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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Für das pflegerische Handeln ist aufschlussreich, wie Mead (s. 2001a: 27f) zwischen Emotion und Interesse unterscheidet<br />

und deren Stellung innerhalb <strong>des</strong> menschlichen Handelns untersucht. Interesse zeigt sich für ihn darin,<br />

dass einer Sache nachgegangen wird, bzw. dass ein Ziel verfolgt wird. Im Gegensatz dazu sind für Emotionen,<br />

mit Ausnahme von Angst und Furcht, das unmittelbare Greifen nach etwas und die Freude über das Erlangen<br />

eines ersehnten Objekts charakteristisch. Das Bewusstsein ist Mead zufolge in allen überwiegend leidenschaftlichen<br />

Handlungen mit der Emotion beschäftigt, wobei sich die jeweilige Aktivität reflexartigen Handlungen<br />

nähert. In diesen Situationen reagiert die Emotion auf die unmittelbare Präsenz und die Inbesitznahme <strong>des</strong><br />

erstrebten Objektes – eine Aneignung, die vermittels instinktiver Prozesse stattfindet, die nicht im Bewusstsein<br />

präsent sind 29 . Wenn hingegen die Handlung das Mittel darstellt, um etwas intentional zu erreichen, d.h. um zu<br />

einem Ziel zu gelangen, dann ist die emotionale Seite der Handlung im Interesse zu finden. Bei Interesse gilt es<br />

räumliche, zeitliche und andere Hindernisse, die zwischen dem Individuum und dem ersehnten Objekt liegen,<br />

bewusst zu überwinden. Werden menschliche Handlungsweisen auf ihren biologischen Ursprung <strong>zur</strong>ückgeführt,<br />

dann finden wir diesen zum einen in dem unmittelbaren Aufwenden von Energie für etwas, d.h. in einem Nachgehen<br />

nach den Objekten, und zum anderen in ihrer unmittelbaren Inbesitznahme (Mead 2001a: 28). Für Mead<br />

drückt sich menschliche Intelligenz bzw. menschliches Denken in den Bewegungen auf ein gesuchtes Objekt hin<br />

aus und nicht in <strong>des</strong>sen Inbesitznahme. Werden die damit verbundenen Prozesse vom Standpunkt der Entwicklungsgeschichte<br />

betrachtet, dann ist die Inbesitznahme weniger komplex als die Prozesse, die in das Erlangen <strong>des</strong><br />

begehrten Objekts involviert sind. Zudem, so Mead (2001a: 28), entsteht die Organisation und Entwicklung von<br />

Objekten durch die Entwicklung der Mittel (Werkzeuge) zu ihrem Erlangen, die von den Mitteln der Inbesitznahme<br />

abstrahiert wurden. In diesem Entwicklungsprozess kommt der Hand eine zentrale Rolle zu 30 . Beide Aspekte<br />

sind für das auf sich selbst oder auf Andere bezogene pflegerische Handeln von Bedeutung. Zur Herausarbeitung<br />

der Bedeutung der Emotionen in der Pflege ist die Definition von Denzin (zitiert in Lin<strong>des</strong>mith 1999:<br />

134) hilfreich. Er sieht hier<br />

„verkörperte Selbstgefühle, die in emotionalen sozialen Handlungen entstehen, die auf sich selbst oder auf<br />

andere Menschen bezogen sind“.<br />

Mit Blick auf den sozialen Prozess, in dem Emotionen bzw. Gefühle entstehen, beobachten Lin<strong>des</strong>mith et al.<br />

(1999: 134):<br />

1. ein Gespür für ein Gefühl im Sinne eines Bewusstseins <strong>des</strong>selben<br />

2. das Gespür eines Selbstgefühls für ein Gefühl<br />

3. einen Satz von Selbstgefühlen (z.B. Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Scham etc.).<br />

Darüber hinaus unterscheiden sie vier Typen von Emotionen:<br />

1. Empfindungen <strong>des</strong> lebendigen Körpers wie Schmerz<br />

2. Gefühle <strong>des</strong> lebendigen Körpers wie Kummer / Leid, Verzweiflung, Glück, Ärger / Wut<br />

3. Intentionale, wertbesetzte Gefühle: Gefühle, die wir intendieren oder in einer Situation fühlen wollen,<br />

die aber nicht die aktuell erlebten Gefühle einer Erfahrung sind. Es sind Gefühle in Bezug auf Gefühle.<br />

29<br />

Z.B. wenn das Kind nach der Brustwarze sucht oder einfach nach Hautkontakt.<br />

30<br />

Mead (2001a: 29) beschreibt die mit dem qualitativen Umschwung verbundenen Entwicklungsprozesse von Emotion zu<br />

Interesse aus der Perspektive der Fortbewegung und aus der der Sinne. Was letztere betrifft, bieten die Distanzsinne, die das<br />

unverzüglich in Besitz genommene Objekt freilegen, insofern sie lediglich die Prozesse der Hand vemitteln, weder Anlass für<br />

eine Analyse noch regen sie das Denken in Bezug auf das an, was zwischen uns und dem gesuchten Objekt liegt. Anders<br />

formuliert, „solange die aktuellen Kontaktwerte (contact value) für unser Bewusstsein sich in der Fortbewegung und unmittelbaren<br />

Inbesitznahme erschöpfen, drückt sich darin vergleichsweise wenig Denken/Intelligenz aus. Wenn sie jedoch selbst<br />

zu Mitteln werden, entferntere und schwierigere Ziele zu erreichen, dann werden sie zu dem, worin sich vorzugsweise Denken/Intelligenz<br />

ausdrückt. Und schließlich wird das Denken nach Lage der Dinge nicht nur über das Aneignen, sondern über<br />

das Bestimmen der Existenz der gesuchten Objekte kontrolliert, so dass die höchste Form der Intelligenz zum Vorschein<br />

kommen kann. Hierzu muss der Kontakt mit dem Objekt in einem Kontakt mit der Umwelt entwickelt werden, aus der das<br />

Objekt entspringt und die dieses bestimmt. Wir haben es somit mit einer konstanten Abfolge von Entwicklungen von Kontaktprozessen<br />

zu tun, die von Inbesitznahmen zu dem werden, was ausschlaggebend für das Aufkommen <strong>des</strong> gewünschten<br />

Objekts wird, und demzufolge muss in diesem Fall eine Entwicklung stattfinden, wobei das, was vorher die emotionale Seite,<br />

in erster Linie die leidenschaftliche Seite war, in diejenige Seite umschlägt, die durch Interesse charakterisiert ist. […] Die<br />

Vorlieben/Leidenschaften der einen Periode werden zu Reservoires der Intereressen der darauffolgenden Perioden“.<br />

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