Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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09.12.2012 Aufrufe

Gebieten noch eine Gefahr für die Haustiere, in anderen wohl noch vermeintlicher Konkurrent des Jägers ; ansonsten aber ist er weitgehend ausgerottet, ist er zu einem Tier geworden, das unserer Vergangenheit angehört. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Erfahrung mit ihm fehlt, stammt das Bild, das wir uns vom Wolf machen, aus der Zeit verständlicher Feindschaft . Nach dem Ausspruch »Homo homini lupus«, den der englische Philosoph Th omas Hobbes von dem altrömischen Komödiendichter Plautus übernahm, ist zwar der Mensch selbst des Menschen größter Feind, doch für Feind steht hier synonym der Wolf. Von frühester Kindheit an erfahren wir, was alle Kinder in Europa von den Älteren hören und später an ihre eigenen Kinder weitergeben : Der Wolf ist böse und haust im dunklen, unheimlichen Wald. Ich kenne sogar Förster, die bei Dunkelheit ungern allein in den Wald gehen ; dabei ist dies wohl der sicherste Ort, den man dann aufsuchen kann. In dieser irrationalen Beziehung zu einer Tierart und ihrem Lebensraum manifestieren sich wahrscheinlich uralte, ererbte Ängste, nicht der Jäger zu sein, sondern der Gejagte, nicht der Beutemacher, sondern die Beute – Ängste, die den wirklichen Gefahren der Neandertaler und womöglich auch der Steinzeitmenschen angepaßt waren, die aber, verglichen mit den heutigen Gefahren der Zivilisation, ohne Bedeutung sind. Vermutlich sterben derzeit täglich mehr Menschen im Straßenverkehr, als im Laufe der Geschichte jemals von Wölfen gerissen wurden. Trotzdem haben wir vor dem Wolf und seinem Lebensraum Angst, nicht aber 564

vor dem Auto und den Straßen der Stadt. Selbst unter den Tieren haben Pferde, Schweine und Hunde, ja sogar Bienen sehr viel mehr Menschen getötet, war und ist im Wald noch heute der Bär ungleich gefährlicher als je ein Wolf. Doch Haustiere sind uns vertraut, und der Bär mit seinem runden Kopf, seinem wolligen Fell und seinen scheinbar so unbeholfenen Bewegungen löst bei uns eher Wohlwollen und Gefühle der Fürsorge aus. Der Wolf hingegen stellt mit seiner langen Schnauze und seinem von spitzen Zähnen starrenden Maul den Prototyp des Räubers zu Lande dar, nicht anders als der Hai im Meer, das Krokodil im Fluß. Zu diesen atavistischen Ängsten vor dem Wolf und zu seiner mythologischen Einordnung in die Nähe des Teufels sind allerdings in neuester Zeit einige weitere Wolfsbilder hinzugekommen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts, als vielerorts der Sieg über den Wolf bereits errungen war und sein Ende sich allgemein abzeichnete, erlebte der Wolf in unserer Vorstellungswelt eine radikale Umkehrung früherer Bewertungen. Bei Jack London und Rudyard Kipling ist der Wolf plötzlich nicht mehr Vertreter böser Mächte, sondern König des Waldes, Herrscher und Gegenpol des Menschen in seinem verderblichen Streben. Es war die Zeit einer enormen Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft . Die Verfechter des sogenannten Sozialdarwinimus versuchten den Erfolg der ungehemmt aufstrebenden Unternehmer und die rücksichtslose Ausbeutung der arbeitenden Massen mit Darwins großartigem Entwurf der Selektionstheorie vom »Survival of the fi ttest« 565

Gebieten noch eine Gefahr für die Haustiere, in anderen<br />

wohl noch vermeintlicher Konkurrent des Jägers ; ansonsten<br />

aber ist er weitgehend ausgerottet, ist er zu einem Tier<br />

geworden, das unserer Vergangenheit angehört.<br />

Obwohl oder vielleicht gerade weil die Erfahrung mit ihm<br />

fehlt, stammt das Bild, das wir uns vom <strong>Wolf</strong> machen, aus<br />

der Zeit verständlicher Feindschaft . Nach dem Ausspruch<br />

»Homo homini lupus«, den der englische Philosoph Th omas<br />

Hobbes von dem altrömischen Komödiendichter Plautus<br />

übernahm, ist zwar der Mensch selbst des Menschen<br />

größter Feind, doch für Feind steht hier synonym der <strong>Wolf</strong>.<br />

Von frühester Kindheit an erfahren wir, was alle Kinder in<br />

Europa von den Älteren hören <strong>und</strong> später an ihre eigenen<br />

Kinder weitergeben : <strong>Der</strong> <strong>Wolf</strong> ist böse <strong>und</strong> haust im dunklen,<br />

unheimlichen Wald. Ich kenne sogar Förster, die bei<br />

Dunkelheit ungern allein in den Wald gehen ; dabei ist dies<br />

wohl der sicherste Ort, den man dann aufsuchen kann.<br />

In dieser irrationalen Beziehung zu einer Tierart <strong>und</strong><br />

ihrem Lebensraum manifestieren sich wahrscheinlich uralte,<br />

ererbte Ängste, nicht der Jäger zu sein, sondern der Gejagte,<br />

nicht der Beutemacher, sondern die Beute – Ängste, die<br />

den wirklichen Gefahren der Neandertaler <strong>und</strong> womöglich<br />

auch der Steinzeitmenschen angepaßt waren, die aber, verglichen<br />

mit den heutigen Gefahren der Zivilisation, ohne<br />

Bedeutung sind. Vermutlich sterben derzeit täglich mehr<br />

Menschen im Straßenverkehr, als im Laufe der Geschichte<br />

jemals von Wölfen gerissen wurden. Trotzdem haben wir<br />

vor dem <strong>Wolf</strong> <strong>und</strong> seinem Lebensraum Angst, nicht aber<br />

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