09.12.2012 Aufrufe

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Kapitel 9<br />

die Barrieren für eine produktive Beziehung vor allem auf historische Entwicklungen sowie auf Entwicklungen im<br />

Bildungsbereich und deren Auswirkungen auf die professionelle Sozialisation <strong>zur</strong>ückgeführt, auf ein damit verbundenes<br />

Rollenverhalten, auf das Verständnis der Geschlechterbeziehungen und der sozialen Klassen. Die von den<br />

Pflegekräften i.d.R. gewählten defensiven Strategien scheinen dazu beizutragen, bestehende Strukturen aufrechtzuerhalten.<br />

So wundert es nicht, dass eines der am häufigsten erwähnten Probleme mit den von Pflegekräften wie Ärzten<br />

eingesetzten ineffektiven Kommunikationsstrategien in Verbindung gebracht wird (s. Lindeke/Sieckert 2005,<br />

Cypress 2010, Fernandez et al 2010, Robinson et al 2010), was inzwischen <strong>zur</strong> Suche nach und <strong>zur</strong> Entwicklung von<br />

geeigneten Kommunikationsstrategien geführt hat (s. Hughes/Fitzpatrick 2010).<br />

Im Gegensatz zu den zahlreichen Studien über nichtfunktionierende Arbeitsbeziehungen zwischen Pflege und Medizin,<br />

liegen nur wenige Kenntnisse über allgemein kollegiale Arbeitsbeziehungen vor. So haben sich Kramer/Schmalenberg<br />

(2002) mit letzteren beschäftigt. In einer frühen Studie, in der sie 279 Pflegekräfte aus 14 Magnet<br />

Hospital zu typischen Pflegekraft-Arzt-Beziehungen interviewten, kristallisierten sich fünf Typen der Zusammenarbeit<br />

aus: eine kollegiale Form (gleiche Macht, Vertrauen und Respekt)t), eine kollaborative (wechselseitige Macht,<br />

Vertrauen und Respekt), eine Student-Lehrer-Beziehung (in der sowohl der Arzt als auch die Pflegekraft Lehrer bzw.<br />

Student sein kann, beide sind gewillt zuzuhören, sich etwas zu vermitteln und zu lernen), eine Beziehung der freundlich-fremden<br />

Art (wenig Vertrauen und Anerkennung, höflich, aber formal bleibend) und eine Beziehungsform einer<br />

feindseligen, ausfällig werdenden, negativen Haltung (in Tonfall und Handlung). (Kramer & Schmalenberg 2002,<br />

Schmalenberg et al 2005a: 451). Sie stellten fest, dass aus der Sicht der Pflegekräfte eine gute Arbeitsbeziehung und<br />

gute Zusammenarbeit mit Ärzten unterschiedliche Formen annehmen kann 171 . Trotz qualitativer Unterschiede werden<br />

die kollegiale und die kollaborative Beziehung in der Literatur immer wieder synonym verwandt. Der fundamentale<br />

Unterschied zwischen beiden ist jedoch, dass nur in der ersten Beziehungsform das Machtverhältnis zwischen<br />

den Partnern gleich ist, auch wenn ihre Beiträge verschiedene sind. Es gilt das Prinzip: gleiche Macht trotz<br />

Verschiedenartigkeit (Kramer/Schmalenberg 2003). Für die Neugestaltung <strong>des</strong> Schnittstellenbereichs ist von Bedeutung,<br />

dass alle fünf Beziehungstypen innerhalb eines Krankenhauses und sogar auf einer Station koexistieren können,<br />

dass diese Beziehungen sich über die Zeit wandeln und in jede Richtung verändern können und zwar auch in<br />

Magnet-Hospitals. Eine Voraussetzung, um die Arzt-Pflegekraft-Beziehung neu aus<strong>zur</strong>ichten, besteht daher zuerst in<br />

einer kritischen Reflektion der Qualität der bestehenden Arbeitsbeziehungen bzw. der wechselseitigen Rollenerwartungen<br />

(s. auch Casanova et al. 2007).<br />

Einen anderen für die Arbeit an den multiplen Verlaufskurven wichtigen Zugang <strong>zur</strong> Beziehung Pflege/Medizin haben<br />

Jane Stein-Parbury und Joan Lianschenko (2007) gewählt. Aus der Perspektive unterschiedlicher Wissensformen,<br />

dem Fallwissen, dem Wissen über den Patienten und seine Person (s. auch Pkt. 9.4) untersuchten sie diese Beziehung<br />

auf einer Intensivstation am Beispiel verwirrter Patienten. Sie stellten fest, dass die Zusammenarbeit zwischen<br />

beiden Berufsgruppen zusammenbrach, wenn das Wissen der Pflegekräfte nicht in das gewohnte Schema <strong>des</strong><br />

‚Fallwissens‘ passte. Die Beziehung funktionierte am Besten auf der Basis <strong>des</strong> Fallwissens, das das medizinische<br />

Wissen als wichtigen Teil der so genannten diagnostischen Arbeit privilegierte. Hingegen wurde das Wissen der<br />

Pflegekräfte, das für das Management der Situation und <strong>des</strong> Patienten erforderlich war und das in erster Linie auf das<br />

Verständnis der Situation und aktueller Verhaltensweisen zielte, also das Wissen über den Patienten und seine Person,<br />

von Seiten der Ärzte ausgeblendet. Dies führte zu einer eher distanzierten Zusammenarbeit, indem das Problem<br />

zu einem Pflegeproblem erklärt wurde. Stein-Parbury/Lianschenko (2007: 476) weisen darauf hin, dass die Zusammenarbeit<br />

ein Verständnis der zwischen Wissen und Arbeit bestehenden Beziehung und deren Anerkennung voraus-<br />

171<br />

Gut‘ konnte z.B. schon bedeuten, dass ein Arzt eine Pflegekraft nicht anschreit, vielleicht auch, dass er kommt, wenn man ihn ruft, bis dahin,<br />

dass er den Rat und die Meinung einer Pflegekraft einholt.<br />

463

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!