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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

die Entwicklung einer Vision von einer organisationalen kollektiven Pflegeverlaufskurve wie von einer individuellen<br />

professionellen Pflegeverlaufskurve.<br />

Die erneute Befassung mit dem Wissenssystem der Profession und ihrer konkreten Arbeit, deren Bindeglied der professionsspezifische<br />

Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich ist, hat die Bedeutung der klinischen Entscheidungsfindung<br />

und der Artikulationsarbeit als eines wichtigen Arbeitstypus der ‚cultural work’ unterstrichen. Die klinische<br />

Entscheidungsfindung als Kernelement <strong>des</strong> professionellen Handelns nimmt Bezug auf das Wissenssystem. Hier<br />

kommt das in der Pflege viel diskutierte Konzept der Autonomie zum Tragen. Es wird im Handeln der Pflegenden<br />

verkörpert, wobei sich konkret zeigt, ob eine Pflegekraft sich mit der pflegerischen Aufgabe und dem Wissenssystem<br />

der Pflege identifiziert, ob sie auf Wissen gründende verbindliche Entscheidungen treffen kann und ob sie die Autorität<br />

hat, die Entscheidungen zu treffen. Die Artikulationsarbeit beinhaltet, die Pflege als Handeln in Begriffen und<br />

Konzepten zu denken und zu kommunizieren. Durch sie wird die zu leistende Pflege benannt, wird die erforderliche<br />

Arbeitsteilung ausgehandelt und wird die Arbeit aller Beteiligten in Bezug auf die multiplen Pflege- und Krankheits-<br />

Verlaufskurven <strong>des</strong> jeweiligen Patienten aufeinander bezogen und integriert. Entwicklungen in Ländern wie den<br />

USA, Kanada, UK oder Australien zeigen, dass die Behauptung <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs auf der<br />

Arbeitsebene ein hochkomplexes, spannungsgeladenes, konflikthaftes und widersprüchliches Unterfangen ist, bei<br />

dem der Arbeitsorganisation und der positiven Sanktion <strong>des</strong> Pflegewissens eine entscheidende Rolle zukommt. Hierfür<br />

bedarf es einer grundsätzlichen Klärung <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs auf der betrieblichen Ebene.<br />

Die entsprechende Zuweisung von Verantwortung für die Pflege von Patienten ist eine weitere wichtige organisatorische<br />

Voraussetzung, damit die Pflegekräfte die Fähigkeit <strong>zur</strong> eigenständigen Problemlösung entwickeln und die<br />

klinische Entscheidungsfindung aktiv wahrnehmen können. Bei<strong>des</strong> ist für den Verlauf der professionellen Pflegeverlaufskurve<br />

wie für die Qualität der von den Pflegekräften zu leistenden Arbeit an den Pflegeverlaufskurven, am<br />

Selbst und an den Krankheitsverlaufskurven der von ihnen zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugssysteme von<br />

fundamentaler Bedeutung.<br />

Veränderungen <strong>des</strong> professionellen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs werden im Handlungsmodell von Abbott<br />

(s. Kap. 4) unterstellt. Die Tiefenwirkung <strong>des</strong> klassischen Professionsverständnisses spiegelt sich in einer beobachtbaren<br />

Auslegung <strong>des</strong> pflegerischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs wider, die primär in den vertrauten<br />

Handlungs-, Denk- und Organisationsmustern (Gewohnheiten) der Müllereimer-Fahrstuhl-Theorie erfolgt, wobei<br />

das zwischen Medizin und Pflege historisch bestehende Über- bzw. Unterordnungsverhältnis nicht grundsätzlich in<br />

Frage gestellt wird. Die Überwindung <strong>des</strong> traditionellen Arrangements <strong>des</strong> pflegerisch-medizinischen Überlappungsbereichs<br />

auf theoretischer und praktischer Ebene ist die Voraussetzung, damit die Pflege ihren Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich<br />

in einem multiprofessionellen Arbeitskontext behaupten und weiterentwickeln kann. Ein Vehikel<br />

für grundlegende praxisbezogene Veränderungen ist das Konzept der dezentralen Entscheidungsfindung, das die organisationale<br />

wie die klinische Entscheidungsfindung umfasst. Es stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Wissen<br />

und der Arbeit der Professionellen dar. Die Fähigkeit <strong>zur</strong> klinischen und organisatorischen Entscheidungsfindung<br />

entwickelt sich im Kontext <strong>des</strong> organisatorisch sanktionierten Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs. Die historisch<br />

gewachsene Beziehung zwischen dem eigenständigen und dem mitwirkenden Bereich innerhalb <strong>des</strong> pflegerischen<br />

Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs erschwert die Herausbildung wie die Behauptung eines genuinen pflegerischen<br />

Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs. Sie begünstigt statt<strong>des</strong>sen pathologische Beziehungsstrukturen nebst<br />

entsprechend verzerrten Identitäten in der Pflege ebenso wie in der Medizin. Um dem entgegenzuwirken, bietet sich<br />

aus professionstheoretischer Sicht als einzig denkbare Lösung eine Auflösung <strong>des</strong> bestehenden Professionskonstrukts<br />

an. Der Pflege muss wie allen anderen Gesundheitsberufen die volle Zuständigkeit für ihren eigenen Autoritäts-<br />

und Zuständigkeitsbereich zugestanden werden.<br />

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