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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Solche Verhaltensweisen passen nach Urban et al. (1973) nicht zum traditionellen Bild von der ‚Schwesternarbeit’.<br />

Bei einer psychosomatischen und patientenzentrierten Pflege ist die Reflexion der eigenen Arbeit einschließlich <strong>des</strong><br />

eigenen Verhaltens gefordert. Es geht dabei nicht nur um ein Verständnis der Verhaltensweisen <strong>des</strong> Patienten, sondern<br />

auch um das Verstehen der eigenen Wahrnehmungen und gefühlsmäßigen Reaktionen sowie um deren Verarbeitung.<br />

Die Ulmer Ärzte verstanden die medizinische und pflegerische Versorgung als Einheit. Sie zogen daraus den<br />

Schluss, dass ihre Bemühungen um eine patientenzentrierte Medizin nur dann auf fruchtbaren Boden fallen konnten,<br />

wenn auch die Pflegearbeit 99 patientenzentriert gestaltet wurde (s. auch Böck 1979: 517). Die im Vorfeld und während<br />

<strong>des</strong> Modellversuchs gemachten Erfahrungen führten <strong>zur</strong> Entwicklung eines spezifischen Weiterbildungskonzepts<br />

100 , das die vorhandenen Erkenntnisse, Schwierigkeiten und Widerstände <strong>des</strong> Personals thematisierte. Die aus<br />

der Balint-Gruppe bekannten Probleme <strong>des</strong> Pflegepersonals wiesen auf ‚Struktur- und Identitätsprobleme’ hin. Deutlich<br />

wurde, dass die Deklaration der ‚psychischen Betreuung <strong>des</strong> Patienten’ als Aufgabe <strong>des</strong> Pflegepersonals und<br />

Hinweise darauf in der Ausbildung nicht ausreichten. Für diese Aufgabe, die bisher ihren Platz in der ‚christlichen<br />

Tradition’ der Heilspflege hatte und hier eine spezifische Prägung erhalten hatte, gab es in der säkularisierten Fassung<br />

der Heilspflege keine inhaltliche Grundlage mehr. Vielmehr galt es, das Konzept ‚psychische Betreuung’ mit<br />

Inhalten sowie mit der Vermittlung und Einübung entsprechender ‚Sozialtechniken’ zu verknüpfen (s. Köhle et al.<br />

1980: 97). Den im Werkstattbericht beschriebenen Unterrichtsinhalten, den Materialien zum Erstgespräch sowie den<br />

anderen in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlichen Berichten ist nicht zu entnehmen, wie die als bedeutsam<br />

erachtete ‚psychische Betreuung’ pflegeinhaltlich fundiert wurde und welche Schlussfolgerungen hieraus für die<br />

Vermittlung der erwähnten ‚Sozialtechniken’ gezogen wurden 101 . Den Ergebnissen der Follow-up-Studie zufolge<br />

führten die verschiedenen Aktivitäten wie das Pflegeerstgespräch oder die Zimmerpflege oder die in der Weiterbildung<br />

und auf der Station gesammelten Erfahrungen weder zu einem veränderten Pflegeverständnis noch zu veränderten<br />

Selbstkonzeptionen der Pflegekräfte (s. Böck 1979: 520). Ende der 1970er Jahre war ungeachtet der zunehmenden<br />

Forderung der Berufsgruppe nach einer ‚patientenorientierten Pflege’ in der breiten Masse der Pflegekräfte<br />

und in einer Vielzahl der Krankenhäuser die Bereitschaft, Veränderungen vorzunehmen, nicht vorhanden. Eine pflegeinhaltliche<br />

Füllung und Begründung einer ‚patientenzentrierten Pflege’ wurde im Ulmer-Modell versäumt.<br />

99 Wichtige Bestandteile <strong>des</strong> Stationskonzepts waren: das Erstgespräch der Schwester und damit der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung<br />

zum Patienten, d.h. eine Orientierung an den Pflegebedürfnissen und an den mit der Krankheit verbundenen emotionalen<br />

Problemen der Patienten, das Erstinterview <strong>des</strong> Arztes, die Morgenbesprechung von Ärzten, Pflegepersonal, Sozialarbeiterin,<br />

der die Supervision durchführende Psychosomatiker und möglichst der Krankengymnastin, die Visite, die Pflegevisite am<br />

Ende der Nachmittagsschicht, die Stationskonferenz, die Schichtübergabe, die Entlassungs- und Organisationsbesprechung, die<br />

Patientengruppe und das Patientencafe, die internistische Supervision und die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter auf Station<br />

(s. Köhle et al. 1973).<br />

100 An den dreijährigen Vorarbeiten waren u.a. Antje Grauhan und Karl Köhle beteiligt. Für die organisatorische Durchsetzung<br />

setzte sich Ilse Schulz, Zentraloberin der <strong>Universität</strong>skliniken Ulm, maßgeblich ein (s. Zenz 1990: 329).Das<br />

Weiterbildungskonzept war von der Anlage her interdisziplinär ausgerichtet. Bei seiner Erarbeitung leistete die Pflege als eine<br />

Gruppe neben anderen Gruppen ihren Beitrag. Seitens der Vertreter der Pflege bestand die Idee, ‚patientenzentrierte<br />

Pflegeprinzipien‘ zu entwickeln. Die Beschreibung der theoretischen Inhalte <strong>des</strong> Weiterbildungskonzepts vermittelt den Eindruck,<br />

dass die Arbeitsweise <strong>des</strong> Pflegepersonals stark von den ärztlichen Vertretern, den Therapeuten und ihren Vorstellungen von einer<br />

psychosomatischen und patientenzentrierten Medizin geprägt waren. Für das von Antje Grauhan angebotene Thema<br />

‚Krankenhaus und Pflegestrukturen‘ waren 48 Stunden vorgesehen, während für die Vermittlung <strong>des</strong> theoretischen Wissens in<br />

Entwicklungspsychologie, Psychiatrie, Sozialarbeit, in Psychologie und Soziologie, Neurosenlehre, allgemeine Psychosomatik<br />

und Spezielle Psychosomatik 248 Stunden <strong>zur</strong> Verfügung standen (s. Köhle et al. 1980: 118).<br />

101 Im Literaturverzeichnis finden sich Hinweise auf das Pflegemodell von Abdellah et al. Es wird nicht klar, ob oder inwieweit es<br />

zugrunde gelegt wurde und in welcher Form. Hier scheint eine gewisse Schwäche <strong>des</strong> Projektes durch. Es kann aber auch sein,<br />

wie im Werkstattbericht angedeutet, dass die Vertreter der Pflege sich mit ihren Vorstellungen gegenüber den anderen<br />

Berufsgruppen nicht durchsetzen konnten (s. Köhle et al. 1980: 99ff).<br />

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