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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

von Individuen zu unterscheiden. Sie können einem Menschen im Rahmen sozialer Prozesse von außen aufgenötigt<br />

werden (z.B. gender identities) oder auch von innen kommen. Im letzteren Fall werden sie gerne als Selbstkonzeptionen<br />

bezeichnet. Identitäten sind innerhalb der verschiedenen Spielarten <strong>des</strong> Selbst (moralisches Selbst,<br />

phänomenologisches Selbst, interaktionales Selbst, Selbst als linguistischer, emotionaler und symbolischer Prozess,<br />

materielles Selbst, ideologisches Selbst etc.) und Kollektionen dieser Selbste verschachtelt und sind Ausdruck<br />

von deren Qualitäten. Der Begriff ‚Selbst’ verweist nach Lin<strong>des</strong>mith et al. (1999: 218) auf den Menschen<br />

als reflexives, die menschliche Sprache nutzen<strong>des</strong> Wesen, wobei Sprache hier im weitesten Sinn zu verstehen ist.<br />

Das Selbst verweist auf allgemeine menschliche Strukturen und Identitäten, die gegeben sein können oder nicht,<br />

die von ihm verschieden sein können oder ihm innewohnen. Identität bezeichnet die Verschiedenheit von Menschen,<br />

die auf die interpretative Bedeutung verweist, die den verschiedenen Identitäten zugewiesen wird. Hierbei<br />

wird zwischen sozialer und personaler Identität differenziert. Letztere verweist auf die spezifischen biographischen<br />

Details eines Menschen, wohingegen soziale Identitäten sich auf sog. ‚Marker’ oder ‚Etiketten’ wie Alter,<br />

Rasse, Ethnizität und Geschlecht stützen. An anderer Stelle definieren sie Identitäten als soziale Kategorien<br />

durch die sich Menschen verorten und sich Sinn zuschreiben können (ebenda 304). In seinem Buch ‚Spiegel und<br />

Masken’ benutzt Strauss 16 (1997/1974) den Begriff ‚Identität’ im Zusammenhang mit Prozessen <strong>des</strong> Benennens,<br />

Klassifizierens und Selbstbewertens sowie der Identitätstransformation. Der Akt <strong>des</strong> Benennens und Klassifizierens<br />

ist für die ‚Identifikation mit etwas‘ essentiell (s. Strauss 1997: 21). Es scheint vereinzelt durch, dass er<br />

hiermit eher auf das ‚Me’ als auf das ‚self’ verweist. Zusammengefasst haben Menschen nicht ‚eine‘, sondern<br />

entsprechend ihrer sozialen Zusammenhänge, Rollen und Funktionen zahlreiche Identitäten. Identitäten sind<br />

konstitutive Aspekte <strong>des</strong> Selbst, aber nicht das Selbst schlechthin.<br />

3.2.1 SOZIALE BEZIEHUNGEN ALS BEDINGUNG UND VORAUSSETZUNG DER ENTSTEHUNG VON<br />

SELBST, SELBSTKONZEPT UND KÖRPERBILD<br />

In Anlehnung an Mead (GIG: 177/ MSS: 135) ist die Entstehung <strong>des</strong> Selbst aus der sozialen Handlung heraus zu<br />

begreifen, an der wenigstens zwei Menschen beteiligt sind. Die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen, sich selbst als Objekt<br />

innerhalb <strong>des</strong> Bereichs der eigenen Erfahrungen wahrzunehmen, hängt wie die Fähigkeit zu denken von den Beziehungen<br />

<strong>des</strong> Menschen zu den drei Systemen der Realität ab: dem anorganischen, dem organischen und dem<br />

sozialen System (s. McCarthy 1984: 106). Der Mensch und die Vorstellungen, die er von sich und seinen Möglichkeiten<br />

hat, sind ebenso wie sein Handeln aus seiner Eingebundenheit in ein Netz verschiedenartiger sozialer<br />

Beziehungen innerhalb dieser drei Systeme zu verstehen. Bei Mead ist die Herausbildung <strong>des</strong> Selbst und damit<br />

zusammenhängender Konzepte an die Entwicklung <strong>des</strong> menschlichen Organismus und an die Sprache gebunden,<br />

womit das gesamte menschliche Zeichen- und Symbolsystem gemeint ist. Für die Pflege sind Meads Vorstellungen<br />

<strong>des</strong>halb so attraktiv, weil nach seinem Verständnis menschlicher Handlungsweisen deren biologische Aspekte<br />

mit den Aspekten eines sozial selbstbewusst handelnden Menschen verbunden und in diese integriert sind. So<br />

leitet sich für ihn die menschliche Handlungsfähigkeit ganz allgemein aus sozialen Instinkten bzw. Impulsen 17<br />

ab. Bei der Klärung der Frage, welche Gruppen von Impulsen das biologische Individuum ausmachen, kommt er<br />

16<br />

Ursprünglich sollte das Buch ‚An Essay on Identification’ heißen. Auf Vorschlag <strong>des</strong> Verlegers wurde es unter dem Titel<br />

‚Mirrors and Masks’ veröffentlicht. Strauss ging es darum, den Zusammenhang zwischen individuellen Identitäten und kollektiven<br />

Identitäten aufzuzeigen sowie zwischen sozialer Struktur und Interaktion (s. Strauss 1997: 7). Die deutsche Ausgabe<br />

erschien 1974 unter dem Titel Spiegel und Masken. Die Suche nach Identität. Ich beziehe primär auf die englische Ausgabe.<br />

17<br />

An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass Mead (MSS: 347ff; GIG: 397ff) zwischen einem biologischen und einem<br />

sozial selbstbewussten Individuum differenziert. Mit dieser groben Unterscheidung nimmt er zugleich eine Unterscheidung<br />

zwischen einem Handeln vor, bei dem bewusstes Denken keine Rolle spielt und einem Handeln, bei dem dies der Fall ist.<br />

Beim Menschen sind diese beiden Handlungsformen aufeinander bezogen. Eine Leistung Meads besteht laut Harald Wenzel<br />

(2010: 56) darin, dass er die Evolution <strong>zur</strong> Humankultur, die Transformation sozialer Instinkte und Antriebe subhumaner Lebensformen<br />

nachgezeichnet hat. Er hat dargestellt, dass „instinktgebundene Kooperation und Arbeitsteilung, das Aufeinander-Angewiesensein<br />

im Vollzug der lebenserhaltenden Aktivitäten schon wesentliche Merkmale von Sozialität im Tierreich<br />

[sind]“. Etwas weiter heißt es: „Die Bedeutung der Umwelt für einen Organismus impliziert immer eine Auswahl, die von<br />

lebenserhaltenden Aktivitäten <strong>des</strong> Organismus abhängig ist. Mead erweitert diese evolutionstheoretische Einsicht, indem er<br />

zeigt, dass die Umwelt zuerst aus sozialen Objekten besteht, deren Bedeutung in den reziproken Aktivitäten der Artgenossen<br />

konstituiert wird“.<br />

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