verwaltungsdirektor Trampp melden. Jeder solle sich stets und überall als Vertreter der Stadt<br />

28 StAK 623 Nr. 6765, S. 66-80.<br />

29 StAK 623 Nr. 6765, S. 82-85, 103-105, Zitate S. 82, 85, 104 f. Vgl. die knappe Zusammenstellung der<br />

Aufgaben des ÖLSL ebd. Nr. 7000, S. 33.


557<br />

ansehen und sich für alle Aufgaben der <strong>Stadtverwaltung</strong> verantwortlich fühlen. 30 Wiederholt<br />

wies S<strong>im</strong>mer darauf hin, dass „in einer lebendigen Verwaltung ‚jeder für Alles’ zuständig“<br />

sei. 31 In der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung vom 3. September erläuterte Trampp in seinem<br />

Vortrag „Der einzelne Beamte, Angestellte und Arbeiter <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst der Stadt und der<br />

Einheitsverwaltung“ Hintergründe und Sinn des Gemeinschaftsdienstes, dessen Grundlage die<br />

Anordnung vom 28. Dezember 1939 bilde. S<strong>im</strong>mer habe <strong>im</strong>mer wieder die Notwendigkeit<br />

des „zusammengefassten Arbeitseinsatzes der Verwaltung“ betont. <strong>Die</strong> derzeitige<br />

„Dezentralisation“ – gemeint waren die um sich greifende Auftragsverwaltung und die neuen<br />

Sonderbehörden – sei nur kriegsbedingt, Ziel bleibe die Einheit der Verwaltung. Alle<br />

Bediensteten müssten als „das Auge und das Ohr der Verwaltung“ Versäumnisse erkennen<br />

und mitteilen. Trampp kündigte die Einteilung einer größeren Zahl von Bediensteten für<br />

einzelne Bezirke an, die sie nach mündlicher Anweisung überwachen sollten. 32 Im November<br />

1943 erinnerte S<strong>im</strong>mer an den Gemeinschaftsdienst, <strong>im</strong> Frühjahr 1944 machte er ihn erneut<br />

zur Pflicht. Jeden Montag waren bis 10 Uhr die Meldungen in einem Meldeheft bei Abteilung<br />

I abzugeben, dringende Fälle mussten sofort telefonisch durchgegeben werden. Neben den<br />

Bediensteten, denen ein best<strong>im</strong>mter Überwachungsbezirk übertragen war, mussten jetzt auch<br />

die Teilnehmer der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung ein Meldeheft in Form eines Schnell-<br />

hefters führen. 33 Überliefert ist nur eine Meldung des Gemeinschaftsdienstes vom Juni 1944,<br />

wonach die Straßenbezeichnung „‚Jesuiten’platz“ für die Rathausadresse „unangebracht“ sei<br />

und die Bevölkerung eine Umbenennung „unbedingt begrüssen“ würde. Trampp entschied,<br />

die Umbenennung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bis nach dem Kriegsende<br />

zurückzustellen. 34 Noch <strong>im</strong> September 1944 erklärte S<strong>im</strong>mer, der Gemeinschaftsdienst sei<br />

zwar „eingeengt“, „aber nicht bedeutungslos“ geworden. Er wolle momentan aber nur noch<br />

Meldungen über Mängel, die trotz Feindeinwirkung oder zur Gefahrenabwehr abgestellt<br />

werden könnten bzw. müssten oder die bei der Schadensverhütung oder -beseitigung<br />

vorkämen. 35<br />

Wie eifrig S<strong>im</strong>mer Verwaltungsvereinfachungen mit dem Ziel der Kräftekonzentration<br />

zugunsten des totalen Krieges verfolgte, zeigen die Überlegungen zur vorübergehenden<br />

Stilllegung der Landkreisverwaltung, die ein Erlass des Reichsinnenministers vom<br />

12. Februar 1943 zur Freistellung Wehrfähiger anordnete. 36 Landrat Dr. Karl Statz wehrte<br />

sich bereits in einer ersten Stellungnahme gegenüber dem Regierungspräsidenten mit<br />

sachlichen und rechtlichen Argumenten, außerdem seien kaum Personaleinsparungen zu<br />

30<br />

StAK 623 Nr. 9570, S. 142 f.<br />

31<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 25.<br />

32<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 77. Zur Gefährdung der Einheit der Verwaltung vgl. Matzerath: NS und kommunale<br />

Selbstverwaltung, S. 418-431.<br />

33<br />

StAK 623 623 Nr. 9542, S. 90; Nr. 9571, S. 39 f. Allein das Vermessungsamt und die<br />

Liegenschaftsverwaltung bestellten sieben Schnellhefter.<br />

34<br />

StAK 623 Nr. 8116, S. 354. <strong>Die</strong> Adresse des Rathauses lautete Jesuitenplatz 2.<br />

35<br />

StAK 623 Nr. 3583, S. 8.<br />

36<br />

LHAKo Best. 441 Nr. 44899 (unpaginiert), Schnellbrief vom 12.2.1943.


558<br />

erzielen. Am 25. Februar fand eine Besprechung statt, an der für den Landkreis neben Statz<br />

Regierungsoberinspektor Paul Miesen und Amtsbürgermeister a. D. Bernhard Flür, für die<br />

Stadt S<strong>im</strong>mer, Fuhlrott, Hansmeyer und Trampp sowie Kreisleiter Cattepoel teilnahmen. „<strong>Die</strong><br />

Verhandlung verlief durchaus friedlich.“, bemerkte Statz ausdrücklich, was darauf hindeutet,<br />

dass er damit nicht unbedingt gerechnet hatte. <strong>Die</strong> Stadt stellte ihre Pläne zur Eingliederung<br />

der Landkreisverwaltung und der Unterbringung von Personal und Büroeinrichtung bei<br />

bleibender rechtlicher und finanzieller Selbständigkeit des Kreises vor. S<strong>im</strong>mer rechnete mit<br />

einer Einsparung von 36 der 77,5 Kräfte, Statz dagegen nur mit 30. Grundsätzlich lehnte<br />

Statz, der Cattepoel auf seiner Seite hatte, den Plan vor allem aus psychologischen Gründen<br />

ab. Er versuchte Mischke klarzumachen, dass kein einziger wehrfähiger Mann freigestellt<br />

werde. Der Landrat prophezeite nicht nur Reibereien zwischen städtischen und Landrats-<br />

beamten aufgrund der entstehenden räumlichen Enge, sondern auch das Unverständnis der<br />

Bevölkerung, die in der Maßnahme keine Verwaltungsvereinfachung erkennen werde.<br />

Mischke schickte beide Berichte an RVK S<strong>im</strong>on zur Entscheidung, der sich offenbar Statz<br />

und Cattepoel anschloss, denn die Angelegenheit kam zu den Akten. 37<br />

8.2 Einquartierungen und Beschlagnahmen<br />

Aufgrund des Reichsleistungsgesetzes vom 1. September 1939 38 war die Stadt für die<br />

Quartierbeschaffung für militärische <strong>Die</strong>nststellen und Truppeneinheiten, für den RAD und<br />

die durch Fliegerangriffe obdachlos gewordenen Personen zuständig. Das zu Abteilung VII<br />

gehörende Quartieramt informierte die Bevölkerung in der Presse über die Sachleistungs-<br />

pflicht, während die Parteipropaganda die Einquartierung zu einer freudig erwarteten<br />

Ehrensache machte. 39 Besonders bis zum Sommer 1940 war die Stadt während des<br />

Westfeldzuges stark mit Militär belegt. Nach einem Bericht der Abteilung VII waren bis<br />

Februar 1944 rund 27.000 Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften und RAD-Führer<br />

außerhalb der eigentlichen Wehrmachts- und RAD-Gebäude in Bürgerquartieren<br />

untergebracht worden, hinzu kamen etwa 47 zusätzliche militärische <strong>Die</strong>nststellen. Auf<br />

Anforderung der Standortkommandantur hatte das Quartieramt Offizieren und Heeresbeamten<br />

4.048 Einzelquartiere zugewiesen, was angesichts des herrschenden Wohnungsmangels nicht<br />

einfach gewesen war. In den Vororten, so Amtsleiter Wilhelm Smits, habe es mit<br />

Unterstützung der Parteidienststellen bei der Unterbringung keine Probleme gegeben.<br />

Dagegen sei die Quartierbeschaffung <strong>im</strong> Stadtbezirk auf starke Schwierigkeiten gestoßen,<br />

37 LHAKo Best. 441 Nr. 35317, S. 13-183, Zitat S. 25. Im Übrigen bemühte sich auch Statz, die „Anordnung<br />

über die Verwaltungsführung in den Landkreisen“ umzusetzen. Im März 1944 adressierte er zusammen mit dem<br />

Mayener Landrat und Kreisleiter Edgar Heiliger „auf Anregung sämtlicher Landräte des Regierungsbezirks“<br />

eine Denkschrift an den Regierungspräsidenten, in der er besonders die mangelnde Zusammenarbeit der<br />

staatlichen Sonderverwaltungen anprangerte. LHAKo Best. 487 Nr. 33 (unpaginiert), 1.3.1944. Vgl. Dorfey:<br />

„Goldfasane“, S. 343 f. Im November 1944 machte in <strong>Koblenz</strong> das Gerücht der Zusammenlegung von Stadt- und<br />

Kreisverwaltung unter der Leitung des Landrats die Runde. Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 183.<br />

38 RGBl. I, S. 1645.<br />

39 NB, 4.10.1939: Jeder zu Sachleistungen verpflichtet; NB, 16.11.1939: Jeder freut sich auf Einquartierung.


559<br />

weil die „anfängliche Bereitwilligkeit in der Bevölkerung stark nachgelassen hat, und zwar<br />

bedauerlicherweise gerade bei solchen Volksgenossen, die ohne jede eigene Einschränkung<br />

Unterkunft gewähren könnten.“ Smits führte dies einerseits auf schlechte Erfahrungen der<br />

Quartiergeber bei der Behandlung ihres Eigentums und Fälle von Trunkenheit zurück,<br />

andererseits auf die hohen Ansprüche der Quartiernehmer, die ihnen zugewiesene Z<strong>im</strong>mer<br />

als ungenügend ablehnten. In den Aufgabenbereich der <strong>Stadtverwaltung</strong> fielen auch die<br />

Auszahlung der Quartiergelder und die Bearbeitung von Entschädigungen für die durch<br />

die Einquartierung entstandenen Sachschäden. Bis Februar 1944 wurden rund 600<br />

Entschädigungsanträge erledigt. 40<br />

Besonders einschneidend, sowohl für die Bevölkerung als auch für die <strong>Stadtverwaltung</strong>, war<br />

die Beschlagnahme von Teilen der Städtischen Krankenanstalten Kemperhof und<br />

Bürgerhospital, des St.-Josef-Krankenhauses sowie des Marienhofs als Reservelazarette. <strong>Die</strong><br />

Stadt war gezwungen, schnell eine ganze Reihe von Hilfskrankenhäusern, vor allem in<br />

Ordensniederlassungen in <strong>Koblenz</strong> und Umgebung, einzurichten, um die medizinische<br />

Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Allein die überlieferte Aktenfülle zeugt von<br />

dem gewaltigen Arbeits- und Organisationsaufwand, der dazu bewältigt werden musste und<br />

hier nur angedeutet werden kann. 41 Auf Weisung des Einsatzstabes des Gauleiters vom 1. Juli<br />

1942 musste die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in<br />

Bendorf-Sayn zusätzlich als Ausweichkrankenhaus für die Städte <strong>Koblenz</strong> und Neuwied<br />

hergerichtet und in Bereitschaft gehalten werden. Bevor die Anstalt am 10. November 1942<br />

liquidiert wurde und dem Reich „verfiel“, war sie zuletzt in Trägerschaft der Reichsver-<br />

einigung der Juden gewesen. <strong>Die</strong> Stadt mietete das Anwesen ab 1. Dezember 1942 vom<br />

Reich, vertreten durch das Finanzamt <strong>Koblenz</strong>, bis es am 2. September 1944 von der<br />

Wehrmacht als Reservelazarett beschlagnahmt wurde. 42<br />

8.3 Das Kriegsschädenamt<br />

Der erste Bombenabwurf auf das <strong>Koblenz</strong>er Stadtgebiet in der Nacht vom 6./7. Juni 1940 43<br />

hatte die Einrichtung der Feststellungsbehörde für Kriegssachschäden zur Folge, die bei der<br />

vielseitigen Abteilung VII angesiedelt wurde. <strong>Die</strong> rechtliche Grundlage lieferte die<br />

40 StAK 623 Nr. 7011, S. 9 f. (Zitat), 46-49. Schon nach der Remilitarisierung wurden frei werdende Wohnungen<br />

bevorzugt Wehrmachtsangehörigen gemeldet; StAK 623 Nr. 9092. Vgl. Kapitel 6.2.4.<br />

41 StAK 623 Nr. 6072, 6073, 7569, 7575, 7581, 7582, 7584, 7672, 7675, 7687, 7691, 7695, 7696, 7698, 7699,<br />

7702, 7703, 7705-7707, 7712, 7716, 7722, 7734, 7737, 7738, 7741, 7760, 7773, 7775. Zum Hilfskrankenhaus<br />

Waisenhaus Kemperhof vgl. Kapitel 7.1.1.<br />

42 StAK 623 Nr. 7590; ebd. Nr. 7670. Für die zahlreichen Einrichtungsgegenstände, die Amtmann Schmitz<br />

aufgrund der Warenknappheit für die städtischen Krankenanstalten entnahm bzw. anderen Krankenhäusern<br />

auslieh und die verloren gingen, zahlte die Stadt den Eigentümern, Dr. Fritz und Dr. Paul Jacoby, 1950 <strong>im</strong><br />

Restitutionsverfahren 10.075 DM. <strong>Die</strong> Gegenstände waren peinlich genau registriert worden, denn sie waren<br />

„Eigentum“ des Reiches gewesen. Ebd., Protokoll Finanzausschuss vom 27.11.1950, TOP 12.<br />

43 Schnatz: Luftkrieg, S. 10.


560<br />

Verordnung über die Feststellung von Sachschäden vom 8. September 1939 44 , die einmal<br />

mehr die unteren Verwaltungsbehörden mit einer Reichsaufgabe beauftragte. <strong>Die</strong> Gemeinde<br />

hatte bei durch Feindeinwirkung entstandenen Schäden den Antrag des Geschädigten auf<br />

Schadenersatz durch das Reich zu prüfen, darüber zu entscheiden und einen Feststellungs-<br />

bescheid zu erteilen. Über die Stadt wurde auch der Schadenersatz ausgezahlt, wofür das<br />

Reich der Stadtkasse die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellte. War die Kommune<br />

selbst betroffen oder überstieg der Schaden 100.000 RM, wurde die Regierung als<br />

Feststellungsbehörde tätig. <strong>Die</strong> Verordnung wurde bald durch eine solche Fülle weiterer<br />

Best<strong>im</strong>mungen und Verfahrensrichtlinien ergänzt, dass Amtsleiter Smits einer Kommission<br />

des Reichsluftfahrtministeriums die Herausgabe einer Zusammenfassung empfahl. Doch auch<br />

zur neuen Kriegssachschädenverordnung vom 30. November 1940 45 gesellten sich zahlreiche<br />

zusätzliche Best<strong>im</strong>mungen, 46 deren „Unübersichtlichkeit“ Smits wieder beklagte. <strong>Die</strong><br />

Verwaltungskosten der Feststellungsbehörde gingen zwar zu Lasten des Reichs, doch die<br />

Prüfung der Bauschäden durch die Baupolizei oder das Hochbauamt, der landwirtschaftlichen<br />

Schäden durch das Gartenamt oder den Reichsnährstand sowie sonstiger Schäden durch<br />

andere Sachverständige mussten zwangsläufig zu zusätzlichen Belastungen führen. Stolz<br />

berichtete Smits S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> September 1941, dass die Zusammenarbeit mit dem Vertreter der<br />

Reichsinteressen reibungslos liefe. <strong>Die</strong>ser habe das Feststellungsverfahren der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

„als mustergültig“ bezeichnet und den anderen Feststellungsbehörden des Finanzamtsbezirks<br />

„zur Nachahmung empfohlen“. Der Prüfer des Reichsrechnungshofs habe sogar auf eine<br />

Revision verzichtet. Bis Februar 1944 waren 1.805 Schadenanträge eingegangen, über deren<br />

Abwicklung es lediglich zwei Beschwerden bei der nächsten Instanz gegeben hatte. 47<br />

Das Kriegsschädenrecht sollte die Volksgemeinschaft als eine Art „Vollkaskoversicherung“<br />

wenigstens finanziell gegen die Kriegsrisiken absichern. 48 Sowohl Fuhlrott als auch die<br />

NSDAP-Kreisleitung maßen der schnellen und für die Geschädigten möglichst zufrieden<br />

stellenden Bearbeitung der Anträge größte Bedeutung bei. Als nach dem ersten<br />

Bombenangriff mit Todesopfern <strong>im</strong> Juni 1942 Klagen bekannt wurden, bohrten er und der<br />

Geschäftsführer der Kreisleitung, Oster, bei den Beschwerdeführern so lange nach, bis diese<br />

Einzelheiten wie z. B. eine zu geringe Ersatzbeschaffung von Gardinen nannten. <strong>Die</strong><br />

Nachprüfungen konnten die Vorwürfe aber nicht erhärten. 49 Auch das städtische<br />

Rechnungsprüfungsamt betonte in seinem Bericht zu einer Organisationsprüfung der<br />

Feststellungsbehörde <strong>im</strong> November 1943, die schnellst mögliche Antragsbearbeitung sei,<br />

44<br />

RGBl. I, S. 1754.<br />

45<br />

RGBl. I, S. 1547.<br />

46<br />

Z. B. die Verordnung über die Behandlung der Kriegsschäden von Juden vom 20.7.1941, die Juden von einer<br />

Entschädigung ausschloss; RGBl. I, S. 437.<br />

47<br />

StAK 623 Nr. 7011, S. 11-13, 52-55, Zitate S. 12, 52.<br />

48<br />

<strong>Die</strong>tmar Süß: Nationalsozialistische Deutungen des Luftkrieges. In: Ders. (Hg.): Deutschland <strong>im</strong> Luftkrieg.<br />

Geschichte und Erinnerung (Zeitgeschichte <strong>im</strong> Gespräch 1). München 2007, S. 99-110, hier S. 102-104, Zitat S.<br />

103.<br />

49<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 444-449.


561<br />

„besonders st<strong>im</strong>mungsmässig, von grösster Bedeutung“ – eine bemerkenswerte Mahnung,<br />

denn die Sorge um die St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung gehörte eigentlich zu den Hauptaufgaben<br />

des Kreisleiters. Wenn kriegsbedingt eine Abgeltung nicht möglich sei – die Warenknappheit<br />

erschwerte zunehmend sofortige Ersatzleistungen 50 –, empfahl das Rechnungsprüfungsamt<br />

die Aussetzung des Verfahrens, damit der Geschädigte „die beruhigende Gewissheit“<br />

bekomme, dass sein Anspruch nach Kriegsende fortbestehe. Bis zu diesem Zeitpunkt war die<br />

Feststellungsbehörde nur mit einem Stadtinspektor und zwei Angestellten besetzt, die sich<br />

einen als unzureichend kritisierten Raum teilen mussten, in dem auch das Publikum<br />

abgefertigt wurde. Das Personal sei zwar momentan noch „mehr als ausreichend“, doch die<br />

für den Ernstfall vorgesehenen zusätzlichen Kräfte müssten auf dem komplizierten<br />

Rechtsgebiet besser geschult werden. 51 Nicht umsonst war mit Dr. Hanns Gatermann seit Juli<br />

1942 ein Jurist Leiter der Feststellungsbehörde, der <strong>im</strong> Juni 1943 durch Rechtsanwalt Alois<br />

Mand abgelöst wurde. 52<br />

Smits berichtete <strong>im</strong> Februar 1944, Betrugsfälle seien in <strong>Koblenz</strong> bisher „nur selten“<br />

vorgekommen. Sie würden „mit aller Strenge“ geahndet. 53 Schon <strong>im</strong> Juli 1942 hatte er auf<br />

einer DGT-Sitzung erfahren, dass Obdachlose in Köln ihre geborgenen Möbel verleugnet<br />

hatten, und in Oberhausen waren es stets Schuhe gewesen, die verbrannten. 54<br />

8.4 Luftschutz: Vorbereitungen und Bewährung <strong>im</strong> Katastrophenfall 55<br />

Als eine der ersten behördlichen Maßnahmen zum zivilen Luftschutz bildete die staatliche<br />

Polizeiverwaltung <strong>im</strong> März 1932 unter dem Vorsitz von Polizeipräsident Biesten einen<br />

Luftschutzbeirat. Als Vertreter der Stadt gehörten ihm die Beigeordneten Dahm, Ochs und<br />

Rogg, Stadtbaurat Bode, Hafen- und Verkehrsdirektor Lanters und der Leiter der Feuerwehr,<br />

Brandinspekteur Hugo Buss, an. Buss und Bode waren außerdem Mitglied <strong>im</strong> Arbeits-<br />

ausschuss des Beirats. Im September 1936 bat Bode Abteilung I um die formelle Einrichtung<br />

einer „Luftschutzstelle“ innerhalb der Bauverwaltung, weil sämtlicher Schriftverkehr bisher<br />

an seine Privatadresse gerichtet war. Durch Verfügung Wittgens entstand daraufhin als neue<br />

Sonderabteilung der Abteilung XII die „Luftschutzstelle“ unter Bodes Leitung. 56 <strong>Koblenz</strong> galt<br />

nach dem Grad der Luftgefährdung als Luftschutzort I. Ordnung. Das bedeutete nicht nur das<br />

50 StAK 623 Nr. 7011, S. 53.<br />

51 StAK 623 Nr. 6687, S. 126-128.<br />

52 StAK 623 Nr. 9570 S. 120 f.; ebd. Nr. 9542, S. 40, 68. Vgl. Kapitel 5.3.2.<br />

53 StAK 623 Nr. 7011, S. 55. Smits’ Hinweis in der Luftschutzplanbesprechung vom 27.5.1942, dass an<br />

Schadensstellen <strong>Die</strong>bstähle – also Plünderungen – vermieden werden müssten, hatte „wenig Gegenliebe<br />

gefunden“; ebd. Nr. 7017, S. 355.<br />

54 StAK 623 Nr. 7017, S. 474 f.<br />

55 Schnatz: Luftkrieg, insbesondere S. 10-60; Wolfgang Gückelhorn: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er Luftschutzbunker <strong>im</strong><br />

alliierten Bombenhagel. Luftschutzmaßnahmen und -anlagen von <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg und ihre<br />

Wirkung. Aachen 2008.<br />

56 StAK 623 Nr. 7967, S. 1-87; ebd. Nr. 6183, S. 235 f.; ebd. Nr. 6025 S. 117; ebd. Nr. 9565, S. 200; KGA,<br />

23.3.1932: Luftschutz für <strong>Koblenz</strong>.


562<br />

Höchstmaß an Luftschutzmaß-nahmen, sondern war auch für die Zuteilung von Finanzmitteln<br />

und Baumaterialien entscheidend. 57<br />

Durch Luftschutz- und Verdunkelungsübungen wurde die Bevölkerung <strong>im</strong>mer wieder auf<br />

einen Luftkrieg vorbereitet. 58 1939 verstärkten sich die Anstrengungen zur Mobilmachung der<br />

He<strong>im</strong>atfront merklich. Seit Anfang des Jahres verkauften Reichsluftschutzbund und NSV in<br />

der Stadthalle für 5 RM Volksgasmasken. 59 <strong>Die</strong> vierte Reichsluftschutzwoche <strong>im</strong> Mai stand<br />

unter dem Motto „Wir sind alle Soldaten der He<strong>im</strong>at“. 60<br />

Hitler ordnete <strong>im</strong> Oktober 1940 mit einem Führererlass Maßnahmen auf dem Gebiet des<br />

Luftschutzbauwesens an. Zu den <strong>im</strong> „Führer-Sofortprogramm“ aufgenommenen 81 Städten<br />

zählte auch <strong>Koblenz</strong>. 61 Klose verfügte Ende Oktober dem Erlass entsprechend, dass bei allen<br />

öffentlichen und privaten Bauten ab sofort „bombensichere Luftschutzkeller“ vorzusehen<br />

seien. 62 In seinem Spruchkammerverfahren stellte er 1948 den von höchster Stelle befohlenen<br />

Bunkerbau so hin, als sei er in <strong>Koblenz</strong> nur seinem besonderen Drängen zu verdanken<br />

gewesen. 63 Schon <strong>im</strong> November 1940 wurden die Bauarbeiten in Zusammenarbeit mit dem<br />

Örtlichen Luftschutzleiter (ÖLSL) „mit viel Energie und viel Fleiss“ angepackt, um der<br />

Verantwortung gegenüber der Bevölkerung gerecht zu werden, wie S<strong>im</strong>mer S<strong>im</strong>on gegenüber<br />

erklärte. 64 1941 beschäftigte das <strong>im</strong> Markenbildchenweg 15 ansässige städtische<br />

Luftschutzbauamt 470 Zivilarbeiter und 521 Kriegsgefangene, 65 Letztere wurden Ende des<br />

Jahres anderweitig eingesetzt. S<strong>im</strong>mer protestierte <strong>im</strong>mer wieder gegen den Abzug von<br />

Arbeitern durch den Gaubeauftragten des GB-Bau, das Arbeitsamt und die Wehrmacht.<br />

Dadurch waren Baumaßnahmen noch <strong>im</strong> Januar 1944 nicht abgeschlossen, was S<strong>im</strong>mer<br />

gegenüber S<strong>im</strong>on mit der Unterbesetzung des Luftschutzbauamtes mit 229 Arbeitskräften<br />

rechtfertigte. 66<br />

57<br />

Erich Hampe: Der Zivile Luftschutz <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg. Dokumentation und Erfahrungsberichte über<br />

Aufbau und Einsatz. Frankfurt am Main 1963, S. 52; Schnatz: Luftkrieg, S. 24.<br />

58<br />

Beispiele: NB, 22.5.1936: Fliegerbomben auf unsere Stadt; NB, 23.5.1936: Feindliche Flieger am Deutschen<br />

Eck!; NB, 9.11.1936: Fliegerangriff auf die <strong>Koblenz</strong>er Altstadt.<br />

59<br />

NB, 23.1.1939: Erwirb auch du die Volksgasmaske; NB, 1.2.1937: Ausgabe der Volksgasmasken in <strong>Koblenz</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Ratsherren waren der Meinung, die NSV müsse zwar keine Miete zahlen, dem Verkehrsamt aber wenigstens<br />

die Unkosten erstatten; StAK 623 Nr. 7216, S. 354.<br />

60<br />

NB, 15.5.1939: Wir sind alle Soldaten der He<strong>im</strong>at.<br />

61<br />

Hampe: Der Zivile Luftschutz, S. 291 f.<br />

62<br />

StAK 623 Nr. 3576, S. 129 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

63<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110010.<br />

64<br />

StAK 623 Nr. 8865, S. 100. Vgl. Liste der beteiligten Bauunternehmen; StAK 623 Nr. 7021, S. 240 f.<br />

65<br />

<strong>Die</strong> französischen Kriegsgefangenen zogen täglich in einer langen Kolonne von ihrer Unterkunft auf dem<br />

Asterstein zu den Baustellen. RZ, 14.2.1985: Bunker als Zuflucht [Leserbrief von Heinz Kühn, Architekt <strong>im</strong><br />

städtischen Luftschutzbauamt]; StAK S 4 Nr. 3, S. 86.<br />

66<br />

StAK 623 Nr. 8865, S. 100 f. <strong>Die</strong> Arbeitsbelastung der städtischen Hafen- und Bahnverwaltung erhöhte sich<br />

durch die Baumaßnahmen am Westwall und für den Luftschutz in <strong>Koblenz</strong> und dessen Hinterland erheblich: Der<br />

Gesamtumschlag in Tonnen steigerte sich von 1936 bis 1943 bei gleich bleibender Personalstärke um mehr als<br />

das 2,8-Fache. <strong>Die</strong> Mehrarbeit wurde ausschließlich durch Sonn- und Feiertagsschichten sowie durch<br />

Überstunden aufgefangen. Ebd. S 3 Nr. 3, S. 15.


563<br />

Bis Mitte 1942 stellte die Stadt <strong>im</strong> Auftrag und auf Rechnung des Reichs 15 Bunker fertig:<br />

drei Bunker für Krankenhäuser (Kemperhof zwei, Marienhof einer), eine Polizei-Befehlsstelle<br />

in der Mayener Straße, eine Luftschutz-Rettungsstelle am Langemarckplatz, eine Luftschutz-<br />

Rettungsstelle kombiniert mit einem Öffentlichen Luftschutzraum in der Ravensteynstraße<br />

und weitere neun Öffentliche Luftschutzräume, die Passanten Zuflucht bieten sollten. Zwar<br />

übernahm das Reich die Baukosten von über 14 Millionen Reichsmark, 67 beschäftigte aber<br />

mit den eigentlichen Bauarbeiten und deren Überwachung ganz erheblich das städtische<br />

Personal, 68 das außerdem die Hauseigentümer be<strong>im</strong> Neu- bzw. Ausbau der zahlreichen<br />

privaten Luftschutzräume beraten und die baupolizeiliche Genehmigung erteilten musste. <strong>Die</strong><br />

öffentlichen Bunker boten Schutz für 7.500 Personen, durften aber bis zu dreifach belegt<br />

werden. Bei normaler Belegung gewährten die Bunker damit 8,5 % der Bevölkerung eine<br />

bombensichere Unterkunft. Das sei ein vergleichsweise hoher Prozentsatz, wie der Leiter des<br />

Luftschutzbauamtes, Stadtbaurat Alfons Bliemel 69 , in der erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung am<br />

28. Juli 1942 erläuterte, in Köln seien es nur 1,8 %. 70<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Bunker war durch Berlin festgelegt worden. In einer internen Besprechung von<br />

S<strong>im</strong>mer, Fuhlrott, Rogg, Schmitz, Smits, Dolle und Feuerwehrchef Gottfried Hugo <strong>im</strong> Juni<br />

1942 wurde der Schutz der Bevölkerung als unzureichend festgestellt, wofür die Stadt jedoch<br />

„keine Verantwortung“ treffe. 71 Von dieser Einschätzung ließ man aber nichts nach außen<br />

dringen, sondern bemühte sich <strong>im</strong> Gegenteil um Beruhigung der Bevölkerung: Als Bliemel in<br />

der Ratsherrensitzung vom 16. Dezember 1942 die baulichen Luftschutzmaßnahmen<br />

erläuterte, ließ er die Ratsherren wissen, <strong>Koblenz</strong> liege bei den bombensicheren Plätzen für<br />

8,35 % der Einwohner <strong>im</strong> Vergleich zu benachbarten Städten „an günstiger Stelle“. 72<br />

Tatsächlich gab es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Städten, und <strong>Koblenz</strong><br />

schnitt mit seiner – trotzdem zu niedrigen – Quote nicht schlecht ab. 1943 wurde ergänzend<br />

mit dem Bau von Deckungsgräben für 12.000 Personen begonnen. 73 Dem Gauleiter teilte<br />

S<strong>im</strong>mer dann am 5. Januar 1944 mit, die Stadt nehme nach „offizieller Feststellung“ <strong>im</strong><br />

Verhältnis zur Einwohnerzahl bei den Luftschutzbauwerken unter „allen anderen deutschen<br />

67<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 32 Anm. 32.<br />

68<br />

Vgl. die Klagen anderer Kommunen über die Beanspruchung des Personals der Bauverwaltungen; Roland<br />

Schlenker: Vom Personalmangel zur Zwangsarbeit. Aufgabenstellung und Beschäftigungssituation rheinischer<br />

und westfälischer Kommunen 1936-1945. In: Mecking/Wirsching (Hg.): <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> NS, S. 181-199,<br />

hier S. 184-190.<br />

69<br />

Der Regierungsbaumeister a. D. war für den Brückenbau bzw. -umbau der Adolf-Hitler-Brücke und der<br />

Pfaffendorfer Brücke verantwortlich gewesen und erhielt von S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Juni 1941 den Titel eines Stadtbaurats<br />

verliehen; StAK 623 Nr. 3856, S. 151 f.<br />

70<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 10 f.; ebd. Nr. 8833, S. 78-81.<br />

71<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 82.<br />

72<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 184-187, Zitat S. 187. <strong>Die</strong> Prozentzahlen der anderen Städte lauteten: Frankfurt am<br />

Main 4,73, Köln 2,3, Mannhe<strong>im</strong> 10,7, Trier 2,56, Kassel 4,13. Außerdem gab es 70.000 gas-, trümmer- und<br />

splittersichere Plätze <strong>im</strong> Selbstschutz sowie 12.000 Plätze in den älteren Öffentlichen Luftschutzräumen.<br />

73<br />

StAK 623 Nr. 5602, S. 159 f.


564<br />

Städten“ die Spitzenposition ein. 74 Auch die Ratsherrensitzung vom 7. Januar 1944 nutzte<br />

S<strong>im</strong>mer als Forum, um zu bekräftigen, dass <strong>Koblenz</strong> relativ gesehen die meisten<br />

Luftschutzunterkünfte habe. Er resümierte, dass es bei ordnungsgemäßer Nutzung der<br />

Schutzeinrichtungen „in <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Falle eines Terrorangriffs niemals zu katastrophalen<br />

Verlusten an Menschenleben kommen“ könne. 75 Bei der Abschlusskundgebung der<br />

Luftschutzwoche, die der Gauleiter vom 16. bis 23. Januar 1944 für <strong>Koblenz</strong> ausgerufen<br />

hatte, 76 sprach S<strong>im</strong>on in der Stadthalle namentlich nicht nur Polizeipräsident Wetter als dem<br />

ÖLSL, sondern auch S<strong>im</strong>mer für die Bauleistungen <strong>im</strong> Luftschutz seine „höchste<br />

Anerkennung“ aus. 77 In der letzten Ratsherrensitzung vom 12. Mai 1944, in der S<strong>im</strong>mer<br />

bereits über die Einsätze nach den schweren Angriffen vom 19. und 22. April mit über<br />

130 Toten berichten musste, erinnerte er an die öffentliche Belobigung der vorbildlichen<br />

Luftschutzmaßnahmen durch den Gauleiter. Ein neuer Angriff werde die Stadt gewappnet<br />

finden. 78 Stadtarchivar Bellinghausen schrieb dagegen <strong>im</strong> September 1944 in seinen privaten<br />

Aufzeichnungen: „Leider hat die Stadt zu wenig Bunker.“ 79 , und das Nationalblatt klärte<br />

darüber auf, dass es keine „Platzreservierung“ <strong>im</strong> Bunker geben könne. 80 Dass der<br />

verheerende Luftangriff vom 6. November 1944 mit 100 Toten nur relativ wenige<br />

Menschenleben kostete, war vor allem dem Umstand zu verdanken, dass ein beträchtlicher<br />

Teil der Einwohner bereits evakuiert war.<br />

Smits unternahm als Leiter des Kriegsschäden- und Quartieramtes von Januar bis August<br />

1941 <strong>Die</strong>nstreisen in verschiedene rheinische Städte, die schon von Fliegerangriffen betroffen<br />

gewesen waren. Er besuchte Mannhe<strong>im</strong>, Heidelberg, Köln und Bonn, wo er sich mit Kollegen<br />

über ihre Erfahrungen austauschte. Nach Düsseldorf fuhr er am 14. Februar sogar gemeinsam<br />

mit Fuhlrott und Cattepoel. Bei der <strong>Koblenz</strong>er <strong>Stadtverwaltung</strong> konnte man so eine<br />

Sammlung von erprobten <strong>Die</strong>nstanweisungen, Merkblättern und Vordrucken 81 anlegen.<br />

Gewissenhaft versuchten Smits und sein Stellvertreter Franz Wüst, die unzähligen<br />

Einzelfragen – die hier nicht alle behandelt werden können – bis ins Kleinste zu klären und<br />

für alle erdenklichen Eventualitäten Vorsorge zu treffen. <strong>Die</strong> vom 29. Mai 1940 datierenden<br />

ersten internen Anweisungen zu den „Umquartierungsmöglichkeiten aus Gründen der<br />

74<br />

StAK 623 Nr. 8865, S. 100. S<strong>im</strong>mers „offizielle“ Quelle ist unbekannt. <strong>Die</strong> Unterbringungszahlen schwankten<br />

zwischen 7 und 10 % der Bevölkerung, Dortmund aber bot z. B. nur 1,4 % seiner Bevölkerung bombensicheren<br />

Schutz. Bonn hatte mit 24.500 Bunkerplätzen Mitte 1944 genauso viele Bunkerplätze wie das wesentlich größere<br />

Köln und damit auch mehr als <strong>Koblenz</strong>. Brinkhus: Auftragsverwaltung, S. 233. Noch 1948 verwies S<strong>im</strong>mer auf<br />

die relativ gesehen meisten bombensicheren Unterkünfte aller deutschen Städte; StAK 623 Nr. 9743, S. 297.<br />

75<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 235.<br />

76<br />

NB, 15./16.1.1944: Kampf dem Bombenterror.<br />

77<br />

NB, 24.1.1944: Erhöhte Bereitschaft <strong>im</strong> Kampf gegen Bombenterror. S<strong>im</strong>on, der versuchte, die Bevölkerung<br />

auf eine bevorstehende Verschärfung des Luftkrieges einzust<strong>im</strong>men, beschwor die unerschütterliche deutsche<br />

Kriegsmoral. <strong>Die</strong> schlechte Luftschutzdisziplin der <strong>Koblenz</strong>er müsse aber noch verbessert werden, er habe<br />

zahlreiche Mängel und Nachlässigkeiten, z. B. bei der Verdunkelung, entdeckt.<br />

78<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 255; NB, 16.5.1944: Für den Bestand des Reiches.<br />

79<br />

Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 169. Am 6.10.1944 notierte er wieder: „<strong>Die</strong> Stadt hat zu wenig Bunker.“<br />

Ebd., S. 176.<br />

80<br />

NB, 9./10.9.1944: Keine „reservierten Plätze“ <strong>im</strong> Bunker.<br />

81<br />

StAK 623 Nr. 7013, S. 1-87; ebd. Nr. 7135, S. 1-45, 51-57, 59, 120-162.


565<br />

Luftgefährdung und Betreuung der Betroffenen“ wurden am 19. Februar 1941 durch die<br />

„Richtlinien für die Betreuung von Fliegergeschädigten“ ersetzt. Der ständigen Überprüfung<br />

und Anpassung der Einsatzpläne dienten auch die Luftschutz-Planbesprechungen be<strong>im</strong><br />

Polizeipräsidenten als dem ÖLSL, an denen Smits als Vertreter der Stadt teilnahm. Dabei<br />

wurden seit Juni 1941 in mehrmonatigen Abständen Katastrophenszenarien durchgespielt. Im<br />

Juli 1941 reiste Smits nach Düsseldorf zu einer Sitzung der DGT-Provinzialdienststelle über<br />

Fragen der Betreuung der Bevölkerung nach Luftangriffen. 82 Ergebnis war der neue, streng<br />

vertrauliche „ALARMPLAN für das städtische Kriegsschäden- und Quartieramt“ vom<br />

20. November 1941. 83<br />

<strong>Die</strong> Aufgabenverteilung war <strong>im</strong> Wesentlichen klar: Der ÖLSL, d. h. konkret der<br />

Kommandeur der Schutzpolizei, 84 war mit Hilfe der Polizei, Luftschutzpolizei und Feuerwehr<br />

für die unmittelbare Schadensbekämpfung und die Bergung von Toten und Verletzten<br />

zuständig. <strong>Die</strong> Wehrmacht half bei Bergungs- und Aufräumarbeiten und hielt Massen-<br />

quartiere für ca. 8.000 ausgebombte Obdachlose sowie Fahrzeuge bereit. <strong>Die</strong> Stadt erstellte<br />

Quartierlisten mit etwa 2.000 Ersatzunterkünften für die Ausgebombten (Bürgerquartiere,<br />

Hotels, Gaststätten etc.). Das entsprach zwar nicht den vom RVK für den Wehrkreis XII <strong>im</strong><br />

Mai 1941 geforderten 3 Prozent der Einwohnerzahl für innerörtliche Quartiere, wurde von<br />

Smits aber für ausreichend erklärt. Als die Stadt sich <strong>im</strong> Februar 1941 bei der Regierung<br />

vorsorglich um weitere auswärtige Unterbringungsmöglichkeiten für den Fall größerer<br />

Gebäudeschäden bemühte, reagierte man dort mit Befremden: Man habe erwartet, es sei<br />

längst alles bis ins Kleinste geregelt. S<strong>im</strong>mer ließ diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen. Er<br />

konterte <strong>im</strong> März, selbstverständlich seien alle Vorkehrungen getroffen, die Stadt handele<br />

aber aus eigenem Antrieb aufgrund der Erfahrungen anderer Städte, in denen man trotz frei<br />

gewordener Judenwohnungen Probleme gehabt habe, genügend Ausweichquartiere zu stellen.<br />

<strong>Die</strong> Regierung sagte schließlich <strong>im</strong> April 2.000 Quartiere in vier Landkreisen zu. Im<br />

September pochte Mischke darauf, eventuelle Umquartierungen selbst in der Hand behalten<br />

zu wollen, als sich S<strong>im</strong>mer – <strong>im</strong> Einklang mit einem neuen Ministerialerlass – selbständig mit<br />

dem <strong>Koblenz</strong>er Landrat in Verbindung gesetzt hatte. 85 Eine undatierte Liste der Notquartiere<br />

in <strong>Koblenz</strong> und umliegenden Ortschaften von ca. 1943 beziffert die Aufnahmekapazität mit<br />

insgesamt 6.250 Personen. 86<br />

Bei der Einrichtung der Sammelstellen, die die Fliegergeschädigten unmittelbar nach dem<br />

Angriff aufsuchen und wo sie eine Erstverpflegung erhalten sollten, griffen Fuhlrott und<br />

Smits auf die Mithilfe der Partei und der NSV zurück. Nach einer Vereinbarung mit Cattepeol<br />

82 StAK 623 Nr. 7017; ebd. Nr. 7011, S. 13-15; ebd. Nr. 7135, S. 46-50.<br />

83 StAK 623 Nr. 7026, S. 250-261 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Eine kurze, undatierte (ca. 1943)<br />

Zusammenfassung der „Aufgaben der Gemeinden <strong>im</strong> Katastrophenfall“ s. ebd. Nr. 7018, S. 155 f.<br />

84 Hampe: Der Zivile Luftschutz, S. 322.<br />

85 StAK 623 Nr. 7017.<br />

86 StAK 623 Nr. 9421, S. 21-24.


566<br />

waren in den Betreuungsrichtlinien vom 29. Mai 1940 die NSDAP-Ortsgruppengeschäfts-<br />

stellen, die bei Fliegeralarm ohnehin besetzt waren, als erste Sammelstellen für Obdachlose<br />

vorgesehen. 87 In der Überarbeitung vom 19. Februar 1941 waren sie durch die Volksschulen<br />

ersetzt worden. 88 <strong>Die</strong> NSV sollte die Erstverpflegung übernehmen. Smits wusste aus den<br />

Erfahrungen anderer Städten, dass die „schnelle Verabreichung“ von belegten Broten und<br />

Kaffee an die Fliegergeschädigten schon kurz nach dem Angriff durch NSV „die günstigsten<br />

Folgen hinsichtlich der Beruhigung der Betroffenen“ habe. Für die Bevorratung der<br />

Lebensmittel und anderer Bedarfsgüter sorgte das städtische Wirtschafts- und Ernährungsamt.<br />

Smits wies mehrfach auf die „unter allen Umständen freundliche Behandlung der<br />

Obdachlosen <strong>im</strong> Hinblick auf das psychologische Moment“ hin. 89 Bereits der Alarmplan vom<br />

20. November 1941 sah den Einsatz der städtischen Fürsorgerinnen vor, die bis zum<br />

Eintreffen der Politischen Leiter der Partei eine erste Betreuung der Fliegergeschädigten<br />

leisten sollten. Im Juni 1943 wurde vereinbart, dass S<strong>im</strong>mer, Fuhlrott, Smits und Baurat Fritz<br />

Berg die Fürsorgerinnen gesondert über die vorgesehenen Maßnahmen unterrichteten, denn<br />

deren Arbeit löse „besondere Beruhigung“ aus. 90 Zu den Aufgaben der Stadt gehörte auch die<br />

Bereitstellung von Krankenbetten für die Verletzten sowie des Ärzte- und Pflegepersonals. 91<br />

Während die Bergung von Leichen zu den Aufgaben des ÖLSL bzw. des Sicherheits- und<br />

Hilfsdienstes (SHD) 92 gehörte, war ihr Abtransport, die Einsargung sowie Beerdigung bzw.<br />

Überführung Sache der <strong>Stadtverwaltung</strong>. 93 Dazu wurde 1941 eine Vereinbarung zwischen der<br />

städtischen Polizei und dem Fachschaftsleiter der Bestattungsgeschäfte getroffen, 94 der sich<br />

um den sofortigen Abtransport kümmern sollte. <strong>Die</strong> Stadt richtete fünf Leichensammelstellen<br />

ein; die von S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Januar 1943 gewünschte Einrichtung weiterer dezentraler<br />

Sammelstellen schob Wüst noch <strong>im</strong> Februar 1944 vor sich her. 95 Das Reichspropaganda-<br />

ministerium hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Leichen „zur Vermeidung eines<br />

ungünstigen psychologischen Eindrucks nicht auf öffentlichen Plätzen aufgebahrt werden“<br />

dürften, sondern schnellstmöglich zu überführen waren. 96 Auf Wunsch der Kr<strong>im</strong>inalpolizei<br />

sollten die Toten zur Leichenhalle des Hauptfriedhofs gebracht werden, wo sie die<br />

Identifizierung vornahm. 97 Den Vorrat an Särgen erhöhte die städtische Polizei <strong>im</strong> Laufe des<br />

Jahres 1942 von 100 auf 500 Stück. 98<br />

87<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 1-13.<br />

88<br />

StAK 623 Nr. 7010, S. 1-10.<br />

89<br />

StAK 623 Nr. 7017, Zitate S. 51, 172.<br />

90<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 254; ebd. Nr. 5602, S. 158 (Zitat).<br />

91<br />

StAK 623 Nr. 7010, S. 35 f.; Nr. 7018, S. 81.<br />

92<br />

Zum SHD vgl. Hampe: Der Zivile Luftschutz, S. 61-72.<br />

93<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 67; ebd. Nr. 7015, S. 231 f.; ebd. Nr. 7026, S. 150.<br />

94<br />

StAK 623 Nr. 7010, S. 7. Es handelte sich um Ernst Hils vom Beerdigungsinstitut Bloemers.<br />

95<br />

StAK 623 Nr. 7015, S. 11, 233 f.; ebd. Nr. 7018, S. 3; ebd. Nr. 7026, S. 25.<br />

96<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 19.<br />

97<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 171, 173 f.<br />

98<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 173, 371, 422 f.; ebd. Nr. 7018, S. 3, 9.


567<br />

Auch die Sorge für die Sicherung des Kunst- und Kulturgutes <strong>im</strong> Stadtkreis oblag der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>. Zusätzlich zu seinen vielen anderen Aufgaben war Smits bereits Mitte 1939<br />

zum „Stadtkonservator“ bestellt worden. 99<br />

Am 6. April 1942, dem Ostermontag, hatten die Luftschutzplanungen ihre erste<br />

Bewährungsprobe zu bestehen, als ein Bombentreffer inmitten der Stadt in der Schloßstraße<br />

elf Todesopfer forderte. 100 In einer Besprechung der Dezernenten und betroffenen<br />

Abteilungsleiter unter S<strong>im</strong>mers Vorsitz am 10. April wurden die Erfahrungen ausgewertet.<br />

<strong>Die</strong> Pläne hatten sich <strong>im</strong> Großen und Ganzen bewährt, doch es waren auch Fehler bzw.<br />

Unvorhergesehenes passiert. Versehentlich war der Vertreter der Stadt für die Zusammen-<br />

arbeit be<strong>im</strong> ÖLSL, Stadtbaurat Alfons Bliemel, 101 zu spät informiert worden. Da Leitungen<br />

gestört waren, wurde ein eigener Meldedienst beschlossen, der dann aus den männlichen<br />

Lehrlingen der <strong>Stadtverwaltung</strong> und Oberschülern 102 zusammengestellt wurde. In der<br />

Sammelstelle für die Obdachlosen hatte alles funktioniert, aber der SHD hatte Bergungsgut<br />

schlecht behandelt, und das Verhalten eines Glasermeisters war kritisiert worden. Entgegen<br />

früherer Abmachungen hatte der SHD die Leichen direkt zur Leichenhalle befördert, 103 wo sie<br />

zwei Tage später noch uneingesargt lagen. Bei der Gemeinschaftsverpflegung durch die NSV<br />

hatte es offenbar Probleme gegeben, denn „aufgrund der Erfahrungen“ sollte sie in Zukunft<br />

nur noch Erfrischungen reichen, während die Küche des Bürgerhospitals die Mahlzeiten für<br />

die Gemeinschaftsverpflegung kochte. 104<br />

Am 13. Juni 1942 fand eine weitere Besprechung unter S<strong>im</strong>mers Leitung statt, bei der auch<br />

ein Bericht zum Luftangriff auf Lübeck am 28./29. März 1942, dem ersten Flächen-<br />

bombardement, ausgewertet wurde. Auch der „1000-Bomber-Angriff“ auf das nahe Köln am<br />

30./31. Mai 1942 105 hatte die neue D<strong>im</strong>ension des Bombenkrieges vor Augen geführt. Der<br />

Oberbürgermeister wies „eindringlich“ darauf hin, dass kein Außenstehender der Stadtver-<br />

waltung ihre Verantwortung abnehmen könne, insbesondere nicht der neue Einsatzstab des<br />

Gauleiters. 106 Mit diesem Einsatzstab, dem S<strong>im</strong>mer ebenso wie Cattepoel und Wetter<br />

angehörte, war <strong>im</strong> Mai ein weiterer Akteur <strong>im</strong> Bereich des zivilen Luftschutzes ins Spiel<br />

99 StAK 623 Nr. 6687, S. 8; ebd. Nr. 3915, S. 439; ebd. Nr. 7010, S. 41; ebd. Nr. 7018, S. 30-32, 83. Zum<br />

umfangreichen Thema Kunstschutz, das aus Platzgründen vernachlässigt werden muss, vgl. ebd. Nr. 6744; ebd.<br />

Nr. 7007; Petra Weiß: <strong>Die</strong> Bergung von Kulturgütern auf der Festung Ehrenbreitstein. In: JbwestdtLG 26 (2000),<br />

S. 421-452.<br />

100 Schnatz: Luftkrieg, S. 10-12; NB, 7.4.1942: Britenbomben auf Wohnhäuser in <strong>Koblenz</strong>.<br />

101 Vertreter der Stadt war bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht Klose, dann wurde am 31.10.1941 Bliemel<br />

bestellt; StAK 623 Nr. 7017, S. 305-309; ebd. Nr. 9569, S. 110.<br />

102 StAK 623 Nr. 7000, S. 16; ebd. Nr. 7015, S. 35 f., 40-51.<br />

103 StAK 623 Nr. 7026, S. 44-47. Be<strong>im</strong> SHD herrschte Unkenntnis über die Arbeitsteilung, wie die städtische<br />

Polizei Abt. VII mitteilte. Es wurde eine neue Vereinbarung getroffen, den Leichentransport zwar durch den<br />

SHD durchführen zu lassen, den Bereitschaftsdienst der Bestattungsunternehmen aber aufrecht zu erhalten.<br />

104 StAK Nr. 7017, S. 349-351, 362-366, 376-380, Zitat S. 362.<br />

105 In einer Vorlage für die Landratsdienstbesprechung be<strong>im</strong> RP am 10.6.1942 wies Smits darauf hin, dass<br />

<strong>Koblenz</strong> weder für die Aufnahme von Kölnern vorgesehen noch wegen eigener Gefährdung geeignet sei; StAK<br />

623 Nr. 7015, S. 357.<br />

106 StAK 623 Nr. 7018, S. 49-51, Zitat S. 49.


568<br />

gekommen. 107 Wieder wurden die internen städtischen Richtlinien überarbeitet und am 7. Juli<br />

1942 durch die „<strong>Die</strong>nstanweisung für den Einsatzstab der Verwaltung der Gauhauptstadt<br />

<strong>Koblenz</strong>“ mit dem Titel „Massnahmen in Katastrophenfällen (Fliegergroßangriffe)“ ersetzt. 108<br />

Für die Gemeinschaftsverpflegung war darin doch wie bisher die NSV vorgesehen, die dazu<br />

mehrere Großküchen nutzen sollte. 109<br />

Dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> und Kreisleiter Cattepoel an Abmachungen auch entgegen S<strong>im</strong>ons<br />

Anweisungen festhielten, beweist die Frage der Unterbringung von Obdachlosen. S<strong>im</strong>on hatte<br />

als Einsatzstableiter die Unterbringung der Obdachlosen zur ausschließlichen Aufgabe des<br />

Kreisleiters in Zusammenarbeit mit der NSV erklärt. Cattepoel bestätigte Smits <strong>im</strong> September<br />

1942 jedoch, er trage die alleinige Verantwortung und es bleibe bei der abgemachten<br />

Verteilung, d. h. die <strong>Stadtverwaltung</strong> kümmerte sich um die Quartiere und Umquartierungs-<br />

maßnahmen innerhalb der Stadt und die Kreisleitung außerhalb der Stadt. 110 Auch die<br />

Entscheidung über die Ausquartierung an sich und ihr Ausmaß traf der Kreisleiter, allerdings<br />

gemeinsam mit ÖLSL und Oberbürgermeister. 111<br />

Es gibt keine Anhaltspunkte, die gegen das „menschlich gute Verhältnis“ 112 zwischen<br />

Vertretern der <strong>Stadtverwaltung</strong> und Cattepoel sprechen, dessen Aufgabengebiet<br />

„Menschenführung“ sich mit zunehmender Kriegsdauer <strong>im</strong>mer mehr zum Krisen-<br />

management wandelte. 113 Im August 1941 wurde Cattepoel von Gauleiter S<strong>im</strong>on aufgrund<br />

der „mustergültig[en]“ Führung seines Kreises, seiner „Umsicht und Tatkraft und nie<br />

erlahmende[n] Einsatzfreude“ für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse vorgeschlagen. 114 Aus<br />

unbekannten Gründen gab es <strong>im</strong> November 1943 Pläne, Cattepoel durch den 12 Jahre<br />

jüngeren Gaupropagandaleiter Urmes zu ersetzen, die jedoch nicht verwirklicht wurden. 115<br />

Ein Erlass Görings über die „Abgrenzung von Befehlsbefugnissen“ vom 17. Dezember 1942<br />

stellte für den Bereich des Luftschutzes die Aufgaben und Zuständigkeiten von ÖLSL, Partei<br />

und RVK noch einmal klar: 116 Darin wurde der Partei „in allen Fragen der Menschenführung<br />

und Menschenbetreuung die alleinige Verantwortung“ auferlegt, was hauptsächlich die<br />

Bereitstellung von Auffangstellen und die Erstbetreuung der Obdachlosen bedeutete. <strong>Die</strong><br />

Aufgaben der Gemeindeverwaltung, der sich der RVK bedienen konnte, waren am<br />

107<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 23-26. Vgl. Schnatz: Luftkrieg, S. 28.<br />

108<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 262-269, Zitate S. 262 (Unterstreichungen <strong>im</strong> Original). Damit gilt auch für <strong>Koblenz</strong>,<br />

dass sich der Luftkrieg als „Lehrmeister“ erwies, indem die „schmerzlichen Erfahrungen“ anderer Städte den<br />

Zivilschutz andernorts verbessern halfen; Bernhard Gotto: Kommunale Krisenbewältigung. In: Süß (Hg.):<br />

Deutschland <strong>im</strong> Luftkrieg, S. 41-56, hier S. 43.<br />

109<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 65, 75.<br />

110<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 122, 124 f.<br />

111<br />

StAK 623 Nr. 7010, S. 36.<br />

112<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 29.<br />

113<br />

Roth: Kreisleiter, S. 305.<br />

114<br />

BArch (ehem. BDC), PK, Cattepoel, Wilhelm, 18.8.1898.<br />

115<br />

BArch R 55/20737. Welche neue Aufgabe für Cattepoel vorgesehen war, ist unbekannt.<br />

116<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 191-194. Vgl. Schnatz: Luftkrieg, S. 18.


569<br />

umfangreichsten und langwierigsten. Ihr fiel es zu, wie es eine interne Zusammenfassung der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> formulierte, „die von dem Angriff geschlagenen Wunden zu heilen, die<br />

Schäden zu beheben und aus Mitteln des Reiches zu entschädigen sowie die Obdachlosen in<br />

Dauerunterkünfte zu bringen.“ 117<br />

Der Gau Moselland war in einem Schnellbrief des Reichsinnenministers vom Juli 1943 für<br />

seine Bewohner gleichzeitig zum Aufnahme- und Entsendegau best<strong>im</strong>mt worden, d. h.<br />

innerhalb des Gaues sollte umquartiert werden. Zum Ärger von Gauleiter S<strong>im</strong>on waren aber<br />

schon Zehntausende von Fliegergeschädigten aus den Gauen Köln-Aachen, Essen, Düsseldorf<br />

und Westfalen-Süd zugezogen, wodurch die „überaus missliche Situation entstanden“ war,<br />

dass viele Ausweichquartiere bereits belegt waren. 118 Dem Oberbürgermeister schob S<strong>im</strong>on<br />

als RVK die unangenehme Aufgabe zu, die Personen aus anderen Gauen festzustellen und<br />

höflich zur Abreise binnen zwei Wochen aufzufordern. Eine zweite höfliche, aber best<strong>im</strong>mte<br />

Ermahnung sollte durch den Ortsgruppenleiter erfolgen. Wenn diese auch nichts fruchtete,<br />

sollten Uneinsichtige letztmalig vom Oberbürgermeister unter Androhung des Entzugs von<br />

Lebensmittelkarten und Familienunterhalt zur Abreise bewegt werden. Ausnahmen waren nur<br />

bei Verwandten zulässig, Härten sollten aber vermieden werden. S<strong>im</strong>on war klar, wie heikel<br />

diese Mission in Bezug auf die St<strong>im</strong>mung der Bombengeschädigten und der Bevölkerung<br />

war. Er mahnte deshalb zu rücksichtsvollem Vorgehen. Aufgrund des Ministerialerlasses<br />

verfügte S<strong>im</strong>mer die Beschlagnahme vorhandener Bürgerquartiere. Wüst erfuhr, dass die vom<br />

RVK verlangte Erfassung der auswärtigen Fliegergeschädigten und der Quartiere <strong>im</strong><br />

Landkreis durch die Partei erfolgte. Smits schlug S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> August vor, ebenso zu verfahren<br />

und deswegen mit der Kreisleitung zu verhandeln, da für die umfangreiche Arbeit kein<br />

Personal vorhanden und mit zahlreichen Einsprüchen zu rechnen sei. 119<br />

S<strong>im</strong>mer und Cattepeol veröffentlichten <strong>im</strong> August 1943 einen gemeinsamen Aufruf „An die<br />

Bevölkerung der Stadt <strong>Koblenz</strong>!“ Darin appellierten sie an die Einwohner, sich vorsorglich<br />

bei Verwandten in weniger luftgefährdeten Gebieten des Gaues unterzubringen. <strong>Die</strong><br />

notwendigen Formalitäten, insbesondere die Ausstellung der Abreisebestätigung, erledige die<br />

NSV-Ortswaltung, bei der auch ein Freifahrtschein ausgegeben werde. Ein „planloses<br />

Abreisen“ sei <strong>im</strong> Interesse einer problemlosen Lebensmittelversorgung zu vermeiden. 120 Der<br />

Polizeipräsident hatte ein Jahr zuvor mitgeteilt, dass an den Hauptausfallstraßen<br />

„Abwanderungs-Sperrposten“ aus Polizei und Politischen Leitern eine „wilde Abwanderung<br />

der Zivilbevölkerung“ <strong>im</strong> Katastrophenfall verhindern sollten. 121 Am 5. September 1943<br />

117 StAK 623 Nr. 7018, S. 155 f.<br />

118 StAK 623 Nr. 7018, S. 204-213, 238-241, Zitat S. 238 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original). Ein ministerieller<br />

Erlass vom 19.4.1943 hatte den Gau Moselland als Reserve-Aufnahmegau genannt; ebd., S. 211.<br />

119 StAK 623 Nr. 7015, S. 329-336; ebd. Nr. 7026, S. 342; NB, 31.7./1.8.1943: Anordnung über die Meldepflicht<br />

der Bombengeschädigten oder vorsorglich umquartierten Personen <strong>im</strong> Gau Moselland.<br />

120 StAK 623 Nr. 7015, S. 304; ebd. P 212.<br />

121 StAK 623 Nr. 7018, S. 113.


570<br />

gaben Oberbürgermeister und Kreisleiter ein grünes Merkblatt „An alle Einwohner von<br />

<strong>Koblenz</strong>! Merkblatt für Obdachlose“ heraus, in dem sie die Volksgenossen mit vertraulichem<br />

„Du“ anredeten. In beruhigendem Ton bekamen die <strong>Koblenz</strong>er Informationen zum Verhalten<br />

bei Luftangriffen, zu Auffangplätzen und Notquartieren, verbunden mit der Mahnung zu<br />

„Ruhe und Disziplin“. 122<br />

Anstatt der Sammelstellen waren jetzt jeder NSDAP-Ortsgruppe größere Freiflächen und<br />

Sportplätze als Auffangplätze zugeteilt, außerdem Auffangquartierorte, d. h. Orte in der<br />

näheren ländlichen Umgebung. 123 <strong>Die</strong> Einwohner waren in die Personengruppen 1 a, 1 b, 2<br />

und 3 eingeteilt, je nach Kriegswichtigkeit ihres Aufenthalts in der Stadt. 124 Nur<br />

Fliegergeschädigte der Personengruppe 1 a mussten aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit<br />

unbedingt <strong>im</strong> Stadtgebiet verbleiben. Ihnen stellte die Kreisleitung die „Berechtigungskarte<br />

für Zuweisung einer Ersatzunterkunft an Obdachlose der Personengruppe 1a“ aus. Zu den<br />

geschätzten 7.000 Personen 125 dieser Gruppe gehörten alle Bediensteten der <strong>Stadtverwaltung</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Inhaber der Berechtigungskarte hatten sich an ihre zuständige Ortsgruppe zu wenden, da<br />

die Zellen- und Blockleiter am besten über die Unterkunftsmöglichkeiten Bescheid wüssten.<br />

Es komme laut Smits darauf an, dass die Obdachlosen für die ersten Stunden und notfalls<br />

Tage „geborgen“ seien, die endgültige Zuweisung eines Quartiers erledige dann das<br />

Quartieramt. 126<br />

Wie in einem Schnellbrief des Reichsinnenministers vom Juli 1943 gefordert, 127 richteten das<br />

Wirtschafts- und Ernährungsamt sowie das Kriegsschädenamt gemeinsame dezentrale<br />

„Bezirksstellen“ ein, in denen die Obdachlosen Bezugsscheine, Lebensmittel- und<br />

Sonderkarten, Berechtigungsscheine für Gemeinschaftsverpflegung, Brennstoff, Hausrat und<br />

Bargeld erhielten, Schadensanträge aufgenommen sowie Abreisebescheinigungen ausgestellt<br />

wurden. Gearbeitet wurde in den acht Bezirksstellen <strong>im</strong> „Langentisch-System“, d. h. die<br />

Sachbearbeiter saßen in der richtigen Bearbeitungsreihenfolge an Tischen, um den<br />

Geschädigten einerseits Wege zu ersparen, andererseits eine geordnete Abfertigung zu<br />

gewährleisten. Beteiligt war auch eine Vertretung des Arbeitsamtes. Nach der mehrtägigen<br />

Abwicklung vor Ort gingen die Bezirksstellen in die „Sachschädenbearbeitungsraten“ über.<br />

Neben den Bezirksstellen wurden elf „fliegende Kolonnen“ gebildet, deren Einsatz je nach<br />

Bedarf in den 29 Auffangquartierorten vorgesehen war. 128<br />

122<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 10. Ein älteres, nicht überliefertes rotes Merkblatt wurde durch das neue grüne<br />

ungültig.<br />

123<br />

StAK 623 Nr. 7015, S. 232a.<br />

124<br />

Personengruppe 1 b: sonstige Einsatzfähige bzw. Berufstätige ab 14 Jahre, 2: nicht mehr Arbeitsfähige bzw.<br />

Erwerbstätige, 3: Schwangere und Mütter mit Kleinkindern bis 2 Jahre; StAK 623 Nr. 7000, S. 23.<br />

125<br />

Erste Schätzungen waren von 10.000 Personen ausgegangen; StAK 623 Nr. 7015, S. 184.<br />

126<br />

StAK 623 Nr. 7015, S. 350. Beispiele für Berechtigungskarten vgl. ebd. N 91 Nr. 3; ebd. FA1, NS-Zeit 1939-<br />

1945.<br />

127<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 234 f.<br />

128<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 27, 29-31, 53 f., 58 f., 128 f.; ebd. Nr. 7015, S. 243-251, 260, 263 f., 354-356.


571<br />

S<strong>im</strong>mer ordnete <strong>im</strong> April 1943 an, dass die Verpflegung der Fliegergeschädigten überprüft<br />

werden sollte, obwohl S<strong>im</strong>on als RVK ausdrücklich die NSV dafür verantwortlich gemacht<br />

hatte. Im Juli wurden noch einmal sämtliche Verpflegungsstellen – Truppen-, Groß- und<br />

Feldküchen – festgestellt, zusätzlich konnte bei Engpässen be<strong>im</strong> Wehrmachtkommando ein<br />

Eisenbahnverpflegungszug angefordert werden. Für den Fall der Zerstörung von Gasleitungen<br />

wurde auch für die Nicht-Fliegergeschädigten eine Gemeinschaftsverpflegung vorgesehen.<br />

Weitere Einzelheiten wurden in einer Besprechung mit Fuhlrott, Dolle und Smits auf Seiten<br />

der Stadt sowie NSV-Kreisamtsleiter Walther Richter und seinem Sachbearbeiter Thieme<br />

geregelt. Dolle erklärte, gegen die Ausgabe von Bezugsscheinen durch die NSV bestünden<br />

keine Bedenken, sie seien bis Ende Juli <strong>im</strong> Besitz der Kreisamtsleitung. Lebensmittelvorräte<br />

sollten bei den Notquartieren angelegt werden, da <strong>im</strong> Ernstfall ein Transport unmöglich sei.<br />

<strong>Die</strong> Kontrolle der Lebensmittellager lag bei den NSV-Waltern. <strong>Die</strong> Kosten trug das Reich,<br />

während die Stadt für die Anschaffung von Speisenträgern, Essgeräten 129 usw. in Vorlage trat.<br />

Schon <strong>im</strong> Oktober 1942 hatte Fuhlrott Richter über die Einrichtung zweier Lebensmittellager<br />

für Obdachlose und Selbstschutzkräfte in Rübenach und Arenberg unterrichtet sowie die NSV<br />

ermächtigt, „in ständigem engsten Einvernehmen mit Ernährungsamt“ darüber zu verfügen.<br />

Mischke informierte als Vertreter des RVK über einen Erlass des GBV vom März 1943, 130<br />

dass die Landeswirtschafts- und Ernährungsämter genug Vorräte in dezentralisierten Lagern<br />

für die Erstversorgung nach schweren Bombenangriffen angelegt hätten. Das Stellvertretende<br />

Generalkommando Wehrkreiskommando XII teilte <strong>im</strong> August 1943 mit, zur Versorgung<br />

durch die NSV seien besondere Lebensmittellager der Landesernährungsämter sowie<br />

Reichslager der NSV eingerichtet worden, darüber hinaus leiste die Wehrmacht auf<br />

Anforderung Hilfe aus der Truppenversorgung. 131<br />

Spannungen und Kompetenzstreitigkeiten entstanden weder mit der NSDAP-Kreisleitung<br />

noch mit der NSV-Kreisamtsleitung, aber verwaltungsintern zwischen Smits und Stadt-<br />

oberbaurat Robert Gerhards 132 , dem Leiter des Amtes für Sofortmaßnahmen. Dazu mag<br />

beigetragen haben, dass S<strong>im</strong>mer in einer Dezernentenbesprechung <strong>im</strong> Juni 1943 die<br />

Überprüfung und Herrichtung der Not- und Ausweichquartiere, die bisher in Smits’<br />

Zuständigkeit lagen, Gerhards übertrug. 133 Jedenfalls funktionierte 1943 mehrfach die<br />

Zusammenarbeit von Abteilung VII und dem Amt für Sofortmaßnahmen nicht, z. B. bei der<br />

Erstellung von Quartierlisten und Personaleinsatzplänen, sodass sich Fehler einschlichen. Bei<br />

der Schaffung eines Baustoffvorrats reagierte Gerhards gereizt auf Smits’ „Erinnerungen“. 134<br />

129 Es wurden 120.000 Essnäpfe und Trinkbecher bestellt. <strong>Die</strong> Bevölkerung wurde angewiesen, mindestens einen<br />

Löffel mit in den Luftschutzkeller zu nehmen. StAK 623 Nr. 7015, S. 190.<br />

130 StAK 623 Nr. 5602, S. 83 f.<br />

131 StAK 623 Nr. 7015, S. 138-140, 188-191, Zitat S. 191; ebd. Nr. 7018, S. 251, 267, 272-275.<br />

132 * 12.6.1898 Düsseldorf, + 14.10.1950 <strong>Koblenz</strong>, katholisch, verheiratet, Architekt, 1933 NSDAP-Mitglied,<br />

1936/37 Stadtbaumeister in Mayen bzw. Suhl, 1937-Dezember 1942 Stadtbaurat und Erster Beigeordneter in<br />

Gronau; BArch (ehem. BDC), PK, Gerhards, Robert, 12.6.1898; StAK FA 4 Nr. 24, Bild 1.<br />

133 StAK 623 Nr. 5602, S. 156 f.<br />

134 StAK 623 Nr. 7015, S. 162-165, 265 f., 270-274, 341, 384 (Zitat).


572<br />

<strong>Die</strong>s war ein Grund dafür, dass am 1. Februar 1944 Abteilung I M[obilmachung] zentral die<br />

laufende Fortschreibung eines neuen „Einsatzplans der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> für den<br />

Soforthilfefall“ übernahm, in dem erstmals sämtliche Aufgaben der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

zusammengefasst waren. Alle alten <strong>Die</strong>nstanweisungen wurden am 28. Februar 1944<br />

aufgehoben. Das bisher benutzte Wort „Katastrophe“ war wegen seiner „psychologisch und<br />

politisch unerfreulich[en]“ Wirkung, wie es in der entsprechenden Empfehlung des<br />

Regierungspräsidenten vom Dezember 1943 hieß, 135 durch „Soforthilfe“ ersetzt worden. In<br />

der Einleitung hieß es, der Einsatzplan diene der „Vermeidung eines Gegeneinander- und<br />

Nebeneinanderarbeitens“ von ÖLSL, Partei und Stadt, aber: „Wenn es gilt Menschenleben zu<br />

retten und dringende Schäden zu beheben, dann muss jeder da anpacken, wo Hilfe nottut,<br />

selbst wenn dadurch Befugnis- und Zuständigkeitsfragen vorübergehend verletzt werden.“ 136<br />

Für alle die <strong>Stadtverwaltung</strong> selbst betreffenden Luftschutzmaßnahmen wurde Trampp <strong>im</strong><br />

Februar 1944 von S<strong>im</strong>mer zum Sonderbeauftragten bestellt. Als Ausweichquartier <strong>im</strong> Falle<br />

der Zerstörung des Rathauses war die Lehrerinnenbildungsanstalt vorgesehen. 137 Am<br />

10. März 1944 inspizierte Ministerialdirektor Alfred-Ingemar Berndt mit einer Delegation die<br />

<strong>Koblenz</strong>er Luftschutzbereitschaft. Berndt war der Stellvertreter Goebbels’ in dessen Funktion<br />

als Vorsitzender des Interministeriellen Luftkriegschädenausschusses und Geschäftsführer der<br />

Reichsinspektion der zivilen Luftkriegsmaßnahmen. S<strong>im</strong>mer gehörte zu den Teilnehmern des<br />

Besichtigungsprogramms, außerdem u. a. Reckmann, Neumann, Urmes, Cattepoel, Wetter<br />

und Mischke. Nach dem Vormittagsprogramm hatte S<strong>im</strong>mer auf Wunsch der Gauleitung zu<br />

einem Essen auf dem Rittersturz geladen. Danach fand <strong>im</strong> Sitzungssaal der Regierung ein<br />

Planspiel statt, anschließend gab die Gauleitung ein Abendessen <strong>im</strong> Rheinhotel. 138 Der<br />

Bericht Berndts („Führerinformation“) über die Reichsinspektion des Gaues Moselland wird<br />

zwar erwähnt, 139 ist jedoch nicht überliefert.<br />

Als ab Frühjahr 1944 quasi Daueralarm herrschte, schien die <strong>Stadtverwaltung</strong> bestmöglich für<br />

Katastrophenfälle gerüstet, doch letztlich überstieg deren Ausmaß den Rahmen des Plan- und<br />

Machbaren. Vom 19. April 1944 bis 29. Januar 1945 flogen die amerikanische und britische<br />

Luftwaffe 37 Angriffe auf <strong>Koblenz</strong>, 140 bei denen ca. 870 zivile, deutsche und ausländische<br />

135 StAK 623 Nr. 7026, S. 144. Der am 2.3.1944 durch den Regierungspräsidenten mitgeteilte Vorschlag des<br />

Reichspropagandaministeriums vom 18.2.1944, „Soforthilfe“ durch „Luftkriegseinsatz“ zu ersetzen, blieb<br />

weitgehend unbeachtet, wahrscheinlich weil der neue Einsatzplan gerade unter dem Begriff „Soforthilfe“<br />

erschienen war. Ebd., S. 145; ebd. Nr. 8833, S. 135.<br />

136 StAK 623 Nr. 7000, S. 11-19, 42, 48-52, 55-57, Zitat S. 14.<br />

137 StAK 623 Nr. 7000, S. 16; ebd. Nr. 7018, S. 33 f.; ebd. Nr. 9571, S. 11.<br />

138 StAK 623 Nr. 5602, S. 257-260. Gauleiter und RVK S<strong>im</strong>on hatte am 20.1.1944 die beiden<br />

Krankenhausbunker Kemperhof inspiziert; ebd. Nr. 7746, S. 223 f. Zur Reichsinspektion und Berndt vgl.<br />

<strong>Die</strong>tmar Süß: Steuerung durch Information? Joseph Goebbels als „Kommissar der He<strong>im</strong>atfront“ und die<br />

Reichsinspektion für den zivilen Luftschutz. In: Hachtmann/Süß (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 183-206.<br />

139 BArch R 3101/10094, S. 279.<br />

140 Vgl. Übersicht in: Schnatz: Luftkrieg, S. 562-569; außerdem Aufstellung der Fliegeralarme in: StAK 623 Nr.<br />

7051.


573<br />

Todesopfer sowie 2.925 Verletzte zu beklagen waren. 141 <strong>Die</strong> schon <strong>im</strong> Herbst 1943 von der<br />

Stadt geplante Auslagerung von Hausrat wurde erst nach den April-Angriffen verwirklicht.<br />

<strong>Die</strong> gesamte Organisation, die der Firma Franz Lütke KG übertragen worden war, klappte<br />

reibungslos, doch Gerüchte über eine drohende Beschlagnahme des Auslagerungsgutes<br />

führten zu einer verhältnismäßig geringen Beteiligung seitens der Bevölkerung. Bis Anfang<br />

Juni 1944 machten nur ca. 500 Familien von dem Angebot Gebrauch. 142 Seit dem Herbst<br />

1944 lagerte die Stadt die aus beschädigten Wohnungen geborgenen Möbel und<br />

Hausratsgegenstände, deren Eigentümer <strong>Koblenz</strong> bereits verlassen hatten, nicht nur in<br />

Gaststättensälen des Landkreises ein, sondern verlieh sie auch an Ausgebombte, da eine<br />

Ersatzbeschaffung für deren zerstörtes Hab und Gut inzwischen so gut wie unmöglich<br />

geworden war. 143<br />

Nach jedem Angriff tagte der Einsatzstab des Oberbürgermeisters, übte „Manöverkritik“,<br />

suchte pragmatische Lösungen für aufgetretene Probleme und legte die nächsten Schritte fest.<br />

Je nach Ausmaß der Schäden gab es mehrere oder sogar tägliche Besprechungen. Das letzte<br />

überlieferte Protokoll betrifft die Einsatzbesprechung vom 10. Oktober 1944. Mit den<br />

Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten waren meist mehrere Hundert Mann beschäftigt<br />

(Handwerker, Soldaten, RAD-Männer, Technische Nothilfe, städtische Arbeiter, Kriegs-<br />

gefangene, Zwangsarbeiter, HJ aus einem Wehrertüchtigungslager, Luftschutzpolizei). Nach<br />

den ersten schweren Angriffen vom April waren Anfang Mai 1944 mehr als 1.300 Kräfte <strong>im</strong><br />

Einsatz, Ende September wurde der Spitzenwert mit 2.930 Einsatzkräften erreicht, darunter<br />

allein 1.700 Einsatzstürme der Partei. Als die Zuteilung von Arbeitern <strong>im</strong>mer schwieriger<br />

wurde, nutzte S<strong>im</strong>mer mehrfach seine alten Kontakte aus Studentenzeiten zu Dr. Hermann<br />

Unger 144 , seit 1943 kommissarischer Präsident des Gauarbeitsamtes. 145<br />

Zur Beschleunigung der Arbeiten ließ S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Zweischichtbetrieb, bei der Instandsetzung<br />

von beschädigten Gas- und Wasserleitungen zeitweise sogar <strong>im</strong> Dreischichtbetrieb arbeiten.<br />

EVM-Generaldirektor Einsmann kritisierte 1946, S<strong>im</strong>mer habe „trotz meiner Warnung an<br />

allen Bruchstellen gleichzeitig arbeiten lassen“. Er habe ihm gesagt, er richte dadurch mehr<br />

141 StAK 623 Nr. 8039, S. 8 f., 10. <strong>Die</strong>ser Entwurf für den Verwaltungsbericht 1946 nennt 899 Tote, darunter 35<br />

Tote, die <strong>im</strong> Februar/März 1945 bei der Eroberung von <strong>Koblenz</strong> umkamen. Zwölf Personen galten 1946 noch als<br />

vermisst. Schnatz gibt „mindestens 867“ Zivilopfer an; Helmut Schnatz/Helmut Noack/Hans-Josef Schmidt: „Im<br />

übrigen ist ganz K. ein Trümmerhaufen.“ <strong>Koblenz</strong> in der Zerstörung 1944/45. Begleitheft zur Ausstellung des<br />

Stadtarchivs und des Landesvermessungsamtes Rheinland-Pfalz. <strong>Koblenz</strong> 1994, S. 49. Bellinghausen nennt<br />

1.016 Luftkriegstote; Bellinghausen: 2000 Jahre, S. 326. Boberach hat diese Zahl übernommen; Boberach:<br />

Nationalsozialistische Diktatur, S. 186, 573. Vgl. <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Jahre 1946. Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

für das Rechnungsjahr 1946 (1.IV.1946-31.III.1947). <strong>Koblenz</strong> 1947, S. 6.<br />

142 NB, 13.4.1944: Jeder <strong>Koblenz</strong>er kann und soll vorsorgen; NB, 26.4.1944: <strong>Die</strong> Auslagerung von Hausrat<br />

beginnt; NB, 6./7.5.1944: Wer will noch auslagern?; NB, 3./4.6.1944: Koffer Nr. 712 <strong>im</strong> Wert von 1000 Mark;<br />

HStA Wiesbaden, Abt. 483 Nr. 11264, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 2, S. 723-726.<br />

143 StAK 623 Nr. 9825, S. 10, 20, 53-56. Das führte nach Kriegsende zu einigen Auseinandersetzungen, da es zu<br />

unberechtigten Entnahmen aus den Lagern gekommen war oder die Rückgabe an die Eigentümer verweigert<br />

wurde.<br />

144 Maier: Biographisches Organisationshandbuch, S. 474 f.<br />

145 StAK 623 Nr. 3583; ebd. Nr. 7008; ebd. Nr. 7026, S. 208-241.


574<br />

Schäden als die Bomben an. Aber S<strong>im</strong>mer habe die Kolonnen teils ohne sein Zutun eingesetzt<br />

und sich „in keiner Weise belehren“ lassen. 146 Im Oktober 1944 hielt S<strong>im</strong>mer die<br />

kasernenmäßige Unterbringung der auswärtigen Handwerker für dringend geboten, um<br />

Fahrzeiten und Transportkapazitäten zu sparen. Neben einer guten Unterkunft am Stadtrand<br />

seien gute Verpflegung, Betreuung und ein Luftschutzraum notwendig. Am 25. Oktober<br />

erteilte S<strong>im</strong>mer Fuhlrott, Bliemel und Schnorbach die Anweisung, die Kriegsgefangenen-<br />

gruppen sollten <strong>im</strong>mer an derselben Arbeitsstelle eingesetzt werden, damit je nach Leistung<br />

eine Strafe oder Anerkennung möglich sei. Alle Kriegsgefangenen „erhalten mittags eine<br />

Suppe“, die in der Thielenschule gekocht und dann auf die einzelnen Baustellen gebracht<br />

werde, was er bereits veranlasst habe. Da die Zahl der bisherigen Wachmannschaften von<br />

13 auf 23 erhöht werden sollte, beauftragte S<strong>im</strong>mer Klose, mit der Wehrmacht wegen der<br />

Abstellung von zehn bewaffneten Soldaten zu verhandeln, die morgens um 6.30 Uhr an der<br />

Stadthalle antreten sollten. Für die 13 Wachmannschaften in der Pfaffendorfer Schule, nach<br />

S<strong>im</strong>mers Feststellung „meist Kriegsversehrte mit verletzten Knochen“, erhielt Schnorbach<br />

den Auftrag, Betten, Stroh und Decken zu besorgen, da den Männern richtige<br />

Schlafmöglichkeiten fehlten. 147<br />

Zumindest <strong>im</strong> Sprachgebrauch nahm die <strong>Stadtverwaltung</strong> in der letzten Kriegsphase Züge der<br />

„kämpfenden Verwaltung“ an, die nach Reinhard Heydrichs Vorstellungen militärische und<br />

behördenmäßige Formen miteinander verbinden sollte. 148 <strong>Die</strong>s war insofern konsequent, als<br />

Reichsbeamtenführer Neef die Beamten schon seit 1933 als „Soldaten“ des Führers<br />

bezeichnete und führende Ministerialbeamte ein „Soldatisches Berufsbeamtentum“<br />

forderten. 149 Ab 5. Oktober mussten alle männlichen Beamten und Angestellten sofort nach<br />

Ende eines Bombenangriffs, gleichgültig zu welcher Tages- oder Nachtzeit, auf dem<br />

Clemensplatz „antreten“, um die Arbeitskräfte bei der Fre<strong>im</strong>achung der Straßen anzuführen.<br />

Ausgenommen waren nur die Bediensteten des Wirtschafts- und Ernährungsamtes und der<br />

Betriebe wie z. B. Hafen- und Werftamt. Klose erteilte dann die weiteren „Befehle“. Als<br />

Leiter der Sofortmaßnahmen bezog der Oberbürgermeister eine „Befehlsstelle“ in der<br />

ehemaligen Espenschiedschen Weinhandlung, Clemensplatz 9. 150<br />

146 StAK 623 Nr. 3583, S. 12; ebd. Nr. 9743, S. 476 (Zitate). Am 26.10.1944 verlangte S<strong>im</strong>mer von Bliemel<br />

einen Bericht, nachdem er bemerkt hatte, dass die ersten Kriegsgefangenen für die Rohrreparaturen erst um<br />

8 Uhr statt 6.30 Uhr gekommen waren; ebd., S. 39.<br />

147 StAK 623 Nr. 3583, S. 25, 37 f. (Zitate).<br />

148 Gerhard Paul: „Kämpfende Verwaltung“. Das Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes als Führungsinstanz<br />

der Gestapo. In: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann (Hg.): <strong>Die</strong> Gestapo <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg.<br />

‚He<strong>im</strong>atfront’ und besetztes Europa. Darmstadt 2000, S. 42-81, hier S. 45. Unter H<strong>im</strong>mler als<br />

Reichsinnenminister wurden Verordnungen <strong>im</strong> Befehlston abgefasst; Mommsen: Beamtentum, S. 122.<br />

149 Nischk: Der Gemeindebeamte, S. 330; Ministerialdirigent Dr. Hans Fabricius: „Soldatisches<br />

Berufsbeamtentum“. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung<br />

H. 12 (1941), S. 19 f.; Reichsbeamtenführer Hermann Neef: Der Führer kann sich auf seine Beamten verlassen.<br />

In: Ebd. h. 5 (1942), S. 129 f. Vgl. Mecking: „Immer treu“, S. 214 Anm. 545.<br />

150 StAK 623 Nr. 3583, S. 14, 18, 24, 31, 46. <strong>Die</strong> Bedeutung dieser Anordnung wird dadurch unterstrichen, dass<br />

sie mehrfach Thema in Rundverfügungen des Oberbürgermeisters und der Einsatzbesprechung vom 10.10.1944<br />

war.


8.5 Das Amt für Sofortmaßnahmen<br />

575<br />

Im Januar 1941 war den Polizeipräsidenten als den ÖLSL die Verantwortung für die<br />

Aufräumarbeiten entzogen und den Oberbürgermeistern als „Leitern der Sofortmaßnahmen“<br />

übertragen worden. 151 Der Reichsinnenminister ergänzte dazu in einem Runderlass, es sei ein<br />

„besonderer Wunsch des Führers“, dass die von Bomben- und Brandschäden betroffene<br />

Bevölkerung „in allererster Linie zumindest von den materiellen Sorgen befreit“ werde. 152<br />

<strong>Die</strong> Aufgaben wurden bei dem <strong>im</strong> April 1943 neu geschaffenen „Amt für Sofortmaßnahmen“<br />

gebündelt, das unter der Leitung von Oberbaurat Robert Gerhards stand, der seit Dezember<br />

1942 Leiter des Hochbauamtes und Sofortbeauftragter war. 153 Sein Stellvertreter wurde<br />

Baurat Fritz Berg. 154 Das zehnköpfige Amt gliederte sich in die drei Abteilungen Verwaltung,<br />

Sofortmaßnahmen und Ersatzraumbau. Als Verbindungsmann zum ÖLSL fungierte Baurat<br />

Bliemel. Dem Amt unterstanden zwei Einsatzgruppen des Tiefbauamtes. Außerdem konnte es<br />

auf den städtischen Fuhrpark sowie die Fahrbereitschaft 155 zurückgreifen, deren Leiter dem<br />

Oberbürgermeister schon seit 1939 unterstellt war. 156<br />

Am 24. Juni 1943 stellte S<strong>im</strong>mer als Leiter der Sofortmaßnahmen verbindliche Richtlinien für<br />

die „Durchführung von Bauarbeiten zur Beseitigung von Fliegerschäden“ auf. Darin wurden<br />

ausführliche Regelungen für die verschiedenen Handwerkszweige getroffen, die vor allem die<br />

Dringlichkeit der Arbeiten festlegten. Jegliche „Wohnlichmachung“ musste zurückgestellt<br />

werden, aufwändigere Arbeiten waren strikt verboten. Oberster Grundsatz war die Sorge für<br />

die Obdachlosen: „<strong>Die</strong> Bewohner müssen schnellstens wieder ein Dach über dem Kopfe<br />

haben.“ Totalschäden waren von der Wiederherstellung vorerst ausgeschlossen. Dabei wurde<br />

zugegeben, dass die Maßnahmen für den Einzelnen „oft bitter“ sein könnten. 157<br />

Das Stadtgebiet wurde in 15 „Schadensbezirke“ eingeteilt, die sich exakt mit den<br />

Hoheitsgebieten der NSDAP-Ortsgruppen deckten und denen städtische Beamte als<br />

„Bezirksleiter“ 158 vorstanden. Jedem Schadensbezirk war als „Wiederaufbauleiter“ ein<br />

selbständiger Architekt zugeteilt. <strong>Die</strong> Idee zu deren Einsatz hatte sich <strong>im</strong> Juni 1942 in einem<br />

151<br />

18. Anordnung des GB-Bau vom 16.1.1941. Vgl. Schlenker: Vom Personalmangel, S. 199.<br />

152<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 57.<br />

153<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 489; ebd. Nr. 9542, S. 26; ebd. Nr. 9570, S. 193.<br />

154<br />

StAK 623 Nr. 9542, S. 26. Im März 1944 wurde neben Berg noch der Technische Stadtoberinspektor Hans<br />

Schaerer zum Vertreter bestellt; ebd. Nr. 7000, S. 77; ebd. Nr. 9571, S. 18.<br />

155<br />

StAK 623 Nr. 6765, S. 51, 60. Vgl. ebd. FA2 Nr. 3385. Leiter der am Florinsmarkt 11 ansässigen<br />

Fahrbereitschaft war bis Mitte 1942 Rudolf Väth, danach Dr. Heinz Schmitz, Inhaber der Spedition F. J. Meyer;<br />

ebd. Nr. 7017, S. 60, 360, 387.<br />

156<br />

StAK 623 Nr. 7014, S. 28 f.; ebd. Nr. 7301, S. 5.<br />

157<br />

StAK 623 Nr. 7301, S. 3 f. (Zitate). Zugrunde lagen dabei die „Richtlinien für die Durchführung von<br />

Bauarbeiten zur Beseitigung von Fliegerschäden“ vom 1.3.1943, die der Reichsinnungsverband des<br />

Bauhandwerks in Zusammenarbeit mit dem Reichsstand des Deutschen Handwerks und der Wirtschaftsgruppe<br />

der Bauindustrie sowie <strong>im</strong> Einvernehmen mit dem GB-Bau aufgestellt hatte; ebd., S. 10-17.<br />

158<br />

Neun Beamte, die z. T. für mehrere Schadensbezirke eingesetzt waren: Josef Trum, Peter Klöckner, Matthias<br />

Hörsch, Kaspar Noll, Ludwig Scheurer, Heinrich Weiss, Philipp Damm, Fritz Schierding, Paul Werner; StAK<br />

623 Nr. 7014, S. 4; ebd. Nr. 9421, S. 47.


576<br />

Gespräch zwischen Rogg und dem Architekten und Ortsgruppenleiter Ludwig Stähler<br />

entwickelt 159 . <strong>Die</strong> Wiederaufbauleiter nahmen regelmäßig an den Besprechungen des<br />

Einsatzstabes des Oberbürgermeisters teil und fungierten gleichzeitig als „Verbindungsmann<br />

zur Partei“. 160 Zu den detailliert aufgelisteten „Aufgaben der Wiederaufbauleiter der<br />

Gauhaupstadt <strong>Koblenz</strong>“ gehörten eine Ortsbesichtigung und die Erfassung der Fliegerschäden<br />

auf einem Vordruck 161 . Je nach Ausmaß der Zerstörungen erfolgte ihre Klassifizierung in<br />

Kleinschäden, leichte, mittelschwere und schwerste Schäden. <strong>Die</strong> Reihenfolge der<br />

Reparaturen legte eine Dringlichkeitsliste fest, die der Wiederaufbauleiter in Abst<strong>im</strong>mung mit<br />

dem NSDAP-Ortsgruppenleiter und dem Schadenbezirksmeister erstellte. <strong>Die</strong> Liste wurde<br />

dem Amt für Sofortmaßnahmen vorgelegt, das die Durchführung der Arbeiten freigab. Der<br />

Wiederaufbauleiter dirigierte und überwachte dann die Instandsetzungsarbeiten, außerdem<br />

hatte er Meldungen über die Wohnrauminstandsetzungen zu erstellen sowie Schadens-<br />

statistiken zu führen. Bei den Eigentümern sollte er um Verständnis für den notdürftigen<br />

Charakter der Reparatur werben: <strong>Die</strong> Schäden könnten „momentan nur in bescheidener<br />

gegebenenfalls nur in behelfsmässiger Form“ repariert werden, Ansprüche auf Regulierung<br />

durch das Kriegsschädenamt blieben davon unberührt. Ausdrücklich waren die Wieder-<br />

aufbauleiter zur Zusammenarbeit mit den Ortsgruppenleitern verpflichtet. In zwei Fällen<br />

fielen beide Ämter zusammen: Der Ortsgruppenleiter von Pfaffendorf, der Architekt und<br />

Ratsherr Fritz Horn, war Wiederaufbauleiter für den Schadensbezirk 2 (<strong>Koblenz</strong>-Mitte), der<br />

Ortsgruppenleiter von Horchhe<strong>im</strong>, Ludwig Stähler, ebenfalls Architekt und Mitinhaber eines<br />

gemeinsamen Büros mit Horn, für die beiden Schadensbezirke 14 (Pfaffendorf) und<br />

15 (Horchhe<strong>im</strong>). 162<br />

Außerdem gab es in jedem Schadensbezirk einen „Schadensbezirksmeister“, der ein<br />

ortsansässiger Bauunternehmer oder Handwerksmeister war. <strong>Die</strong> 15 Schadenbezirksmeister<br />

kümmerten sich um die Kleinschäden an Fenstern, Türen und Dächern. Dazu konnten sie den<br />

Luftschutzwart beauftragen, die Selbst- und Nachbarhilfe zum „Hilfsdienst“ z. B. bei der<br />

Schuttbeseitigung oder der Bergung von noch brauchbarem Baumaterial heranzuziehen. Als<br />

Leiter der Sofortmaßnahmen war der Oberbürgermeister nämlich berechtigt, jede<br />

einsatzfähige Person zum Hilfsdienst heranzuziehen. Durch eine undatierte, von ihm<br />

gezeichnete „Behördliche Anordnung“ – die offenbar zum Austeilen an die zum Hilfsdienst<br />

Herangezogenen gedacht war – hatte S<strong>im</strong>mer die Bevölkerung förmlich aufgeboten und<br />

zugleich sein Rekrutierungsrecht an die Luftschutzwarte übertragen, auf die wiederum die<br />

Schadensbezirksmeister zurückgreifen konnten. <strong>Die</strong> Luftschutzwarte sollten vor allem die<br />

weniger betroffenen Volksgenossen zu Arbeiten verpflichten. In Zweifelsfällen lag die<br />

159 StAK 623 Nr. 7021, S. 181-185, 188.<br />

160 StAK 623 Nr. 7014, S. 2 f., 5. Einer der Wiederaufbauleiter war der Neuwieder Architekt Franz Doliwa, der<br />

gegen ein Stundenhonorar von 5 RM von Ende 1943 bis Januar 1945 tätig war. Außerdem erhielt er eine<br />

Aufwandsentschädigung für Büro- und Fahrtkosten. StAK 623 Nr. 9790, S. 459-461.<br />

161 StAK 623 Nr. 7014, S. 33; ebd. Nr. 7301, S. 48.<br />

162 StAK 623 Nr. 7014, S. 11-14; ebd. Nr. 7301, S. 6-9, Zitat S. 8.


577<br />

Entscheidungsbefugnis be<strong>im</strong> Blockleiter der NSDAP. Erklärtes Ziel der „Behördlichen<br />

Anordnung“ war nicht nur, die schon bewährte Selbst- und Nachbarhilfe zu steigern, sondern<br />

den „Gedanken der Schicksalsgemeinschaft“ noch stärker herauszustellen. 163<br />

Wie umständlich und langwierig das vorgeschriebene Verwaltungsverfahren war, mussten die<br />

an den Sofortmaßnahmen beteiligten Handwerker erfahren, die wochen- oder gar monatelang<br />

auf ihr Geld warteten: Sie mussten ihre Rechnungen dem Schadenbezirksmeister einreichen,<br />

der die Ausführung der Arbeiten zu bestätigen und die Rechnungen an den Kreishandwerks-<br />

meister weiterzuleiten hatte. <strong>Die</strong>ser ließ die zu Grunde gelegten Einheitssätze vom<br />

zuständigen Innungsobermeister prüfen und gab die Rechnungen dann an das Amt für<br />

Sofortmaßnahmen weiter, das sie wiederum dem städtischen Kriegsschädenamt zur<br />

Begleichung einreichte. Dort kamen die Beträge auf Rechnung des Reiches zur Auszahlung,<br />

das der Stadtkasse entsprechende Mittel zur Verfügung stellte. Als der Tischlermeister<br />

Andreas Dillmann, Schadenbezirksmeister der Altstadt, Anfang März 1945 auf der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> vorsprach, um sich nach seinen noch unbezahlten Rechnungen zu<br />

erkundigen, beruhigte ihn Hütte, es lägen zwei Millionen Reichsmark für diese Zwecke <strong>im</strong><br />

Tresor. Tatsächlich blieben Dillmann und andere Handwerker nach Kriegsende auf ihren<br />

Forderungen sitzen: Laut einer Anordnung der amerikanischen Militärregierung durften keine<br />

Rechnungen mehr beglichen werden. <strong>Die</strong> Reichsmittel waren zwar noch vorhanden, mussten<br />

aber auf Anordnung des Oberpräsidiums an die Staatskasse zurück überwiesen werden. 164<br />

Neben der Beschaffung von Baumaterial stellte der Mangel an Arbeitskräften das größte<br />

Problem dar. <strong>Die</strong> Arbeitseinsatzstelle des Amtes für Sofortmaßnahmen – Schnorbachs<br />

Aufgabengebiet – sollte alle mit den Sofortmaßnahmen beschäftigten Arbeitskräfte aus<br />

Bauindustrie und Handwerk, Soldaten, Kriegs- und Zivilgefangene sowie Zwangsarbeiter<br />

erfassen und einsetzen sowie bei Bedarf zusätzliche Kräfte anfordern. Seit den Luftangriffen<br />

vom April 1944 ist der Einsatz von Ostarbeitern 165 und Kriegsgefangenen 166 bei Aufräum-<br />

und Reparaturarbeiten nachweisbar. 167<br />

163<br />

StAK 623 Nr. 7019, S. 13, 18; ebd. Nr. 7301, S. 22-24, 31 (Zitate). Vgl. NB, 25.4.1944: <strong>Die</strong> Beseitigung von<br />

Fliegerschäden.<br />

164<br />

StAK 623 Nr. 9826, S. 54-79; ebd. Nr. 9827, S. 2 f. <strong>Die</strong> Summe der noch nicht bezahlten<br />

Handwerkerrechnungen betrug 1951 994.809,36 RM. Kritisch bemerkte Hansmeyer, in der britischen Zone seien<br />

alle Rechnungen längst beglichen, anscheinend seien sie nur noch in der französischen Zone offen; ebd. Nr.<br />

9826, S. 51 f.<br />

165<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 268 f.<br />

166<br />

Z. B. standen dem Neuendorfer Dachdecker und Bauklempnermeister Felix Hendrichs für Reparaturen in<br />

Neuendorf und Wallershe<strong>im</strong> zehn Kriegsgefangene einer Baukompanie zur Verfügung; StAK 623 Nr. 9827, S.<br />

12 f.<br />

167<br />

Vgl. Kapital 7.6.2.


578<br />

8.6 Das Wirtschafts- und Ernährungsamt 168<br />

„Wohl kaum eine Stelle der Verwaltung greift so in das Eigenleben des Menschen ein wie<br />

das Kriegswirtschafts- und Ernährungsamt.“, stellte Verwaltungsdirektor Müller vom<br />

Rechnungsprüfungsamt <strong>im</strong> Juni 1942 fest. 169 <strong>Die</strong> unteren Verwaltungsbehörden waren noch<br />

vor Kriegsbeginn, am 27. August 1939, sehr kurzfristig mit der Einrichtung von Wirtschafts-<br />

und Ernährungsämtern beauftragt worden. 170 Das Ernährungsamt (Abt. XXIII) befand sich <strong>im</strong><br />

Rathaus, das Wirtschaftsamt (Abt. X) in der Thielenschule. 171 Ab 18. September hatte das<br />

Wirtschaftsamt seine Hauptstelle in der ehemaligen Synagoge <strong>im</strong> Florinsmarkt 11, außerdem<br />

wurden der Julius-Wegeler-Saal <strong>im</strong> Alten Kaufhaus und das Schöffenhaus genutzt.<br />

Gleichzeitig wurden zur „Entlastung der Hausfrauen“ in mehreren Vororten meist in den<br />

Volksschulen dezentrale Ausgabestellen für Bezugsscheine eröffnet. 172 Anfang Oktober 1939,<br />

als der Betrieb des Ernährungsamtes allmählich „in einen geordneten Geschäftsgang“<br />

überging, verfasste dessen Leiter Franz Meyendriesch eine erste, von Wirtz genehmigte<br />

<strong>Die</strong>nstanweisung. Sie verlangte von den Bediensteten das, was heute als „<strong>Die</strong>nst am Kunden“<br />

bezeichnet wird: „Allergrößte Sorgfalt ist auf die höfliche und schnelle Abfertigung des<br />

Publikums zu legen. Das Hin- und Herschicken des Publikums muss grundsätzlich<br />

unterbleiben.“ 173 <strong>Die</strong> Parteipresse, merklich um Beruhigung der Bevölkerung über die<br />

Versorgungslage bemüht, 174 lobte wenig später die eingespielte „Maschinerie“ und<br />

„mustergültige Organisation“ des Ernährungsamtes. 175 Am 25. Oktober 1940 gab der<br />

zuständige Dezernent Fuhlrott eine neue, umfangreichere <strong>Die</strong>nstanweisung heraus. Fast<br />

wörtlich fanden sich darin die 1939 formulierten Pflichten wieder. Es gab nur einen kleinen,<br />

aber nicht unwesentlichen Unterschied: Der von Meyendriesch gebrauchte, alt hergebrachte<br />

Begriff „Publikum“ war in Fuhlrotts <strong>Die</strong>nstanweisung durch „Volksgenossen“ ersetzt worden.<br />

Zusätzlich hieß es, bei der Erledigung der Arbeit „muss <strong>im</strong> Vordergrund nationalsozial.<br />

Kameradschafts- und Volksgemeinschaftsgeist stehen.“ Schwangere, kinderreiche Mütter,<br />

Alte und Kriegsbeschädigte sollten bevorzugt behandelt werden. Generell galten für den<br />

Umgang mit Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen, die Bargeld ähnlich waren, strenge<br />

Regelungen, die <strong>Die</strong>bstahl und Korruption vorbeugen sollten. 176<br />

168 <strong>Die</strong> Quellenlage erwies sich als sehr dürftig. Das Stadtwirtschaftsamt war schon 1938 eingerichtet worden;<br />

StAK 623 Nr. 6027, S. 34. Im Folgenden geht es <strong>im</strong> engeren Sinne um Abteilung B des Ernährungsamtes,<br />

Abteilung A betraf die Kreisbauernschaft <strong>Koblenz</strong>; ebd. Nr. 6687, S. 36 f.<br />

169 StAK 623 Nr. 6687, S. 64.<br />

170 VO über die Wirtschaftsverwaltung vom 27.8.1939; RGBl. I, S. 1495; StAK 623 Nr. 9567, S. 155.<br />

171 NB, 28.8.1939: Ernährungs- und Wirtschaftsamt eingerichtet.<br />

172 NB, 16./17.9.1939: Bezugsschein-Ausgabe auch in Vororten; ebd.: Amtliches. Neueinrichtung von<br />

Bezugsscheinausgabestellen in den einzelnen Ortsteilen (Zitat); NB, 22.10.1941: 10 Millionen Punkte für die<br />

<strong>Koblenz</strong>er; StAK 623 Nr. 9567, S. 191.<br />

173 StAK 623 Nr. 6687, S. 9 f.<br />

174 NB, 28.8.1939: Auch <strong>Koblenz</strong> hat riesige Vorräte gestapelt; NB, 29.8.1939: Es ist genug von allem da; NB,<br />

14./15.10.1939: Ohne Bart und ohne fleischlose Wochen.<br />

175 NB, 6.11.1939: Wo bleiben die Lebensmittelkarten?<br />

176 StAK 623 Nr. 6687, S. 36-41, Zitate S. 39.


579<br />

Am 7. April 1941 zog das Ernährungsamt vom Rathaus ebenfalls an den Florinsmarkt, wo es<br />

mit dem Wirtschaftsamt vereinigt wurde. 177 Zahlen vom März 1942 belegen, dass sich das<br />

Wirtschafts- und Ernährungsamt mit 99 Beschäftigten zum größten Amt der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

entwickelte. 178 Ab 1. Oktober 1941 halfen zusätzlich 25 Arbeitsmaiden aus, deren Einsatz<br />

Fuhlrott be<strong>im</strong> Regierungspräsidenten beantragt hatte. Dabei hatte er noch einmal daran<br />

erinnert, dass die wichtigsten Kriegsmaßnahmen für die Bevölkerung fast ausschließlich den<br />

Städten übertragen worden seien. Im Oktober 1941 kam verschärfend hinzu, dass der<br />

Reichsinnenminister eine Personenstandsaufnahme angeordnet hatte und eine Neuregelung<br />

bei der Reichskleiderkarte die Ausstellung 90.000 neuer Karten erforderte. 179 Im ersten<br />

Halbjahr 1943 waren allein 69 weibliche Aushilfskräfte beschäftigt, was 30 % aller Frauen <strong>im</strong><br />

städtischen <strong>Die</strong>nst entspricht. 180 Zu den wenigen Beamten zählte außer Meyendrieschs<br />

Nachfolger, Stadtoberinspektor Ludwig Dolle, sein Stellvertreter Stadtinspektor Wilhelm<br />

(„Willi“) Krieger 181 . Damit standen an der Spitze dieses wichtigen Kriegsamtes zwei<br />

NSDAP-Ortsgruppenleiter (Dolle von Niederberg, Krieger von der Karthause).<br />

S<strong>im</strong>mer überzeugte sich am 27. Mai 1942 durch einen persönlichen Besuch <strong>im</strong> Ernährungs-<br />

amt vom <strong>Die</strong>nstbetrieb und den Sicherheitsvorkehrungen. Begleitet wurde er von Fuhlrott,<br />

Müller und Dolle. <strong>Die</strong> bisherigen Prüfungen, auch von Reichs- und Landesstellen, waren „<strong>im</strong><br />

allgemeinen […] nicht schlecht“ ausgefallen. <strong>Die</strong> Räumlichkeiten machten bei der Inspektion<br />

keinen guten Eindruck, da Umbauten <strong>im</strong> Gange waren. S<strong>im</strong>mer ließ sich den Lagerbestand an<br />

Lebensmittelkarten zeigen, nahm eigenhändig Stichproben und kontrollierte Bestellscheine,<br />

Quittungen und Lagerbucheintragungen, die er ordnungsgemäß vorfand. Da die Karten-<br />

ausgabe spätestens seit April 1940 durch die NSV-Ortsgruppen erfolgte – in der Innenstadt<br />

wurden die Karten durch NSV-Beauftragte sogar in die Wohnung gebracht –, 182 waren die<br />

Sachgebiete entsprechend aufgeteilt. S<strong>im</strong>mer entschied sich für die Überprüfung des<br />

Sachgebiets „Lützel“, das „nicht gerade […] musterhaft“ geführt wurde. Nach Auskunft der<br />

Sachbearbeiterin entstand bei jeder Kartenausgabe eine Differenz von durchschnittlich ca.<br />

15 Karten. Im Gegensatz zu S<strong>im</strong>mer, der meinte, die Zahl sei zu hoch und müsse unbedingt<br />

vermieden werden, zeigte sich Müller milde und nachsichtig. Er entschuldigte die Unordnung<br />

und mangelhaften Kenntnisse der Sachbearbeiterin mit der Tatsache, dass sie eine<br />

„Kriegsangestellte“ war und der Publikumsandrang be<strong>im</strong> Besuch des Oberbürgermeisters sie<br />

177<br />

NB, 5./6.4.1941: Amtliches. Vgl. Fotos vom März 1944 StAK FA2 Nr. 2099-2113, 4547-4549. <strong>Die</strong><br />

Propagandafotos stammen von Herbert Ahrens, einem Berufsfotografen und Kriegsberichterstatter, der mit<br />

seinem „Moselland-Bilderdienst“ u. a. das NB belieferte. Sie zeigen zwar emsig arbeitende, aber nicht gestresst<br />

wirkende Bedienstete und gut gelauntes, geduldig wartendes Publikum.<br />

178<br />

StAK 623 Nr. 6765, S. 85.<br />

179<br />

StAK 623 Nr. 9944; NB, 22.10.1941: 10 Millionen Punkte für die <strong>Koblenz</strong>er.<br />

180<br />

StAK 623 Nr. 9882, S. 4-11.<br />

181<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 64. Wilhelm Krieger, * 9.5.1900 Oberlahnstein, 23.11.1956 <strong>Koblenz</strong>, evangelisch,<br />

verheiratet, August 1939 Ortsgruppenleiter Karthause, April 1945 Entlassung, 1956 verstorben als<br />

Stadtinspektor; RZ, 24./25.11.1956: Todesanzeige und Nachruf.<br />

182<br />

NB, 26.4.1940: Lebensmittelkartenausgabe; NB, 22.10.1941: 10 Millionen Punkte für die <strong>Koblenz</strong>er; NB,<br />

6./7.11.1941: Amtliche Bekanntmachungen.


580<br />

offensichtlich nervös gemacht hatte. Es zeigte sich, dass es mehrere, nur schwer vermeidbare<br />

Fehlerquellen gab, die auch die anderen Ortsgruppen betrafen. Müller stellte den ungleich<br />

höheren Zeit- und Arbeitsaufwand für die Fehlersuche dem Wert der Karten gegenüber. Dann<br />

kam er auf die eigentliche Motivation für seine Großzügigkeit zu sprechen: Es sei Rücksicht<br />

auf die Zeitverhältnisse zu nehmen. Reklamationen müssten wohlwollend gehandhabt<br />

werden, sonst würden die „Beschwerden an politische und höchste Reichsstellen nicht<br />

abreissen.“ Müller resümierte: „Politisches Fingerspitzengefühl ist hier am Platz.“ Zwar<br />

könnte die Fehlerquote durch vermehrte Kontrollen und gutes Personal verringert werden,<br />

doch gute Kräfte würden <strong>im</strong>mer seltener und das vorhandene Personal sei überlastet. <strong>Die</strong> von<br />

S<strong>im</strong>mer angeordnete Verteilung durch die NSV-Ortsgruppen sei aufgrund ihrer besseren<br />

Kenntnis der Familienverhältnisse nach wie vor von Vorteil. Grundgedanke sei, dass die<br />

Bevölkerung „fristgemäss“ ihre Lebensmittelkarten erhalte. <strong>Die</strong> bisher nur sporadischen<br />

Prüfungen durch das Rechnungsprüfungsamt wurden verschärft, und Müller versicherte<br />

S<strong>im</strong>mer, man werde sich bemühen, die Fehler zu reduzieren. Nachdrücklich stellte er dem<br />

Oberbürgermeister aber auch die Problemfülle des Amtes vor Augen: die vielen, sich ständig<br />

ändernden gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen, 183 die Arbeit bei „riesige[m] Andrang des Publikums“<br />

und die sich aus den einschneidenden Maßnahmen ergebenden Beschwerden der<br />

Bevölkerung, die zusätzlich „ein unerhörtes Mass an Arbeit“ verursachten. 184<br />

S<strong>im</strong>mers Inspektion kam wahrscheinlich nicht von ungefähr. Am 20. März 1942 waren<br />

empfindliche Kürzungen der Lebensmittelrationen bekannt gegeben worden. 185 Schon 1938,<br />

also vor Kriegsbeginn, hatte der SD in <strong>Koblenz</strong> Probleme bei der Lebensmittelkontin-<br />

gentierung festgestellt. 186 Im Frühjahr und Sommer 1939 waren verschiedene Lebensmittel,<br />

Schuhe, Textilien sowie Genussmittel so spürbar knapp, dass sich Unzufriedenheit bei den<br />

Verbrauchern breit machte. 187 Gauleiter S<strong>im</strong>on erhielt <strong>im</strong> Juni 1939 eine anonyme Postkarte,<br />

in der u. a. gefordert wurde, das durch die Abschaffung von Festgelagen und Parteiver-<br />

anstaltungen einzusparende Geld in die Beschaffung und Verbilligung von Lebensmitteln zu<br />

stecken. 188 <strong>Die</strong> Partei versuchte, durch Tauschbörsen dem Mangel abzuhelfen. 189 Im Mai<br />

183 Erhalten hat sich z. B. ein Aktenband von 345 Seiten für den Zeitraum 1939-1943, der allein die<br />

„Fettversorgung der minderbemittelten Bevölkerung“ betrifft; StAK 623 Nr. 6394.<br />

184 StAK 623 Nr. 6687, S. 64-70, Zitate S. 64 f., 68, 70.<br />

185 Gekürzt wurden die Rationen von Brot, Fleisch und Fett, wofür die gleichzeitige Erhöhung der Käseration<br />

keinen nennenswerten Ausgleich bot; NB, 20.3.1942: Veränderungen in der Lebensmittelzuteilung. Vgl. dazu<br />

die Verteidigungsargumente in einem streng vertraulichen Rundschreiben des Gaupropagandaamtes vom<br />

18.3.1942; LHAKo Best. 714 Nr. 1230, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2 Teil 1, S. 214-<br />

218.<br />

186 LHAKo Best. 662,6 Nr. 468, SD-Lagebericht vom 29.9.1938 sowie 29./30.11.1938, veröffentlicht in:<br />

Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 293-302, 315-328, hier S. 295 f., 316.<br />

187 LHAKo Best. 662,6 Nr. 468, SD-Lagebericht vom 25.5.1939 sowie 30.6.1939, veröffentlicht in: Brommer:<br />

<strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 345-369, hier S. 347-349, 359-366.<br />

188 LHAKo Best. 662,6 Nr. 785, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit, S. 189.<br />

189 <strong>Die</strong> NS-Frauenschaft richtete eine Schuhtauschbörse gegenüber dem städtischen Wirtschaftsamt ein. NB,<br />

9.4.1940: Wenn uns der Schuh drückt …; NB, 27.5.1940: <strong>Die</strong> Schuhtauschstelle hat sich bewährt. Am 10.1.1944<br />

wurde <strong>im</strong> früher hart bekämpften Kaufhof eine von der Gauwirtschaftskammer initiierte „<strong>Koblenz</strong>er


581<br />

1941 kursierten in <strong>Koblenz</strong> wochenlang Gerüchte über die angebliche Verminderung der Fett-<br />

und Fleischzuteilungen und die Abschaffung der Kleiderkarte. Der SD registrierte „große<br />

Unruhe und Mißst<strong>im</strong>mung“. 190 Angesichts des sich <strong>im</strong> Frühjahr 1942 verschärfenden<br />

Mangels, den das städtische Amt zu verwalten hatte, wollte sich S<strong>im</strong>mer wohl selbst ein Bild<br />

der Lage machen. Auf seine Anweisung wurden <strong>im</strong> Juni 1942 aus Sicherheitsgründen<br />

dezentrale Lebensmittellager in den Vororten angelegt. 191<br />

<strong>Die</strong> Ausgabe der Lebensmittelkarten verblieb bei den NSV-Ortsgruppen, was der<br />

Bevölkerung wenigstens lange Wege ersparte. Im November 1943 bestätigte Dolle in der<br />

erweiterten <strong>Die</strong>nstbesprechung, was ohnehin jedem klar sein musste: <strong>Die</strong> Verteilung der<br />

knappen Güter des Wirtschaftsamtes habe eine „sehr unangenehme Seite“, weil der Bedarf<br />

das Angebot übersteige. Täglich müssten ca. 3.500 Posteingänge und 3.000 persönliche<br />

Vorsprachen bewältigt werden. <strong>Die</strong>se Zahlen dürften kaum übertrieben sein, wenn selbst<br />

Müller schon <strong>im</strong> Frühjahr 1942 vom Publikumsandrang und der Arbeitsfülle beeindruckt<br />

gewesen war. Dolle betonte – sicher vor dem Hintergrund des nicht uneingeschränkt positiven<br />

Erscheinungsbildes seines Amtes bei S<strong>im</strong>mers Besichtigung –, sein Personal leiste zufrieden<br />

stellende Arbeit, obwohl es fast ausschließlich „berufsfremd“ sei. 192 Das Nationalblatt, ganz<br />

darauf bedacht, die Bevölkerung angesichts der <strong>im</strong>mer schlechteren Versorgungslage zu<br />

besänftigen, warb um Verständnis für das meist aus Frauen bestehende Personal, das täglich<br />

„mit Anträgen, Fragen und Wünschen überflutet“ werde. 193 Im Eingangsbereich des Amtes,<br />

wo die Antragsteller Schlange stehen mussten, hingen Propagandaplakate mit Parolen wie<br />

„Sieg oder bolschewistisches Chaos!“ 194<br />

Ganz und gar nicht vorbildlich verhielt sich <strong>im</strong> Juli 1943 die HJ-Führung. S<strong>im</strong>mer hatte sie<br />

zusammen mit den Siegerinnen und Siegern des alljährlichen Gebietssportfestes 195 zu Kaffee<br />

und Kuchen auf den Rittersturz eingeladen. Statt der vorgesehenen 110 Personen hatte der<br />

städtische Pächter aber plötzlich 165 zu verköstigen. Nur sechs von ihnen gaben – wie vorher<br />

klar vereinbart – für die zwei Obsttortenstücke Bezugsscheine für 60 Gramm Weißbrot ab.<br />

S<strong>im</strong>mer entschied, das Stadtwirtschaftsamt solle dem Pächter Ersatz stellen. In der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> mussten sich Lanters, Dolle, Trampp und sogar Fuhlrott mit dem nicht<br />

so ohne Weiteres zu lösenden Problem herumschlagen. Schließlich genehmigte der<br />

Tauschzentrale“ eröffnet. NB, 30.12.1943: Tauschwünsche gehen in Erfüllung; NB, 8./9.1.1944: Ich möchte<br />

tauschen – aber wie?; NB, 11.1.1944: Am Eröffnungstag der KTZ [<strong>Koblenz</strong>er Tauschzentrale].<br />

190<br />

LHAKo Best. 662,6 Nr. 475, SD-Lagebericht vom 5.5.1941, veröffentlicht in: Brommer: <strong>Die</strong> Partei hört mit,<br />

S. 372-374, hier S. 373. Vgl. auch Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 181 f., 572 f.<br />

191<br />

StAK 623 Nr. 7018, S. 8, 19-21; ebd. Nr. 7019.<br />

192<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 74 f.<br />

193<br />

NB, 7.4.1943: Täglich Hochbetrieb <strong>im</strong> „Alten Kaufhaus“. Zum sinkenden Lebensstandard und der sich<br />

kontinuierlich verschlechternden Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Ver- und Gebrauchsgütern vgl.<br />

Christoph Buchhe<strong>im</strong>: Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung <strong>im</strong><br />

Zweiten Weltkrieg. In: VfZ 58 (2010), S. 299-328.<br />

194<br />

Foto vom März 1944; StAK FA2 Nr. 4549.<br />

195<br />

NB, 26.7.1943: „Wir sind der Zukunft Soldaten“.


582<br />

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft <strong>im</strong> September „ausnahmsweise“ die<br />

Lieferung von 7,5 Kilogramm Weizenmehl an den Pächter. 196<br />

Be<strong>im</strong> Luftangriff vom 22. April 1944 brannte die ehemalige Synagoge aus. Das Inventar<br />

konnte zum Teil gerettet werden, und das Wirtschafts- und Ernährungsamt zog in die<br />

Thielenschule um. In der Steinschule und der Hohenzollernschule wurden die vorgesehenen<br />

Bezirksstellen eingerichtet, in denen abgeordnete Lehrer halfen, den Publikumsandrang zu<br />

bewältigen. S<strong>im</strong>mer berichtete den Ratsherren, dass „die Kräfte des Amtes, meist Frauen, die<br />

starke körperliche Anstrengungen fordernden Räum- und Einrichtungsarbeiten“ geleistet<br />

hatten, bei der Räumung der Thielenschule hatte Jungvolk geholfen. 197 Schon am 24. April<br />

meldete das Nationalblatt eine von RVK S<strong>im</strong>on veranlasste einmalige Sonderzuteilung von<br />

Nahrungsmitteln und Zigaretten. 198 Dolle konnte in der Einsatzbesprechung des<br />

Oberbürgermeisters am 2. Mai beruhigen, die Versorgung der Bevölkerung sei gesichert. 199<br />

Das Nationalblatt lobte die <strong>Stadtverwaltung</strong> für ihre „Organisationskunst“ und „Einsatz-<br />

bereitschaft“ be<strong>im</strong> schnell <strong>im</strong>provisierten Betrieb in den Schulräumen und warb bei seinen<br />

Lesern gleichzeitig um Verständnis, dass sich noch nicht alles eingespielt habe. 200 Dass die<br />

Einrichtung der „Langen Tische“ in den Verpflegungs- und Meldestellen nach einem<br />

Fliegerangriff funktionierte, ist für den Luftangriff vom 19. Juli <strong>im</strong> Nationalblatt<br />

dokumentiert, auch wenn dort die <strong>Stadtverwaltung</strong> mit keinem Wort erwähnt wird. 201 Anfang<br />

September ordnete S<strong>im</strong>on als RVK an, dass alle Behörden und <strong>Die</strong>nststellen, insbesondere die<br />

Wirtschafts- und Ernährungsämter, ihre <strong>Die</strong>nststunden nach Fliegeralarmen so lange<br />

auszudehnen hätten, bis alle Personen bedient und abgefertigt seien, die für diesen Tag<br />

einbestellt wurden. 202 In der Thielenschule wurde das Amt am 25. September ausgebombt, 203<br />

worauf es sich ganz in den dezentralen Bezirksstellen einrichtete. Das Protokoll<br />

der Einsatzbesprechung vom 10. Oktober verbreitete Zuversicht: „hier kann der Vg.<br />

[Volksgenosse] künftig voll bedient werden.“ 204<br />

<strong>Die</strong> NSV nahm <strong>im</strong> Luftkrieg die Gelegenheit wahr, ihre „Unentbehrlichkeit“ unter Beweis zu<br />

stellen. 205 Sie richtete wie vereinbart über das Stadtgebiet verteilt Verpflegungsstellen für die<br />

196 StAK 623 Nr. 6553, S. 446-449, Zitat S. 448 (Unterstreichung <strong>im</strong> Original).<br />

197 StAK 623 Nr. 7217, S. 263 (Zitat); NB, 24.4.1944: Was der <strong>Koblenz</strong>er noch wissen muß; Schnatz: Luftkrieg,<br />

S. 107.<br />

198 NB, 24.4.1944: Sonderzuteilung für die <strong>Koblenz</strong>er; NB, 25.4.1944: <strong>Die</strong> Tabak-Sonderzuteilung.<br />

199 StAK 623 Nr. 7000, S. 133.<br />

200 NB, 11.5.1944: Bezugschein [sic] <strong>im</strong> Physikz<strong>im</strong>mer.<br />

201 NB, 20.7.1944: Verpflegungs- und Meldestellen für Fliegergeschädigte.<br />

202 NB, 7.9.1944: Publikumsabfertigung nach einem Fliegeralarm. <strong>Die</strong> Gau- und Kreisleitung selbst dehnte ihre<br />

Sprechstunden in die Abendstunden aus; NB, 14.9.1944: Bis 21 Uhr.<br />

203 Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 170, 172.<br />

204 StAK 623 Nr. 7027, S. 240.<br />

205 Vorländer: <strong>Die</strong> NSV, S. 166. NSV und NS-Frauenschaft verloren Anfang 1943 ihre Autonomie und wurden<br />

den Weisungen der Gau- und Kreisleiter unterstellt; Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 321.


583<br />

Gemeinschaftsverpflegung ein. 206 Eine davon befand sich in den Räumen des Lesevereins,<br />

ganz in der Nähe des Nagelsgassen-Bunkers. Dort wurde noch <strong>im</strong> Februar und März 1945<br />

„täglich an mehrere hundert Personen eine gute warme Suppe ausgegeben.“ 207 Bis zum<br />

verheerenden Luftangriff am Abend des 6. November 1944 scheint die Lage nach den<br />

Bombenangriffen nie völlig chaotisch geworden oder außer Kontrolle geraten zu sein. Auch<br />

fehlen Hinweise auf Konflikte in der Zusammenarbeit mit der Partei. Zwar überstieg das<br />

Ausmaß dieser Katastrophe alle Planungen. Trotzdem gelang es <strong>Stadtverwaltung</strong> und<br />

Kreisleitung sogar jetzt noch, die Lage den Umständen entsprechend einigermaßen in den<br />

Griff zu bekommen. So wurden die städtischen Bezirksstellen <strong>im</strong> Langentischsystem<br />

planmäßig eingerichtet, wobei sie das Nationalblatt als eine Parteieinrichtung erscheinen ließ.<br />

<strong>Die</strong> NSV konnte auf die Mithilfe der Kreisamtsleitung von Ahrweiler zurückgreifen, die noch<br />

in der Nacht des Angriffs alarmiert worden war und die Verpflegung der Gauhauptstadt mit<br />

Tausenden von Butter- und Wurstbroten organisierte. Auch Cattepoel bemühte sich<br />

persönlich um die schnelle Herbeischaffung der Erstverpflegung. Wieder wurde eine kleine<br />

Sonderzuteilung von Zigaretten und Zigarren gewährt. 208 Bellinghausen berichtet schon für<br />

den 8. und 9. November von ersten Reparaturen an seinem Wohnhaus. 209 Der Leiter der<br />

städtischen Polizei, Stadtoberinspektor Wilhelm Meyer, musste aber am 9. November an die<br />

NSV-Verpflegungsstelle Altstadt appellieren, die 15 bei der Leichenbergung eingesetzten<br />

Personen zu verpflegen. 210 Mit dem Abtransport der geborgenen Leichen war die mit der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> kooperierende „Kriegsgemeinschaft der <strong>Koblenz</strong>er Beerdigungsinstitute“<br />

zeitweise überfordert. Der Sanitätsrat des ÖLSL rügte am 25. November, Leichen seien<br />

tagelang nicht abgeholt worden. Meyer wiederum beklagte sich am 6. Dezember be<strong>im</strong> ÖLSL,<br />

er bekomme nur schleppend Meldungen über Leichenbergungen, teils über Dritte oder in<br />

Form von Beschwerden. 211<br />

Trotz der beträchtlichen Koordinations- und Organisationsleistungen der <strong>Stadtverwaltung</strong>en<br />

werden selbst in der jüngeren Literatur hauptsächlich <strong>im</strong>mer wieder die Verdienste der Partei<br />

<strong>im</strong> Bombenkrieg, insbesondere von NSV und NS-Frauenschaft herausgestellt. 212 Bis heute<br />

206<br />

NB, 24.4.1944: Wichtige Hinweise für die Bevölkerung; NB, 25.4.1944: Teilnahme an der<br />

Gemeinschaftsverpflegung; NB, 26.4.1944: <strong>Die</strong> Gemeinschaftsverpflegung.<br />

207<br />

<strong>Koblenz</strong> und sein Katholischer Leseverein. Herausgegeben 1963 aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens<br />

des Katholischen Lesevereins. <strong>Koblenz</strong> 1963, S. 101.<br />

208<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 308-312; StAK N 12, Zug. 81/1993, S. 48. In Augsburg herrschte dagegen nach einem<br />

katastrophalen Fliegergroßangriff Ende Februar 1944 tagelang Chaos, und auch danach kamen das<br />

Krisenmanagement und die Ressourcenmobilisierung nie mehr richtig in Gang. Gotto: Nationalsozialistische<br />

Kommunalpolitik, S. 358-371.<br />

209<br />

StAK N 12, Zug. 81/1993, S. 48.<br />

210<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 99.<br />

211<br />

StAK 623 Nr. 7026, S. 100 f. Vgl. Schnatz: Luftkrieg, S. 335 f.<br />

212<br />

Hampe: Der zivile Luftschutz, S. 595 f., 615 f.; Roth: Parteikreis und Kreisleiter, S. 319; Ralf Blank:<br />

Kriegsalltag und Luftkrieg an der „He<strong>im</strong>atfront“. In: Jörg Echternkamp (Hg.): Das Deutsche Reich und der<br />

Zweite Weltkrieg. Bd. 9,1. München 2004, S. 357-461, hier S. 384.


584<br />

umgibt die NSV ein regelrechter „Mythos“. 213 Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass<br />

dies „wie ein später Propagandaerfolg der Partei“ anmutet. 214 <strong>Die</strong> erheblichen Leistungen der<br />

Gemeinden drangen dagegen kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. 215 Selbstverständlich<br />

spielte in der Presse der Parteiapparat die herausragende Rolle bei der unmittelbaren<br />

Katastrophenbewältigung, die „tadellos“ funktionierte und als „wohltuend“ empfunden<br />

wurde. 216 Es blieb und bleibt dabei außer Acht, dass den Kommunen die langwierigen oder<br />

unangenehmen Aufgaben wie z. B. die Abholung, Einsargung und Bestattung der Leichen,<br />

die „viel Nervenkraft und Selbstüberwindung“ kostete, 217 zugeschoben wurden. Dagegen<br />

konnten sich die NSV und NS-Frauenschaft auch in <strong>Koblenz</strong> z. B. durch die schnelle Ausgabe<br />

der – durch die Kommune bevorrateten – Verpflegung an die Bevölkerung als segensreiche<br />

Wohltäter hervortun. 218<br />

8.7 Gefallenenehrung<br />

Am 17. Oktober 1939 sah sich Wirtz mit der Bitte eines Wehrmachtsoffiziers um die<br />

Zuweisung eines Ehrengrabes konfrontiert, weil er die Leiche eines gefallenen<br />

Regierungsbaurats überführen müsse. Das brachte Wirtz auf die Idee, einen neuen<br />

Ehrenfriedhof <strong>im</strong> Anschluss an den vorhandenen anzulegen, der einer „der schönsten<br />

Plätze des Friedhofs“ sein sollte. Sofort besichtigte er mit Frischling ein noch unbelegtes<br />

Gräberfeld, das für „mindestens 300 Krieger“ ausreichte. Eine Erweiterungsmöglichkeit<br />

von „mindestens 500-1000 Gräbern“ sollte noch gesucht werden. Wirtz vermerkte, <strong>im</strong><br />

oberen Teil sei eine „Gedächtniskapelle“ möglich, auf der Wiese „könnte dann ein<br />

weithin sichtbares (Schlageter) Kreuz aufgestellt werden“. Er ordnete die Beisetzung des<br />

Gefallenen auf dem ausgesuchten Gräberfeld an und beauftragte das Stadtgestaltungs-<br />

und das Friedhofsamt mit den weiteren Arbeiten. 219<br />

213 Katja Klee: Nationalsozialistische Wohlfahrtspolitik am Beispiel der NSV in Bayen. In: Hermann<br />

Rumschöttel/Walter Ziegler (Hg.): Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945. München 2004, S. 557-<br />

620, hier S. 617 (Zitat). Zur Rolle der NSV vgl. auch Armin Nolzen: Sozialismus der Tat? <strong>Die</strong><br />

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und der alliierte Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. In: Süß<br />

(Hg.): Deutschland <strong>im</strong> Luftkrieg, S. 57-69.<br />

214 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 345.<br />

215 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 428.<br />

216 Beispiele: Martha Welker [NS-Jungschwester]: NS-Schwestern berichten von ihren Einsatz nach dem<br />

Terrorangriff auf <strong>Koblenz</strong>. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und<br />

Volksaufklärung H. 6 (1944), S. 122; Maria Kentenich [NS-Schwester]: Wir hatten für Säuglinge zu sorgen. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 6 (1944), S. 123<br />

(Zitate); NB, 24.4.1944: Terrorangriff auf <strong>Koblenz</strong>er Wohnviertel; ebd.: <strong>Die</strong> <strong>Koblenz</strong>er bewiesen höchste<br />

Tapferkeit.<br />

217 StAK 623 Nr. 7025, S. 9.<br />

218 Durch Zeitzeugen bestätigt für die Ortsgruppen Altstadt und Metternich. Mitteilungen von Frau Margret<br />

Kaltenmorgen und Herrn Adolf Horn, beide <strong>Koblenz</strong>, vom 7.1. bzw. 12.4.2011. Vgl. Schnatz: Luftkrieg, S. 18.<br />

Schnatz hat bereits 1981 darauf hingewiesen, dass die „Ausgabe der Verpflegung, das heißt der psychologisch<br />

bedeutsame Vorgang, bei dem die Betroffenen feststellen konnten, daß man sich um sie bemühte, […] hingegen<br />

der NSV übertragen“ war; ebd. S. 36 f.<br />

219 StAK 623 Nr. 3772, S. 18-20, Zitate S. 18 f. Vgl. NB, 14./15.3.1942: Soldatengräber am Hüberlingsfort.


585<br />

Auf die steigende Zahl von Gefallenen reagierte Abteilung I <strong>im</strong> September 1941 mit der<br />

Anlage eines „Kriegsehrenbuchs“. Darin sollten alle in <strong>Koblenz</strong> gebürtigen oder wohnhaft<br />

gewesenen Gefallenen verzeichnet werden. Das Standesamt informierte bei Eingang einer<br />

Kriegssterbefallanzeige Abteilung I, die dann bei der städtischen Druckerei in dreifacher<br />

Ausfertigung Büttenblätter mit dem Aufdruck von Name, Lebensdaten, Anschrift,<br />

Wehrmachtsrang und -einheit des Gefallenen bestellte. Ein Exemplar wurde <strong>im</strong> Standesamt in<br />

einer Truhe verwahrt, damit nach Kriegsende das eigentliche Buch gebunden werden konnte,<br />

die beiden anderen Exemplare waren für das Stadtarchiv und die Angehörigen best<strong>im</strong>mt. <strong>Die</strong><br />

Hinterbliebenen erhielten das Blatt zusammen mit einem Kondolenzbrief des Ober-<br />

bürgermeisters, worin es hieß, der Name des „<strong>im</strong> Einsatz für Führer und Reich“ Gefallenen<br />

sei „zur bleibenden Erinnerung für die kommende Generationen, denen dieser Freiheitskampf<br />

gilt, in das Kriegsehrenbuch der Stadt <strong>Koblenz</strong> eingetragen worden.“ Der gleichzeitigen Bitte<br />

um Informationen zum Lebensweg und Militäreinsatz des Gefallenen kamen viele<br />

Angehörige nach. Sie reagierten sehr dankbar auf die Anteilnahme und Ehrung und schickten<br />

Lebensbeschreibungen, Abschriften von Feldpostbriefen, Fotos etc., die Stadtarchivar<br />

Bellinghausen sammelte. Stadtbaurat Hans Mohaupt, dessen Sohn <strong>im</strong> Juni 1941 gefallen war,<br />

reichte noch <strong>im</strong> April 1943 ein Foto des Kriegsgrabes nach. 220<br />

Da seit Mitte 1943 auch die zivilen Kriegsopfer als „Gefallene“ galten, 221 wurden auch die<br />

Luftkriegstoten in das Kriegsehrenbuch aufgenommen. <strong>Die</strong>s galt aber ausdrücklich nicht für<br />

ums Leben gekommene Ostarbeiter und eine Gefangene aus dem Karmelitergefängnis, die am<br />

19. April 1944 bei einem Treffer auf den Kemperhof starb, wo sie sich offenbar zur<br />

Behandlung befand. 222 In seinen Kondolenzschreiben versicherte S<strong>im</strong>mer den Hinter-<br />

bliebenen, in den <strong>Koblenz</strong>er Mitbürgern werde das Bewusstsein weiterleben, dass „auch diese<br />

Toten <strong>im</strong> Kampf für Deutschlands Freiheit fielen.“ 223 Bei der Ermittlung der Hinterbliebenen<br />

griff die <strong>Stadtverwaltung</strong> auf die Mithilfe der NSDAP-Ortsgruppen zurück, die anhand ihrer<br />

Unterlagen und Erkundigungen Namen und Anschriften mitteilten. Waren Auswärtige in<br />

<strong>Koblenz</strong> ums Leben gekommen, kümmerte sich die Stadt um die Überführung der Leichen<br />

und die Zusendung der Nachlässe; mehrfach schilderte sie Hinterbliebenen auf deren<br />

Nachfrage die näheren Todesumstände. Bei den Trauerbriefbogen achtete S<strong>im</strong>mer auf ein<br />

repräsentatives Äußeres und blieb zu Smits’ Leidwesen selbst dann noch wählerisch, als deren<br />

Druck 1944 verboten wurde. 224<br />

<strong>Die</strong> öffentliche Trauerfeier für die ersten elf Luftkriegsopfer vom 6. April 1942 wurde drei<br />

Tage später mit großem Pomp begangen. <strong>Die</strong> Särge waren in der Rheinhalle aufgebahrt und<br />

von Ehrenwachen umgeben, das städtische Orchester umrahmte die Feier – wie auch die<br />

220 StAK 623 Nr. 8847; ebd. Nr. 9735, S. 36-41, 49, Zitat S. 39; ebd. Nr. 7217, S. 82. Vgl. ebd. Nr. 7006.<br />

221 StAK 623 Nr. 9542, S. 51. Außerdem waren Zivilpersonen jetzt „Verwundete“ statt „Verletzte“.<br />

222 StAK 623 Nr. 7000, S. 78 f., 88, 116; ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 910/1944.<br />

223 StAK 623 Nr. 7000, S. 78; ebd. Nr. 7002, S. 14.<br />

224 StAK 623 Nr. 7001-7003.


586<br />

späteren – musikalisch. S<strong>im</strong>mer verlas nach einer Ansprache, in der er den Angriff als „feige<br />

und unmenschlich“ verurteilte hatte, unter den Klängen des Liedes vom guten Kameraden die<br />

Namen der Toten. Danach sprach Cattepoel über das „brutale Attentat“, das die Bevölkerung<br />

nur „härter und entschlossener“ zurücklasse. Vertreter von Gauleitung, Wehrmacht und<br />

Behörden legten Kränze nieder. Danach defilierte die Bevölkerung zu Tausenden, erwies den<br />

Hitlergruß und legte Blumen nieder. 225 Bei der Besprechung des Einsatzstabes am 10. April<br />

waren sich alle Teilnehmer einig, dass dieser „grosse Rahmen bei häufiger Wiederholung von<br />

Angriffen mit Todesopfern nicht wird beibehalten werden können.“ Künftige Gedenkfeiern<br />

sollten nur unter Beteiligung der Angehörigen, Freunde und „weniger Partei- und<br />

Behördenvertreter – ohne die Menge der Neugierigen – stattfinden.“ 226 Es kam anders.<br />

Erschien nach dem Angriff vom 19. April 1944 mit 21 Ziviltoten zunächst nur ein kurzer<br />

Bericht und eine Todesanzeige des Kreisleiters mit der Ankündigung einer späteren<br />

Trauerfeier, 227 konnte man den schweren Luftangriff vom 22. April mit 115 zivilen Opfern<br />

nicht mehr so einfach übergehen. Gegenüber 1942 war der Aufwand nur wenig reduziert. Am<br />

Vormittag des 27. April wurden die Särge mit Ehrenwachen auf dem Ehrenfriedhof<br />

aufgebahrt. Nachmittags veranstaltete die Kreisleitung in der Stadthalle eine „weihevolle“<br />

Trauerfeier, bei der Cattepoel die Namen der Toten verlas und S<strong>im</strong>on die Gedenkrede hielt, in<br />

der er an den Gemeinschaftsgeist und den Siegeswillen appellierte. 228 Ähnlich pompös<br />

verliefen die Feierlichkeiten für die 74 Todesopfer des 19. Juli 1944. 229 <strong>Die</strong> Kosten für die<br />

öffentlichen Trauerfeiern übernahm das Reich; das städtische Orchester spielte jeweils zu<br />

einem „Ausnahmepreis“ von 300 RM. 230 Ob wie andernorts Kritik laut wurde, dass die Toten<br />

zu einer „Verfügungsmasse“ der Partei wurden, ist unbekannt. 231 <strong>Die</strong> Beisetzung an sich war<br />

Aufgabe der <strong>Stadtverwaltung</strong>. Im Nationalblatt erschien dazu eine Mitteilung des von ihr<br />

beauftragten Beerdigungsinstituts, die Beerdigung erfolge „nach den Wünschen der<br />

Angehörigen“. 232<br />

Bei den Beerdigungen wurde an jedem Grab ein Kranz des Oberbürgermeisters niedergelegt.<br />

Eine Kranzschleife trug außer dem Stadtwappen die Aufschrift „Der Oberbürgermeister der<br />

Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong>“, auf der zweiten Schleife befand sich ein Hakenkreuz. Letzteres war<br />

nach den städtischen Akten gar nicht vorgesehen und ging eventuell auf die Initiative des<br />

beauftragten Blumenhauses zurück. <strong>Die</strong> bei den offiziellen Trauerfeiern aufgestellten Kränze<br />

der Stadt mussten auf ausdrückliche Anordnung S<strong>im</strong>mers in Anzahl und Größe exakt denen<br />

225<br />

NB, 10.4.1942: Abschied von den Fliegeropfern (Zitate); StAK 623 Nr. 7025, S. 1 f.<br />

226<br />

StAK 623 Nr. 7017, S. 379.<br />

227<br />

NB, 20.4.1944: Bombenabwürfe; NB, 22./23.4.1944: Anzeige.<br />

228<br />

StAK FA2 Nr. 2030-2033; NB, 26.4.1944: <strong>Koblenz</strong> ehrt die Gefallenen des Bombenterrors; NB, 27.4.1944:<br />

<strong>Die</strong> Trauerfeier für die Opfer des Bombenterrors; NB, 28.4.1944: Ihr Tod ist uns Verpflichtung! (Zitat).<br />

229<br />

NB, 22./23.7.1944: <strong>Die</strong> Trauerfeier für die Opfer des Bombenterrors; NB, 24.7.1944: Durch Opfer zum Sieg!<br />

230<br />

StAK 623 Nr. 7012; ebd. Nr. 8313, S. 3 f., 31, 41 (Zitat). <strong>Die</strong> Rechnung für die Stadthalle ging an die<br />

Kreisleitung; ebd. Nr. 6553, S. 450 f.<br />

231<br />

Süß: Nationalsozialistische Deutungen, S. 101 f.<br />

232<br />

NB, 26.4.1944: <strong>Die</strong> Beisetzung der Opfer des Terrorangriffes.


587<br />

der Partei entsprechen. 233 Als durch den Angriff vom 25. September 1944 alle Blumen-<br />

geschäfte zerstört waren und keine Kränze beschafft werden konnten, verfügte S<strong>im</strong>mer, es<br />

müsse „unter allen Umständen“ wenigstens ein Bukett mit Stadtschleife niedergelegt werden.<br />

Am 14. November 1944 bestellte die Stadt bei einem Blumengeschäft vorsorglich 1.000<br />

beschriftete Kranzschleifen, zu deren Beschaffung sogar eine Fahrt nach Berlin oder<br />

München genehmigt wurde. <strong>Die</strong> Beisetzung der Luftkriegstoten fand entweder in einem<br />

gemeinsamen Ehrengrab 234 oder auf Wunsch der Hinterbliebenen in Eigengräbern statt. Mit<br />

der Teilnahme an den Beerdigungen und der Kranzniederlegung beauftragte S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong>mer<br />

einen Vertreter, der einige Sätze sprechen sollte. Oft war dies Bellinghausen, aufgrund der<br />

Terminüberschneidungen aber auch andere Bedienstete, die in der Nähe des betreffenden<br />

Friedhofs wohnten. 235 <strong>Die</strong> toten ausländischen Arbeitskräfte erhielten weder einen Kranz<br />

noch fanden sie in den Todesanzeigen der Partei eine Erwähnung. Um ihre Beerdigung<br />

kümmerte sich das Arbeitsamt. 236<br />

<strong>Die</strong> Frage einer Straßenbenennung nach dem gefallenen <strong>Koblenz</strong>er Ritterkreuzträger<br />

Oberleutnant Viktor Lindenmann 237 , Sohn des gleichnamigen Stadtinspektors, wurde <strong>im</strong><br />

Dezember 1942 in der Ratsherrenversammlung ausführlich diskutiert. Man kam überein, die<br />

weitere Ehrung aller <strong>Koblenz</strong>er Gefallenen erst nach Kriegsende klären zu wollen. 238<br />

8.8 Letzte Anstrengungen: Kräftekonzentration, Evakuierungen<br />

und Kriegsende<br />

Schon <strong>im</strong> Juni 1942 wurde auf Betreiben Fuhlrotts das Pfandamt mit zuletzt noch zwei<br />

Mitarbeitern geschlossen. 239 Anfang April 1943 wurde das Stadtplanungsamt „bis auf<br />

weiteres aufgelöst“, Stadtbaurat Berg und Stadtarchitekt Scheurer wechselten zum Amt für<br />

Sofortmaßnahmen. 240 Auch auf Seiten der Partei wurden <strong>im</strong> Frühjahr 1943 Ämter für die<br />

Kriegsdauer stillgelegt, u. a. auch das Hauptamt für Beamte und mit ihm der RDB. 241<br />

233<br />

StAK 623 Nr. 7001, S. 30 f.; ebd. FA2 Nr. 2030.<br />

234<br />

Im Juni 1947 beschwerte sich ein Ehepaar über den vernachlässigten Zustand des Ehrenfriedhofs, auf dem ihr<br />

Sohn bestattet war; StAK 623 Nr. 7027, S. 263.<br />

235<br />

StAK 623 Nr. 7009, S. 12-103, Zitat S. 13.<br />

236<br />

StAK 623 Nr. 7000, S. 85, 115.<br />

237<br />

* 23.11.1916 <strong>Koblenz</strong>, + 9.9.1942 bei Dubakino/Ostfront, 21.9.1941 Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Vgl.<br />

Moselländer mit den höchsten Auszeichnungen. In: Moselland. Kulturpolitische Blätter, Oktober-Dezember<br />

1943, S. 122-127, hier S. 126; StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 338/1943; ebd. Heiratsurkunde<br />

Nr. 71/1943 (nachträgliche Eheschließung des Gefallenen am 25.2.1943!).<br />

238<br />

StAK 623 Nr. 7216, S. 192. Das Ehrenmal wurde 1956 <strong>im</strong> ehemaligen Pulvermagazin von Fort Hübeling<br />

eingeweiht; Stadt <strong>Koblenz</strong>, Presse- und Informationsamt (Hg.): Dokumentation zum 160jährigen Bestehen des<br />

Hauptfriedhofes (Dokumentationen der Stadt <strong>Koblenz</strong> 9). <strong>Koblenz</strong> 1981, S. 52 f. Vgl. StAK 623 Nr. 9409.<br />

239<br />

StAK 623 Nr. 6687, S. 71-85. Das Amt hatte 1933 noch fünf Bedienstete gehabt; ebd. Nr. 6170, S. 215-223.<br />

240 StAK 623 Nr. 9542, S. 26.<br />

241 BArch R 43-II/663.


588<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> November 1943 um eine Arbeitsstunde am Abend verkürzte <strong>Die</strong>nstzeit hob S<strong>im</strong>mer<br />

<strong>im</strong> März 1944 wieder auf. In der wieder gewonnenen Arbeitszeit von 18 bis 19 Uhr fand ab<br />

13. März „täglich eine Umschulung sämtlicher Beamten und Angestellten auf die<br />

Kriegsämter“ statt. 242 Zusammenlegungs- und Vereinfachungsmaßnahmen waren am 6. Juni<br />

Thema einer Besprechung aller <strong>Die</strong>nststellen- und Abteilungsleiter. 243 Im Ergebnis wurde das<br />

Quartieramt Anfang August dem Wohnungsamt angegliedert und so die Raumbewirt-<br />

schaftung zusammengefasst. <strong>Die</strong> Arbeiten der Feststellungsbehörde (Kriegsschädenamt)<br />

wurden dem Steueramt unter der Leitung von Stadtamtmann Schrupp übertragen, Mand blieb<br />

juristischer Leiter. 244 Kaum war diese Maßnahme abgeschlossen, musste die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

Ende des Monats wieder ihre Flexibilität unter Beweis stellen, als die Abordnung von<br />

Bediensteten zu den Arbeiten am Westwall zu weiteren Personalumschichtungen zwang. Zum<br />

Leiter des Luftschutzbauamtes, das inzwischen in Baracken am Kaiserin-Augusta-Ring<br />

untergebracht war, wurde dabei der Technische Stadtinspektor Jakob Deboeser bestellt. 245<br />

Zumindest am 22. Januar, 30. April und 4. Juni 1944 beteiligte sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> an<br />

der von RVK S<strong>im</strong>on an Wochenenden angesetzten „Gemeinschaftsarbeit […] zur Beseitigung<br />

von besonderen Notständen“. Alle Teilnehmer waren am nächsten Tag dem Personalamt zu<br />

melden. 246 Am Wochenende 18./19. März 1944 war die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Rahmen der<br />

„Gemeinschaftshilfe“ zum Bau von Behelfshe<strong>im</strong>en in Neuendorf „best<strong>im</strong>mt worden“. Jeder<br />

Bedienstete war dabei drei Stunden <strong>im</strong> Einsatz. 247 Am 14. Februar und 17. März hatte die<br />

Stadt eine ganze Reihe von Gartengrundstücken an der Herberichstraße beschlagnahmt. 248<br />

Doch auch be<strong>im</strong> Behelfshe<strong>im</strong>bau sollte Ordnung herrschen. <strong>Die</strong> Bauten mussten bau-<br />

polizeilich genehmigt werden. In der Einsatzstabsitzung vom 20. Juni hieß es, ein „wildes<br />

Bauen“ müsse verhindern werden, die Stadt könne aber Flächen für den Eigenbau<br />

ausweisen. 249<br />

Seit Ende Februar 1944 gab es Planungen der Kreisleitung und der <strong>Stadtverwaltung</strong> zur<br />

geschlossenen Verlegung ganzer Schulen. Am 15. März wurden Eltern der Schüler von<br />

Kastorschule und Schule Bassenhe<strong>im</strong>er Hof zu einer Versammlung eingeladen, um ihnen die<br />

Kinderlandverschickung nahezulegen. Schon am nächsten Tag blieben beide Schulen<br />

242<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 17.<br />

243<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 45 f.<br />

244<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 60.<br />

245<br />

StAK 623 Nr. 9571, S. 61. Zu Versetzungen vgl. ebd. Nr. 9794, S. 90, 113.<br />

246<br />

StAK 623 Nr. 7217, S. 269; ebd. Nr. 7772, S. 191; ebd. Nr. 9571, S. 45 (Zitat). Vgl. NB, 29.4./30.4./1.5.1944:<br />

Aufruf an die Bevölkerung.<br />

247<br />

StAK 623 Nr. 8833, S. 132.<br />

248<br />

StAK 623 Nr. 10797, 10800, 10809, 10811, 10826, 10831, 10832, 10845, 10855, 10863, 10926, 11064. <strong>Die</strong><br />

Stadt musste nach Kriegsende noch Pacht nachzahlen und kaufte den Eigentümern die Grundstücke 1948 ab, da<br />

die Behelfshe<strong>im</strong>e noch auf Jahre bestehen bleiben mussten.<br />

249<br />

StAK 623 Nr. 7008, S. 21 f. (Zitat); NB, 30.6.1944: Behelfsbauten genehmigungspflichtig. Das erste<br />

„Muster-Behelfshe<strong>im</strong>“ stand auf einer Grünfläche in der Nähe der Stadthalle; NB, 30.4./1.5.1944: Unter dem<br />

eigenen Dach.


589<br />

geschlossen. Bellinghausen fuhr als Leiter der Schulverwaltung 250 mit weiteren Vertretern<br />

der Stadt und der HJ in benachbarte Kreise und in die Eifel, um die dort vorgesehenen Lager<br />

zu besichtigen. Am 20. März wurden die Schulkinder der beiden Schulen evakuiert. Im Mai<br />

wurde das Verfahren mit der Thielenschule praktiziert. 251 Tragischerweise kamen bei einem<br />

Fliegerangriff auf Daun am 19. Juli 1944 fünf <strong>Koblenz</strong>er Schüler ums Leben. 252<br />

Auf freiwilliger Basis hatten bis 1943 nur ca. 8.000 bis 9.000 Personen <strong>Koblenz</strong> verlassen.<br />

Bis 2. Mai 1944 waren unter dem Eindruck der beiden ersten schweren Angriffe vom April<br />

für 1.335 Personen Abreisebescheinigungen ausgestellt worden. 253 Danach wurde bei den<br />

Evakuierungen „durch die NSDAP Zwang ausgeübt“, 254 und das Nationalblatt warnte die<br />

bereits Umquartierten eindringlich vor einer Rückkehr. 255 Am 21. Juli hieß es in der<br />

Einsatzbesprechung, es seien keine weiteren Ansprüche geltend gemacht worden, „zweifellos<br />

aus der Sorge heraus, evakuiert zu werden.“ 256 Alle Volks-, Haupt-, Mittel- und Berufs-<br />

schulen wurden am 14. September geschlossen. Lautsprecherwagen der Gaupropaganda-<br />

leitung forderten am 23. September Frauen, Kinder und Alte zum Verlassen der Stadt auf.<br />

Am Abend des 24. September fuhr der erste Zug mit 600 Personen in den Aufnahmegau<br />

Thüringen 257 , dem nun fast täglich Flüchtlingstransporte folgten. 258 <strong>Die</strong> ersten Frauen und<br />

Kinder kehrten aber schon am 6. Oktober wieder zurück, weil man sie „dort schlecht und<br />

unfreundlich“ aufgenommen hatte. 259 Der SD hatte bereits <strong>im</strong> November 1943 auf die<br />

Abneigung der Bevölkerung gegen die Umquartierungen hingewiesen, die sich dann auch zu<br />

einer „Quelle ständiger Ärgernisse“ entwickelten. 260 Wahrscheinlich, weil die NSV für die<br />

Evakuierungsmaßnahmen zuständig war, hatte NSV-Kreisamtsleiter Richter <strong>im</strong> August 1943<br />

von der Krankenhausverwaltung Auskunft über die Verlegung von 50 alten Männern aus dem<br />

Bürgerhospital ins Kloster Ebernach bei Cochem verlangt. Fuhlrott vermerkte dazu, S<strong>im</strong>mer<br />

wolle die Sache mit S<strong>im</strong>on persönlich klären. 261 Amtmann Schmitz sagte dazu 1949 aus,<br />

250 Vom 1.4.1943 bis 1.10.1944 war Stadtarchivar Bellinghausen bei Abt. II als „Dezernent“ eingesetzt. Hans<br />

Bellinghausen: Verzeichnis eigener Schriften 1914-1955. <strong>Koblenz</strong> o. J., S. 129. Vgl. StAK 623 Nr. 8944, S. 156;<br />

ebd. N 12, Zug. 81/1993.<br />

251 Katholischer Leseverein e.V. <strong>Koblenz</strong> (Hg.): <strong>Koblenz</strong> vor dreißig Jahren – <strong>Die</strong> Stadt <strong>im</strong> Bombenhagel,<br />

Eintrag zum 16.3.1944; StAK N 12, Zug. 81/1993, Einträge zum 28.2., 11.3., 15.3., 18.3., 28.3., 30.3., 23.5.,<br />

21.6.1944; Schnatz: Luftkrieg, S. 78.<br />

252 StAK 623 Nr. 7003, S. 49.<br />

253 StAK 623 Nr. 7000, S. 126, 129.<br />

254 StAK 623 Nr. 8039, S. 16.<br />

255 NB, 27.6.1944: Rückkehr in die Stadt?<br />

256 StAK 623 Nr. 7026, S. 231.<br />

257 Zu den Evakuierungen vgl. Markus Fleischhauer: Der NS-Gau Thüringen 1939-1945. Eine Struktur- und<br />

Funktionsgeschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 28). Köln<br />

2010, S. 103-132, wobei der Entsendegau Moselland aber unerwähnt bleibt.<br />

258 Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 165, 169 f. Der letzte reguläre Sonderzug vor dem Räumungsbefehl vom<br />

12.1.1945 fuhr am 5.12.1944; Schnatz: Luftkrieg, S. 329. In Trier verließ der erste Sonderzug am 14.9.1944 die<br />

Stadt; Zuche: StattFührer, S. 100.<br />

259 Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 175 f., 179, Zitat S. 175.<br />

260 Schnatz: Luftkrieg, S. 19.<br />

261 StAK 623 Nr. 7772, S. 152. Gauamtsleiter Ackermann hatte außerdem eine Aufstellung aller luftgefährdeten<br />

Altershe<strong>im</strong>e angefordert.


590<br />

Fuhlrott habe in seiner Doppelfunktion als Ortsgruppenleiter und Beigeordneter „alle<br />

Parteibefehle rücksichtslos“ ausgeführt. <strong>Die</strong>s habe sich besonders krass gegen Kriegsende<br />

gezeigt. Als nämlich die ausgebombten Salesianerinnen, Dominikanerinnen und<br />

Borromäerinnen <strong>im</strong> Krankenhausbunker Schutz suchten, sei dies Fuhlrott „ein Dorn <strong>im</strong> Auge“<br />

gewesen, und „er ruhte nicht, bis sie bei Nacht und Nebel und unter ständiger Fliegergefahr<br />

die Bunker verliessen und sich ins Ungewisse begaben.“ <strong>Die</strong>s habe ebenso für die<br />

gebrechlichen Insassen des ausgebombten Bürgerhospitals gegolten, die ohne Fuhlrotts<br />

ständige Drohungen hätten bleiben können. Schmitz gestand zu, die Anweisung zur Räumung<br />

der Krankenhausbunker von Nichtkranken sei von Polizeipräsident Wetter als dem ÖLSL<br />

ausgegangen, sie sei aber fast nur bei den Ordensschwestern und den Altershe<strong>im</strong>insassen<br />

durchgesetzt worden. 262 Der Vorgang zeigt nebenbei, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> sich bei der<br />

Belegung „ihres“ Bunkers einen Handlungspielraum eröffnet hatte.<br />

Bellinghausen berichtete <strong>im</strong> September/Oktober 1944 von „regelrechte[n] Kämpfe[n]“ um die<br />

Plätze in den überfüllten Bunkern, von Nervosität, Rücksichtslosigkeit, Zank, Streit und<br />

Hysterie bei den Insassen. Nachdem von „St<strong>im</strong>mung“ bereits keine Rede mehr war, sah es<br />

jetzt so aus, als drohe die Bevölkerung noch ihre heroische „Haltung“ 263 zu verlieren. Um<br />

dem dramatischen Zerfall der viel beschworenen Volksgemeinschaft gegenzusteuern, ließ die<br />

Partei – angeblich auf Betreiben Fuhlrotts 264 – an Hauswänden und Straßenecken<br />

Durchhalteparolen anbringen. 265 Trotz aller Widrigkeiten verließen Obdachlose erst nach dem<br />

Luftangriff vom 6. November in großer Zahl notgedrungen die Stadt und suchten entweder<br />

die Notquartiere in der Umgebung auf oder ließen sich von der NSV nach Thüringen<br />

evakuieren. 266 Als NSDAP-Ortsgruppenleiter und Hauptgemeinschaftsleiter ordnete Fuhlrott<br />

am 10. Dezember 1944 eine sofortige Überprüfung der Bunkerplatzbelegung an. Dringend<br />

appellierte er an alle Personen, die nicht <strong>im</strong> Kriegseinsatz oder ortsgebunden waren,<br />

besonders Mütter mit Kindern, nicht berufstätige Frauen, Alte und Gebrechliche, nach<br />

Thüringen abzureisen, ansonsten könnten sie „eine besondere Unterstützung bei weiterem<br />

Verbleiben nicht erwarten.“ Jeder Benutzer eines Bunkerschlafplatzes musste in seiner<br />

Ortsgruppen-Geschäftsstelle binnen zwei Tagen unter Vorlage einer Bescheinigung seines<br />

Arbeitgebers über den Kriegseinsatz eine Zulassungskarte beantragen. Alle anderen<br />

Bunkerplätze galten ab 15. Dezember als verfallen. 267 Eine Aufenthaltsgenehmigung zum<br />

262<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Schmitz vom 30.12.1949.<br />

263<br />

Zur Unterscheidung von „St<strong>im</strong>mung“ und „Haltung“ vgl. Süß: Nationalsozialistische Deutungen, S. 104-109.<br />

Vgl. NB, 24.4.1944: Vorbildliche Haltung.<br />

264<br />

Fuhlrott soll Urheber der Aufschriften „Wir bleiben dem Fuehrer treu“, „<strong>Koblenz</strong> steht fest“ usw. gewesen<br />

sein; LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Oberamtsanwalt [Name unleserlich] vom 8.3.1948.<br />

265<br />

Bellinghausen: Aufzeichnungen, S. 169 (Zitat), 172, 176. Zum Sinken der „Moral“ und dem Zerfall der<br />

„Volksgemeinschaft“ <strong>im</strong> Bunker vgl. <strong>Die</strong>tmar Süß: Der Kampf um die „Moral“ <strong>im</strong> Bunker. Deutschland,<br />

Großbritannien und der Luftkrieg. In: Frank Bajohr/Michael Wildt: Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur<br />

Gesellschaft des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Frankfurt am Main 2009, S. 124-143.<br />

266<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 308, 311.<br />

267<br />

StAK 623 Nr. 7746, S. 236. <strong>Die</strong> Anordnung galt auch für die anderen Ortsgruppen oder war auch dort<br />

ergangen. Abb. des Vordrucks „Vorläufige Zuweisung für einen Bunker-Schlafplatz (jederzeit widerruflich)“ für


591<br />

Verbleib in <strong>Koblenz</strong> erhielt nur noch, wer „zur Erfüllung kriegswichtiger Aufgaben“<br />

gebraucht wurde. Ein entsprechender Vordruck der Kreisleitung war von der <strong>Die</strong>nststelle oder<br />

dem Betriebsführer auszufüllen. 268 Seit der Jahreswende 1944/45 kann von einer<br />

Zwangsevakuierung durch die NSDAP gesprochen werden, die die restliche Bevölkerung<br />

unter „äusserste[n] Druck“ setzte. 269 Gauleiter und RVK S<strong>im</strong>on befahl am 12. Januar 1945<br />

„die erweiterte Umquartierung“. 270 Als Ortsgruppenleiter der Altstadt leitete Plönissen, meist<br />

in betrunkenem Zustand, die Evakuierungsaktionen aus dem Nagelsgassen-Bunker, bei denen<br />

alte Leute „erbarmungslos in die Lastautos hinein geworfen“ wurden. 271<br />

Tabelle 24: Einwohnerzahlen Januar 1944 – April 1945 272<br />

Datum Einwohnerzahl<br />

1.1.1944 94.417<br />

24.7.1944 67.148<br />

Ende 1944 30-35.000<br />

Januar/Februar 1945 15-20.000<br />

März 1945 3-4.000 „<strong>im</strong> eigentlichen <strong>Koblenz</strong>“ [Innenstadt]<br />

09.04.1945 19.076<br />

Nach dem Luftangriff vom 6. November 1944 war selbst ein nur behelfsmäßiger Wieder-<br />

aufbau in der Innenstadt utopisch geworden. Bei Kriegsende waren rund 15.300 von 26.000<br />

Wohnungen stark beschädigt oder zerstört und damit unbewohnbar. 273 S<strong>im</strong>mer musste am<br />

17. November eingestehen, dass auch die Straßeninstandsetzung „unter den obwaltenden<br />

Verhältnissen unmöglich bewältigt werden“ könne, es sollten aber die Hauptverkehrsstraßen<br />

freigeräumt und möglichst intakt gehalten werden. Der Gemeinschaftsdienst wurde<br />

aufgerufen, dem Tiefbauamt sofort die Schäden an den Hauptverkehrsadern zu melden. 274 Im<br />

Januar 1945 wurden alle Kriegsgefangenen und Ostarbeiter, die der Hafen- und Bahnver-<br />

waltung für Gleisinstandsetzungsarbeiten zur Verfügung standen, auf Anweisung S<strong>im</strong>mers für<br />

Straßenräumarbeiten herangezogen, „um den Heerestransport durchschleusen zu können“. 275<br />

Später beteuerte S<strong>im</strong>mer, seine Arbeit habe „nichts mit Kriegsverlängerung zu tun“ gehabt,<br />

eine städtische Angestellte, ausgestellt am 15.12.1944 vom NSDAP-Ortsgruppenleiter Süd in: Schnatz:<br />

Luftkrieg, S. 512.<br />

268<br />

Schnatz: Luftkrieg, S. 512 (Abb.).<br />

269<br />

StAK 623 Nr. 8039, S. 17 (Zitat); ebd. S 4 Nr. 3, S. 130; <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Jahre 1946. Verwaltungsbericht der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1946 (1.IV.1946-31.III.1947), S. 7.<br />

270<br />

NB, 13./14.1.1945: Der Sonderbeauftragte des Gauleiters für Räumung gibt bekannt (Zitat); Schnatz:<br />

Luftkrieg, S. 441-443.<br />

271<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984 (unpaginiert), Zeuge Klemens Hoffmann. Vgl. Kurt Butterbach (Hg.): <strong>Die</strong><br />

Pfarrei Unserer Lieben Frauen in <strong>Koblenz</strong> während der Kriegsjahre 1939 bis 1945. Aufzeichnungen von Dr.<br />

Heinrich Chardon. <strong>Koblenz</strong> 1963, S. 38.<br />

272<br />

StAK 623 Nr. 8039, S. 16 f.; ebd. N 51, S. 39 (Zitat); Tabelle 1: <strong>Die</strong> Einwohnerentwicklung von <strong>Koblenz</strong> von<br />

1787 bis 1991. In: Geschichte der Stadt <strong>Koblenz</strong>, S. 608.<br />

273<br />

StAK 623 Nr. 8039, S. 11.<br />

274 StAK 623 Nr. 3583, S. 43.<br />

275 StAK 623 Nr. 6881, S. 110.


592<br />

sondern nur mit der Sorge um die Bevölkerung. 276 Als der Konflikt zwischen den beiden<br />

ehemaligen Studienfreunden S<strong>im</strong>mer und S<strong>im</strong>on eskalierte, entzog S<strong>im</strong>on dem Oberbürger-<br />

meister Mitte Januar 1945 die technische Leitung der Sofortmaßnahmen und übertrug sie<br />

seinem ehemaligen Adjutanten, dem kommissarischen Kreisleiter von Zell, Artur Rumpel 277 .<br />

<strong>Die</strong> „Aufbauleitung Rumpel“ bzw. „Bauleitung Rumpel“ wird erstmals am 27 Januar 1945<br />

erwähnt. Sie befand sich <strong>im</strong> Ostarbeiterlager bzw. Bunker Nagelsgasse. 278<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> versuchte vom Rathaus und Nagelsgassen-Bunker aus, „so gut es ging,<br />

ihren Aufgaben gerecht zu werden.“ 279 Am 17. Februar 1945 gab Fuhlrott eine amtliche<br />

Bekanntmachung zur „Bewirtschaftung von Büromöbel [sic]“ heraus, 280 und das Nationalblatt<br />

informierte Anfang März über die Lebensmittelzuteilungen, die „durch die Entwicklung der<br />

letzten Wochen“ gekürzt werden mussten. 281 Noch am 8. März 1945 nahm das Standesamt<br />

Beurkundungen vor, es fand sogar noch eine Eheschließung statt. 282 So gilt auch für <strong>Koblenz</strong>,<br />

„dass die Deutschen überaus gut verwaltet in den Untergang marschierten.“ 283 Doch die<br />

ständigen Alarme und Angriffe ließen kaum noch Aufräumarbeiten zu. Übrig blieb, wie<br />

Lanters sich erinnerte, Resignation: „Zum Schluss musste man alles laufen lassen, wie es lief,<br />

denn die Arbeiter hatten kaum die Schüppe in die Hand genommen, als auch schon wieder die<br />

Sirenen ertönten, soweit letztere überhaupt noch in Ordnung waren.“ 284<br />

8.9 Zwischenergebnis<br />

Seit Kriegsbeginn stand die <strong>Stadtverwaltung</strong> in vorderster Linie der He<strong>im</strong>atfront. <strong>Die</strong><br />

Auftragsverwaltung für das Reich brachte für sie eine geradezu erdrückende Aufgabenlast<br />

(Luftschutzmaßnahmen und Bunkerbau, Einquartierungen und Beschlagnahmen,<br />

Kriegsämter) mit sich. <strong>Die</strong> neu entstehenden Ämter entwickelten sich schnell zu den größten<br />

der <strong>Stadtverwaltung</strong>, während nicht kriegswichtige Arbeiten zurückstehen mussten oder ganz<br />

eingestellt wurden. <strong>Die</strong> ausufernde Unübersichtlichkeit der rechtlichen Best<strong>im</strong>mungen sowie<br />

der durch Einberufungen stark ausgedünnte Personalbestand erschwerten dabei den<br />

Arbeitsalltag. Der Mangel an Verwaltungsfachkräften musste durch schnell angelerntes<br />

Aushilfspersonal halbwegs aufgefangen werden. <strong>Die</strong> Zahl der Akteure <strong>im</strong> polykratischen<br />

276<br />

StAK 623 Nr. 9743, S. 297.<br />

277<br />

* 4.8.1909, verheiratet, 1937 NSDAP-Mitglied, HJ-Bannführer und HJ-Gebietsgeldverwalter, 1.8.1942<br />

Adjutant des Gauleiters und Leiter der Kanzlei der Gauleitung, 1.5.1944 kommissarischer Kreisleiter Zell/Mosel,<br />

Oberabschnittsleiter. BArch (ehem. BDC), PK, Rumpel, Artur, 4.8.1909; Maier: Organisationshandbuch, S. 394.<br />

Vgl. Kapitel 5.3.4.<br />

278<br />

StAK 623 Nr. 6881, S. 107, 110. Vgl. Kapitel 5.3.4.<br />

279<br />

StAK 623 Nr. 8039, S. 21.<br />

280<br />

NB, 17./18.2.1945: Amtliche Anzeigen.<br />

281<br />

NB, 1./2.3.1945: <strong>Die</strong> Lebensmittelzuteilungen in der 73. Kartenperiode.<br />

282<br />

StAK, Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 242/1945, Heiratsurkunde Nr. 7/1945. <strong>Die</strong> nächste<br />

Heiratsurkunde Nr. 8/1945 datiert vom 31.3.1945. Standesbeamter Henn hat hierin – routinemäßig und<br />

letztmalig – die Rubrik „rassische Einordnung“ mit „deutschblütig“ ausgefüllt.<br />

283<br />

Mecking/Wirsching: <strong>Stadtverwaltung</strong> als Systemstabilisierung?, S. 19.<br />

284 StAK 623 Nr. 8039, S. 21.


593<br />

Geflecht, in dem die <strong>Stadtverwaltung</strong> ihren Platz finden und behaupten musste, stieg an<br />

(RVK, GBV, GBW, Einsatzstab des Gauleiters). <strong>Die</strong>s alles erforderte von den Beamten<br />

ständige Flexibilität und Pragmatismus.<br />

Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer bemühte sich ehrgeizig darum, die ihm als „zusammenfassende<br />

maßgebliche Stelle“ gemäß der „Anordnung über die Verwaltungsführung in den<br />

Landkreisen“ gegebenen Möglichkeiten mit Leben zu füllen. Dabei stieß er jedoch auf den<br />

Widerstand anderer Behördenleiter, an erster Stelle Polizeipräsident Wetter, den zu brechen<br />

ihm nicht gelang. Auch scheiterte S<strong>im</strong>mer mit seinem Vorhaben einer vorübergehenden<br />

Vereinigung der Verwaltung von Stadt- und Landkreis. <strong>Die</strong> Einführung des Gemeinschafts-<br />

dienstes der <strong>Stadtverwaltung</strong> belegt, dass er danach strebte, Zuständigkeiten der Stadt-<br />

verwaltung tendenziell auszuweiten. <strong>Die</strong> Eskalation des Konflikts zwischen S<strong>im</strong>mer und<br />

Gauleiter S<strong>im</strong>on gegen Kriegsende beruhte nicht nur auf persönlichen Momenten und ihrer<br />

institutionell bedingten Rivalität, sondern auch auf den unerfüllbaren Forderungen des<br />

Gauleiters nach noch schnellerer Schadensbeseitigung. S<strong>im</strong>mer hatte selbst <strong>im</strong>mer wieder zu<br />

Schnelligkeit und Effizienz angetrieben.<br />

Müllers diverse Ausführungen geben ein Musterbeispiel dafür, wie die traditionelle<br />

Verwaltungspraxis zugunsten einer „Vereinfachung der Verwaltung“ aufgeweicht werden<br />

sollte. Bürokratieabbau sollte nicht nur der Effizienzsteigerung angesichts der vielfältigen<br />

Kriegsaufgaben und dem Ziel der Freisetzung Wehrfähiger für die Front dienen. <strong>Die</strong><br />

Aufrechterhaltung einer raschen und reibungslosen Bedienung der „Volksgenossen“<br />

bezweckte auch, dem St<strong>im</strong>mungsverfall der Bevölkerung vorzubeugen. Es ging nicht nur<br />

darum, wie Müller vordergründig argumentierte, Beschwerden bei vorgesetzten Stellen zu<br />

vermeiden, sondern eine angesichts der Mangelwirtschaft wachsende Unzufriedenheit<br />

einzudämmen, die letztlich das NS-Reg<strong>im</strong>e an sich in Frage zu stellen drohte.<br />

<strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit der Kreisleitung, insbesondere Kreisleiter Cattepoel, funktionierte<br />

bei der Einsatzplanung und der praktischen Katastrophenbewältigung problemlos und<br />

unkompliziert. Nur ein einziger Fall (Evakuierung des Bürgerhospitals) wurde aktenkundig,<br />

in dem die NSV-Kreisleitung Aufklärung verlangte. <strong>Stadtverwaltung</strong> und Kreisleiter hielten<br />

einmal sogar an einer getroffenen Vereinbarung entgegen der anders lautenden Weisung des<br />

Gauleiters fest. <strong>Die</strong> Ausgabe der Lebensmittelkarten erfolgte durch die NSV-Ortsgruppen,<br />

und die NSV wurde zur Verfügung über dezentrale Lebensmittellager ermächtigt. Bei der<br />

Beseitigung von Fliegerschäden war die kommunale Bürokratie auf organisatorischer und<br />

personeller Ebene eng mit der Partei verschränkt. <strong>Die</strong> Einteilung der Schadensbezirke<br />

orientierte sich exakt an den Grenzen der NSDAP-Ortsgruppen, die Wiederaufbauleiter waren<br />

zur Zusammenarbeit mit den Ortsgruppenleitern verpflichtet. Bei der Feststellung der<br />

Hinterbliebenen der Luftkriegstoten griff die <strong>Stadtverwaltung</strong> auf die Hilfe der Ortsgruppen<br />

zurück, und bei der Erfassung der auswärtigen Fliegergeschädigten plante sie, die


594<br />

Unterstützung der Kreisleitung zu beanspruchen. Damit zeigte auch die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong> die Tendenz, „nicht mehr zu bewältigende Arbeiten“ an die Partei abzutreten. 285<br />

<strong>Die</strong> möglichst schnelle Verpflegung nach Bombenangriffen und die Wiederherstellung von<br />

Wohnraum, der Gas- und Wasserleitungen etc. gehörten zu den wichtigsten Voraussetzungen<br />

für die „Ruhigstellung“ der Bevölkerung. <strong>Die</strong> katastrophalen Luftkriegsfolgen konnten in<br />

einer gemeinsamen, arbeitsteiligen Kraftanstrengung von <strong>Stadtverwaltung</strong> und Partei trotz<br />

schwindender materieller und personeller Ressourcen erstaunlich gut und lange bewältigt<br />

werden. Sogar nach dem verheerenden Angriff des 6. November klappte die Krisen-<br />

bewältigung noch leidlich, es herrschte nicht das blanke Chaos. 286 Verschiedene Äußerungen<br />

von Amtsleiter Smits und Verwaltungsdirektor Müller zeigen, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> sich<br />

sehr wohl für die „St<strong>im</strong>mung“ der Bevölkerung mitverantwortlich fühlte. <strong>Die</strong>s widersprach<br />

der offiziell vorgeschriebenen Aufgabenteilung mit der Kreisleitung, die darin ein<br />

Kernanliegen der „Menschenführung“ der Partei sah. In der Praxis scheint dies in der<br />

Zusammenarbeit mit Kreisleiter Cattepoel keine Rolle gespielt zu haben, was einmal mehr das<br />

pragmatische Ziehen an einem Strang angesichts der zu bewältigenden Probleme belegt. <strong>Die</strong><br />

städtischen Maßnahmen bei der Gefallenenehrung legit<strong>im</strong>ierten einerseits das massenhafte<br />

Sterben, andererseits halfen sie der Bevölkerung, zumindest „Haltung“ zu bewahren. <strong>Die</strong><br />

Besorgtheit um die „St<strong>im</strong>mung“ der Bevölkerung und die Ehrung gefallener Bürger waren<br />

aber sicher nicht oder nicht ausschließlich ideologisch-politisch motiviert. Vielmehr gehörte<br />

es zum verinnerlichten Berufsethos der Beamten, sich für das Wohl der Allgemeinheit<br />

verantwortlich zu fühlen, 287 was sich – möglicherweise in einem Reflex auf den zeittypischen<br />

Sprachgebrauch – als Sorge um die „St<strong>im</strong>mung“ der Bevölkerung artikulierte. Insgesamt<br />

gesehen lösten die Bediensteten pflichtgemäß das ein, was Stadtkämmerer Wirtz zu<br />

Kriegsbeginn von ihnen gefordert hatte: <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> erwies sich als zentraler,<br />

zuverlässig funktionierender Bestandteil der He<strong>im</strong>atfront, zu deren Stabilität sie ganz<br />

wesentlich beitrug. 288<br />

285<br />

Armin Nolzen: „Menschenführung“ <strong>im</strong> Bombenkrieg. <strong>Die</strong> Tätigkeiten der NSDAP nach Luftangriffen. In:<br />

historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1805/, Zugriff am 27.7.2010.<br />

286<br />

Zum lange funktionierenden Krisenmanagement der Kommunalverwaltungen vgl. Gotto: Kommunale<br />

Krisenbewältigung, S. 50-56.<br />

287<br />

Gotto betont, die meisten NS-Oberbürgermeister hätten „ein starkes Interesse am Wohlergehen der ihnen<br />

anvertrauten Stadt“ gehabt und die NS-Funktionäre in Verwaltung und Partei hätten sich „der Bevölkerung<br />

tatsächlich verbunden“ gefühlt. Gotto: Kommunale Krisenbewältigung, S. 55 f., Zitat S. 56.<br />

288<br />

Zu diesem Ergebnis kommt auch Brinkhus in seiner Untersuchung rheinischer und westfälischer Städte.<br />

Brinkhus: Auftragsverwaltung, S. 242.


9 Notizen zum Neuanfang<br />

595<br />

Franz Lanters wurde von der amerikanischen Militärbesatzung als (Ober-)Bürgermeister<br />

eingesetzt. <strong>Die</strong>s hatte er wahrscheinlich seinem entschlossenen und besonnenen Auftreten am<br />

Krankenhaus Kemperhof, seiner langen Verwaltungserfahrung und seinen ausgezeichneten<br />

Englischkenntnissen zu verdanken. Seine erste Rundverfügung datiert vom 5. April 1945. 1<br />

Der verbliebene Teil der <strong>Stadtverwaltung</strong> und ebenso die nach und nach aus der Evakuierung<br />

zurückkehrenden Bediensteten stellten sich genauso naht- und übergangslos wie 1933 in den<br />

<strong>Die</strong>nst einer neuen Macht, diesmal der amerikanischen Besatzung. Einerseits blieb ihnen<br />

kaum eine andere Wahl, andererseits zeugen Lanters’ Aufzeichnungen zu den ersten knapp<br />

drei Wochen der Besatzungszeit von ihrem tief verinnerlichten Verantwortungsbewusstsein<br />

für das Allgemeinwohl der <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung. 2 Wieder verbürgte die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

mit ihren Bediensteten für die Bürger in einer Phase des völligen politischen und gesell-<br />

schaftlichen Umbruchs Kontinuität und Stabilität. <strong>Die</strong> Beamten erwiesen sich auch diesmal<br />

als tragende Stützen des neu entstehenden Staates, obwohl in einigen Fällen die politische<br />

Belastung eine problematische Hypothek darstellte. 3<br />

Am 12. April erschien eine von Lanters unterzeichnete Bekanntmachung, in der die sofortige<br />

Entfernung von Oberbürgermeister S<strong>im</strong>mer, der Beigeordneten Fuhlrott, Hansmeyer und<br />

Klose sowie der Ratsherren aus allen öffentlichen Ämtern mitgeteilt wurde. 4 Auf Anordnung<br />

der Militärregierung folgte am 26. Mai die Entlassung von 119 Bediensteten. 5 Mit Wirkung<br />

vom 8. Juni 1945, 14 Uhr, erklärten die Amerikaner dann auch Lanters’ Absetzung und sein<br />

Ausscheiden aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nst. Inzwischen war nämlich bekannt geworden, dass<br />

Lanters seit 1935 Mitglied der NSDAP gewesen war. Damit war er für die Besatzung<br />

„untragbar“ 6 geworden. Immerhin legte die Militärregierung am 12. Juni jedoch fest, dass er<br />

die volle gesetzliche Pension erhalten solle. Sein Nachfolger <strong>im</strong> Amt, der Sozialdemokrat<br />

Wilhelm Kurth, setzte Lanters schon am 15. Juni wieder als Leiter der Hafen- und<br />

Bahnverwaltung und der Stadtkellerei ein, was sicher nicht ohne Billigung der Militär-<br />

regierung geschehen konnte und Lanters aufgrund seiner Verdienste in den ersten<br />

Besatzungsmonaten quasi politisch rehabilitierte. <strong>Die</strong> Bereinigungskommission kürzte seine<br />

1<br />

StAK 623 Nr. 9573, S. 4.<br />

2<br />

Lanters erklärte zwei amerikanischen Offizieren z. B. am 18.3.1945, „dass ich in meiner Sorge um die<br />

Zivilbevölkerung bereit sei, nach jeder Seite hin loyal zu arbeiten, aber ich möchte dringend bitten, keine<br />

Forderungen an mich zu stellen, deren Erfüllung sich mit meiner deutschen Ehre nicht vereinbaren würde.“<br />

StAK N 51, S. 2, veröffentlicht in: <strong>Koblenz</strong>er erinnern sich, S. 130.<br />

3<br />

Mecking: „Immer treu“, S. 368. <strong>Die</strong> meisten Beamten der von Mecking untersuchten <strong>Stadtverwaltung</strong> Münster<br />

hätten die Staatsformwechsel „lebensgeschichtlich als Einheit, politisch als Bruch und berufsständisch als<br />

Kontinuität erfahren“. Ebd.<br />

4<br />

StAK 623 Nr. 6235, S. 128.<br />

5<br />

StAK 623 Nr. 6235, S. 95-97.<br />

6<br />

Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 191 (Zitat), 573.


596<br />

Bezüge 1946 für ein Jahr um 20 %. Zum 1. Juli 1949 wurde Lanters pensioniert, aufgrund der<br />

Personalknappheit führte er die <strong>Die</strong>nstgeschäfte aber noch bis Ende 1950 weiter. 7<br />

Oberbürgermeister Kurth versuchte, die Entnazifizierung der <strong>Stadtverwaltung</strong> weiter<br />

voranzutreiben. Alle während der NS-Herrschaft beförderten NSDAP-Mitglieder unter<br />

den Beamten und Angestellten wurden mit Wirkung vom 1. Juli 1945 in ihre frühere<br />

Besoldungsgruppe zurückgestuft. In der Leitung fast aller <strong>Die</strong>nststellen nahm er<br />

Umbesetzungen vor. Opt<strong>im</strong>istisch erklärte er: „<strong>Die</strong> neu ernannten <strong>Die</strong>nststellenleiter bieten<br />

mir die Gewähr dafür, daß der Geist des dritten Reiches restlos aus der <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong> ausgemerzt wird.“ 8 Im Verwaltungsbericht 1946 heißt es: „Durch die politische<br />

Bereinigung, der sich das gesamte städtische Personal zu unterziehen hatte, wurden entlassen:<br />

145 Beamte[,] 36 Angestellte[,] 34 Lehrpersonen[,] 114 Polizeibeamte und Angestellte.“ 9<br />

Nikolaus S<strong>im</strong>mer geriet am 23. März 1945 bei Oppenhe<strong>im</strong> in amerikanische Kriegs-<br />

gefangenschaft. Nach seiner Entlassung <strong>im</strong> Oktober 1945 wurde er von November 1945 bis<br />

Februar 1946 interniert, wo ist unklar. Im Februar 1947 erfolgte seine Auslieferung an<br />

Luxemburg, wo er unter Verdacht stand, als Abteilungsleiter des CdZ Kriegsverbrechen<br />

begangen zu haben. Anfang Juli 1948 wurde er aus der Haft entlassen, ohne dass eine<br />

Anklage erfolgt war. S<strong>im</strong>mer wandte sich am 22. Juli aus seinem He<strong>im</strong>atort Besch an den<br />

früheren Stadtinspektor und jetzigen Oberbürgermeister Schnorbach. Er wolle „wieder ein<br />

nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft“ werden und seine Familie ernähren. Deshalb<br />

bat er Schnorbach um eine „gerechte Beurteilung“. Einen Entwurf schickte er gleich mit, den<br />

Schnorbach bis auf einige Änderungen übernahm. Darin bestätigte er seinem Vorgänger die<br />

Gewährung seiner Gehaltszulage ohne Zust<strong>im</strong>mung der Partei, die Belassung der<br />

Ordensschwestern und des Geistlichen Rektors <strong>im</strong> Kemperhof, die Einstellung kirchlich<br />

gebundener Lehrkräfte an der städtischen Mädchenoberschule und den Einsatz reaktivierter<br />

Beamter wie Rogg in leitender Stellung. Der Landeskommissar für die politische Säuberung<br />

wünschte <strong>im</strong> Juni 1949 schnellstmöglich ein Spruchkammerverfahren einzuleiten, über das er<br />

unterrichtet bleiben wollte. Er entschied, dass der Untersuchungsausschuss Trier die<br />

Ermittlungen gegen S<strong>im</strong>mer durchführen und einen Säuberungsvorschlag erstellen sollte. Das<br />

eigentliche Spruchkammerverfahren sollte dann in <strong>Koblenz</strong> stattfinden. Im Oktober 1949<br />

bescheinigte die Spruchkammer Trier dem Finanzamt Daun, dass gegen eine Tätigkeit<br />

S<strong>im</strong>mers, der inzwischen in Gerolstein lebte, als Steuerberater keine Bedenken bestünden.<br />

7 StAK 623 Nr. 8827, S. 172, 174, 180, 198, 226.<br />

8 StAK 623 Nr. 9573, S. 15 f.<br />

9 <strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Jahre 1946. Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1946 (1.IV.1946-<br />

31.III.1947), S. 7. <strong>Die</strong> Entlassungen und sonstigen Sühnemaßnahmen wie Zurückversetzungen ins<br />

Angestelltenverhältnis wurden <strong>im</strong> Amtsblatt veröffentlicht; Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-<br />

Hessen-Nassau und für die Regierung in <strong>Koblenz</strong>, Nr. 9, 1. Jg., 15.7.1946, S. 73-75; Amtsblatt für das<br />

Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die Regierungen in <strong>Koblenz</strong> und Montabaur, Nr. 18, 1.<br />

Jg., 22.10.1946, S. 153-155; ebd. Nr. 25, 1. Jg., 23.12.1946, S. 235 f., 240-242. Zum Teil erfolgte die<br />

Bekanntmachung auch durch öffentlichen Plakatanschlag; StAK P 122.


597<br />

<strong>Die</strong> Klageschrift der Spruchkammer Trier vom 15. November 1949 sah die Einreihung in die<br />

Gruppe III der Minderbelasteten und die Versetzung in den Ruhestand bei 20-prozentiger<br />

Kürzung des Ruhegehalts vor. Am 13. Dezember 1949 fand die erste Sitzung des<br />

Untersuchungsausschusses statt, der sich aber vertagte, weil kurzfristig neue Unterlagen aus<br />

Luxemburg eintrafen, die aber offenbar ohne Einfluss auf das weitere Verfahren blieben.<br />

Zwei weitere Beratungen fanden am 2. und 16. März 1950 statt. S<strong>im</strong>mer konnte viele<br />

Entlastungszeugen und gute Leumundszeugnisse vorweisen, u. a. von Oberin Schwester<br />

M. Aloysia des Krankenhauses Kemperhof, Dechant Homscheid, Rektor Könen, Schnorbach<br />

und Lanters. Mit seiner geschickten Vergangenheitspolitik gelang es S<strong>im</strong>mer bei seiner<br />

Verteidigung <strong>im</strong>mer wieder, von seiner politischen Verantwortung abzulenken. Noch am<br />

2. März hatte der Kläger die Einreihung S<strong>im</strong>mers in Gruppe II der Belasteten zu beantragen<br />

versucht, was aber in diesem Stadium des Verfahrens nicht mehr möglich war. Am 16. März<br />

1950 kam der Untersuchungsausschuss dann zu dem Ergebnis, es könne sich bei S<strong>im</strong>mer nur<br />

um die Einreihung in die Gruppe III der Minderbelasteten handeln. Er beschloss, der<br />

Spruchkammer die Einstellung des Verfahrens vorzuschlagen. <strong>Die</strong> Eröffnung eines<br />

Spruchkammerverfahrens war nämlich gemäß Landesgesetz über den Abschluß der<br />

politischen Säuberung in Rheinland-Pfalz vom 19. Januar 1950 10 nur noch solchen Fällen<br />

vorbehalten, in denen der Betroffene voraussichtlich in die Gruppe I oder II eingereiht werden<br />

sollte. Noch am selben Tag erging der entsprechende Beschluss der Spruchkammer Trier<br />

– nun doch nicht <strong>Koblenz</strong> – über die Einstellung des Verfahrens, die gemäß Landesgesetz<br />

einer Einstufung als Mitläufer gleichkam. 11<br />

<strong>Die</strong> Stadt zahlte S<strong>im</strong>mer zunächst einen Unterhaltsbeitrag. Seine rechtliche Situation änderte<br />

sich zu seinen Gunsten, als er ab 1. April 1951 <strong>im</strong> Sinne des Artikels 131 GG 12 als Beamter<br />

zur Wiederverwendung galt. Jetzt stand ihm ein Übergangsgehalt zu, und er hatte Anspruch<br />

auf eine seiner früheren Stellung entsprechenden Wiederverwendung <strong>im</strong> Öffentlichen <strong>Die</strong>nst.<br />

Im Herbst 1951 arbeitete S<strong>im</strong>mer <strong>im</strong>mer noch als Steuerberater und baute sich eine Praxis in<br />

Kobern auf, die er aus Gesundheitsgründen aber wieder aufgab. Ende 1951 beantragte er seine<br />

Versetzung in den Ruhestand wegen <strong>Die</strong>nstunfähigkeit, die er mit vielfältigen gesundheit-<br />

lichen Beschwerden psychosomatischer Art begründete, die er nicht nur auf seine<br />

„Internierungs- und Kerkerhaft“ in Luxemburg zurückführte. S<strong>im</strong>mer sah eine weitere<br />

Ursache darin, wonach er stets gestrebt hatte, nämlich seine große Verantwortung während<br />

des Krieges, die er als junger Beamter zu tragen gehabt hätte. Er stellte sie jetzt als<br />

erdrückend schwer dar: „So ruhte die ganze Last der <strong>Stadtverwaltung</strong> nahezu allein auf<br />

10 GVBl., S. 11. Vgl. Rainer Möhler: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und <strong>im</strong> Saarland unter französischer<br />

Besatzung von 1945-1952 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtags für die Geschichte des Landes<br />

Rheinland-Pfalz 15). Mainz 1990, S. 339-341.<br />

11 LHAKo Best. 856 Nr. 90202; StAK 623 Nr. 8907, S. 1-7, Zitate S. 2 f. S<strong>im</strong>mer hatte sich bei Schnorbach „tief<br />

gerührt“ für seine Beurteilung bedankt; StAK 623 Nr. 9743, S. 297 f.<br />

12 Zu dessen vergangenheitspolitischen Hintergründen sowie der „Rehabilitierung und Versorgung der ‚131er’“<br />

vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. <strong>Die</strong> Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit.<br />

2. durchges. Aufl. München 1997, S. 69-100, Zitat S. 69.


598<br />

meinen Schultern.“ Den Antrag lehnte die Stadt nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens<br />

ab. Am 22. Juli 1952 kam es zu einem klärenden Gespräch, bei dem S<strong>im</strong>mer sein<br />

Pensionierungsgesuch zurückzog. Obwohl ihm bewusst war, dass die Stadt mittlerweile<br />

aufgrund § 7 des Landesergänzungsgesetzes vom 31. Mai 1952 13 zum „131er-Gesetz“ 14<br />

einem Pensionierungsantrag ohne Weiteres hätte stattgeben müssen, strebte er stattdessen mit<br />

seinen 49 Jahren seine angemessene Wiederverwendung an. S<strong>im</strong>mer bewarb sich um<br />

verschiedene Stellen, wobei Oberbürgermeister Schnorbach seine Bemühungen wie<br />

vereinbart unterstützte. Für die Stadt hätte die Unterbringung S<strong>im</strong>mers <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst<br />

– „selbstverständlich außerhalb von <strong>Koblenz</strong>“ – die billigste Lösung dargestellt. Angesichts<br />

der Tatsache, dass zahllose, weitaus schl<strong>im</strong>mer belastete Nationalsozialisten wieder Karriere<br />

machen konnten, ist es geradezu erstaunlich, dass der glänzend ausgebildete und zweifellos<br />

befähigte S<strong>im</strong>mer beruflich nie mehr Fuß fassen konnte. Als er keine neue Anstellung fand,<br />

beantragte er <strong>im</strong> Januar 1954 erneut seine Pensionierung zum 1. Februar: „<strong>Die</strong> Verantwortung<br />

gegenüber meiner Familie[,] aber auch der Respekt vor mir selber verbieten es mir, mich auf<br />

unabsehbare Zeit in dem Eifelort Gerolstein ohne sinnvolle Beschäftigung auf Abruf bereit zu<br />

halten.“ <strong>Die</strong> Stadt entsprach S<strong>im</strong>mers Antrag wie gesetzlich vorgeschrieben. S<strong>im</strong>mer bezog<br />

seitdem von der Stadt ein monatliches Ruhegehalt von 1.241,50 DM. Er starb am 17. März<br />

1986 in seinem He<strong>im</strong>atort Besch. 15<br />

Hubert Fuhlrott, der sich <strong>im</strong> März 1945 aus <strong>Koblenz</strong> abgesetzt hatte, saß vom 15. Januar 1947<br />

bis 9. April 1948 <strong>im</strong> Internierungslager Darmstadt ein. <strong>Die</strong> Spruchkammer Darmstadt-Lager<br />

verfasste am 2. Februar 1948 eine Klageschrift, die sich hauptsächlich auf polizeiliche<br />

Ermittlungen und schriftliche Zeugenaussagen aus <strong>Koblenz</strong> stützte. Fuhlrotts Ehefrau<br />

sammelte in <strong>Koblenz</strong> teils mit Erfolg Persilscheine, 16 z. B. attestierten Lanters und Petri<br />

Fuhlrott anständige Gesinnung und Charakter. Zu den Hauptbelastungszeugen gehörte der<br />

1936 als Marxist verhaftete Sozialdemokrat Otto Braun. Fuhlrott wusch seine Hände in<br />

Unschuld. Er habe den Denunzianten seinerzeit nur an die Personalabteilung verwiesen, und<br />

die Dinge hätten ihren Lauf genommen. Mehrere Zeugnisse st<strong>im</strong>mten darin überein, dass es<br />

sich bei Fuhlrott um „einen der fanatischsten und brutalsten Nazisten in <strong>Koblenz</strong>“ gehandelt<br />

hätte, ein Zeuge sprach sogar von der „Regierungszeit des Ueberteufels Fuhlrott“. Fuhlrott<br />

selbst stilisierte sich zum Idealisten, den seine Strebsamkeit und Strenge unbeliebt gemacht<br />

hätten. Seine Art sei „dem Grundcharakter der <strong>Koblenz</strong>er zu sehr verschieden.“ An einer<br />

Bestrafung Brauns habe er nie Interesse gehabt. Seine hervorragende Beurteilung durch<br />

Cattepoel, der seine Ortsgruppe als vorbildlich gelobt hatte, kommentierte Fuhlrott mit den<br />

13<br />

GVBl., S. 91.<br />

14<br />

Bundesgesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden<br />

Personen vom 11.5.1951; BGBl. I, S. 307.<br />

15<br />

StAK 623 Nr. 3232, Zitate S. 96 f., 184, 260; ebd. Nr. 3395, S. 19-25, 41, 93.<br />

16<br />

Sie hatte sich deswegen <strong>im</strong> April 1947 auch an Schnorbach gewandt. Schnorbach stellte Fuhlrott auf dessen<br />

Bitte vom November 1947 aber nur ein <strong>Die</strong>nstzeugnis aus. StAK 623 Nr. 8907, S. 84-89; ebd. Nr. 9744, S. 163-<br />

169. Anna Hans bedauerte <strong>im</strong> Februar 1948 gegenüber Frau Fuhlrott, sie könne nicht zur Aussage nach<br />

Darmstadt kommen; LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Hans vom 10.2.1948.


599<br />

Worten, der Kreisleiter habe ihm „in seiner ungelenken Art“ wohl eine Freude machen<br />

wollen. Jetzt wünschten er und seine Frau nur noch, am demokratischen Aufbau des<br />

Vaterlandes mitwirken zu können. Am 6. April 1948 fand die Verhandlung statt. Als Zeuge<br />

anwesend war auch der Ehemann von Anna Speckhahn, die <strong>im</strong> Oktober 1943 aufgrund einer<br />

abfälligen Äußerung über die HJ bei Fuhlrotts Ortsgruppe Falckenstein denunziert worden<br />

war. Speckhahn wurde von der Gestapo verhaftet und Ende 1943 ins KZ Ravensbrück<br />

verschleppt, wo die 60-Jährige am 4. Februar 1944 angeblich an Altersschwäche starb. Seine<br />

schwerwiegende Anschuldigung, dass Fuhlrott die Meldung an die Gestapo weitergegeben<br />

hätte, hielt Franz Speckhahn jedoch nicht aufrecht. Der Spruch der Kammer lautete auf<br />

Einreihung in die Gruppe II der Aktivisten, wobei es in der Begründung aber seltsamerweise<br />

hieß, Fuhlrott sei „kein Nazi <strong>im</strong> üblen Sinne gewesen“. Es war daher nicht verwunderlich,<br />

dass Fuhlrott <strong>im</strong> Mai 1948 wegen dieses inneren Widerspruchs Berufung einlegte. <strong>Die</strong><br />

Berufungskammer hob den Spruch ein Jahr später auf und verwies den Fall zurück. Er sollte<br />

nun von Hessen nach <strong>Koblenz</strong> abgegeben werden. Dort stellte man <strong>im</strong> Oktober 1949 aber<br />

plötzlich fest, dass Fuhlrott gegen die Entscheidung der früheren Bereinigungskommission<br />

„Entlassung ohne Pension“ vom 13. Juli 1946 keinen Einspruch erhoben hatte, wodurch sie<br />

ein Jahr später rechtskräftig geworden war. Dem Landeskommissar für die politische<br />

Säuberung reichte diese einfache Formel angesichts Fuhlrotts Belastung aber nicht aus,<br />

während Fuhlrott geltend machte, er habe unverschuldet keine Kenntnis von der Entscheidung<br />

gehabt und deswegen die Widerspruchsfrist versäumt. Beide Seiten prüften die Frage der<br />

Rechtskraft der Entscheidung, der Möglichkeit eines Widerspruchs und die Zulässigkeit eines<br />

weiteren Verfahrens. Es stellte sich schließlich heraus, dass Frau Fuhlrott <strong>im</strong> Oktober 1946<br />

ein Schreiben des Oberbürgermeisters erhalten hatte, in dem unter Hinweis auf die<br />

Entscheidung der Bereinigungskommission das <strong>Die</strong>nstverhältnis mit der Stadt als gelöst<br />

bezeichnet wurde. Dadurch hatte Fuhlrott zumindest indirekt Kenntnis von der Entscheidung<br />

erhalten. <strong>Die</strong> Entscheidung der Bereinigungskommission war rechtskräftig, ein neues<br />

Verfahren kam nicht zustande. 17<br />

Seit seiner Haftentlassung 1948 war Fuhlrott bei den zur BASF Ludwigshafen gehörenden<br />

Steedener Kalkwerken als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen, ab Juli 1952 war er dort als<br />

Lohnbuchhalter angestellt. Ab 1950 versuchte er unbelehrbar nochmals eine Wiederaufnahme<br />

seines Spruchkammerverfahrens zu erreichen bzw. vermeintliche Ansprüche nach Artikel 131<br />

GG geltend zu machen. <strong>Die</strong> Stadt lehnte dies ebenso ab wie der Ministerpräsident 1951 ein<br />

Gnadengesuch zur Zahlung einer Unterstützung. 1960 richtete Fuhlrott dann ein weiteres<br />

Gnadengesuch an den Ministerpräsidenten zur Durchführung der Nachversicherung seiner<br />

<strong>Die</strong>nstzeit in der Angestelltenversicherung. Der Personalausschuss und der Finanzausschuss<br />

lehnten Ende 1960 eine Befürwortung des Gesuchs ab. Als der Stadtrat <strong>im</strong> Februar 1961<br />

17 LHAKo Best. 856 Nr. 110736 (unpaginiert), Zitate Franz Zehe vom 12.3.1948, Fritz Nagelschmidt vom<br />

8.3.1948, Fuhlrott vom 3.3.1948, Spruchkammer vom 7.4.1948.


600<br />

beriet, machte der FDP-Fraktionsvorsitzende auf eine geänderte Rechtslage aufmerksam: <strong>Die</strong><br />

<strong>im</strong> Januar neu gefassten Verwaltungsvorschriften zum § 72 des „131er-Gesetzes“ sahen nun<br />

eine Nachversicherung von Amts wegen vor. Pflichtgemäß erstellte die Stadt <strong>im</strong> März 1961<br />

einen Bescheid, gegen den Fuhlrott jedoch erfolgreich Widerspruch einlegte, weil seine<br />

<strong>Die</strong>nstzeit bei der Reichsbahn von 1919 bis 1936 unberücksichtigt geblieben war. Im Mai<br />

1962 musste die Stadt einen Ergänzungsbescheid ausfertigen und die komplette Nachversicherung<br />

durchführen. Fuhlrott starb am 14. Februar 1985 in Buxtehude. 18<br />

Hanns Kloses Säuberungsbescheid datierte wie bei Fuhlrott vom 13. Juli 1946 und lautete<br />

ebenfalls auf Entlassung aus dem Amt. Klose legte Widerspruch ein. <strong>Die</strong> Rechtsmittel-<br />

abteilung der Spruchkammer <strong>Koblenz</strong> hob den Bescheid am 8. Dezember 1948 auf. Der<br />

Säuberungsspruch reihte Klose in die Gruppe der Mitläufer ein und beließ ihn <strong>im</strong> Amt, stufte<br />

den Stadtoberbaurat aber zum Stadtbaurat zurück und verhängte eine zweijährige<br />

Beförderungssperre. Laut Säuberungsspruch war Klose ebenfalls interniert gewesen, denn<br />

weitere Sühnemaßnahmen galten mit Rücksicht auf die Haft als abgegolten. Zur Begründung<br />

des Spruches hieß es, Klose habe „den <strong>Nationalsozialismus</strong> nur unwesentlich unterstützt“.<br />

Sein Kirchenaustritt sei nur aus persönlichen Motiven erfolgt und politisch sei er nicht weiter<br />

in Erscheinung getreten. Auch habe er sich Mitarbeitern gegenüber tolerant gezeigt und<br />

niemanden zum <strong>Nationalsozialismus</strong> bekehren wollen. Klose trat trotzdem nie wieder den<br />

<strong>Die</strong>nst bei der Stadt an. Vom 1. April 1946 bis 30. September 1949 war er be<strong>im</strong> Architekten<br />

Otto Schönhagen beschäftigt, der ihn aus wirtschaftlichen Gründen entlassen musste. Mit<br />

Ende seiner regulären Amtszeit als Wahlbeamter trat Klose zum 30. April 1950 in den<br />

Ruhestand. Sein Gnadengesuch zur Rückgängigmachung seiner Zurückstufung lehnte der<br />

Ministerpräsident <strong>im</strong> Januar 1951 ab. Schnorbach hatte es nicht befürwortet, weil es sich bei<br />

der Zurückstufung nicht um einen Einzelfall handelte und er keinen Präzedenzfall schaffen<br />

wollte. Außerdem sah er keinen besonderen Grund für diesen Gnadenerweis. Klose bewarb<br />

sich <strong>im</strong> August 1950 erfolglos um die Stelle eines Beigeordneten der Stadt Wetzlar, <strong>im</strong> April<br />

1951 war er für den Braubacher Architekten Fritz Ebhardt tätig. Er starb am 10. März 1960 in<br />

<strong>Koblenz</strong>. 19<br />

Heinrich Hansmeyer war nach seiner Entlassung als Ausgebombter in seine He<strong>im</strong>atstadt<br />

Bielefeld gezogen, wo er seit Januar 1946 als Angestellter und Hilfsarbeiter tätig war. Der<br />

Säuberungsbescheid der Bereinigungskommission vom 19. Dezember 1946 versetzte ihn für<br />

zwei Jahre zurück ins Angestelltenverhältnis und kürzte seine Bezüge für drei Jahre um 20 %.<br />

Am 1. April 1947 nahm Hansmeyer seinen <strong>Die</strong>nst bei der Stadt wieder auf. Im Oktober 1947<br />

kam es zu einer kurzfristigen Intervention seitens der französischen Militärregierung, die<br />

Hansmeyer wieder in leitender Stellung wähnte. Schnorbach sah sich zu der Klarstellung<br />

18 StAK 623 Nr. 2626; schriftliche Auskunft des Standesamtes Buxtehude vom 1.8.2007.<br />

19 StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 24 (unpaginiert); LHAKo Best. 856 Nr. 110010 (unpaginiert), Zitat<br />

Säuberungsspruch vom 8.12.1948.


601<br />

veranlasst, dass er einem Beigeordneten unterstellt und nicht weisungsbefugt sei. Im Juli 1948<br />

fiel Hansmeyer unter die erweiterte Mitläuferamnestie 20 . Dadurch waren alle Sühnemaß-<br />

nahmen hinfällig. Hansmeyer wurde mit Wirkung vom 15. Juli 1948 wieder in seine<br />

Beamtenrechte eingesetzt, erhielt die Amtsbezeichnung „Stadtrechtsrat“ verliehen und hatte<br />

fortan eine dezernentenähnliche Position inne. 1955 scheiterte ebenso wie bereits 1949 die<br />

Wahl des parteilosen Hansmeyer zum Beigeordneten aus parteitaktischen Gründen. Immerhin<br />

erwirkte die Stadt aber mit Zust<strong>im</strong>mung der städtischen Gremien das Einverständnis des<br />

Mainzer Innenministeriums, dass Hansmeyer, für den als früherer Stadtkämmerer der<br />

Artikel 131 GG galt, in der Besoldungsgruppe der Beigeordneten verblieb. Bis zu seiner<br />

Pensionierung am 30. September 1967 war er fachlich und menschlich von Stadtspitze und<br />

Stadtratsfraktionen hoch geschätzt. Am 8. November 1971 starb Hansmeyer in <strong>Koblenz</strong>. 21<br />

Josef Plönissen war von November 1945 bis Anfang März 1948 in Eselheide in der Britischen<br />

Besatzungszone interniert gewesen. <strong>Die</strong> Spruchkammer Bielefeld bereitete ein Verfahren vor,<br />

wozu in <strong>Koblenz</strong> diverse Zeugen vernommen wurden. Über Plönissens plötzliche Entlassung<br />

aus dem Interniertenlager herrschte dann bei der Bielefelder Kammer ungläubiges Erstaunen.<br />

Plönissens spätere Einlassung, seine Entnazifizierung sei auf dem Entlassungsschein<br />

dokumentiert – was ein erneutes Verfahren ausgeschlossen hätte – erkannte der Öffentliche<br />

Kläger in <strong>Koblenz</strong> nicht an. Als Plönissen <strong>im</strong> April 1948 nach <strong>Koblenz</strong> zurückkehrte, wurde<br />

er nämlich auf Anordnung des Landeskommissars für die politische Säuberung als einer der<br />

aktivsten und am meisten gefürchteten Ortsgruppenleiter sofort verhaftet und erst in <strong>Die</strong>z,<br />

dann in Trier-Petrisberg interniert. <strong>Die</strong> Spruchkammer Bielefeld schickte noch eine Ladung<br />

nach <strong>Koblenz</strong>, doch man einigte sich auf ein Verfahren in der Französischen Zone. Der<br />

Untersuchungsausschuss <strong>Koblenz</strong> fasste <strong>im</strong> März 1949 einst<strong>im</strong>mig den Beschluss, Plönissens<br />

Einreihung in die Gruppe II der Belasteten vorzuschlagen. In der Untersuchung hatten der<br />

Fall Hütte und Vorkommnisse aus seiner Tätigkeit als Ortsgruppenleiter die größte Rolle<br />

gespielt. <strong>Die</strong> Spruchkammer Interniertenlager Trier-Petrisberg tagte am 22. Juli 1949 und<br />

reihte Plönissen in ihrem Säuberungsspruch in die Gruppe II bei gleichzeitiger Entlassung aus<br />

dem Amt ohne Pension ein. Plönissen legte Widerspruch ein. Bei der Sitzung der<br />

Spruchkammer Trier am 29. März 1950 wurde der Säuberungsspruch aber aufrechterhalten.<br />

Abmildernd wurde nur festgelegt, dass bei Eintritt ins 65. Lebensjahr eine Unterstützung in<br />

Höhe des erdienten Ruhegehalts als Inspektor zu zahlen sei. 1952 zahlte die Stadt Plönissen<br />

eine monatliche Unterstützung von 30 DM. Ein angekündigtes Gnadengesuch an den<br />

Ministerpräsidenten sollte nicht befürwortet werden. 1954 lehnte die Stadt ein weiteres<br />

20 Vgl. Möhler: Entnazifizierung, S. 353.<br />

21 StAK 623 Nr. 6332; ebd. Nr. 9579, S. 148-149; LHAKo Best. 856 Nr. 111163; RZ, 30.9./1.10.1967: Dank<br />

nach fast fünfzigjähriger Verwaltungsarbeit.


602<br />

Unterstützungsgesuch ab, weil Plönissen in Wiesbaden <strong>im</strong> Hotelgewerbe tätig war. Plönissen<br />

starb am 18. Dezember 1979 in <strong>Koblenz</strong>. 22<br />

Am 18. März 1945 wurde Wilhelm Hütte wieder Sparkassendirektor, vom 17. Juli 1945 bis<br />

21. September 1946 war er Stadtkämmerer. Als Direktor der Sparkasse trat er am 31. März<br />

1951 in den Ruhestand. Der Stadtrat beschloss am 12. März 1952 in Hüttes Wiedergut-<br />

machungsverfahren eine Zahlung von 3.143,64 DM. Zunächst waren nur 2.000 DM<br />

vorgesehen gewesen, weil die Beförderung zum Stadtkämmerer bereits als Wiedergut-<br />

machungsakt angesehen worden war. 23 Liegenschaftsrat Oswald Breuer, der zum 31. Oktober<br />

1944 wegen <strong>Die</strong>nstunfähigkeit pensioniert worden war, starb am 3. Juli 1945 <strong>im</strong> Alter von<br />

65 Jahren in Beulich (Kreis St. Goar). 24 Otto Braun, nach seiner Verhaftung 1936 zum<br />

1. August 1937 „freiwillig“ in den Ruhestand getreten, gehörte 1945 zu den „Männern der<br />

ersten Stunde“. Als Stadtamtmann leitete er bis zu seiner Pensionierung zum Ende des Jahres<br />

1958 das Kulturamt, das Versicherungsamt und die Forstverwaltung, zeitweise auch das<br />

Verkehrsamt. Stadtbibliotheksdirektor Franz Grosse polemisierte Ende 1946 bei Ober-<br />

bürgermeister Schnorbach gegen Braun, den er für ungebildet und daher ungeeignet als<br />

Kulturamtsleiter hielt. Schnorbach wies die Kritik als anmaßend zurück. Braun war außerdem<br />

Vertrauensmann der Schwerkriegsbeschädigten. Ehrenamtlich engagierte sich das SPD-<br />

Mitglied bei der Arbeiterwohlfahrt und der Großen <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsgesellschaft. Braun<br />

starb am 18. August 1966 in <strong>Koblenz</strong>. 25 Der Leiter der Abteilung VII, Wilhelm Smits, wurde<br />

1945 zunächst entlassen. 1946 wurde er ins Angestelltenverhältnis zurückversetzt und erhielt<br />

eine einjährige Beförderungssperre. Gleichzeitig erfolgte seine Versetzung als Finanzprüfer<br />

zum Landesrechnungshof in Speyer, wo er zuletzt als Amtsrat tätig war. Smits starb am<br />

17. September 1981 in Osterspai (Rhein-Lahn-Kreis). 26 Stadtamtmann Johannes Schmitz, mit<br />

einer Französin verheiratet und ehemals Zentrumsmitglied, war noch 1940 in die NSDAP<br />

eingetreten. 1945 galt er dennoch als politisch unbelastet, die Bereinigungskommission<br />

entschied 1946 mit „Rücksicht auf die freindliche [sic] Haltung gegen das Nazireg<strong>im</strong>e“ auf<br />

Belassung <strong>im</strong> Amt ohne Einschränkung. Schmitz wurde <strong>im</strong> Juni 1945 Dezernent der<br />

Abteilung Arbeit und Wohlfahrt be<strong>im</strong> Regierungspräsidium <strong>Koblenz</strong>, 1947 wurde der<br />

Regierungsrat zum Oberregierungsrat befördert und Abteilungsleiter <strong>im</strong> rheinland-pfälzischen<br />

Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt. 1949 folgte seine Beförderung zum<br />

Ministerialrat, und 1950 bis zum Eintritt in den Ruhestand 1953 war Schmitz Leiter des<br />

22<br />

LHAKo Best. 856 Nr. 110984; StAK 623 Nr. 9742, S. 429 f.; ebd. Nr. 9953, S. 3; ebd. Nr. 9969, S. 31-33;<br />

ebd., Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1750/1979. Eine Personalakte ist nicht überliefert.<br />

23<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 20-23; ebd. Nr. 3389, S. 19, 74, 85; ebd. Nr. 8932 (unpaginiert), Abt. I vom<br />

14.4.1947.<br />

24<br />

StAK 623 Nr. 3222, MF Nr. 6 und 7; Standesamt Brodenbach, Sterbeurkunde Nr. 85/1945. Vgl. Kapitel 7.2.7.<br />

25<br />

StAK 623 Nr. 9603, S. 84, 103; ebd. N 91 Nr. 3 (unpaginiert), Grosse vom 31.12.1946, Schnorbach vom<br />

28.1.1947; RZ, 19.8.1966: Stadtamtmann a. D. Otto Braun gestorben; RZ, 20./21.8.1966: Todesanzeigen. Eine<br />

Personalakte ist nicht überliefert.<br />

26<br />

Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die Regierungen in <strong>Koblenz</strong> und<br />

Montabaur, Nr. 18, 1. Jg., 22.10.1946, S. 155; StAK 623 Nr. 7084; ebd. Nr. 11686.


603<br />

Landeswohlfahrts- und -jugendamtes Rheinland-Pfalz. Auf Vorschlag von Ministerpräsident<br />

Altmeier, der ihm für sein „allzeit mutiges und verantwortungsbewusstes Wirken – vor allem<br />

auch in den schweren Jahren der Diktatur“ dankte, erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Am<br />

4. November 1955 starb Schmitz in <strong>Koblenz</strong>. 27<br />

Der frühere Beigeordnete Herbert Wirtz kehrte nicht zur <strong>Stadtverwaltung</strong> zurück. Er blieb bei<br />

der Thüringer Gasgesellschaft, für die er zuletzt in Köln arbeitete, wo er auch entnazifiziert<br />

wurde. Wirtz musste jahrelang bei der Stadt um die Zahlung des vollen Ruhegehaltes eines<br />

Stadtkämmerers ringen, schließlich <strong>im</strong> Wege der Wiedergutmachung für seine „Kampf- und<br />

Leidenszeit“. <strong>Die</strong> Angelegenheit kam vor den Haupt- und Finanzausschuss, der eine<br />

eingehende Darstellung der damaligen Vorgänge wünschte. Nach weiterem Hin und Her, bei<br />

dem komplizierte juristische Fragen zu klären waren, st<strong>im</strong>mte der Finanzausschuss erst am<br />

15. Februar 1960 einst<strong>im</strong>mig für die Gewährung der Wiedergutmachungsansprüche, was für<br />

Wirtz eine Nachzahlung und Erhöhung seiner Pension bedeutete. Er starb am 7. Mai 1970 in<br />

Köln. 28<br />

Stadtinspektor Josef Schnorbach (Abb. 35) wurde von der amerikanischen Militärregierung<br />

rückwirkend zum 1. April 1945 zum Stadtoberinspektor ernannt. 29 <strong>Die</strong> Amerikaner<br />

beauftragten ihn mit der Vertretung des Oberbürgermeisters, und am 23. Juli 1945 wurde<br />

Schnorbach Erster Beigeordneter mit der Amtsbezeichnung „Bürgermeister“. <strong>Die</strong>se Funktion<br />

behielt er auch unter dem Nachfolger des <strong>im</strong> März 1946 verstorbenen Kurth, Dr. Wilhelm<br />

Guske. Bei den ersten Kommunalwahlen am 15. September 1946 konnte die Christlich-<br />

Demokratische Partei (CDP, später CDU), deren Gründung am 17. Februar 1946 maßgeblich<br />

auf den früheren Zentrums-Fraktionsführer Franz Henrich zurückging, 30 einen überlegenen<br />

Sieg feiern: Mit 58,1 % der abgegebenen St<strong>im</strong>men errang sie 21 Stadtratsmandate, die SPD<br />

zwölf (32,7 %) und die KPD drei (9,2 %). Am 22. September 1946 wählten die Vertreter der<br />

CDP ihr Gründungsmitglied Josef Schnorbach zum ehrenamtlichen Oberbürgermeister. Im<br />

November 1948 erfolgte seine Wiederwahl auf zwölf Jahre, diesmal als hauptamtliches<br />

Stadtoberhaupt. Im Alter von 67 Jahren trat Schnorbach am 14. Oktober 1960 in den<br />

Ruhestand. Für seine Verdienste wurde er am 11. Juli 1963 mit der Ehrenbürgerwürde der<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong> ausgezeichnet. Im Ehrenbürgerbrief heißt es, die Jahre des Wiederaufbaues<br />

seien „für <strong>im</strong>mer verbunden mit dem Manne Josef Schnorbach, mit dessen Gerechtigkeit,<br />

27 LHAKo Best. 860P Nr. 3136; Rummel (Bearb.): <strong>Die</strong> Protokolle des Ministerrats, S. 215 Anm. 28; StAK,<br />

Standesamt <strong>Koblenz</strong>, Sterbeurkunde Nr. 1155/1955.<br />

28 StAK 623 Nr. 2619, Zitat S. 130; ebd. Nr. 9954, S. 108.<br />

29 StAK 623 Nr. 3805 (unpaginiert), Lanters vom 8.5.1945.<br />

30 Vgl. Hans-Josef Schmidt: Formierung der Parteien in <strong>Koblenz</strong>. In: Franz-Josef Heyen (Hg.): Rheinland-Pfalz<br />

entsteht. Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in <strong>Koblenz</strong> 1945-1951 (Veröffentlichungen der<br />

Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 5). Boppard 1984, S. 105-125, hier<br />

S. 109-113. Weitere Gründungsmitglieder waren die früheren Zentrums-Stadtverordneten Peter Altmeier und<br />

Helene Rothländer.


604<br />

Menschlichkeit und christlicher Verantwortung.“ Er starb am 22. August 1973 in seiner<br />

geliebten He<strong>im</strong>atstadt <strong>Koblenz</strong>. 31<br />

Außer der sofort nach Kriegsende durch den Bürgerrat eingeleiteten Entnazifizierung der<br />

Straßennamen 32 gab es später weitere Akte symbolischer Politik: Im Juni 1985 widerrief der<br />

<strong>Koblenz</strong>er Stadtrat auf Antrag der SPD-Fraktion die Ehrenbürgerschaft Hitlers einst<strong>im</strong>mig.<br />

Der während der Sitzung gestellte Ergänzungsantrag der Ratsfraktion <strong>Die</strong> Grünen, mit der<br />

Ehrenbürgerwürde Hitlers gleichzeitig auch die von Hierl zu widerrufen und eine<br />

Erläuterungstafel anzubringen, wurde gegen vier Ja-St<strong>im</strong>men abgelehnt. Der Grund hierfür<br />

lag vermutlich in der Unkenntnis der Person und Funktion Hierls, denn der Antrag sprach<br />

vom „Reichsarbeiterführer[s] Hirrle“. 33 Erst <strong>im</strong> Mai 2003 „distanziert[e]“ sich der Stadtrat<br />

einst<strong>im</strong>mig von Hierls Ehrenbürgerschaft sowie von den Ehrenbürgerwürden Hitlers in den<br />

inzwischen eingemeindeten Stadtteilen Ehrenbreitstein und Arzhe<strong>im</strong>. 34<br />

Im Juni 2001 beschloss der Stadtrat die Benennung von drei Straßen auf dem Asterstein nach<br />

den früheren Stadtverordneten Maria Detzel, Veit Rummel und Helene Rothländer. 35 <strong>Die</strong> <strong>im</strong><br />

Frühjahr 2010 erneuerte Ehrentafel der Oberbürgermeister <strong>im</strong> Rathausgebäude I nennt die<br />

vier Amtsträger des Dritten Reiches ebenso wenig wie die vorherige Tafel. <strong>Die</strong> Jahre 1933 bis<br />

1945 sind nur mit einem Strich versehen. Auch in der Porträtgalerie der Oberbürgermeister <strong>im</strong><br />

Kleinen Sitzungssaal fehlen Wittgen, Habicht, S<strong>im</strong>mer und Gorges. Auf diese Weise wird<br />

über sie offiziell die damnatio memoriae verhängt.<br />

Aber das Verhalten der <strong>Stadtverwaltung</strong> ist ambivalent und widersprüchlich. Ober-<br />

bürgermeister Willi Hörter (1972-1994) gratulierte seinem Amtsvorgänger S<strong>im</strong>mer zu<br />

besonderen Geburtstagsjubiläen. 36 Der städtische Eigenbetrieb Grünflächen- und<br />

Bestattungswesen übern<strong>im</strong>mt bis heute – wie bei den anderen auf dem Hauptfriedhof<br />

bestatteten Oberbürgermeistern – auch be<strong>im</strong> Grab der Eheleute Wittgen die gärtnerische<br />

Pflege. 37<br />

31<br />

StAK 623 Nr. 3806 (unpaginiert), Zitat: undatierte „textliche Fassung“ des Ehrenbürgerbriefs<br />

(Unterstreichung <strong>im</strong> Original); Boberach: Nationalsozialistische Diktatur, S. 191-194, 199 f., 573 f.; Alexander<br />

Ilgner: Josef Schnorbach. Von 1948 bis 1960 Oberbürgermeister seiner Vaterstadt <strong>Koblenz</strong>. In: <strong>Koblenz</strong>er<br />

He<strong>im</strong>atkalender 1961, S. 52 f.; RZ, 23.8.1973: Josef Schnorbach +; RZ, 28.8.1973: Er half <strong>Koblenz</strong> aus dem<br />

Elend der Trümmerfelder.<br />

32<br />

StAK 623 Nr. 7218, S. 21.<br />

33<br />

Stadtratssitzung vom 27.6.1985, Niederschrift Nr. 5/1985, S. 170a-173, Zitat S. 171. <strong>Die</strong>ser Beschluss war<br />

rechtlich gesehen eigentlich überflüssig, denn nach der Verwaltungsvorschrift zu § 23 der rheinland-pfälzischen<br />

Gemeindeordnung erlischt das Ehrenbürgerrecht mit dem Tod des Ehrenbürgers.<br />

34<br />

Stadtratssitzung vom 15.5.2003, Niederschrift Nr. 4/2003, S. 12.<br />

35<br />

StAK, Stadtratsprotokoll Nr. 5/2001, TOP 26.<br />

36<br />

StAK 623 Nr. 9972, S. 391.<br />

37<br />

Mitteilung der <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>, Eigenbetrieb Grünflächen- und Bestattungswesen, vom 11.2.2008.<br />

1964 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss, an Allerheiligen in Zukunft auch Wittgens Grab durch einen<br />

Kranz mit Schleife zu schmücken. StAK 623 Nr. 9956, S. 212.


10 Forschungsbilanz<br />

Vom Dualismus zum „Trialismus“<br />

605<br />

Das Konzept des Dualismus von Staat und Partei erweist sich für eine systematische Analyse<br />

der Frage, ob und inwieweit die kommunale Selbstverwaltung während des Dritten Reiches<br />

zerstört wurde, als unzulänglich und daher untauglich. <strong>Die</strong> Gemeinde wird dabei nämlich als<br />

unterste Verwaltungsebene stillschweigend und unscharf unter den Staat subsumiert. 1 Das<br />

entspricht weder den normativen Gegebenheiten noch der Forderung, die Kommunen „als<br />

eigenständige und wirkungsmächtige Akteure <strong>im</strong> Reg<strong>im</strong>e“ ernst zu nehmen. 2 Formal-<br />

staatsrechtlich war die Gemeinde nicht bloß ein verlängerter Arm oder ein Anhängsel des<br />

Staates. Dem Anspruch nach regelte sie <strong>im</strong> Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung die<br />

örtlichen Angelegenheiten <strong>im</strong> Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich. Matzerath stellte<br />

bereits 1970 fest: <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung wurde keineswegs nur von Seiten der<br />

Partei bedroht, sondern auch von Seiten des Staates. <strong>Die</strong> Gemeinde saß zwischen allen<br />

Stühlen und steckte <strong>im</strong> Schraubstock zwischen Partei und Staat. 3 Wirsching beurteilte 2004<br />

die Lage der Gemeinde nach der Machtergreifung genauso: Nachdem sich schon vor 1933 ein<br />

„Dualismus“ von Reich und Kommunen entwickelt hatte, „geriet [die Gemeinde] nun<br />

zwischen Staat und Partei.“ 4 Um die Frage der Weiterexistenz der kommunalen Selbst-<br />

verwaltung <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> untersuchen zu können, muss der Dualismus von Staat<br />

und Partei erweitert werden zu einem „Trialismus“ 5 von Kommune, Staat und Partei. Es gilt,<br />

das Verhältnis der Gemeinde zu Partei und Staat zu klären.<br />

Bereits während der We<strong>im</strong>arer Zeit waren die Selbstverwaltungsrechte stark beschnitten<br />

worden, indem die Sozial- und Finanzgesetzgebung des Reiches die Finanzhoheit der<br />

Kommunen völlig einengte. Den mit den erdrückenden Wohlfahrtslasten einhergehenden<br />

Verlust jeglichen Gestaltungsspielraums beklagten schon die Oberbürgermeister Russell und<br />

Rosendahl. <strong>Die</strong> kommunale Selbstverwaltung befand sich zum Zeitpunkt der Machtergreifung<br />

1 Beispiele: Matzerath spricht vom „Dualismus von Gemeinde und Partei, eingebettet in den allgemeineren von<br />

Staat und Partei“ und Fleiter vom „Dualismus zwischen Staat/Kommune und Partei“ sowie den „Kategorien<br />

‚Staat/Kommune’ und ‚Partei’“. Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 436; Fleiter:<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 358, 360. Gotto resümiert zu den „lokalen Verwaltungsstrukturen“: „Staat und Partei<br />

bildeten folglich keinen unversöhnlichen Gegensatz, sondern standen in einem symbiotischen Verhältnis<br />

zueinander.“ Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 423.<br />

2 Mecking/Wirsching: <strong>Stadtverwaltung</strong> als Systemstabilisierung?, S. 6. Gotto setzt für seine Untersuchung<br />

voraus, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> „ein ernstzunehmender und eigenständiger Akteur“ war; Gotto:<br />

Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 1.<br />

3 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 433 f. In der Rezeption blieb dies oft unbeachtet. Eine<br />

Ausnahme ist z. B. Brinkhus: Auftragsverwaltung, S. 215 f.<br />

4 Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung, S. 419.<br />

5 Barth verwendet den Begriff – ohne nähere Definition – zur Beschreibung der institutionell bedingten<br />

Spannungen innerhalb der mittleren Verwaltungsebene der Region Stuttgart. Lothar Barth: Der institutionelle<br />

Trialismus auf der administrativen Mittelinstanz. Das Spannungsverhältnis zwischen Regierungspräsidium<br />

Stuttgart, Verband Region Stuttgart und den Landkreisen. Stuttgart 2004.


606<br />

bereits in einer tiefen Krise. Mit der Abschaffung des Gemeinderats als dem demokratisch<br />

legit<strong>im</strong>ierten Vertretungs- und Beschlussorgan und mit der Einführung des Führerprinzips<br />

machte der nationalsozialistische Staat als Gesetzgeber den entscheidenden Schritt zur<br />

Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. Erstmals wurden einer Staatspartei in der<br />

Gestalt des Beauftragten der Partei Mitwirkungsrechte eingeräumt. Damit schrieb der<br />

Gesetzgeber eine Entmachtung der Vertretungskörperschaft fest, die mit Hilfe diverser<br />

Verordnungen vor Ort schon weitgehend Realität geworden war. Das BBG bot die Grundlage<br />

für die politische Säuberung des Personals, die in <strong>Koblenz</strong> vor allem bei den leitenden<br />

Positionen umgesetzt wurde (Rosendahl, Rogg, Loenartz, Hütte). <strong>Die</strong>se revolutionären<br />

Umbrüche änderten aber kaum etwas an der alltäglichen Verwaltungspraxis. Für den<br />

Verwaltungsalltag und den „Gestaltwandel“ (Gotto) der Behörde war es viel bedeutsamer,<br />

dass die staatlichen Eingriffe in kommunale Angelegenheiten und insbesondere die<br />

Erledigung von Aufgaben für das Reich (Auftragsverwaltung) nie gekannte D<strong>im</strong>ensionen<br />

erreichten. Beispiele staatlicher Entscheidungen über die – auf dem Papier weiterhin<br />

bestehenden – Selbstverwaltungsrechte der Gemeinde hinweg waren die Eingemeindungen<br />

1937 sowie das Diktat zur Einstellung eines Technischen Beigeordneten 1938. Schon vor dem<br />

Krieg weitete sich das Arbeitsgebiet des Personenstandswesens als bürokratischer Ausfluss<br />

der Rassenideologie drastisch aus. Aufgaben wie der Bau und die Unterhaltung von HJ-<br />

He<strong>im</strong>en wurden der Kommune vom Gesetzgeber auferlegt (wobei <strong>Koblenz</strong> diese Pflicht<br />

schon vorher erfüllt hatte). <strong>Die</strong> städtischen Pfandleihanstalten mussten den Ankauf der von<br />

den Juden zwangsweise abzuliefernden Edelmetallgegenstände abwickeln. Der Vollzug von<br />

Verfolgungsgesetzen wie das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 lag<br />

ganz bei den Kommunen, bei anderen Maßnahmen wie den Arisierungen wirkten sie in<br />

beträchtlichem Umfang mit. Im Krieg trat dann die Auftragserledigung für das Reich völlig in<br />

den Vordergrund der kommunalen Verwaltungstätigkeit. <strong>Die</strong> Einquartierungen und<br />

Beschlagnahmen, die Arbeit der Kriegsämter (Wirtschafts- und Ernährungsamt, Abteilung für<br />

Familienunterhalt, Kriegsschädenamt), die Luftschutz- und Sofortmaßnahmen beanspruchten<br />

nicht nur das Gros des ohnehin knappen Personals, sondern zwangen auch zur Einstellung<br />

von Aushilfskräften und Reaktivierung von Ruhestandsbeamten. Der Wohnungsbau kam fast<br />

zum Erliegen. Einige Ämter wurden stillgelegt (Stadtgestaltungsamt, Pfandamt) und die<br />

Bediensteten aller Ämter für die Kriegsämter umgeschult. <strong>Die</strong> in der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

begonnene „Verreichlichung“ 6 setzte sich in Form einer riesigen Aufgabenlast fort, die kaum<br />

noch Handlungsspielräume bot. <strong>Die</strong>ser offen zu Tage tretende Dualismus von Staat und<br />

Kommune verbietet es folglich, die Gemeinde <strong>im</strong> gängigen Dualismus-Konzept von Staat und<br />

Partei ohne Weiteres an die Seite des Staates zu stellen.<br />

6 Wirsching: <strong>Die</strong> Gemeinde zwischen Staat und Partei, S. 194.


607<br />

<strong>Die</strong> Beziehungen und Machtverhältnisse <strong>im</strong> Trialismus von Kommune, Partei und Staat<br />

hingen ganz erheblich von den handelnden Personen ab. 7 Das entspricht dem stark<br />

personenorientierten Herrschaftsgefüge des NS-Staates, in dem persönliche Beziehungen,<br />

politische Zuverlässigkeit und unbedingte Loyalität oft mehr zählten als institutionelle<br />

Vorgaben. Konsequenterweise versuchte die Partei, Schlüsselpositionen innerhalb der<br />

Verwaltung mit ihren Kandidaten zu besetzen. Drahtzieher bei der Besetzung aller wichtigen<br />

Posten war Gauleiter S<strong>im</strong>on, der aber innerhalb der lokalen Partei nur über eine dünne<br />

Personaldecke verfügte. Oberbürgermeister Wittgen kam als verdienter Alter Kämpfer ins<br />

Amt. Er konnte sich trotz Stürmer-Affäre und baldiger Unzufriedenheit mit seiner<br />

Amtsführung auf Seiten von Staat und Partei erstaunlich lange <strong>im</strong> Amt halten. <strong>Die</strong>s gelang<br />

ihm mit Hilfe seines Standesbewusstseins als lang gedienter preußischer Beamter, dem keine<br />

konkreten Verfehlungen nachzuweisen waren und der auf seine Amtszeit pochte. Damit<br />

nutzte er die von Mögle-Hofacker beschriebenen defensiven Möglichkeiten, die ihm der<br />

Rückgriff auf traditionelle Normen bot. 8 Sein Gegenüber in der NSDAP, der nicht einmal<br />

dreißigjährige Kreisleiter Claussen, glich seine Unerfahrenheit in Verwaltungsfragen mit<br />

einem bisweilen arroganten Selbstbewusstsein aus und machte vor allem Stadtkämmerer<br />

Wirtz das Leben schwer. Wirtz versuchte, den finanziellen Forderungen der Partei einen<br />

Riegel vorzuschieben und geriet dadurch in „Sabotage“-Verdacht. In den zermürbenden<br />

Auseinandersetzungen mit der Partei zog er schließlich den Kürzeren und verließ die<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Einvernehmen mit Oberbürgermeister, Gauleiter und Regierungs-<br />

präsident. Ein erneutes Aufgreifen seines Falles durch das Oberpräsidium lehnte Wirtz ab, er<br />

hatte den Rückzug ins Private angetreten. Der Technische Beigeordnete Klose ist ein<br />

Musterbeispiel für eine politisch und nicht fachlich motivierte Personalauswahl. Er<br />

verkörperte das Prinzip „Dem Gauleiter entgegenarbeiten“ (Gotto). Mehrfach war sein<br />

schlagendes Argument für oder gegen Projekte der „Wunsch des Gauleiters“. Nach dem<br />

kurzen, bedeutungslosen Zwischenspiel von Oberbürgermeister Habicht kam mit S<strong>im</strong>mer ein<br />

früherer Studienfreund des Gauleiters an die Stadtspitze. Er zählte wie Albert Speer zur „NS-<br />

Avantgarde“: 9 jung, mit akademischem Abschluss, hochintelligent, gleichzeitig eitel, begriff<br />

S<strong>im</strong>mer die Politik als seine persönliche Karrierechance. Dabei geriet er zunehmend in<br />

Konflikt mit Parteileuten, die ihm intellektuell nicht das Wasser reichen konnten, oder er<br />

stand in Konkurrenz zu ähnlich befähigten Parteigenossen (Urmes), die sich wie Gauleiter<br />

S<strong>im</strong>on letztendlich als mächtiger erwiesen. Doch wie schon bei Wittgens Verdrängung aus<br />

dem Amt war es nicht allein das „Verdienst“ des Gauleiters, also der Partei, dass S<strong>im</strong>mer<br />

faktisch auf dem Wege der Einberufung abgesetzt wurde. Bei Wittgen und S<strong>im</strong>mer zogen<br />

beide Male die staatlichen Aufsichtsbehörden von der Regierung bis zum Innenministerium<br />

mit der Partei an einem Strang. Eine zentrale Figur mit beachtlicher Machtfülle in Verwaltung<br />

7 Vgl. Michael Kißener: Staat und Partei in Baden: Das Beispiel der badischen Justizverwaltung. In: Hermann<br />

Rumschöttel/Walter Ziegler (Hg.): Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945. München 2004, S.651-<br />

667, hier S. 666 f.<br />

8 Vgl. Mögle-Hofacker: Zur Bedeutung rechtsstaatlicher Traditionen, S. 188.<br />

9 Lüdtke: Funktionseliten, S. 564-567, Zitat S. 564.


608<br />

und Partei war Stadtrat Fuhlrott. Als Personaldezernent hielt er den Schlüssel zur<br />

permanenten Disziplinierung des Personals in der Hand und nach dem Ausscheiden von<br />

Bürgermeister Hüster wurde er Stellvertreter des Oberbürgermeisters. Gleichzeitig war<br />

Fuhlrott der ranghöchste Parteifunktionär innerhalb der <strong>Stadtverwaltung</strong>: Er war nicht nur<br />

Ortsgruppenleiter, sondern <strong>im</strong> Krieg auch stellvertretender Kreisleiter. Mehrfach fiel Fuhlrott<br />

durch radikalisierende Vorschläge (z. B. Behandlung der Zigeuner) oder konkrete<br />

Verfolgungsmaßnahmen (z. B. Auskämmen der Wohlfahrtserwerbslosen, antikonfessionelle<br />

Aktionen) auf. <strong>Die</strong> hohe Abhängigkeit des Geschehens von den jeweiligen Protagonisten<br />

zeigt sich auch darin, dass es keinerlei Reibereien mit dem neuen Kreisleiter Cattepoel gab,<br />

der seit 1940 <strong>im</strong> Amt war und dem der Säuberungsspruch eine „durchaus anständige Haltung“<br />

bescheinigte. 10 Das Verhältnis zu ihm war weniger von Ideologie als von Pragmatismus<br />

gekennzeichnet und glich einer nüchternen, gut funktionierenden Geschäftsbeziehung. 11<br />

Zunächst ist also festzuhalten: Kommune, Staat und Partei befanden sich in einer<br />

spannungsgeladenen Dreiecksbeziehung, in der die Kommune sich weitgehenden Ansprüchen<br />

und Zumutungen ausgesetzt sah. In Form einiger weniger Personalunionen (Fuhlrott,<br />

Plönissen, Müller) und deckungsgleicher oder ähnlicher Interessen (z. B. Verkleinerung der<br />

Fürsorgeklientel, Aneignung von Immobilien bei Arisierungen, Einsatz von Zwangsarbeitern)<br />

gab es aber durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den drei Elementen.<br />

Parasitäre Zersetzung oder symbiotisches Verhältnis? –<br />

Selbstverwaltung versus Kommunalverwaltung<br />

Es bleibt die strittige Frage nach der Weiterexistenz der kommunalen Selbstverwaltung. <strong>Die</strong><br />

bisherigen Antworten bewegen sich zwischen zwei extremen Polen, die beide einen Vergleich<br />

aus der Biologie heranziehen: zwischen parasitärer Zersetzung (Matzerath <strong>im</strong> Anschluss an<br />

Mommsen) und symbiotischem Verhältnis (Gotto). <strong>Die</strong>se große Diskrepanz, ja Gegen-<br />

sätzlichkeit, resultiert über die begriffliche Unschärfe be<strong>im</strong> Dualismus hinaus zunächst aus<br />

einer weiteren Begriffsverwirrung. Matzerath geht es um die kommunale Selbstverwaltung<br />

„als herkömmliche politische Institution“ und die Frage, „inwieweit ihr eine eigenver-<br />

antwortliche Erledigung örtlicher Aufgaben noch möglich war.“ 12 Gottos Diagnose bezieht<br />

sich an erster Stelle auf die „lokalen Verwaltungsstrukturen“. 13 Gleichzeitig aber behauptet er,<br />

die Selbstverwaltung habe sich weiterhin entfalten können, wenn auch „unter grundlegend<br />

anderen Prämissen“. 14<br />

10 LHAKo Best. 856 Nr. 110707 (unpaginiert), Säuberungsspruch vom 20.1.1950.<br />

11 In Augsburg fanden <strong>Stadtverwaltung</strong> und Partei „auch bei schweren Meinungsverschiedenheiten“ zu einem<br />

„Modus Vivendi“; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 427.<br />

12 Matzerath: NS und kommunale Selbstverwaltung, S. 10, 433.<br />

13 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 423 (Zitat), 426.<br />

14 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 426, 431 (Zitat).


609<br />

Parasitäre Zersetzung bedeutet ein einseitiges, schädigend oder gar zerstörerisch wirkendes<br />

Nutznießertum. Dafür stehen die ständigen Zugriffe der Partei auf materielle und personelle<br />

Ressourcen, die ideologische Gleichschaltung und permanente Disziplinierung des Personals<br />

sowie die Einstellungen und Bevorzugungen Alter Kämpfer bzw. politisch Zuverlässiger.<br />

Betrachtet man – mit Gotto – die Personalhoheit als das „Herzstück der Selbstverwaltung“, 15<br />

so war dieses Herzstück sowohl institutionell durch die Prärogative des Parteibeauftragten bei<br />

der Besetzung der leitenden Positionen beseitigt als auch faktisch durch Gauleiter S<strong>im</strong>on, der<br />

in allen Fällen unverhohlen die treibende Kraft darstellte. Der Staat bediente sich der<br />

Kommunen für die Erledigung vielfältiger Aufgaben und weitete seine Rechte aus. Sieht man<br />

die Finanzhoheit als ein zentrales Element der Selbstverwaltung an, so konnte davon<br />

spätestens seit Kriegsbeginn ebenfalls keine Rede mehr sein. Stärkstes Argument für die<br />

Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung ist und bleibt jedoch die Abschaffung der<br />

demokratisch legit<strong>im</strong>ierten Vertretungskörperschaft. <strong>Die</strong> Beteiligung der Bürger an der<br />

politischen Willensbildung war und ist der Wesenskern der Selbstverwaltung, der durch GVG<br />

und DGO beseitigt wurde. <strong>Die</strong>ses Argument wird auch nicht dadurch abgeschwächt, dass die<br />

Gesetzgebung nur noch die <strong>im</strong> Gefolge der „nationalen Erhebung“ schon geschaffene<br />

Entmachtung des Stadtparlaments legalisierte.<br />

Für Gottos Sicht der symbiotischen, also zu beiderseitigem Nutzen und Vorteil angelegten<br />

Beziehung, 16 spricht, dass die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> einzelne Organisationsstrukturen an<br />

die der Partei anpasste (Fürsorgebezirke an die NSV-Ortsgruppen, Schadensbezirke an die<br />

NSDAP-Ortsgruppen). <strong>Die</strong>se enge Verzahnung kam der Zusammenarbeit zweifellos<br />

entgegen. Mit der NSV wurde schon 1934 eine enge Kooperation vereinbart, die jedoch<br />

mangels organisatorischen Aufbaus und fachlich qualifizierten Personals erst später zum<br />

Tragen kam. <strong>Die</strong> zurückhaltende Beschreibung dieser Kooperation durch das Wohlfahrtsamt<br />

<strong>im</strong> Jahre 1943 (Umständlichkeit, Zeitverluste) lässt ihren großen Nutzen für die Stadt-<br />

verwaltung jedoch bezweifeln. Anders bei den Kriegsämtern: Hier griff die Stadt mehrfach<br />

auf die Mithilfe von Kreisleitung und NSV zurück (z. B. Verteilung der Lebensmittelkarten<br />

durch die NSV, Erhebung von Daten). Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass diese<br />

Inanspruchnahme der Partei aus der Not der Arbeitsüberlastung heraus geboren wurde. Das<br />

gilt auch für den Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Es handelte sich<br />

jeweils nicht um die Bewältigung originär kommunaler Aufgaben, sondern solcher, die der<br />

Staat der Kommune auferlegt hatte. Nutznießer war die Stadt zweifellos bei diversen<br />

Verfolgungsmaßnahmen, z. B. bei den Arisierungen und der rigiden Exklusionspolitik<br />

gegenüber Bedürftigen, Behinderten usw.<br />

15 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 428.<br />

16 Ähnlich Brinkhus: Er nennt die vorgesehene Arbeitsteilung für den Katastrophenfall in Bonn ein<br />

„symbiotische[s] Verhältnis“ zwischen <strong>Stadtverwaltung</strong> und Partei. Das widerspricht seiner eigenen<br />

Feststellung, dass das „Gros der Aufgaben“ bei der Stadt verblieb und die Partei sich auf die propagandistisch<br />

bedeutsame „Menschenbetreuung“ beschränkte. Brinkus: Auftragsverwaltung, S. 220.


610<br />

Gottos zentrales Argument gegen die parasitäre Zersetzung der überkommenen „Strukturen“<br />

ist das Interesse der Nationalsozialisten, die „administrative Normalität“ aufrecht zu<br />

erhalten. 17 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> war keine der später so zahlreichen, neu eingerichteten<br />

Sonderbehörden, sondern eine traditionelle Behörde mit geschultem Personal und<br />

eingespielten bürokratischen Routinen. Sie verkörperte trotz des abrupten Wechsels an der<br />

Stadt-spitze, Kommissarsaktivitäten und Skandalenthüllungen ein vertrautes Element der<br />

Stabilität und Kontinuität. An der administrativen Normalität änderte sich für das „Publikum“<br />

<strong>im</strong> äußeren Ablauf zunächst nichts. Alles ging seinen gewohnten Gang. Doch die<br />

administrative Normalität war eine Medaille mit zwei Seiten. Vordergründig signalisierte sie<br />

dem Bürger mit ihrer „Fiktion von Recht und Ordnung“ 18 Beständigkeit und Sicherheit in<br />

Zeiten revolutionärer politischer und gesellschaftlicher Umbrüche. Gerade das prädestinierte<br />

die administrative Normalität ganz hervorragend dafür, den permanenten Rechtsbruch zu<br />

tarnen und als neue Rechts„norm“ zu etablieren. Gewohnte bürokratische Routinen<br />

„veralltäglichten die Diktatur“ und garantierten, dass es „keinen Bruch, sondern<br />

Anpassungsprozesse“ gab. 19<br />

Administrative Normalität: Transformationsprozesse nach außen und innen<br />

Nach außen blieb also der Anschein von Kontinuität und Normalität <strong>im</strong> Verwaltungshandeln<br />

gewahrt. Tatsächlich vollzog sich aber ein fundamentaler Bruch in Inhalt und Zielsetzung.<br />

Gotto spricht lediglich von dem neuen „Bezugspunkt“ Volksgemeinschaft und einem „neuen<br />

Bezugsrahmen“ für die „mit einem neuen Inhalt“ gefüllte Selbstverwaltung – dies hieße nur:<br />

neuer Wein in alten Schläuchen. Zwar verkennt er die ideologisch motivierten „Umwälzungen<br />

in der Finalität des Verwaltungshandelns“ nicht, die es zu kaschieren galt. 20<br />

Gottos Formel wird trotzdem nur ungenügend der Tatsache gerecht, dass der „neue<br />

Bezugsrahmen“ ein System aus Unrecht und Gewalt, Terror und Vernichtung war. Außerdem<br />

vollzog die Behörde <strong>Stadtverwaltung</strong> seit Kriegsbeginn keineswegs nur einen äußeren<br />

Gestaltwandel, sondern sie unterlag schon seit der Machtergreifung einem tiefen inneren<br />

Veränderungsprozess. <strong>Die</strong> administrative Normalität bewirkte nämlich nicht bloß einen<br />

Transformationsprozess nach außen – in die Gesellschaft –, sondern sie wirkte auch innerhalb<br />

der Verwaltung selbst. Darauf haben z. B. bereits Mögle-Hofacker 1983 und Lüdtke 1991<br />

hingewiesen. 21 <strong>Die</strong> legalistische Tarnung der Maßnahmen als Gesetze, Erlasse und<br />

Verordnungen gaukelte nicht nur dem Bürger die „Fiktion von Recht und Ordnung“ vor,<br />

sondern sie ermöglichte es auch den Beamten, an eine solche Fiktion zu glauben. Ziele und<br />

17 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 426.<br />

18 Mögle-Hofacker: Zur Bedeutung rechtsstaatlicher Traditionen, S. 192.<br />

19 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 423, 425.<br />

20 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 426.<br />

21 Gotto deutet dies lediglich an: „Für viele Beamte konnte daher der Eindruck entstehen, es habe sich gar nicht<br />

viel geändert. Erst allmählich wurde der Wandel spürbar, dem die nationalsozialistische Herrschaft die<br />

Verwaltung unterwarf.“ Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 426.


611<br />

Folgen der von ihnen bearbeiteten Verwaltungsvorgänge konnten sie dadurch ausblenden.<br />

Der „Alibi-Legalismus“ befasste sich nur mit einem Teil der Maßnahme und nicht mit ihrem<br />

Ziel, und die chaotischen Verwaltungs- und Vollzugsvorschriften förderten die „Pseudo-<br />

Legalität“, weil „irgend etwas <strong>im</strong>mer legal geregelt war“, wie Mögle-Hofacker feststellte. 22<br />

Lüdtke erkannte, dass sich für die „Mobilisierung der Destruktionskräfte […] gerade die<br />

alltäglichen Praktiken professioneller Routinisierung – zum Beispiel von Administration“<br />

eigneten. „<strong>Die</strong>se Normalität ließ den moralischen Druck offener Entscheidungslagen gar nicht<br />

erst entstehen“, weil sie eine Distanzierung durch den Rückgriff auf die „Akkuratesse<br />

professioneller Strategien“ erreichte. 23 Administrative Normalität versprach also moralische<br />

Entlastung und ermöglichte auch Beamten, die auf Distanz zum Reg<strong>im</strong>e und seiner Ideologie<br />

blieben, ihren Pflichten korrekt und gewissenhaft nachzukommen. Sie taten zumindest nichts<br />

„Unrechtes“ <strong>im</strong> Sinne von „Ungesetzmäßiges“. 24 Dadurch war es z. B. einem Stadtinspektor<br />

Schnorbach möglich, den Vorgang um den Lagerleiter Emil Faust mit gewohnter Routine zu<br />

bearbeiten, obwohl jedem klar sein musste, was die polnischen Juden in dem – von der DAF<br />

verwalteten – Lager erwartet hätte. Als korrekter Beamter um Kostenmin<strong>im</strong>ierung bemüht,<br />

erkundigte er sich sogar pflichtgemäß nach einer finanziellen Beteiligung der Juden. Damit<br />

ergänzt die administrative Normalität die gängigen Erklärungsmuster des Eids auf Hitler und<br />

der unpolitischen „Beamtenmentalität“. <strong>Die</strong> Professionalität der Beamten machte sich auf der<br />

anderen Seite positiv bei den Wertgutachten und Preisfestsetzungen der Sachverständigen der<br />

Liegenschaftsverwaltung und der Preisbehörde bemerkbar. Sie sind sachlich-objektiv<br />

abgefasst, und zumindest in den Fällen Prengel und Eichert wurden die Juden nicht einseitig<br />

benachteiligt. Aber selbst jemand wie Wirtz fand sich bereit, die Gunst der Stunde zu nutzen,<br />

die rechtlich fragwürdige Aktionen zuließ. Aus der vorübergehenden Beschlagnahme des<br />

Waisenhauses Kemperhof wollte er entgegen den Interessen von Eigentümer und Insassen<br />

eine dauerhafte Besitzergreifung machen. Er folgte damit nicht mehr dem Legalitäts-, sondern<br />

dem Opportunitätsprinzip, das nach <strong>Die</strong>hl-Thiele Normen und Maßnahmen voneinander<br />

unterscheidet. Be<strong>im</strong> Versuch, die Ursulinenschule zu erwerben, plante S<strong>im</strong>mer für den Fall<br />

des Scheiterns auf dem Rechtswege ein maßnahmenstaatliches Vorgehen.<br />

<strong>Die</strong> administrative Normalität wirkte also auch nach innen, in die Behörde und auf die<br />

Bediensteten: Normen und Maßnahmen waren in der täglichen Verwaltungspraxis untrennbar<br />

ineinander verschränkt und miteinander vermischt. Zweifellos wurde die Behörde<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> Teil des Maßnahmenstaates, 25 und ihre Bediensteten wurden – mehr oder<br />

weniger, bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – zu Handlangern des Unrechts.<br />

22 Mögle-Hofacker: Zur Bedeutung rechtsstaatlicher Traditionen, S. 193.<br />

23 Lüdtke: Funktionseliten, S. 590 (Hervorhebung <strong>im</strong> Original).<br />

24 Vgl. Mecking: „Immer treu“, S. 218: <strong>Die</strong> meisten Beamten hätten sich als unpolitisch betrachtet. „Sie hielten<br />

es für selbstverständlich, den Vorgaben und Weisungen in der Verwaltung zu folgen, so daß der<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> weniger von ‚Vollblutnazis’ als in der Mehrheit von Opportunisten, Verführten oder<br />

Eingeschüchterten getragen wurde.“<br />

25 „Es ist nicht möglich, den kommunalen Verwaltungsapparat vom nationalsozialistischen Unrechtsreg<strong>im</strong>e<br />

abzutrennen.“ Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong>, S. 363.


612<br />

Lediglich von einem „neuen Bezugsrahmen“ zu sprechen, birgt die Gefahr, einem<br />

„unpolitischen“ Beamtentum das Wort zu reden, dem es gleichgültig sein kann, ob es in<br />

<strong>Die</strong>nsten einer Demokratie, einer Diktatur oder irgendeiner anderen Staatsform oder Macht<br />

steht. 26 Der „neue Bezugspunkt“ Volksgemeinschaft führte zu einer völligen Abkehr vom<br />

bisherigen Prinzip der Sorge um das Wohl aller Bürger und der Daseinsvorsorge für die<br />

Gesamtbevölkerung. <strong>Die</strong> administrative Normalität transformierte dadurch sogar den<br />

Verwaltungsvollzug: Der elementare bürokratische Grundsatz der sachlichen Amtsführung<br />

ohne Ansehen der Person musste einer Amtsführung weichen, die eine Bewertung des<br />

einzelnen Bürgers nach seiner Wertigkeit innerhalb der Volksgemeinschaft und seinem<br />

Nutzen für das Volksganze geradezu voraussetzte. <strong>Die</strong> Verwaltungsklientel der städtischen<br />

Bevölkerung verengte sich tendenziell auf die Mitglieder der anvisierten Volksgemeinschaft.<br />

<strong>Die</strong> in Kapitel 7 beschriebenen Verfolgungsmaßnahmen geben dafür zahlreiche Beispiele der<br />

Selektion und Exklusion.<br />

Zusammenfassend heißt das: <strong>Die</strong> von der <strong>Stadtverwaltung</strong> praktizierte administrative<br />

Normalität wirkte nach außen, indem sie die Transformation von Maßnahmen in „Normen“<br />

und die der bürgerlichen Gesellschaft in die verheißene Volksgemeinschaft förderte. Damit<br />

leistete sie einen sehr gewichtigen Beitrag zur Etablierung, Stabilisierung und Legit<strong>im</strong>ierung<br />

des NS-Staates. Nach innen transformierte die administrative Normalität die Behörde<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> von einer dem Gemeinwohl verpflichteten Verwaltungsinstanz an der Basis<br />

der Bevölkerung zu einem Teil des Maßnahmenstaates. <strong>Die</strong> administrative Normalität<br />

korrumpierte die Bediensteten von Sachwaltern des Rechts zu Handlangern des Unrechts und<br />

bot ihnen dafür gleichzeitig moralische Entlastung.<br />

Der <strong>Stadtverwaltung</strong> blieben <strong>im</strong> täglichen Verwaltungsvollzug <strong>im</strong> Rahmen der kommunalen<br />

Selbstverwaltung und der geltenden Gesetze viele kleine Handlungsoptionen offen: Wem<br />

verkauft die Stadt ein Baugrundstück, wie behandelt sie einen Unterstützungsantrag, wie hoch<br />

bewertet sie ein Grundstück, wem erlässt sie eine Gebühr, wem stundet sie eine Steuer? Es<br />

gibt mehrere Beispiele dafür, dass Beamte ihre Handlungsspielräume nutzten, um die Folgen<br />

von Maßnahmen für die Betroffenen abzumildern. Stadtoberbaurat Neumann setzte seinen<br />

Mitarbeitern nicht wegen des Parteibeitritts zu und stellte sich schützend vor seinen politisch<br />

verdächtigen Untergebenen Vermessungsrat Breuer. Der nach 1945 mehrfach als „Nazi-<br />

Gegner“ bezeichnete Breuer drängte darauf, die Abwicklung der Grundstücksverkäufe bei<br />

auswanderungswilligen Juden zu beschleunigen. Stadtkämmerer Wirtz versuchte, den<br />

jüdischen Antragstellern für Konzessionen behilflich zu sein. Bürgermeister Binhold stellte<br />

Intendant Schoenfeld eine Art „Ariernachweis“ aus. Binhold und Wirtz verweigerten sich<br />

beide der Zumutung, die Farce um Wittgens Absetzung und angebliche <strong>Die</strong>nstunfähigkeit<br />

26 Auf diese Gefahr, „wie leicht eine Bürokratie, die sich unpolitisch gibt und damit keine eigenen Werte und<br />

Standards verteidigen kann, ein fügsames, effizientes und schreckliches Instrument in der Hand zielbewusster<br />

Entscheider wird“, weist Gotto selbst hin; Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 427 f.


613<br />

mitzumachen: Binhold war nicht zur Verlängerung seiner Amtszeit zu bewegen, wie Partei<br />

und Regierung von ihm wünschten, sondern ging in Pension. Wirtz verweigerte die Abgabe<br />

der Erklärung, dass Wittgen dienstunfähig sei. Damit nutzten sie wie Wittgen selbst die<br />

defensiven Möglichkeiten, die ihnen der traditionelle Normenstaat noch bot.<br />

Wie sah es aber mit der Selbstverwaltung und der Kommunalpolitik <strong>im</strong> Sinne einer aktiven<br />

Gestaltung von Gegenwart und Zukunft der Stadt aus? Wittgen und erst recht S<strong>im</strong>mer<br />

verstanden sich nicht als bloße Ausführungsorgane oder gar Befehlsempfänger, sondern sie<br />

legten Wert darauf, dass ihre Leistungen und die der <strong>Stadtverwaltung</strong> anerkannt wurden. Auf<br />

einen so gravierenden Schritt wie die Eingemeindungen von 1937 hatte Wittgen aber keinen<br />

Einfluss, sie war eine von Regierung und Gauleitung beschlossene Sache. S<strong>im</strong>mer bewies<br />

seine „Unabhängigkeit“, indem er sich bei einzelnen Personalien über das Votum der Partei<br />

hinwegsetzte. Im Wohlfahrts- und Bauwesen orientierte sich die <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong><br />

Wesentlichen an den ideologischen Vorgaben der Partei und den politischen der Reichs-<br />

regierung. Ein Beispiel für eine bedeutende kommunalpolitische Entscheidung <strong>im</strong> Rahmen<br />

der Selbstverwaltung wäre die aufgrund des Krieges nicht realisierte Altstadterneuerung statt<br />

-sanierung gewesen. <strong>Die</strong> größten Handlungsspielräume bewahrten sich Wittgen und S<strong>im</strong>mer<br />

<strong>im</strong> Bereich Kultur – einem eher randständigen Politikfeld. Wittgen konnte sich erfolgreich<br />

gegen den Landesleiter der Reichskammer der Bildenden Künste durchsetzen. S<strong>im</strong>mer<br />

entwickelte vielfältige und beachtliche Aktivitäten, um ein herausragendes kulturelles Profil<br />

der Stadt zu entwickeln. Dabei ging er auf Konfrontationskurs zum Gaupropagandaleiter. Der<br />

Städtische Musikbeauftragte pochte gegenüber dem Kreispropagandaleiter auf seine Rechte.<br />

Aber das Politikfeld Kultur zeigt auch, dass der Selbstverwaltung sehr enge, ideologisch<br />

begründete Grenzen gesteckt waren: Jedes Theaterstück, jedes Konzert, jedes Buch musste<br />

von staatlichen Stellen abgesegnet werden, was <strong>im</strong> Übrigen einmal mehr zeigt, dass der<br />

Dualismus Staat und Partei in Bezug auf die Kommune zu kurz greift.<br />

Unter dem Strich muss die Frage der Weiterexistenz der – schon gegen Ende der We<strong>im</strong>arer<br />

Republik angeschlagenen – kommunalen Selbstverwaltung aber verneint werden: <strong>Die</strong><br />

Stadtverordnetenversammlung war abgeschafft und das Führerprinzip eingeführt. <strong>Die</strong><br />

Handlungsspielräume waren eng begrenzt. <strong>Die</strong> Friedensaufgaben, also die originär<br />

kommunalen Aufgaben, mussten <strong>im</strong> Krieg zugunsten der Auftragsverwaltung „drastisch<br />

eingeschränkt“ werden, wie auch Gotto zugibt. 27 Von einer kommunalen Selbstverwaltung <strong>im</strong><br />

Sinne einer eigenverantwortlichen Regelung der Angelegenheiten der Gemeinde kann kaum<br />

mehr die Rede sein.<br />

Stellte das zum Trialismus erweiterte Beziehungsgeflecht zwischen <strong>Stadtverwaltung</strong>, Partei<br />

und Staat ein symbiotisches Verhältnis dar? Nutznießer der Aufrechterhaltung der<br />

27 Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 432.


614<br />

administrativen Normalität und stabilisierenden Leistungskraft der <strong>Stadtverwaltung</strong> waren<br />

NS-Staat und Partei. <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> wurde dagegen mit Ansprüchen und Aufgaben<br />

überflutet. Nutzen und Vorteile, die sie selbst aus Inanspruchnahmen in umgekehrter<br />

Richtung, aus gemeinsamen Interessenlagen oder aus den Verfolgungsmaßnahmen zog,<br />

wurden davon wieder aufgewogen bzw. standen <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nst der ihr übertragenen Aufgaben.<br />

Eine Symbiose bestand aus Sicht der <strong>Stadtverwaltung</strong> also nicht.<br />

Generell sind die Vergleiche Parasitismus und Symbiose zwar anschaulich. Sie stellen aber<br />

jeweils Extrempositionen dar, die in beiden Richtungen zu weit gehen. Weder wurden die<br />

Selbst- und <strong>Stadtverwaltung</strong> völlig „zersetzt“ noch entstand auf allen Gebieten der<br />

Kommunalverwaltung und -politik ein symbiotisches Verhältnis.<br />

Nonkonformität, Verweigerung, Protest und Widerstand 28<br />

Nonkonformes Verhalten wie die angebliche Verweigerung des Hitlergrußes sind in<br />

Einzelfällen (Woltmann, Breuer, Finkler) überliefert. Es setzte die Beamten unter<br />

Rechtfertigungszwang und verhinderte schl<strong>im</strong>mstenfalls ihre Beförderung. Belegt sind<br />

diverse Akte der Verweigerung: <strong>Die</strong> Weigerung zum Eintritt in die NSV wurde teils finanziell<br />

begründet, aber auch mit dem Hinweis auf die Mitgliedschaft in der Caritas (Breuer). <strong>Die</strong><br />

vorgeschriebene Ummeldung der Beamtenkinder von einer konfessionellen an eine staatliche<br />

Schule wurde zwar befolgt, aber in zwei Fällen hinausgezögert (Deboeser, Schnorbach). Zwei<br />

Beamte (Petri, Breuer) verweigerten das Ausfüllen von Fragebögen des Gauamtes für<br />

Beamte. Andere entzogen sich dem Sammeln für NS-Verbände und -Hilfsaktionen oder<br />

zeigten keine Bereitschaft zu großzügigen Spenden. In diesen Fällen der Verweigerung<br />

mussten sich die Bediensteten vor ihren Vorgesetzten rechtfertigen, und die Vorgänge<br />

schlugen sich in der Regel in der Personalakte nieder. <strong>Die</strong> Beamten standen fortan unter<br />

kritischer Beobachtung des Gauamtes für Beamte bzw. dessen Vertrauensleuten innerhalb der<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> und sie mussten mit einem Karriereknick rechnen. <strong>Die</strong> (faktische)<br />

Entlassung des Wohlfahrtsbeamten Otto Braun, eines ehemaligen Sozialdemokraten, beruhte<br />

zwar auf dessen kritischen politischen Äußerungen. Doch der spärlichen Quellenlage nach zu<br />

urteilen, waren diese nicht als bewusster öffentlicher Protest intendiert gewesen. <strong>Die</strong><br />

Teilnahme dreier Beamter (Hans, Rüth, Hütte) an der Beerdigung des „Marxisten“ Veit<br />

Rummel veranlasste die Gestapo, eine Untersuchung durch den <strong>Die</strong>nstvorgesetzten<br />

einzuleiten, weil sie als Demonstration gegen das Reg<strong>im</strong>e gewertet werden konnte. Pietät und<br />

menschlicher Anstand wurden bei Hans, einem ehemaligem SPD-Mitglied, nicht als<br />

hinreichende Gründe akzeptiert. Sie wurde offiziell mit einem Verweis bestraft. Ein Fall von<br />

Widerstand ist nicht belegt.<br />

28 Vgl. das vierstufige Modell abweichenden Verhaltens nach Detlev Peukert: Volksgenossen und<br />

Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem <strong>Nationalsozialismus</strong>. Köln 1982, S.<br />

94-99.


Polykratie und Systemstabilisierung<br />

615<br />

<strong>Die</strong> systemstabilisierende Funktion der Kontinuität verbürgenden Behörde <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

wurde bereits dargestellt. Dass die Kommune als letztes Glied des Instanzenzuges die für den<br />

NS-Staat typische Regelungswut und den ausufernden Kompetenzwirrwarr auszutarieren<br />

bzw. auszubaden hatte, ist an sich nicht verwunderlich. Es gab nichts und niemanden unter<br />

ihr, an den sie Aufgaben hätte delegieren können. S<strong>im</strong>mer unternahm einen ehrgeizigen<br />

Versuch, seinen Einfluss als „zusammenfassende maßgebende Stelle“ gemäß Anordnung über<br />

die Verwaltungsführung in den Landkreisen vom 28. Dezember 1939 auszubauen. Seine<br />

Absicht, als „Pr<strong>im</strong>us inter Pares“ die „kriegswichtige Gemeinschaftsarbeit“ aller lokalen<br />

Behördenleiter zu bündeln, scheiterte aber an deren Widerstand. Es mutet auf den ersten Blick<br />

skurril an, dass in die polykratische Struktur des <strong>Koblenz</strong>er Kulturwesens erst Ruhe einkehrte,<br />

als eine weitere Instanz hinzukam: Der Städtische Musikbeauftragte erhielt in Personalunion<br />

das entsprechende Parteiamt als Beauftragter der Kreisleitung für Musikangelegenheiten. Das<br />

verschaffte ihm gegenüber den mit städtischen Kulturinstitutionen konkurrierenden<br />

Parteidienststellen offenbar mehr Respekt als sein städtisches Amt.<br />

Während des Krieges trat die klassische Gemeinwohlorientierung der <strong>Stadtverwaltung</strong> noch<br />

einmal in den Vordergrund. Indem die Beamten gewissenhaft ihre Pflicht in der<br />

Daseinsvorsorge erfüllten, für den Katastrophenfall vorsorgten und sich <strong>im</strong> Ernstfall<br />

tatsächlich bewährten, stabilisierte die <strong>Stadtverwaltung</strong> das polykratische und langsam<br />

bröckelnde System des NS-Staates. Durch Verwaltungsvereinfachungen, Kräftekonzentration<br />

wie Ämterstilllegungen, Mobilisierung personeller und materieller Ressourcen sowie flexibles<br />

Reagieren leistete die Stadt einen wesentlichen Beitrag zu der Aufrechterhaltung der<br />

Infrastruktur und dem Durchhalten der He<strong>im</strong>atfront. Obwohl die Menschenführung eine<br />

Aufgabe der Partei war, fühlten sich die Beamten für die St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung<br />

mitverantwortlich. <strong>Die</strong> Ehrung der Gefallenen durch die Stadt legit<strong>im</strong>ierte ihren Tod und<br />

stützte die Moral der Bevölkerung. <strong>Die</strong> Maßnahmen zum Luftschutz und Katastropheneinsatz<br />

organisierte die <strong>Stadtverwaltung</strong>, wie es die einschlägigen Best<strong>im</strong>mungen vorsahen, in einer<br />

offensichtlich ohne nennenswerte Probleme funktionierenden Arbeitsteilung mit der Partei,<br />

die sich allerdings diejenigen Aufgaben vorbehielt, die für sie einen Nutzen bei der<br />

Menschenführung versprachen. Der Mehrheit der Beamten wird gegen Ende des Krieges<br />

nicht verborgen geblieben sein, dass sie als „Verwaltungssoldaten“ der He<strong>im</strong>atfront nicht nur<br />

dem Allgemeinwohl dienten, sondern ein dem Untergang geweihtes Unrechtssystem stützten.<br />

Darin offenbart sich das ganze tragische Dilemma ihrer loyalen Pflichterfüllung. Trotz<br />

widrigster Bedingungen (Personalnot, Aushilfspersonal, Luftalarme, Bombardierungen,<br />

Materialknappheit) konnten sich die <strong>Koblenz</strong>er gut verwaltet fühlen. Bis in die letzten<br />

Kriegstage blieb die <strong>Stadtverwaltung</strong> leistungsfähig, auch wenn das Nationalblatt dies zuletzt<br />

<strong>im</strong>mer weniger würdigte und stattdessen die Verdienste der Partei und ihrer Organisationen<br />

(NSV, NS-Frauenschaft) hervorhob.


Katholisches Milieu, Mentalität und Region<br />

616<br />

Zwei Punkte werden in der Literatur <strong>im</strong>mer wieder als angebliche Resistenzfaktoren genannt:<br />

Das die Stadt sicher stark prägende katholische Milieu und die viel besungene rheinisch-<br />

fröhliche Mentalität. Das lokale katholische Milieu, parteipolitisch manifestiert in der<br />

Zentrumspartei sowie sozial in den zahlreichen karitativen, religiösen und gesellschaftlichen<br />

Vereinen und Institutionen, erwies sich trotz seiner Dichte nicht als „Bollwerk gegen den<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>“ 29 . Zu den frühen, für eine vorwiegend katholische Region<br />

ungewöhnlich hohen Wahlerfolgen der NSDAP trugen mehrere Faktoren bei: <strong>Die</strong> für<br />

Katholiken gültige Wahlnorm zugunsten des Zentrums war schon vorher durch die örtliche<br />

Greber-Liste aufgebrochen worden. Das liberale Lager war zersplittert, dazu kamen weitere<br />

lokale Gruppierungen wie die Beamtenliste. Der schmerzlich empfundene Verlust des Status<br />

einer Residenz- und Garnisonstadt, das hautnahe Erleben von Besatzung und Separatismus<br />

sowie die hohe Zahl von Arbeits- und Wohlfahrtserwerbslosen bereiteten der unermüdlichen<br />

Agitation des Bezirks- und späteren Gauleiters Gustav S<strong>im</strong>on einen guten Nährboden.<br />

Welchen Anteil S<strong>im</strong>on persönlich an den <strong>Koblenz</strong>er Wahlerfolgen hatte, lässt sich am besten<br />

daran ermessen, dass die NSDAP in Trier erst 1930 einen bedeutenden Wählerzuwachs<br />

verzeichnen konnte, nachdem S<strong>im</strong>on sich des Wiederaufbaues der dortigen Ortsgruppe<br />

angenommen hatte. Dass die St<strong>im</strong>menanteile in Trier insgesamt hinter denen in <strong>Koblenz</strong><br />

zurückblieben, kann auf räumliche Faktoren zurückgeführt werden: <strong>Die</strong> Stadt war<br />

Bischofssitz. <strong>Die</strong> unmittelbare Präsenz des Kirchenvertreters festigte die Gläubigen wenn<br />

nicht in ihrer Resistenz, so doch in ihrer Selbstbehauptung mehr als die <strong>im</strong> entfernteren<br />

<strong>Koblenz</strong>. 30 Nach der Machtergreifung kann entgegen späteren Selbststilisierungen von<br />

„Widerstand“ aus den Reihen der <strong>Koblenz</strong>er Zentrums-Stadtverordneten keine Rede sein, wie<br />

auch die „Abst<strong>im</strong>mung“ über die Ehrenbürgerrechte Hitlers belegt. Zu schnell machte sich<br />

Resignation breit bzw. war man zu Anbiederung und Anpassung bereit, zu der sowohl das<br />

Verhalten der Zentrumsführung <strong>im</strong> Reich als auch das der Amtskirche ermuntern mussten. 31<br />

Am Beispiel der Beamten Breuer, van Rühden, Deboeser und Schnorbach lässt sich am<br />

besten illustrieren, dass ihr katholischer Glaube und ihre Kirchentreue sie gegen den<br />

beständigen Anpassungsdruck und Gesinnungsterror gewissermaßen „<strong>im</strong>munisierte“. Der<br />

noch halbwegs intakte und geschützte Raum der katholischen Kirche bot ihnen mit seinem<br />

festen Wertekanon und Glaubensgrundsätzen einen privaten Rückzugsbereich, in dem sie<br />

29 Golecki: Vom Ersten Weltkrieg, S. 166.<br />

30 Zur Bedeutung des Raumes, von Nähe und Distanz vgl. schon Georg S<strong>im</strong>mel: Soziologie des Raumes (1903).<br />

In: Heinz-Jürgen Dahme/Otthein Rammstedt (Hg.): Georg S<strong>im</strong>mel. Schriften zur Soziologie. Eine Auswahl. 2.<br />

Aufl. Frankfurt am Main 1986, S. 221-242.<br />

31 Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt für das benachbarte Andernach Gudrun Haffke: Andernach während<br />

der Anfänge der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1936. „Katholisches Milieu und die Errichtung der<br />

Diktatur“. Magisterarbeit Humboldt-Univ. Berlin 2007; dies.: Andernach während der Anfänge der<br />

nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1936. „Katholisches Milieu und die Errichtung der Diktatur“ – Hinweise<br />

zu meiner Magisterarbeit. In: Andernacher Annalen 8 (2009/10), S. 131-137.


617<br />

Zurücksetzungen, Karriereknick und Anfeindungen verschmerzen konnten. 32 Zwar leistete<br />

keiner von ihnen aktiven Widerstand und sie versahen pflichtgemäß ihren <strong>Die</strong>nst, aber ihre<br />

Kirchentreue machte sie innerlich resistent gegen die nationalsozialistische Ideologie. 33<br />

Der zweite angebliche Resistenzfaktor wäre die Mentalität des fröhlichen Rheinländers mit<br />

seinem Hang zum respektlosen Umgang mit der Obrigkeit, 34 die ihn resistenter gegen den<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> gemacht habe. Der Trierer Museumsdirektor Dr. Walter <strong>Die</strong>ck meinte, es<br />

sei neben dem katholischen Glauben „schlicht die rheinisch-moselländische Mentalität“<br />

gewesen, die in Trier für die Distanz zur NSDAP gesorgt hätte. <strong>Die</strong> Bürger hätten besonders<br />

auf autoritäres Verhalten der Parteifunktionäre mit Ablehnung und sogar verstecktem Hass<br />

reagiert. <strong>Die</strong> „allgemeine[n] Lebensauffassung“ des Mosel- und Rheinländers sei „für ein<br />

autoritäres Reg<strong>im</strong>e ein unfruchtbarer Boden“ gewesen. 35 Abgesehen davon, dass manche die<br />

Existenz dieser rheinischen Sondermentalität überhaupt bezweifeln und eher für einen<br />

„positiven Mythos“ halten, 36 konnten keine Hinweise dafür gefunden werden, dass die<br />

Rheinländer „widerständiger“ gewesen wären als andere Landsleute. Den Nationalsozialisten<br />

war trotzdem sehr daran gelegen, Brauchtum wie z. B. den Karneval gleichzuschalten und zu<br />

instrumentalisieren. Dagegen war selbst „der lebenslustige Kölner“ mit seiner angeblich<br />

„archaischen Mentalität“ nicht gefeit. 37 <strong>Die</strong> <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong> mit Wittgen an der<br />

Spitze unterstützte die Gleichschaltung des Karnevals nach Kräften. Wittgen, „volksnäher“<br />

als der distanziert-intellektuell wirkende S<strong>im</strong>mer, setzte sich vehement für die Errichtung des<br />

Schängel-Denkmals ein, das auch als Sinnbild für rheinische Lebensfreude und (jugendliche)<br />

Geringschätzung von Autoritäten interpretiert werden kann. Fuhlrott verwies indirekt auf die<br />

rheinische Mentalität, indem er in seinem Spruchkammerverfahren seine negativen<br />

Beurteilungen darauf zurückführte, dass sein Charakter dem <strong>Koblenz</strong>er fremd und<br />

unsympathisch gewesen sei. Es scheint, als hätte die nationalsozialistische Propaganda den<br />

„positiven Mythos“ aufgenommen, um ihn sich einerseits zur Identitätsbildung, andererseits<br />

als Mittel zur Stärkung der Kriegsmoral dienstbar zu machen. Seit Bildung des Gaues<br />

„Moselland“ <strong>im</strong> Februar 1941 arbeitete sie beharrlich daran, ein neues „Quasi-Volkstum“ zu<br />

32 Michael Kißener: Ist „Widerstand“ nicht „das richtige Wort“? In: Karl-Joseph Hummel/Michael Kißener Hg.):<br />

<strong>Die</strong> Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten. 2. durchges. Aufl. Paderborn 2010, S. 167-<br />

178, hier S. 175, 177.<br />

33 Vgl. die familiären Erfahrungen von M. Rainer Lepsius (Jg. 1928): „Und nur diejenigen, die über einen<br />

Wertbezug für ihre Urteilsbildung verfügten, über den sie nicht abwägen konnten, nur die waren nicht<br />

faschistisch. Ich rede jetzt nicht von Antifaschismus, also von aktiver Bekämpfung. Ich rede nur von Nicht-<br />

Faschisten.“ Adalbert Hepp/Martina Löw (Hg.): M. Rainer Lepsius. Soziologie als Profession. Frankfurt am<br />

Main 2008, S. 18.<br />

34 Isabelle de Bortoli: Rheinländer sind wirklich so. In: http://www.rponline.de/regionales/nachrichten/rheinlaender-sind-wirklich-so-1.1120554,<br />

Zugriff am 6.12.2010.<br />

35 Bollmus: Trier und der NS, S. 573.<br />

36 Bernd-A. Rusinek: „Rheinische“ Institutionen. In: Jörg Engelbrecht u. a. (Hg.): Rheingold. Menschen und<br />

Mentalitäten <strong>im</strong> Rheinland. Eine Landeskunde. Köln 2003, S. 109-146, hier S. 140 f.<br />

37 Matzerath: Köln in der Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>, S. 199.


618<br />

kreieren. 38 Auf den „Moselländer“ wurden dabei alle positiven Attribute des Rheinländers<br />

übertragen, wie z. B. die „unverwüstliche[n] Heiterkeit des Mutterwitzes“. 39 Ein mehrfach<br />

publiziertes Foto zeigt ein Schild, das Toni Fey 1944 auf den Trümmern seines durch<br />

Bomben zerstörten Schuhhauses <strong>im</strong> Entenpfuhl aufstellte. Es trug die Aufschrift „Alles am<br />

Asch! / Doch froh u. heiter / geht mein Betrieb drei Häuser weiter. / Toni Fey“. Jahrzehnte-<br />

lang galt es als Paradebeispiel für die rheinische Frohnatur, die selbst <strong>im</strong> Angesicht der<br />

Katastrophe nicht den Humor verliert. Tatsächlich handelte es sich nicht nur um einen<br />

Werbegag, sondern um eine perfekt inszenierte Durchhalteparole: Toni Fey war Alter<br />

Kämpfer, ehemaliger Schriftleiter des Nationalblatts und Profiteur der Arisierungen. 40<br />

An die Frage der Mentalität schließt sich die nach regionalen Besonderheiten des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> an. <strong>Die</strong> Erweiterung des Gaugebiets um das besetzte Luxemburg hatte<br />

für die Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> Konsequenzen. Zwar war dieser Status nicht unmittelbar<br />

gefährdet, aber mit der Verlagerung der Interessen des Gauleiters nach Westen stand ein<br />

Bedeutungsverlust <strong>im</strong> wahrsten Sinne des Wortes drohend „<strong>im</strong> Raum“. S<strong>im</strong>mer, selbst<br />

Abteilungsleiter be<strong>im</strong> CdZ und dadurch häufig von <strong>Koblenz</strong> abwesend, reagierte mit einer<br />

groß angelegten Imagepolitik. Gab es aber eine rheinisch gefärbte Variante des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong>? <strong>Die</strong> Antwort fällt nicht leicht, weil innerhalb des Bundeslandes<br />

Rheinland-Pfalz die Pfalz bislang mehr <strong>im</strong> Blickfeld der Regionalforschung zur NS-Zeit<br />

stand. 41 Untersuchungen zu anderen Regionen kommen letztlich zu dem Ergebnis, dass „die<br />

Faktoren Region und Milieu während der NS-Diktatur […] eher <strong>im</strong> ‚kleinen Bereich’, <strong>im</strong><br />

zwischenmenschlichen Umgang, einen Unterschied machten.“ Durch vermeintliche<br />

Freiräume und gelegentliche, punktuelle Zugeständnisse wirkten diese Faktoren tatsächlich<br />

herrschaftsstabilisierend. Zu einem stärkeren Widerstand oder zu Abstrichen in der<br />

Umsetzung der Verfolgungspolitik führten sie aber nicht. 42 Das Rheinland bildete hierbei<br />

keine rühmliche Ausnahme, ebenso wenig wie <strong>Koblenz</strong>. Und daran hatte die <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

<strong>Koblenz</strong> durch ihr reibungsloses und effizientes Funktionieren, die administrative Normalität,<br />

einen nicht geringen Anteil.<br />

38 Romeyk: Der Gau Moselland und seine Beziehungen zu Luxemburg: Moselländer als Quasi-Volkstum, S. 419<br />

f. (Zitat); ders.: Der Gau Moselland in der nationalsozialistischen Reichsreform, S. 258 f.<br />

39 NB, 8./9.2.1941: <strong>Koblenz</strong>-Trier heißt jetzt Gau Moselland.<br />

40 Vor 60 Jahren. Krieg und Frieden an Rhein und Mosel 1944-1946. Ausstellungskatalog Mittelrhein-Museum<br />

<strong>Koblenz</strong> (Kataloge 3). <strong>Koblenz</strong> 2005, S. 99. Zu Fey vgl. Kapitel 6.2.7.<br />

41 Rummel: Regionen <strong>im</strong> NS, S. 47.<br />

42 Claus-Christian W. Szeijnmann: Verwässerung oder Systemstabilisierung? Der <strong>Nationalsozialismus</strong> in<br />

Regionen des Deutschen Reichs. In: Neue Politische Literatur 48 (2003), S. 208-250, Zitat S. 236. Auch die<br />

schwäbische Variante des <strong>Nationalsozialismus</strong> „hieß in Augsburg ebenso wie <strong>im</strong> übrigen Reich Verfolgung.“<br />

Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 424.


Anhang<br />

Abkürzungen<br />

619<br />

AB Adressbuch Stadt <strong>Koblenz</strong> und Umgebung<br />

Abb. Abbildung(en)<br />

Abt. Abteilung<br />

AF Amtliches Fernsprechbuch <strong>Koblenz</strong><br />

Alu Arbeitslosenunterstützung<br />

Anm. Anmerkung<br />

APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte<br />

Art. Artikel<br />

Aufl. Auflage<br />

BArch Bundesarchiv<br />

BBG Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (1933)<br />

Bearb./bearb. Bearbeiter/bearbeitet<br />

Bd./Bde. Band/Bände<br />

BDC Berlin Document Center<br />

BGBl. Bundesgesetzblatt<br />

Bl. Blatt/Blätter<br />

BDM Bund Deutscher Mädel<br />

Best. Bestand<br />

BVP Bayerische Volkspartei<br />

CDP Christlich-Demokratische Partei<br />

CDU Christlich-Demokratische Union<br />

CdZ Chef der Zivilverwaltung (in Luxemburg)<br />

DAF Deutsche Arbeitsfront<br />

DBG Deutsches Beamtengesetz (1937)<br />

ders./dies. derselbe/dieselbe(n)<br />

DGO Deutsche Gemeindeordnung (1935)<br />

DGT Deutscher Gemeindetag<br />

Diss. Dissertation<br />

DNVP Deutschnationale Volkspartei<br />

DRK Deutsches Rotes Kreuz<br />

DStP Deutsche Staatspartei<br />

DVP Deutsche Volkspartei<br />

durchges. durchgesehene<br />

Ebd./ebd. Ebenda/ebenda<br />

EVM Energieversorgung Mittelrhein GmbH<br />

erg. Ergänzte<br />

Gagfah Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-He<strong>im</strong>stätten<br />

GB Generalbevollmächtigter<br />

GBBau Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft<br />

GBV Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung<br />

GBW Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft<br />

Gehag Gemeinnützige He<strong>im</strong>stätten-Spar- und Bau-Aktiengesellschaft<br />

Gestapo Gehe<strong>im</strong>e Staatspolizei<br />

GG Grundgesetz<br />

GiW Geschichte <strong>im</strong> Westen<br />

GS. Preußische Gesetzessammlung


620<br />

GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Rheinland-Pfalz<br />

GVG (Preußisches) Gemeindeverfassungsgesetz (1933)<br />

H. Heft<br />

HStA Hauptstaatsarchiv<br />

Hg./hg. Herausgeber/herausgegeben<br />

HJ Hitlerjugend<br />

JbwestdtLG Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte<br />

k. A. keine Angabe(n)<br />

KdF Kraft durch Freude<br />

KFV Katholischer Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder<br />

KGA <strong>Koblenz</strong>er General-Anzeiger<br />

KMV Katholischer Männerverein für arme Knaben<br />

komm. kommissarisch(er)<br />

KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />

Kru Krisenunterstützung<br />

KVZ <strong>Koblenz</strong>er Volkszeitung<br />

KZ Konzentrationslager<br />

LAV NRW R Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland<br />

LHAKo Landeshauptarchiv <strong>Koblenz</strong><br />

MdL Mitglied des Preußischen Landtages<br />

MdR Mitglied des Reichstages<br />

MF Mikrofiche(s)<br />

NB Nationalblatt, Ausgabe <strong>Koblenz</strong><br />

NF Neue Folge<br />

NL Nachlass<br />

NS <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

NSBA Nationalsozialistische Beamtenabteilung<br />

NSBO Nationalsozialistische Betriebsorganisation<br />

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei<br />

NSG NS-Gemeinschaft<br />

NS-Hago Nationalsozialistische Handwerks-, Handels-<br />

und Gewerbeorganisation<br />

NSKG Nationalsozialistische Kulturgemeinde<br />

NSKOV Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung<br />

NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund<br />

NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt<br />

OB Oberbürgermeister<br />

o. D. ohne Datum<br />

ÖLSL Örtlicher Luftschutzleiter<br />

o. J. ohne Jahr<br />

o. O. ohne Ort<br />

OP Oberpräsident<br />

o. S. ohne Seitenzählung<br />

OT Organisation Todt<br />

OZM Orff-Zentrum München<br />

Pg./Pgn. Parteigenosse/Parteigenossin (NSDAP-Mitglied)<br />

PrGS Preußische Gesetzes-Sammlung<br />

PrMdI Preußischer Minister des Innern<br />

RDB Reichsbund der Deutschen Beamten<br />

RdErl. Runderlass<br />

rev. revidierte


621<br />

RJWG Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt (1922)<br />

RGBl. Reichsgesetzblatt<br />

RM Reichsmark<br />

RuPrMindI Reichs- und Preußischer Minister des Innern<br />

RP Regierungspräsident<br />

RVK Reichsverteidigungskommissar<br />

RW Rheinische Warte<br />

RZ Rhein-Zeitung, Ausgabe <strong>Koblenz</strong><br />

s. siehe<br />

S. Seite(n)<br />

SA Sturmabteilung<br />

SHD Sicherheits- und Hilfsdienst<br />

SD Sicherheitsdienst<br />

sog. sogenannte(r)<br />

Sp. Spalte(n)<br />

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

SS Schutzstaffel<br />

StAK Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong><br />

Stalag Stammlager<br />

StdF Stellvertreter des Führers<br />

Stv./stv. Stellvertreter/stellvertretend<br />

TOP Tagesordnungspunkt<br />

UB Universitätsbibliothek<br />

uk/Uk- unabkömmlich/Unabkömmlichkeits-<br />

Uschla Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss<br />

v. von/vom<br />

VB 1933-1937 Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong>. 1.4.1933-31.3.1937<br />

VB 1937/38 Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Jahr 1937<br />

[1.4.1937-31.3.1938]<br />

VB 1938/39 Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Jahr 1938<br />

(1.4.38-31.3.39)<br />

VDA Volksbund für das Deutschtum <strong>im</strong> Ausland<br />

verb. verbesserte<br />

VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte<br />

vgl. vergleiche<br />

VO Verordnung<br />

vs. versus<br />

WB Westdeutscher Beobachter<br />

WHW Winterhilfswerk des Deutschen Volkes<br />

Z Zentrum(spartei)<br />

zit. n. zitiert nach<br />

Zug. Zugang


Abbildungen<br />

622<br />

Abb. 1: Ansichtskarte von <strong>Koblenz</strong>: Blick von der Festung Ehrenbreitstein, um 1930.<br />

(StAK FA1, Az. 534)<br />

Abb. 2: Festung Ehrenbreitstein und Schiffbrücke über den Rhein, um 1935.<br />

(StAK FA1, Az. 534)


623<br />

Abb. 3: Oberbürgermeister Abb. 4: Gauleiter Gustav S<strong>im</strong>on<br />

Dr. Hugo Rosendahl (1931-1933). (1931-1945).<br />

(StAK FA1, Az. 100) (StAK FA1, Az. 240)<br />

Abb. 5: Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus am 8.3.1933: Jesuitenplatz mit Blick<br />

auf den Querflügel des Rathauses (<strong>im</strong> ersten Obergeschoss Großer Sitzungssaal).<br />

(StAK FA1, Az. 016)


624<br />

Abb. 6: Nach der Amtseinführung von Oberbürgermeister Otto Wittgen am 16.3.1933 auf<br />

dem Balkon des Rathauses. Von links nach rechts (über dem Teppich): Kreisleiter Albert<br />

Müller, Gauleiter Gustav S<strong>im</strong>on, Wittgen (über der Hakenkreuzfahne), die Kommissare<br />

Ludwig Christ und Oskar Peter Hildebrandt. (StAK FA1, Az. 016)<br />

Abb. 7: Sitzung der Stadtverordneten <strong>im</strong> Großen Saal der Stadthalle am 29.3.1933. Auf dem<br />

Podium Vertreter der <strong>Stadtverwaltung</strong>, in der Mitte Oberbürgermeister Wittgen, links davor<br />

die NSDAP-Stadtverordneten (wie Wittgen <strong>im</strong> Braunhemd), rechts die Stadtverordneten der<br />

übrigen Parteien. (StAK FA1, Az. 016)


625<br />

Abb. 8: NSDAP-Stadtverordnetenfraktion mit Oberbürgermeister Wittgen <strong>im</strong> Innenhof des<br />

Rathausgebäudes I, Frühjahr 1933. Untere Reihe: Otto Wittgen (Mitte), Ludwig Christ<br />

(3. von rechts), Oskar Peter Hildebrandt (1. von rechts); ganz oben, Mitte: Karl Carius.<br />

(StAK FA1, Az. 016)<br />

Abb. 9: Oberbürgermeister Abb. 10: <strong>Die</strong>nstvilla des Oberbürger-<br />

Otto Wittgen (1933-1939). meisters in der Julius-Wegeler-Straße 4,<br />

(StAK FA1, Az. 100) um 1938. (StAK FA1, Az. 060)


626<br />

Abb. 11: Stadtdirektor Abb. 12: Beigeordneter Abb. 13: Sozialreferentin<br />

Wilhelm Schwalge, und Stadtkämmerer Anna Loenartz.<br />

Juli 1926. Dr. Herbert Wirtz, (StAK FA1, Az. 240)<br />

(StAK FA2 Nr. 1725, um 1929.<br />

Ausschnitt) (StAK FA1, Az. 100,<br />

Ausschnitt)<br />

Abb. 14: Beigeordneter und Abb. 15: Stadtoberbaurat<br />

Stadtoberbaurat Franz Rogg. Friedrich Neumann.<br />

(StAK FA1, Az. 100) (StAK FA1, Az. 240)


627<br />

Abb. 16: Dr. Hans Bellinghausen Abb. 17: Stadtrat Hanns Klose<br />

vor der Stadtbibliothek in der Casino- (NB, 14./15.5.1938)<br />

straße 39, 1938. (StAK FA1, Az. 105)<br />

Abb. 18: Oberbürgermeister Abb. 19: Stadtrat Hubert Fuhlrott<br />

Theodor Habicht (1939). mit Ehefrau, 1943.<br />

(StAK FA1, Az. 100) (StAK FA1, Az. 100)


628<br />

Abb. 20: Oberbürgermeister Abb. 21: Beigeordneter und<br />

Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer (1940-1945). Stadtkämmerer Heinrich Hansmeyer.<br />

(StAK FA1, Az. 100) (StAK FA1, Az. 100)<br />

Abb. 22: Teilnehmer des 11. Lehrgangs an der Gauschule des Amtes für Beamte <strong>im</strong><br />

Kautenbachtal bei Traben-Trarbach, darunter Kulturamtsleiter Wilhelm Smits, Februar 1939.<br />

(StAK N 150 Nr. 6)


629<br />

Abb. 23: Abmarsch der städtischen Bediensteten vom Rathaus zur Maifeier, ca. 1941.<br />

Rechts unten (<strong>im</strong> hellen Jackett): Wilhelm Smits, Leiter der Abteilung VII.<br />

(StAK N 150 Nr. 6)<br />

Abb. 24: Mitarbeiterinnen des Wohlfahrtsamtes bei einem privaten Ausflug in Güls.<br />

Von links nach rechts: Hanna Pfannschmidt, Elisabeth Ernest, Susanne Hilleshe<strong>im</strong> und<br />

Maria Bach, um 1943. (StAK FA1, Az. 105).


630<br />

Abb. 25: Kreisleiter Robert Claussen, Abb. 26: Kreisleiter Willi Cattepoel<br />

um 1937. bei einer Trauerfeier für Bombenopfer<br />

(StAK FA1, Az. 240) in der Stadthalle, Juli 1944.<br />

(StAK FA1, Az. 016, Ausschnitt,<br />

Fotograf: Herbert Ahrens)<br />

Abb. 27: <strong>Die</strong> NSDAP-Gauleitung <strong>im</strong> städtischen Gebäude Emil-Schüller-Straße 18/20,<br />

um 1938. (StAK FA1, Az. 016)


631<br />

Abb. 28: Querflügel des Rathauses und Rathausgebäude II, über dem Verkehrszeichen<br />

die Herbert-Norkus-Gedenktafel, 1937. (StAK FA2 Nr. 379)<br />

Abb. 29: Das „Kopfgebäude“ in der Bahnhofstraße, auf dem Dach das Emblem der<br />

Deutschen Arbeitsfront und der Schriftzug „Nur Arbeit adelt“, um 1937/38. Durch den<br />

Torbogen ist die Hakenkreuzflagge am Gebäude der Kreisleitung zu erkennen, in der<br />

Emil-Schüller-Straße (rechts) die am Sitz der Gauleitung. (StAK FA2 Nr. 3586)


632<br />

Abb. 30: Siedlungsbauten auf der Abb. 31: Mietwohnungen in der<br />

Karthause, 1938. Beatusstraße in der Goldgrube, 1939.<br />

(StAK FA1, Az. 393) (StAK FA1, Az. 393)<br />

Abb. 32: Entwurf für das neue Rathaus am Löhrrondell, links angeschnitten die Herz-Jesu-<br />

Kirche, um 1941. (StAK FA4 Nr. 25, Bild 91)


633<br />

Abb. 33: Pharus-Plan von <strong>Koblenz</strong>, 1940. (StAK K 467)<br />

Abb. 34: Hafen- und Verkehrs- Abb. 35: Oberbürgermeister<br />

direktor Franz Lanters, 1945 Josef Schnorbach (1946-1960).<br />

Oberbürgermeister. (StAK FA1, Az. 100)<br />

(StAK FA1, Az. 100)


634<br />

Amtsinhaber und Funktionsträger von Stadt, Staat und Partei<br />

Oberbürgermeister der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

1.8.1919 – 31.7.1931 Dr. Karl Russell<br />

21.9.1931 – 15.3.1933 Dr. Hugo Rosendahl<br />

16.3.1933 - 30.9.1939 Otto Wittgen<br />

4.7.1939 – 31.12.1939 Theodor Habicht<br />

6.1.1940 – 12.2.1945 Dr. Nikolaus S<strong>im</strong>mer<br />

13.2.1945 – 12.3.1945 Dr. Konrad Gorges<br />

18.3.1945 – 8.6.1945 Franz Lanters<br />

8.6.1945 – 6.3.1946 Wilhelm Kurth<br />

3.6.1946 – 22.9.1946 Dr. Wilhelm Guske<br />

22.9.1946 – 13.10.1960 Josef Schnorbach<br />

Oberpräsidenten der Rheinprovinz<br />

16.9.1922 – 25.3.1933 Dr. Hans Fuchs (1874-1956)<br />

1.4.1933 – 5.3.1935 Hermann Freiherr von Lüninck (1893-1975)<br />

6.3.1935 – Mai 1945 Josef Terboven (1898-1945)<br />

Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks <strong>Koblenz</strong><br />

2.12.1929 – 9.5.1933 Walther von Sybel (1883-1973)<br />

1.4.1933 – 17.1.1936 Dr. Harald Turner (1891-1947)<br />

18.2.1936 – 13.10.1936 Ernst v. Heydebrand und v. der Lasa (komm.) (1884-1963)<br />

1.12.1936 – Mai 1945 Dr. Gerhard Mischke (1898-1987)<br />

Landräte des Landkreises <strong>Koblenz</strong><br />

Feb. 1922 – 27.9.1933 Dr. Gerhard Weil<br />

28.9.1933 – Dez. 1939 Wilhelm („Willy“) Struve


635<br />

Dez. 1939 – 30.6.1940 Rolf Disch (komm.)<br />

Juli 1940 – Sep. 1944 Dr. Karl Statz (zeitweise Mitverwaltung)<br />

13.7.1942 – Mai 1945 Hans Ballmaier<br />

NSDAP-Gauleiter Gau <strong>Koblenz</strong>-Trier bzw. Moselland (ab Februar 1941)<br />

1.6.1931 – März 1945 Gustav S<strong>im</strong>on (1900-1945)<br />

NSDAP-Kreisleiter <strong>Koblenz</strong>-Stadt bzw. Großkreis <strong>Koblenz</strong> (ab August 1936)<br />

15.9.1930 – 1.5.1931 Ludwig Christ (1900-1938)<br />

1.5.1931 – 1932 Gustav S<strong>im</strong>on (1900-1945)<br />

1932 – 30.4.1933 Albert Müller (1895-1945)<br />

1.5.1933 – 4.12.1933 Friedrich („Fritz“) Reckmann (1907-1984)<br />

5.12.1933 – 23.6.1934 Rudolf Klaeber (1889-1966)<br />

1.7.1934 – 20.2.1940 Robert Claussen (1909-1941)<br />

März 1940 – März 1945 Wilhelm („Willi“) Cattepoel (1898-1986)<br />

Leiter des Amtes für Kommunalpolitik<br />

April 1933 – 19.11.1942 Wilhelm („Willy“) Struve (1895-1971)<br />

19.11.1942 – 3.5.1944 Josef Ackermann (komm.) (1905-1997)<br />

3.5.1944 – 1945 Dr. Hermann Unger (1905-1980)<br />

Leiter der NS-Beamtenabteilung bzw. des Amtes für Beamte<br />

und Gauwalter des RDB (ab 1934)<br />

1931 – ca. Juni 1933 Karl Günther<br />

Juli 1933 – ca. Okt. 1936 Richard Purrmann (1881-?)<br />

1936 – 1945 August Wetter (1890-1970)


636<br />

<strong>Die</strong> 15 NSDAP-Ortsgruppen und ihre Leiter 1<br />

NSDAP-Ortsguppe Leiter<br />

Rudolf Klaeber (1931-1933)<br />

Emil Pokorny (1933-1934)<br />

Josef Teusch (1935-1936)<br />

Altstadt<br />

Paul Horn (1936-1939)<br />

Josef Bausch (1939-1941)<br />

Josef Plönissen (1941-1945)<br />

Lützel Wilhelm Heß (1931-?)<br />

Greven (1931-?)<br />

Heinrich Gies (1933-1934)<br />

Wilhelm Krings (1934-?)<br />

Mitte<br />

Kraus (1942)<br />

Artur Rumpel (1943-1944)<br />

Peter („Pitt“) Schneider (1944)<br />

Mosel<br />

ab 15.10.1938 aufgeteilt in: 2<br />

Christian Ackermann (1931-1934)<br />

Hubert Fuhlrott (1934-1938)<br />

Falckenstein<br />

Karthause<br />

Moselweiß<br />

Falckenstein Hubert Fuhlrott (1938-1945)<br />

Hugo Hinkel (1938-1939)<br />

Willi Krieger (1939-1940)<br />

Karthause<br />

Heinrich Benzing (1941)<br />

Willi Krieger (1942-1944)<br />

Josef Marhoffer (1938-?)<br />

Moselweiß<br />

Fritz Schmehl (1942-?)<br />

Rhein 3<br />

Friedrich Müßner (1931-1937)<br />

Walter Queck (1937-1943)<br />

Armin Herwartz (1943)<br />

Dr. Wilhelm Gottwald (1933-1934)<br />

Albert Urmes (1934-1937)<br />

Roon<br />

Peter <strong>Die</strong>tzler (1938-?)<br />

Gustav Frommer (1940-1943)<br />

Ludwig Dunkel (1943)<br />

Ernst <strong>Die</strong>denhofen (1933-1934)<br />

Max Berwald (1934-1937)<br />

Schenkendorf<br />

Richard Bastian (1938-1940)<br />

Müller (1941)<br />

Richard Bastian (1943)<br />

1 NB Jg. 1933-1945; AB 1935/36; AB 1939/40; AF 1943/44; StAK Best. 623 Nr. 6133, S. 386; ebd. Nr. 9421, S.<br />

26 f.; ebd. Nr. 7301, S. 26, 42 f. <strong>Die</strong> Ortsgruppen Roon, Schenkendorf und Süd bildeten bis Mitte 1933 die<br />

Ortsgruppe „Vorstadt“ unter Ortsgruppenleiter Oskar Dönch, der <strong>im</strong> Juli 1933 wegen beruflicher Versetzung aus<br />

dem Amt schied. Mitte August 1933 erfolgte die Aufteilung in die drei neuen Ortsgruppen. NB, 8.7.1933; NB,<br />

13.7.1933; NB, 16.8.1933; NB, 28.7.1938; NB, 30./31.7.1938; NB, 1.8.1938.<br />

2 NB, 28.10.1938.<br />

3 Umfasste die Stadtteile Neuendorf und Wallershe<strong>im</strong>; Bezeichnung der Ortsgruppe gelegentlich auch<br />

„Neuendorf“ oder mit dem Zusatz „Neuendorf“.


Süd<br />

durch Eingemeindungen<br />

ab 1.7.1937 zusätzlich:<br />

Ehrenbreitstein<br />

Horchhe<strong>im</strong> Ludwig Stähler<br />

637<br />

Robert Bruckmann (1933-1935)<br />

Dr. Adolf Schreder (1935-1938)<br />

Heß (1938-1939 m.d.F.b. 4 )<br />

Walter Zernikow (1939-1945)<br />

Josef Koch<br />

Heinrich Nick (1940- mind. 1944)<br />

Heinrich Hahn (1932-1935)<br />

Josef Quirin (1935-?)<br />

Metternich<br />

Josef Lages (1941)<br />

Anton Knopp (spätestens 1943-1944)<br />

Clemens Reetz (1944-1945)<br />

Niederberg Ludwig Dolle (1936-1944)<br />

Pfaffendorf Fritz Horn<br />

4 Abkürzung für „mit der Führung beauftragt“.


638<br />

Tabellen (1-24 in Kapiteln 3-8) Seite<br />

Tabelle 1: Berufliche Gliederung der Erwerbspersonen in<br />

<strong>Koblenz</strong> und Trier nach den Ergebnissen der Berufszählung vom 16. Juni 1933 22<br />

Tabelle 2: Einwohnerentwicklung und Konfessionszugehörigkeit 1910-1933 23<br />

Tabelle 3: <strong>Die</strong> Reichspräsidentenwahl 1932 61<br />

Tabelle 4: <strong>Koblenz</strong>er Wählerst<strong>im</strong>men (absolut) für KPD, SPD, Zentrum und NSDAP 63<br />

Tabelle 5: <strong>Koblenz</strong>er Wahlergebnisse und -beteiligung in Prozent (in Klammern: Reich<br />

bzw. Preußen) für KPD, SPD, DStP, Z, DVP, DNVP und NSDAP 1930-1932 64<br />

Tabelle 6: <strong>Koblenz</strong>er Reichstagswahlergebnisse (in Klammern: Reich) für KPD, SPD,<br />

Zentrum, DNVP bzw. Deutscher Block Schwarz-Weiß-Rot und NSDAP 1932-1933 69<br />

Tabelle 7: <strong>Koblenz</strong>er Wählerst<strong>im</strong>men (in Klammern: Prozent) 1933 für KPD, SPD,<br />

Zentrum, Kampffront bzw. Deutscher Block Schwarz-Weiß-Rot und NSDAP 75<br />

Tabelle 8: Ergebnisse der Kommunalwahlen 1919-1933 (Sitzverteilung) 75<br />

Tabelle 9: Zwangsbeurlaubungen 1933 110<br />

Tabelle 10: Aufgrund BBG oder sonstiger Maßnahmen ausgeschiedene Beamte 110<br />

Tabelle 11: Städtische Bedienstete 1927-1935 122<br />

Tabelle 12: NSDAP-Mitgliedschaften der Beamten und Angestellten, Stand Mai 1935 145<br />

Tabelle 13: Dezernatsverteilung vom 13. Juli 1933 169<br />

Tabelle 14: Dezernatsverteilung vom 2. März 1936 189<br />

Tabelle 15: Dezernatsverteilung vom 27. Mai 1940 273<br />

Tabelle 16: Dezernatsverteilung vom 14. August 1941 278<br />

Tabelle 17: Weibliche Bedienstete I. Halbjahr 1943 292<br />

Tabelle 18: Anstaltspflegefälle auf Kosten des Wohlfahrtsamtes 1.4.1933-31.3.1939 313<br />

Tabelle 19: Personalentwicklung des Wohlfahrtsamtes 1934-1938 326<br />

Tabelle 20: Zuschüsse für „Mitarbeit <strong>im</strong> Jugendamt“ 1929-1943 329<br />

Tabelle 21: Amtsvormundschaften und Pflegekinder 1933, 1936-1938 331<br />

Tabelle 22: Von der Stadt <strong>Koblenz</strong> erworbene „jüdische“ Immobilien 493<br />

Tabelle 23: Im Krankenhaus Kemperhof vorgenommene Zwangssterilisierungen 523


639<br />

Tabelle 24: Einwohnerzahlen Januar 1944 – April 1945 591<br />

Tabelle 25: Anzahl der Stadtverordneten- bzw. Ratsherrensitzungen pro Jahr,<br />

1927 bis Mai 1944 5<br />

Jahr Anzahl<br />

1927 10<br />

1928 10<br />

1929 9<br />

1930 9<br />

1931 14 6<br />

1932 7<br />

1933 5<br />

1934 2<br />

1935 6<br />

1936 7<br />

1937 11<br />

1938 10<br />

1939 6<br />

1940 4<br />

1941 3<br />

1942 2<br />

1943 1<br />

1944 2<br />

Tabelle 26: Stadtverordnete gemäß Kommunalwahl vom 12.3.1933 7<br />

Nr. Name Beruf Partei<br />

1 Ackermann,<br />

Christian<br />

2 Altmeier,<br />

Peter<br />

3 Bauer,<br />

August<br />

4 Born,<br />

Adam<br />

5 Bühl,<br />

Theodor<br />

Architekt NSDAP 29.3.1933<br />

kfm. Angestellter Zentrum 29.3.1933<br />

Kaufmann<br />

Asphalt- und<br />

Betongeschäfts-<br />

inhaber<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

Einführung/<br />

Ausscheiden Bemerkungen<br />

29.3.1933<br />

NSDAP 29.3.1933<br />

Kriegsbeschädigter NSDAP 29.3.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

5 StAK 623 Nr. 5995, S. 249-382; ebd. Nr. 5996, ebd. Nr. 7214, S. 1-236; ebd. Nr. 7215-7216.<br />

6 Davon drei Sitzungen mit nur einem Tagesordnungspunkt: zwei zur Verleihung der Ehrenbürgerrechte an<br />

Russell und eine zur Einführung von Rosendahl; StAK 623 Nr. 7214, S. 19-21, 69 f.<br />

7 StAK Best. 623 Nr. 3260, S. 9-13; ebd. Nr. 7214; ebd. Nr. 6161; ebd. Nr. 6182; KGA, 13.3.1933; KGA,<br />

14.3.1933.


6 Carius,<br />

Karl<br />

7 Christ,<br />

Ludwig<br />

8 Christ,<br />

Richard<br />

9 Coerper,<br />

Paul<br />

10 Dernbach,<br />

Johannes<br />

11 Detzel,<br />

Maria<br />

12 Elsner,<br />

Jean<br />

13 Frischling,<br />

Walter<br />

14 Fuhrmann,<br />

Jakob<br />

15 Greven,<br />

Josef<br />

16 Hauer,<br />

Karl<br />

17 Henrich,<br />

Franz<br />

18 Henrich,<br />

Karl<br />

19 Hildebrandt,<br />

Peter<br />

20 Hoff,<br />

Ernst<br />

21 Hofmann,<br />

Christian<br />

22 Kirsch,<br />

Josef<br />

23 Klaeber,<br />

Rudolf<br />

Sekretär <strong>im</strong> Bund<br />

christlicher<br />

Arbeitsinvaliden<br />

640<br />

NSDAP 29.3.1933/<br />

24.5.1933<br />

Buchhalter NSDAP 29.3.1933/<br />

24.10.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

Mandat niedergelegt<br />

wegen Umzug<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

Mandat niedergelegt<br />

(OB in Trier)<br />

Buchhändler KPD nicht eingeladen<br />

evang. Pfarrer<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

29.3.1933<br />

Rektor Zentrum 29.3.1933/<br />

18.6.1933<br />

Kriegerwitwe SPD<br />

Buchdrucker SPD<br />

Diplom-<br />

Gartenbauinspektor<br />

29.3.1933/<br />

19.4.1933<br />

NSDAP 29.3.1933<br />

Gewerbetreibender Zentrum 29.3.1933<br />

Telegraphen-<br />

Bauarbeiter<br />

NSDAP 29.3.1933/<br />

3.7.1933<br />

Meister NSDAP 29.3.1933<br />

Rechtsanwalt Zentrum 29.3.1933<br />

Bankier Zentrum 29.3.1933<br />

Schriftleiter<br />

Nationalblatt<br />

Reichsbahn-<br />

Oberinspektor<br />

Reichsbahn-<br />

Amtsgehilfe<br />

Arbeitsamts-<br />

direktor<br />

NSDAP 29.3.1933/<br />

22.12.1933<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

29.3.1933<br />

NSDAP 29.3.1933<br />

Zentrum 19.4.1933/<br />

18.6.1933<br />

Angestellter NSDAP 29.3.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordnete,<br />

Mandat niedergelegt<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter, nicht<br />

eingeführt aufgrund<br />

VO vom 22.3.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

Mandat niedergelegt<br />

wegen Umzug<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

Mandat niedergelegt<br />

(Bürgermeister in<br />

Münstermaifeld)<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

eingeführt nach<br />

Niederlegung des<br />

Amtes bei der<br />

Ortskrankenkasse


24 Knaudt,<br />

Hermann<br />

25 Krause,<br />

Max<br />

26 Lauth,<br />

Edmund<br />

27 Loenartz,<br />

Georg<br />

28 Loeven,<br />

Max<br />

29 Lucas,<br />

Peter<br />

30 Michels,<br />

Wilhelm<br />

31<br />

Petri Dr.,<br />

Walter<br />

32 Röding,<br />

Fritz<br />

33 Rothländer,<br />

Helene<br />

34 Rummel,<br />

Veit<br />

35 Saling,<br />

Paul<br />

36 Sauerborn,<br />

Georg<br />

37 Scheid,<br />

Franz Josef<br />

38 Schmitt,<br />

Robert<br />

39 Schütz,<br />

Peter<br />

40 Sprung,<br />

Hanns<br />

41 Stein,<br />

Jean<br />

42 Trapp,<br />

Jakob<br />

641<br />

Landwirt NSDAP 29.3.1933<br />

Schneider KPD<br />

Genossenschaftsleiter<br />

Zentrum 29.3.1933/<br />

18.6.1933<br />

Rechtsanwalt Zentrum 29.3.1933<br />

Kaufmann NSDAP 29.3.1933<br />

Schreiner Zentrum 29.3.1933<br />

Gewerbetreibender NSDAP 29.3.1933<br />

Chemiker<br />

Installations-<br />

Handwerksmeister<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

29.3.1933<br />

NSDAP 29.3.1933<br />

Volksschullehrerin Zentrum 29.3.1933<br />

Gewerkschafts-<br />

sekretär<br />

SPD<br />

29.3.1933/<br />

19.4.1933<br />

Dentist NSDAP 29.3.1933<br />

Regierungsrat<br />

Regierungs-<br />

Bauoberinspektor<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

Zentrum 29.3.1933<br />

Prälat, Professor Zentrum 29.3.1933<br />

Kaufmann Zentrum 29.3.1933<br />

Kunstmaler NSDAP 29.3.1933<br />

Bezirksschornstein-<br />

fegerobermeister<br />

Zentrum 19.4.1944<br />

Gastwirt NSDAP 29.3.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

Wahl nicht<br />

angenommen<br />

(in Schutzhaft)<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordnete<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

Mandat niedergelegt<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter, nicht<br />

eingeführt aufgrund<br />

VO vom 22.3.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter<br />

ab 4.8. Hospitant der<br />

NSDAP<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

eingeführt nach<br />

Niederlegung des<br />

Amtes bei der<br />

Ortskrankenkasse,<br />

ab 4.8. Hospitant der<br />

NSDAP


43 Weber,<br />

Wilhelm<br />

44 Wittgen,<br />

Otto<br />

45 Feldhahn,<br />

Fritz<br />

46 Leber,<br />

Friedrich<br />

47 Bornemann,<br />

Karl<br />

48 Groebel,<br />

Josef<br />

49 Ollig,<br />

Jakob<br />

50 Heß,<br />

Wilhelm<br />

51 Lübbe,<br />

Hermann<br />

52 Gies,<br />

Heinrich<br />

Oberregierungs- und<br />

Baurat<br />

Regierungs- und<br />

Gewerberat / komm.<br />

Oberbürgermeister<br />

642<br />

Polsterer SPD<br />

Zentrum 29.3.1933<br />

NSDAP 29.3.1933/<br />

3.8.1933<br />

bereits 1929<br />

Stadtverordneter,<br />

ab 4.8. Hospitant der<br />

NSDAP<br />

ausgeschieden<br />

aufgrund VO vom<br />

22.3.1933 nach Wahl<br />

zum OB<br />

am 19.6.1933 nicht<br />

eingeführt, da die<br />

SPD-Führung vom<br />

Ausland aus gegen die<br />

Reichsregierung hetze<br />

Polsterer SPD wie bei Nr. 45<br />

Klempner-<br />

Installateur-<br />

Obermeister<br />

Dt.<br />

Block<br />

SWR<br />

Postschaffner Zentrum 19.6.1933<br />

Bäckermeister Zentrum 19.6.1933<br />

19.6.1933 Ersatzmann für Nr. 36<br />

ab 4.8. Hospitant der<br />

NSDAP<br />

Handlungsgehilfe NSDAP 4.8.1933 Ersatzmann für Nr. 6<br />

Sprachlehrer NSDAP 4.8.1933/<br />

26.9.1933<br />

Ersatzmann für Nr. 44,<br />

Mandat niedergelegt<br />

wegen Versetzung<br />

Glasermeister NSDAP 24.10.1933 Ersatzmann für Nr. 15<br />

Tabelle 27: Ratsherren der Stadt <strong>Koblenz</strong> ab 15.11.1934 8<br />

Nr. Name Beruf / Partei-Funktion<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Ackermann,<br />

Christian<br />

Adelmann,<br />

Wilhelm<br />

Berwald,<br />

Max<br />

Βorn,<br />

Adam<br />

Bruckmann,<br />

Robert<br />

Architekt,<br />

Leiter des Gauamtes für<br />

Volkswohlfahrt<br />

Einführung/<br />

Ausscheiden Bemerkungen<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

Gastwirt „Frankfurter Hof“ 15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

Oberzollinspektor, 15.11.1934<br />

Ortsgruppenleiter 5.3.1936/<br />

Schenkendorf<br />

7.10.1937<br />

Bauunternehmer,<br />

Präsident der<br />

Handwerkskammer<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

Oberschulinspektor, 15.11.1934/<br />

Ortsgruppenleiter Süd 30.3.1935<br />

Parteigerichts-<br />

verfahren, Versetzung<br />

Umzug (Bürgermeister<br />

von Kirn)<br />

8 StAK Best. 623 Nr. 3260, S. 2-6, Zitat S. 4; ebd. Nr. 6182, S. 244, 442, S. 470 f.; ebd. Nr. 7215; ebd. Nr. 7216;<br />

KGA, 16.11.1934; AF 1943/44.


6 Claussen,<br />

Robert<br />

7 Dörner,<br />

Hugo<br />

8 Fuhlrott,<br />

Hubert<br />

9 Gassdorf,<br />

Hans Ernst<br />

10 Goens,<br />

Hermann<br />

11 Heß,<br />

Wilhelm<br />

12 Karbach,<br />

(Jakob) Rolf<br />

13 Knaudt,<br />

Hermann<br />

14 Koch,<br />

Heinrich<br />

15 Michels,<br />

Wilhelm<br />

16 Ocklenburg,<br />

Wilhelm<br />

17 Röding,<br />

Fritz<br />

Scheiger Dr.,<br />

18<br />

Otto<br />

19<br />

Schreder Dr.,<br />

Adolf<br />

20 Sprung,<br />

Hanns<br />

21 Ackermann,<br />

Karl<br />

vom Hövel,<br />

22<br />

Karl<br />

23 Koenig,<br />

Wilhelm<br />

24 Krings,<br />

Wilhelm<br />

25 Nörtershäuser,<br />

Hubert<br />

643<br />

Gauinspekteur Nord,<br />

Kreisleiter <strong>Koblenz</strong>-Stadt<br />

Gauamtsleiter,<br />

Gauwalter der DAF<br />

Reichsbahnoberinspektor,<br />

Ortsgruppenleiter Mosel<br />

bzw. Falckenstein<br />

städtischer Arbeiter<br />

Landgerichtsrat<br />

Handlungsgehilfe,<br />

Ortsgruppenleiter Lützel<br />

HJ-Gebietsführer<br />

Landwirt,<br />

Kreisbauernführer<br />

Geschäftsführer<br />

Gaupropagandaleiter<br />

Vorsitzender der<br />

Handelskammer,<br />

SA-Führer<br />

Gas-, Wasser-,<br />

Elektroinstallateurmeister<br />

Syndikus der<br />

Handelskammer<br />

Syndikus und<br />

Geschäftsführer der<br />

Handwerkskammer<br />

Kunstmaler,<br />

Museumskustos<br />

Architekt,<br />

stellv. Ortsgruppenleiter<br />

Lützel<br />

Kaufmann (Schloß-<br />

Papierhaus), Gauredner<br />

15.11.1934/<br />

4.3.1936<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

15.11.1934/<br />

4.3.1936<br />

15.11.1934<br />

10.7.1936<br />

15.11.1934/<br />

6.1.1936<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

15.11.1934<br />

23.6.1936/<br />

16.3.1939<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

15.11.1934/<br />

4.3.1936<br />

15.11.1934<br />

23.6.1936<br />

15.11.1934<br />

23.6.1936<br />

15.11.1934/<br />

4.3.1936<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936/<br />

9.8.1938<br />

15.11.1934<br />

5.3.1936<br />

5.3.1936<br />

5.3.1936<br />

Gaupersonalamtsleiter 23.6.1936<br />

Kaufmann,<br />

Ortsgruppenleiter Mitte<br />

Kaufmann<br />

(Autoreparaturwerkstatt)<br />

5.3.1936<br />

5.3.1936<br />

„Scheidet infolge<br />

anderweitiger<br />

Regelung der<br />

Ratsherren-Zahl aus.“<br />

wie bei Nr. 6<br />

Umzug nach Köln<br />

wie bei Nr. 6<br />

wie bei Nr. 6<br />

Vertreter des<br />

Beauftragten der Partei<br />

Claussen


26 Rohe,<br />

Willy<br />

27 Schmischke,<br />

Horst<br />

28 Trapp,<br />

Jakob<br />

29 Weichelt,<br />

Alfred<br />

30 Eiden,<br />

Nikolaus<br />

31 Koch,<br />

Josef<br />

32 Göbel,<br />

Hans<br />

33 Hahn,<br />

Heinrich<br />

34 Quirin,<br />

Josef<br />

35 Horn,<br />

Fritz<br />

36 Clouth,<br />

Manfred<br />

37 Görres,<br />

Christian<br />

38 Schüller,<br />

August<br />

39<br />

Rick Dr.,<br />

Josef<br />

40 Urmes,<br />

Albert<br />

Kaufmann<br />

(Völkischer Buch- und<br />

Zeitschriftenvertrieb,<br />

Ausrüster der NSDAP)<br />

SS-Standartenführer<br />

Gastwirt „Gasthaus<br />

Bürgerhe<strong>im</strong>“<br />

Hotelbesitzer, Gastwirt<br />

„Zur Klause“<br />

644<br />

5.3.1936<br />

5.3.1936/<br />

7.1.1937<br />

5.3.1936<br />

5.3.1936/<br />

5.12.1938<br />

NSKK-Gruppenführer 13.5.1937<br />

Justizinspektor,<br />

Ortsgruppenleiter<br />

Ehrenbreitstein<br />

Obermeister der<br />

Küferinnung, Zellenleiter<br />

Ehrenbreitstein<br />

23.7.1937<br />

23.7.1937<br />

Reichsbahnoberinspektor 23.7.1937<br />

Gauhauptstellenleiter,<br />

Ortsgruppenleiter<br />

Metternich<br />

Architekt,<br />

Ortsgruppenleiter<br />

Pfaffendorf<br />

Kaufmann,<br />

Kassenleiter Ortsgruppe<br />

Horchhe<strong>im</strong><br />

Weingutsbesitzer,<br />

Ortsbauernführer<br />

Niederberg<br />

Landwirt,<br />

Ortsbauernführer<br />

Wallershe<strong>im</strong><br />

praktischer Arzt,<br />

Leiter des Kreisamtes für<br />

Volksgesundheit<br />

Gaupropagandaleiter<br />

23.7.1937<br />

23.7.1937<br />

23.7.1937<br />

23.7.1937<br />

20.6.1939<br />

(10.8.1939<br />

und<br />

26.10.1939<br />

vorgesehen,<br />

vertagt)<br />

(26.10.1939<br />

vorgesehen,<br />

vertagt)<br />

Versetzung nach Gotha<br />

Ersatzmann für<br />

Nr. 27<br />

Ersatzmann für<br />

Nr. 13


Quellen und Literatur<br />

Ungedruckte Quellen<br />

Stadtarchiv <strong>Koblenz</strong> (StAK)<br />

645<br />

Best. 623 Nr. 2615, 2616, 2619, 2622, 2623, 2626, 2628, 2629, 3222, 3232-3234, 3240-3242,<br />

3244, 3260-3262, 3276, 3389, 3395, 3397, 3401, 3502, 3535, 3572, 3576, 3583, 3593, 3601,<br />

3604, 3607, 3614, 3769, 3772, 3794, 3802, 3805, 3806, 3833, 3834, 3835, 3848, 3853, 3856,<br />

3858, 3860, 3863, 3866-3869, 3871, 3873, 3875, 3876, 3885, 3890, 3891, 3893, 3898, 3899,<br />

3901, 3902, 3909, 3910, 3915, 3916, 3920, 3933, 3945, 3964-3968, 3970, 3971, 3980, 3982-<br />

3984, 3992, 5189, 5190, 5993, 5602, 5605, 5636, 5645, 5658, 5678, 5707, 5708, 5744, 5788,<br />

5813, 5842, 5892, 5894, 5901, 5902, 5917, 5921, 5995, 5996, 6025-6027, 6029, 6037, 6038,<br />

6072-6074, 6087, 6091-6094, 6098, 6001, 6105, 6114, 6115, 6120, 6123, 6125, 6128, 6130,<br />

6132, 6133, 6137, 6143, 6147, 6148, 6154, 6161, 6170, 6171, 6178, 6182, 6183, 6187, 6190,<br />

6192, 6194, 6197, 6204-6206, 6211, 6222, 6227, 6235, 6239, 6240, 6245, 6252, 6258, 6262,<br />

6271, 6280, 6281, 6284, 6287, 6289, 6293, 6294, 6295, 6314, 6328, 6332, 6337, 6338, 6394,<br />

6396, 6398, 6401, 6412, 6414, 6415, 6426, 6432, 6467, 6490, 6532, 6544, 6545, 6549, 6551,<br />

6553, 6554, 6556, 6557, 6560, 6564, 6567-6570, 6574, 6579, 6580, 6583, 6585, 6586-6588,<br />

6590, 6600, 6604, 6613, 6616, 6623, 6624, 6627, 6633, 6635-6637, 6640, 6642, 6643, 6651,<br />

6654-6656, 6662, 6669, 6672, 6675, 6676, 6680, 6687, 6688, 6692, 6693, 6696, 6705, 6707,<br />

6712, 6720, 6724, 6726, 6727, 6731, 6744, 6745, 6748, 6751, 6757, 6762, 6765, 6774, 6779,<br />

6783, 6810, 6820, 6821, 6825, 6839, 6869, 6873, 6875, 6881, 6889, 6893, 6950, 6955, 6970,<br />

6991, 7000-7003, 7006-7015, 7017-7021, 7024-7028, 7032, 7037, 7051, 7052, 7057, 7059,<br />

7061, 7065, 7068, 7071, 7072, 7080, 7082-7084, 7095-7097, 7100, 7108, 7111, 7116, 7117,<br />

7126, 7128, 7135, 7136, 7179, 7181, 7183, 7190, 7193, 7194, 7197, 7202, 7205, 7206, 7209,<br />

7214-7218, 7235, 7237, 7256, 7268, 7296, 7299, 7301, 7304-7306, 7308, 7309, 7311, 7317,<br />

7318, 7323, 7325, 7326, 7335, 7336, 7410, 7496, 7534, 7533, 7538, 7564, 7568, 7569, 7572,<br />

7575, 7581, 7584, 7588, 7606, 7631, 7672, 7675, 7682, 7685, 7687, 7691, 7695, 7696, 7698,<br />

7699, 7702, 7703, 7705-7707, 7712, 7715, 7716, 7719, 7720, 7722, 7731, 7734, 7735, 7737,<br />

7738, 7741, 7746, 7755, 7760, 7765, 7766, 7768, 7769, 7772-7775, 7946, 7967, 7968, 8039,<br />

8047, 8058, 8077, 8079, 8097, 8109, 8112, 8116, 8121, 8140, 8145, 8152, 8162, 8164, 8172-<br />

8174, 8179, 8181, 8191, 8192, 8240, 8241, 8265, 8274, 8275, 8300, 8301, 8304, 8313, 8316,<br />

8317, 8333, 8336, 8379, 8472, 8563, 8567, 8586, 8592, 8601, 8603, 8605, 8609, 8774, 8778,<br />

8780, 8812, 8818, 8827, 8833, 8847, 8852, 8853, 8862, 8865, 8867, 8875, 8876, 8778, 8879,<br />

8881, 8882, 8884, 8887, 8888, 8891-8894, 8898, 8899, 8907, 8918, 8919, 8921, 8932, 8933,<br />

8944, 8960, 8979, 8993, 9017, 9063, 9087, 9092, 9160, 9229, 9252, 9335, 9360-9363, 9382,<br />

9383, 9384, 9409, 9421, 9428, 9447, 9483, 9492, 9531, 9536, 9538, 9542, 9543, 9560-9563,<br />

9565-9573, 9577, 9579, 9581, 9582, 9585, 9587, 9593, 9594, 9602, 9603, 9615, 9623, 9660,<br />

9662, 9666, 9669, 9670-9672, 9681-9687, 9689, 9690, 9718, 9732, 9735, 9742-9744, 9752,<br />

9756, 9787, 9790, 9793, 9794, 9807-9819, 9821, 9825-9827, 9832, 9837, 9846, 9858, 9882,<br />

9941, 9943-9945, 9948, 9952-9954, 9956, 9962, 9965, 9969, 9970, 9972, 9985, 10026,<br />

10053, 10063, 10064, 10085, 10097, 10103, 10740, 10747, 10748, 10755, 10766, 10797,<br />

10800, 10809, 10811, 10826, 10831, 10832, 10845, 10855, 10863, 10892, 10926, 11033,<br />

11064, 11255, 11269, 11347, 11473, 11476-11478, 11483, 11486, 11492-11498, 11565,<br />

11604, 11614, 11620, 11636, 11642, 11648, 11661, 11663, 11686, 11730, 11744, 11747,<br />

11748, 11852, 11879, 11923, 11942, 12018, 12026<br />

Best. 655,10 Nr. 847<br />

Best. Bauakten: Fach 51 I, 70 II, 76, 87, 91, 96, 100, 100 II, 104, 105 II, 108, 113, 122, 158,<br />

167 II, 180 B<br />

Best. AK-Sammlung: <strong>Koblenz</strong> mit Deutschem Eck


646<br />

Best. Fotos: FA1, Az. 016, 060, 100, 105, 240, 393, 534; FA2 Nr. 379, 1725, 1924-1929,<br />

2016-2024, 2030-2033, 2092, 2099-2113, 3385, 3586, 4547-4549; FA4 Nr. 25, 27 (Bd. 10),<br />

30 (Bd. 4), 33<br />

Best. K: 41 f., 92, 100-107, 119, 138, 467, 690-692, 724-727, 789-807, 1105, 1281, 1295,<br />

1306, 1325, 1327, 1345 f., 1360, 1363, 1384, 1523 f., 1535<br />

Best. Meldeunterlagen: M Nr. 4, 6, 12, 15, 18, 22, 24, 28, 36, 38, 41, 51, 81, 83, 107, 111,<br />

120, 122, 126, 138, 145, 146, 151, 155, 161, 163, 169, 334, 343, 405, 487; Passive<br />

Meldekartei; Sterbekartei<br />

Best. N: 12, 36, 51, 91, 88, 118, 123, 150<br />

Best. P: 122, 212<br />

Best. Protokolle Haupt- und Finanzausschuss 1949, 1950, 1951<br />

Best. Zivil- und Personenstandsregister<br />

Best. S: S 3 Nr. 3, S 4 Nr. 3<br />

Best. Stadtratsprotokolle: 16.12.1953, Nr. 5/1985, Nr. 5/2001, Nr. 4/2003<br />

Best. V 3 Nr. 3, 4, 11, 12<br />

Best. ZGD 591<br />

Datei KGFADP<br />

Landeshauptarchiv <strong>Koblenz</strong> (LHAKo)<br />

Best. 403 Nr. 16454, 16457, 16740, 16743, 16745, 16747, 16748, 16848, 17242, 17248,<br />

17259, 17288, 17330, 18342<br />

Best. 405 Nr. 5060<br />

Best. 441 Nr. 28263, 32292, 35317, 35584, 35592, 43514, 43530, 43657, 44899<br />

Best. 463 Nr. 113, 114<br />

Best. 465 Nr. 189<br />

Best. 487 Nr. 33<br />

Best. 491 Nr. 774<br />

Best. 517,1 Nr. 1, 209-211<br />

Best. 537,21 Nr. 41<br />

Best. 540,1 Nr. 1008, 1321, 1403, 1415<br />

Best. 583,1 Nr. 2623, 3675, 4399, 4485<br />

Best. 584,1 Nr. 1105<br />

Best. 602,23 Nr. 21112<br />

Best. 662,2 Nr. 1, 2<br />

Best. 662,3 Nr. 61, 309<br />

Best. 662,5 Nr. 16, 28<br />

Best. 662,6 Nr. 335, 345, 377, 388, 448, 456, 458, 468, 475, 612, 782, 785, 839, 981, 928,<br />

964, 978<br />

Best. 700,018<br />

Best. 700,177 Nr. 712<br />

Best. 708 Nr. 301.94<br />

Best. 712 Nr. 2432, 2433, 3521<br />

Best. 714 Nr. 689, 1210, 1219, 1225, 1230, 1236, 1270, 1275, 1421, 6709<br />

Best. 727 Nr. 2<br />

Best. 856 Nr. 90202, 110010, 110018, 110055, 110118, 110136, 110475, 110736, 110786,<br />

110984, 111008, 111148, 111163, 111523, 111937, 112165, 112755, 115070 (Unternr.<br />

1723/47), 134671, 160147, 190313, 200412, 200461, 210925, 220333, 220499<br />

Best. 860 Nr. 1005, 4327<br />

Best. 860P Nr. 3136<br />

Best. 910 Nr. 2462


Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch)<br />

647<br />

Best. Ehem. Berlin Document Center (BDC), OPG: Fey, Anton/Toni; Liese, Erich; Meyers,<br />

Wilhelm; Wirtz, Herbert; Wittgen, Otto<br />

Best. Ehem. BDC, PK: Cattepoel, Wilhelm; Dahm, Ernst; Fey, Anton/Toni; Fuhlrott, Hubert;<br />

Gerhards, Robert; Karbach, Rolf; Ochs, Kunibert; Purrmann, Richard; Rumpel, Artur,<br />

S<strong>im</strong>mer, Nikolaus; S<strong>im</strong>on, Alfons<br />

NS 22 Nr. 715<br />

NS 25 Nr. 240-243, 1599<br />

R 2 Nr. 18925<br />

R 3 Nr. 1733<br />

R 18 Nr. 989, 2056<br />

R 36 Nr. 906, 1022, 2127, 2459<br />

R 431 Nr. 257<br />

R 43-I Nr. 193, 255<br />

R 43-II Nr. 577, 663, 1131, 1288<br />

R 55 Nr. 1211, 20372, 20737, 21751, 24116<br />

R 1501 Nr. 1293, 1564, 5215, 8091<br />

R 3001 Nr. 80667<br />

R 3101 Nr. 10094<br />

R 3901 Nr. 100971<br />

R 4606 Nr. 3353<br />

RH 37 Nr. 218<br />

Gedenkbuch-CD-Rom (2006)<br />

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland, Düsseldorf (LAV NRW R)<br />

Best. NW 6 Nr. 107, 112, 114, 116, 120<br />

Best. RW 50-53 Nr. 53, 413, 414, 435, 445, 457, 464, 468, 626, 642<br />

Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HStA Wiesbaden)<br />

Abt. 483 Nr. 7325, 11264<br />

Orff-Zentrum München (OZM)<br />

Allgemeine Korrespondenz (AK), Schmidt-Scherf<br />

Internet<br />

http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de, Zugriff am 14.5.2011<br />

http://www.fre<strong>im</strong>aurer-koblenz.de/, Zugriff am 4.1.2010<br />

http://www.rasselstein.com, Zugriff am 27.4.2008<br />

http://www.rhemo-druck.de/html/historie.html, Zugriff am 10.11.2010<br />

Bortoli, Isabelle de: Rheinländer sind wirklich so. In: http://www.rponline.de/regionales/nachrichten/rheinlaender-sind-wirklich-so-1.1120554,<br />

Zugriff am<br />

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Cla<strong>im</strong>s Resolution Tribunal, Certified Denial vom 31.5.2005; http://www.crtii.org/_awards/_denials/_apdfs/Kallmann_Sigmund_den.pdf,<br />

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Eischen, Linda: Mett Hoffmann. In: Ons Stad Nr. 90/2009,<br />

http://www.onsstad.lu/uploads/media/ons_stad_90-2009_69-71.pdf, Zugriff am 29.6.2010


648<br />

Hermans, Susanne, Interview mit SWR 1 vom 17.2.2008,<br />

http://www.swr.de/swr1/rp/programm/aktionen/-<br />

/id=616164/nid=616164/did=3016094/mpdid=3053516/15zu3bf/index.html, Zugriff am<br />

10.7.2009<br />

Nolzen, Armin: „Menschenführung“ <strong>im</strong> Bombenkrieg. <strong>Die</strong> Tätigkeiten der NSDAP nach<br />

Luftangriffen. In: historicum.net, URL:<br />

http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1805/, Zugriff am 27.7.2010<br />

Ders.: Rezension zu: Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik.<br />

Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

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http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/<br />

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Stelbrink, Wolfgang: Rezension zu: Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik.<br />

Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger <strong>Stadtverwaltung</strong><br />

1933-1945. München 2006. In: H-Soz-u-Kult, 29.08.2006, ,<br />

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Wirsching, Andreas: Rezension zu: Rüdiger Fleiter: <strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>im</strong> Dritten Reich.<br />

Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebene am Beispiel Hannovers. Hannover 2006. In: H-<br />

Soz-u-Kult, 01.09.2006, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-159,<br />

Zugriff am 19.3.2008<br />

Zeitzeugen<br />

Susanne Hermans geb. Hilleshe<strong>im</strong>, <strong>Koblenz</strong> (Jg. 1919), 12.3.2008, 7.10.2009, 24.2.2011,<br />

11.7.2011<br />

Elisabeth Holzer geb. Wittgen, <strong>Koblenz</strong> (Jg. 1924), 28.2.2009, 31.3.2009<br />

Adolf Horn, <strong>Koblenz</strong> (Jg. 1929), 12.4.2011<br />

Margret Kaltenmorgen geb. Gebhard, <strong>Koblenz</strong> (Jg. 1923), 7.1.2011<br />

Mündliche und schriftliche Mitteilungen<br />

Jörg Bornemann, Hamburg, 16.3.2009<br />

Leonhard Janta, Kreisarchiv Ahrweiler, 24.2.2010<br />

Christof Krieger M.A., Traben-Trarbach, 8.11.2010<br />

Marianne Loenartz, <strong>Koblenz</strong>, 5.1.2008<br />

<strong>Stadtverwaltung</strong> <strong>Koblenz</strong>, Eigenbetrieb Grünflächen- und Bestattungswesen, 11.2.2008<br />

Standesämter Bad Ems, Bonn, Brodenbach, Buxtehude, Hermeskeil, Mainz, Nagold, Perl,<br />

Wadgassen, Xanten<br />

Anja Wiese M.A., TU Berlin, 8.10.2010<br />

Gedruckte Quellen<br />

1. Reg<strong>im</strong>entsappell mit Wiedersehensfeier des ehem. Schleswig-Holsteinischen Fußartillerie-<br />

Reg<strong>im</strong>ents Nr. 9 und seiner Kriegsformationen in der befreiten Garnison Ehrenbreitstein<br />

vom 31.5. - 2.6.1930. Hg. v. 9er Bund Köln. Köln 1930<br />

4. Reg<strong>im</strong>entstag des L. I. R. [Landwehr-Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent] 25. 21.-22. Juni 1930 <strong>Koblenz</strong>.<br />

<strong>Koblenz</strong> 1930; Festschrift zur Wiedersehensfeier und 70. Stiftungstag der 68er [6.<br />

Rheinisches Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent Nr. 68] in <strong>Koblenz</strong> am 5., 6. und 7. Juli 1930. <strong>Koblenz</strong><br />

1930<br />

Adressbücher der Stadt <strong>Koblenz</strong> und Umgebung


649<br />

Amtsblatt für das Oberpräsidium von Rheinland-Hessen-Nassau und für die Regierung in<br />

<strong>Koblenz</strong> bzw. für die Regierungen in <strong>Koblenz</strong> und Montabaur, Nr. 9, 18, 25, 1. Jg. (1946)<br />

Ausstellung Moselländischer Künstler. Vom 5. Dezember 1942 bis 31. Januar 1943.<br />

Kunsthaus Luxemburg/Kulturverband Gau Moselland. Luxemburg 1942<br />

Ayaß, Wolfgang: „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933-<br />

1945. <strong>Koblenz</strong> 1998<br />

Bellinghausen, Hans: Aufzeichnungen aus dem Kriegsjahr 1944. Eingeleitet von Helmut<br />

Schnatz. In: Jahrbuch für Geschichte und Kunst des Mittelrheins und seiner<br />

Nachbargebiete 22/23 (1970/71), S. 161-184<br />

Ders.: Verzeichnis eigener Schriften 1914-1955. <strong>Koblenz</strong> o. J.<br />

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt <strong>Koblenz</strong><br />

<strong>im</strong> Rechnungsjahr … (1929-1932)<br />

Brommer, Peter: Das Bistum Trier <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> aus der Sicht von Partei und Staat<br />

(Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 126), Mainz 2009<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Lageberichte und andere Meldungen des Sicherheitsdienstes der SS<br />

aus dem Großraum <strong>Koblenz</strong> 1937-1941 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung<br />

Rheinland-Pfalz 48). <strong>Koblenz</strong> 1988<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Partei hört mit. Bd. 2: Lageberichte und andere Meldungen des Sicherheitsdienstes<br />

der SS, der Gestapo und sonstiger Parteidienststellen <strong>im</strong> Gau Moselland 1941-1945 (Teil 1<br />

1941-1943, Teil 2 1944-1945) (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung<br />

Rheinland-Pfalz 58). <strong>Koblenz</strong> 1992<br />

Butterbach, Kurt (Hg.): <strong>Die</strong> Pfarrei Unserer Lieben Frauen in <strong>Koblenz</strong> während der<br />

Kriegsjahre 1939 bis 1945. Aufzeichnungen von Dr. Heinrich Chardon. <strong>Koblenz</strong> 1963<br />

Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935. Textausgabe mit der vollständigen<br />

Amtlichen Begründung und einer Einleitung von Dr. Harry Goetz. 5. Aufl. mit Nachtrag<br />

Stuttgart/Berlin 1936<br />

Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 2. Jg., Januar<br />

1935. Nachdruck Salzhausen/Frankfurt am Main 1980<br />

Echo aus dem Westen. Berichte der französischen Presse über den XI. Reichsfrontsoldatentag<br />

am Rhein. Hg. <strong>im</strong> Auftrag des Bundesamtes des Stahlhelm B.[und] d.[er] F.[rontsoldaten]<br />

von Wilhelm Kleinau. O. O., o. J.<br />

Der Ehrenbreitstein als Reichsehrenmal. <strong>Koblenz</strong> 1928<br />

Erste Hochschulwoche der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> vom Samstag, dem 13. Februar, bis<br />

Freitag, dem 19. Februar 1943, veranstaltet durch die Stadt <strong>Koblenz</strong> in Verbindung mit<br />

der Volksbildungsstätte und dem Kunstkreis <strong>Koblenz</strong> unter Mitwirkung des Lehrkörpers<br />

der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. <strong>Koblenz</strong> 1943<br />

Etterich, Arthur (Hg.): Arbeitsdienst der N.S.D.A.P. Gau XXIV Mittelrhein. <strong>Koblenz</strong> 1934<br />

Ders. (Hg.): Gau-Chronik. Reichsarbeitsdienst, Arbeitsgau XXIV Mittelrhein.<br />

<strong>Koblenz</strong>, o. J.<br />

Fest, Joach<strong>im</strong>: Ich nicht. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2008<br />

Fiehler, Karl: Nationalsozialistische Gemeindepolitik (Nationalsozialistische Bibliothek 10).<br />

6. Aufl. München 1933<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.2010<br />

Fiehler, Karl: Nationalsozialistische Gemeindepolitik (Nationalsozialistische Bibliothek 10),<br />

München 1929<br />

Forsthoff, Ernst: <strong>Die</strong> Verwaltung als Leistungsträger. Stuttgart 1938<br />

Fröhlich, Elke (Hg.): Joseph Goebbels. <strong>Die</strong> Tagebücher. Bd. 2, Teil I. München 1987<br />

Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong>/Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn (Hg.): Kultur- und<br />

Hochschulwoche, veranstaltet von der Gauhauptstadt <strong>Koblenz</strong> und der Rhein. Friedr.-<br />

Wilh.-Universität Bonn. <strong>Koblenz</strong> 1944


650<br />

Geschäftsbericht der Handwerkskammer <strong>Koblenz</strong> für die Zeit vom 1. April 1933 bis<br />

31.12.1937<br />

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz<br />

Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld, Jg. 1-4 (1936-1939)<br />

Grenzmann, Robert [Pseudonym]: Generation ohne Hoffnung. Aufzeichnungen des Robert<br />

Grenzmann aus den Jahren 1913-1933. Hg. v. Klaus S<strong>im</strong>mer-Jochem [Nikolaus S<strong>im</strong>mer].<br />

Hannover 1968<br />

Gruner, Wolf (Bearb.): <strong>Die</strong> Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das<br />

nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Deutsches Reich 1933-1937. München<br />

2008<br />

Handbuch des Stadtrates Stadt <strong>Koblenz</strong>, Mai 1953<br />

Hardy, Franz (Hg.): Hanns Sprung. 1884-1948. Ausstellungskatalog Schloss <strong>Koblenz</strong>, 14.<br />

Mai bis 6. Juni 1958. <strong>Koblenz</strong> 1958<br />

Ders.: Der Maler Hanns Sprung 1884-1948. Werkkatalog mit dem Katalog der<br />

Gedächtnisausstellung des Jahres 1958 <strong>im</strong> Kurfürstlichen Schloss zu <strong>Koblenz</strong> verbunden.<br />

<strong>Koblenz</strong> o. J. [um 1968]<br />

<strong>Die</strong> Hauptergebnisse der Volks-, Berufs- und Betriebszählung <strong>im</strong> Deutschen Reich (einschl.<br />

Saarland). Statistik des Deutschen Reichs. Bd. 470, Heft 1<br />

Haushaltsplan der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr … (1926-1935)<br />

Haushaltssatzung der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr … (1936-1943, 1946)<br />

He<strong>im</strong>atbrief der NSDAP-Ortsgruppe Altstadt, Nr. 6, April 1943<br />

Hermann, Kurt – Benjamin Bar Jehuda: Erinnerungen an <strong>Koblenz</strong> 1918-1935. Hg. vom<br />

Evangelischen Gemeindeverband <strong>Koblenz</strong> und von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft<br />

für Brüderlichkeit e.V. <strong>Koblenz</strong> 1986<br />

Heyen, Franz-Josef: <strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>im</strong> Alltag. Quellen zur Geschichte des<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> vornehmlich aus dem Raum Mainz-<strong>Koblenz</strong>-Trier<br />

(Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 9). <strong>Koblenz</strong> 1967<br />

Ders.: Parole der Woche. Eine Wandzeitung <strong>im</strong> Dritten Reich 1936-1943. München 1963<br />

<strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> Jahre 1946. Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Rechnungsjahr 1946<br />

(1.IV.1946-31.III.1947). <strong>Koblenz</strong> 1947<br />

<strong>Koblenz</strong>er erinnern sich an das Ende des Krieges 1944/45. Hg. v. Franz-Josef Heyen u. a. In:<br />

<strong>Koblenz</strong>er Beiträge zur Geschichte und Kultur, NF 6, 1996, S. 109-167<br />

<strong>Koblenz</strong>er General-Anzeiger, Jg. 1926-1944<br />

<strong>Koblenz</strong>er Karnevals-Zeitung 1939 mit Rosenmontagszugs-Programm "Dat geckig’<br />

Schängelche"<br />

<strong>Koblenz</strong>er Volkszeitung, Jg. 1926-1941<br />

Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1996<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung, Jg.<br />

1-4 (1941-1944)<br />

Moselland. Kulturpolitische Monatshefte (ab Ausg. Juli-September 1942: Kulturpolitische<br />

Blätter). Hg. v. Kulturverband Gau Moselland. Juni 1941- Apr.-Juni 1944<br />

Nationalblatt, Ausgabe <strong>Koblenz</strong>, 1.4.1933-2.3.1945<br />

Nationalblatt, Ausgabe Trier, 9.3.1933, 17.3.1933<br />

NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ und Vereinigte <strong>Koblenz</strong>er Karnevalsvereine (Hg.):<br />

<strong>Koblenz</strong> <strong>im</strong> geckige Bilderbooch. <strong>Koblenz</strong> 1938<br />

Organisationsbuch der NSDAP. Hg. v. Reichsorganisationsleiter der NSDAP. 6. Aufl.<br />

München 1940<br />

Partei-Statistik. Bde. I-IV. Hg v. Reichsorganisationsleiter der NSDAP. München o. J.<br />

[1935]<br />

Paulinus. Trierer Bistumsblatt, Nr. 18, 4.5.1952


651<br />

Plönissen, Josef: Sparen und Krieg! In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 10 (1942), S. 268<br />

Reichsgesetzblatt<br />

Rheinische Warte, Jg. 1925-1933<br />

Rhein-Lahnfreund 12 (1963)<br />

Rhein-Zeitung, Ausgabe <strong>Koblenz</strong>, diverse Einzelausgaben nach 1946<br />

Reichsbund der Deutschen Beamten (Hg.): Deutscher Beamtenkalender 1937. Berlin 1936<br />

Rogg, Franz: <strong>Die</strong> neuere Entwicklung der Stadt <strong>Koblenz</strong>. In: Hans Bellinghausen (Bearb.):<br />

Deutschlands Städtebau. Coblenz. 2. Aufl. Berlin 1925<br />

Rummel, Walter (Bearb.): <strong>Die</strong> Protokolle des Ministerrats von Rheinland-Pfalz.<br />

Provisorische Regierung Boden und Erste Regierung Altmeier. 1.-109.<br />

Ministerratssitzung (2.12.1946 - 29.12.1948) (Veröffentlichungen der<br />

Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Sonderreihe Ministerratsprotokolle 1;<br />

Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes<br />

Rheinland-Pfalz 27). <strong>Koblenz</strong> 2007<br />

Schmidt-Scherf, Wilhelm: Beiträge zur Psychologie der St<strong>im</strong>mpädagogik (Neue Deutsche<br />

Forschungen 8). Berlin 1940<br />

Schön, Waldemar: Volk, Partei, Staat und Gemeinde. In: <strong>Die</strong> nationalsozialistische Gemeinde<br />

4 (1936) S. 690-692<br />

Das schwarze Korps, Nr. 22, 3.6.1937<br />

S<strong>im</strong>mer, Nikolaus: <strong>Die</strong> amerikanische Wirtschaftskrise, eine Kredit- und Finanzkrise. In:<br />

Bankwissenschaft 9 (1932/33), H. 20, S. 630-636<br />

Ders.: Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier als Beispiel einer<br />

Planungsarbeit <strong>im</strong> neuen Staat. In: Zeitschrift für Betriebswissenschaft 12 (1935), S. 262-<br />

278<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Lösung der Winzerfrage. Schweich o. J. [1933]<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Lösung des Saargrenzproblems <strong>im</strong> Landkreise Trier. Schweich o. J. [1933].<br />

Ders.: Überlegungen zu den Ideenskizzen zur Neu- und Umgestaltung der Gauhauptstadt<br />

<strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> 1941<br />

Ders.: Wandlungen in der Kapitalanlagepolitik der privaten deutschen<br />

Versicherungsgesellschaften seit der Währungsstabilisierung. Bielefeld 1931. Univ. Diss.<br />

Frankfurt am Main 1929<br />

Ders.: Wirtschaftsstrukturelle Probleme des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier und Vorschläge zu ihrer<br />

Lösung. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld, Ausgabe Juli 1936, S. 107-114<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong>, Presse- und Informationsamt (Hg.): Dokumentation zum 160jährigen<br />

Bestehen des Hauptfriedhofes (Dokumentationen der Stadt <strong>Koblenz</strong> 9). <strong>Koblenz</strong> 1981<br />

Stadt <strong>Koblenz</strong>, Presse- und Informationsamt (Hg.): Historisches Rathaus der Stadt <strong>Koblenz</strong>.<br />

Dokumentation zur Generalsanierung des Rathauses – Gebäude II – 1985. <strong>Koblenz</strong> 1985<br />

Der Stahlhelm am Rhein. 11. Reichs-Frontsoldaten-Tag am Rhein, 4.-5. Oktober 1930.<br />

<strong>Koblenz</strong> o. J. [1930]<br />

Statistisches Reichsamt (Hg.): <strong>Die</strong> berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung <strong>im</strong><br />

Deutschen Reich, in den Ländern und Landesteilen, in den Großstädten und in den<br />

Gemeinden mit 10000 und mehr Einwohnern nach der Berufszählung vom 16. Juni 1933.<br />

Sonderbeilage zu „Wirtschaft und Statistik“ 24 (1934)<br />

Der Stürmer, Nr. 28, Juli 1935<br />

Süddeutsche Zeitung, 9.3.2009<br />

Trapp, Hildegard: Tätigkeitsbericht in Stichworten, Daten und bibliographischen Angaben<br />

vom 1. Mai 1944 - 31. Juli 1982 (Bildung, Information, Dokumentation 30). <strong>Koblenz</strong><br />

1982<br />

Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong>. 1.4.1933-31.3.1937<br />

Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Jahr 1937 [1.4.1937-1.4.1938]


652<br />

Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Koblenz</strong> für das Jahr 1938 (1.4.38-31.3.39)<br />

Wegweiser durch die Wohlfahrtspflege in der Stadt <strong>Koblenz</strong>. O. O., o. J. [<strong>Koblenz</strong> 1934]<br />

Wenz, Jakob: Elf Jahre in Fesseln! <strong>Die</strong> Leidensgeschichte der <strong>Koblenz</strong>er Bevölkerung<br />

während der Besatzungszeit. Sonderausgabe des <strong>Koblenz</strong>er General-Anzeigers vom<br />

1.12.1929. Sonderdruck <strong>Koblenz</strong> 1930<br />

Wittgen, Otto: <strong>Die</strong> Staubbeseitigung und Geräuschbekämpfung in Schotterbetrieben. Berlin<br />

1932<br />

Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden (Hg.): Führer durch die jüdische<br />

Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-33. Berlin 1932<br />

Zeitgenössische Literatur<br />

Bellinghausen, Hans (Hg.): Alt-<strong>Koblenz</strong>. Eine Sammlung geschichtlicher Abhandlungen.<br />

<strong>Koblenz</strong> 1929<br />

Ders.: Balduin von Luxemburg wird Pfandinhaber der englischen Königskrone. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H.<br />

11 (1942), S. 295 f.<br />

Ders. (Bearb.): Festschrift zur 13. Wiedersehensfeier ehemaliger Angehöriger der<br />

Nachrichtentruppe unter Teilnahme des Waffenringes der deutschen Nachrichtentruppe.<br />

<strong>Koblenz</strong> 31. Mai bis 2. Juni 1930. <strong>Koblenz</strong> 1930<br />

Ders.: Geleitworte durch die national-historische Ausstellung Rheinlands Freiheitskampf<br />

gegen Besatzung und Separatismus 1918-1935. <strong>Koblenz</strong> o. J. [ca. 1936/37]<br />

Ders.: <strong>Die</strong> große Zeit des Hauses Luxemburg 1307-1437. In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 5 (1941), S. 8-11<br />

Ders.: <strong>Koblenz</strong> als Auswandererzentrale nach Ungarn und den Balkanländern. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H.<br />

9 (1942), S. 239, 241, sowie in: Moselland. Kulturpolitische Monatshefte Mai 1942, S. 17-<br />

19<br />

Ders.: Der Königsstuhl bei Rhens. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische<br />

Propaganda und Volksaufklärung H. 10 (1942), S. 265 f.<br />

Ders.: Luxemburger kämpfte für Indiens Freiheit. In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 11 (1942), S. 297<br />

Bellinghausen, Hans: <strong>Die</strong> wehrpolitische Bedeutung des moselländischen Raumes. In:<br />

Moselland. Kulturpolitische Monatshefte, Juni 1941, S. 95-99<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Zerstörung von Esch an der Alzig durch die Franzosen <strong>im</strong> Jahre 1794. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H.<br />

3 (1942), S. 72 f.<br />

Bongers, Aurel: Der Kulturverband Gau Moselland und seine Bedeutung für das kulturelle<br />

Leben unseres Gaues. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische<br />

Propaganda und Volksaufklärung H. 3/4 (1941), S. 5 f., Abb. nach S. 16<br />

Breitbach, Joseph: <strong>Die</strong> Wandlung der Susanne Dasseldorf. Göttingen 2006<br />

Friedel, Richard: Das Westmark-Landestheater. <strong>Die</strong> Bühne des Gaues <strong>Koblenz</strong>-Trier. In: Der<br />

Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 90-92<br />

Flohr, Jupp: Das ist doch lächerlich. Ein Brevier der Lebensfreude. Köln o. J. [um 1951]<br />

Ders.: Prinz Karneval. Neue verb. Aufl. Köln o. J. [um 1952]<br />

Forsthoff, Ernst: <strong>Die</strong> Verwaltung als Leistungsträger. Stuttgart 1938<br />

Gatermann, Hanns: Aufbau und Arbeit der Gemeinnützigen Wohnungs- und<br />

Siedlungsgesellschaft „Moselland“ mbH, <strong>Koblenz</strong>. In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 5 (1942), S. 139<br />

Grosse, Franz: Das englische Renaissancedrama <strong>im</strong> Spiegel zeitgenössischer Staatstheorien.<br />

Breslau 1935


653<br />

Ders.: <strong>Die</strong> falschen Götter. Vom Wesen des <strong>Nationalsozialismus</strong>. Heidelberg 1946<br />

Ders.: Ein Feiertagsberuf. Voraussetzungen für den Beruf der Volksbibliothekarin. In:<br />

Reclams Universum Jg. 57, Nr. 47, 6.11.1941, S. 1042<br />

Ders.: Neugestaltung der Stadtbücherei <strong>Koblenz</strong>. In: <strong>Die</strong> Bücherei H. 7-9 (1943), S. 243 f.<br />

Ders.: Weg und Ziel der Christlich-Demokratischen Partei. Landessekretariat der Christlich-<br />

Demokratischen Partei Rheinland-Hessen-Nassau. <strong>Koblenz</strong> [1946]<br />

Ders.: Zur Statistik des Deutschen Gemeindetages über das Volksbüchereiwesen in den<br />

Städten mit über 20000 Einwohnern. In: <strong>Die</strong> Bücherei H. 6 (1939), S. 510-515<br />

Heine, C.: Über die Arbeiten der Architekten Stähler und Horn in <strong>Koblenz</strong> am Rhein. S. 6-15.<br />

In: Verlag für Architektur. Industrie- u. Stadtwerke Düsseldorf, Sonderveröffentlichung<br />

Nr. XIII [Düsseldorf 1925]<br />

Hoppe, Walter: Aufgaben und Ziele der NSV-Jugendhilfe. In: Mitteilungen des Gauringes<br />

für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 4 (1944), S. 80 f.<br />

Hundert Jahre Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinprovinz. Düsseldorf 1936<br />

Jenrich, Franz: <strong>Die</strong> Gaustadt wandelt ihr Gesicht. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938),<br />

S. 46-51<br />

<strong>Die</strong> Jubiläumsspielzeit des Theaters der Stadt <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3<br />

(1938), S. 93 f.<br />

Kampf gegen den Kitsch. In: Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische<br />

Propaganda und Volksaufklärung H. 11 (1942), S. 285.<br />

Koch, Heinrich: Aufgabe und Gestalt der NS-Feierstätte. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier-<br />

Birkenfeld 1 (1936), S. 61-64<br />

Klose, Hanns: Neue Bauten in <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 4 (1939), S. 77-80<br />

Klotz, Clemens: Adolf-Hitler-Schule <strong>Koblenz</strong>-Asterstein. In: Der Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 4<br />

(1939)<br />

<strong>Koblenz</strong>, die Stadt der Rhein- und Moselbrücken. Festschrift herausgegeben von der Stadt<br />

<strong>Koblenz</strong> anläßlich der Fertigstellung der Adolf-Hitler-Brücke und des Umbaues der<br />

Pfaffendorfer Brücke 1934. <strong>Koblenz</strong> 1934<br />

Marquardt, Heinz: Das Erlebnis des Klassischen <strong>im</strong> 5. Kriegsjahr. Der kulturpolitische<br />

Auftrag der Gaubühne „Landestheater Moselland“. In: Mitteilungen des Gauringes für<br />

nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H. 4 (1944), S. 65-67<br />

Möckel, Max: Der städtische Fuhrpark. In: Hans Bellinghausen (Bearb.): Deutschlands<br />

Städtebau. Coblenz. 2. Aufl. Berlin 1925, S. 140 f.<br />

Müller, Arnold: Der Bildhauer Karl Burger. In: Moselland. Kulturpolitische Monatsblätter,<br />

Mai 1942, S. 27-32<br />

Neumann, Friedrich: Der Umbau des Theaters. In: Fritz Richard Werkhäuser (Hg.): 150 Jahre<br />

Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937]<br />

Nischk, Kurt: Der Gemeindebeamte <strong>im</strong> Dritten Reich (Juristische Handbibliothek 457). 5.<br />

Aufl. Leipzig 1938<br />

Perizonius, Albert: <strong>Die</strong> Bewegung und das Theater. In: Fritz Richard Werkhäuser (Hg.): 150<br />

Jahre Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937], S. 71 f.<br />

Rogg, Franz/Stähler, Ludwig/Horn, Fritz: Das Löhrrondell. Ein Vorschlag zu seiner<br />

Umgestaltung. <strong>Koblenz</strong> 1922<br />

Rosendahl, Hugo: Inwieweit finden die Best<strong>im</strong>mungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über<br />

das Vertragspfandrecht Anwendung auf das Pfändungspfandrecht der Zivilprozessordnung,<br />

insbesondere ist auch das Pfändungspfandrecht ein akzessorisches Recht? Univ. Diss.<br />

Heidelberg 1910<br />

Roth, Hans: Chronik der Stadt <strong>Koblenz</strong> an Mosel und Rhein. Berlin 1939<br />

Schirach, Baldur von: <strong>Die</strong> Pioniere des Dritten Reiches. Essen o. J. [1933]<br />

Schneider, Hanns: Der vorbildliche Betrieb. Westmark-Betriebe <strong>im</strong> Leistungskampf. Berlin<br />

1939


654<br />

Sommer, Walter: <strong>Die</strong> NSDAP und die Gemeinde. München 1935<br />

Sprung, Hanns: Der Ausbau der Kunstsammlungen des <strong>Koblenz</strong>er Schloßmuseums. In: Der<br />

Grenzgau <strong>Koblenz</strong>-Trier 3 (1938), S. 78-80<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Kunstsammlung <strong>im</strong> städtischen Schloßmuseum zu <strong>Koblenz</strong>. In: Der Grenzgau<br />

<strong>Koblenz</strong>-Trier-Birkenfeld 1 (1936), S. 82-85<br />

Stähler, Ludwig: Das Siedlungswerk <strong>im</strong> Westmarkgau. In: Der Grenzgau 2 (1937), S. 99 f.<br />

Verwundete <strong>im</strong> <strong>Koblenz</strong>er Stadttheater als Gäste des Reichspropagandaamtes Moselland. In:<br />

Mitteilungen des Gauringes für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung H.<br />

4 (1942), S. 98 f.<br />

Werkhäuser, Fritz Richard (Hg.): 150 Jahre Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937]<br />

Ders.: Zum deutschen Volks- und Nationaltheater. In: Der Grenzgau 2 (1937), S. 74 f.<br />

Z<strong>im</strong>mermann, Karl: Von der kurfürstlichen zur Franzosenzeit. In: Fritz Richard Werkhäuser<br />

(Hg.): 150 Jahre Theater der Stadt <strong>Koblenz</strong>. <strong>Koblenz</strong> o. J. [1937], S. 30-38<br />

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