Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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wie nach hinten mit dem Stock um mich schlagen, damit keiner von beiden mich anspringen konnte. Auch mir standen wahrlich »die Haare zu Berge«. Allmählich aber wich meine Angst der Wut über die, wie mir in diesen Augenblicken schien, undankbare Anmaßung der Wölfe. Daß meine Stellung im Rudel nicht wesentlich anders zu bewerten war als die jedes anderen Rudelmitglieds – diese Zusammenhänge hatte ich schließlich lange genug studiert –, daran dachte ich jetzt nicht, auch nicht daran, daß meine Stellung ja nicht allmächtig war. Ich hatte nur noch Wut im Bauch. Da traf mein Stock den Schädel von Mädchen. Sie fi el sofort bewußtlos um. Doch Wölfchen griff weiter an, bis auch ihn ein harter Schlag auf den Schädel traf. Er ging jedoch nicht zu Boden, sondern torkelte nur etwas, gerade lange genug für mich, um die rettende Tribüne zu erreichen, der wir uns, immerzu im Kreis herumwirbelnd, genähert hatten. Von hier aus sah ich, daß Mädchen langsam wieder aufstand und Wölfchen weiterhin wütend auf die Tribüne hinaufzuspringen versuchte. Die inzwischen zahlreichen Besucher und auch meine Freunde waren alle stumm vor Entsetzen. So hatten sie das Verhalten der Wölfe von mir in den letzten Jahren nicht geschildert bekommen. Eher entsprach das Erlebte dem alten Bild aus den Märchen. Ich kam mir vor, als stünde ich nicht wie ein gerade dem Tode entronnener Held vor ihnen, sondern als ertappter Lügner. Doch wie schon gesagt, und dies mußte ich mir dann auch selber sofort bestätigen : Hier handelte es sich nicht 252

um den Angriff eines Wolfes auf den Menschen als Feind oder Beute, sondern um einen Kampf um soziale Vormacht. Und die gewinnt, wie wir noch sehen werden, für jeden Wolf im Rudel irgendwann eine alles bestimmende Bedeutung. Wölfchen und Mädchen hatten dieses Stadium jetzt erreicht. Da ich gefl üchtet war, schien von nun an der Alpha- Rüde uneingeschränkt im Rudel zu herrschen. Doch gleich am nächsten Morgen, als oben auf der Tribüne noch lange niemand zu erwarten war, ging ich ins Gehege zurück, mit einem Stock wiederum wohl bewaff net. Die Aversion der beiden Alphas mir gegenüber war nicht geringer als tags zuvor ; ihr Respekt jedoch, wohl im Einklang mit dem dröhnenden Schädel, war deutlich gestiegen. So blieb unser Verhältnis den Winter über gespannt, äußerst gespannt sogar. Aber man ging sich aus dem Weg. Erst zur Ranzzeit, im Spätwinter, beruhigte sich die Situation. Doch da war zumindest für Mädchen die Zeit ihrer Vorherrschaft im Rudel ohnehin vorbei. Denn Finsterau, ihre jetzt bald zwei Jahre alte »Stieft ochter«, stand an, die führende Stellung für sich zu beanspruchen. Finsteraus Aufstieg Angefangen hatte Mädchens Abstieg wohl schon im Winter zuvor. Während Wölfchen als souveräner Alpha-Rüde weiterhin recht tolerant seine Herrschaft im Rudel behauptete, wurde Mädchen zunehmend aggressiver gegen eines nach 253

wie nach hinten mit dem Stock um mich schlagen, damit<br />

keiner von beiden mich anspringen konnte. Auch mir standen<br />

wahrlich »die Haare zu Berge«.<br />

Allmählich aber wich meine Angst der Wut über die, wie<br />

mir in diesen Augenblicken schien, <strong>und</strong>ankbare Anmaßung<br />

der Wölfe. Daß meine Stellung im Rudel nicht wesentlich<br />

anders zu bewerten war als die jedes anderen Rudelmitglieds<br />

– diese Zusammenhänge hatte ich schließlich lange genug<br />

studiert –, daran dachte ich jetzt nicht, auch nicht daran,<br />

daß meine Stellung ja nicht allmächtig war. Ich hatte nur<br />

noch Wut im Bauch. Da traf mein Stock den Schädel von<br />

Mädchen. Sie fi el sofort bewußtlos um. Doch Wölfchen griff<br />

weiter an, bis auch ihn ein harter Schlag auf den Schädel<br />

traf. Er ging jedoch nicht zu Boden, sondern torkelte nur<br />

etwas, gerade lange genug für mich, um die rettende Tribüne<br />

zu erreichen, der wir uns, immerzu im Kreis herumwirbelnd,<br />

genähert hatten. Von hier aus sah ich, daß Mädchen<br />

langsam wieder aufstand <strong>und</strong> Wölfchen weiterhin<br />

wütend auf die Tribüne hinaufzuspringen versuchte. Die<br />

inzwischen zahlreichen Besucher <strong>und</strong> auch meine Fre<strong>und</strong>e<br />

waren alle stumm vor Entsetzen. So hatten sie das <strong>Verhalten</strong><br />

der Wölfe von mir in den letzten Jahren nicht geschildert<br />

bekommen. Eher entsprach das Erlebte dem alten Bild<br />

aus den Märchen. Ich kam mir vor, als stünde ich nicht wie<br />

ein gerade dem Tode entronnener Held vor ihnen, sondern<br />

als ertappter Lügner.<br />

Doch wie schon gesagt, <strong>und</strong> dies mußte ich mir dann<br />

auch selber sofort bestätigen : Hier handelte es sich nicht<br />

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