Der Wolf Verhalten, Ökologie und Mythos

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09.12.2012 Aufrufe

ßen konnten. Bald waren sie natürlich auch viel schneller als ich. Doch es gab einen Trick, sie trotzdem einzuholen : Beim Hinterherrennen schrie ich laut und schmiß die Ketten nach ihnen, und manchmal traf ich sogar. Sie drückten sich sofort zu Boden und blieben unterwürfi g auf dem Rücken liegen. Das, glaube ich, war der einzige »Befehl«, den ich jemals den Wölfen habe beibringen können. Alle sonstigen Versuche mit »Komm !« oder »Sitz !« und ähnlichem schlugen völlig fehl. In all diesen Jahren haben mir aber wenigstens dieses brüllende Hinterherrennen und die ängstliche Reaktion der Welpen daraufgeholfen, immer wieder ein neuerliches Weglaufen zu verhindern. Den ganzen Sommer über gab es so bei den Wanderungen eigentlich keine größeren Schwierigkeiten. Natürlich, einige Spaziergänger und nichtsahnende Schwammerl sucher waren manchmal etwas erschrocken, aber nie mehr als die Wölfe selber. Auch die Jäger wurden mit der Zeit leicht unruhig. Sie behaupteten, die Hirsche würden nicht über eine Wolfsspur wechseln und seien damit in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Nach dem ersten Schneefall im späten Herbst konnte ich ihnen aber beweisen, daß dem nicht so ist. Ich ging am Abend mit allen fünf Wölfen, jetzt angekettet, um den ganzen Wald. Am nächsten Morgen zählten wir die Hirsch- und Rehfährten, welche die breite Spur des Wolfsrudels kreuzten. Es waren nicht weniger als sonst ohne Wolfsspuren. Das Gebiet, in dem ich mit den Wölfen umherwanderte, 194

gehörte zum größten Teil zur Ricklinger Gemeindejagd. Die Bauern, die mitjagten, kannte ich, und ich kam recht gut mit ihnen aus. Ich glaube, sie haben auch ihre Freude an den Wölfen gehabt. Nur ein Mitpächter aus Kiel war wohl etwas ungehalten. Vielleicht hatte er aus seiner Sicht noch nicht einmal ganz unrecht. Im späten Herbst wurden die jetzt fast wie ausgewachsene Tiere aussehenden Jungwölfe immer selbständiger. Sie begannen, sich auch einzeln von Anfa und mir sowie den anderen Welpen zu entfernen. Solange wir zügig in einer Richtung gingen, hielten sie noch zusammen. Aber blieben wir stehen oder liefen wir gar zur Försterei zurück, wurde ihre Tendenz, auf eigene Faust loszurennen, immer größer. Stundenlang mußte ich sie manchmal suchen. Als mir das dann zu dumm wurde, verband ich entweder alle vier oder jeweils zwei Tiere mit einer langen Kette und ließ sie dann wieder laufen. Irgendeinmal kam sicher ein Baum, an dem der eine auf der einen, der andere auf der anderen Seite vorbeigehen wollte. Das war natürlich keine befriedigende Lösung. Inzwischen waren die Welpen, nach einem langen, friedlichen Sommer, deutlich rauhbeiniger geworden. Jeder hatte jetzt eine deutliche Individualdistanz, die sich dadurch äußerte, daß ein anderer Wolf nur in freundlicher oder spielerischer Absicht bis auf Körpernähe herankommen durft e ; sonst wurde auf der Stelle aggressiv protestiert. Unter »Individualdistanz« verstehen wir in der Verhaltensforschung die Distanz zwischen zwei Tieren, die in nor- 195

gehörte zum größten Teil zur Ricklinger Gemeindejagd.<br />

Die Bauern, die mitjagten, kannte ich, <strong>und</strong> ich kam recht<br />

gut mit ihnen aus. Ich glaube, sie haben auch ihre Freude<br />

an den Wölfen gehabt. Nur ein Mitpächter aus Kiel war<br />

wohl etwas ungehalten.<br />

Vielleicht hatte er aus seiner Sicht noch nicht einmal<br />

ganz unrecht. Im späten Herbst wurden die jetzt fast wie<br />

ausgewachsene Tiere aussehenden Jungwölfe immer selbständiger.<br />

Sie begannen, sich auch einzeln von Anfa <strong>und</strong><br />

mir sowie den anderen Welpen zu entfernen. Solange wir<br />

zügig in einer Richtung gingen, hielten sie noch zusammen.<br />

Aber blieben wir stehen oder liefen wir gar zur Försterei<br />

zurück, wurde ihre Tendenz, auf eigene Faust loszurennen,<br />

immer größer. St<strong>und</strong>enlang mußte ich sie manchmal<br />

suchen. Als mir das dann zu dumm wurde, verband<br />

ich entweder alle vier oder jeweils zwei Tiere mit einer langen<br />

Kette <strong>und</strong> ließ sie dann wieder laufen. Irgendeinmal<br />

kam sicher ein Baum, an dem der eine auf der einen, der<br />

andere auf der anderen Seite vorbeigehen wollte.<br />

Das war natürlich keine befriedigende Lösung. Inzwischen<br />

waren die Welpen, nach einem langen, friedlichen<br />

Sommer, deutlich rauhbeiniger geworden. Jeder hatte jetzt<br />

eine deutliche Individualdistanz, die sich dadurch äußerte,<br />

daß ein anderer <strong>Wolf</strong> nur in fre<strong>und</strong>licher oder spielerischer<br />

Absicht bis auf Körpernähe herankommen durft e ; sonst<br />

wurde auf der Stelle aggressiv protestiert.<br />

Unter »Individualdistanz« verstehen wir in der <strong>Verhalten</strong>sforschung<br />

die Distanz zwischen zwei Tieren, die in nor-<br />

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