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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Inzwischen liegen Studien vor, die sich kritisch mit den Kompetenzstufenmodellen von Dreyfus/Dreyfus und Benner<br />

befassen (Eraut 1994, Eraut/Hirsh 2007, Dall’Alba/ Sandberg 2006, Purkis/Bjornsdottir 2006 152 ). Nach Eraut (1994),<br />

auf den sich u.a. der im angelsächsischen Bereich ausgebildete forschungsgestützte und praxisorientierte Ansatz der<br />

PD bezieht, besteht ein Schwachpunkt <strong>des</strong> Kompetenzmodells der Brüder Dreyfus und <strong>des</strong>jenigen von Benner in<br />

dem individualistischen, eher bewahrenden Ansatz. Das Modell berücksichtigt zu wenig die sich stetig ändernden<br />

Bedingungen professioneller Arbeit (Eraut /Hirsh 2007: 14). Ein anderer Kritikpunkt zielt vor allem auf die mangelnde<br />

Klarheit darüber ab, was genau entwickelt werden soll und worin konkret eine fachkundige bzw. Experten-<br />

Praxis besteht 153 . In der Expertenforschung hat der Begriff ‚Experte‘ nicht nur eine unterschiedliche Bedeutung, sondern<br />

es werden auch unterschiedliche Aspekte <strong>des</strong> Expertentums untersucht (s. Jaspers 1994, Eraut 2005). Eine intensive<br />

Auseinandersetzung mit Benners Expertenbegriff und <strong>des</strong>sen Bedeutung für die Pflege, mit den Erkenntnissen<br />

der Expertenforschung und damit, wie die Entwicklung in Richtung Expertentum gefördert werden kann, erfolgt<br />

im Rahmen <strong>des</strong> Ansatzes der PD (s. hierzu Manley et al. 2005, Titchen / Hardy 2009: 62f) 154 . Nach Titchen/Hardy<br />

(2009) besteht der Kern, das Wesen oder der Gipfel von Expertise in jedem Feld der Pflegepraxis in der Fähigkeit<br />

<strong>des</strong> Vereinens, <strong>des</strong> Ineinanderfügens, <strong>des</strong> Verbindens, <strong>des</strong> Zusammenspielens, <strong>des</strong> Synergetisierens, <strong>des</strong> Synchronisierens<br />

und <strong>des</strong> Ausbalancierens<br />

• von theoretischem Wissen, praktischem know-how und persönlichem Wissen<br />

• im Bemerken/Erkennen, in einem reifen und praktizierten Verständnis und Handeln<br />

• von intuitivem und rationalem Denken/Urteilen<br />

• von theoretischen und praktischen Überlegungen und in einem wahrgenommenen Gespür für Unterschiede<br />

und Gemeinsamkeiten<br />

• im Sehen der Teile und <strong>des</strong> Ganzen und sich zwischen beiden bewegen<br />

• in der Förderung der Integration von Körper und Person<br />

• von organisatorischen und persönlichen Werten<br />

• in einer reifen emotionale Intelligenz<br />

• im therapeutischen Gebrauch <strong>des</strong> Selbst (moralische Handlungsfähigkeit“ (Titchen/Hardy 2009: 65f).<br />

Mit Blick auf die zu gestaltenden Entwicklungsprozesse ist die Differenzierung <strong>des</strong> Expertenbegriffs von Bereiter/Scardamalia<br />

(1993, zitiert in Eraut 2005: 177) in ‚Experten‘, ‚erfahrenen Nichtexperten‘ und ‚Routineexperten‘<br />

hilfreich. Sie sagen, dass Experten sich an den wachsenden Rändern ihrer Kompetenzen (growing edges) entwickeln.<br />

Sie lösen Probleme, die ihre Expertise erhöhen und ihr Verständnis vertiefen. Expertise ist nicht etwas was man erreicht<br />

und dann für immer hat, sondern sie muss als etwas Prozesshaftes verstanden werden. Nichtexperten gehen<br />

Probleme so an, dass sie weder daran wachsen noch sich weiterentwickeln. Erfahrene Nichtexperten hingegen arbeiten<br />

in einem Umfeld, das zwar Wachstum fördert, das aber in vertrauten Routinen stecken bleibt, was Eraut (2005:<br />

177) als ein Steckenbleiben auf dem Niveau <strong>des</strong> Erfahrenen (Gewandten) nach dem Kompetenzstufenmodell beschreibt.<br />

Bei der Weiterentwicklung zu einem Experten haben die kritische Analyse, die Fähigkeit, vielfältige Schemata/<br />

Repräsentationen von komplexen Problemen zu entwickeln, und die Fähigkeit, mit Patienten und anderen Professionen<br />

mit unterschiedlicher Expertise zu arbeiten, den Vorrang. Die Kultivierung einer solchen Expertise erfordert<br />

ein Lernumfeld, das sich deutlich von dem unterscheidet, dass ein erfahrener Mitarbeiter benötigt. Ein anderer<br />

152 Purkis/Bjornsdottir (2006: 250f) kritisieren insbesondere den einseitigen Fokus auf das Wissen der Pflegekraft und dass dieses<br />

Wissen nicht anhand von Patienteninterviews validiert wird. Weiter machen sie deutlich, dass die Pflegepraxis durch Wissen aktiviert<br />

wird und dass diese Praxis je nach zugrundeliegendem Wissens-Bezugsrahmen andere Formen annehmen kann (s. auch<br />

Reed/Lawrence 2008)<br />

153 Ein Experte zu werden bedeutet neben Lernen auch Sozialisation (s. Eraut 2005: 173). Weiter wird der Expertenbegriff heutzutage<br />

nicht mehr nur in Zusammenhang mit beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten verwendet, sondern auch in Bezug auf chronisch<br />

kranke Patienten (s. Eraut 2005: 174, Kap. 8.4.2).<br />

154 Nach Titchen/Hardy (2009: 62f) ist professionelle Kunstfertigkeit (artistry) das Markenzeichen professioneller Expertise. Sie<br />

betonen, dass Expertise in Bezug auf das Verhältnis von theoretischem und praktischem Wissen ein wesentlich komplexeres Phänomen<br />

ist als von Benner beschrieben.<br />

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