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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

reichen, dass sie annehmbar war, hatten sie entweder die Möglichkeit, den Erwartungen zu entsprechen, ihr Unwohlsein<br />

zu ignorieren oder sich ausschließlich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren. Egal, welche Möglichkeit sie<br />

für sich wählten, führte dies häufig zu einem mangelnden Bewusstseins von den Ausmaßen ihres Unwohlseins. Für<br />

andere stellte sich der Widerstand dagegen als zu aufwändig heraus, und so war das Verlassen der Profession die<br />

einzig verbleibende Option (s. Dombeck 2003: 360f). Als höchst problematisch erwies sich für die Frauen die Identifikation<br />

der pflegerischen Profession mit dem Image der ‚mütterlichen Fürsorge’ (maternal caring). Diese konnte<br />

von ihnen weder abgelehnt, noch ‚begeistert aufgenommen’ werden, da ihr Expertenwissen dabei oft nicht berücksichtigt<br />

wurde. In diesem Zusammenhang war es für die weißen Frauen unwichtig, dass sie die Mehrheit der Pflegekräfte<br />

stellen. Weder thematisierten sie diesen Umstand, noch hatten sie das Bedürfnis nach Vielfalt. Insgesamt fühlten<br />

sie sich nicht sonderlich dominant in einem System, dass ihnen einerseits das ‚Caring-Image’ aufdrängt, andererseits<br />

ihre ‚fürsorglichen Funktionen‘ unterbewertet (s. Dombeck 2003: 361).<br />

Den an der Studie teilnehmenden Männern war der Umstand, dass die Mehrheit der Pflegekräfte weiße Frauen sind,<br />

nur allzu bewusst. Das weibliche Image der Pflege führte bei ihnen zu tiefer Verunsicherung. Auch sie erlebten, dass<br />

ihr Wissen in Frage gestellt oder ignoriert wurde. Die Fehlwahrnehmung der Pflege beschäftigte sie auch in anderer<br />

Hinsicht. Alle Männer machten die Erfahrung, dass ihre sexuelle Orientierung und Identität aufgrund ihrer Berufswahl<br />

in Frage gestellt wurde. Sie sahen sich veranlasst, entweder aus freien Stücken oder gezwungenermaßen, eine<br />

Distanz zwischen ihrer professionellen Rolle und ihrer persönlichen Identität herzustellen. Es zeigte sich, dass für die<br />

Männer ihre Marginalität zu einer Quelle von Bewusstsein wurde. Gegen ihre eigene Intention griffen sie Aspekte<br />

<strong>des</strong> feministischen Diskurses auf. Dies betraf vor allem die Notwendigkeit der Selbst-Definition. Sie kamen zu der<br />

Überzeugung, dass dies nicht nur für sie selbst, sondern für die Profession als Ganzes wichtig ist.<br />

Für die Gruppe der afrikanisch-amerikanischen Pflegekräfte wurde das weibliche Image der Fürsorge, <strong>des</strong> Mitgefühls,<br />

der Folgsamkeit und <strong>des</strong> Altruismus durch die deutliche Unterstellung einer rassischen Dienstbarkeit (servanthood)<br />

akzentuiert. Sie erfuhren in vielerlei Hinsicht eine doppelte Bedrohung (double jeopardy). Auch sie erlebten,<br />

dass ihr Wissen nicht anerkannt wurde. Sie erfuhren es aber in anderer Weise: sie ‚wussten‘ nicht nur weniger,<br />

sondern sie ‚waren‘ auch weniger, sie waren nicht nur als Profession weniger, sondern vor allem waren sie weniger<br />

als ihre weißen Kolleginnen. Wie ein roter Faden zog sich der von ihnen erfahrene Rassismus durch ihre Geschichten,<br />

wobei der im Pflegebildungssystem vorherrschende Rassismus bei ihnen Bestürzung auslöste. Sie regten sich<br />

darüber auf, dass ‚weiße Lehrer’ und ‚weiße Colleges’ sich selbst als fair und neutral betrachteten, selbst wenn sie<br />

Rassenfragen in Wahrheit missachteten oder nicht daran interessiert waren. Diese Gruppe entwickelte viele Vorstellungen,<br />

was sie gegen diese Ignoranz und Indifferenz tun könnte und welche Änderungen in Pflegeschulen und in<br />

der Pflegeprofession notwendig seien. Wichtig war ihnen, dass die weiße Gemeinschaft sich <strong>des</strong> Rassismus bewusst<br />

wird und sein Vorhandensein anerkennt. Auffällig war nach Dombeck (2003: 362), dass der von diesen Frauen thematisierte<br />

Rassismus weder für die weißen Frauen noch für die Männer ein problematisches Thema war. Ein wichtiges<br />

Ergebnis ihrer Untersuchung ist, dass diejenigen, in diesem Fall die Männer, die sich an den Rand der Pflegeprofession<br />

versetzt sehen, das Problem der Marginalität wieder ins Zentrum <strong>zur</strong>ückspiegelten. Bemerkenswert ist, dass<br />

die von ihnen thematisierte ‚Selbstbestimmung’ (self-definiton) Auswirkungen auf die gesamte Profession hat. Für<br />

die weißen Pflegekräfte war die erwartete Wiedererkennbarkeit von Pflegekräften aufgrund ihrer Ruhe, ihres Mitgefühls<br />

und ihrer Folgsamkeit gleichermaßen rätselhaft wie verstörend, da es sie in ein ‚festgestelltes’ Image bzw. in<br />

eine Schablone einpasste, wie Pflegekräfte sein sollten. Obwohl dies alle Pflegekräfte der Studie betraf, taten sich<br />

vor allem die weißen Pflegekräfte schwer, aus diesem sozial vorgegebenen Rahmen auszubrechen. Zwei der afrikanisch-amerikanischen<br />

Frauen reaktivierten im Anschluss an die Studie den lokalen Verband für Schwarze Pflegekräfte,<br />

und viele der Männer engagierten sich in der American Assembly for Men in Nursing. Diese Folgen ihrer<br />

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