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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

(die engere und weitere Familie, das soziale Netz) und dem sich entwickelnden Lebewesen zu sehen. Dieses<br />

Umfeld repräsentiert den sozialen Lebensprozess und bietet die Chance <strong>zur</strong> Entwicklung (s. Mead 2001a: 85f).<br />

Für Mead ergeben sich aus seiner Theorie, wonach der Entwicklung <strong>des</strong> menschlichen Bewusstseins wichtige<br />

soziale Instinkte zugrunde liegen, zwei Implikationen. Erstens halten soziale Instinkte den Inhalt und die Form<br />

einer Gruppe von sozialen Objekten bereit. Nach Mead (2001a: 12) wird ein Objekt unseres Bewusstseins – etwa<br />

eine spezifische Form von Pflegehandeln - zum einen durch seinen Inhalt charakterisiert, für den das Individuum<br />

als Stimulus empfänglich ist, und zum anderen durch eine Reaktionshaltung gegenüber dieser spezifischen Art<br />

von Inhalt. In unserer Erfahrung verfügen wir zumin<strong>des</strong>t implizit über diesen gefühlsmäßigen Bewusstseinsinhalt<br />

und unsere Haltung zu ihm. Weiter bedeutet dies, dass unsere bewusste Wahrnehmung implizit sowohl den<br />

Inhalt als auch die Bedeutung eines Objekts einbezieht. Mit anderen Worten beinhaltet es sowohl die reine sinnliche<br />

Wahrnehmung, als auch die begriffliche Erkennung (das konnotierte Konzept). Die Annahme einer organisierten<br />

Gruppe von sozialen Instinkten impliziert die These, das im unentwickelten menschlichen Bewusstsein<br />

sowohl der Stoff wie die Form sozialer Objekte gegenwärtig ist (GA I: 203f), eine Annahme, die durch Erkenntnisse<br />

der Psychoanalyse 27 und der Sozialpsychologie, aber auch durch neuere Forschungsarbeiten gestützt wird<br />

(s. bspw. Stein 2003, Rochat 2007, 2008).<br />

Zweitens präsentieren soziale Instinkte bestimmte Haltungen und Bewegungen eines Lebewesens für ein anderes<br />

Lebewesen. Sie bilden Stimuli und rufen bei letzterem gewisse Reaktionsformen hervor. Diese Reaktionsformen<br />

unterscheiden sich je nachdem, ob z.B. der Kampfinstinkt angesprochen wird oder ob es sich um die elterliche<br />

Pflege handelt. Die Reaktions- bzw. Handlungsweisen orientieren sich am jeweiligen Stimulus und fallen somit<br />

höchst unterschiedlich aus. Offen bleibt zunächst, ob ein solches Handeln als Imitation zu verstehen ist, und worin<br />

die Bedingungen für ein solches imitieren<strong>des</strong> Handeln zu sehen sind. Für Mead (2001a: 14) ist Imitation nur<br />

vor dem Hintergrund eines Bewusstseins von anderen Selbsten 28 verstehbar, d.h. von einem sozialen Bewusstsein.<br />

Das wichtigste Merkmal der sozialen Organisation <strong>des</strong> Handelns durch Instinkte besteht für Mead (2001a:<br />

14f, GA I: 206) weniger darin, dass ein Mensch das Gleiche tut, was ein anderer Mensch getan hat, sondern darin,<br />

„dass das Handeln eines Lebewesen einem anderen Lebewesen als Stimulus zu einer bestimmten Handlung<br />

dient, dass diese Handlung ihrerseits jenes erste Lebewesen zu einer bestimmten Reaktion reizt und dass<br />

sich dieses in unablässiger Interaktion fortsetzt. […]“ (Mead 2001a: 14).<br />

Mead (2001a: 15; GA I: 207) plädiert für eine Weiterentwicklung <strong>des</strong> zu seiner Zeit vorhandenen Verständnisses<br />

der Vorstellungen von ‚Imitation’ in Richtung einer<br />

„Theorie sozialer Stimulationen und Reaktionen sowie sozialer Situationen, die diese Stimulationen und<br />

Reaktionen erzeugen“.<br />

In diese Richtung weisen neuere Arbeiten, die sich mit der Entwicklung von Neugeborenen und Kindern befassen<br />

(s. bspw. Meltzoff 2007, Rochat 2008).<br />

Mit Blick auf die Herausbildung eines zunächst emotionalen und dann sozialen Bewusstseins, aber auch mit<br />

Blick auf die Gestaltung pflegerischer Situationen ist die Betrachtung <strong>des</strong> Hervorrufens und Ausdrückens von<br />

27<br />

Joas (1992a: 240f) nennt hier Donald W. Winnicott. Auch Honneth (2003: 151) zieht diesen Vergleich. Robin Das und E.<br />

Doyle McCarthy (1992:) haben Meads Arbeit mit der von Winnicott verglichen. Sie heben hervor, dass Mead sich weniger<br />

mit Emotionen auseinandergesetzt hat. Die Aussagen dieser AutorInnen müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass<br />

sie die frühen, erst 2001 veröffentlichen Arbeiten Meads nicht kannten oder <strong>zur</strong> Kenntnis nehmen.<br />

28<br />

Dieses Bewusstsein findet anfänglich auf einer propriozeptiven Ebene statt (Meltzoff 2007: 37). Er berichtet von Experimenten<br />

mit Kindern unterschiedlichen Alters (wenige Wochen alt, mehrere Monate bis 2 Jahre alt). Hier zeigte sich, dass<br />

Kinder aus Beobachtung lernen, aber dass das, was sie lernen je nach Alter variiert. Weiter unterstreicht er die Zielgerichtetheit<br />

bei der Imitation und dass Kinder, wie Untersuchungen zeigen, hierbei auf andere Menschen angewiesen sind.<br />

78

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