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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Wollte man über diese Idee hinausgehen, war es nach Joas (1996: 359) erforderlich,<br />

„den Begriff <strong>des</strong> Bewusstseins über die Metapher vom Bewusstseinsstrom hinaus mit der Handlung zu verknüpfen<br />

und das Selbst in all seinen Aspekten als Resultat sozialer Interaktion zu denken […].“<br />

An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich von den verschiedenen Versuchen, in diese Richtung zu denken, derjenige<br />

von Mead in der Soziologie durchgesetzt hat, auf den weiter unten (s. 3.2) näher eingegangen wird.<br />

Nach Peter Wagner (2002, 2006) taucht das Wort ‚self’ in der englischen Sprache erst im 17. Jahrhundert auf.<br />

Dies bedeutet aber nicht, dass den früheren Denkern, die heute virulente Frage nach der personalen Identität<br />

nicht vertraut war. Im Gegenteil war die Frage nach der Kontinuität und Kohärenz der Person im Verlauf <strong>des</strong><br />

Lebens lange bekannt, bevor Ende <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts die entstehenden Sozialwissenschaften die Frage neu<br />

formulierten und dabei die Reichweite ihrer Antworten eher einengten. Eine Öffnung dieses Diskurses setzte erst<br />

gegen Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts ein und ist in Deutschland mit Namen wie Friedrich Nietzsche und Sigmund<br />

Freud verbunden (s. Wagner 2002: 306); in den USA mit Namen wie William James, James Mark Baldwin,<br />

Charles Horton Cooley sowie mit George Herbert Mead. Letzterer entwickelte eine anthropologische Theorie<br />

der Spezifika menschlicher Kommunikation und Sozialität schlechthin und im Anschluss daran eine genetische<br />

Analyse der Entwicklung <strong>des</strong> ‚self’ beim Kind (s. Joas 1996: 359f). Nach Ingrid Jungwirth (2007) stellten die<br />

von Cooley und Mead entwickelten Vorstellungen zum Selbst eine Zäsur dar. Ihre Definition zeigt zum ersten<br />

Mal ein sozialtheoretisches anstelle eines philosophischen Verständnisses <strong>des</strong> Begriffs Selbst. Zu einer stärkeren<br />

Beschäftigung mit diesem Thema kommt es erst nach dem Zweiten Weltkrieg (s. Joas 1996, 1997). Siegert/Chapman<br />

(1985: 5f) heben mit Blick auf zeitgenössische Konzeptionen von Individualität hervor, dass<br />

„diese sowohl hinsichtlich ihrer biographischen Herausbildung als auch hinsichtlich ihrer lebensgeschichtlichen<br />

Aufrechterhaltung als relationales Konzept ausgewiesen wird. Sie wird im Konzept von Ego-Alter-<br />

Beziehungen konstituiert“.<br />

An letzterer Vorstellung entzündeten sich im Verlauf der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts im Zusammenhang<br />

mit der Frauenforschung und der Entstehung feministischer Theorien, sog. queer-Theorien und postkolonialer<br />

Theorien (s. Jungwirth 2007) erhebliche Debatten, auf die im Zusammenhang mit den Vorstellungen <strong>des</strong> feministischen<br />

Pragmatismus noch eingegangen werden soll (s. mit Blick auf die Pflege Canales 2000, Davies 2003,<br />

Johnson et al. 2004).<br />

Was die USA betrifft, behauptet Ruth Wylie (1974: 1ff), dass das Interesse an dem Thema ‚Selbst’ in der amerikanischen<br />

Psychologie in den 1920er, 1930er und 1940er Jahren gering war. Dies änderte sich offenbar in den<br />

1940er Jahren, wo die Beschäftigung mit dem Selbst in der Neo-Psychoanalyse und in der humanistischen Psychologie,<br />

deren bekannteste Vertreter Abraham A. Maslow und Carl R. Rogers sind, wieder aufgegriffen wurde.<br />

Weiter existierten bis 1949 offensichtlich nur wenige empirische Arbeiten zum Selbst. Wird die Beschäftigung<br />

mit dem Selbst in den verschiedenen Disziplinen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Peplaus Arbeit im<br />

Jahr 1952 betrachtet, so lagen neben den Arbeiten der Pragmatisten die Arbeiten der NeopsychoanalytikerInnen<br />

Karen Horney, Frieda Fromm-Reichmann, Erich Fromm, Erik H. Erikson sowie von Harry Stack Sullivan vor.<br />

Hinweise, dass Ideen <strong>des</strong> amerikanischen Pragmatismus schon früh in der Pflege aufgegriffen wurden, finden<br />

sich bei Bertha Harmer (s. Kap. 1, 2). In der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts gelangen diese dann vor allem<br />

über die in Zusammenarbeit mit Strauss entstandenen berufsgruppenübergreifenden Forschungsarbeiten eher<br />

implizit in die Pflege. Juliet Corbin (2008), Mitautorin <strong>des</strong> mit Strauss herausgegebenen Buchs ‚Basic of Qualitative<br />

Research’, hat dies explizit gemacht.<br />

3.1.2 DIE WEITERENTWICKLUNGEN DIESER VORSTELLUNGEN SEIT DER ZWEITEN HÄLFTE DES<br />

20. JAHRHUNDERTS UND IHRE REZEPTION IN DER PFLEGEWISSENSCHAFT<br />

Mitte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts scheint das Interesse an der Beschäftigung mit den hier im Fokus stehenden Begriffen<br />

in den USA rasant zugenommen zu haben. Viktor Gecas (1982:1) unterscheidet in seinem Übersichtsartikel zwei<br />

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