Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos
Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos
kamen mir auf Forschungsreisen in Rumänien. Die Bauern in den Karpaten Rumäniens leben noch heute unter ganz ähnlichen ökonomischen Bedingungen, wie einst die Bauern Zentraleuropas im Mittelalter. Ihre Einstellung zum Wolf hätte eigentlich voller Hass sein müssen – das zumindest erwartete ich –, leben die Familien doch oft nur von einer Kuh, ein paar Schafen und Ziegen sowie einigen Hühnern. Wenn da der Wolf nachts in den Stall oder die Gatter einbricht, kann die ganze Lebensgrundlage auf einen Schlag vernichtet sein, mit verheerenden Folgen. Nirgendwo sonst in Europa leben zudem auf engem Raum so viele Raubtiere, Wölfe, Bären und Luchse – alles Tiere, die Haustiere reißen oder reißen können. Meine Erwartung wurde angenehm enttäuscht ! Was ich bei meinen Recherchen erfuhr, stellte alle meine bisherigen Th esen auf den Kopf. Verlor ein Schäfer ein Schaf an die Wölfe, waren es nicht die Wölfe, die daran schuld waren, sondern der Schäfer, der nicht aufgepasst hatte. So jedenfalls erklärte man es mir. Ein besonders drastisches Beispiel für diese Einstellung erlebte ich, als zwei Waldarbeiter von einem Bär gerissen und getötet wurden. Ich dachte, jetzt würde es einen großen Aufstand geben und die ganze Dorfb evölkerung würde ausziehen, um den Bären zu töten. Doch nichts dergleichen geschah. Vielmehr machte man die beiden Männer selbst für ihr Unglück verantwortlich. Schließlich waren sie betrunken gewesen und mit einer Axt auf den Bären losgegangen. Die Bauern fanden, dass man den Bären für 32
dieses Unglück nicht verantwortlich machen könne. So viel Gerechtigkeitssinn verblüfft e mich. Und erstaunlich fand ich auch, wie wenig Angst die Menschen vor den Raubtieren im Wald hatten, insbesondere vor dem Wolf, von dem sie keinerlei Gefahr ausgehen sahen. Betrachten wir Darstellungen des Wolfes aus dem Mittelalter, erkennen wir ein ähnlich realistisches Bild, sodass man daran zweifeln muss, ob das uns so vertraute Bild (Wolf im Schafspelz !) allein aus jener Zeit stammt. Ich nehme an, dass der Wolf sein negatives Image – in seiner einseitigen Ausprägung – im 16. Jahrhundert erhalten hat, ein Tatbestand, auf den auch Gertrud Scherf in ihrem ausgezeichneten Buch »Wolfspuren in Bayern« hinweist. Es scheint in der Tat so zu sein, dass der Wolf erst zu Beginn der frühen Neuzeit, im Feudalismus, richtig »böse« gemacht wurde. Und der Hass auf den Wolf spitzte sich noch einmal im 17. und 18. Jahrhundert, in der Zeit des Absolutismus, zu. Eine Zeit, in der der Mensch dem Menschen wahrhaft ein Wolf war (homo homine lupus). Die Massen verelendeten in völliger Rechtlosigkeit, sie litten Hunger, Missernten häuft en sich, es kam zu Seuchen, eine marodierende Soldateska wuchs regelmäßig nach wie Unkraut auf dem Feld. Vor allem aber : Selten zuvor war der Unterschied zwischen Reich und Arm so groß und off ensichtlich wie in jenen Tagen. Die Notleidenden sahen ihr Los als Verhängnis mit vielen Gesichtern ; und ein elendes Grundgefühl macht empfäng- 33
- Seite 2 und 3: Dr. Erik Zimen, geboren 1941, wuchs
- Seite 5 und 6: Inhalt Zum Geleit : Erik Zimens Leb
- Seite 7 und 8: Drittes Kapitel Die »Sprache« der
- Seite 9 und 10: Neuntes Kapitel Anpassungswert sozi
- Seite 11 und 12: Zum Geleit : Erik Zimens Leben für
- Seite 13 und 14: Simone Fluri und Günther Kopp für
- Seite 15 und 16: Es war aufregend und man musste mit
- Seite 17 und 18: lität, dass wir es mit einem Tier
- Seite 19 und 20: Unermüdlicher Einsatz für die Wö
- Seite 21 und 22: Große Hoff nung für Mensch und Wo
- Seite 23 und 24: Der Wolf zieht weiter Es sind 25 Ja
- Seite 25 und 26: Rückkehr des Wolfes in Europa Eine
- Seite 27 und 28: Utopie. - Und doch ! Etwa mit dem l
- Seite 29 und 30: und wehrlos in der off enen Savanne
- Seite 31: (genauer gesagt : besondere Individ
- Seite 35 und 36: (Historiker lassen sie meist mit de
- Seite 37 und 38: Erik Zimen füttert ein Gallowaykal
- Seite 39 und 40: Erik mit Pferden, Grillenöd 2001 B
- Seite 41 und 42: Kleiner Wolfswelpe Wolfswelpe
- Seite 43 und 44: Mona und Erik Zimen bei Filmaufnahm
- Seite 45 und 46: in Südeuropa überlebt hat, wohing
- Seite 47 und 48: Kugel tödlich trifft , sondern vie
- Seite 49 und 50: zuchtgebiete - weder im Wald noch i
- Seite 51 und 52: ten Jahrzehnten geändert ; es hat
- Seite 53 und 54: Wolfstauglich sind Gebiete, 1. die
- Seite 55 und 56: in der Slowakei, in Tschechien und
- Seite 57 und 58: efi nden sich über die Böhmisch-M
- Seite 59 und 60: »Rotkäppchen-Komplex« leidet, wi
- Seite 61 und 62: dert, aber keineswegs in Richtung F
- Seite 63 und 64: Lebenstag - ist es verdammt schwer,
- Seite 65 und 66: die vorherrschende Farbe ihres Fell
- Seite 67 und 68: keines so erbarmungslos verfolgt wi
- Seite 69 und 70: und Jack London stetig gewachsene S
- Seite 71 und 72: einmal ein Knacken von Ästen, ein
- Seite 73 und 74: meiner Frau und den vier zahmen Wö
- Seite 75 und 76: den Abruzzen war schließlich der G
- Seite 77 und 78: wohl doch nicht gar so ernst meint
- Seite 79 und 80: sinnvoll, sie schon früh von ihrer
- Seite 81 und 82: Millimeter-Spritze. Der Schlauch wu
kamen mir auf Forschungsreisen in Rumänien. Die Bauern<br />
in den Karpaten Rumäniens leben noch heute unter ganz<br />
ähnlichen ökonomischen Bedingungen, wie einst die Bauern<br />
Zentraleuropas im Mittelalter. Ihre Einstellung zum <strong>Wolf</strong><br />
hätte eigentlich voller Hass sein müssen – das zumindest<br />
erwartete ich –, leben die Familien doch oft nur von einer<br />
Kuh, ein paar Schafen <strong>und</strong> Ziegen sowie einigen Hühnern.<br />
Wenn da der <strong>Wolf</strong> nachts in den Stall oder die Gatter einbricht,<br />
kann die ganze Lebensgr<strong>und</strong>lage auf einen Schlag<br />
vernichtet sein, mit verheerenden Folgen. Nirgendwo sonst<br />
in Europa leben zudem auf engem Raum so viele Raubtiere,<br />
Wölfe, Bären <strong>und</strong> Luchse – alles Tiere, die Haustiere reißen<br />
oder reißen können.<br />
Meine Erwartung wurde angenehm enttäuscht ! Was ich<br />
bei meinen Recherchen erfuhr, stellte alle meine bisherigen<br />
Th esen auf den Kopf. Verlor ein Schäfer ein Schaf an die<br />
Wölfe, waren es nicht die Wölfe, die daran schuld waren,<br />
sondern der Schäfer, der nicht aufgepasst hatte. So jedenfalls<br />
erklärte man es mir.<br />
Ein besonders drastisches Beispiel für diese Einstellung<br />
erlebte ich, als zwei Waldarbeiter von einem Bär gerissen<br />
<strong>und</strong> getötet wurden. Ich dachte, jetzt würde es einen großen<br />
Aufstand geben <strong>und</strong> die ganze Dorfb evölkerung würde<br />
ausziehen, um den Bären zu töten. Doch nichts dergleichen<br />
geschah. Vielmehr machte man die beiden Männer<br />
selbst für ihr Unglück verantwortlich. Schließlich waren<br />
sie betrunken gewesen <strong>und</strong> mit einer Axt auf den Bären<br />
losgegangen. Die Bauern fanden, dass man den Bären für<br />
32