Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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09.12.2012 Aufrufe

von mindestens fünfzehn Wölfen am Ufer rasten. Mehrere off ensichtlich jüngere Tiere spielten im fl achen Wasser, versuchten auf einen großen runden Stein hinaufzuspringen, auf dem ein weiterer Wolf stand, der jeden Belagerer zurückschubste, dann selber ins Wasser sprang und bald in der dichten Vegetation am Ufer verschwand, gefolgt von einer Meute ausgelassener Jungtiere. Wasser spritzte auf, Bäumchen bogen sich unter sich balgenden Leibern. Andere Tiere schliefen zusammengerollt im Sand oder im plattgedrückten Gras. Nur ein, zwei Wölfe hielten an jedem Ende des Strandes Wache und beobachteten aufmerksam die Umgebung. Der Wind stand für uns günstig. Die Wölfe konnten uns hoch oben am gegenüberliegenden Steilufer weder sehen noch wittern, während wir sie mit unseren Ferngläsern bestens im Auge hatten. Doch dann wollte Christian versuchen, näher an die Wölfe heranzukommen, um einen von ihnen abzuschießen. Der Wolf fehle ihm noch in seiner Trophäensammlung, meinte er. Ich war entsetzt und außer mir vor Wut darüber, daß ein Mensch dieses Idyll ungestörter Natürlichkeit, wie ich es empfand, nicht nur stören, sondern zerstören wollte. Es entstand ein heft iger Streit, der schließlich in einem Kompromiß endete : Wir wollten gemeinsam näher an die Wölfe herankriechen, und Christian würde nicht schießen. Doch wir kamen nicht weit. Ein leiser Aufschrei Christians, als er in ein Sumpfl och fi el, ließ das ganze Rudel binnen Sekunden verschwinden. Nicht ein Schatten war mehr von den Tieren zu sehen, nicht 70

einmal ein Knacken von Ästen, ein Spritzen von Wasser waren zu hören. Wenige Tage später trat ich meine Arbeit in Kiel an. Jetzt galt es nicht mehr irgendwelchen romantischen Jugendträumen nachzuhängen, sondern eine anspruchsvolle Fragestellung der experimentellen Ethologie anzugehen – eine zu anspruchsvolle, wie sich bald herausstellen sollte. Professor Wolf Herre, mein Doktorvater, kreuzte im Tiergarten des Instituts Wölfe mit Königspudeln, um so mehr über den Erbgang verschiedener Merkmale des Hundes und seines wilden Stammvaters zu erfahren. Meine Aufgabe sollte es sein, neben den beiden Ausgangstypen auch das Verhalten der »Puwos«, wie die Bastarde von Pudel und Wolf genannt wurden, zu studieren. Eine Verhaltensgenetik der Domestikation war geplant ; wir sahen uns der Evolution der Haustierwerdung auf der Spur. Zusammen mit meiner Frau zog ich Anfang 1967 in die Försterei Rickling, wo uns die Forstverwaltung des Landes Schleswig-Holstein ein kleines Haus samt Gelände für Gehege zur Verfügung stellte. Wir bauten vier Gehege, je eines für die Wölfe, die Pudel, die Puwos der ersten und die der zweiten Generation. Kaum waren wir damit fertig, kam im April schon der erste Wolfswelpe zu uns, Anfa, ein Weibchen, von dem noch viel zu berichten sein wird. Dann folgten weitere Welpen aller vier Gruppen, und die Arbeit begann. Doch bald waren die Zäune zwischen den Gehegen zu schwach – dem ungestüm sich äußernden Zusammengehörigkeitsdrang der Welpen hielten sie nicht stand. 71

von mindestens fünfzehn Wölfen am Ufer rasten. Mehrere<br />

off ensichtlich jüngere Tiere spielten im fl achen Wasser,<br />

versuchten auf einen großen r<strong>und</strong>en Stein hinaufzuspringen,<br />

auf dem ein weiterer <strong>Wolf</strong> stand, der jeden Belagerer<br />

zurückschubste, dann selber ins Wasser sprang <strong>und</strong><br />

bald in der dichten Vegetation am Ufer verschwand, gefolgt<br />

von einer Meute ausgelassener Jungtiere. Wasser spritzte<br />

auf, Bäumchen bogen sich unter sich balgenden Leibern.<br />

Andere Tiere schliefen zusammengerollt im Sand oder im<br />

plattgedrückten Gras. Nur ein, zwei Wölfe hielten an jedem<br />

Ende des Strandes Wache <strong>und</strong> beobachteten aufmerksam<br />

die Umgebung.<br />

<strong>Der</strong> Wind stand für uns günstig. Die Wölfe konnten uns<br />

hoch oben am gegenüberliegenden Steilufer weder sehen<br />

noch wittern, während wir sie mit unseren Ferngläsern<br />

bestens im Auge hatten. Doch dann wollte Christian versuchen,<br />

näher an die Wölfe heranzukommen, um einen<br />

von ihnen abzuschießen. <strong>Der</strong> <strong>Wolf</strong> fehle ihm noch in seiner<br />

Trophäensammlung, meinte er. Ich war entsetzt <strong>und</strong><br />

außer mir vor Wut darüber, daß ein Mensch dieses Idyll<br />

ungestörter Natürlichkeit, wie ich es empfand, nicht nur<br />

stören, sondern zerstören wollte. Es entstand ein heft iger<br />

Streit, der schließlich in einem Kompromiß endete : Wir<br />

wollten gemeinsam näher an die Wölfe herankriechen, <strong>und</strong><br />

Christian würde nicht schießen. Doch wir kamen nicht<br />

weit. Ein leiser Aufschrei Christians, als er in ein Sumpfl och<br />

fi el, ließ das ganze Rudel binnen Sek<strong>und</strong>en verschwinden.<br />

Nicht ein Schatten war mehr von den Tieren zu sehen, nicht<br />

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