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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

setzt. So kann ein Unverständnis der Wissensbasis, deren Ablehnung und die Unfähigkeit diese mitzuteilen, professionelle<br />

Grenzen verstärken und dazu führen, dass das zu lösende Patientenproblem nicht als ein gemeinsames gesehen<br />

wird. Als Folge werden die unterschiedlichen, <strong>zur</strong> Bewältigung komplexer Patientensituationen erforderlichen<br />

Wissensformen beider Berufsgruppen nicht ausgeschöpft. Wie das Wissen der Pflegekräfte in der Zusammenarbeit<br />

mit Ärzten genutzt wird, ist Gegenstand anderer Untersuchungen. Auch wenn das Wissen der Pflegekräfte für die<br />

ärztliche Entscheidungsfindung wichtig ist, wird immer wieder von den Schwierigkeiten der Pflegekräfte berichtet,<br />

ihr professionelles Wissen aktiv einzubringen, sich Gehör zu verschaffen und ihr Wissen anerkannt zu sehen (s. Manias/Street<br />

2001, Coombs 2004, Knoll/Ledner, Sander 2009). Auch dieses zeigt, dass Veränderungen in der Pflegekraft-Arzt-Beziehung<br />

institutionell abgestützt werden müssen.<br />

Um über die historische geprägte Rolle der Arztassistenz oder <strong>des</strong> ‚verlängerten Arms <strong>des</strong> Arztes‘ hinauszugelangen,<br />

besteht eine zentrale Aufgabe der Pflegekräfte darin, die Rolle und Funktion, die sie vor dem Hintergrund der Arbeit<br />

an den Pflege- und Krankheitsverlaufskurven <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen wahrnehmen, zu artikulieren und sich für<br />

ihre Durchsetzung einzusetzen. Ein Großteil dieser Arbeit kann als Grenzarbeit bezeichnet werden, die nur bei einer<br />

Identifikation mit der pflegerischen Aufgabe gelingen kann. Allerdings wird diese Arbeit durch die unterschiedliche<br />

räumliche und örtliche Organisation der medizinischen und pflegerischen Arbeit erheblich erschwert. Nach Allen<br />

(2001) ist die bei der Behauptung <strong>des</strong> pflegerischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs von den Pflegekräften<br />

zuleistende Grenzarbeit durch zwei Merkmale geprägt:<br />

� Von Vergänglichkeit bzw. Konstanz (der Teamzusammensetzung)<br />

� Von der zeitlich-räumlichen Organisation der medizinischen/pflegerischen Arbeit<br />

Die Konstanz der Pflegekräfte auf den Stationen und der Wechsel beim ärztlichen Personal sorgten in der Studie von<br />

Allen (2001: 135) für eine Diskontinuität der Erfahrung und <strong>des</strong> Status. Allen (2001: 142ff) identifizierte mehrere<br />

Formen der Grenzverzerrung 172 , zu denen es kam, wenn Pflegekräfte die Interessen der zu Pflegenden wahrnahmen<br />

oder wenn es um die Kontinuität der Patientenversorgung ging. Diese auch aufgrund wechselnder Patientensituationen<br />

unvermeidlichen Grenzverzerrungen beeinflussen in der einen oder anderen Form die professionelle Identität der<br />

Pflegekräfte, auch dann, wenn sie den Patienten zugutekommen und gewissermaßen das Bindemittel der klinischen<br />

Leistungsfähigkeit sind.<br />

Wie in Kap.8.4.2 gezeigt, besteht eine zentrale Aufgabe der pflegerischen Arbeit darin, einzuschätzen, welche Folgen<br />

die Krankheit, die Diagnostik und Therapie der Krankheit auf die Kompetenz <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen <strong>zur</strong><br />

selbstbezogenen und <strong>zur</strong> Pflege anderer Menschen sowie auf sein Selbst, sein Selbstkonzept und Körperbild haben.<br />

Es geht darum, wie der zu pflegende Mensch die damit verbundenen Anpassungsleistungen im Bereich der AL und<br />

in den von ihm wahrzunehmenden sozialen Rollen/Funktionen mit und ohne temporäre oder dauerhafte Unterstützung<br />

bewerkstelligen kann und darum, inwieweit sich das Krankheitsgeschehen darüber hinaus auf seine allgemeine<br />

Handlungsfähigkeit auswirkt. Gegenstand der Aushandlungsprozesse zwischen Medizin und Pflege im Schnittstellenbereich<br />

sind die Fähigkeiten <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen, die Folgen <strong>des</strong> Krankheitsgeschehens in Form der Therapie<br />

in sein tägliches Lebens zu integrieren. Er/sie muss den Umgang damit erst lernen. In der Akutsituation kann es<br />

sein, dass die Pflegekraft einen Teil oder alle hierunter fallenden Aufgaben für den zu pflegenden Menschen übernehmen<br />

muss. Ist diese Situation überstanden, geht es darum, dem zu pflegenden Menschen das entsprechende Wissen<br />

und die Fähigkeiten zu vermitteln, so dass er/sie die notwendige Arbeit an seiner Krankheitsverlaufskurve bzw.<br />

an den multiplen Verlaufskurven 173 aufnehmen bzw. die Verantwortung dafür wieder selbst übernehmen kann.<br />

172 Allen (2001: 142ff) identifizierte fünf unterschiedliche Formen der Grenzverzerrung: Kontinuitätsorientierte, Artikulationsorientierte,<br />

Beurteilungsbasierte, Regelorientierte Grenzverzerrungen und Informelle Grenzverzerrungen in der Nacht.<br />

173 In der Regel muss der Mensch an mehreren Verlaufskurven gleichzeitig arbeiten.<br />

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