Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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09.12.2012 Aufrufe

kamen mir auf Forschungsreisen in Rumänien. Die Bauern in den Karpaten Rumäniens leben noch heute unter ganz ähnlichen ökonomischen Bedingungen, wie einst die Bauern Zentraleuropas im Mittelalter. Ihre Einstellung zum Wolf hätte eigentlich voller Hass sein müssen – das zumindest erwartete ich –, leben die Familien doch oft nur von einer Kuh, ein paar Schafen und Ziegen sowie einigen Hühnern. Wenn da der Wolf nachts in den Stall oder die Gatter einbricht, kann die ganze Lebensgrundlage auf einen Schlag vernichtet sein, mit verheerenden Folgen. Nirgendwo sonst in Europa leben zudem auf engem Raum so viele Raubtiere, Wölfe, Bären und Luchse – alles Tiere, die Haustiere reißen oder reißen können. Meine Erwartung wurde angenehm enttäuscht ! Was ich bei meinen Recherchen erfuhr, stellte alle meine bisherigen Th esen auf den Kopf. Verlor ein Schäfer ein Schaf an die Wölfe, waren es nicht die Wölfe, die daran schuld waren, sondern der Schäfer, der nicht aufgepasst hatte. So jedenfalls erklärte man es mir. Ein besonders drastisches Beispiel für diese Einstellung erlebte ich, als zwei Waldarbeiter von einem Bär gerissen und getötet wurden. Ich dachte, jetzt würde es einen großen Aufstand geben und die ganze Dorfb evölkerung würde ausziehen, um den Bären zu töten. Doch nichts dergleichen geschah. Vielmehr machte man die beiden Männer selbst für ihr Unglück verantwortlich. Schließlich waren sie betrunken gewesen und mit einer Axt auf den Bären losgegangen. Die Bauern fanden, dass man den Bären für 32

dieses Unglück nicht verantwortlich machen könne. So viel Gerechtigkeitssinn verblüfft e mich. Und erstaunlich fand ich auch, wie wenig Angst die Menschen vor den Raubtieren im Wald hatten, insbesondere vor dem Wolf, von dem sie keinerlei Gefahr ausgehen sahen. Betrachten wir Darstellungen des Wolfes aus dem Mittelalter, erkennen wir ein ähnlich realistisches Bild, sodass man daran zweifeln muss, ob das uns so vertraute Bild (Wolf im Schafspelz !) allein aus jener Zeit stammt. Ich nehme an, dass der Wolf sein negatives Image – in seiner einseitigen Ausprägung – im 16. Jahrhundert erhalten hat, ein Tatbestand, auf den auch Gertrud Scherf in ihrem ausgezeichneten Buch »Wolfspuren in Bayern« hinweist. Es scheint in der Tat so zu sein, dass der Wolf erst zu Beginn der frühen Neuzeit, im Feudalismus, richtig »böse« gemacht wurde. Und der Hass auf den Wolf spitzte sich noch einmal im 17. und 18. Jahrhundert, in der Zeit des Absolutismus, zu. Eine Zeit, in der der Mensch dem Menschen wahrhaft ein Wolf war (homo homine lupus). Die Massen verelendeten in völliger Rechtlosigkeit, sie litten Hunger, Missernten häuft en sich, es kam zu Seuchen, eine marodierende Soldateska wuchs regelmäßig nach wie Unkraut auf dem Feld. Vor allem aber : Selten zuvor war der Unterschied zwischen Reich und Arm so groß und off ensichtlich wie in jenen Tagen. Die Notleidenden sahen ihr Los als Verhängnis mit vielen Gesichtern ; und ein elendes Grundgefühl macht empfäng- 33

kamen mir auf Forschungsreisen in Rumänien. Die Bauern<br />

in den Karpaten Rumäniens leben noch heute unter ganz<br />

ähnlichen ökonomischen Bedingungen, wie einst die Bauern<br />

Zentraleuropas im Mittelalter. Ihre Einstellung zum <strong>Wolf</strong><br />

hätte eigentlich voller Hass sein müssen – das zumindest<br />

erwartete ich –, leben die Familien doch oft nur von einer<br />

Kuh, ein paar Schafen <strong>und</strong> Ziegen sowie einigen Hühnern.<br />

Wenn da der <strong>Wolf</strong> nachts in den Stall oder die Gatter einbricht,<br />

kann die ganze Lebensgr<strong>und</strong>lage auf einen Schlag<br />

vernichtet sein, mit verheerenden Folgen. Nirgendwo sonst<br />

in Europa leben zudem auf engem Raum so viele Raubtiere,<br />

Wölfe, Bären <strong>und</strong> Luchse – alles Tiere, die Haustiere reißen<br />

oder reißen können.<br />

Meine Erwartung wurde angenehm enttäuscht ! Was ich<br />

bei meinen Recherchen erfuhr, stellte alle meine bisherigen<br />

Th esen auf den Kopf. Verlor ein Schäfer ein Schaf an die<br />

Wölfe, waren es nicht die Wölfe, die daran schuld waren,<br />

sondern der Schäfer, der nicht aufgepasst hatte. So jedenfalls<br />

erklärte man es mir.<br />

Ein besonders drastisches Beispiel für diese Einstellung<br />

erlebte ich, als zwei Waldarbeiter von einem Bär gerissen<br />

<strong>und</strong> getötet wurden. Ich dachte, jetzt würde es einen großen<br />

Aufstand geben <strong>und</strong> die ganze Dorfb evölkerung würde<br />

ausziehen, um den Bären zu töten. Doch nichts dergleichen<br />

geschah. Vielmehr machte man die beiden Männer<br />

selbst für ihr Unglück verantwortlich. Schließlich waren<br />

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losgegangen. Die Bauern fanden, dass man den Bären für<br />

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