Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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Meine Schwiegermutter überkam das große Mitleid, und sie schlug vor, Mädchen zu uns in die Wohnung zu nehmen. Ich war skeptisch, ließ mich aber schließlich überreden – unter der Bedingung, daß das Tier nur auf dem Boden liegen dürfe. Mädchen fand aber bald heraus, daß das Sofa im Wohnzimmer viel weicher und schöner war als der harte Boden. Ihre Sturheit wurde nur noch von meiner Ausdauer übertroff en ; immer wieder warf ich sie vom Sofa herunter. Meine Schwiegermutter war jedoch nicht so konsequent, und so schlief Mädchen bald in meiner Abwesenheit auf dem Sofa, und Schwiegermama saß daneben. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, daß von nun an die Bindung Mädchens an meine Schwiegermutter die an mich bei weitem übertraf. Eines Tages fand Mädchen heraus, daß es noch etwas Bequemeres gab als das Sofa, nämlich Schwiegermutters weich gefedertes Bett. Am Tag hatte ich Mädchen in das Gehege gesperrt. Es war Frühling, die Luft war warm, und der Schnee schmolz schnell. Am Abend rutschte dann die Schneelast vom Dach mit großem Gepolter in den Wolfszwinger hinein. Als ich später hinausging, um Mädchen wieder ins Haus zu bringen, war von ihr nichts mehr zu sehen. Ich dachte sofort an die Dachlawine. Ob Mädchen darunter begraben lag ? Gerade war eine Gruppe von Studenten angekommen, die ich gleich anstellte. Mit langen Stöcken stocherten wir wie richtige Lawinenretter in den Alpen jeden Quadratdezimeter ab ; nichts. Dann gruben wir überall tiefe Löcher in den nassen, schweren Schnee : 318

immer noch nichts. Um Mitternacht gaben wir schließlich auf. Erschöpft gingen wir ins Haus zurück – und fanden Mädchen schnarchend auf dem großen Federkissen im Bett meiner Schwiegermutter. Über die hohen Schneemassen der Dachlawine mußte sie durch das off ene Fenster eingestiegen sein. Die Türen standen off en, und so fand sie bald den weichsten und wärmsten Platz im ganzen Haus. Mädchen ließ sich von unserem Lachen kaum beirren. Nach kurzem Aufschauen schlief sie weiter und ließ sich später nur unter größtem Protest aus dem Bett vertreiben. Fortan war dieses Bett das Ziel all ihrer Sehnsüchte. Sie entwickelte geradezu erstaunliche Fähigkeiten, wieder dorthin zu gelangen, und nur zu oft mußten wir uns geschlagen geben. Was aber wäre gewesen, wenn wir zwei Wölfe mit ähnlicher Ortsbindung gehabt hätten ? Das ermittelte Maß ihrer gegenseitigen sozialen Bindung wäre nach der verwendeten Meßmethode sehr hoch gewesen. Wenn auch ein warmes Federbett nicht unbedingt der bevorzugte Ort normaler Wölfe ist, so zeigt diese Erfahrung doch, daß es bei Wölfen eine Ortsbindung geben kann, die dazu führt, daß die Tiere häufi g beisammen angetroff en werden, ohne daß ihre gegenseitige Bindung dieser Häufi gkeit entspricht. Diese Gefahr von Mißdeutung dürft e allerdings bei einer so mobilen Tierart wie dem Wolf, der ständig unterwegs ist, relativ klein sein. Nur bei den jungen Welpen ist eine wirkliche Ortsbindung an die Höhle und ihre Umgebung zu beobachten. Bei den Gehegewölfen waren ebenfalls gewisse Ortsbin- 319

Meine Schwiegermutter überkam das große Mitleid, <strong>und</strong><br />

sie schlug vor, Mädchen zu uns in die Wohnung zu nehmen.<br />

Ich war skeptisch, ließ mich aber schließlich überreden<br />

– unter der Bedingung, daß das Tier nur auf dem<br />

Boden liegen dürfe. Mädchen fand aber bald heraus, daß<br />

das Sofa im Wohnzimmer viel weicher <strong>und</strong> schöner war<br />

als der harte Boden. Ihre Sturheit wurde nur noch von<br />

meiner Ausdauer übertroff en ; immer wieder warf ich sie<br />

vom Sofa herunter. Meine Schwiegermutter war jedoch<br />

nicht so konsequent, <strong>und</strong> so schlief Mädchen bald in meiner<br />

Abwesenheit auf dem Sofa, <strong>und</strong> Schwiegermama saß<br />

daneben. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, daß von nun<br />

an die Bindung Mädchens an meine Schwiegermutter die<br />

an mich bei weitem übertraf.<br />

Eines Tages fand Mädchen heraus, daß es noch etwas<br />

Bequemeres gab als das Sofa, nämlich Schwiegermutters<br />

weich gefedertes Bett. Am Tag hatte ich Mädchen in das<br />

Gehege gesperrt. Es war Frühling, die Luft war warm, <strong>und</strong><br />

der Schnee schmolz schnell. Am Abend rutschte dann die<br />

Schneelast vom Dach mit großem Gepolter in den <strong>Wolf</strong>szwinger<br />

hinein. Als ich später hinausging, um Mädchen<br />

wieder ins Haus zu bringen, war von ihr nichts mehr zu<br />

sehen. Ich dachte sofort an die Dachlawine. Ob Mädchen<br />

darunter begraben lag ? Gerade war eine Gruppe von Studenten<br />

angekommen, die ich gleich anstellte. Mit langen<br />

Stöcken stocherten wir wie richtige Lawinenretter in den<br />

Alpen jeden Quadratdezimeter ab ; nichts. Dann gruben<br />

wir überall tiefe Löcher in den nassen, schweren Schnee :<br />

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