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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

sichtbar, bis er Ende der 1960er Jahre/Anfang der 1970er Jahre nicht mehr zu übersehen war. Er drückt sich nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg in den Bezeichnungen der säkularisierten Heilspflege als Grundpflege und der Heilpflege<br />

als Behandlungspflege aus und führt zu einer Neubewertung beider Bereiche. Ungeachtet <strong>des</strong>sen strahlen die mit der<br />

Heilspflege verbundenen Berufskonzeptionen in ihren verschiedenen konfessionellen (katholisch, protestantisch)<br />

und säkularen Ausprägungen 79 bis heute auf die Pflege aus. Dies ist u.a. dem Umstand geschuldet, dass von den<br />

Pflegekräften, die Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts geboren waren und nach dem 1. Weltkrieg ihre berufliche Sozialisation<br />

innerhalb dieser Berufskonzeptionen erfuhren, ihren Beruf in der Regel lebenslänglich ausübten. Sie nahmen nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg, als die geistlichen und weltlichen Mutterhausverbände und freien Schwesternschaften 80 sich<br />

neben der ‚Bewältigung‘ <strong>des</strong> Nationalsozialismus 81 aufgrund <strong>des</strong> herrschenden Nachwuchsmangels 82 mit ihrem jeweiligen<br />

Selbstverständnis befassen mussten, bis weit in die 1960er Jahre hinein aktiven Einfluss auf die Deutung<br />

<strong>des</strong> pflegerischen Wissenssystems, auf die Gestaltung der Pflegepraxis und auf die Rolle der Pflegekräfte. Ihre Vorstellungen<br />

und ihr Handeln prägten die Kultur der beruflichen Pflege und somit auch deren Denkgewohnheiten und<br />

Gewohnheiten <strong>des</strong> pflegerischen Handelns. Das Verständnis der von den Schwesternschaften vertretenen Auffassung<br />

einer ‚ganzheitlichen’ bzw. ‚patientenorientierten Pflege’ 83 leitete sich aus ihrem Verständnis der religiös geprägten<br />

bzw. säkularisierten Heilspflege, dem damit verbundenen Dienstverständnis und der Lebensform ab. Wie neuere<br />

historische Arbeiten zum Alltag von Ordensfrauen bzw. Diakonissen in der Krankenpflege zeigen, bot die Heilspflege,<br />

in deren Mittelpunkt vor allem die Pflege <strong>des</strong> ‚Geistes’, aber auch die <strong>des</strong> Leibes/Körpers stand, den Ordensfrauen/Diakonissen<br />

einen gewissen eigenen arztunabhängigen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich (s. Nolte 2008: 123,<br />

Kreutzer 2005, 2008, 2010, Meiwes 2000, 2008). Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen selbstbestimmten Bereich<br />

84 , sondern um einen durch die Regularien <strong>des</strong> Mutterhauses bzw. <strong>des</strong> Ordens reglementierten (s. Nolte 2009a:<br />

147). Diese religiös begründete Pflege 85 , die Heilspflege, bestimmte die Krankenversorgung in konfessionell geführten<br />

Häusern und wurde von ihnen verteidigt.<br />

79 Hier handelt es sich um die Konzeptionen der Frauenvereine, <strong>des</strong> deutschen Roten Kreuzes, der Berufsorganisation der<br />

Krankenpflegerinnen Deutschlands sowie der gewerkschaftlich organisierten Pflege.<br />

80 Auch wenn den geistlichen und weltlichen Mutterhausverbänden ihre vor dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen und über diesen<br />

hinweg geretteten Strukturen beim Wiederaufbau <strong>des</strong> Krankenhauswesens zugutekamen, machte die veränderte gesellschaftliche<br />

Situation nach der Gründung der Bun<strong>des</strong>republik den geistlichen Mutterhausverbänden zu schaffen (s. Scharffenorth et al. 1984).<br />

In West - und Ostdeutschland verliefen die Entwicklungen in der Pflege nach dem Zweiten Weltkrieg verschieden. In den<br />

westlichen Besatzungszonen kam es 1948 zum Zusammenschluss der Deutschen Schwesterngemeinschaft, um hier Einfluss<br />

nehmen zu können (s. Denkschrift 1950).<br />

81 Zur Pflege im Nationalsozialismus liegen inzwischen Untersuchungen vor (s. bspw. Steppe 1993, Steppe/Ulmer 1999,<br />

McFarland-Icke 1999). Christoph Schweikardt (2009) beschreibt die Arbeitsfelder der NS-Schwestern. Er kommt zu dem Schluss,<br />

dass noch viele Fragen erforscht werden müssen, etwa der Beitrag der NS-Schwesternschaften <strong>zur</strong> Säkularisierung der deutschen<br />

Pflege und der Einfluss der Schwestern nach 1945. Manuela Schoska (2009) befasst sich mit der pflegerischen Verantwortung im<br />

Nationalsozialismus. Sie rekonstruiert diese anhand von Sekundärliteratur, vier Krankenpflegelehrbüchern und schriftlichen<br />

Quellen <strong>des</strong> Krankenhausmuseums Ost und <strong>des</strong> Staatsarchivs <strong>Bremen</strong>s.<br />

82 Die Krankenhäuser standen vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und waren aufgrund <strong>des</strong> Personalmangels im<br />

Pflegebereich in ihrer Existenz bedroht (s. Eichholz 1957: 1). Mitte der 50er Jahre lag dieser Mangel je nach Schätzung zwischen<br />

7.000 und 40.000 (s. Seel 1957: 381). Wie diese Situation konkret erfahren wurde, beschreibt Anna-Paula Kruse (2009) in ihren<br />

Buch ‚Der Anfang nach dem Ende‘.<br />

83 In der Studie von Scharffenorth et al. (1984) steht die Klärung <strong>des</strong> Selbstverständnisses der Schwesternschaften und ihrer Rolle<br />

in der evangelischen Kirche im Mittelpunkt. Es wird kein Versuch unternommen, zwischen der Krankenpflege als Beruf oder<br />

anderen von den Diakonissen bzw. Verbandsschwestern ausgeübten Berufen und ihrer geistlichen Betätigung, sei es die<br />

Ausübung eines kirchlichen Laienamts oder eines Amtes als Diakonisse, zu unterscheiden. Die Arbeit gibt ein differenziertes Bild<br />

von den Schwesternschaften, der Rolle der Mutterhäuser, ihrer Vorsteher und der Kirche.<br />

84 Nolte (2009a: 146) merkt an, dass die Briefe der Diakonissen deren Bemühungen widerspiegeln, dem Idealbild einer<br />

Diakonisse (religiöses Selbstbild) und den in sie vom jeweiligen Direktor (Fliedner und Nachfolger) gesetzten Erwartungen zu<br />

entsprechen. Nolte (2009b: 153) vergleicht Fallbeispiele von häuslicher Pflege durch Kaiserswerther Diakonissen mit einem von<br />

Agnes Karll beschriebenen Fallbeispiel. Sie kommt zu dem Schluss, dass im Zentrum der Identität der Kaiserswerther<br />

Diakonissen die Pflege <strong>des</strong> ‚Geistes’ steht. Ärztliche Entscheidungen scheinen den Handlungsradius der Diakonissen weniger zu<br />

begrenzen als den von Agnes Karll, deren Selbstbild sich an einer von Medizin und Wissenschaft definierten Pflege orientiert.<br />

85 Kreutzer (2008) bezeichnet diese Pflege als ‚ganzheitlich’, da die Pflege an den Bedürfnissen/ Erfordernissen der Patienten<br />

orientiert war und jede Schwester für die Pflege einer gewissen Anzahl von Patienten verantwortlich war. Sie hebt die<br />

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