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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Grauhan (1964a+b) Leiterin der Schwesternschule an der <strong>Universität</strong> Heidelberg. Im Rahmen ihrer Beschäftigung<br />

mit der Neuordnung <strong>des</strong> Ausbildungssystems setzte sie sich mit den ‚Basic Principles of Nursing Care’ von Virginia<br />

Henderson (s. Kap. 2) auseinander. Den Vorteil dieser Grundregeln sah sie in der handlungsleitenden Orientierung<br />

<strong>des</strong> beruflichen Interesses. Hiernach ist ein berufliches Eingreifen immer dann erforderlich, wenn der Mensch seine<br />

‚Grundbedürfnisse’ nicht mehr selbst, d.h. aus eigener Kraft oder aufgrund fehlenden Wissens und Willens nicht<br />

selbst befriedigen kann. Die damit einhergehenden pflegerischen Aufgaben bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse<br />

<strong>des</strong> Patienten, d.h. die unmittelbar auf den Patienten bezogenen Aufgaben der Pflegekraft ordnet Grauhan drei<br />

allgemeinen Begriffsgruppen oder Aufgabenfeldern zu,<br />

• „der Krankenbeobachtung<br />

• der Grundpflege und eigenständigen Behandlungspflege 89<br />

• den Verrichtungen im Auftrag Anderer (Arzt, Geistlicher usw.) und der Hilfeleistung bei diagnostischen<br />

und therapeutischen Maßnahmen“ (Grauhan 1964a: 38).<br />

Grauhans Veröffentlichungen (1964 a, b, 1967,1968) liefern eine erste konkrete Beschreibung eines säkularen Berufsverständnisses<br />

von der Pflege. Sie geben wichtige Hinweise darauf, was das ‚Eigentliche’ der Pflege sein kann.<br />

Mit ihrer Auffassung, dass die Krankenpflege ein erlernbarer Erwerbsberuf und ein Mittel <strong>zur</strong> finanziellen Selbsterhaltung<br />

ist, bricht Grauhan mit der immer noch vorherrschenden Vorstellung, wonach die Ausübung <strong>des</strong> Pflegeberufs<br />

primär an charakterliche Eigenschaften bzw. an das weibliche Geschlecht 90 gebunden ist (s. auch Grauhan 1990:<br />

54ff). Sie begreift das Gebiet der Krankenpflege als eigenständigen Aufgabenbereich, den sie vor allem in der Befriedigung<br />

der Grundbedürfnisse <strong>des</strong> Menschen bzw. im Bereich der ‚Diätetik’ sieht und deren Umfang und Art abhängig<br />

vom Zustand <strong>des</strong> jeweiligen Patienten ist. Für diesen Aufgabenbereich wird die Pflegekraft ausgebildet, diesen<br />

sollte sie beherrschen und für ihn die Verantwortung übernehmen. Forderte Romberg die Gesundheitserziehung<br />

und die Vermittlung entsprechender Fähigkeiten und Fertigkeiten als neues wichtiges Aufgabenfeld für die Pflege,<br />

lieferte Grauhan erste konkrete Ansatzpunkte dafür, wie das ‚Eigentliche der Pflege’ aussehen könnte bzw. was der<br />

Gegenstand der Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient ist.<br />

Trotz ihrer diesseits orientierten Auffassung vom eigentlichen Bereich der Pflege fällt auf, dass selbst solchen weltoffenen<br />

und aufgeschlossenen Pflegekräften die Trennung zwischen religiöser Lebensauffassung verknüpft mit der<br />

charakterlichen Eignung und einer professionellen Berufsauffassung schwer fiel. Die Vermischung beider Auffassungen<br />

wurde nicht als Problem gesehen. Eine mögliche Erklärung für diese Situation kann das von dieser Generation<br />

seinerzeit noch internalisierte und verteidigte Berufs- und Frauenbild sein. Das ‚weibliche Zölibat‘ berufstätiger<br />

lediger Frauen war eine wichtige Voraussetzung <strong>zur</strong> Ausübung so genannter Frauenberufe. Es war ein wichtiger Teil<br />

<strong>des</strong> beruflichen Selbstverständnisses und gehörte <strong>zur</strong> unhinterfragten ‚Normalität‘, auch wenn diese Normalität immer<br />

weniger den realen Verhältnissen entsprach (s. auch von Oertzen 2000: 16f). Bezogen auf die berufliche/professionelle<br />

Pflegeverlaufskurve gab das von den Frauen gelebte Berufskonzept ihnen Sicherheit. Es gab ihrem<br />

Handeln eine Struktur. Das Hinterfragen dieses Konzepts hätte die vertrauten Handlungsmuster zusammenbrechen<br />

lassen. Was die Beziehung zum Patienten betrifft, deutet sich eine veränderte Sichtweise <strong>des</strong> Patienten vom Objekt<br />

zum Subjekt an. Die Diskussion um die Reform der Krankenpflegeausbildung von 1965 zeigt (s. Mischo-<br />

Kelling 1995b: 242), dass sich in den 1960er Jahren die von Romberg oder Grauhan vertretenen Vorstellungen nicht<br />

durchsetzen konnten. Eine Verständigung auf das Eigentliche der Pflege fiel der Pflege als Gesamtgruppe nicht zuletzt<br />

aufgrund der noch stark in religiösen Deutungsmustern verhafteten Betreuung schwer.<br />

89<br />

Grauhan (1964a: 39) zeigt anhand von Beispielen auf, wie problematisch die Begriffe ‚Grundpflege und Behandlungspflege’<br />

sind.<br />

90<br />

Die Tatsache, dass die Krankenpflege insbesondere Frauen anzieht, veranlasst Grauhan unter dem Gesichtspunkt der kurzen<br />

Berufsverweildauer von Frauen aufgrund von Heirat und familiären Verpflichtungen darüber nachzudenken, wie die Ausbildung<br />

so gestaltet werden kann, dass der Patient in den Genuss von deren Ergebnissen kommt.<br />

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