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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

pflegenden Menschen und seiner Bezugspersonen. Bei<strong>des</strong> ist die Voraussetzung für eine aktive Grenzarbeit und ein<br />

konstruktives und erfolgreiches Handhaben <strong>des</strong> Schnittstellenbereichs Pflege/Medizin. Wie einige der oben zitierten<br />

Arbeiten zeigen, scheint die Krankheit <strong>des</strong> Patienten der dominierende Bezugspunkt der Zusammenarbeit zwischen<br />

Pflege und Medizin zu sein, während der pflegerische Aspekt nach wie vor eine untergeordnete Rolle zu spielen<br />

scheint. Wird diese Zusammenarbeit nur im Kontext der Krankheit gesehen und die Pflege als eigenständiges Phänomen<br />

erst gar nicht <strong>zur</strong> Kenntnis genommen, dann läuft die Pflegekraft Gefahr, dass sie in diesem Bereich als<br />

Nichtarzt in direkte Konkurrenz 175 zum Arzt tritt. Da sie jedoch weder Arzt ist, noch sein soll, ist ihr Handeln in diesem<br />

Schnittstellenbereich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, das für den Patienten mit einem erhöhten Risiko<br />

behaftet ist und zu einer anhaltenden Frustration und Unzufriedenheit auf Seiten der Pflegekräfte führen kann.<br />

Im Kap. 8.4.2 wurde die edukative Funktion der professionellen Pflegekraft hervorgehoben. Wie oben angedeutet,<br />

kann die Akutphase dazu führen, dass der zu pflegende Mensch, die den AL zugrunde liegenden physiologischen<br />

Körperprozesse temporär oder dauerhaft nicht mehr selbst meistern oder die mit den AL verbundenen gewohnten<br />

Handlungsweisen nicht mehr selbst oder nur teilweise ausführen kann. In dieser Situation führt die professionelle<br />

Pflegekraft diese Handlungsweisen ersatzweise für den zu pflegenden Menschen und/oder für die ihn pflegenden<br />

Personen aus. Sie übernimmt in diesem Zusammenhang eine Brückenfunktion (Funktion der Überbrückung.) Diese<br />

Brückenfunktion sowie die vermittelnde und vorausschauende Funktion werden umso wichtiger, je kürzer die<br />

Verweildauer ist. Ein zentraler Schwerpunkt der professionellen Arbeit an den Pflegeverlaufskurven, der Krankheitsverlaufskurve<br />

und am Selbst <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen bzw. seines Bezugssystems liegt in der Aufrechterhaltung,<br />

der Modifizierung, De- und/oder Rehabilitierung von Gewohnheiten im Bereich der Al sowie in der<br />

Vermittlung und Stärkung entsprechender Kompetenzen, damit der zu Pflegende seine Pflege- und Krankheitsverlaufskurven<br />

und die Verlaufskurve seines Selbst auf Kurs halten und sie möglichst eigenständig steuern kann 176 . Für<br />

die Wahrnehmung dieser Aufgabe, bei der es um Verlernen und Neulernen geht, stellen die immer kürzer werdenden<br />

Verweildauern eine enorme Herausforderung dar, bei der die Aufnahmefähigkeit <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen leicht<br />

an ihre Grenzen stoßen kann. Die Wahrnehmung dieser Brücken- und Vermittlungsfunktion ist nicht identisch mit<br />

der gewohnten Funktion der Arztassistenz. Sie unterscheidet sich grundlegend davon und begründet insofern auch<br />

die Forderung nach einem Wechsel vom bisher untergeordneten zu einem vollen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich<br />

der Pflege im Schnittstellenbereich Pflege/Medizin (s. auch Pkt. 9.2 und Kap 4). Erst dadurch wird die Voraussetzung<br />

geschaffen, die bisherige Gestaltung dieses Schnittstellenbereichs als eines Bereichs der primären ‚Arztassistenz‘<br />

hinter sich zu lassen und die Basis für eine kollegiale Partnerschaft von Pflege und Medizin zu etablieren.<br />

Die klinische Entscheidungsfindung in diesem Bereich geht über die Beurteilung <strong>des</strong> situativen Krankheitszustands<br />

hinaus, insofern diese Beurteilung immer eine Folgeabschätzung mit enthalten muss, die dieser Zustand in Hinblick<br />

auf das Leben <strong>des</strong> Patienten, d.h. in Bezug auf seine Pflegekompetenzen und allgemeine Handlungsfähigkeit hat.<br />

Obwohl es verschiedene Vorstellungen davon gibt, wie das kommunikative Verhalten beider Parteien verbessert<br />

werden kann, liegen so gut wie keine Studien <strong>zur</strong> Neugestaltung <strong>des</strong> Schnittstellenbereichs vor. Knut Dahlgaard<br />

175 In dieser Konkurrenz treffen überspitzt gesagt zwei ärztliche Identitäten aufeinander. Die von der Pflege in Frage gestellte ärztliche<br />

Identität <strong>des</strong> technischen Experten und die von der Pflege verkörperte Identität <strong>des</strong> ärztlichen Heilers, die in verkleideter<br />

Form in den Caring-Theorien aufscheint.<br />

176 Die Integration therapiebedingter Maßnahmen in das eigene Leben wie komplexe Medikamentenregimes, die Versorgung von<br />

künstlichen Ausgängen oder Zugängen, die Handhabung von die Körperfunktionen kompensierenden Hilfsmitteln<br />

(Körperprothesen), verlangen dem zu pflegenden Menschen ein Verlernen und Neulernen bisheriger Lebensgewohnheiten in den<br />

AL ab. Diese über die Krankheit erzwungenen Veränderungsprozesse können nicht nur das Selbstkonzept und die verschiedenen<br />

Identitäten <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen nachhaltig tangieren, sondern auch die vorhandenen Pflegekompetenzen. Auch hier geht<br />

es um Verlernen und Neulernen. (s. Kap. 8.4.2.).<br />

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