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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

satz 20 untersucht Mead (s. 2001a: 73ff) das Verhältnis von embryonaler Entwicklung und der Bildung <strong>des</strong> Menschen.<br />

Er beschäftigt sich mit der Funktion der ‚Gebärmutter’, günstige Rahmenbedingungen für die Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Fötus bereitzuhalten, und vergleicht diese Funktion mit der Aufgabe, die die Familie und die Gesellschaft<br />

in Bezug auf das Neugeborene haben. Beide haben die Aufgabe, günstige Bedingungen für die Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, d.h. für die ablaufenden Entwicklungsprozesse bereitzustellen 21 . In diesem Zusammenhang<br />

kommt dem Pflegehandeln der Bezugspersonen eine wichtige Rolle zu. Durch dieses Handeln nehmen sie Einfluss<br />

auf die allgemeine Entwicklung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und vor allem auf die Entwicklung seines emotionalen Bewusstseins.<br />

Dieses Bewusstsein geht nach Mead der Entwicklung <strong>des</strong> Selbst voraus. Es gehört zu den Anfängen<br />

<strong>des</strong> reflexiven Prozesses. Es entsteht vor der Möglichkeit <strong>des</strong> Denkens oder <strong>des</strong> reflexiven Handelns. In diesem<br />

Zusammenhang weist Mead den instinktiven bzw. impulsiven Verhaltensweisen <strong>des</strong> Menschen bei der Herausbildung<br />

ihres Selbst eine wichtige Rolle zu. Instinktives Verhalten und Handeln sind für ihn durch und durch sozialer<br />

Natur. Er begreift dieses Verhalten als ein durch die Bewegungen anderer Menschen vermitteltes Verhalten,<br />

an dem wir unsere eigenen Bewegungen instinktiv ausrichten. Diese Definition impliziert nicht notwendigerweise<br />

bereits das Vorhandensein <strong>des</strong> Menschen als soziales Objekt, sondern meint, dass unter einem sozialen<br />

Instinkt eine wohl definierte Handlungstendenz zu verstehen ist, die durch die Stimulation eines artgleichen Individuums<br />

ausgelöst wird. Er schreibt:<br />

„Wenn selbstbewusstes Handeln aus kontrollierten und organisierten Antrieben entsteht, wenn diese Antriebe<br />

ihrerseits auf soziale Instinkte <strong>zur</strong>ückgehen und wenn schließlich die Reaktionen auf soziale Reize ihrerseits<br />

eine Reizwirkung auf entsprechende soziale Handlungen bei Anderen ausüben, dann vollzieht sich offensichtlich<br />

menschliches Handeln von Beginn seiner Entwicklung an in einem sozialem Medium.“ (Mead<br />

2001a: 12/ GA I: 203)<br />

Instinktive Verhaltensweisen können bei Neugeborenen von Geburt an beobachtet werden, d.h. bei ihren frühesten<br />

Verhaltensabstimmungen auf die Bewegungen der sie umsorgenden Menschen 22 , d.h. der Mutter, <strong>des</strong> Vaters<br />

oder anderer Personen wie etwa Pflegekräfte (s. Mead 2001a: 3). Mead interessierte sich dafür, welche Funktion<br />

den emotionalen Ausdrucksweisen im Prozess <strong>des</strong> sozial vermittelten Handelns und bei der Entstehung sozialer<br />

20<br />

Dieser Artikel stammt aus einem unveröffentlichten Buch Meads, <strong>des</strong>sen Druckfahnen sich in einem Container <strong>des</strong> Meadschen<br />

Nachlasses, Serie III, befunden haben und die seine Schwiegertochter Dr. Irene Tufts Mead dem Department of Special<br />

Collections der Regenstein Library der <strong>Universität</strong> Chicago vermacht hat. Von 18 Kapiteln sind neun bisher nie veröffentlicht<br />

worden, eines der neun veröffentlichten Kapitel war offenbar stark überarbeitet worden. Dieses Buchmanuskript war<br />

laut Archivar mit dem Titel ‚Essays on Psychology’ bezeichnet. Es wurde 2001 von Mary Jo Deegan unter diesem Titel veröffentlicht.<br />

Die Bezugnahme wird im laufenden Text mit Mead 2001a und der Seitenzahl kenntlich gemacht. Laut Deegan<br />

(2001a: XIf) ist das Jahr der Entstehung <strong>des</strong> Manuskripts unsicher. Das auf die Druckfahnen gedruckte Datum ist November<br />

1910. Insbesondere die ersten Kapitel dieses Buchs weisen laut Deegan (2001a: xiii) und Filipe Carreira da Silva (2008: 140)<br />

Mead als jemanden aus, der sich schon früh mit Emotionen befasst hat, ein Thema welches in seinen späteren Arbeiten weniger<br />

zum Vorschein kommt. Dies ist auch der Tenor von Lloyd Gordon Ward/ Robert Throop (1989), die darstellen, wie Mead<br />

schon früh Deweys Vorstellungen zu Emotionen (Dewey 1894,1895) beginnend mit seinem 1895 erschienen Artikel ‚A Theory<br />

of Emotions from the Physiological Standpoint‘aufgreift und an die hier entwickelten Gedanken in Folgeartikeln/Arbeiten<br />

anknüpft. Meads Vorstellungen zu Emotionen und ihre Bedeutung beim Handeln finden sich verstreut in seinen<br />

Arbeiten, wovon viele erst in den letzten Jahren öffentlich zugänglich wurden. So bin ich erst in einem späten Stadium<br />

dieser Arbeit auf Meads ‚Philosophie der Erziehung‘ (= PE) aufmerksam geworden, die 2008 von Daniel Tröhler und Gert<br />

Biesta herausgegeben worden ist und in der sich wichtige entwicklungsgeschichtliche Aussagen zum Thema finden.<br />

21<br />

Mead (2001a: 78f) befasst sich in diesem Aufsatz vor allem mit drei Entwicklungsprozessen, mit der physiologischen/biologischen<br />

Entwicklung, mit der Entwicklung <strong>des</strong> Sexualsystems bis zum Zeitpunkt der Adoleszenz und mit der<br />

geistigen Entwicklung (Intelligenz) oder physiologisch betrachtet, mit dem Wachstum der Gehirnkoordination. Diese Entwicklungsprozesse<br />

sieht er im Kontext von Lebensprozessen, da das Leben als Ganzes auf das sich entwickelnde Kind bzw.<br />

auf den Menschen einwirkt. Dass ein solcher Vergleich nicht abwegig ist, zeigen neuere Studien <strong>zur</strong> Säuglingsforschung. So<br />

haben sich Als/Butler (2008) mit der Frage auseinandergesetzt, wie durch eine entwicklungsbezogene Pflege im NIDCAP-<br />

Modell (Newborn Individualized Developmental Care and Assessment Program) die frühe Gehirnentwicklung, die funktionelle<br />

Kompetenz sowie die Lebensqualität von frühgeborenen Säuglingen und ihren Familien verbessert werden kann.<br />

22<br />

Mead hat sich in der Zeit, als sein Sohn aufwuchs, intensiv mit Fragen der Kindheit, Erziehung von Kindern und Elternschaft<br />

auseinandergesetzt (s. Deegan 2001a: XIV, Deegan 2001b: XIXff). Mead hat das Aufziehen von Kindern in seinen<br />

Arbeiten überwiegend als etwas von beiden Eltern zu Leisten<strong>des</strong> beschrieben. Er spricht in diesem Zusammenhang gerne von<br />

der ‚parental form’.<br />

75

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