Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos
Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos
Wir mußten das ins fremde Territorium eingedrungene Weibchen lange suchen. Mindestens zwanzig Minuten fl ogen wir in immer engeren Kreisen ganz tief über dem Wald, sahen aber nichts. Als wir schon aufgegeben hatten und weiterfl ogen, entdeckten wir die Wölfi n plötzlich doch unter uns, wie sie einen breiten Fluß, die Grenze zu ihrem eigenen Territorium, durchschwamm. Vermutlich war sie durch das Flugzeug im fremden Gebiet beunruhigt worden und fl oh jetzt in die Sicherheit zurück. Warum versuchen die Wölfe bei zunehmender Nahrungsknappheit nicht, ihr Territorium auf Kosten der Nachbarrudel zu vergrößern, statt nur ab und zu in fremde Territorien einzudringen, ansonsten aber mit einem kleineren Rudel im eigenen Gebiet zu bleiben ? Auf der Suche nach dem nächsten Wolf, einem jungen Rüden, diskutierten wir über mögliche Erklärungen. Am trift igsten erschien uns die erhöhte Verletzungsgefahr bei dem Versuch, Nachbarrudel zu vertreiben. Schon eine leichte Verletzung kann tödliche Folgen haben. Für die Überlebensstrategie eines Wolfes scheint es vorteilhaft er zu sein, die territoriale Organisation weitgehend zu respektieren, das vorhandene Nahrungsangebot nach Möglichkeit rationeller auszunutzen und wenn nötig andere Rudelmitglieder zu zwingen, das eigene Rudel samt Territorium zu verlassen, als Energie und womöglich das eigene Leben in einem »Krieg um Lebensraum« einzusetzen. Erst bei erheblichen und langfristigen Veränderungen des Nahrungsangebots und seiner Verteilung dürft e sich auch die räumliche Organisation einer Popu- 398
lation verändern. An dieser Stelle kann ich es doch nicht lassen, einen Vergleich zwischen Mensch und Tier zu ziehen. Wie bei den Wölfen kennen wir auch bei allen anderen Tierarten (mit Ausnahme mancher Insekten, etwa der Ameisen, bei denen allerdings ganz andere Fortpfl anzungs- und Verwandtschaft sverhältnisse vorliegen) nichts, das vergleichbar wäre mit dem, was wir bei den Menschen Krieg nennen : eine mit tödlichen Waff en ausgetragene Auseinandersetzung zwischen überfamiliär organisierten Verbänden wie Völkern, Stämmen, Staaten oder Klassen. Daher sind die Versuche, das Phänomen menschlicher Kriege mit Hilfe ethologischer Aggressionsmodelle zu erklären, zum Scheitern verurteilt. Tierische Aggression und menschliche Kriege mögen als Kampf um Ressourcen wie Land, Nahrung oder Macht (Rang) letztlich vergleichbare Ursachen haben ; doch bei einem Vergleich der Motivation der an der Auseinandersetzung teilnehmenden Individuen zeigen sich die fundamentalen Unterschiede. Tiere handeln infolge des Selektionsvorteils »eigennütziger« Gene grundsätzlich egoistisch. Auch scheinbar uneigennütziges Verhalten dient letztlich nur der eigenen Gesamteignung, ist also im Grunde auch egoistisch. Wirklich altruistisches, sich selbst aufopferndes Verhalten zugunsten der Belange überfamiliärer Organisationseinheiten gibt es nur bei Menschen. Die Ursachen hierfür liegen nicht im biologischen, sondern im kulturellen Bereich. Wie es zu einer derartigen, der biologischen teilweise entgegengerichteten kulturellen Evolution aufopfernden Verhaltens kam – mit all ihren für uns posi- 399
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uns, wie sie einen breiten Fluß, die Grenze zu ihrem eigenen<br />
Territorium, durchschwamm. Vermutlich war sie durch<br />
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Warum versuchen die Wölfe bei zunehmender Nahrungsknappheit<br />
nicht, ihr Territorium auf Kosten der Nachbarrudel<br />
zu vergrößern, statt nur ab <strong>und</strong> zu in fremde Territorien<br />
einzudringen, ansonsten aber mit einem kleineren<br />
Rudel im eigenen Gebiet zu bleiben ? Auf der Suche nach<br />
dem nächsten <strong>Wolf</strong>, einem jungen Rüden, diskutierten wir<br />
über mögliche Erklärungen. Am trift igsten erschien uns die<br />
erhöhte Verletzungsgefahr bei dem Versuch, Nachbarrudel<br />
zu vertreiben. Schon eine leichte Verletzung kann tödliche<br />
Folgen haben. Für die Überlebensstrategie eines <strong>Wolf</strong>es<br />
scheint es vorteilhaft er zu sein, die territoriale Organisation<br />
weitgehend zu respektieren, das vorhandene Nahrungsangebot<br />
nach Möglichkeit rationeller auszunutzen <strong>und</strong> wenn<br />
nötig andere Rudelmitglieder zu zwingen, das eigene Rudel<br />
samt Territorium zu verlassen, als Energie <strong>und</strong> womöglich<br />
das eigene Leben in einem »Krieg um Lebensraum«<br />
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