Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

download.hg13.de
von download.hg13.de Mehr von diesem Publisher
09.12.2012 Aufrufe

Zumindest im Sommer schien es den Hunden also nicht an Nahrung zu mangeln. Im Winter aber zogen einige der Bandenmitglieder, die sonst die Nähe von Menschen so sehr gemieden hatten, zurück ins Dorf, ja sogar zu ihren Besitzern ins Haus, in die warme Unterkunft . Der Anführer der Bande, ein großer weißer abruzzischer Hirtenhund, blieb freilich auch im Winter draußen, gefolgt von einer kleinen Schar Getreuer. Nur im letzten Winter der Untersuchungszeit blieb er ganz allein, worauf auch er eines Tages wieder ins Dorf kam. Francesi, der ihm gerade folgte, wollte es zuerst gar nicht glauben. Doch der früher so scheue und von den Hirten inzwischen viel gejagte Hund lief seelenruhig durch die Dorfstraßen und über die belebte Piazza. Stunden später entschwand er erneut ins Gebirge, diesmal gefolgt von einer jungen Hündin, die zuvor nur im Dorf und im Haus ihres Herrn gelebt hatte – eine »Entführung aus Ovíndoli«. Diese Beobachtungen zeigen, daß es sich hier nicht um eine stabile Population ausschließlich verwilderter Hunde handelt, sondern daß die Tiere stets mehr oder weniger stark vom Menschen abhängen, wobei die Übergänge zwischen den verschiedenen Lebensphasen fl ießend sind. In einer Hinsicht scheint die Abhängigkeit sogar besonders groß zu sein : Obwohl immer wieder Welpen im freien Ge - lände geboren wurden, gelang es den verwilderten Hunden nur einmal, einen einzigen Welpen aus einem Wurf auch großzuziehen ; alle anderen Welpen starben. Off enbar 508

edürfen die Tiere zur Aufzucht von Welpen der menschlichen Hilfe. Dabei scheint die Futterfrage nicht entscheidend zu sein, zumindest nicht bei der »Ovíndoli-Bande«, die in der Zeit der Welpenaufzucht genügend zu fressen hatte. Die meisten Welpen starben erst im Alter von drei bis vier Monaten, als sie anfi ngen, mit den Älteren mitzulaufen. Allem Anschein nach waren weder die Mutter noch die anderen Althunde, geschweige denn die Welpen imstande, beisammenzubleiben. Immer wieder verlief sich ein Welpe, wurde zurückgelassen oder vergessen und starb dann bald an Erschöpfung. So fi ndet die Neurekrutierung der Population verwilderter Hunde in den Apenninen wohl hauptsächlich über die vorhandenen dörfl ichen Hundepopulationen statt. Zwischen beiden Gruppen besteht auch sonst ein reger Austausch, so daß man eigentlich gar nicht von getrennten Populationen reden kann. In vielen Gebieten der Apenninen kommt es ohnehin nicht zu einer Verwilderung ganzer Banden, wie das einige Jahre lang in Ovíndoli beobachtet worden ist. Ausschlaggebend hierfür scheint die Präsenz von Wölfen zu sein. Dort, wo sie noch leben, verhindern sie wohl, daß Hunde sich freilebend im Gebirge etablieren können. Umgekehrt scheinen aber auch die verwilderten Hunde Wölfe daran zu hindern, sich in einem Gebiet niederzulassen. Im Gebiet von Ovíndoli jedenfalls traten Wölfe erst dann wieder auf, als die Bande der verwilderten Hunde faktisch nicht mehr existierte. Über ähnliche Beobachtungen in der Sowjetunion berich- 509

Zumindest im Sommer schien es den H<strong>und</strong>en also nicht<br />

an Nahrung zu mangeln. Im Winter aber zogen einige der<br />

Bandenmitglieder, die sonst die Nähe von Menschen so sehr<br />

gemieden hatten, zurück ins Dorf, ja sogar zu ihren Besitzern<br />

ins Haus, in die warme Unterkunft . <strong>Der</strong> Anführer der<br />

Bande, ein großer weißer abruzzischer Hirtenh<strong>und</strong>, blieb<br />

freilich auch im Winter draußen, gefolgt von einer kleinen<br />

Schar Getreuer. Nur im letzten Winter der Untersuchungszeit<br />

blieb er ganz allein, worauf auch er eines Tages wieder<br />

ins Dorf kam. Francesi, der ihm gerade folgte, wollte<br />

es zuerst gar nicht glauben. Doch der früher so scheue <strong>und</strong><br />

von den Hirten inzwischen viel gejagte H<strong>und</strong> lief seelenruhig<br />

durch die Dorfstraßen <strong>und</strong> über die belebte Piazza.<br />

St<strong>und</strong>en später entschwand er erneut ins Gebirge, diesmal<br />

gefolgt von einer jungen Hündin, die zuvor nur im Dorf<br />

<strong>und</strong> im Haus ihres Herrn gelebt hatte – eine »Entführung<br />

aus Ovíndoli«.<br />

Diese Beobachtungen zeigen, daß es sich hier nicht um<br />

eine stabile Population ausschließlich verwilderter H<strong>und</strong>e<br />

handelt, sondern daß die Tiere stets mehr oder weniger<br />

stark vom Menschen abhängen, wobei die Übergänge zwischen<br />

den verschiedenen Lebensphasen fl ießend sind. In<br />

einer Hinsicht scheint die Abhängigkeit sogar besonders<br />

groß zu sein : Obwohl immer wieder Welpen im freien Ge -<br />

lände geboren wurden, gelang es den verwilderten H<strong>und</strong>en<br />

nur einmal, einen einzigen Welpen aus einem Wurf<br />

auch großzuziehen ; alle anderen Welpen starben. Off enbar<br />

508

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!