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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Anregungen für eine moderne und zukunftsorientierte Krankenpflegeausbildung und Krankenpflegepraxis erhielt die<br />

Deutsche Schwesterngemeinschaft über den 5. Bericht <strong>des</strong> Expertenkomitees für Krankenpflege der WHO 91 . Aufgrund<br />

der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen sollte eine ‚umfassende’ Ausbildung in der vorbeugenden<br />

und heilenden Pflege wie auch in der Rehabilitation angestrebt werden. Um der weltweit zu beobachtenden Entpersönlichung<br />

<strong>des</strong> Patienten (und der Pflegekraft) im Gefolge der Verwissenschaftlichung und Technisierung der Gesundheitsversorgung<br />

entgegenwirken zu können, sollte die Krankenschwester den Patienten als Individuum behandeln.<br />

Ausgangspunkt für ihr Handeln am, für und mit dem Patienten sowie für die Delegation von Aufgaben ist der<br />

Patient und das, was für ihn am besten ist 92 (s. 5. Bericht 1967: 521). Im Zuge der Konkretisierung dieser Ideen wurde<br />

von der WHO Ende der 1960er Jahre die in den USA entstandene Idee, die Pflege als Prozess zu verstehen, aufgegriffen<br />

und in den 1970er/1980er Jahren in Europa im Rahmen <strong>des</strong> mittelfristigen Programms für das Krankenpflege-<br />

und Hebammenwesen verbreitet (s. ausführlich Mischo-Kelling 2003, Kap. 1 und 2). Das in Kap. 2 beschriebene<br />

RLT-Modell muss im Kontext dieser Entwicklungen gesehen werden. Während diese Entwicklungen in vielen<br />

Europäischen Ländern die Professionalisierung der Pflege und die wissenschaftliche Begründung <strong>des</strong> Gegenstandsbereichs<br />

der Pflege vorantreiben, fällt die deutsche Pflege in eine tiefgreifende Krise, von der sie sich rückblickend<br />

bis heute nicht erholt hat.<br />

In den 1970er Jahren wird mit der Verberuflichung der Pflege eine Trennung zwischen Lebensform und Berufstätigkeit<br />

vollzogen 93 . Im Zuge dieser Entwicklungen werden der Realisierung einer ‚ganzheitlichen Pflege’ nicht nur<br />

ihre bisherigen inhaltlichen Stützpfeiler in Form der religiös bzw. ideologisch begründeten Heilspflege entzogen,<br />

sondern auch ihre organisatorischen Stützpfeiler in Gestalt der Lebensform und <strong>des</strong> damit verbundenen Dienstverständnisses.<br />

Dies belegen verschiedene Untersuchungen aus den 1970er Jahren, die sich mit der Personalsituation 94 ,<br />

der Ausbildungssituation und den Arbeitsbedingungen befassen (s. Pinding 1972; Pinding et al. 1972, Leitner-<br />

Botschafter et al 1973, Volkholz 1973). Sichtbar wurde das Problem in der durchschnittlichen Berufsverweildauer,<br />

die von 1960 bis 1969 von 15 auf 10 Jahre <strong>zur</strong>ückgegangen war, was es in vergleichbaren Frauenberufen nicht gab.<br />

Nach Leitner-Botschafter et al. (1973) war die Vorstellung von der Pflege als lebenslanger Tätigkeit in der Tradition<br />

der weltlichen und konfessionellen Mutterhäuser ins Hintertreffen geraten, wohingegen die ebenfalls schon existierende<br />

Vorstellung von der Pflege als vorübergehende Tätigkeit bis <strong>zur</strong> Übernahme <strong>des</strong> von der Gesellschaft für<br />

Frauen vorgesehenen Naturberufs als Ehefrau, Hausfrau und Mutter an Bedeutung gewann. Volkholz (1973: 80) unterschied<br />

auf der Basis der Berufsverweildauer zwei Gruppen. Zur ersteren zählen die Ordensschwestern und Diakonissen<br />

95 . Die andere Gruppe schied vorzugsweise mit der Heirat aus dem Beruf aus. Somit trafen zwei in ihren Orientierungen<br />

und Berufserfahrungen völlig unterschiedliche Gruppen aufeinander. Verfügte die eine Gruppe über eine<br />

91<br />

In dem Bericht wurden die Sicherstellung von genügend Krankenpflegepersonen und die Gewährleistung der bestmöglichen<br />

Krankenpflege als zentrale, von den Verantwortlichen in der Pflege anzugehende Probleme herausgestellt (s. 5. Bericht 1967:<br />

520).<br />

92<br />

Die Mitglieder <strong>des</strong> Expertenkomitees stützen sich auf die Definition von Krankenpflege von Henderson. Sie machten Aussagen<br />

zu den Arbeitsbedingungen, d.h. <strong>zur</strong> Bereitstellung von ausreichenden Pflegemitteln, zum Pflegesystem und Betriebsklima. Ein<br />

weiterer Punkt war die Qualität der ärztlichen Versorgung, da diese sich auf die Qualität der pflegerischen Versorgung auswirkt<br />

(s. 5. Bericht 1967: 522). Das Komitee empfahl eine Differenzierung von Berufsrollen. Es beschäftigte sich ausführlich mit dem<br />

Pflegeteam, der Gruppenpflege, mit der Rolle der Teamleiterin und der Notwendigkeit, einen Pflegeplan für den Patienten<br />

entsprechend der pflegerischen Bedürfnisse zu erstellen und ihn kontinuierlich an diesen Bedürfnissen neu aus<strong>zur</strong>ichten. In<br />

diesem Zusammenhang geht das Komitee auch auf die Rolle der Männer ein (s. 5. Bericht 1967: 565).<br />

93<br />

Christine von Oertzen (2000: 16ff) zeigt u.a. am Beispiel der Krankenpflege das Verschwinden <strong>des</strong> Titels ‚Fräulein‘ auf. Sie<br />

bringt dieses Phänomen in Zusammenhang mit bis in die Mitte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts vorherrschenden Leitbildern für verheiratete<br />

und unverheiratete Frauen.<br />

94<br />

Der Bedarf an qualifiziertem Personal wurde Ende der 1960er Jahre, Anfang der 1970er Jahre auf ca. 30.000 bis 40.000<br />

geschätzt, der bei Berücksichtigung eines Dreischichtsystems um weitere 20 bis 30% anstieg (s. Eichhorn 1973:49).<br />

95<br />

Sie übten ihren Beruf lebenslang aus. Ihr Anteil an der Gesamtgruppe der Pflegekräfte war rückläufig. Er lag 1965 bei 24,83<br />

Prozent.<br />

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